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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §38;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 96/21/0979Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde der ZS (geboren am 11. August 1955), vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen die Bescheide des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom 12. April 1996, 1. Zl. 1-0102/96/E2, und 2. Zl. 1-0103/96/E2, jeweils wegen Übertretung des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Das Land Vorarlberg hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die vorliegende Beschwerde ist gegen zwei im Instanzenzug ergangene Straferkenntnisse des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom 12. April 1996 gerichtet. Mit dem ersten wurde über die Beschwerdeführerin, eine Staatsbürgerin der Bundesrepublik Jugoslawien, gemäß § 82 Abs. 1 Z. 4 iVm § 15 Abs. 1 Z. 2 und 3 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, eine Geldstrafe von S 3.000,-- sowie im Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 72 Stunden verhängt und sie gemäß § 64 VStG zur Bezahlung von Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens in der Höhe von S 900,-- verpflichtet, weil sie sich als Fremde vom 21. April 1995 bis zumindest 13. Juni 1995 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe, weil ihr von der Sicherheitsbehörde kein Sichtvermerk erteilt worden sei und sie weder eine Aufenthaltsbewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz besessen habe, noch ihr eine Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz zustehe. Mit dem zweiten Straferkenntnis wurde gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 82 Abs. 1 Z. 4 iVm § 15 Abs. 1 Z. 2 und 3 FrG iVm § 7 VStG eine Geldstrafe in der Höhe von S 1.000,-- sowie im Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 24 Stunden verhängt und sie gemäß § 64 VStG zur Bezahlung von Kosten des Strafverfahrens in der Höhe von S 100,-- verpflichtet, weil sie vorsätzlich ihrem minderjährigem Kind Sandra S die Begehung einer Verwaltungsübertretung erleichtert habe, indem sie ihm Unterkunft gewährt habe, obwohl ihm von der Sicherheitsbehörde kein Sichtvermerk erteilt worden sei und es sich somit vom 21. April 1995 bis zumindest 13. Juni 1995 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe.
Der erstangefochtene Bescheid wurde im wesentlichen damit begründet, daß sich die Beschwerdeführerin im Tatzeitraum im Bundesgebiet aufgehalten habe, obwohl sie weder über eine Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz noch über einen österreichischen Sichtvermerk verfügt habe; auch eine Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz 1991 sei ihr während dieses Zeitraumes nicht zugekommen. Die Beschwerdeführerin sei wegen derselben Übertretung bereits dreimal bestraft worden. Bei der vorliegenden Übertretung handle es sich um ein Ungehorsamsdelikt. Die Beschwerdeführerin habe nicht glaubhaft gemacht, daß sie an der Verletzung der Vorschrift kein Verschulden treffe. Die festgesetzte Strafe sei trotz der ungünstigen finanziellen Verhältnisse der Beschwerdeführerin schuld-, tat- und einkommensangemessen.
Der zweitangefochtene Bescheid wurde im wesentlichen damit begründet, daß die Beschwerdeführerin es ihrer am 8. Oktober 1989 geborenen Tochter ermöglicht habe, daß sich diese im Zeitraum vom 21. April 1995 bis zum 13. Juni 1995 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe, obwohl sie gewußt habe, daß deren Sichtvermerk am 8. Oktober 1992 abgelaufen sei. Im angeführten Tatzeitraum habe die Tochter der Beschwerdeführerin somit über keinen österreichischen Sichtvermerk verfügt. Wegen derselben Übertretung sei die Beschwerdeführerin bereits dreimal rechtskräftig bestraft worden. Die Beschwerdeführerin habe vorsätzlich gehandelt, da sie bereits aufgrund der wegen derselben Übertretung gegen sie durchgeführten Verwaltungsstrafverfahren gewußt habe, daß für den Aufenthalt ihrer Tochter im Bundesgebiet eine aufenthaltsrechtliche Bewilligung erforderlich sei. Als Milderungsgrund sei gewertet worden, daß die Beschwerdeführerin nach den Bestimmungen des ABGB für ihre Tochter sorge- und unterhaltspflichtig sei und sich nach der Aktenlage kein Anhaltspunkt dafür finde, daß für die Tochter eine geeignetere Unterkunft (auch im Ausland) vorhanden gewesen wäre.
In der Beschwerde wird die Aufhebung dieser Bescheide wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die maßgeblichen Bestimmungen des Fremdengesetzes lauten wie
folgt:
"§ 15.(1) Fremde halten sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf,
1. wenn sie unter Einhaltung der Bestimmungen des 2. Teiles und ohne die Grenzkontrolle zu umgehen eingereist sind oder
2. wenn ihnen eine Bewilligung gemäß § 1 des Aufenthaltsgesetzes oder von einer Sicherheitsbehörde ein Sichtvermerk erteilt wurde oder
3. solange ihnen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz 1991, BGBl. Nr. 8/1992, zukommt.
...
§ 82. (1) Wer
...
4. sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (§ 15), begeht eine Verwaltungsübertretung und ist in den Fällen der Z. 1 und 2 mit Geldstrafe bis zu S 10.000,-- oder mit Freiheitsstrafe bis zu 14 Tagen, sonst mit Geldstrafe bis zu S 10.000,-- zu bestrafen. Als Tatort gilt der Ort der Betretung oder des letzten bekannten Aufenthaltes."
Die Beschwerdeführerin hält die angefochtenen Bescheide deswegen für rechtswidrig, weil sie seit 1972 in Österreich lebe und bis Ende 1992 erwiesenermaßen über Sichtvermerke verfügt habe. Mit der Geburt ihrer Tochter am 8. Oktober 1989 sei sie gezwungen gewesen, sich um deren Wohl und Erziehung zu kümmern. Durch den unverschuldeten Verlust ihres Arbeitsplatzes und die steigenden Lebenshaltungskosten für sich und ihre Tochter sei sie in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Wegen dieser finanziellen Notlage sei ihr von der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn die Verlängerung einer Aufenthaltsberechtigung verweigert worden, weil sie nicht in der Lage gewesen sei, ihren und den Lebensunterhalt ihrer Tochter zu sichern. Die belangte Behörde nehme in beiden angefochtenen Bescheiden auf diese Umstände mit keinem Wort Bezug und belaste diese daher mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
Die Beschwerde ist begründet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gleichgelagerten Fall die Auffassung vertreten, daß die Strafbehörde in einem Verfahren betreffend eine Übertretung des § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG die Vorfrage zu beurteilen hat, ob eine Ausweisung - bezogen auf den Tatzeitraum - im Grunde des § 19 FrG zulässig ist. Steht der Ausweisung eines Fremden nämlich eine zu seinen Gunsten ausfallende Interessenabwägung nach § 19 FrG im Wege, so muß hinsichtlich des Tatbestandes des § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG auch das Vorliegen eines gesetzlichen Strafausschließungsgrundes nach § 6 VStG angenommen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. November 1998, Zlen. 97/21/0085, 98/21/0065, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).
Dies hat die belangte Behörde bei Erlassung des erstangefochtenen Bescheides verkannt. Daß im Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde ein Ausweisungsbescheid betreffend die Beschwerdeführerin vorlag, ändert daran nichts, weil dieser Bescheid keinen die Strafbehörde bindenden Abspruch über den Zeitraum des unrechtmäßigen Aufenthaltes in Österreich enthält. Im übrigen wird auf das zur Zl. 96/21/0526 ergangene Erkenntnis vom heutigen Tag verwiesen, mit dem der Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 8. November 1995 betreffend die Ausweisung der Beschwerdeführerin wegen unrichtiger Beurteilung im Grunde des § 19 FrG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben wurde.
Gleiches gilt sinngemäß in bezug auf die Bestrafung der Beschwerdeführerin wegen Erleichterung der "Begehung" einer Verwaltungsübertretung durch ihre damals fünfjährige Tochter.
Die angefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Von der Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 5. März 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1996210978.X00Im RIS seit
03.04.2001