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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde des BK (geboren am 26. Juni 1973), vertreten durch Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 27. Februar 1995, Zl. St 53/95, betreffend Ausweisung und Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird, so weit sie sich gegen die Ausweisung des Beschwerdeführers richtet, als unbegründet abgewiesen.
Im Umfang der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in die Bundesrepublik Jugoslawien wird der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die vorliegende Beschwerde ist gegen einen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 27. Februar 1995 gerichtet, mit dem der Beschwerdeführer gemäß § 17 Abs. 2 Z 4 und 6 des Fremdengesetzes-FrG, BGBl. Nr. 838/1992 ausgewiesen und gemäß § 54 Abs. 1 FrG festgestellt wurde, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass er in der Bundesrepublik Jugoslawien gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei; die Abschiebung des Beschwerdeführers in seinen Heimatstaat sei somit zulässig.
Die belangte Behörde begründete den angefochtenen Bescheid hinsichtlich der Ausweisung des Beschwerdeführers damit, dass er, wie er selbst angegeben hätte, am 22. Jänner 1995 ohne Reisedokumente und ohne Sichtvermerk, also unter Missachtung der Bestimmungen des zweiten Teiles des Fremdengesetzes, in das Bundesgebiet der Republik Österreich eingereist sei. Die Barmittel des Beschwerdeführers in der Höhe von DM 20,-- und S 522,-- reichten keinesfalls aus, um die Mittel für seinen Unterhalt nachzuweisen. Der Beschwerdeführer habe sich bei seiner Einreise auch der Hilfe eines Schleppers bedient. Es würde geradezu einer Förderung des "Schlepperwesens" gleichkommen, würde man ihm den weiteren Aufenthalt gestatten. Ein geordnetes Fremdenwesen sei für den österreichischen Staat von eminentem Interesse. Dies umsomehr in einer Zeit, in der, wie in jüngster Vergangenheit unübersehbar geworden, der Zuwanderungsdruck kontinuierlich zunehme. Um den mit diesen Phänomenen verbundenen, zum Teil gänzlich neuen Problemstellungen in ausgewogener Weise Rechnung tragen zu können, würden die für Fremde vorgesehenen Rechtsvorschriften zunehmend an Bedeutung gewinnen. Ihnen komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein sehr hoher Stellenwert zu. Im Ausweisungsverfahren werde nicht darüber abgesprochen, in welches Land der Beschwerdeführer unter Umständen abgeschoben werden könne. Eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 7 des Asylgesetzes 1991 sei dem Beschwerdeführer insofern nicht zugekommen, als er illegal über den Drittstaat Ungarn eingereist sei. Eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Asylgesetz 1991 sei ihm nicht erteilt worden.
Hinsichtlich des Antrages des Beschwerdeführers auf Feststellung der Unzulässigkeit seiner Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer bei seine Ersteinvernahme am 24. Jänner 1995 angegeben habe, dass er am 25. Mai 1993 und am 30. Dezember 1994 einen Einberufungsbefehl erhalten hätte. Der Beschwerdeführer habe jedoch weder seine diesbezüglichen Einberufungsbefehle vorgelegt noch in irgendeiner Weise glaubhaft dargestellt, dass er tatsächlich zur Bundesarmee hätte einrücken müssen. Es sei daher äußerst zweifelhaft, ob seine diesbezüglichen Angaben der Wahrheit entsprächen. Aber selbst dann, wenn diese Angaben der Richtigkeit entsprächen, vermöge die belangte Behörde keine Gefährdung bzw. Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG zu erkennen. Das Bundesministerium für Inneres habe mit Bescheid vom 13. Februar 1995 rechtskräftig festgestellt, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft nicht zukomme und er in seinem Heimatland vor Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention sicher sei. Die Berücksichtigung der Ergebnisse des Asylverfahrens sei nahe liegend, eine Verfolgung im Sinn des § 37 Abs. 2 FrG liege daher nicht vor.
Die belangte Behörde könne auch keine stichhaltigen Gründe dafür finden, dass der Beschwerdeführer in der Bundesrepublik Jugoslawien der Gefahr einer unmenschlichen Behandlung, Strafe oder der Todesstrafe ausgesetzt wäre. Er habe lediglich angegeben, seine Heimat deswegen verlassen zu haben, weil er am 25. Mai 1993 sowie am 30. Dezember 1994 einen Einberufungsbefehl erhalten hätte. Eine konkrete Gefährdung in irgendeine Richtung habe er nicht angeben können. Es sei das Recht jedes Staates in der Welt, seine männlichen Staatsbürger zum Militärdienst (aus welchen Gründen auch immer) einzuberufen. Eine wegen Nichtbefolgung dieser Einberufung verhängte Strafe könne grundsätzlich nicht als Verfolgung bzw. Gefährdung im Sinne des § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG angesehen werden. Grundsätzlich bestehe nun auch nach jugoslawischem Recht die Möglichkeit, anstatt des Wehrdienstes den Zivildienst abzuleisten. Gemäß den Bestimmungen des Art. 137 der Bundesverfassung der Bundesrepublik Jugoslawien sei die Wehrdienstpflicht allgemein und werde im Rahmen des Bundesgesetzes erfüllt. Bürgern, die infolge religiöser oder anderer Gewissensgründe ihre Wehrdienstpflicht unter Waffen nicht ableisten wollten, stünde es frei, die Wehrdienstpflicht in der Armee der Bundesrepublik Jugoslawien in Einklang mit dem Bundesgesetz ohne Waffen oder im Zivildienst abzuleisten. Die vom Beschwerdeführer beigebrachten Urkunden vermittelten zwar eine nicht zu befürwortende menschenrechtliche Situation in der Bundesrepublik Jugoslawien, vermöchten aber gleichzeitig keine Rückschlüsse bzw. stichhaltigen Gründe im Sinn des § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG zu "bekräftigen". Die belangte Behörde wolle sich der allgemeinen gesellschaftlichen und menschenrechtlichen Situation in den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien nicht verschließen. Gleichzeitig müsse jedoch betont werden, dass im vorliegenden Verfahren keine stichhaltigen Gründe im Sinn des § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG hätten glaubhaft gemacht werden können.
Diesen Bescheid bekämpft der Beschwerdeführer wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde. Eine Gegenschrift wurde nicht erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 17 Abs. 2 Z 4 und 6 FrG in der hier maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 436/1996 können Fremde im Interesse der öffentlichen Ordnung mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie innerhalb eines Monats nach der Einreise den Besitz der Mittel zu ihrem Unterhalt nicht nachzuweisen vermögen (Z 4.) oder unter Missachtung der Bestimmungen des 2. Teiles oder unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereist sind und binnen einem Monat betreten werden (Z 6.).
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die maßgebliche Sachverhaltsfeststellung der belangten Behörde, dass er am 22. Jänner 1995 ohne Reisedokument und ohne Sichtvermerk in das Bundesgebiet der Republik Österreich eingereist sei; nach der Aktenlage wurde er am 25. Jänner 1995 in Linz festgenommen. Die belangte Behörde durfte somit den rechtlichen Schluss auf das Vorliegen des Tatbestandes des § 17 Abs. 2 Z 6 FrG ziehen. In diesem Zusammenhang war es ohne Belang, ob ein unübersehbar kontinuierlich zunehmender Zuwanderungsdruck besteht.
Der Beschwerdeführer vermeint, seine Ausweisung sei deswegen rechtswidrig, weil ihm nach den einschlägigen asylrechtlichen Bestimmungen bis zum Abschluss des Asylverfahrens die vorläufige Aufenthaltsberechtigung zukomme. Dieses Vorbringen ist jedoch zum Einen deswegen nicht stichhaltig, weil nach der unwidersprochenen Feststellung im angefochtenen Bescheid das Asylverfahren betreffend den Beschwerdeführer mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. Februar 1995 rechtskräftig beendet worden war. Zum Anderen sind weder aus der Aktenlage noch aus dem Beschwerdevorbringen Anhaltspunkte dafür gegeben, dass der Beschwerdeführer im Grunde des § 6 Asylgesetz 1991 während des Asylverfahrens - etwa im Hinblick darauf, dass er in den von ihm durchreisten Ländern unmittelbar oder in Form einer Rückschiebung einer im § 37 Abs. 1 oder 2 FrG genannten Gefahr ausgesetzt gewesen wäre - im Genuss eines vorläufigen Aufenthaltsrechts gemäß § 7 Asylgesetz 1991 gewesen wäre.
War die Ausweisung somit insoweit, als sie auf § 17 Abs. 2 Z 6 FrG gestützt wurde, nicht zu beanstanden, so erübrigt sich die Überprüfung, ob sie auch auf § 17 Abs. 2 Z 4 FrG gegründet werden durfte.
So weit der Beschwerdeführer vorbringt, seine Ausweisung sei gemäß § 19 FrG nicht zulässig, ist er darauf hinzuweisen, dass im Fall einer Ausweisung gemäß § 17 Abs. 2 FrG § 19 leg. cit. nicht anzuwenden ist und die darin normierte Bedachtnahme auf das Privat- und Familienleben des betroffenen Fremden im Hinblick darauf nicht zum Tragen kommt, dass die Ausweisung schon vom Tatbestand des § 17 Abs. 2 FrG her innerhalb kurzer Frist nach der Einreise erfolgt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. September 1998, Zl. 95/21/1092 m. w.N.).
So weit mit dem angefochtenen Bescheid die Ausweisung des Beschwerdeführers verfügt wurde, ist die Beschwerde somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Hinsichtlich der Feststellung der belangten Behörde, die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Bundesrepublik Jugoslawien sei im Grunde des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG zulässig, hält dieser den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil die belangte Behörde "in keinster Weise" geprüft habe, inwiefern der Tatbestand des § 37 Abs. 1 FrG vorliege.
Dieses Vorbringen ist im Ergebnis begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hält es nämlich bloß für "äußerst zweifelhaft", ob der Beschwerdeführer tatsächlich zwei Einberufungsbefehle erhalten habe. Die Gründe, die sie zu diesen Zweifeln bewegte, legt die belangte Behörde jedoch nicht dar und weist den Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung der Unzulässigkeit seiner Abschiebung auf der Basis der hypothetischen Annahme ab, der Beschwerdeführer sei zum Militärdienst einberufen worden. Damit hat die belangte Behörde offen gelassen, ob sie dem Beschwerdeführer in Bezug auf seine Behauptung, zum Militärdienst einberufen worden zu sein, glaubt. Dies stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar.
Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren vorgebracht, es sei ihm bekannt, dass ein albanischer Wehrpflichtiger an der Front von einem serbischen Offizier hinterrücks erschossen worden wäre. Weiters hat er eine detaillierte Unterlage betreffend die Darstellung von ausgedehnten Unterdrückungshandlungen der serbischen Behörden und Polizei gegen die albanische Volksgruppe im Kosovo in einer größeren Zahl von Fällen vorgelegt. Darin sind für den Zeitraum von Jänner bis September 1994 zehn Tötungen durch die Polizei, Folterungen von Kindern in zehn und von Frauen in zwölf Fällen dokumentiert, weiters eine größere Zahl von Misshandlungen, die Vertreibung von 65 albanischen Familien aus ihren Wohnungen zugunsten serbischer und montenegrinischer Familien. 685 junge Albaner seien zwangsweise zur Armee eingezogen worden und es finde eine ausgedehnte Praxis von Plünderungen durch serbische Behörden bei der albanischen Minderheit statt.
Ebenso wie bei der Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft ist auch bei der Beurteilung gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG die konkrete Einzelsituation des Fremden in ihrer Gesamtheit maßgeblich. Diese ist gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse zu betrachten, und es ist nicht unmaßgeblich, ob - wie bereits in der Berufung vorgebracht - bislang gehäufte Verstöße der im § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat mit Bezug auf die Bevölkerungsgruppe, welcher der Beschwerdeführer angehört, bekannt geworden sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. März 1998, Zl. 95/21/0914).
Die belangte Behörde hat sich mit den vom Beschwerdeführer gegebenen Hinweisen auf die Situation der albanischen Volksgruppe in seinem Heimatstaat nicht auseinander gesetzt. Das Argument, dass dort grundsätzlich die Möglichkeit der Stellung eines Antrages auf Leistung des Zivildienstes bestehe, ohne sich einerseits mit dem Inhalt des in der Bundesrepublik Jugoslawien eingerichteten Zivildienstes, den Modalitäten seiner Ableistung und den Voraussetzungen einer diesbezüglichen Antragstellung zu befassen und ohne sich andererseits mit der Frage der Behandlung von Angehörigen der albanischen Volksgruppe in der Bundesarmee und der Frage, welcher Intensität und Dichte die Bedrohungssituation für Angehörige seiner Volksgruppe in der Bundesrepublik Jugoslawien ist, auseinander zu setzen, stellt aber angesichts des Vorbringens des Beschwerdeführers keine ausreichende Begründung des angefochtenen Bescheides dar, zumal die belangte Behörde selbst eine "nicht zu befürwortende menschenrechtliche Situation" im Heimatstaat des Beschwerdeführers feststellt.
Hinsichtlich des Ausspruches, die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Bundesrepublik Jugoslawien sei zulässig, war der angefochtene Bescheid daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff, insb. § 50 VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 5. März 1999
Schlagworte
Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Beweiswürdigung Sachverhalt angenommener geklärterEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1995210493.X00Im RIS seit
20.11.2000