TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/3 W249 1428290-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.01.2019
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Entscheidungsdatum

03.01.2019

Norm

BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52 Abs4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1

Spruch

W249 1428290-3/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Ingrid ZEHETNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des BUNDESAMTES FÜR FREMDENWESEN UND ASYL vom 14.11.2018, Zl. XXXX , zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken, stellte am 19.10.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Die Ehefrau, XXXX , XXXX , und die beiden ehelichen mj. Kinder des BF, XXXX , XXXX , und XXXX , XXXX , reisten bereits am 28.09.2011 in Österreich ein. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (in der Folge: BVwG) vom 21.01.2015 wurde der Ehefrau und den mj. Kindern des BF der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Die Ehefrau und die mj. Kinder des BF leben nach wie vor im Bundesgebiet.

Mit Erkenntnis des BVwG vom 04.03.2015 wies das erkennende Gericht die Beschwerde des BF gegen den negativen Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.07.2012 als unbegründet ab, stellte jedoch gemäß § 8 Abs. 3a 2. Satz AsylG 2005 fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF nach Afghanistan nicht zulässig sei.

Damit war der Aufenthalt des BF gemäß § 46a FPG im Bundesgebiet zu dulden. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) stellte dem BF in weiterer Folge zweimal je eine Duldungskarte nach § 46a Abs. 4 FPG aus, wobei diese im Zeitraum vom 01.04.2015 bis 31.03.2016 und vom 01.04.2016 bis 31.03.2017 gültig waren.

In weiterer Folge stellte das BFA dem BF für die Dauer eines Jahres aus Gründen des Art. 8 EMRK nach § 55 Abs. 1 Z 1 und 2 AsylG 2005 eine Aufenthaltsberechtigungskarte plus aus, welche am 14.11.2016 in I. Instanz in Rechtskraft erwuchs. Diese Aufenthaltsberechtigungskarte plus war bis zum 03.11.2017 gültig.

Der BF ist seit seiner Einreise nach Österreich im Bundesgebiet bereits mehrfach straffällig geworden und wurde insgesamt fünfmal wegen Vermögens-, Suchtgift- und Gewaltdelikten strafrechtlich verurteilt.

Der BF wurde wie folgt von Strafgerichten im Bundesgebiet verurteilt:

Landesgericht XXXX , XXXX , vom XXXX , XXXX , wegen des Verbrechens des versuchten Raubes gemäß § 15 StGB § 142 (1 und 2) StGB zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, davon Freiheitsstrafe 8 Monate bedingt, Probezeit 3 Jahre

Landesgericht XXXX , vom XXXX , XXXX , wegen Vergehen nach §§ 27 (1) Z 1 1. 2 8. Fall, 27 (4) Z1 SMG und dem Vergehen der Körperverletzung § 83 (1) StGB zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten

Bezirksgericht XXXX , XXXX , vom XXXX , XXXX , des Vergehens des versuchten Diebstahls gemäß § 15 StGB § 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 2 Monaten

* Bezirksgericht XXXX , XXXX , vom XXXX , XXXX , wegen der Vergehen der Körperverletzung gemäß § 83 (1) StGB, § 15 StGB § 83 (1) StGB zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten und 2 Wochen.

Der BF befindet sich derzeit aufgrund des zuletzt ergangenen rechtskräftigen Urteiles des Landesgerichtes Klagenfurt als Schöffengericht vom XXXX , XXXX wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB teilweise iVm § 15 StGB und dem Vergehen der gefährlichen Drohung mit dem Tod nach § 107 Abs. 1 und Abs. 2 StGB, jeweils zu Lasten seiner Ehefrau, XXXX , wofür er zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 32 Monaten verurteilt wurde, in der Justizanstalt XXXX .

Demnach wurde der BF wie folgt schuldig gesprochen:

XXXX hat in XXXX ,

I.) Mit Gewalt gegen eine Person durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (§ 89) einem anderen eine fremde bewegliche Sache mit dem Vorsatz teils abgenötigt, teils abzunötigen versucht, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er XXXX

1.) am XXXX aufhob, sie nach vorheriger Ankündigung zum geöffneten Fenster im 4. Stock (14 Meter Höhe) trug und ihren Oberkörper aus dem Fenster drückte, Bargeld im Wert von EURO 800,- forderte, wobei die Tatvollendung lediglich daran scheiterte, dass XXXX besänftigend vorgab, ihm den geforderten Betrag auszuhändigen, jedoch (zuvor) die Kinder aus dem Hort abzuholen, sodass er von ihr abließ;

2.) am XXXX mit zwei Fingern an ihrer Kehle festhielt, zudrückte, mit der anderen Hand deren Augen fest nach innen drückte und von ihr EUR 800,- an Bargeld forderte, woraufhin die Genannte ihm einen Betrag von EUR 100,- übergab und es hinsichtlich der weiteren geforderten EUR 700,- beim Versuch blieb;

II.) am XXXX XXXX durch die Durchführung einer Schneidebewegung an ihrer Kehle gefährlich mit dem Tod bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen.

Zudem widerrief das Landesgericht XXXX mit Beschlüssen vom XXXX , XXXX die mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX , XXXX gewährte bedingte Strafnachsicht, sah von einem Widerruf der bedingten Entlassung zu XXXX vom XXXX ab, verlängerte jedoch die dem BF gewährte Probezeit auf fünf Jahre. Damit muss der BF zusätzlich zu der im genannten Urteil verhängten Freiheitsstrafe auch den Teil der Freiheitsstrafe von acht Monaten zu XXXX verbüßen.

Der BF wurde bisher während seines Aufenthalts im Bundesgebiet zur Verbüßung von Haftstrafen in Justizanstalten in folgenden Zeiträumen angehalten:

XXXX : XXXX

XXXX XXXX

XXXX : seit XXXX - laufend

Mit Schreiben vom 19.12.2017 verständigte das BFA, Regionaldirektion XXXX , den BF vom Ergebnis der Beweisaufnahme und gewährte ihm hinsichtlich der beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung mit Einreiseverbot Parteiengehör mit einem Stellungnahmerecht innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung. Der BF gab zu dem genannten Schreiben keine Stellungnahme ab.

Mit Bescheid des BFA vom 02.03.2018, XXXX , wurde im Spruchpunkt I. dem BF kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 55 AsylG 2005 erteilt und gemäß § 52 Abs. 4 Fremdenpolizeigesetz (FPG) iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen. Im Spruchpunkt II. stellte das BFA gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass dessen Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Im Spruchpunkt III. erkannte das BFA gemäß § 18 Abs. 2 Z1 BFA-VG einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung ab. Im Spruchpunkt IV. erließ das BFA gegen den BF gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot.

Mit Schreiben vom 02.03.2018 übermittelte das BFA dem BF eine Information über die Verpflichtung zur Ausreise und wies auf die Möglichkeiten der freiwilligen Ausreise in den Herkunftsstaat und die Gewährung einer Rückkehrhilfe hin. Mit Verfahrensanordnung vom selben Tag wies das BFA den BF auf die verpflichtende Inanspruchnahme eines Rückkehrberatungsgesprächs hin und teilte mit, dass der XXXX ihn dabei beraten und unterstützen könne. Mit Verfahrensanordnung vom 05.03.2018 stellte das BFA dem BF XXXX amtswegig als Rechtsberater zur Seite.

Gegen diesen Bescheid erhob der BF, bevollmächtigt vertreten durch XXXX , fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang.

Mit Emailnachricht vom 16.03.2018 teilte der XXXX dem BFA mit, dass der BF am selben einen Antrag auf freiwillige Rückkehr gestellt habe. Der BF befinde sich nach dieser Emailnachricht in der Justizanstalt XXXX und werde voraussichtlich am XXXX entlassen werden.

Mit Beschluss des BVwG vom 16.04.2018, GZ. W261 1428290-2/3E, wurde der angefochtene Bescheid des BFA gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen. Begründend führte das BVwG insbesondere aus, dass das BFA es unterlassen habe, den BF vor Erlassung der Rückkehrentscheidung zu seinem Privat- und Familienleben persönlich im Rahmen einer Einvernahme zu befragen. Ob tatsächlich ein Kontakt zwischen dem BF und seiner Familie vorliege oder nicht, habe das BFA nicht ermittelt. Darüber hinaus habe es das BFA unterlassen, den BF dazu einzuvernehmen, ob er im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan der realen Gefahr einer Verletzung insbesondere von Art. 2 oder 3 EMRK ausgesetzt sein könnte, oder ob die Rückkehr für ihn aktuell eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes im Herkunftsstaat des Betroffenen mit sich bringen würde. Ebenso habe es das BFA unterlassen zu ermitteln, ob der BF noch Verwandte in Afghanistan habe, welche ihn finanziell unterstützen könnten. Weiters würden sich die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF, wonach dieser gesund sei, nicht mit dem Akteninhalt decken.

Am 01.06.2018 übermittelte XXXX im Namen des BF eine Beschwerdeergänzung an das BVwG, die in der Folge an das BFA weitergeleitet wurde, in der insbesondere auf Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides (Einreiseverbot) eingegangen wurde.

Am 11.07.2018 fand vor dem BFA die niederschriftliche Einvernahme der Ehefrau des BF, XXXX , statt. Dabei gab diese zusammengefasst an, dass weder sie noch ihre Kinder den BF während seines Aufenthaltes in den Justizanstalten besucht hätten. Sie wolle sich vom BF trennen, da sie sehr viele Probleme durch ihn habe, die nicht ihre Probleme seien. Sie und ihre Kinder hätten Angst vor dem BF, sie würden keinen Kontakt mit ihm und seiner Familie haben wollen. Es sei für sie abgeschlossen. Sie sei aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen, damit sie mit ihren Kindern in Ruhe leben könne. Der BF habe sie und ihre Kinder geschlagen; sie habe Angst um ihr Leben und um ihre Kinder, sie befürchte, dass die Kinder entführt werden könnten. Der BF habe ihr vor ca. fünf Monaten einen Brief geschrieben, den sie nicht beantwortet habe. Sie sei nach dem Vorfall in einem Frauenhaus untergebracht worden und habe danach die Unterstützung des Vereines "Gewaltschutzzentrum" in Anspruch genommen, von dem sie nach wie vor betreut werde. Sie habe keinen Kontakt zum BF und wolle auch keinen mehr haben.

Am 27.07.2018 wurde der BF vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er auszugsweise wie folgt an:

"[...]

F: Fühlen Sie sich heute psychisch und physisch in der Lage, Angaben im fremdenrechtlichen Verfahren zu machen?

A: Ich kann ohne Beeinträchtigung eine Einvernahme machen.

F: Sind Sie gesund?

A: Nicht ganz, aber es passt einigermaßen.

F: Nehmen Sie irgendwelche Medikamente?

A: Ich nehme einen Asthma Spray und bekomme Infusionen, dies beeinträchtigt mich aber nicht.

F: Haben Sie Verwandte oder persönliche Beziehungen in Österreich?

A: Meine Kinder. XXXX , XXXX , sie leben in XXXX , beide anerkannte Flüchtlinge.

F: Haben Sie auch eine Ehefrau?

A: XXXX , wir sind verheiratet, sie ist auch Afghanin.

F: Haben Sie weitere Verwandte in Österreich bzw. in der EU? Adresse?

A: In Österreich nicht. XXXX ist in XXXX und XXXX ist im XXXX .

F: Haben Sie in der Justizanstalt XXXX Besuch von Ihrer Ehefrau und Ihren Kindern erhalten.

A: In der XXXX nicht, in XXXX schon, dort öfters.

F: Wurden Sie in letzter Zeit von Ihrer Ehefrau und Ihren Kindern besucht?

A: Nein, hier in der XXXX war sie noch nie um mich zu besuchen.

F: Gibt es Kontakt mit Ihrer Ehefrau und Ihren Kindern, bzw. in welcher Form gibt es Kontakt mit Ihrer Ehefrau?

A: Wir telefonieren.

F: Wie oft?

A: Alle 2 bis 3 Wochen einmal.

F: Sind Sie mit Ihrer Ehefrau schriftlich in Kontakt getreten?

A: Nein, sie kann nicht lesen.

F: Beschreiben Sie Ihr Verhältnis zu Ihrer Ehefrau und Ihren Kindern!

A: Meinen Kindern geht's gut und sie besuchen die Schule.

F: Sind Sie im Bundesgebiet einer Beschäftigung nachgegangen?

A: Ja, ich habe geputzt und rasengemäht, ca. 8-10 Monate vom AMS aus.

F: Wer hat vor Ihrer Inhaftierung für das Familieneinkommen gesorgt?

A: Vom AMS und der größere Teil vom Sozialamt.

F: Wie hoch war die monatliche Miete für Ihre Wohnung?

A: XXXX

F: Wo leben Ihre Gattin und Ihre Kinder derzeit?

A: Sie leben in XXXX , ich weiß nicht genau wo. Angeblich in irgendeiner XXXX

F: Kennen Sie die Adresse?

A: Nein.

F: Welche Schule besuchen Ihre Kinder?

A: Sie gehen in eine österreichische Schule, in die 3te und 4te Klasse.

F: Wie heißt die Schule?

A: XXXX , XXXX .

F: Sie haben am 16.03.2018 im Wege XXXX einen Antrag auf unterstützte freiwillige Rückkehrhilfe gestellt. Sie haben somit eine freiwillige unterstützte Rückkehr nach Afghanistan, Zieldestination Herat, beantragt. Was sagen Sie hierzu?

A: Ich würde € 3000-4000,- vom XXXX bekommen wenn ich gehe, das würde ich auch machen, aber der Richter sagte, das geht nicht.

F: Was sagen Sie dazu, dass Sie im Wege Ihrer rechtsfreundlichen Vertretung, XXXX innerhalb von wenigen Tagen eine Rückkehr in Ihr Herkunftsland ausschließen?

A: Nein ich will das jetzt nicht mehr.

F: Haben Sie Verwandte in Afghanistan?

A: Da hab ich niemanden mehr.

F: Wo lebten Sie zuletzt in Afghanistan?

A: In Herat, XXXX , XXXX .

Es werden mit Ihnen die Feststellungen der Staatendokumentation zur Situation in Ihrem Heimatland erörtert.

A: Das ist mir bekannt, es ist nicht so schön in Afghanistan. Ich kenne das alles.

F: Was würde Sie erwarten, wenn Sie nach Afghanistan zurückkehren müssten?

A: Ich werde dort getötet.

F: Von wem werden Sie bedroht?

A: Ich habe dort Feinde.

F: Afghanistan ist ein großes Land, gab es keinen anderen Ort, wo Sie in Sicherheit gewesen wären?

Antwort: Ich stamme aus Herat, ich kann nirgendwo anders leben.

F: Wäre Kabul möglich?

A: Nein, ich kenne dort niemanden. Sie haben dort Probleme mit Christen und Schiiten.

[...]

F: Wollen Sie noch etwas anmerken?

A: Ich habe nichts mehr hinzuzufügen, ich habe nur familiäre Probleme sonst hab ich keine Probleme.

[...]"

Mit Aktenvermerk vom 01.08.2018 hielt das BFA fest, dass laut telefonischer Mitteilung der Justizanstalt XXXX der BF während seines Aufenthaltes seit dem 06.07.2018 nicht von seiner Ehefrau und seinen Kindern besucht worden sei.

Mit Bescheid des BFA vom 14.11.2018, XXXX , wurde im Spruchpunkt I. gemäß § 52 Abs. 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen. Im Spruchpunkt II. stellte das BFA gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass dessen Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Im Spruchpunkt III. erkannte das BFA gemäß § 18 Abs. 2 Z1 BFA-VG einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung ab. Im Spruchpunkt IV. erließ das BFA gegen den BF gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot.

In den Feststellungen hielt das BFA fest, dass der BF während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet vermehrt straffällig geworden sei. Er sei bereits fünfmal wegen Gewalt- und Vermögensdelikten rechtskräftig von Strafgerichten im Bundesgebiet verurteilt worden. Sein strafbares Verhalten und die dadurch gezeigte Gewaltbereitschaft, insbesondere zuletzt auch gegenüber seiner Ehefrau, würden die Annahme rechtfertigen, dass sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung oder Sicherheit massivst gefährde.

Als Begründung für die Erlassung eines Einreiseverbots führte das BFA im Wesentlichen aus, dass der BF seit seinem Aufenthalt in Österreich bereits fünf Mal wegen Vermögens-, Suchtgift- und Gewaltdelikten strafrechtlich verurteilt worden sei. Die letzte Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 32 Monaten zeige, dass das persönliche Verhalten des BF eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstelle, zumal die Straftaten noch nicht lange zurücklägen und sich der BF in diesen Zeitraum in Strafhaft befunden habe, und somit der seither verstrichene Zeitraum als zu kurz und nicht wesentlich anzusehen sei, um von einem Wegfall der Gefährdung zu sprechen. Des Weiteren habe das Strafgericht als straferschwerend das Zusammentreffen von zwei Verbrechen mit einem Vergehen, vier einschlägige Vorstrafen wegen Gewalt- und Vermögensdelikten sowie den Umstand, dass die Taten während zweier laufender Probezeiten begangen wurden, angesehen. Als strafmildernd sei lediglich der Umstand gewertet worden, dass es Großteils beim Versuch geblieben sei.

Auch die Art und Weise der Begehung der angeführten Straftaten sowie das Zusammentreffen mehrerer Straftraten weise auf eine beträchtliche kriminelle Energie hin, die wiederum eine Erheblichkeit der Gefahr annehmen lasse. Der BF werden mit erschreckender Regelmäßigkeit straffällig und erweise sich als sehr resistent gegenüber Maßnahmen.

Diese vom BF begangenen Taten würden deutlich zeigen, dass sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet eine gegenwärtige und sehr schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle.

Bei diesen Verbrechen und Vergehen handele es sich ohne Zweifel jeweils um die öffentliche Sicherheit besonders schwer gefährdende und beeinträchtigende Verhaltensweisen. Die Tatausführungen, die rasche Rückfälligkeit, die Belehrungsresistenz, das bereits mehrmals verspürte Haftübel, wiesen eindeutig auf seine offenbar fehlende Einsicht hin, sich durch bereits gesetzte strafbare Handlungen sowie durch die Verbüßung bereits ausgesprochener Haftstrafen von der Begehung weiterer Delikte abhalten zu lassen.

Der BF zeige sich nicht willig, seit der Verübung seiner ersten Vergehen und den daraus folgenden Verurteilungen zu lernen. Der BF gebe zwar in seiner Beschwerde vom 03.04.2018 bekannt, dass er das Unrecht seiner Straftaten eingesehen haben und diese zutiefst bereue; jedoch könne seinen Beteuerungen kein Glauben geschenkt werden, da der BF vor den letzten Tatbegehungen bereits mehrfach zur Verbüßung von Haftstrafen in Justizanstalten aufhältig gewesen sei und sich trotz verspürten Haftübels als äußerst resistent gegenüber justizbehördlichen Maßnahmen erweise. Der BF habe seinen Unwillen zur Beachtung der österreichischen Gesetze bereits mehrmals eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Er habe zusätzlich noch ein gesteigertes Tatverhalten an den Tag gelegt.

Das Gesamtfehlverhalten seiner Person sei so schwerwiegend, dass mit einer Ermahnung nicht das Auslangen gefunden werden könne. Die Tatbegehung zeige, dass vom BF eine massive Gefährdung für die maßgeblichen öffentlichen Interessen ausgehe. Er sei nicht gewillt, sich der österreichischen Rechtsordnung entsprechend zu verhalten. Aufgrund der angeführten Verurteilungen und insbesondere der Art der letzten Tatbegehungen innerhalb seines Familienverbandes komme das BFA zum Schluss, dass in Anbetracht der Art und Weise, der von ihm begangenen gerichtlich zu verfolgenden Straftaten doch ein Charakterbild von ihm zu erkennen sei, das zweifelsohne den Schluss rechtfertige, er sei gegenüber den Bestimmungen zum Schutz der Rechte, der Gesundheit sowie der körperlichen Integrität und der Achtung der Rechte der Frauen negativ eingestellt und sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet deshalb die öffentliche Ordnung und Sicherheit massiv gefährde bzw. anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen - insbesondere dem Schutz der Gesundheit anderer Personen - zuwiderlaufe und deshalb die Annahme einer Gefährlichkeitsprognose im höchsten Maße gerechtfertigt erscheine.

Weiters habe der BF in seiner Beschwerde vom 03.04.2018 bekanntgegeben, dass er nach der Verbüßung seiner Haftstrafe wieder die Ausübung einer Erwerbstätigkeit anstrebe und sich um seine Familie kümmern werde. Hierzu werde festgestellt, dass er sich seit dem 19.10.2011 im Bundesgebiet befinde. Auch seine Angaben in Bezug auf Bemühungen um Arbeit seien in Zweifel zu ziehen, da der BF den Großteil seines Aufenthaltes als Bezieher von Unterstützungen gemeldet gewesen sei und doch längere Zeiträume in der Justizanstalt XXXX verbracht habe, und zwar XXXX , und sei für das BFA nicht nachvollziehbar bzw. seine Bereitschaft nicht erkennbar, sich zum jetzigen Zeitpunkt noch zukünftig an die in Österreich geltenden rechtlichen sowie gesellschaftlichen Regeln zu halten. Der BF sei lediglich im Zeitraum vom 02.07.2016 bis 30.11.2016 einer aufrechten Beschäftigung nachgegangen. Er habe vor seiner Inhaftierung kein Beschäftigungsverhältnis aufgewiesen. Seit dem XXXX befinde sich der BF wiederum in Strafhaft.

Auch seiner in Österreich lebenden Familie (Ehefrau und Kinder) sowie seinem Freundeskreis habe bewusst sein müssen, dass der BF bei Begehung von Straftaten Gefahr laufe, in seine Heimat abgeschoben zu werden.

In einer Gesamtwürdigung wögen daher die Gründe für das Verlassen des Bundesgebietes weit höher als jene, die für den Verbleib des BF in Österreich sprechen würden, zumal dem BF bewusst gewesen sei, dass er durch neuerliche Straftaten von seinen restlichen Familienangehörigen und Freunden durch eine Abschiebung in seinen Heimatstaat getrennt werde, doch das habe er offensichtlich in Kauf genommen. Er habe sich auch als sehr resistent gegen verschiedenste Maßnahmen (Verurteilungen, U-Haft, Haft) erwiesen. Dies lasse sich aus seinem bisherigen Verhalten eindeutig ableiten, eine Therapie oder ein Therapieversuch seien nicht erkennbar und seien von ihm auch nicht behauptet worden. In seinen raschen Rückfällen, seiner Unbelehrbarkeit manifestiere sich auch die immer größer werdende Bedrohung, die von seiner Person ausgehe. Er lasse sich auch nicht durch Verurteilungen und Haftstrafen von der Begehung neuerlicher Straftaten abhalten und lasse sich keine Änderung seiner Einstellung oder seines Verhaltens erkennen.

Auf Grund seiner Kriminalhistorie sei davon auszugehen, dass für seine Person keine positive Zukunftsprognose erstellt werden könne, für eine solche positive Zukunftsprognose seien im Verfahren absolut keine Hinweise hervorgekommen. Der BF habe sich auch bis dato nicht durch Verurteilungen oder Haftstrafen von der Begehung neuerlicher Delikte abhalten lassen, im Gegenteil, er habe ein gesteigertes Tatverhalten an den Tag gelegt. Es werde vom BFA festgestellt, dass er bereits kurz nach seiner Einreise in das Bundesgebiet straffällig geworden sei. Er habe kontinuierlich Straftaten, zuletzt sogar die Verbrechen des Raubes und das Vergehen der gefährlichen Drohung mit dem Tod gegenüber seiner Ehefrau, begangen.

Sein angeführtes Fehlverhalten stelle eine erhebliche, tatsächliche und gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung, Sicherung und Gesundheit dar und sei die Erlassung eines Einreiseverbotes daher unabdingbar.

Der BF habe durch sein Verhalten die Grundinteressen der Gesellschaft am Aufrechterhalten der Volksgesundheit und des sozialen Friedens massiv verletzt. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot sei daher dringend geboten. Die Dauer des erlassenen Einreiseverbotes entspreche jenem Zeitraum, innerhalb dessen ein allfälliger positiver Gesinnungswandel seiner Einstellung zu den österreichischen Rechtsvorschriften erwartet werden könne.

Das BFA stellte fest, dass der BF nicht krank sei und führte begründend aus, dass der BF im Rahmen der niederschriftlichen Befragung angegeben habe, dass er nicht ganz gesund sei, aber es passe einigermaßen. Er würde ein Asthma Spray verwenden und Infusionen erhalten, die ihn aber nicht beeinträchtigten. Es seien von ihm keinerlei Angaben im Hinblick auf eine schwere körperliche oder ansteckende Krankheit oder eine psychische Störung gemacht worden, welche bei einer Rückkehrentscheidung nach Afghanistan eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes bewirken würden. Weiters wurde festgestellt, dass der BF arbeitsfähig sei und zum zweiten Mal einen Antrag auf freiwillige Rückkehr nach Afghanistan gestellt habe.

Das BFA stellte weiters fest, dass der BF Familienangehörige in Österreich habe. Seine Ehefrau und seine beiden Kinder würden im Bundesgebiet leben. Aufgrund seines seit 2011 durchgehenden Aufenthaltes im Bundesgebiet müsse von einer gewissen Schutzwürdigkeit des Familien- und Privatlebens des BF ausgegangen werden. Jedoch sei die aus seinem langjährigen inländischen Aufenthalt abzuleitende Integration in ihrem Gewicht insofern in beachtlichem Ausmaß gemindert, als die dafür essenzielle soziale Komponente durch die gravierenden Straftaten, insbesondere der gezeigten Gewaltbereitschaft innerhalb des Familienverbandes durch den BF, erheblich beeinträchtigt worden sei. Der BF habe die Verbrechen des Raubes und das Vergehen der gefährlichen Drohung mit dem Tod zum Nachteil seiner Ehefrau begangen. Diese Delikte seien von ihm teilweise im Beisein seiner Kinder gesetzt worden.

Festgestellt werde, dass der BF bereits fünfmal von einem Strafgericht im Bundesgebiet rechtskräftig verurteilt worden sei und insbesondere die Tatsache, dass er die seiner letzten strafrechtlichen Verurteilung zugrundeliegenden Delikte der Verbrechen des Raubes und des Vergehens der gefährlichen Drohung mit dem Tode gegenüber seiner Ehefrau in Anwesenheit seiner Kinder verübt habe, ebenfalls seine Integration und familiären Bindungen im Bundesgebiet relativiere.

Weitere Familienangehörige würden gemäß seinen eigenen Angaben im Asylverfahren in Afghanistan leben. In seiner Beschwerde vom 03.04.2018 habe er angegeben, Angehörige in Afghanistan zu haben, zu diesen aktuell jedoch keinen Kontakt mehr haben.

Des Weiteren traf das BFA Feststellungen zum Herkunftsland des BF aufgrund des Länderinformationsblatts der Staatendokumentation (Stand 29.06.2018), insbesondere zu politischer Lage, Herat, Erreichbarkeit, Rechtsschutz und Justizwesen, Sicherheitsbehörden, Folter und unmenschlicher Behandlung durch den afghanischen Staat, allgemeiner Menschenrechtslage, Religionsfreiheit, Christentum und Konversion zum Christentum, ethnischen Minderheiten (Tadschiken), Binnenflüchtlingen und Flüchtlingen, Grundversorgung und Wirtschaft sowie Rückkehr. Zur Aktualität der Quellen, die für die Feststellungen herangezogen worden seien, wurde angeführt, dass diese, soweit sich das BFA auf Quellen älteren Datums beziehe, aufgrund der sich nicht geänderten Verhältnisse nach wie vor als aktuell bezeichnet werden könnten.

Es könne nicht festgestellt werden, dass dem BF bei seiner Rückkehr eine Gefährdung durch die Polizei oder andere staatliche Organe und Behörden oder von Privaten drohe. Es könne keine wie auch immer geartete, sonstige besondere Gefährdung seiner Person bei einer Rückkehr nach Afghanistan festgestellt werden.

Der BF sei ein erwachsener, arbeitsfähiger Mann mit Schulbildung und Berufserfahrung in Afghanistan und sei dort als Automechaniker und Mitarbeiter in einem Restaurant in der Lage gewesen, für sich selbst und später auch für seine Familie in Afghanistan zu sorgen. Er habe somit in Afghanistan Berufserfahrung und spreche mit Dari eine Amtssprache Afghanistans. Er sei mit den kulturellen und gesellschaftlichen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut, er sei über die im speziellen in Herat bestehenden Lebensbedingungen gut informiert und bestehe für ihn die grundsätzliche Möglichkeit, wieder am Arbeitsleben in Afghanistan teilzunehmen. Für das BFA seien keine Gründe ersichtlich, warum ihm dies nach einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat nicht möglich sein sollte.

Auch wenn der BF gemäß seinen Angaben zu seinen Verwandten in Afghanistan keinen Kontakt mehr habe, so stelle das BFA bedingt durch die Tatsache seiner wiederum beabsichtigten freiwilligen Rückkehr und seiner derzeitigen Anhaltung in Strafhaft in der Justizanstalt XXXX fest, dass zwar ein aktueller Kontakt mit den Verwandten in Afghanistan nicht vorhanden sei, er jedoch nach seiner Rückkehr nach Afghanistan nicht in eine wirtschaftlich oder finanziell ausweglose Lage geraten würde. Er sei in Afghanistan aufgewachsen, spreche die dortige Landessprache und sei dort sozialisiert worden. Der BF sei ein arbeitsfähiger Mann. Es sei jedenfalls davon auszugehen, dass es ihm möglich sein werde, selbst ohne familiäres Netzwerk in Herat, Kabul oder Mazar-e Sharif eine Unterkunft und einen Arbeitsplatz, wenn auch nur als Tagelöhner, zu finden und er bis auf anfängliche Schwierigkeiten durchaus in der Lage wäre, sein Leben in Afghanistan zu meistern und für seine grundlegendsten Bedürfnisse zu sorgen. Es wäre ihm zumutbar, vorübergehend mit Gelegenheitsarbeiten seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Es sei für das BFA nachvollziehbar, dass der BF den Großteil seines Lebens in seinem Herkunftsstaat verbracht habe.

Der BF sei auch im Jahr 2010 von Norwegen ausgehend freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt.

Er habe am 16.03.2018 im Wege des XXXX einen Antrag auf freiwillige Rückkehr nach Afghanistan gestellt.

Befragt zu seinem am 16.03.2018 gestellten Antrag auf freiwillige Rückkehr habe er niederschriftlich befragt am 27.07.2018 mitgeteilt, dass er vom XXXX 3.000 bis 4.000 EURO bekommen würde, der Richter jedoch gesagt habe, dass dies nicht gehe. Der BF wolle die freiwillige Rückkehr jetzt nicht mehr. Anlässlich seiner niederschriftlichen Befragung am 27.07.2018 habe er nach Erörterung der Feststellungen der Staatendokumentation zur Situation in seinem Heimatland Afghanistan mitgeteilt, dass ihm dies bekannt sei, dass es nicht so schön sei in Afghanistan. Er kenne das alles.

Am 18.09.2018 habe der BF im Wege des XXXX wiederum einen Antrag auf freiwillige Rückkehr gestellt.

Begründend führte das BFA im Weiteren insbesondere aus, dass Herat als eine der entwickelten Provinzen mit einem der fruchtbarsten Täler im Westen des Landes gelte. Aus den im Verfahren herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen ergebe sich, dass die Provinz Herat im Jänner 2015 zu den relativ friedlichen Provinzen im Westen Afghanistans gezählt worden sei, in der jedoch Aufständische in einigen Provinzen aktiv seien. Im Vergleich zu anderen Provinzen könne sie jedoch nicht als derart unsicher qualifiziert werden, dass es einem Rückkehrenden von vornherein verunmöglicht werden würde, dorthin zurück zu gelangen. Herat verfüge über eine vergleichsweise gute Infrastruktur mit dem Bestehen eines internationalen sowie eines Militärflughafens. Der Flughafen könne auch über den Flughafen Kabul erreicht werden, indem ein nationaler Anschlussflug gewählt werde. Um nach Herat Stadt zu gelangen, könnten die Verkehrswege (Herat City Airport Road) gewählt werden - eine Benützung ist jedoch nur zu Tageszeiten zumutbar. Alle diese Städte seien somit über Flughäfen sicher zu erreichen, und es wäre dem BF möglich, dort ansässig zu werden.

Auch wenn der BF gemäß seinen Angaben zu seinen Verwandten in Afghanistan keinen Kontakt mehr habe, stelle das BFA fest, da er den größten Teil seines Lebens in Afghanistan gelebt und dort auch gearbeitet habe, und insbesondere im Hinblick auf seine mittlerweile zum zweiten Male beabsichtigte freiwillige Rückkehr, dass der BF nicht in eine wirtschaftlich oder finanziell ausweglose Lage geraten würde. Er sei ein arbeitsfähiger Mann, der seinen Lebensunterhalt bei seiner Rückkehr durch Arbeitsaufnahme bestreiten könne bzw. wäre es ihm auch zumutbar, vorübergehend mit Gelegenheitsarbeiten seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Der BF sei in Afghanistan aufgewachsen, spreche die Landessprache und sei dort sozialisiert worden.

Mit Schreiben vom 15.11.2018 wurde dem BF vom BFA eine Information über die Verpflichtung zur Ausreise übermittelt.

Mit Verfahrensanordnung vom selben Tag wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die XXXX als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt. Mit einer weiteren Verfahrensordnung vom selben Tag wurde der BF informiert, dass gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen worden sei und er gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch bis 30.11.2018 in Anspruch zu nehmen.

Gegen den verfahrensgegenständlichen Bescheid des BFA vom 14.11.2018 erhob der BF, bevollmächtigt vertreten durch XXXX , am 12.12.2018 fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang, wobei die Beschwerde Großteils wörtlich mit der Beschwerde vom 03.04.2018 übereinstimmte. Weiters habe es das BFA im Spruch des nun angefochtenen Bescheides unterlassen, darüber abzusprechen, ob dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt werden sollte, was jedoch nötig gewesen wäre, um gegenüber dem BF eine Rückkehrentscheidung erlassen zu können.

Zur Begründung der Beschwerde führte der BF im Wesentlichen an, dass das der Entscheidung zugrundeliegende Ermittlungsverfahren mangelhaft geblieben sei. Es würden die Grundsätze der amtswegigen Erforschung des Sachverhaltens und der Wahrung des Parteiengehörs gelten. Das BFA habe sich unzureichend mit der Situation des BF auseinandergesetzt, unvollständige Ermittlungen angestellt, weswegen das Verfahren mit einem groben Mangel behaftet sei. So habe das BFA keinerlei Ermittlungen in Bezug auf das vorhandene Familienleben des BF angestellt. Zudem habe das BFA keinerlei Ermittlungen zum Fehlen eines (tatsächlichen) Familienlebens des BF in Afghanistan oder zu den dort noch vorhandenen sozialen Kontakten angestellt. Ohne Ermittlungen habe das BFA jedoch festgestellt, dass der BF mit (finanzieller) Unterstützung seiner Verwandten in Afghanistan rechnen könne.

Hinsichtlich der Länderinformationen sei die aktuelle abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat zu prüfen, was unterblieben sei. Aktuelle Länderfeststellungen hätten in den Bescheid aufgenommen werden müssen. Das BFA hätte den BF in diesem Zusammenhang auch zu seiner gegenwärtigen Situation im Falle einer Rückkehr befragen müssen, was unzureichend erfolgt sei. Unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage in Afghanistan hätte geprüft werden müssen, ob eine Abschiebung des BF nach Afghanistan eine Verletzung von Art. 2 und Art 3 EMRK darstellen würde.

Unter Zitierung einer Reihe von Länderinformationen, insbesondere zu Kabul, führte der BF aus, aus welchen Gründen dem BF eine Rückkehr in seinen Herkunftsstaat nicht zumutbar sei. Das BFA habe es verabsäumt, auf die individuellen Umstände des BF einzugehen und die hierzu notwendigen Ermittlungen durchzuführen.

Die Rückkehrentscheidung würde trotz der Verurteilung des BF im Ergebnis einen unverhältnismäßigen Eingriff in sein Recht auf Familien- und Privatleben nach Art. 8 ERMK bedeuten und sei auf Dauer unzulässig. Der BF verfüge durch seine legal in Österreich aufhältige Familie über ein schützenswertes Familien- und Privatleben. Weiters sei er in sprachlicher und sozialer Hinsicht gut in Österreich integriert und bereue seine Straftaten zutiefst. Sein Familien- und Privatleben habe er in Österreich zu einem Zeitpunkt begründet, in dem sein rechtmäßiger Aufenthalt in Österreich gesichert war und durfte er von dessen zukünftigen Rechtmäßigkeit ausgehen.

Das BFA hätte bei Durchführung eines ordentlichen Ermittlungsverfahrens zu dem Ergebnis kommen müssen, dass dem BF auch eine Verletzung seiner nach Art. 3 EMRK garantierten Rechte drohe, die dieser trotz seiner Verurteilungen in vollem Ausmaß genieße.

Weiters seien das Einreisverbot und die Dauer nicht zwingend mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden, das BFA habe eine Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei komme der Begründungspflicht eine besondere Bedeutung zu. Es sei jedenfalls eine einzelfallbezogene Bemessung unabdingbar. Allein die Tatsache der strafgerichtlichen Verurteilung sei nicht ausschlaggebend, sondern es sei immer auf das zugrundeliegende Verhalten des BF abzustellen. Das 10-jährige Einreiseverbot stelle jedenfalls einen unverhältnismäßigen Eingriff in das gemäß Art. 8 EMRK geschützte Familien- und Privatleben des BF dar.

Es sei von der belangten Behörde nicht nachvollziehbar begründet worden, weswegen die sofortige Ausreise im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich sei.

Die Beschwerdevorlage des BFA vom 19.12.2018 und der Verwaltungsakt langten am 27.12.2018 beim BVwG ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF ist Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und spricht Dari.

Der BF ist im Oktober 2011 illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist.

Der BF ist verheiratet und hat zwei Kinder. Seine Ehefrau, XXXX , XXXX , und ihre beiden gemeinsamen Kinder, XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , afghanische Staatsbürger, reisten bereits im September 2011 nach Österreich ein. Seiner Ehefrau und den beiden Kindern wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 21.01.2015 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Diese leben in Österreich. Vor seiner Inhaftierung lebte der BF gemeinsam mit seiner Familie in XXXX . Der BF hat Angehörige in Afghanistan, zu diesen jedoch keinen Kontakt mehr.

Der BF hat bereits zwei Anträge auf freiwillige Rückkehr nach Afghanistan gestellt (16.03.2018 und 18.09.2018).

Er weist folgende Versicherungszeiten im Bundesgebiet auf:

* vom 02.07.2016 bis 31.07.2016 als Arbeiter,

* vom 01.08.2016 bis 31.08.2016 als Arbeiter geringfügig beschäftigt,

* vom 01.09.2016 bis 30.11.2016 als Arbeiter.

Der BF nahm im Jahr 2013 an einem wöchentlich stattfindenden Deutschkurs teil. Weiters besuchte er einen Deutsch-Intensivkurs A1.1 von 30.05. bis 01.07.2016.

Mit Erkenntnis des BVwG vom 04.03.2015, GZ. W169 1428290-1, wurde festgestellt, dass gemäß § 8 Abs. 3a 2. Satz AsylG 2005 idgF die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan des BF nicht zulässig ist.

Dem BF wurde zweimal eine Duldungskarte gemäß § 46a AsylG ausgestellt (Gültigkeit: XXXX und XXXX ).

Dem BF wurde eine Aufenthaltsberechtigung aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG, welche am XXXX in I. Instanz in Rechtskraft erwachsen ist, für die Dauer eines Jahres ausgestellt. Diese Aufenthaltsberechtigung war bis zum XXXX gültig.

1.2. Es besteht kein Kontakt mehr des BF zu seiner Ehefrau und seinen Kindern.

1.3. Der BF wurde in der Stadt Herat geboren, hat in Afghanistan keine Schule besucht und in Afghanistan viele Jahre als Automechaniker und in einem Restaurant gearbeitet.

1.4. Der BF wurde während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet bereits fünfmal von Strafgerichten rechtskräftig verurteilt:

* Landesgericht XXXX , XXXX , vom XXXX , XXXX , wegen des Verbrechens des versuchten Raubes gemäß § 15 StGB § 142 (1 und 2) StGB zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, davon Freiheitsstrafe 8 Monate bedingt, Probezeit 3 Jahre

* Landesgericht XXXX , vom 11. XXXX , XXXX , wegen Vergehen nach §§ 27 (1) Z 1 1. 2 8. Fall, 27 (4) Z1 SMG und dem Vergehen der Körperverletzung § 83 (1) StGB zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten

* Bezirksgericht XXXX , XXXX , vom XXXX , XXXX , des Vergehens des versuchten Diebstahls gemäß § 15 StGB § 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 2 Monaten

* Bezirksgericht XXXX , XXXX , vom XXXX , RK XXXX , wegen der Vergehen der Körperverletzung gemäß § 83 (1) StGB, § 15 StGB § 83

(1) StGB zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten und 2 Wochen.

* Der BF befindet sich derzeit aufgrund des zuletzt ergangenen rechtskräftigen Urteiles des Landesgerichtes XXXX als Schöffengericht vom XXXX , XXXX wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB teilweise iVm § 15 StGB und dem Vergehen der gefährlichen Drohung mit dem Tod nach § 107 Abs. 1 und Abs. 2 StGB, jeweils zu Lasten seiner Ehefrau, XXXX , wofür er zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 32 Monaten verurteilt wurde, in der Justizanstalt XXXX .

1.5. Der BF leidet an keinen schweren psychischen Störungen und/oder schweren Krankheiten.

1.6. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität oder der Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe oder zu einer sozialen Gruppe von staatlicher Seite oder von privaten Dritten in Afghanistan verfolgt wird.

1.7. Es kann nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung des BF nach Afghanistan eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.

1.8. Der BF kann sich bei einer Rückkehr nach Afghanistan in seiner Herkunftsprovinz Herat niederlassen; der Reiseweg dorthin ist über den dortigen Flughafen hinreichend sicher. Es steht ihm aber auch eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in Kabul zur Verfügung. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in den genannten Städten Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle der Ansiedlung in Herat oder Kabul ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde. Seine Existenz kann er - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist auch in der Lage, eine Unterkunft zu finden.

1.9. Zum Herkunftsstaat Afghanistan werden folgende Feststellungen getroffen (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018):

1. Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 20.4.2018, USDOS 15.8.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.1.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.2.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.4.2018; vgl. USDOS 15.8.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20. Oktober 2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.4.2018; vgl. AAN 22.1.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.8.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 6.5.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 6.5.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 3.5.2017). Am 4.5.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 4.5.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.3.2018).

Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 6.5.2018).

Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 11.10.2017).

Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.5.2017).

Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 15.1.2016; vgl. AB 29.5.2017).

Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 21.8.2017).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28. Februar 2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.3.2018; vgl. TS 28.2.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 7.3.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.3.2018; vgl. TD 7.3.2018, NZZ 28.2.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.4.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").

Am 19.5.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.5.2018).

Am 7.6.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.6.20

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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