TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/17 W111 2131506-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.01.2019
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Entscheidungsdatum

17.01.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W111 2131506-2/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Werner DAJANI, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Ukraine, vertreten durch den XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.05.2018, Zl. 1068429503-150505814, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 8 Abs. 1, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG

2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46, § 55 FPG 2005 idgF, als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein männlicher Staatsangehöriger der Ukraine, stellte am 14.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, nachdem er unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet gelangt war.

Bei seiner Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 19.05.2015 führte der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund aus, er habe die Ukraine wegen des dort herrschenden Krieges verlassen. Vor ungefähr eineinhalb Jahren sei das Haus, in dem er sich befunden habe, beschossen und er dabei verletzt worden, wovon er immer noch offene Wunden habe. In seiner Heimat würde er keine medizinische Hilfe bekommen und er habe keine finanziellen Mittel zum Leben.

2. Nach Zulassung seines Asylverfahrens wurde der Beschwerdeführer am 01.07.2016 niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen. Zu seinem Gesundheitszustand führte er aus, er sei seit 2002 HIV-positiv, habe Hepatitis C und sei seit 1997 bis vor circa eineinhalb Jahren drogensüchtig gewesen. In den Jahren 2010 bis 2014 habe er wegen einer Behinderung der Gruppe 1 eine Pension bekommen. Er habe zwei Jahre nicht gehen können und sei danach im Rollstuhl gesessen. Derzeit könne er ohne Gehhilfe nur kurze Strecken gehen. Befragt nach seinen Fluchtgründen gab er an, er habe kein gutes Verhältnis zu seiner Mutter gehabt und hätte man medizinische Medikamentenversuche mit ihm durchführen wollen. Medikamente, die ihm von einer Ärztin gebracht worden seien, habe er nicht vertragen und sich daraufhin geweigert, diese zu nehmen. Seine Mutter habe ihm angeboten, sich ein Zielland auszusuchen und die Reise zu organisieren. Für Österreich habe er sich entschieden, weil die medizinische Versorgung auf hohem Niveau sei. Seine Mutter habe für ihn die Reise organisiert und bezahlt. Im Falle einer Rückkehr könne er ohne seine Mutter nicht überleben, da er kein Geld habe. Im Zuge seiner Einvernahme legte der Beschwerdeführer diverse medizinische Unterlagen vor (AS 129-201).

3. Mit Bescheid vom 20.07.2016 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Unter Spruchpunkt III. wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BVA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Ukraine zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmt (Spruchpunkt IV.).

Nach einer Zusammenfassung des Verfahrensganges stellte die belangte Behörde zur Person des Beschwerdeführers und zu seinen Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates im Wesentlichen fest, er sei HIV-positiv, habe Hepatitis C, sei drogenabhängig und seit 09.03.2016 in einem Substitutionsprogramm in Österreich. Konkrete Fluchtgründe habe er nicht vorgebracht, sondern nur die allgemeine unsichere und hauptsächlich die medizinische Lage in der Ukraine beschrieben. Eine Gefährdungslage im Fall einer Rückkehr liege nicht vor.

Beweiswürdigend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaats aus, das Vorbringen des Beschwerdeführers im Rahmen seiner Erstbefragung, in einem Haus beschossen und verletzt worden zu sein, erscheine konstruiert, weil er bei seiner Einvernahme einen völlig anderen Fluchtgrund geschildert habe. Die Angaben betreffend die Heranziehung zu Medikamentenversuchen seien sehr widersprüchlich, woraus zu schließen sei, dass diese nicht wirklich erlebt worden seien. Als glaubhaft werde erachtet, dass der Beschwerdeführer die Ukraine letztendlich aus medizinischen Gründen verlassen habe, um in Österreich versorgt zu werden. Hinsichtlich der Situation im Fall der Rückkehr hielt die belangte Behörde fest, die Krankheiten Hepatitis C und HIV-positiv seien in der Ukraine den Anfragen an die Staatendokumentation zufolge behandelbar. Die Kosten für Arztbesuche und Behandlungen würden von der Sozialversicherung übernommen werden. Medikamentenkosten müssten zwar selbst getragen werden, doch gebe es staatliche Programme, die eine Behandlung billiger gewähren würden.

Rechtlich beurteilend wurde zu Spruchpunkt I. erläutert, es seien keine Umstände, die den Beschwerdeführer individuell sowie konkret betreffen würden und auf eine konkrete aktuelle Verfolgung seiner Person hindeuten könnten, in Hinblick auf die Beweiswürdigung feststellbar gewesen. Demzufolge habe sich aus dem Vorbringen keine aktuelle asylrelevante Verfolgungsgefahr ergeben. Zu Spruchpunkt II. führte das Bundesamt aus, es hätten sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr in die Ukraine seinen Lebensunterhalt nicht durch leichte, seiner Krankheit angemessene berufliche Tätigkeiten bestreiten könne. Zudem verfüge er über Freunde und Bekannte sowie Mutter und Schwester im Herkunftsland, welche ihn unterstützen könnten. Hinsichtlich der Krankheiten des Beschwerdeführers verwies die belangte Behörde auf höchstgerichtliche Judikatur und hielt fest, dass der Beschwerdeführer in seinem Heimatgebiet in medizinischer Hinsicht jegliche Behandlungsmöglichkeiten habe. Zu Spruchpunkt III. wurde festgehalten, dass ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens nicht vorliege und der Eingriff in das Recht auf Privatleben gerechtfertigt sei.

4. Mit einem per Fax beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 27.07.2016 eingebrachten Schriftsatz wurde gegen den oben genannten Bescheid rechtzeitig Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben. Darin wurde beantragt, den angefochtenen Bescheid dahingehend zu ändern, dass dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten und in eventu der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werde, allenfalls die gegen ihn ausgesprochene Rückkehrentscheidung aufzuheben sowie die Abschiebung für unzulässig zu erklären; in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Behörde erster Instanz zurückzuverweisen. Weiters wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Begründend wurde ausgeführt, dass die HIV- und Hepatitis-C-Erkrankungen in der Ukraine nur schwer behandelbar seien und der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr sterben würde. Auch sei die Mutter des Beschwerdeführers Teil der Opposition.

5. Die Beschwerdevorlage langte am 01.08.2016 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

6. Mit Entscheidung vom 03.10.2016, Zl. W189 2131506-1/5E, hat das Bundesverwaltungsgericht in Spruchteil I.) zu Recht erkannt, dass die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005) idgF als unbegründet abgewiesen wird und in Spruchteil II.) beschlossen, dass die Spruchpunkte II., III. und IV. des angefochtenen Bescheides gemäß §§ 31, 28 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGVG) idgF aufgehoben werden und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen wird. Die Revision wurde jeweils gem. Art 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, dass der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat in der Vergangenheit keiner Bedrohung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten ausgesetzt gewesen sei und ihm solche auch in Zukunft nicht drohen würde. Beweiswürdigend wurde darauf verwiesen, dass sich dessen Vorbringen als unplausibel und aufgrund von Widersprüchen in seinen Aussagen als nicht schlüssig dargestellt hätte (im Detail vgl. die Seiten 15 bis 17 der angeführten Erledigung).

In Bezug auf die Aufhebung der übrigen Spruchpunkte traf das Bundesverwaltungsgericht überdies insbesondere die folgenden Erwägungen:

"(...) Obwohl das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl davon ausging bzw. feststellte, dass der Beschwerdeführer an Hepatitis C erkrankt sowie HIV positiv sei, und der Beschwerdeführer vorbrachte, HIV-positive Patienten würden in der Ukraine im Krankenhaus und von Ärzten nicht behandelt werden (AS 124), verabsäumte es die Behörde, konkrete länderspezifische Informationen betreffend die Behandlungsmöglichkeiten von HIV in der Ukraine einzuholen. Wie dem vorgelegten Verwaltungsakt zu entnehmen ist, wurden zwar mehrere Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation zur Entscheidung herangezogen (AS 203 ff), jedoch werden in keiner dieser Anfragen die Behandlungsmöglichkeiten von HIV-positiven Patienten und die Verfügbarkeit als auch die Kosten von diesbezüglichen Medikamenten thematisiert (lediglich auf AS 251 wird auf mit HIV koinfizierte Hepatitis C-Patienten kurz Bezug genommen).

Entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs bedarf es jedoch einer tragfähigen Auseinandersetzung mit der vom Asylwerber geltend gemachten unzureichenden medizinischen Versorgung mit für ihn notwendigen Medikamenten (VwGH 16.04.2002, 2001/20/0329). Erst ausgehend von Feststellungen zu den vorhandenen Behandlungsmöglichkeiten im Herkunftsstaat und über die zu erwartenden Auswirkungen auf den Gesundheitszustand im Falle einer Abschiebung kann beurteilt werden, ob der Gesundheitszustand des Fremden überhaupt ein (vorübergehendes) Ausweisungshindernis nach § 10 Abs. 3 AsylG 2005 oder einen subsidiären Schutzgrund nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 begründet (VwGH 17.11.2010, 2008/23/0360).

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte befasste sich mehrfach mit HIV-positiven oder an AIDS erkrankten Patienten in Hinblick auf Art. 3 EMRK. Wie den zusammenfassenden Erläuterungen zu bereits ergangenen Judikaten und den Ausführungen zum damals anhängigen Fall in seiner Entscheidung vom 27.05.2008, N. v. The United Kingdom, Application No. 26565/05, zu entnehmen ist, müssen in derartigen Fällen das Krankheitsstadium, weitere beim Patienten diagnostizierte Krankheiten, Behandlungsmöglichkeiten sowie deren Leistbarkeit und deren Zugang für den Fremden im Herkunftsstaat, als auch das familiäre Umfeld und die Herkunftsregion des Asylwerbers berücksichtigt werden. Außerdem ist eine Prognose vorzunehmen, ob und wie sich der Gesundheitszustand durch die Rückkehr in den Herkunftsstaat verändern wird.

Weder aus den im Verwaltungsakt einliegenden Anfragebeantwortungen noch aus den dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Länderinformationen, insbesondere zur medizinischen Versorgung, lassen sich die von den Höchstgerichten geforderten herkunftsstaatsbezogenen Informationen betreffend HIV entnehmen, weshalb die Argumentation der belangten Behörde hinsichtlich der Behandlungsmöglichkeiten im Herkunftsstaat willkürlich erfolgte.

Zudem brachte der Beschwerdeführer vor, im Herkunftsstaat nicht gearbeitet zu haben, sondern aufgrund einer Behinderung der Gruppe 1 zwei Jahre im Rollstuhl gesessen zu sein (AS 119). Er sei von seiner Mutter versorgt worden und habe mit ihr in einer Mietwohnung gelebt (AS 120). Zu seinem Gesundheitszustand befragt schilderte er, aufgrund beiderseitiger Wunden ohne Gehhilfe nur kurze Strecken gehen zu können (AS 118). Dieses Parteivorbringen, aus dem sich erhebliche Zweifel an der Arbeitsfähigkeit bzw. Selbsterhaltungsfähigkeit des Beschwerdeführers unter Berücksichtigung der bei ihm diagnostizierten Krankheiten und Leiden (HIV positiv, Hepatitis C, Opiatabhängigkeit, Dekubitus Grad III der Trochanter major beidseitig) ergeben, wurde von der belangten Behörde jedoch ignoriert und der Beschwerdeführer zur Bestreitung seines Lebensunterhalts auf leichte, seiner Krankheit angemessene Gelegenheitsjobs bzw. auf die Unterstützungsleistungen seitens des Staates oder von NGOs verwiesen. Im angefochtenen Bescheid finden sich aber keine hinreichenden Feststellungen, welche eine Beurteilung dahingehend ermöglichen würden, ob der Beschwerdeführer - mag er auch seinen eigenen Angaben zufolge arbeitswillig sein - (teilweise) arbeitsfähig ist, zumal die belangte Behörde keine Informationen über die Behandlungsmöglichkeiten von HIV-positiven Patienten in der Ukraine einholte. Da es jedoch als notorisch anzusehen ist, dass eine HIV-Infektion bei Ausbleiben einer Behandlung zu einer dramatischen Verschlechterung des Gesundheitszustands und letztlich zum Tod des Betroffenen führen kann, ist eine abschließende Beurteilung der Arbeitsfähigkeit bzw. Selbsterhaltungsfähigkeit des Beschwerdeführers aufgrund der diesbezüglich mangelhaften Sachverhaltsgrundlage derzeit nicht möglich.

Insofern das Bundesamt den Beschwerdeführer auf Unterstützungsleistungen seitens des Staates und von NGOs verweist, ist anzumerken, dass zu diesem Themenkomplex - wenn auch als Eventualbegründung von der belangten Behörde herangezogen - ebenso keine ausreichenden Feststellungen getroffen wurden. Die Situation von Rückkehrern wird lediglich in einem Absatz behandelt und die Informationen zu Sozialbeihilfen sind sehr allgemein gehalten und unterscheiden bloß zwei Hauptformen staatlicher Unterstützung. Welche Arten von Sozialleistungen, in welcher Höhe, an welche Personen und unter welchen Voraussetzungen gewährt werden, wird darin nicht thematisiert. Des Weiteren datieren die diesbezüglichen Feststellungen aus den Jahren 2013 und 2014. Zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung im Juli 2016 erweisen sie sich sohin als bereits rund zwei Jahre alt, weshalb auch Zweifel an deren Aktualität bestehen. Da sich die Ukraine jedoch noch immer in einer schwierigen Umbruchsituation befindet und der Verfassungsgerichtshof etwa in seinem Erkenntnis vom 23.02.2015, E882/2014 auf die Notwendigkeit aktuellen Berichtsmaterials zur Situation in der Ukraine hinwies, erscheinen die Aktualisierung und Ergänzung der Länderberichte in den angeführten Punkten unerlässlich.

Indem es das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unterlassen hat, entsprechende Ermittlungen zur aktuellen Lage in der Ukraine hinsichtlich der angesprochenen Punkte anzustellen und diese in der Begründung mit der individuellen Situation des

Beschwerdeführers in Beziehung zu setzen, hat es in einem seine Entscheidung zentral tragenden Aspekt hinsichtlich Spruchpunkt II. jegliche Ermittlungen unterlassen bzw. lediglich ansatzweise Ermittlungen getätigt.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde daher zunächst aktuelle Länderinformationen über die Behandlungsmöglichkeiten sowie Medikamentenverfügbarkeit und -kosten von HIV-positiven Patienten im Herkunftsstaat einzuholen und jene betreffend die Lage von Rückkehrern und Sozialleistungen zu aktualisieren und ergänzen zu haben. Zwecks Wahrung des Parteiengehörs werden diese Ermittlungsergebnisse dem Beschwerdeführer vorzuhalten und ihm die Möglichkeit zur Erstattung einer Stellungnahme einzuräumen sein. Da im Beschwerdeschriftsatz eine lebensbedrohliche Situation im Falle einer Rückkehr behauptet wurde, wird der Beschwerdeführer vor allem zu seinem aktuellen Gesundheitszustand zu befragen und zur Vorlage entsprechender medizinischer Unterlagen aufzufordern zu sein (laut Kurzarztbrief vom 03.03.2016 (AS 135) wurde für den 31.05.2016 eine ambulante Kontrolle vereinbart). Erst nach Durchführung dieser Ermittlungsschritte wird die belangte Behörde in der Lage sein, den Sachverhalt hinreichend festzustellen und das Vorbringen des Beschwerdeführers anhand der eingeholten Länderinformationen sowie unter Berücksichtigung der teilweise in diesem Erkenntnis zitierten, einschlägigen höchstgerichtlichen Judikatur zu würdigen.

Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand kann nämlich nicht festgestellt werden, ob der Beschwerdeführer im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würden oder von der Todesstrafe bedroht wären. Für das Bundesverwaltungsgericht erweist sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung einer derartigen Gefährdung als so mangelhaft, dass die zuvor genannten weitere Ermittlungen diesbezüglich unerlässlich erscheinen. (...)"

7. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl holte im fortgesetzten Verfahren Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation zu Behandlungsmöglichkeiten in Bezug auf die beim Beschwerdeführer vorliegenden Krankheitsbilder sowie zur Erhältlichkeit der von ihm derzeit benötigten Medikamente (AS 443 - 475) und holte ärztliche Befunde von seinen behandelnden Ärzten ein (AS 509 bis 563).

Am 05.04.2018 erfolgte eine ergänzende Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, anlässlich derer dem Beschwerdeführer zunächst die Rechercheergebnisse der Staatendokumentation im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht wurden und er zusammengefasst zu Protokoll gab (im Detail vgl. AS 579 bis 582), sich psychisch und physisch zur Durchführung der Einvernahme in der Lage zu fühlen. Er habe bereits Deutschkurse absolviert, jedoch noch keine Prüfung abgelegt. Zu seinem aktuellen Gesundheitszustand gab der Beschwerdeführer an, sein Immunsystem wäre sehr schwach; er dusche jeden dritten Tag wegen des Verbandswechsels und bekomme immer sehr hohes Fieber. Seine gesundheitliche Situation hätte sich nach seiner Ankunft in Österreich zunächst verbessert, seit 2017 ginge es ihm jedoch wieder schlechter. Nach dem Duschen habe er jedes Mal Fieber. Seit September 2016 hätte er sich lediglich einen Tag stationär im Krankenhaus aufgehalten, darüber hinaus habe er alle drei Monate Untersuchungen und Blutabnahmen. Die Ärzte würden sagen, dass sich sein Immunsystem weder verschlechtert, noch verbessert hätte. Zu seiner Mutter in der Ukraine habe er keinen Kontakt. Um nochmalige Nennung seiner Erkrankungen ersucht, gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, seit 2002 HIV-positiv zu sein und seit 1999 an chronischer Hepatitis C zu leiden. Er ginge zum Psychiater, da es ihm psychisch nicht gut ginge, zudem würde er an Herzproblemen leiden. Die Ärztin hätte ihm Novaglin und Seractil gegen seine Schmerzen im Bereich der Hüfte (Decubitus) verschrieben. Außerdem befinde er sich in einem Substitutionsprogramm und nehme Bupesan. Bezüglich der HIV-Infektion nehme er Truvada und Tivicay ein.

8. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 09.05.2018 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz in Spruchpunkt I. gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine abgewiesen. In Spruchpunkt II. wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und in Spruchteil III. gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen. In Spruchpunkt IV. wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in die Ukraine zulässig ist und in Spruchpunkt V. gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer keine konkreten Fluchtgründe vorgebracht und sich lediglich auf die allgemeine Lage in seinem Herkunftsstaat, insbesondere die medizinische Versorgungssituation, berufen hätte. In seinem Fall liege keine Gefährdungslage im Fall einer Rückkehr vor; die Krankheiten des nur eingeschränkt arbeitsfähigen Beschwerdeführers könnten auch in der Ukraine weiterbehandelt werden, weshalb sich eine Rückkehr als zumutbar erweise und ihn in keine unmenschliche Lage versetzen würde. Überdies seien die vom Beschwerdeführer benötigten Medikamente zum Großteil auch in der Ukraine erhältlich.

Die Behörde legte ihrer Entscheidung einen allgemeinen Ländervorhalt zur Ukraine sowie fallbezogene Informationen der Staatendokumentation zur Behandelbarkeit von HIV, Hepatitis C und zu Drogenersatzprogrammen in der Ukraine zugrunde. Eine Stellungnahme zu den, dem Beschwerdeführer im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebrachten, länderspezifischen Rechercheergebnissen sei nicht eingelangt.

Aus verschiedenen Entscheidungen ergebe sich, dass im Allgemeinen kein Fremder das Recht hätte, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leide oder selbstmordgefährdet sei. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver wäre, sei unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielland geben würde. Nur bei außergewöhnlichen Umständen führe die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche lägen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben. Die Ukraine sei mit BGBl. vom 14.02.2018 zum sicheren Herkunftsstaat erklärt worden. Auch die Rückreise an sich stelle sich als nicht lebensbedrohend dar, da der Beschwerdeführer für die erste Zeit Medikamente mitbekommen und demnach versorgt sein werde. Dass er ohne ärztliche Kontrollen auskäme, zeige sich dadurch, dass er seit Jänner 2018 vier - schwer erhältliche - Kontrolltermine in verschiedenen Spezialambulanzen ungenützt hätte verstreichen lassen und demnach seit fünf Monaten bei keinem Kontrolltermin mehr gewesen wäre. Dem Beschwerdeführer sei eine Fortsetzung seiner Behandlung in der Ukraine zumutbar, die bei ihm vorliegenden Krankheitsbilder seien laut Länderinformationen im Herkunftsstaat einer Behandlung zugänglich. Die Kosten für diverse Arztbesuche, ambulante und stationäre Behandlungen würden von der Sozialversicherung getragen. Medikamentenkosten müssten zwar grundsätzlich selbst getragen werden, doch gebe es staatliche Programme sowie solche durch NGOs, welche eine Behandlung billiger gewähren würden. Im Falle von freiwilliger Ausreise bestünde zudem die Möglichkeit, Rückkehrhilfe als Startkapital in Anspruch zu nehmen.

Der illegal eingereiste Beschwerdeführer habe keine familiären Bezugspersonen in Österreich, ginge keiner Arbeit nach und spreche kaum Deutsch.

9. Gegen den angeführten Bescheid brachte der Beschwerdeführer durch die nunmehr bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation am 04.06.2018 die verfahrensgegenständliche Beschwerde ein. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass unter Berücksichtigung aller den Beschwerdeführer betreffender individuellerUmstände davon ausgegangen werden könne, dass dieser im Fall einer Rückkehr in die Ukraine einer realen Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, welche in Anbetracht der in der Ukraine vorherrschenden Versorgungsbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen würde. Nach geltender Rechtslage sei eine Überstellung ins Heimatland dann unzulässig, wenn die Durchführung eine in den Bereich des Art. 3 EMRK reichende Verschlechterung des Krankheitsverlaufs oder der Heilungsmöglichkeiten bewirken würde. Der Beschwerdeführer sei seit 2002 HIV-positiv und leide seit 1999 an chronischer Hepatitis C. Aufgrund einer Drogenvorerkrankung befinde er sich seit März 2016 in einem Substitutionsprogramm und leide an psychischen Problemen. Im Bereich der Hüfte bestünden beidseitig Druckgeschwüre (Dekubitus). Der Beschwerdeführer sei auf ständige Laborkontrollen angewiesen um einer Verschlechterung seines Gesundheitszustands entgegenzuwirken. Aufgrund des schlechten Allgemeinzustands und der dringlichen regulären Weiterbehandlung des Beschwerdeführers würde eine Abschiebung eine massive Verschlechterung des Krankheitsverlaufs hervorrufen, weitere Heilungschancen unterbinden und mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung iSd Art. 3 EMRK darstellen.

10. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 07.06.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Eingabe vom 25.06.2018 reichte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einen bei ihm eingelangten Therapieplan des Beschwerdeführers vom 18.06.2018 nach. Aus diesem ergibt sich, dass sich im Rahmen einer ambulanten Kontrolle stabile Blutwerte gezeigt hätten und die HIV-Therapie mit Truvada und Tivicay wie bisher fortgeführt werden solle. Der Befund der Leberambulanz liege noch nicht vor. Die Decubltalucera an beiden Hüften zeige eine gute Granulationstendenz, die Lokaltherapie mit Mepilex border Ilte (Verbandswechsel alle drei Tage) sollte fortgesetzt werden. Als weiteres Procedere wurden ärztliche Kontrolltermine im Abstand von drei Monaten angeführt.

Der derzeitige medikamentöse Therapieplan besteht zusammengefasst in einer täglichen Einnahme von Tivicay 50mg, Emtricitabin/Tenofovir Sandoz 200mg/245 mg, Octenisept Lösung zur Wund- und Schleimhautdesinfektion, Molaxole-Pulver, Ultrabas 50,0, Ultralip ad 100,0; desweiteren wird die wöchentliche Einnahme von Oleovit D3-Tropfen sowie Seracil forte 400mg bei Schmerzen empfohlen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer ist ukrainischer Staatsangehöriger, der ukrainischen Volksgruppe und dem orthodoxen Glauben zugehörig. Seine Identität konnte nicht zweifelsfrei festgestellt werden. Er reiste illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am 14.05.2015 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.07.2016 wurde dieser Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Gewährung subsidiären Schutzes abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung ausgesprochen. Die gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde wurde mit Erledigung des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.10.2016 in Bezug auf die Nichtgewährung des Status des Asylberechtigten als unbegründet abgewiesen, im Übrigen wurde der Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufgehoben zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

Bis zum Verlassen des Herkunftsstaates lebte der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Mutter in einer Mietwohnung im ostukrainischen Oblast Charkiw.

1.2. Der Beschwerdeführer hat nicht glaubhaft gemacht, in der Ukraine in eine hoffnungslose Lage zu kommen, einem realen Risiko einer Verletzung seiner Rechte auf Leben, nicht unmenschlicher Behandlung oder Folter unterworfen zu werden und/oder nicht der Todesstrafe zu unterliegen und als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes unterworfen zu sein. Der Beschwerdeführer hat den Herkunftsstaat aus dem Wunsch nach bestmöglicher medizinsicher Behandlung verlassen.

1.3. Der Beschwerdeführer ist seit dem Jahr 2002 HIV-positiv und nimmt deswegen Medikamente (Truvada und Tivicay) ein. Zudem wurde bei ihm eine seit 1999 bestehende Hepatitis C Genotyp 1b-Erkrankung diagnostiziert, aufgrund derer derzeit aber keine Indikation für eine Therapie besteht. Er nahm bis zum Jahr 2015 Opium und Heroin und befindet sich seit März 2016 in Österreich in einem Substitutionsprogramm, im Rahmen dessen er Subutex Tabletten einnahm. An sonstigen gesundheitlichen Problemen wurden im März 2016 ein Vitamin-D-Mangel, Stuhlunregelmäßigkeiten und ein Dekubitus Grad III der Trochanter major beidseitig diagnostiziert. Darüber hinaus nimmt der Beschwerdeführer aktuell die folgenden Medikamente ein:

Emtricitabin/Tenofovir Sandoz 200mg/245 mg, Octenisept Lösung zur Wund- und Schleimhautdesinfektion, Molaxole-Pulver, Ultrabas 50,0, Ultralip ad 100,0; desweiteren wird die wöchentliche Einnahme von Oleovit D3-Tropfen sowie Seracil forte 400mg bei Schmerzen; überdies wurden beim Beschwerdeführer psychische und Verhaltensstörungen durch multiplen Substanzgebrauch und Konsum anderer psychotroper Substanzen (Abhängigkeitssyndrom F19.2) diagnostiziert.

Neben der medikamentösen Therapie sieht sein derzeitiger Behandlungsplan ärztliche Kontrolltermine im Abstand von jeweils drei Monaten vor. Die Laborwerte des Beschwerdeführers haben sich anlässlich der während der letzten Monate durchgeführten Verlaufskontrollen als stabil dargestellt.

Die beim Beschwerdeführer vorliegenden Krankheitsbilder sind in der Ukraine ebenfalls einer Behandlung zugänglich, die von ihm benötigten Medikamente sind im Herkunftsstaat weitgehend verfügbar. Es bestehen keine substantiierten Anhaltspunkte dahingehend, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner persönlichen Umstände im Herkunftsstaat keinen Zugang zur benötigten Behandlung hätte.

1.4. Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über kein schützenswertes Privat- oder Familienleben. Der unbescholtene Beschwerdeführer ist nicht selbsterhaltungsfähig und bestreitet seinen Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung. Der Beschwerdeführer hat keine familiären Bezugspersonen im Bundesgebiet und hat - auch unter Berücksichtigung seiner gesundheitlichen Einschränkungen - keine maßgeblichen Integrationsbemühungen an den Tag gelegt. Er hat sich keine Deutschkenntnisse angeeignet und sich nicht in die österreichische Gesellschaft integriert.

Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen kamen nicht hervor. Auch aus dem sonstigen Verfahrensergebnis werden vor dem Hintergrund der aktuellen Lage in seinem Herkunftsstaat keine Hinweise auf eine allfällige Gefährdung des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr ersichtlich.

1.5. Zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers werden die folgenden Feststellungen getroffen:

KI vom 19.12.2017, Antikorruption (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage, Abschnitt 4/Rechtsschutz/Justizwesen und Abschnitt 7/Korruption)

Die Ukraine hat seit 2014 durchaus Maßnahmen gesetzt, um die Korruption zu bekämpfen, wie die Offenlegung der Beamtenvermögen und die Gründung des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU). Gemeinsam mit dem ebenfalls neu geschaffenen Antikorruptionsstaatsanwalt kann das NABU viele Fälle untersuchen und hat einige aufsehenerregende Anklagen vorbereitet, u.a. wurde der Sohn des ukrainischen Innenministers festgenommen. Doch ohne ein spezialisiertes Antikorruptionsgericht läuft die Arbeit der Ermittler ins Leere, so die Annahme der Kritiker, da an normalen Gerichten die Prozesse erfahrungsgemäß eher verschleppt werden können. Das Antikorruptionsgericht sollte eigentlich bis Ende 2017 seine Arbeit aufnehmen, wurde aber noch immer nicht formell geschaffen. Präsident Poroschenko äußerte unlängst die Idee, eine auf Korruption spezialisierte Kammer am Obersten Gerichtshof sei ausreichend und schneller einzurichten. Diesen Vorschlag lehnte jedoch der Internationale Währungsfonds (IWF) ab. Daher bot Poroschenko eine Doppellösung an: Zuerst solle die Kammer eingerichtet werden, später das unabhängige Gericht. Der Zeitplan dafür ist jedoch offen (NZZ 9.11.2017).

Kritiker sehen darin ein Indiz für eine Einflussnahme auf die Justiz durch den ukrainischen Präsident Poroschenko. Mit Juri Luzenko ist außerdem Poroschenkos Trauzeuge Chef der Generalstaatsanwaltschaft, welche von Transparency International als Behörde für politische Einflussnahme bezeichnet wird. Tatsächlich berichtet die ukrainische Korruptionsstaatsanwaltschaft von Druck und Einflussnahme auf ihre Ermittler (DS 30.10.2017).

Ende November 2017 brachten Abgeordnete der Regierungskoalition zudem einen Gesetzentwurf ein, der eine "parlamentarische Kontrolle" über das NABU vorsah und heftige Kritik der westlichen Partner und der ukrainischen Zivilgesellschaft auslöste (UA 13.12.2017). Daraufhin wurde der Gesetzesentwurf wieder von der Tagesordnung genommen (DS 7.12.2017), dafür aber der Vorsitzende des Komitees der Werchowna Rada zur Korruptionsbekämpfung entlassen, welcher die Ernennung des von der Regierung bevorzugten Kandidaten für das Amt des Auditors im NABU blockiert hatte (UA 13.12.2017).

Im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew haben zuletzt mehrere Tausend Menschen für eine Amtsenthebung von Präsident Petro Poroschenko demonstriert. Die Kundgebung wurde von Micheil Saakaschwili angeführt - Ex-Staatschef Georgiens und Ex-Gouverneur des ukrainischen Odessa, der ursprünglich von Präsident Poroschenko geholt worden war, um gegen die Korruption vorzugehen. Saakaschwili wirft Poroschenko mangelndes Engagement im Kampf gegen die Korruption vor und steht seit einigen Wochen an der Spitze einer Protestbewegung gegen den ukrainischen Präsidenten. Mit seinen Protesten will er vorgezogene Neuwahlen erzwingen. Saakaschwili war Anfang Dezember, nach einer vorläufigen Festnahme, von einem Gericht freigelassen worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Organisation eines Staatsstreiches (DS 17.12.2017).

Die EU hat jüngst die Auszahlung eines Hilfskredits über 600 Mio. €

an die Ukraine gestoppt, und der Internationale Währungsfonds (IWF) ist ebenfalls nicht zur Gewährung von weiteren Hilfskrediten bereit, solange der Kampf gegen die grassierende Korruption nicht vorankommt (NZZ 18.12.2017). Der IWF hat die Ukraine aufgefordert, die Unabhängigkeit von NABU und Korruptionsstaatsanwaltschaft zu gewährleisten und rasch einen gesetzeskonformen Antikorruptionsgerichtshof im Einklang mit den Empfehlungen der Venediger Kommission des Europarats zu schaffen (UA 13.12.2017).

Quellen:

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DS - Der Standard (17.12.2017): Tausende fordern in Kiew Amtsenthebung von Poroschenko,

http://derstandard.at/2000070553927/Tausende-fordern-in-Kiew-Amtsenthebung-von-Poroschenko?ref=rec, Zugriff 19.12.2017

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DS - Der Standard (7.12.2017): Interventionen verhindern Gesetz gegen ukrainisches Antikorruptionsbüro, http://derstandard.at/2000069775196/Ukrainischer-Antikorruptionsbehoerde-droht-Verlust-an-Unabhaengigkeit, Zugriff 19.12.2017

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DS - Der Standard (30.10.2017): Die ukrainische Justizfassade bröckelt noch immer,

http://derstandard.at/2000066853489/Die-ukrainische-Justizfassade-broeckelt-noch-immer?ref=rec, Zugriff 19.12.2017

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NZZ - Neue Zürcher Zeitung (18.12.2017): Das politische Risiko in der Ukraine ist zurück,

https://www.nzz.ch/finanzen/das-politische-risiko-in-der-ukraine-ist-zurueck-ld.1340458, Zugriff 19.12.2017

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NZZ - Neue Zürcher Zeitung (9.11.2017): Der ukrainische Präsident verschleppt längst überfällige Reformen, https://www.nzz.ch/meinung/ukraine-revolution-im-rueckwaertsgang-ld.1327374, Zugriff 19.12.2017

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UA - Ukraine Analysen (13.12.2017): Ukraine Analysen Nr. 193, http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen193.pdf?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=Ukraine-Analysen+193&newsletter=Ukraine-Analysen+193, Zugriff 19.12.2017

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1. Sicherheitslage

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch vom mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang am 07.06.2014 direkt zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Diese Politik hat zu einer Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren geführt, obwohl Russland im März 2014 die Krim annektierte und seit Frühjahr 2014 separatistische "Volksrepubliken" im Osten der Ukraine unterstützt (AA 7.2.2017).

Die ukrainische Regierung steht für einen klaren Europa-Kurs der Ukraine und ein enges Verhältnis zu den USA. Das 2014 von der Ukraine unterzeichnete und ratifizierte Assoziierungsabkommen mit der EU ist zum Jahresbeginn 2016 in Kraft getreten und bildet die Grundlage der Beziehungen der Ukraine zur EU. Es sieht neben der gegenseitigen Marktöffnung die Übernahme rechtlicher und wirtschaftlicher EU-Standards durch die Ukraine vor. Das Verhältnis zu Russland ist für die Ukraine von zentraler Bedeutung. Im Vorfeld der ursprünglich für November 2013 geplanten Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens übte Russland erheblichen Druck auf die damalige ukrainische Regierung aus, um sie von der EU-Assoziierung abzubringen und stattdessen einen Beitritt der Ukraine zur Zollunion/Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft herbeizuführen. Nach dem Scheitern dieses Versuchs und dem Sturz von Präsident Janukowytsch verschlechterte sich das russisch-ukrainische Verhältnis dramatisch. In Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen und bilateraler Verträge annektierte Russland im März 2014 die Krim und unterstützt bis heute die bewaffneten Separatisten im Osten der Ukraine (AA 2.2017c).

Die sogenannten "Freiwilligen-Bataillone" nehmen offiziell an der "Anti-Terror-Operation" der ukrainischen Streitkräfte teil. Sie sind nunmehr alle in die Nationalgarde eingegliedert und damit dem ukrainischen Innenministerium unterstellt. Offiziell werden sie nicht mehr an der Kontaktlinie eingesetzt, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, eventuell auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von allerdings teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, Personen in der Konfliktregion unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).

Seit Ausbruch des Konflikts im Osten der Ukraine in den Regionen Lugansk und Donezk im April 2014 zählte das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der UN (OHCHR) 33.146 Opfer des Konflikts, davon

9.900 getötete und 23.246 verwundete Personen (inkl. Militär, Zivilbevölkerung und bewaffnete Gruppen). Der Konflikt wird von ausländischen Kämpfern und Waffen, die nach verschiedenen Angaben aus der Russischen Föderation in die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete (NGCA) gebracht werden, angeheizt. Zudem gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen sind betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Der bewaffnete Konflikt stellt einen Bruch des Internationalen Humanitären Rechts und der Menschenrechte dar. Der Konflikt wirkt sich auf die ganze Ukraine aus, da es viele Kriegsrückkehrern (vor allem Männer) gibt und die Zahl der Binnenflüchtlinge (IDPs) hoch ist. Viele Menschen haben Angehörige, die getötet oder entführt wurden oder weiterhin verschwunden sind. Laut der Special Monitoring Mission der OSZE sind täglich eine hohe Anzahl an Brüchen der Waffenruhe, die in den Minsker Abkommen vereinbart wurde, zu verzeichnen (ÖB 4.2017).

Russland kontrolliert das Gewaltniveau in der Ostukraine und intensiviert den Konflikt, wenn es russischen Interessen dient (USDOS 3.3.2017a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

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AA - Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

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AA - Auswärtiges Amt (2.2017c): Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

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ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

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USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 12.7.2017

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1.1. Ostukraine

Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim durch Russland im März 2014 rissen pro-russische Separatisten in einigen Gebieten der Ost-Ukraine die Macht an sich und riefen, unterstützt von russischen Staatsangehörigen, die "Volksrepublik Donezk" und die "Volksrepublik Lugansk" aus. Der ukrainische Staat begann daraufhin eine sogenannte Antiterroroperation (ATO), um die staatliche Kontrolle wiederherzustellen. Bis August 2014 erzielten die ukrainischen Kräfte stetige Fortschritte, danach erlitten sie jedoch - bedingt durch militärische Unterstützung der Separatisten aus Russland - zum Teil schwerwiegende Verluste. Die trilaterale Kontaktgruppe mit Vertretern der Ukraine, Russlands und der OSZE bemüht sich darum, den militärischen Konflikt zu beenden. Das Minsker Protokoll vom 5. September 2014, das Minsker Memorandum vom 19. September 2014 und das Minsker Maßnahmenpaket vom 12. Februar 2015 sehen unter anderem eine Feuerpause, den Abzug schwerer Waffen, die Gewährung eines "Sonderstatus" für einige Teile der Ost-Ukraine, die Durchführung von Lokalwahlen und die vollständige Wiederherstellung der Kontrolle über die ukrainisch-russische Grenze vor. Die von der OSZE-Beobachtermission SMM überwachte Umsetzung, etwa des Truppenabzugs, erfolgt jedoch schleppend. Die Sicherheitslage im Osten des Landes bleibt volatil (AA 2.2017b).

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten der Oblaste Donezk und Lugansk haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Berichte der OSZE-Beobachtermission, von Amnesty International sowie weiteren NGOs lassen den Schluss zu, dass es nach Ausbruch des Konflikts im März 2014 in den von Separatisten kontrollierten Gebieten zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Dazu zählen extralegale Tötungen auf Befehl örtlicher Kommandeure ebenso wie Freiheitsberaubung, Erpressung, Raub, Entführung, Scheinhinrichtungen und Vergewaltigungen. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte spricht von einem "vollständigen Zusammenbruch von Recht und Ordnung", von einem "unter den Bewohnern vorherrschenden Gefühl der Angst, besonders ausgeprägt in der Region Lugansk", sowie einer durch "fortgesetzte Beschränkungen der Grundrechte, die die Isolation der in diesen Regionen lebenden Bevölkerung verschärft, sowie des Zugangs zu Informationen" gekennzeichneten Menschenrechtslage. Die Zivilbevölkerung ist der Willkür der Soldateska schutzlos ausgeliefert, Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit sind faktisch suspendiert. Nach UN-Angaben sind seit Beginn des bewaffneten Konflikts über 10.000 Menschen umgekommen. Es sind rund 1,7 Mio. Binnenflüchtlinge registriert und ca. 1,5 Mio. Menschen sind in Nachbarländer geflohen. Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt: Die Sicherheitslage hat sich verbessert, auch wenn Waffenstillstandsverletzungen an der Tagesordnung bleiben. Der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland) stockt jedoch trotz hochrangiger Unterstützung im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt neben den Lokalwahlen im besetzten Donbas der Dezentralisierungsprozess für den Donbas, den die Rada noch nicht abgeschlossen hat. In den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Gebiete Donezk und Lugansk wird die staatliche Ordnung erhalten oder wieder hergestellt, um Wiederaufbau sowie humanitäre Versorgung der Bevölkerung zu ermöglichen (AA 7.2.2017).

Die von Russland unterstützten Separatisten im Donbas verüben weiterhin Entführungen, Folter und unrechtmäßige Inhaftierung, rekrutieren Kindersoldaten, unterdrücken abweichende Meinungen und schränken humanitäre Hilfe ein. Trotzdem dies offiziell weiterhin abgestritten wird, kontrolliert Russland das Ausmaß der Gewalt in der Ostukraine und eskaliert den Konflikt nach eigenem politischen Gutdünken. Die separatistischen bewaffneten Gruppen werden weiterhin von Russland trainiert, bewaffnet, geführt und gegebenenfalls direkt im Einsatz unterstützt. Die Arbeit internationaler Beobachter wird dabei nach Kräften behindert. Geschätzte 70 Quadratkilometer landwirtschaftlicher Flächen in der Ostukraine wurden von den beiden Seiten vermint, speziell nahe der sogenannten Kontaktlinie. Diese Verminungen sind oft schlecht markiert und stellen eine Gefahr für Zivilisten dar. Bis zu 2.000 Zivilisten sollen im ostukrainischen Konfliktgebiet umgekommen sein, meist durch Artilleriebeschuss bewohnter Gebiete. Die Zahl derer, die durch Folter und andere Menschenrechtsverletzungen umgekommen sein dürften, geht in die Dutzende. 498 Personen (darunter 347 Zivilisten) bleiben vermisst. Die von Russland unterstützten Separatisten begingen systematisch zahlreiche Menschenrechtsverletzungen (Schläge, Zwangsarbeit, Folter, Erniedrigung, sexuelle Gewalt, Verschwindenlassen aber auch Tötungen) sowohl zur Aufrechterhaltung der Kontrolle als auch zur Bereicherung. Sie entführen regelmäßig Personen für politische Zwecke oder zur Erpressung von Lösegeld, besonders an Checkpoints. Es kommt zu willkürlichen Inhaftierungen von Zivilpersonen bei völligem Fehlen jeglicher rechtsstaatlicher Kontrolle. Diese Entführungen führen wegen ihrer willkürlichen Natur zu großer Angst unter der Zivilbevölkerung. Von einem "Kollaps von Recht und Ordnung" in den Separatistengebieten wird berichtet. Internationalen und nationalen Menschenrechtsbeobachtern wird die Einreise in die Separatistengebiete verweigert. Wenn Gruppen versuchen dort tätig zu werden, werden sie zum Ziel erheblicher Drangsale und Einschüchterung. Journalisten werden willkürlich inhaftiert und misshandelt. Die separatistischen bewaffneten Gruppen beeinflussen direkt die Medienberichterstattung in den selbsternannten Volksrepubliken. Freie (kritische) Meinungsäußerung ist nicht möglich. Da die separatistischen Machthaber die Einfuhr von humanitären Gütern durch ukrainische oder internationale Organisationen stark einschränken, sind die Anwohner der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk mit starken Preisanstiegen konfrontiert. An Medikamenten herrscht ein erheblicher Mangel. Das erschwert auch die Behandlung von HIV und Tuberkulose. Mehr als 6.000 HIV-positive Personen in der Region leiden unter dem Mangel an Medikamenten und Medizinern (USDOS 3.3.2017a).

In den ostukrainischen Konfliktgebieten begingen Berichten zufolge auch Regierungstruppen bzw. mit ihnen verbündete Gruppen Menschenrechtsverletzungen. Der ukrainische Geheimdienst (SBU) soll Personen geheim festhalten bzw. festgehalten haben (USDOS 3.3.2017a). Nach einem Bericht über illegale Haft und Folter, sowohl durch den ukrainischen SBU sowie durch prorussische Separatisten, reagierte im Juli 2016 der SBU mit der Entlassung von 13 Personen aus der Haft (die Illegalität der Haft wurde aber abgestritten). Von der separatistischen Seite ist nichts dergleichen berichtet, obwohl deren Vergehen viel zahlreicher waren (FH 1.2017; vgl. HRW 12.1.2017).

Trotz des Abkommens von Minsk ist in der Ostukraine immer noch kein tragfähiger Waffenstillstand zustande gekommen. Russland liefert weiterhin Waffen und stellt militärisches Personal als "Freiwillige". 2016 haben sich die lokalen Verwaltungen in den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk institutionell konsolidiert und der Aufbau russisch kontrollierter Staatsgebilde ist überwiegend abgeschlossen. Unabhängige politische Aktivitäten und politische Parteien sind jedoch verboten, NGOs arbeiten dort nicht, und eine freie Presse ist nicht vorhanden (FH 29.3.2017).

Nach wie vor kam es im Osten der Ukraine auf beiden Seiten zu sporadischen Verstößen gegen den vereinbarten Waffenstillstand. Sowohl die ukrainischen Streitkräfte als auch die pro-russischen Separatisten verübten Verletzungen des humanitären Völkerrechts, darunter Kriegsverbrechen wie Folter, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. In der Ukraine und den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk wurden Personen, die der Unterstützung der jeweils anderen Seite verdächtigt wurden, rechtswidrig inhaftiert, auch zum Zwecke des Gefangenenaustauschs. Sowohl seitens der ukrainischen Behörden als auch der separatistischen Kräfte im Osten der Ukraine kam es auf den von der jeweiligen Seite kontrollierten Gebieten zu rechtswidrigen Inhaftierungen. Zivilpersonen, die als Sympathisanten der anderen Seite galten, wurden als Geiseln für den Gefangenenaustausch benutzt. Wer für einen Gefangenenaustausch nicht in Frage kam, blieb häufig monatelang inoffiziell in Haft, ohne Rechtsbehelf oder Aussicht auf Freilassung. In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk setzten lokale "Ministerien für Staatssicherheit" die ihnen im Rahmen lokaler "Verordnungen" verliehenen Befugnisse dazu ein, Personen bis zu 30 Tage lang willkürlich zu inhaftieren und diese Haftdauer wiederholt zu verlängern. Die ukrainischen Behörden schränkten den Personenverkehr zwischen den von den Separatisten kontrollierten Regionen Donezk und Lugansk und den von der Ukraine kontrollierten Gebieten weiterhin stark ein (AI 22.2.2017).

In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk agieren lokale Sicherheitsdienste in einem vollkommenen rechtlichen Vakuum, wodurch die von ihnen festgenommenen Personen jeglicher Rechtssicherheit oder Beschwerdemöglichkeiten beraubt (HRW 12.1.2017).

In den von pro-russischen Kräften besetzten Gebieten im Osten der Ukraine kann in keinster Weise von einer freien, gar kritischen Presse die Rede sein. Die im Zuge der Annexion der Halbinsel Krim bzw. im Zuge der Kampfhandlungen im Osten bekanntgewordenen und nicht zuletzt durch OSZE-Beobachter wiederholt thematisierten Verschleppungen von Journalisten durch Separatisten sowie die Behinderung objektiver Berichterstattung gaben ebenfalls zu verstärkter Sorge Anlass (ÖB 4.2017).

Pro-russische Separatisten in der Ostukraine entführen, inhaftieren, schlagen und bedrohen Mitglieder der ukrainisch-orthodoxen Kirche Kiewer Patriarchats, Zeugen Jehovas und Angehörige protestantischer Kirchen. Auch antisemitische Rhetorik und Handlungen werden berichtet. Sie verwüsten oder beschlagnahmen weiterhin Kirchenvermögen und geben vor, nur "offizielle Kirchen" dürften tätig werden. Faktisch werden religiöse Gruppen außer der ukrainisch-orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats systematisch diskriminiert (USDOS 10.8.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/U

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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