TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/23 W111 2189887-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.01.2019
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Entscheidungsdatum

23.01.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W111 2189887-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. DAJANI, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX alias XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Ukraine, vertreten durch die XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.02.2018, Zl. 1074808004-150724494, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie §§ 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 46 und 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein volljähriger Staatsbürger der Ukraine, gelangte illegal in das Bundesgebiet und stellte am 23.06.2015 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes, zu welchem er am darauffolgenden Tag vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt wurde. Dabei gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er stamme aus dem Oblast XXXX, gehöre der russischen Volksgruppe sowie dem orthodoxen Glauben an und er habe sich im August 2014 zum Verlassen seiner Heimat entschlossen. Seinen Herkunftsstaat habe er im gleichen Monat auf dem Luftweg verlassen und sei über Bosnien nach Kroatien eingereist, wo sein Asylantrag nicht angenommen worden wäre, er sei mit einem Aufenthaltsverbot belegt und nach Bosnien abgeschoben worden, wo er sich folglich zwei Monate lang als Asylwerber aufgehalten hätte. Er habe sich im Anschluss sieben Monate lang in Serbien aufgehalten, bevor er, ohne sein dortiges Asylverfahren abzuwarten, illegal nach Österreich weitergereist wäre.

In Bezug auf seinen Fluchtgrund führte der Beschwerdeführe aus, von Jänner 2007 bis August 2013 mit seiner damaligen Ehefrau in Spanien gelebt zu haben. Nach seiner Rückkehr in die Ukraine habe er dort bis Mai 2014 gearbeitet, dann habe man ihn zum Kriegsdienst in der ukrainischen Armee einberufen wollen. Der Beschwerdeführer habe nicht in den Krieg ziehen wollen, außerdem gebe es Probleme zwischen Ukrainern und Russen in seiner Heimat. Sichergestellt wurden der ukrainische Reisepass des Beschwerdeführers sowie dessen Geburtsurkunde (AS 35 ff).

Nach Zulassung seines Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 30.01.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein einer Dolmetscherin für die russische Sprache niederschriftlich zu den Gründen seiner Antragstellung einvernommen. Dabei brachte er auf entsprechende Befragung hin zusammenfassend vor (im Detail vgl. die Seiten 125 bis 139 des Verwaltungsaktes), sich psychisch und physisch zur Durchführung der Einvernahme in der Lage zu fühlen, gesund zu sein und bislang der Wahrheit entsprechende Angaben getätigt zu haben. Er gehöre der russischen Volksgruppe sowie dem russisch-orthodoxen Glauben an und sei seit 2013 geschieden. Er sei mit einer peruanisch-niederländischen Doppelstaatsbürgerin verheiratet gewesen, mit welcher er in Spanien gelebt hätte.

Zu seinen Lebensumständen in der Ukraine führte der Beschwerdeführer aus, annähernd sein ganzes Leben in der Stadt XXXX gelebt zu haben, wo er die Schule, eine technische Ausbildung sowie ein Studium im Bereich Metallurgie absolviert hätte. Im Anschluss hätte er bis zu seiner Ausreise nach Spanien in unterschiedlichen Betrieben gearbeitet und so seinen Lebensunterhalt finanziert. Er habe damals mit seinen Eltern zusammengelebt, sein Vater sei zwischenzeitlich verstorben, seine Mutter lebe immer noch an der gleichen Adresse und beziehe eine Pension. Der Beschwerdeführer sei im Jahr 2013 aus Spanien in die Ukraine zurückgekehrt und habe das Land im Jahr 2014 wieder verlassen.

Er habe im Heimatland nie Probleme mit der Polizei oder anderen staatlichen Stellen gehabt, sei nie in Haft gewesen und habe keiner politischen Partei angehört.

Zu den Gründen seiner Ausreise führte der Beschwerdeführer aus, der erste Grund sei gewesen, dass er als Russe in der Ukraine von ukrainischen Nationalisten angegriffen und verprügelt worden wäre und ein Leben für ihn dort gefährlich wäre. Der zweite Grund sei der im Donbass ausgebrochene Krieg. Der Beschwerdeführer habe eine Vorladung von der Militärabteilung erhalten und hätte den Militärdienst ableisten sollen. Dies hätte er nicht überleben können, denn wie sollte er für die ukrainischen Nationalisten auf die Landsleute seiner Eltern schießen, welche aus dem Donbass-Gebiet stammen würden. Eine Ablehnung des Militärdienstes sei in der Ukraine strafbar; man werde trotzdem geholt und gezwungen. Um dies zu vermeiden, habe er beschlossen, nach Spanien zu fahren. Weitere Fluchtgründe habe er nicht.

Nachgefragt, sei er nur einmal im Frühjahr 2014 zu Beginn des Krieges angegriffen worden, es sei ihm damals die Flucht gelungen. Dass dies oft passiere, sei jedoch kein Geheimnis in der Ukraine. Die Vorladung zur Militärdienstbehörde habe er im August 2014 erhalten, eine Woche später habe er die Ukraine verlassen. Da er studiert hätte, habe er noch keinen Grundwehrdienst geleistet, sei jedoch militärpflichtig und müsste bei Krieg Militärdienst leisten. Befragt, wie er im Krieg zum Militär eingezogen werden könnte ohne eine entsprechende Ausbildung zu haben, erklärte der Beschwerdeführer, wenn man eine Vorladung erhalte, werde man innerhalb eines Monats bei einem Militärkommissariat eingeschult. Auf Nachfrage gab der Beschwerdeführer an, in der Ukraine nie persönlich bedroht oder verfolgt worden zu sein. Im Falle einer Rückkehr fürchte er sich vor den Faschisten, laut Nachrichten nehme der Krieg kein Ende. Sie würden immer Leute brauchen, welche schießen; es kämen Waffen aus Amerika, der Konflikt werde wieder eskalieren. Nachgefragt, wovor er sich konkret fürchten würde, gab der Beschwerdeführer an, bestenfalls würden sie ihn "behindert machen"; es werde zu einer Vernichtung der Russen kommen, alles Russische - Menschen, Straßen und Architektur - würde vernichtet werden. Mit den Faschisten meine er ukrainische Nationalisten, unter anderem auch Rechtsradikale, welche öffentlich das "Hitlerkreuz" tragen würden. In einen anderen Landesteil der Ukraine könnte er nicht gehen, da es dort dieselbe Geschichte wäre.

In Österreich lebe er von der Grundversorgung, er habe hier keine familiären Beziehungen, jedoch Freunde in einem Fitness-Club, und wolle so schnell wie möglich die deutsche Sprache erlernen. Er habe einen Deutschkurs A1 begonnen, jedoch nicht abgeschlossen und ginge fallweise gemeinnützigen Arbeiten (Straßenreinigung) nach.

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 12.02.2018 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der beschwerdeführenden Partei auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und den Antrag gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt IV.) und wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Die Behörde stellte die Staatsbürgerschaft, Identität, Volksgruppenzugehörigkeit sowie Religion des Beschwerdeführers fest und legte ihrer Entscheidung ausführliche Feststellungen zur aktuellen Situation in dessen Herkunftsstaat, darunter auch eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Situation der russischen Minderheit vom 22.08.2017, zu Grunde. Nicht festgestellt werden habe können, dass der Beschwerdeführer in der Ukraine einer individuellen, konkret gegen seine Person gerichteten, Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung ausgesetzt wäre. Die Ausführungen des Beschwerdeführers zum Fluchtgrund wären unbeachtlich ihres Wahrheitsgehalts nicht fähig, eine asylrelevante Bedrohung zu begründen. Der Beschwerdeführer habe einen einmalig versuchten Angriff durch Nationalisten im Frühjahr 2014 geschildert, bis zu dessen Ausreise im August 2014 sei es jedoch zu keinen weiteren Vorfällen gekommen, weshalb nicht davon ausgegangen werden könne, dass dieser persönlich im Fokus der Nationalisten stünde und einer gezielten Verfolgung unterliege, sondern, dass er lediglich zufällig Opfer jener Gruppe geworden wäre. Der von ihm erwähnte Angriff erreiche im Übrigen nicht die für die Asylgewährung geforderte Intensität. Der Beschwerdeführer habe eine persönliche Verfolgung oder Bedrohung in der Ukraine verneint. Auch habe eine Verfolgung aufgrund seiner russischen Volksgruppenzugehörigkeit nicht erkannt werden können, zumal einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation in diesem Kontext zu entnehmen wäre, dass Angehörige der russischen Minderheit in der Ukraine generell ohne Diskriminierung leben könnten. Zum zweiten Fluchtgrund des Beschwerdeführers sei festzuhalten, dass in einer drohenden Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung kein asylrelevantes Motiv erkannt werden könnte. Die in den Länderberichten angeführte Strafhöhe erscheine nicht unverhältnismäßig, der Beschwerdeführer habe auch nicht dargetan, aufgrund individueller Motive mit einer strengeren Bestrafung zu rechnen zu haben. Aus den Länderberichten ergebe sich zudem, dass Personen, welche wie der Beschwerdeführer den Grundwehrdienst nicht abgeleistet hätten, nicht zum Wehrdienst eingezogen werden könnten. Im Falle des Beschwerdeführers könne es sich daher allenfalls um eine Einberufung zum Grundwehrdienst handeln und habe dieser nicht dargelegt, dass seine Einberufung aus einem asylrelevanten Motiv erfolgt wäre oder er im Falle einer Ableistung des Wehrdienstes aus einem solchen Motiv mit einer Schlechterbehandlung zu rechnen hätte. Bei den vom Beschwerdeführer geschilderten Umständen handle es sich um eine reguläre gesetzmäßige Einberufung, in welcher kein asylrelevanter Sachverhalt erblickt werden könne.

Beim Beschwerdeführe handle es sich um eine erwachsene und arbeitsfähige Person mit einer entsprechend guten Schul- und Berufsausbildung; der Beschwerdeführer, welcher an keiner schwerwiegenden Erkrankung leiden würde, sei in der Ukraine berufstätig und zur Bestreitung seines Lebensunterhalts in der Lage gewesen. Zudem verfüge der Beschwerdeführer, welcher den Großteil seines Lebens im Herkunftsstaat verbracht hätte, über soziale Anknüpfungspunkte in der Ukraine, weshalb insgesamt nicht davon ausgegangen werden könne, dass dieser im Falle einer Rückkehr in eine Existenz bedrohende Notlage geraten würde. Der Beschwerdeführer stamme aus einem von den bewaffneten Auseinandersetzungen der letzten Jahre nicht betroffenem Gebiet im Süden der Ukraine. Für den Fall, dass der Beschwerdeführer infolge einer Rückkehr tatsächlich von einer Haft wegen Wehrdienstverweigerung bedroht wäre, sei festzuhalten, dass die Haftbedingungen in der Ukraine zwar problematisch wären, jedoch nicht von einem generellen Risiko einer unmenschlichen Behandlung von jedem Inhaftierten gesprochen werden könne, zumal im Falle des Beschwerdeführers auch keine Hinweise auf eine besondere Vulnerabilität oder ein tatsächlich bereits eingeleitetes Strafverfahren vorliegen würden. Der Beschwerdeführer verfüge über keine Familienangehörigen im Bundesgebiet und weise keine besondere Integrationsverfestigung auf.

3. Mit Eingabe vom 15.03.2018 wurde durch die gewillkürte Vertretung des Beschwerdeführers fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde erhoben, in welcher der dargestellte Bescheid vollumfänglich wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie inhaltlicher Rechtswidrigkeit angefochten wurde. Begründend wurde infolge zusammenfassender Wiedergabe des Vorbringens des Beschwerdeführers sowie des Verfahrensverlaufs im Wesentlichen ausgeführt (im Detail vgl. Verwaltungsakt, Seiten 315 bis 361), der Beschwerdeführer befürchte in seinem Herkunftsstaat Verfolgung aufgrund seiner Ethnie, da seit dem Ukraine-Russland-Konflikt die Mitglieder der russischen Minderheit in der Ukraine gezielt verfolgt würden und von staatlichen Einrichtungen keine Hilfe erwarten könnten, da diese auf Seite der Nationalisten stünden und der Minderheit der Russen nicht helfen wollten. Der Beschwerdeführer fürchte sich zudem vor einer Einberufung zum Militärdienst, da er gezwungen würde, auf der Seite der Ukraine gegen Russen zu kämpfen. Der Beschwerdeführer wäre beim Militär bzw. einer Haft in Folge Wehrdienstverweigerung auch dort starken Diskriminierungen als Russe ausgesetzt, da diese seit dem Konflikt als Spione aus Russland angesehen würden. Die Gefahr würde sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen. Die Behörde habe sich mit der Situation der russischen Minderheit in der Ukraine nicht auseinandergesetzt, die in diesem Zusammenhang angeführte Anfragebeantwortung erwiese sich als nichtssagend. Da sich der Beschwerdeführer auf eine Verfolgung aufgrund der Ethnie berufe, hätte die Behörde genauere Recherchen durchführen müssen. Die seitens der Behörde herangezogenen Länderberichte erwiesen sich zum Teil als veraltet und würden im angefochtenen Bescheid selektiv ausgewertet. In diesem Zusammenhang wurde auf näher angeführtes ergänzendes Berichtsmaterial verwiesen, bei dessen Berücksichtigung die Behörde zum Schluss gelangt wäre, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers mit den Länderberichten in Einklang stünde und diesem in der Ukraine asylrelevante Verfolgung drohe. Der Beschwerdeführer sei gezielt aufgrund seiner Ethnie Opfer der Nationalisten geworden. Dieser spreche Russisch und fühle sich als Russe, weshalb die Gefahr einer Verfolgung somit ständig vorhanden wäre, zumal Russen von ukrainischen Nationalisten gezielt verfolgt würden. Da der Ukrainekrieg weit von einer Lösung entfernt wäre, bestünde die reelle Gefahr, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland gegen Russland in den Krieg ziehen müsste. Aufgrund seiner Ethnie könne er sich nicht darauf verlassen, dass Attacken auf ihn vom Sicherheitsapparat aufgenommen würden bzw. diesen ernsthaft nachgegangen werde. Anders als von der belangten Behörde vermeint, wäre der Beschwerdeführer in der Ukraine einer individuellen, konkret gegen seine Person gerichteten Verfolgung ausgesetzt, da er als Angehöriger der russischen Minderheit in der Ukraine ständiger Verfolgungsgefahr durch ukrainische Nationalisten ausgesetzt wäre. Die Verfolgung erstrecke sich auf das gesamte ukrainische Gebiet, da Nationalisten im gesamten Staatsgebiet im Vormarsch wären und gezielt nach ethnischen Minderheiten Ausschau halten würden. Die allgemein gefährliche Lage verbunden mit der schlechten sozialen Absicherung in der Ukraine sowie dem fortgeschrittenen Alter des Beschwerdeführers lasse die Rückkehrsituation, auch für den Fall, dass keine Bedrohung gegenüber dem Beschwerdeführer mehr manifest wäre, als eine Verletzung seiner durch Artikel 3 EMRK gewährleisteten Rechte erscheinen. Der Beschwerdeführer sei unbescholten und versuche tagtäglich sich besser in Österreich zu integrieren, weshalb eine Rückkehrentscheidung für dauerhaft unzulässig erklärt werden hätte müssen.

4. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 21.03.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Auf Grundlage des Verwaltungsakts der belangten Behörde und der in diesem Verfahren herangezogenen Hintergrundberichte zur aktuellen relevanten Lage in der Ukraine wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes Folgendes festgestellt:

1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Ukraine, er gehört der russischen Volksgruppe sowie dem russisch-orthodoxen Glauben an. Seine Identität steht fest. Der Beschwerdeführer reiste im Juni 2015 unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und hält sich seit diesem Zeitpunkt ununterbrochen im Bundesgebiet auf. Zuvor hatte er sich infolge seiner im August 2014 auf dem Luftweg erfolgten Ausreise aus dem Herkunftsstaat bereits für jeweils einige Monate als Asylwerber in Kroatien, Bosnien und Serbien aufgehalten. Der Beschwerdeführer stammt aus XXXX , wo er die Schule besuchte und infolge der Absolvierung eines Studiums im Fach Metallurgie in verschiedenen Firmen beschäftigt gewesen ist. Die Mutter des Beschwerdeführers lebt nach wie vor in der Ukraine und ist Bezugsberechtigte einer Pension.

1.2. Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer in der Ukraine aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten bedroht wäre. Im Entscheidungszeitpunkt konnte keine aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in der Ukraine festgestellt werden.

Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, welche einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat entgegenstehen würden. In der Ukraine besteht eine ausreichende medizinische Grundversorgung, weswegen der Beschwerdeführer hinsichtlich allfälliger psychischer und physischer Leiden ausreichend behandelt werden könnte.

Der unbescholtene Beschwerdeführer verfügt in Österreich über kein schützenswertes Privat- oder Familienleben. Er hat keine Familienangehörigen oder sonstigen engen sozialen Bezugspunkte im Bundesgebiet, ist nicht selbsterhaltungsfähig und bestreitet seinen Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung. Er hat sich keine nachgewiesenen Deutschkenntnisse angeeignet, absolvierte auch sonst keine Ausbildungen und ist kein Mitglied in einem Verein. Er war gemeinnützig in der Straßenreinigung beschäftigt und hat soziale Kontakte im Bundesgebiet geknüpft. Eine tiefgreifende Verwurzelung des Beschwerdeführers im Bundesgebiet konnte nicht erkannt werden. Eine den Beschwerdeführer betreffende aufenthaltsbeendende Maßnahme würde keinen ungerechtfertigten Eingriff in dessen gemäß Art. 8 EMRK geschützte Rechte auf Privat- und Familienleben darstellen.

1.3. Insbesondere zur allgemeinen Situation und Sicherheitslage, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zur medizinischen Versorgungssituation und zur Lage von Rückkehrern und Binnenflüchtlingen sowie zum Themenkreis der Wehrpflicht wird unter Heranziehung der erstinstanzlichen Länderfeststellungen Folgendes festgestellt:

KI vom 19.12.2017, Antikorruption (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage, Abschnitt 4/Rechtsschutz/Justizwesen und Abschnitt 7/Korruption)

Die Ukraine hat seit 2014 durchaus Maßnahmen gesetzt, um die Korruption zu bekämpfen, wie die Offenlegung der Beamtenvermögen und die Gründung des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU). Gemeinsam mit dem ebenfalls neu geschaffenen Antikorruptionsstaatsanwalt kann das NABU viele Fälle untersuchen und hat einige aufsehenerregende Anklagen vorbereitet, u.a. wurde der Sohn des ukrainischen Innenministers festgenommen. Doch ohne ein spezialisiertes Antikorruptionsgericht läuft die Arbeit der Ermittler ins Leere, so die Annahme der Kritiker, da an normalen Gerichten die Prozesse erfahrungsgemäß eher verschleppt werden können. Das Antikorruptionsgericht sollte eigentlich bis Ende 2017 seine Arbeit aufnehmen, wurde aber noch immer nicht formell geschaffen. Präsident Poroschenko äußerte unlängst die Idee, eine auf Korruption spezialisierte Kammer am Obersten Gerichtshof sei ausreichend und schneller einzurichten. Diesen Vorschlag lehnte jedoch der Internationale Währungsfonds (IWF) ab. Daher bot Poroschenko eine Doppellösung an: Zuerst solle die Kammer eingerichtet werden, später das unabhängige Gericht. Der Zeitplan dafür ist jedoch offen (NZZ 9.11.2017).

Kritiker sehen darin ein Indiz für eine Einflussnahme auf die Justiz durch den ukrainischen Präsident Poroschenko. Mit Juri Luzenko ist außerdem Poroschenkos Trauzeuge Chef der Generalstaatsanwaltschaft, welche von Transparency International als Behörde für politische Einflussnahme bezeichnet wird. Tatsächlich berichtet die ukrainische Korruptionsstaatsanwaltschaft von Druck und Einflussnahme auf ihre Ermittler (DS 30.10.2017).

Ende November 2017 brachten Abgeordnete der Regierungskoalition zudem einen Gesetzentwurf ein, der eine "parlamentarische Kontrolle" über das NABU vorsah und heftige Kritik der westlichen Partner und der ukrainischen Zivilgesellschaft auslöste (UA 13.12.2017). Daraufhin wurde der Gesetzesentwurf wieder von der Tagesordnung genommen (DS 7.12.2017), dafür aber der Vorsitzende des Komitees der Werchowna Rada zur Korruptionsbekämpfung entlassen, welcher die Ernennung des von der Regierung bevorzugten Kandidaten für das Amt des Auditors im NABU blockiert hatte (UA 13.12.2017).

Im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew haben zuletzt mehrere Tausend Menschen für eine Amtsenthebung von Präsident Petro Poroschenko demonstriert. Die Kundgebung wurde von Micheil Saakaschwili angeführt - Ex-Staatschef Georgiens und Ex-Gouverneur des ukrainischen Odessa, der ursprünglich von Präsident Poroschenko geholt worden war, um gegen die Korruption vorzugehen. Saakaschwili wirft Poroschenko mangelndes Engagement im Kampf gegen die Korruption vor und steht seit einigen Wochen an der Spitze einer Protestbewegung gegen den ukrainischen Präsidenten. Mit seinen Protesten will er vorgezogene Neuwahlen erzwingen. Saakaschwili war Anfang Dezember, nach einer vorläufigen Festnahme, von einem Gericht freigelassen worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Organisation eines Staatsstreiches (DS 17.12.2017).

Die EU hat jüngst die Auszahlung eines Hilfskredits über 600 Mio. €

an die Ukraine gestoppt, und der Internationale Währungsfonds (IWF) ist ebenfalls nicht zur Gewährung von weiteren Hilfskrediten bereit, solange der Kampf gegen die grassierende Korruption nicht vorankommt (NZZ 18.12.2017). Der IWF hat die Ukraine aufgefordert, die Unabhängigkeit von NABU und Korruptionsstaatsanwaltschaft zu gewährleisten und rasch einen gesetzeskonformen Antikorruptionsgerichtshof im Einklang mit den Empfehlungen der Venediger Kommission des Europarats zu schaffen (UA 13.12.2017).

Quellen:

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DS - Der Standard (17.12.2017): Tausende fordern in Kiew Amtsenthebung von Poroschenko,

http://derstandard.at/2000070553927/Tausende-fordern-in-Kiew-Amtsenthebung-von-Poroschenko?ref=rec, Zugriff 19.12.2017

-

DS - Der Standard (7.12.2017): Interventionen verhindern Gesetz gegen ukrainisches Antikorruptionsbüro, http://derstandard.at/2000069775196/Ukrainischer-Antikorruptionsbehoerde-droht-Verlust-an-Unabhaengigkeit, Zugriff 19.12.2017

-

DS - Der Standard (30.10.2017): Die ukrainische Justizfassade bröckelt noch immer,

http://derstandard.at/2000066853489/Die-ukrainische-Justizfassade-broeckelt-noch-immer?ref=rec, Zugriff 19.12.2017

-

NZZ - Neue Zürcher Zeitung (18.12.2017): Das politische Risiko in der Ukraine ist zurück,

https://www.nzz.ch/finanzen/das-politische-risiko-in-der-ukraine-ist-zurueck-ld.1340458, Zugriff 19.12.2017

-

NZZ - Neue Zürcher Zeitung (9.11.2017): Der ukrainische Präsident verschleppt längst überfällige Reformen, https://www.nzz.ch/meinung/ukraine-revolution-im-rueckwaertsgang-ld.1327374, Zugriff 19.12.2017

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UA - Ukraine Analysen (13.12.2017): Ukraine Analysen Nr. 193, http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen193.pdf?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=Ukraine-Analysen+193&newsletter=Ukraine-Analysen+193, Zugriff 19.12.2017

1. Politische Lage

Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Ihr Staatsoberhaupt ist seit 7.6.2014 Präsident Petro Poroschenko. Regierungschef ist seit 14.4.2016 Ministerpräsident Wolodymyr Hroisman. Das Parlament (Verkhovna Rada) der Ukraine besteht aus einer Kammer; 225 Sitze werden über ein Verhältniswahlsystem mit Listen vergeben, 225 weitere Sitze werden in Mehrheitswahl an Direktkandidaten in den Wahlkreisen vergeben. 27 Mandate bleiben aufgrund der Krim-Besetzung und des Konflikts in der Ost-Ukraine derzeit unbesetzt. Im Parlament sind folgende Fraktionen und Gruppen vertreten (mit Angabe der Zahl der Sitze):

Block von Petro Poroschenko (Blok Petra Poroschenka)

142

Volksfront (Narodny Front)

81

Oppositionsblock (Oposyzijny Blok)

43

Selbsthilfe (Samopomitsch)

26

Radikale Partei von Oleh Ljaschko (Radykalna Partija Oleha Ljaschka)

20

Vaterlandspartei (Batkiwschtschyna)

20

Gruppe Wolja Narodu

19

Gruppe Widrodshennja

24

Fraktionslose Abgeordnete

48

(AA 2.2017a)

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahldurchgang zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt seither mit unterschiedlichen Koalitionen eine europafreundliche Reformpolitik. Zu den Schwerpunkten des Regierungsprogramms gehören die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassung- und Justizreform. Die Parteienlandschaft ist pluralistisch und reflektiert alle denkbaren Strömungen von national-konservativ bis links-sozialistisch. Die kommunistische Partei ist verboten. Die Regierung Hrojsman, die seit April 2016 im Amt ist, setzt den euroatlantischen Integrationskurs der Vorgängerregierung unter Arseni Jazenjuk fort und hat trotz zahlreicher koalitionsinterner Querelen und zum Teil großer Widerstände wichtige Reformen erfolgreich durchführen können. Gleichwohl sind die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Umfang und Tempo der Reformen bei weitem nicht befriedigt (AA 7.2.2017).

Die Präsidentenwahlen des Jahres 2014 werden von internationalen und nationalen Beobachtern als frei und fair eingestuft (USDOS 3.3.2017a).

Ukrainische Bürger können seit 11. Juni 2017 ohne Visum bis zu 90 Tage in die Europäische Union reisen, wenn sie einen biometrischen Pass mit gespeichertem Fingerabdruck besitzen. Eine Arbeitserlaubnis ist damit nicht verbunden. Die Visabefreiung gilt für alle EU-Staaten mit Ausnahme Großbritanniens und Irlands (DS 11.6.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (2.2017a): Ukraine, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Ukraine_node.html, Zugriff 31.5.2017

-

DS - Der Standard (11.6.2017): Ukrainer feierten Aufhebung der Visapflicht für die EU,

http://derstandard.at/2000059097595/Ukrainer-feierten-Aufhebung-der-Visapflicht-fuer-die-EU, Zugriff 19.6.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 31.5.2017

2. Sicherheitslage

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch vom mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang am 07.06.2014 direkt zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Diese Politik hat zu einer Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren geführt, obwohl Russland im März 2014 die Krim annektierte und seit Frühjahr 2014 separatistische "Volksrepubliken" im Osten der Ukraine unterstützt (AA 7.2.2017).

Die ukrainische Regierung steht für einen klaren Europa-Kurs der Ukraine und ein enges Verhältnis zu den USA. Das 2014 von der Ukraine unterzeichnete und ratifizierte Assoziierungsabkommen mit der EU ist zum Jahresbeginn 2016 in Kraft getreten und bildet die Grundlage der Beziehungen der Ukraine zur EU. Es sieht neben der gegenseitigen Marktöffnung die Übernahme rechtlicher und wirtschaftlicher EU-Standards durch die Ukraine vor. Das Verhältnis zu Russland ist für die Ukraine von zentraler Bedeutung. Im Vorfeld der ursprünglich für November 2013 geplanten Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens übte Russland erheblichen Druck auf die damalige ukrainische Regierung aus, um sie von der EU-Assoziierung abzubringen und stattdessen einen Beitritt der Ukraine zur Zollunion/Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft herbeizuführen. Nach dem Scheitern dieses Versuchs und dem Sturz von Präsident Janukowytsch verschlechterte sich das russisch-ukrainische Verhältnis dramatisch. In Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen und bilateraler Verträge annektierte Russland im März 2014 die Krim und unterstützt bis heute die bewaffneten Separatisten im Osten der Ukraine (AA 2.2017c).

Die sogenannten "Freiwilligen-Bataillone" nehmen offiziell an der "Anti-Terror-Operation" der ukrainischen Streitkräfte teil. Sie sind nunmehr alle in die Nationalgarde eingegliedert und damit dem ukrainischen Innenministerium unterstellt. Offiziell werden sie nicht mehr an der Kontaktlinie eingesetzt, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, eventuell auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von allerdings teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, Personen in der Konfliktregion unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).

Seit Ausbruch des Konflikts im Osten der Ukraine in den Regionen Lugansk und Donezk im April 2014 zählte das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der UN (OHCHR) 33.146 Opfer des Konflikts, davon

9.900 getötete und 23.246 verwundete Personen (inkl. Militär, Zivilbevölkerung und bewaffnete Gruppen). Der Konflikt wird von ausländischen Kämpfern und Waffen, die nach verschiedenen Angaben aus der Russischen Föderation in die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete (NGCA) gebracht werden, angeheizt. Zudem gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen sind betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Der bewaffnete Konflikt stellt einen Bruch des Internationalen Humanitären Rechts und der Menschenrechte dar. Der Konflikt wirkt sich auf die ganze Ukraine aus, da es viele Kriegsrückkehrern (vor allem Männer) gibt und die Zahl der Binnenflüchtlinge (IDPs) hoch ist. Viele Menschen haben Angehörige, die getötet oder entführt wurden oder weiterhin verschwunden sind. Laut der Special Monitoring Mission der OSZE sind täglich eine hohe Anzahl an Brüchen der Waffenruhe, die in den Minsker Abkommen vereinbart wurde, zu verzeichnen (ÖB 4.2017).

Russland kontrolliert das Gewaltniveau in der Ostukraine und intensiviert den Konflikt, wenn es russischen Interessen dient (USDOS 3.3.2017a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

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AA - Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

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AA - Auswärtiges Amt (2.2017c): Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

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ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

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USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 12.7.2017

2.1. Ostukraine

Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim durch Russland im März 2014 rissen pro-russische Separatisten in einigen Gebieten der Ost-Ukraine die Macht an sich und riefen, unterstützt von russischen Staatsangehörigen, die "Volksrepublik Donezk" und die "Volksrepublik Lugansk" aus. Der ukrainische Staat begann daraufhin eine sogenannte Antiterroroperation (ATO), um die staatliche Kontrolle wiederherzustellen. Bis August 2014 erzielten die ukrainischen Kräfte stetige Fortschritte, danach erlitten sie jedoch - bedingt durch militärische Unterstützung der Separatisten aus Russland - zum Teil schwerwiegende Verluste. Die trilaterale Kontaktgruppe mit Vertretern der Ukraine, Russlands und der OSZE bemüht sich darum, den militärischen Konflikt zu beenden. Das Minsker Protokoll vom 5. September 2014, das Minsker Memorandum vom 19. September 2014 und das Minsker Maßnahmenpaket vom 12. Februar 2015 sehen unter anderem eine Feuerpause, den Abzug schwerer Waffen, die Gewährung eines "Sonderstatus" für einige Teile der Ost-Ukraine, die Durchführung von Lokalwahlen und die vollständige Wiederherstellung der Kontrolle über die ukrainisch-russische Grenze vor. Die von der OSZE-Beobachtermission SMM überwachte Umsetzung, etwa des Truppenabzugs, erfolgt jedoch schleppend. Die Sicherheitslage im Osten des Landes bleibt volatil (AA 2.2017b).

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten der Oblaste Donezk und Lugansk haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Berichte der OSZE-Beobachtermission, von Amnesty International sowie weiteren NGOs lassen den Schluss zu, dass es nach Ausbruch des Konflikts im März 2014 in den von Separatisten kontrollierten Gebieten zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Dazu zählen extralegale Tötungen auf Befehl örtlicher Kommandeure ebenso wie Freiheitsberaubung, Erpressung, Raub, Entführung, Scheinhinrichtungen und Vergewaltigungen. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte spricht von einem "vollständigen Zusammenbruch von Recht und Ordnung", von einem "unter den Bewohnern vorherrschenden Gefühl der Angst, besonders ausgeprägt in der Region Lugansk", sowie einer durch "fortgesetzte Beschränkungen der Grundrechte, die die Isolation der in diesen Regionen lebenden Bevölkerung verschärft, sowie des Zugangs zu Informationen" gekennzeichneten Menschenrechtslage. Die Zivilbevölkerung ist der Willkür der Soldateska schutzlos ausgeliefert, Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit sind faktisch suspendiert. Nach UN-Angaben sind seit Beginn des bewaffneten Konflikts über 10.000 Menschen umgekommen. Es sind rund 1,7 Mio. Binnenflüchtlinge registriert und ca. 1,5 Mio. Menschen sind in Nachbarländer geflohen. Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt: Die Sicherheitslage hat sich verbessert, auch wenn Waffenstillstandsverletzungen an der Tagesordnung bleiben. Der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland) stockt jedoch trotz hochrangiger Unterstützung im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt neben den Lokalwahlen im besetzten Donbas der Dezentralisierungsprozess für den Donbas, den die Rada noch nicht abgeschlossen hat. In den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Gebiete Donezk und Lugansk wird die staatliche Ordnung erhalten oder wieder hergestellt, um Wiederaufbau sowie humanitäre Versorgung der Bevölkerung zu ermöglichen (AA 7.2.2017).

Die von Russland unterstützten Separatisten im Donbas verüben weiterhin Entführungen, Folter und unrechtmäßige Inhaftierung, rekrutieren Kindersoldaten, unterdrücken abweichende Meinungen und schränken humanitäre Hilfe ein. Trotzdem dies offiziell weiterhin abgestritten wird, kontrolliert Russland das Ausmaß der Gewalt in der Ostukraine und eskaliert den Konflikt nach eigenem politischen Gutdünken. Die separatistischen bewaffneten Gruppen werden weiterhin von Russland trainiert, bewaffnet, geführt und gegebenenfalls direkt im Einsatz unterstützt. Die Arbeit internationaler Beobachter wird dabei nach Kräften behindert. Geschätzte 70 Quadratkilometer landwirtschaftlicher Flächen in der Ostukraine wurden von den beiden Seiten vermint, speziell nahe der sogenannten Kontaktlinie. Diese Verminungen sind oft schlecht markiert und stellen eine Gefahr für Zivilisten dar. Bis zu 2.000 Zivilisten sollen im ostukrainischen Konfliktgebiet umgekommen sein, meist durch Artilleriebeschuss bewohnter Gebiete. Die Zahl derer, die durch Folter und andere Menschenrechtsverletzungen umgekommen sein dürften, geht in die Dutzende. 498 Personen (darunter 347 Zivilisten) bleiben vermisst. Die von Russland unterstützten Separatisten begingen systematisch zahlreiche Menschenrechtsverletzungen (Schläge, Zwangsarbeit, Folter, Erniedrigung, sexuelle Gewalt, Verschwindenlassen aber auch Tötungen) sowohl zur Aufrechterhaltung der Kontrolle als auch zur Bereicherung. Sie entführen regelmäßig Personen für politische Zwecke oder zur Erpressung von Lösegeld, besonders an Checkpoints. Es kommt zu willkürlichen Inhaftierungen von Zivilpersonen bei völligem Fehlen jeglicher rechtsstaatlicher Kontrolle. Diese Entführungen führen wegen ihrer willkürlichen Natur zu großer Angst unter der Zivilbevölkerung. Von einem "Kollaps von Recht und Ordnung" in den Separatistengebieten wird berichtet. Internationalen und nationalen Menschenrechtsbeobachtern wird die Einreise in die Separatistengebiete verweigert. Wenn Gruppen versuchen dort tätig zu werden, werden sie zum Ziel erheblicher Drangsale und Einschüchterung. Journalisten werden willkürlich inhaftiert und misshandelt. Die separatistischen bewaffneten Gruppen beeinflussen direkt die Medienberichterstattung in den selbsternannten Volksrepubliken. Freie (kritische) Meinungsäußerung ist nicht möglich. Da die separatistischen Machthaber die Einfuhr von humanitären Gütern durch ukrainische oder internationale Organisationen stark einschränken, sind die Anwohner der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk mit starken Preisanstiegen konfrontiert. An Medikamenten herrscht ein erheblicher Mangel. Das erschwert auch die Behandlung von HIV und Tuberkulose. Mehr als 6.000 HIV-positive Personen in der Region leiden unter dem Mangel an Medikamenten und Medizinern (USDOS 3.3.2017a).

In den ostukrainischen Konfliktgebieten begingen Berichten zufolge auch Regierungstruppen bzw. mit ihnen verbündete Gruppen Menschenrechtsverletzungen. Der ukrainische Geheimdienst (SBU) soll Personen geheim festhalten bzw. festgehalten haben (USDOS 3.3.2017a). Nach einem Bericht über illegale Haft und Folter, sowohl durch den ukrainischen SBU sowie durch prorussische Separatisten, reagierte im Juli 2016 der SBU mit der Entlassung von 13 Personen aus der Haft (die Illegalität der Haft wurde aber abgestritten). Von der separatistischen Seite ist nichts dergleichen berichtet, obwohl deren Vergehen viel zahlreicher waren (FH 1.2017; vgl. HRW 12.1.2017).

Trotz des Abkommens von Minsk ist in der Ostukraine immer noch kein tragfähiger Waffenstillstand zustande gekommen. Russland liefert weiterhin Waffen und stellt militärisches Personal als "Freiwillige". 2016 haben sich die lokalen Verwaltungen in den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk institutionell konsolidiert und der Aufbau russisch kontrollierter Staatsgebilde ist überwiegend abgeschlossen. Unabhängige politische Aktivitäten und politische Parteien sind jedoch verboten, NGOs arbeiten dort nicht, und eine freie Presse ist nicht vorhanden (FH 29.3.2017).

Nach wie vor kam es im Osten der Ukraine auf beiden Seiten zu sporadischen Verstößen gegen den vereinbarten Waffenstillstand. Sowohl die ukrainischen Streitkräfte als auch die pro-russischen Separatisten verübten Verletzungen des humanitären Völkerrechts, darunter Kriegsverbrechen wie Folter, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. In der Ukraine und den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk wurden Personen, die der Unterstützung der jeweils anderen Seite verdächtigt wurden, rechtswidrig inhaftiert, auch zum Zwecke des Gefangenenaustauschs. Sowohl seitens der ukrainischen Behörden als auch der separatistischen Kräfte im Osten der Ukraine kam es auf den von der jeweiligen Seite kontrollierten Gebieten zu rechtswidrigen Inhaftierungen. Zivilpersonen, die als Sympathisanten der anderen Seite galten, wurden als Geiseln für den Gefangenenaustausch benutzt. Wer für einen Gefangenenaustausch nicht in Frage kam, blieb häufig monatelang inoffiziell in Haft, ohne Rechtsbehelf oder Aussicht auf Freilassung. In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk setzten lokale "Ministerien für Staatssicherheit" die ihnen im Rahmen lokaler "Verordnungen" verliehenen Befugnisse dazu ein, Personen bis zu 30 Tage lang willkürlich zu inhaftieren und diese Haftdauer wiederholt zu verlängern. Die ukrainischen Behörden schränkten den Personenverkehr zwischen den von den Separatisten kontrollierten Regionen Donezk und Lugansk und den von der Ukraine kontrollierten Gebieten weiterhin stark ein (AI 22.2.2017).

In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk agieren lokale Sicherheitsdienste in einem vollkommenen rechtlichen Vakuum, wodurch die von ihnen festgenommenen Personen jeglicher Rechtssicherheit oder Beschwerdemöglichkeiten beraubt (HRW 12.1.2017).

In den von pro-russischen Kräften besetzten Gebieten im Osten der Ukraine kann in keinster Weise von einer freien, gar kritischen Presse die Rede sein. Die im Zuge der Annexion der Halbinsel Krim bzw. im Zuge der Kampfhandlungen im Osten bekanntgewordenen und nicht zuletzt durch OSZE-Beobachter wiederholt thematisierten Verschleppungen von Journalisten durch Separatisten sowie die Behinderung objektiver Berichterstattung gaben ebenfalls zu verstärkter Sorge Anlass (ÖB 4.2017).

Pro-russische Separatisten in der Ostukraine entführen, inhaftieren, schlagen und bedrohen Mitglieder der ukrainisch-orthodoxen Kirche Kiewer Patriarchats, Zeugen Jehovas und Angehörige protestantischer Kirchen. Auch antisemitische Rhetorik und Handlungen werden berichtet. Sie verwüsten oder beschlagnahmen weiterhin Kirchenvermögen und geben vor, nur "offizielle Kirchen" dürften tätig werden. Faktisch werden religiöse Gruppen außer der ukrainisch-orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats systematisch diskriminiert (USDOS 10.8.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336532/479204_de.html, Zugriff 1.6.2017

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FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/338537/481540_de.html, Zugriff 1.6.2017

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FH - Freedom House (1.2017): Freedom in the World 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336975/479728_de.html, Zugriff 22.6.2017

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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/334769/476523_de.html, Zugriff 6.6.2017

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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