Entscheidungsdatum
28.02.2019Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15Spruch
W144 2210471-1/8E
W144 2185470-1/16E
W144 2185080-1/19E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Huber als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , XXXX geb., 2.) XXXX , XXXX geb., 3.) XXXX , XXXX geb., alle StA. von Afghanistan, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.08.2018 (ad 1.) und vom 22.01.2018 (ad 2. und 3.), Zlen. XXXX (ad 1.), XXXX (ad 2.), XXXX (ad 3.), nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 29.11.2018 und am 14.02.2019 zu Recht erkannt:
A) Den Beschwerden wird stattgegeben und 1.) XXXX , 2.) XXXX und 3.)
XXXX jeweils gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005) idgF iVm § 2 Abs. 1 Z 15 AsylG 2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015 der Status von Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass damit 1.) XXXX , 2.) XXXX und 3.) XXXX kraft Gesetz die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die 1.-Beschwerdeführerin (1.-BF) ist die Mutter des 2.-Beschwerdeführers (2.-BF) und des 3.-Beschwerdeführers (3.-BF), alle sind Staatsangehörige von Afghanistan. Die Beschwerdeführer (BF) verließen ihren eigenen Angaben zufolge mit ihrer Familie ungefähr im Jahr 2003 Afghanistan und flüchteten in den Iran. Im September 2015 begaben sich die BF über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien und Ungarn nach Österreich, wo sie am 05.10.2015 Anträge auf internationalen Schutz stellten.
Im Verlauf ihrer Erstbefragung durch die Landespolizeidirektion Wien vom 25.10.2015 gab die 1.-BF neben ihren Angaben zum Reiseweg im Wesentlichen an, sie habe in Afghanistan zuletzt in XXXX gelebt. Sie habe keine Schulausbildung genossen und sei Analphabetin. In Afghanistan sei sie Hausfrau gewesen und ihre Familie habe den Lebensunterhalt durch die Arbeit ihres Sohnes bestritten. Aus Afghanistan sei sie vor zwölf Jahren wegen der Taliban geflüchtet, weil sie ihren Mann angeschossen hätten. Er sei danach, vor circa zehn Jahren, wegen der Verletzung im Iran gestorben. Im Iran hätten sie dann illegal gelebt. Ihre Kinder seien auf der Straße festgenommen worden; sie hätten ihre Namen aufgeschrieben und gewollt, dass ihre Kinder nach Syrien in den Krieg gehen. Im Falle einer Rückkehr würden ihre Kinder im Krieg getötet werden.
Der damals noch mj. 2.-BF und der schon volljährige 3.-BF erstatteten deckungsgleiche Angaben zum Reiseweg und zu den Vorfällen im Iran wie ihre Mutter.
Im Rahmen einer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 11.04.2018 brachte die 1.-BF im Wesentlichen vor, dass sie psychische Probleme habe und es ihr auch mit dem Herz nicht gut gehe. Sie stehe aktuell in Behandlung und nehme Medikamente ein. In Afghanistan habe sie keine Verwandten. Ihr Ehemann habe eine Schwester, die vier Söhne habe und in Daikundi lebe. Zum Fluchtgrund führte sie kurz zusammengefasst aus, ihr Ehemann habe Streit mit dem Mann seiner Schwester wegen eines Grundstücks gehabt; sie hätten sich geschlagen. Nach dem Streit habe dieser Mann die jüngere Tochter der 1.-BF wegnehmen wollen, er habe ihren Ehemann weiter geschlagen und das Haus niedergebrannt; auch sie sei mit dem Kolben des Gewehrs geschlagen worden. Sie seien in den Iran geflüchtet, wo ihr Ehemann verstorben sei. Der Ehemann der Schwester ihres Mannes sei damals auch verstorben. Einer seiner vier Söhne habe sie im Iran bedroht, weil ihr Ehemann seinen Vater umgebracht habe.
Der nunmehr volljährige 2.-BF gab bei seiner Einvernahme vor dem BFA am 21.12.2017 an, er sei gesund und nehme keine Medikamente. Seine Familie sei mit ihm in den Iran ausgereist, als er circa vier Jahre alt gewesen sei. Im Iran habe er vier Jahre die Schule besucht und gemeinsam mit seinem Bruder am Bau als Hilfsarbeiter gearbeitet. In Afghanistan würden eine Tante väterlicherseits und mehrere Cousins und Cousinen wohnen, aber sie hätten keinen Kontakt mit ihnen. Zum Grund, warum seine Familie Afghanistan verlassen habe, führte der 2.-BF aus, er kenne die Geschichte nicht besonders gut. Er wisse nur durch Erzählungen seiner Mutter, dass sie Probleme mit dem Sohn und auch der Familie seiner Tante väterlicherseits gehabt hätten. Sie hätten ihnen ihr Land wegnehmen und seine Schwester mit dem Sohn seiner Tante verheiraten wollen. Sein Vater und seine Schwester seien gegen die Heirat gewesen, weshalb sie Probleme bekommen hätten. Sein Vater sei am Fuß angeschossen worden, mehrere Personen seien in ihr Zuhause gestürmt und hätten seine Schwester mitnehmen wollen. Es habe ein Feuer gegeben und das Haus habe gebrannt. Sein Vater habe danach Verbrennungen an den Händen und am Gesicht gehabt.
Der 3.-BF gab bei seiner Einvernahme vor dem BFA am 21.12.2017 an, er sei gesund und nehme keine Medikamente. Er sei in der Region Daikundi geboren, habe dort bis zu seinem sechsten Lebensjahr gelebt und sei danach mit seiner Familie in den Iran geflohen. Im Iran habe er zwei Jahre lang die Koranschule besucht und als Bauhilfsarbeiter sowie als Verkäufer für Obst und Kleidung gearbeitet. In Afghanistan würden Cousins und Cousinen von seiner Tante väterlicherseits wohnen, zu denen er keinen Kontakt habe. Zum Grund, warum seine Familie Afghanistan verlassen habe, führte er aus, einer der Söhne seiner Tante väterlicherseits habe seine Schwester heiraten wollen und sie hätten mehrmals um ihre Hand angehalten, doch sein Vater sei dagegen gewesen. Ein anderer Mann habe um ihre Hand angehalten und sein Vater habe zugestimmt. Daraufhin sei sein Cousin zu ihnen gekommen und habe sie bedroht. Sein Vater sei eines Abends angeschossen worden und Tage später seien Personen zu ihnen nach Hause gekommen, die seine Schwester mitnehmen hätten wollen und seine Mutter sowie seine Schwester geschlagen hätten. Sie seien dann gegangen, hätten sie aber weiter damit bedroht, dass sie ihnen das Land wegnehmen und die Schwester samt ihrem Mann umbringen würden, wenn die Schwester einen anderen Mann heiraten würde.
In einer schriftlichen Stellungnahme vom 23.04.2018 wurde betreffend die 1.-BF im Wesentlichen vorgebracht, dass sie im Falle einer Rückkehr die Ermordung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Familie ihres Mannes befürchte. Zahllose Berichte sowie die UNHCR-Richtlinien würden bestätigen, dass Blutrache in Afghanistan noch üblich und gängige Praxis sei. Sie sei eine alte, kranke Frau, die in Afghanistan über kein familiäres Netz verfüge. Sie könnte weder in der Heimatprovinz Daikundi noch in Kabul oder einem anderen Teil Afghanistans Schutz finden.
2. Das BFA wies sodann mit Bescheiden vom 22.08.2018 (betreffend die 1.-BF) und vom 22.01.2018 (betreffend den 2.-BF und den 3.-BF) die Anträge der BF auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 idgF (Spruchpunkte I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkte II.). Unter einem wurden Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkte III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG idgF Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG idgF erlassen (Spruchpunkte IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebungen gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig seien (Spruchpunkte V.), und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise jeweils mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen festgesetzt (Spruchpunkte VI.).
Begründend wurde betreffend die 1.-BF zu Spruchpunkt I. im Wesentlichen ausgeführt, dass das Vorbringen in Bezug auf den Iran nicht asylrelevant sei, weil sich die begründete Furcht vor Verfolgung auf jenes Land beziehen müsse, dessen Staatsangehörigkeit der Asylwerber besitze. Die geltend gemachte Bedrohung durch den Schwager der 1.-BF sei, selbst wenn ihre Aussagen gewissermaßen glaubwürdig wären, keinesfalls im Hinblick auf die GFK relevant. Es stünde der 1.-BF frei, im Falle einer solchen Bedrohung die heimatlichen Behörden zu kontaktieren. Zudem stehe ihr die Möglichkeit offen, sich an einen anderen Ort in ihrem Herkunftsstaat zu begeben, um ihren Problemen zu entgehen, zumal in Afghanistan kein Meldewesen existiere und es äußerst unwahrscheinlich sei, dass sie ihr Schwager suchen und finden würde. Die geschilderte Bedrohung sei eine Bedrohung durch Dritte, die keinesfalls Rückschlüsse auf eine landesweite Vernetzung zulasse; eine Verfolgung über die Grenzen der Heimatprovinz hinaus sei demnach nicht gegeben.
Betreffend den 2.-BF und den 3.-BF legte das BFA zu den Spruchpunkten I. dar, die von ihnen geschilderten Vorfälle in Afghanistan hätten sich vor circa 16 Jahren ereignet und würden jeglicher Aktualität entbehren. Sie seien bei der Ausreise aus Afghanistan noch Kinder gewesen und selbst von keinen Bedrohungen gegen ihre Person betroffen gewesen. Überdies handle es sich um private, familiäre Streitigkeiten, die nicht geeignet seien, eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne der GFK zu begründen. Es sei nicht wahrscheinlich, dass sie in ihrer Heimat Gefahr laufen würden, persönlich und konkret aufgrund der bereits Jahre zurückliegenden angeblichen Feindschaft ihres Vaters mit dessen Schwester verfolgt bzw. bedroht zu werden. Zudem stehe ihnen eine innerstaatliche Fluchtalternative durch Wohnsitzverlegung in eine andere Provinz oder eine Großstadt, wie zum Beispiel Kabul, Herat oder Mazar-e-Sharif, offen.
Die Bescheide wurden der 1.-BF am 27.08.2018, dem 2.-BF und dem 3.-BF am 26.01.2018 durch Hinterlegung zugestellt.
3. Gegen diese Bescheide richten sich die fristgerecht durch die Rechtsvertretung des 2.-BF und des 3.-BF eingebrachten und ex lege auch für die 1.-BF erhobenen Beschwerden, in welchen nach Wiederholung des Vorbringens vor dem BFA im Wesentlichen geltend gemacht wird, dass eine asylrelevante Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure gegeben sei, zumal der Staat Afghanistan die BF mangels staatlicher Schutzmechanismen und Strukturen nicht vor privaten Akteuren schützen könne. Zudem stehe ihnen angesichts der prekären Sicherheitslage und der persönlichen Umstände keine zumutbare inländische Fluchtalternative zur Verfügung.
Mit zwei Schreiben jeweils vom 09.05.2018, eingelangt am 14.05.2018, machte der 2.-BF geltend, dass er im Zeitpunkt der Asylantragstellung noch minderjährig und ledig gewesen sei, weshalb das BFA sein Verfahren und das Verfahren seiner Mutter unter einem als Familienverfahren gemäß § 34 AsylG 2005 führen hätte müssen; der 3.-BF monierte die Heranziehung veralteter und unvollständiger Länderberichte und brachte im Wesentlichen vor, dass ihm Blutrache aufgrund der Zugehörigkeit zur Familie seines Vaters drohe und eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zur Verfügung stehe.
In einem weiteren Schreiben vom 26.11.2018 wurde erneut auf die Anwendung der Bestimmungen des Familienverfahrens verwiesen und vorgebracht, dass die 1.-BF als alte, verwitwete, kranke und traumatisierte Frau in Afghanistan zu einem ganz besonders vulnerablen Personenkreis zähle, dass sie und ihre Söhne den Risikoprofilen der schiitischen Hazara sowie in Blutfehden verwickelte Personen entsprechen würden und dass die 1.-BF überdies als psychisch Erkrankte unter ein weiteres Risikoprofil falle. Unter einem wurden aktuelle ärztliche Befunde betreffend die 1.-BF und Integrationsunterlagen in Vorlage gebracht.
Das BFA wies mit Bescheid vom 28.11.2018, Zl. XXXX , den Antrag der 1.-BF auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 14.11.2018 gemäß § 33 Abs. 3 VwGVG zurück, weil der zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährige 2.-BF rechtzeitig Beschwerde erhoben habe und diese Beschwerde wegen des Vorliegens eines Familienverfahrens gemäß § 16 Abs. 3 BFA-VG ex lege auch für die 1.-BF gelte.
Nachdem am 29.11.2018 betreffend den 2.-BF und den 3.-BF eine mündliche Beschwerdeverhandlung abgehalten worden war, mit Schreiben vom 11.12.2018 (eingelangt am 14.12.2018) sowie vom 13.02.2019 medizinische Unterlagen betreffend die 1.-BF in Vorlage gebracht worden waren und mit Schreiben vom 11.02.2019 im Wesentlichen vorgebracht worden war, dass dem 3.-BF eine Rückkehr in die Heimatprovinz Daikundi nicht möglich sei und ihm mangels einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Herat oder Mazar-e-Sharif zumindest der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen sei, fand am 14.02.2019 (betreffend alle BF) eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, in welcher die 1.-BF zu ihrem Fluchtgrund befragt und auf die weitere Befragung des 2.-BF und des 3.-BF verzichtet wurde. Zudem brachten die BF Integrationsunterlagen und eine schriftliche Stellungnahme betreffend die Asylrelevanz des Vorbringens der 1.-BF in Vorlage.
In einer schriftlichen Stellungnahme vom 15.2.2019 betreffend die 1.-BF wurde im Wesentlichen unter Verweis auf das Gutachten von Friedericke Stahlmann vom 28.03.2018, ein ExpertInnengespräch von UNHCR am 12.03.2018 und eine Stellungnahme von Amnesty International vom 05.02.2018 geltend gemacht, dass sich die Sicherheitslage in den letzten Monaten erheblich verschlechtert habe und derzeit aufgrund der bloßen Anwesenheit in einer der afghanischen Großstädte von einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK auszugehen sei. Zudem würde eine Rückkehr nach Mazar-e Sharif oder Herat aufgrund der anhaltenden Dürre, der daraus resultierenden Landflucht und des erhöhten Bedarfs an Lebensmitteln, Arbeit und Wohnraum unzumutbar sein, wie sich aus ACCORD-Anfragebeantwortungen vom 12.10.2018 und vom 07.12.2018 sowie einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des BFA vom 13.09.2018 ergeben würde. Der 1.-BF, die einer engmaschigen medizinischen Betreuung bedürfe, sei eine innerstaatliche Fluchtalternative aufgrund ihrer physischen und psychischen Leiden nicht zumutbar. Die Söhne der 1.-BF, die Afghanistan als Kleinkinder verlassen hätten und im Iran aufgewachsen seien, hätten keinen Bezug zu Afghanistan, keine Kenntnis über die dort vorherrschenden Gegebenheiten und keine sozialen Kontakte oder familiäre Anknüpfungspunkte, weshalb sie bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan von unzumutbaren Härten betroffen wären.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Da der 2.-BF zum Zeitpunkt der Antragstellung auf internationalen Schutz noch minderjährig und auch ledig war, liegt hinsichtlich der 1.-BF und des 2.-BF ein Familienverfahren im Sinne des § 34 AsylG 2005 vor (siehe dazu auch VwGH 24.10.2018, Ra 2018/14/0040) . Das Verfahren des 3.-BF wurde aufgrund der Gleichgelagertheit der Fälle zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
1. Feststellungen:
1.1. Zu den BF und ihren Fluchtgründen:
Die 1.-BF ist die Mutter des 2.-BF und des 3.-BF. Die BF sind Staatsangehörige von Afghanistan, gehören der Volksgruppe der Hazara an und bekennen sich zum schiitischen Glauben.
Die BF stammen aus der Provinz Daikundi. Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt kam es zu Grundstücksstreitigkeiten zwischen der Familie der BF und der Familie der Schwester des Ehemanns der 1.-BF (Schwägerin der 1.-BF). Zudem gab es Streit, weil ein Sohn der Schwägerin der 1.-BF mehrmals um die Hand einer Tochter der 1.-BF anhielt, der Ehemann der 1.-BF die Heirat jedoch ablehnte. Im Zuge dieser Streitigkeiten wurde der Ehemann der 1.-BF angeschossen und der Ehemann der Schwägerin der 1.-BF kam ums Leben. In einer Nacht wurde seitens der Familie der Schwägerin der 1.-BF versucht, die Tochter der 1.-BF zu entführen; die BF wurden geschlagen; ihr Haus wurde angezündet und niedergebrannt. Nach diesem Vorfall flüchteten die BF mit ihrer Familie im Jahr 2003 aus Afghanistan in den Iran, wo sie sich illegal aufhielten und wo der Ehemann der 1.-BF seinen Verletzungen erlag. Ein Sohn der Schwägerin der 1.-BF bedrohte die 1.-BF im Iran, dass er sie und ihre Söhne töten würde, wenn sie nach Afghanistan zurückkehren würden. Die Söhne der Schwägerin der 1.-BF leben im Heimatdorf der BF in der Provinz Daikundi.
Die BF verließen im Jahr 2015 den Iran, weil versucht worden war, den 2.-BF und den 3.-BF für den Krieg in Syrien zu rekrutieren, und sie begaben sich nach Österreich, wo sie am 05.10.2015 Anträge auf internationalen Schutz stellten.
Bei der 1.-BF wurden Hypothyreose, Diabetes Mellitus, Hypertonie, Carotisplaque ohne hämodynamische Relevanz, minimale Mitralinsuffizienz, Aortenklappensklerose, Relaxationsstörung, Aortenklappeninsuffizienz, Struma Multinodosa, Linksventrikelhypertrophie, Leberzyste, Pankreaslipomatose und Gastritis diagnostiziert. Sie leidet unter chronischen Schmerzen einschließlich atypischen Thoraxschmerzen. In psychischer Hinsicht liegt bei der 1.-BF eine rezidivierende depressive Störung ggw. mittelgradige Episode vor und es besteht ein Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung. Sie wird medikamentös behandelt und nimmt regelmäßig psychiatrische Behandlung in Anspruch. Zu Arztbesuchen und zum Einkaufen wird sie vom 3.-BF begleitet, weil sie über längere Distanzen nicht eigenständig gehen kann. Die 1.-BF ist Analphabetin und verfügt über keine Schulbildung. Sie ging niemals einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nach, sondern führte den Haushalt und kümmerte sich um ihre Kinder.
Die 2.- und 3.-BF sind gesund. Der 2.-BF besuchte im Iran vier Jahre lang die Koranschule und war als Hilfsarbeiter am Bau tätig. Der 3.-BF besuchte im Iran zwei Jahre lang die Koranschule und arbeitete als Bauhilfsarbeiter sowie Verkäufer für Obst und Kleidung. Im Iran leben ein Sohn und drei Töchter der 1.-BF samt deren Familien. Sie sind nicht in der Lage, die BF in finanzieller Hinsicht zu unterstützen.
In Österreich sind die BF strafgerichtlich unbescholten.
Eine Tochter der 1.-BF samt ihrem Ehemann und ihren in den Jahren XXXX und XXXX geborenen Kindern sowie ein Enkel der 1.-BF sind in Österreich als Asylwerber aufhältig. Die Beschwerdeverfahren betreffend diese Verwandten sind beim Bundesverwaltungsgericht anhängig und noch offen.
1.2. Zur allgemeinen Situation in Afghanistan wird Folgendes festgestellt:
Sicherheitslage
Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).
Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).
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(Darstellung Staatendokumentation beruhend auf den INSO-Zahlen aus den Jahren 2015, 2016, 2017).
Im Vergleich folgt ein monatlicher Überblick der sicherheitsrelevanten Vorfälle für die Jahre 2016, 2017 und 2018 in Afghanistan (INSO o.D.)
Bild kann nicht dargestellt werden (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO o.D.)
Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).
Bild kann nicht dargestellt werden. (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UNGASC 15.3.2016, UNGASC 9.3.2017, UNGASC 27.2.2018)
Es folgt ein Jahresvergleich der sicherheitsrelevanten Vorfälle, die von der UN und der NGO INSO in den Jahren 2015, 2016 und 2017 registriert wurden:
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(Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO (o.D.), UN GASC 15.3.2016, UNGASC 9.3.2017, UNGASC 27.2.2018)
Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).
Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht.Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).
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(Darstellung der Staatendokumentation)
Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).
Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch
gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).
Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele
Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).
Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).
Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).
Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).
Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).
* Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).
* Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)
* Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).
* Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).
* Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).
* Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden;
* unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).
* Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).
* Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).
* Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).
* Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).
* Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).
* Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:
Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).
Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten
Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)
Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).
Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit)
* Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).
* Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einem Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vgl. Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vgl. TG 20.5.2018) .
* Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Kart- e Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).
* Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul, als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vgl. TG 20.10.2017).
* Tötungen in Kandahar: Im Oktober 2017 bekannten sich die afghanischen Taliban zu der Tötung zweier religiöser Persönlichkeiten in der Provinz Kandahar. Die Tötungen legitimierten die Taliban, indem sie die Getöteten als Spione der Regierung bezeichneten (UNAMA 7.11.2017).
* Angriff auf schiitische Moschee: Am 2.8.2017 stürmten ein Selbstmordattentäter und ein bewaffneter Schütze während des Abendgebetes die schiitische Moschee Jawadia in Herat City; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet (BBC 3.8.2017; vgl. Pajhwok 2.8.2017). Insgesamt war von 100 zivilen Opfer die Rede (Pajhwok 2.8.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 3.8.2017).
* Entführung in Nangarhar: Die Taliban entführten und folterten einen religiösen Gelehrten in der Provinz Nangarhar, dessen Söhne Mitglieder der ANDSF waren - sie entließen ihn erst, als Lösegeld für ihn bezahlt wurde (UNAMA 7.11.2017).
* In der Provinz Badakhshan wurde ein religiöser Führer von den Taliban entführt, da er gegen die Taliban predigte. Er wurde gefoltert und starb (UNAMA 7.11.2017).
Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:
Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vgl. DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018). Es folgt eine Auflistung der größten Vorfälle:
* Bei einem Selbstmordanschlag auf ein für die Wahlregistrierung errichtetes Zelt vor einer Moschee in der Provinz Khost kamen Quellen zufolge am 6.5.2018 zwischen 13 und 17 Menschen ums Leben und mindestens 30 weitere wurden verletzt (DW 6.5.2018; vgl. Tolonews 6.5.2018, AJ 6.5.2018).
* Am 22.4.2018 kamen in der Nähe einer Behörde zur Wahlregistrierung in Pul-e-Khumri in der Provinz Baghlan sechs Menschen ums Leben und fünf weitere wurden verletzt; bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 22.4.2018; vgl. NZZ 22.4.2018).
* Am 22.4.2018 kamen vor einer Behörde zur Wahlregistrierung in Kabul 60 Menschen ums Leben und 130 wurden verletzt. Der Angriff fand im mehrheitlich aus ethnischen Hazara bewohnten Kabuler Distrikt Dacht-e-Barchi statt. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag, der gegen die "schiitischen Apostaten" gerichtet war (USIP 24.4.2018; vgl. Slate 22.4.2018).
Zivilist/innen
Bild kann nicht dargestellt werden (UNAMA 2.2018)
Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.2009- 31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA
2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).
Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im
Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht- ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).
Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).
Konkrete Informationen zu Zahlen und Tätern können dem Subkapitel "Regierungsfeindliche Gruppierungen" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.
Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% Gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen
125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte), und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).
Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre viertel-jährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u. a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).
Im gesamten Jahr 2017 wurden 3.484 zivile Opfer (823 Tote und 2.661 Verletzte) im Rahmen von 1.845 Bodenoffensiven registriert - ein Rückgang von 19% gegenüber dem Vorjahreswert aus 2016 (4.300 zivile Opfer, 1.072 Tote und 3.228 Verletzte in 2.008 Bodenoffensiven). Zivile Opfer, die aufgrund bewaffneter Zusammenstöße zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Kräften zu beklagen waren, sind zum ersten Mal seit 2012 zurückgegangen (UNAMA 2.2018).
Im Jahr 2017 forderten explosive Kampfmittelrückstände (Engl. "explosive remnants of war", Anm.) 639 zivile Opfer (164 Tote und 475 Verletzte) - ein Rückgang von 12% gegenüber dem Jahr 2016. 2017 war überhaupt das erste Jahr seit 2009, in welchem ein Rückgang verzeichnet werden konnte. Der Rückgang ziviler Opfer ist möglicherweise u.a. auf eine Verminderung des indirekten Beschusses durch Mörser, Raketen und Granaten in bevölkerten Gegenden von regierungsfreundlichen Kräfte zurückzuführen (UNAMA 2.2018).
Weiterführende Informationen zu den regierungsfreundlichen Gruppierungen können dem Kapitel
5. "Sicherheitsbehörden" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.
Regierungsfeindliche Gruppierungen:
Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:
das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer
einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).
Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).
Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).
Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).
Taliban
Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-
Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF- Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).
Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurde. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018).
Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US- amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friendens- Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden (NYT 27.3.2018).
Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen (FAZ 19.10.2017; vgl. Pajhwok 13.3.2018). Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben (FAZ 19.10.2017). Auch ist es sehr schwierig Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren - dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS (AAN 5.2.2018).
IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh
Höchst umstritten ist von Expert/innen die Größe und die Gefahr, die vom IS ausgeht. So wird von US-amerikanischen Sicherheitsbeamten und weiteren Länderexpert/innen die Anzahl der IS- Kämpfer in Afghanistan mit zwischen 500 und 5.000 Kämpfern beziffert. Jeglicher Versuch die tatsächliche Stärke einzuschätzen, wird durch den Umstand erschwert, dass sich die Loyalität der bewaffneten radikalen Islamisten oftmals monatlich oder gar wöchentlich ändert, je nach ideologischer Wende, Finanzierung und Kampfsituation (WSJ 21.3.2018). Auch wurde die afghanische Regierung bezichtigt, die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan aufzublasen (Tolonews 10.1.2018). Zusätzlich ist wenig über die Gruppierung und deren Kapazität, komplexe Angriffe auszuführen, bekannt. Viele afghanische und westliche Sicherheitsbeamte bezweifeln, dass die Gruppierung alleine arbeitet (Reuters 9.3.2018).
Die Fähigkeiten und der Einfluss des IS sind seit seiner Erscheinung im Jahr 2015 zurückgegangen. Operationen durch die ANDSF und die US-Amerikaner, Druck durch die Taliban und Schwierigkeiten die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu gewinnen, störten das Wachstum des IS und verringerten dessen Operationskapazitäten. Trotz erheblicher Verluste von Territorium, Kämpfern und hochrangigen Führern, bleibt der IS nach wie vor eine Gefährdung für die Sicherheit in Afghanistan und in der Region. Er ist dazu in der Lage, öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) in städtischen Zentren zu verüben (USDOD 12.2017). Der IS hat sich nämlich in den vergangenen Monaten zu einer Anzahl tödlicher Angriffe in unterschiedlichen Teilen des Landes bekannt - inklusive der Hauptstadt. Dies schürte die Angst, der IS könne an Kraft gewinnen (VoA 10.1.2018; vgl. AJ 30.4.2018). Auch haben örtliche IS-Gruppen die Verantwortung für Angriffe auf Schiiten im ganzen Land übernommen (USDOD 12.2017).
Im Jahr 2017 wurden dem IS 1.000 zivile Opfer (399 Tote und 601 Verletzte) zugeschrieben sowie die Entführung von 81 Personen; er war damit laut UNAMA für 10% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich - eine Zunahme von insgesamt 11% im Vergleich zum Jahr 2016. Im Jahr 2017 hat sich der IS zu insgesamt 18 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen oder zivile Objekte bekannt (UNAMA 2.2018); er agiert wahllos - greift Einrichtungen der afghanischen Regierung und der Koalitionskräfte an (AAN 5.2.2018), aber auch ausländische Botschaften (UNAMA 2.2.018). Fast ein Drittel der Angriffe des IS zielen auf schiitische Muslime ab (UNAMA 2.2018; vgl. AAN
5.2.2018) - sechs Angriffe waren auf schiitische Glaubensstätten (UNAMA 2.2018). Der IS begründet seine Angriffe auf die schiitische Gemeinschaft damit, dass deren Mitglieder im Kampf gegen den IS im Mittleren Osten involviert sind (AAN 5.2.2018).
Zusätzlich dokumentierte die UNAMA im Jahr 2017 27 zivile Opfer (24 Tote und drei Verletzte) sowie die Entführung von 41 Zivilist/innen, die von selbsternannten IS-Anhängern in Ghor, Jawzjan und Sar-e Pul ausgeführt wurden. Diese Anhänger haben keine offensichtliche Verbindung zu dem IS in der Provinz Nangarhar (UNAMA 2.2018).
Der IS rekrutierte auf niedriger Ebene und verteilte Propagandamaterial in vielen Provinzen Afghanistans. Führung, Kontrolle und Finanzierung des Kern-IS aus dem Irak und Syrien ist eingeschränkt, wenngleich der IS in Afghanistan nachhaltig auf externe Finanzierung angewiesen ist, sowie Schwierigkeiten hat, Finanzierungsströme in Afghanistan zu finden. Dieses Ressourcenproblem hat den IS in einen Konflikt mit den Taliban und anderen Gruppierungen gebracht, die um den Gewinn von illegalen Kontrollpunkten und den Handel mit illegalen Waren wetteifern. Der IS bezieht auch weiterhin seine Mitglieder aus unzufriedenen TTP-Kämpfern (Tehreek-e Taliban in Pakistan - TTP), ehemaligen afghanischen Taliban und anderen Aufständischen, die meinen, der Anschluss an den IS und ihm die Treue zu schwören, würde ihre Interessen vorantreiben (USDOD 12.2017).
Auch ist der IS nicht länger der wirtschaftliche Magnet für arbeitslose und arme Jugendliche in Ostafghanistan, der er einst war. Die Tötungen von IS-Führern im letzten Jahr (2017) durch die afghanischen und internationalen Kräfte haben dem IS einen harten Schlag versetzt, auch um Zugang zu finanziellen Mitteln im Mittleren Osten zu erhalten. Finanziell angeschlagen und mit wenigen Ressourcen, ist der IS in Afghanistan nun auf der Suche nach anderen Möglichkeiten des finanziellen Überlebens (AN 6.3.2018).
Haqqani-Netzwerk
Der Gründer des Haqqani-Netzwerkes - Jalaluddin Haqqani - hat aufgrund