TE Vwgh Erkenntnis 1999/3/8 98/01/0240

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Veröffentlicht am 08.03.1999
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Böhm, über die Beschwerde des B G in S, vertreten durch Dr. Rudolf Franzmayr, Rechtsanwalt in Vöcklabruck, Stadtplatz 32, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 10. Februar 1998, Zl. 200.327/0-IV/10/98, (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein jugoslawischer Staatsangehöriger albanischer Nationalität aus dem Kosovo, der am 20. April 1997 in das Bundesgebiet eingereist ist und am folgenden Tag einen Asylantrag gestellt hat, hat bei seiner Vernehmung durch das Bundesasylamt am 22. April 1997 zu seinen Fluchtgründen im wesentlichen folgendes angegeben:

Er sei in seiner Heimat nicht Mitglied einer politischen Partei. Am 21. Jänner 1997 habe er sich in einem Linienbus von Pristina nach Mramor befunden. Dieser Bus sei von vier Polizisten angehalten und die Fahrgäste seien kontrolliert worden. Der Beschwerdeführer sei zur Polizeistation nach Gracanec gebracht worden. Es sei ihm vorgehalten worden, Mitglied der Befreiungsarmee des Kosovo zu sein. Er sei über die Organisation und Bewaffnung dieser Gruppierung befragt worden. Von den Insassen des Busses sei nur er verhaftet worden, weil es sich bei den anderen Personen hauptsächlich um ältere Leute gehandelt habe.

Der Beschwerdeführer habe die Fragen der Polizisten nicht beantworten können. Diese hätten deshalb zunächst gelacht und dann den Beschwerdeführer geschlagen. Es seien ihm viele Fragen gestellt worden, und er sei nach jeder Frage geschlagen worden. Man hätte ihm Ohrfeigen gegeben. Darüberhinaus sei er auch mit dem Gewehrkolben in den Bauch geschlagen worden. Auch in den Genitalbereich sei er geschlagen worden. Das Verhör habe insgesamt fünf Stunden lang gedauert. Es seien wechselnd zwischen zwei und bis zu 20 Polizisten im Verhörraum anwesend gewesen. Er habe die Fragen der Polizisten nicht beantworten können, weil er tatsächlich nicht Mitglied der Befreiungsarmee des Kosovo sei. Nach fünfstündiger Befragung sei er entlassen worden, wobei man ihm vorher gesagt habe, daß er nicht frei sei, sondern der Polizei ständig zur Verfügung stehen müsse.

Von den beim Verhör erlittenen Schlägen habe er Bauchschmerzen, Schwellungen an den Händen und blaue Flecken im Gesicht, jedoch keine Dauerfolgen davongetragen.

Anschließend habe er sich bis zu seiner Flucht etwa zweieinhalb Monate zu Hause aufgehalten. Einige Tage nach dem Vorfall hätten drei Polizisten sein Haus nach Dokumenten durchsucht. Im Zuge dieser erfolglosen Suche sei der Beschwerdeführer damit bedroht worden, daß er von der Polizei nicht in Ruhe gelassen werde und daß er ab nun "ihnen gehören würde". Er sei aufgefordert worden, innerhalb der nächsten beiden Wochen bei der Polizei zu erscheinen und eine Liste mit den Namen von Mitgliedern der Befreiungsarmee des Kosovo mitzubringen. Diese Hausdurchsuchung sei das einzige Mal gewesen, daß Polizisten in sein Haus gekommen seien. Der Aufforderung, neuerlich bei der Polizei zu erscheinen, sei er nicht nachgekommen, sondern geflüchtet. Bei einer Rückkehr in sein Heimatland befürchte er, wieder geschlagen zu werden. "Sie würden mich nicht erschießen, jedoch würden sie mich langsam töten, so wie es auch anderen Bewohnern im Kosovo ergeht."

Mit Bescheid vom 29. April 1997 hat das Bundesasylamt den Asylantrag abgewiesen.

In seiner dagegen gerichteten Berufung verwies der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen auf seine oben wiedergegebenen Aussagen.

Mit Bescheid vom 10. Februar 1998 hat der unabhängige Bundesasylsenat die Berufung gemäß § 7 Asylgesetz 1997 - AsylG, BGBl. I Nr. 76, abgewiesen und den vom Beschwerdeführer in der Berufung gestellten Eventualantrag auf Gewährung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß §§ 8 und 15 AsylG zurückgewiesen.

In der Begründung dieses Bescheides wertete die belangte Behörde die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen als glaubwürdig und stellte zusammengefaßt den diesem Vorbringen entsprechenden Sachverhalt fest.

Rechtlich vertrat sie - teilweise durch Verweis auf den erstinstanzlichen Bescheid - die Ansicht, daß es sich bei der Befreiungsarmee des Kosovo (UCK) um eine terroristische Organisation handle, welche strafbare Handlungen darstellende Aktivitäten gegen die serbische Staatsmacht, wie z.B. Bombenanschläge auf staatliche Einrichtungen mit Todesfolgen setze. Maßnahmen gegen den Beschwerdeführer aufgrund des Verdachtes der Mitgliedschaft zu dieser Organisation stellten sich daher als Schritte zur Aufklärung strafbarer Handlungen dar. Da der Beschwerdeführer tatsächlich nicht Mitglied der UCK sei und eine derartige Mitgliedschaft auch von der Polizei "letztendlich nicht angenommen wurde", habe er als unbeteiligte Person aus den Aktivitäten der Behörden gegen die UCK keine asylrelevante Verfolgung zu befürchten. Im Zuge von legalen Fahndungstätigkeiten der Behörden könne es zu vorläufigen Anhaltungen und Befragungen unbeteiligter Personen kommen, die jedoch nicht asylrelevant seien, wenn "keine personengerichtete, ernsthafte Verfolgung an eine solche Erstbefragung anschließt". Bei den Schlägen, die der Beschwerdeführer während des Verhörs erhalten habe, handle es sich um "Übermaßreaktionen einzelner Beamter, welche vom Staat in keiner Weise geduldet werden". Bei der Befürchtung des Beschwerdeführers, bei weiteren Verhören Schaden zu nehmen, handle es sich um eine bloße Vermutung, die nicht zur Asylgewährung führen könne. Untersuchungen und Hausdurchsuchungen im Rahmen der Ermittlungstätigkeit gegen die UCK stellten an sich keine asylrelevante Verfolgung dar. Es sei auch zu berücksichtigen, daß anläßlich der Kontrolle des Linienbusses "(offensichtlich aufgrund des Fahndungsmerkmals des Alters)" nur der Beschwerdeführer und nicht die älteren Fahrgäste zu einem Verhör mitgenommen worden seien.

Eine gegen die Person des Beschwerdeführers zielgerichtete Verfolgungshandlung aus Gründen, die in der Genfer Konvention als Asylgrund verankert seien, "konnte daher im Verfahrensergebnis nicht entnommen werden".

Über die ihrem Inhalt nach nur gegen die Abweisung des Asylantrages gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Entgegen der Ansicht der belangten Behörde kann aus dem festgestellten Sachverhalt nicht ohne weiteres der Schluß gezogen werden, daß es sich bei den Maßnahmen gegen den Beschwerdeführer nur um Schritte zur Aufklärung von - durch Mitglieder der UCK begangene - Straftaten handle. Nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid bestand seitens der staatlichen Behörden keine konkrete Verdachtslage gegen den Beschwerdeführer. Die Verhaftung des Beschwerdeführers erfolgte nur, weil er sich als einziger ethnischer Albaner im wehrfähigen Alter in dem von der Polizei kontrollierten Linienbus befand. Die belangte Behörde vertrat dazu die Auffassung, daß von der Polizei "letztendlich" eine Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur UCK nicht angenommen worden sei. Dennoch wurde der Beschwerdeführer wegen der ihm vorgeworfenen Mitgliedschaft zur UCK verhört; es wurde sein Haus durchsucht, und er wurde aufgefordert, sich neuerlich bei der Polizei zu melden. Unter diesen Umständen handelt es sich aber beim Verdacht der Mitgliedschaft zur UCK um eine bloße Unterstellung der Behörden. Die Maßnahmen gegen den Beschwerdeführer dienen somit nicht der Aufklärung von Straftaten, sondern beruhen auf anderen Gründen. Vor dem Hintergrund der allgemein bekannten Benachteiligungen der albanischstämmigen Zivilbevölkerung im Kosovo durch die von der serbischen Bevölkerungsgruppe dominierten Behörden kann es sich bei diesen anderen Gründen mangels gegenteiliger Anhaltspunkte nur um die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Zugehörigkeit zur albanischen Bevölkerungsgruppe in Verhinderung mit seinem Geschlecht und seinem Alter handeln. Die Festnahme, das Verhör (und die dabei erlittenen Mißhandlungen) sowie die Hausdurchsuchung und die neuerliche Vorladung des Beschwerdeführers beruhen daher entgegen der Ansicht der belangten Behörde auf asylrelevanten Gründen. Beim Verhör wurde der Beschwerdeführer oftmals in das Gesicht, auf die Hände, in den Bauch und in den Genitalbereich geschlagen. Teilweise wurde für die Schläge ein Gewehrkolben benutzt. Er erlitt Blutergüsse, Schwellungen und Bauchschmerzen und war anschließend nicht mehr in der Lage, zu Fuß nach Hause zu gehen. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes handelt es sich hiebei um Maßnahmen, die das für die Asylgewährung erforderliche Ausmaß der Intensität überschreiten. Der Beschwerdeführer konnte wegen der von den Beamten bei der Vernehmung und bei der Hausdurchsuchung ausgesprochenen Drohungen mit Grund damit rechnen, neuerlich mit asylrelevanter Intensität mißhandelt und verletzt zu werden, falls er sich auftragsgemäß zur Polizei begibt bzw. neuerlich aufgegriffen wird. Die Tatsache, daß die Polizisten anläßlich der Hausdurchsuchung gegen den Beschwerdeführer nicht tätlich wurden, läßt nicht den Schluß zu, daß der Beschwerdeführer bei einem weiteren (freiwilligen oder unfreiwilligen) Erscheinen auf der Polizeistation nicht wieder geschlagen worden wäre. Auch aus der Tatsache, daß nach der Hausdurchsuchung die Polizisten kein weiteres Mal zum Haus des Beschwerdeführers kamen, kann nicht auf mangelnde Verfolgungsgefahr geschlossen werden, ist doch der Beschwerdeführer kurze Zeit nach dieser Hausdurchsuchung geflohen und unmittelbar nach seiner Flucht vom Bundesasylamt vernommen worden.

Soweit die belangte Behörde die Ansicht vertrat, bei den Schlägen anläßlich des Verhörs des Beschwerdeführers handle es sich um "Übermaßreaktionen einzelner Beamter, welche vom Staat in keiner Weise geduldet werden", belastete sie ihren Bescheid (auch) mit einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weil sie diese Ansicht weder im angefochtenen Bescheid begründete noch dazu ein Ermittlungsverfahren unter Wahrung des Parteiengehörs durchführte.

Der angefochtene Bescheid war wegen der prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 8. März 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1998010240.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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