Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Dr. Gerhard Volk, Rechtsanwalt in Kapfenberg, wider die beklagten Parteien 1) R*****, 2) Ö*****, und 3) W*****, alle vertreten durch Dr. Gunter Griss, Rechtsanwalt in Graz, wegen Zahlung von 390.643,90 S sA, Leistung einer monatlichen Rente von 1.400 S und Feststellung (50.000 S), Revisionsstreitwert hinsichtlich der klagenden Partei 189.750 S bzw 101.550 S nach dem RAT und hinsichtlich der beklagten Parteien 102.463,75 S, infolge Revision der klagenden Partei und der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 1. März 1984, GZ 5 R 13/84-62, womit infolge Berufung der klagenden Partei und der beklagten Parteien das Urteil des Kreisgerichts Leoben vom 20. Oktober 1983, GZ 5 Cg 7/82-55, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Beiden Revisionen wird nicht Folge gegeben.
Ein Zuspruch von Kosten des Revisionsverfahrens findet nicht statt.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 23. 5. 1976 ereignete sich gegen 21:00 Uhr auf der Bundesstraße 306 im Gemeindegebiet von ***** auf Höhe des Hauses Bundesstraße 101 (Freilandgebiet) ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Halter und Lenker des Motorrades mit dem Kennzeichen ***** und der Erstbeklagte als Lenker des Sanitätskraftwagens mit dem Kennzeichen ***** beteiligt waren. Die Zweitbeklagte ist der Halter, die Drittbeklagte der Haftpflichtversicherer des letztgenannten Kraftfahrzeugs. Der Kläger stieß mit seinem Motorrad gegen den Sanitätskraftwagen, der vom Erstbeklagten im Rückwärtsgang aus der Hauseinfahrt auf die Bundesstraße gelenkt wurde. Der Kläger und eine Mitfahrerin wurden verletzt, beide Fahrzeuge beschädigt. Wegen dieses Verkehrsunfalls wurde der Erstbeklagte mit Urteil des Bezirksgerichts Kindberg vom 11. 8. 1976, U 782/76-9, des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 4 erster Fall StGB schuldig erkannt. Im Spruch dieses Strafurteils wurde ihm zur Last gelegt, durch unvorsichtiges Einfahren in die Bundesstraße den Zusammenstoß mit dem vom Kläger gelenkten Motorrad verschuldet zu haben. Ein gegen dieses Urteil erhobenes Rechtsmittel des Erstbeklagten blieb erfolglos.
Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte der Kläger aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall zuletzt (ON 53 S 271 f) die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von 390.643,90 S sA und einer monatlichen Rente von 1.400 S ab 1. 7. 1979; überdies begehrte er die Feststellung der Haftung der Beklagten zur ungeteilten Hand für alle künftigen Unfallschäden, wobei die Haftung der Drittbeklagten mit der Höhe der Haftpflichtversicherungssumme beschränkt sei. Das Kapitalbegehren des Klägers umfasst Schadenersatzansprüche an Schmerzengeld von 400.000 S, Verdienstentgang von 32.802,36 S, Fahrzeugschaden von 29.562,54 S, Kleiderschaden von 5.150 S, Ersatz für eine beschädigte Brille von 4.065 S und monatliche Zahlungen von je 1.400 S für die Zeit vom 1. 6. 1977 bis einschließlich Juni 1979; dabei ist berücksichtigt, dass der Kläger am 15. 1. 1982 eine Teilzahlung von 33.586 S erhielt und dass ihm mit Teilanerkenntnisurteil vom 22. 12. 1982 (ON 45) ein Betrag von 82.350 S sA zugesprochen wurde.
Im Revisionsverfahren ist noch die Frage der Schadensteilung strittig, ferner die Höhe des Schmerzengeldanspruchs des Klägers und sein im Kapitalbegehren enthaltener Anspruch auf monatliche Zahlungen von je 1.400 S für die Zeit vom 1. 6. 1977 bis einschließlich Juni 1979 sowie auf Leistung einer monatlichen Rente von 1.400 S ab 1. 7. 1979.
Der Kläger stützte sein Begehren dem Grunde nach auf die Behauptung, dass der Erstbeklagte den Unfall allein verschuldet habe, weil er unvorsichtig in die Bundesstraße eingefahren sei. Die Schwere der dem Kläger zugefügten Verletzungen und ihrer Folgen rechtfertige den Zuspruch eines Schmerzengeldes von 400.000 S. Anstelle einer angemessenen Entschädigung für die Behinderung des besseren Fortkommens durch den Verlust seines linken Unterschenkels begehre der Kläger für den Mehraufwand an Arbeitskraft und Energie zur Erzielung seines Einkommens infolge der unfallsbedingten Dauerfolgen eine abstrakte Rente. Sein Monatseinkommen betrage rund 7.000 S; davon begehre der in seiner Erwerbsfähigkeit um 40 % geminderte Kläger 20 %, also monatlich 1.400 S, und zwar für die Zeit vom 1. 6. 1977 bis einschließlich Juni 1979 in Form eines Kapitalbetrags (35.000 S), ab 1. 7. 1979 in Form einer monatlichen Rente.
Die Beklagten wendeten dem Grunde nach ein, dass den Kläger ein gleichteiliges Mitverschulden treffe (ON 45 S 241). Der Erstbeklagte habe vor Einfahrt in die Straße das von ihm gelenkte Fahrzeug angehalten und in beide Richtungen geblickt, habe aber keinen herankommenden Verkehr feststellen können. Der Kläger sei trotz Sehbehinderung mit Abblendlicht mit einer Geschwindigkeit von mehr als 90 km/h gefahren. Dabei sei er mit dem Motorrad in der Fahrbahnmitte gefahren und habe keine Reaktion gesetzt, obwohl er den Rettungswagen schon aus größerer Entfernung sehen habe können (ON 3). Dem Kläger gebühre nur ein Schmerzengeld von (ungekürzt) 230.000 S (ON 45 S 241). Ein Anspruch des Klägers auf Zahlung einer abstrakten Rente bestehe schon deshalb nicht, weil es an der Sicherungsfunktion einer solchen Rente fehle. Der Arbeitsplatz des Klägers als Badewärter bei der V***** sei nicht gefährdet. Ein Verdienstentgang entstehe ihm nicht und werde ihm nicht entstehen (ON 3).
Das Erstgericht entschied (im zweiten Rechtsgang), dass die Klagsforderung mit 175.138,25 S und die Gegenforderung der Beklagten (eine solche war gar nicht eingewendet worden) mit 3.771 S zu Recht besteht. Es verurteilte die Beklagten zur Zahlung von 171.367,25 S sA und gab dem Feststellungsbegehren des Klägers in Ansehung von drei Vierteln seiner künftigen Unfallschäden statt. Das Mehrbegehren des Klägers auf Zahlung eines weiteren Betrags von 219.276,65 S sA, auf Leistung einer monatlichen Rente von 1.400 S ab 1. 7. 1979 und sein Feststellungsmehrbegehren wies es ab.
Das Erstgericht stellte, soweit für die im Revisionsverfahren noch strittigen Fragen von Bedeutung, im Wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Die Unfallstelle liegt im Freilandgebiet; eine besondere Geschwindigkeitsbeschränkung besteht dort nicht. Der Erstbeklagte fuhr mit dem Rettungsfahrzeug, an dem das Blaulicht nicht eingeschaltet war, aus einer Hofausfahrt, von der aus in Richtung Osten Sicht auf die Bundesstraße auf etwa 300 m besteht, im Rückwärtsgang auf die Bundesstraße, wo er in einer Schrägstellung so stehenblieb, dass zwischen der linken vorderen Ecke des Rettungswagens und dem nördlichen Fahrbahnrand eine Durchfahrtslücke von 1,4 m verblieb. Zur gleichen Zeit näherte sich der Kläger, etwa im Bereich der Fahrbahnmitte fahrend, mit einer Geschwindigkeit von 80 bis 90 km/h aus Richtung Osten. Der Kläger hatte an seinem Motorrad das Scheinwerferlicht eingeschaltet. Er befand sich bei Beginn der Retourfahrt des Rettungswagens 170 bis 160 m von der späteren Unfallstelle entfernt. Der Kläger, der erst 63,1 m vor der Unfallstelle (3,3 Sekunden vor der Kollision) auf diese unklare Verkehrssituation mit einer Bremsung seines Motorrads und mit Auslenken nach rechts reagierte, obwohl er das Rettungsfahrzeug bereits 1,6 Sekunden früher in 100 m Entfernung von der Unfallstelle hätte bemerken können, stieß mit einer Restgeschwindigkeit von 40 km/h gegen die Front des Rettungsfahrzeugs und kam zu Sturz. Wenn der Kläger bereits bei erstmöglicher Sicht rund 100 m vom Rettungsfahrzeug entfernt den Bremsentschluss gefasst hätte, hätte er sein Motorrad über eine Strecke von 74,3 m anhalten können und wäre so vor dem quer über die Bundesstraße stehenden Rettungsfahrzeug zum Stillstand gekommen.
Der Kläger wurde nach dem Unfall in das Landeskrankenhaus ***** eingeliefert. Da eine Zerquetschung des linken Fußes und Unterschenkels vorlag und eine Erhaltung des Beines nicht möglich war, wurde gleich nach der Einlieferung eine Amputation vorgenommen. Überdies wies der Kläger eine starke Prellung der linken Schulter auf und es stellten sich Zeichen einer Achselnervenlähmung links ein. Am Kleinfinger der linken Hand bestand ein Bruch des Grundglieds. Überdies lag eine Rippenprellung vor. In den folgenden Tagen traten zunehmende peritoneale Reizerscheinungen auf, worauf der Bauch eröffnet wurde. Im Bauchraum befand sich Blut. Am Dünndarm zeigte sich eine Perforationsstelle, an der Milz ließ sich an zwei Stellen ein Einriss erkennen. Bei der anschließenden Entfernung der Milz wurde das Ende der Bauchspeicheldrüse beschädigt. Der Kläger erhielt nach Absaugen des Bluts einen Dauerkatheder. Der postoperative Verlauf war unkompliziert. Der Kläger konnte am 17. 7. 1976 in häusliche Pflege entlassen werden. Am 2. 1. 1977 wurde er im Rehabilitationszentrum ***** aufgenommen. Im Zuge der Physikotherapie wurde ihm eine Prothese angepasst.
Zusammenfassend erlitt der Kläger unfallsbedingt folgende Verletzungen: Eine Kopfprellung mit Hautabschürfungen im Gesicht und an der linken Schädelseite, eine Brustkorbprellung, eine Prellung der linken Schulter mit Achselnervlähmung, einen Bruch der Basis des Endglieds des fünften Fingers der linken Hand mit Strecksehnenausriss, ein stumpfes Bauchtrauma mit Zerreißung der Milz und Durchbohrung des Dünndarms und eine Zerquetschung des linken Fußes und Unterschenkels.
Bei der gerichtsärztlichen Untersuchung war folgendes Heilungsergebnis festzustellen:
Die Kopfprellung hinterließ keine Residuen; seitens der Hautabschürfungen im Gesicht blieben keine Narben zurück. Die Brustkorbprellung ist folgenlos abgeheilt. Lähmungserscheinungen in der linken Schulter konnten nicht mehr nachgewiesen werden. Am linken Kleinfinger ist eine unbedeutende Bewegungseinschränkung als Dauerfolge zurückgeblieben. Diese ist für die Gebrauchsfähigkeit der Hand unerheblich, verursacht aber Schmerzen, die die Möglichkeit einer Verschlechterung in sich bergen. Adhäsionsbeschwerden seitens der Dünndarmperforation und der Milzentfernung haben sich noch nicht eingestellt, können sich aber noch ausbilden. Die große Bauchwandnarbe hat zu kleineren Narbenbrüchen und einer Diastase der Streckmuskulatur sowie zu einem Nabelbruch geführt. Diese Unfallsfolgen sind als Dauerfolgen zu betrachten und bergen die Gefahr einer Verschlechterung in Zukunft in sich. Der Unterschenkelstumpf ist gut prothesenfähig. Die durch die Dauerfolgen bedingte Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist mit 60 % zu beurteilen.
Bei den unfallsbedingten Schmerzen ist die außerordentliche Schwere sowie die Ausdehnung der vielfältigen Unfallsverletzungen zu berücksichtigen. Durch die zahlreichen Trümmerbrüche und durch die umfangreichen Bauchverletzungen ist es zu qualvollen Wundschmerzen gekommen. Diese wurden durch operative Eingriffe ergänzt und erweitert. Im Zusammenhang mit dem Tragen einer Prothese traten Bewegungsschmerzen im linken Kniegelenk auf, die sich auch in Zukunft immer wieder einstellen werden. Postoperativ sind Narbenschmerzen vorgelegen. Die Narbenbrüche als Dauerfolgen vermögen durchaus zeitweilige kurzdauernde Schmerzen zu vermitteln. Die Wundschmerzen am linken Kleinfinger sind später in Entzündungsschmerzen übergegangen. Beschwerden sind auch heute durch die Bewegungseinschränkung des Kleinfingerendglieds vorhanden. Die Schulterprellung verursachte aufgrund ihrer Intensität lange Zeit hindurch Entzündungsschmerzen, später immer wiederkehrende Bewegungsschmerzen. Insgesamt hatte der Kläger vier Tage qualvolle Schmerzen, 20 Tage starke Schmerzen, 50 Tage mittelstarke Schmerzen und 150 Tage leichte Schmerzen zu ertragen.
Der Kläger ist seit dem Jahre 1954 bei der V***** beschäftigt. Zur Unfallszeit war er als Badewärter eingesetzt. Aufgrund der Unfallsfolgen verblieb er zunächst auf diesem Arbeitsplatz. Seit Dezember 1982 ist er als sogenannter „Springer“ im Fall von Urlaubs- und Krankenvertretungen eingesetzt. Er hat einen geschützten Arbeitsplatz.
Bevor der Kläger als Badewärter fungierte, war er „Adjustierer-Kalt“. Dabei handelte es sich um eine angelernte Tätigkeit im Zusammenhang mit der Fertigstellung eines Produkts. Es ist dabei notwendig, hie und da Fehler zu beheben, schlechte Teile wegzuschneiden, die richtige Länge des Produkts herzustellen und Ausschussware auszusondern. Als Adjustierer hatte er einen Stundenlohn von 40,60 S netto, als Badewärter einen solchen von 37,77 S. Der Kläger bezieht keine Unfallsrente. Die Tätigkeit im Bad ist insofern für ihn mit Beschwerden verbunden, als er infolge der Amputation starke Schweißausbrüche hat und für Lungenentzündungen anfällig ist.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im Wesentlichen dahin, dass der Erstbeklagte durch unvorsichtiges Reversieren mit dem von ihm gelenkten Fahrzeug in die Bundesstraße eine Vorrangverletzung begangen habe; dem stehe auf Seiten des Klägers eine Missachtung des Rechtsfahrgebots und eine Reaktionsverspätung gegenüber. Unter diesen Umständen sei eine Schadensteilung im Verhältnis von 3 : 1 zugunsten des Klägers vorzunehmen. Dem Kläger gebühre ein angemessenes Schmerzengeld von (ungekürzt) 350.000 S. Er habe keinen Anspruch auf eine abstrakte Rente, weil diese sowohl eine Sicherungsfunktion als auch eine Ausgleichsfunktion erfüllen müsse. Sie gebühre nicht, wenn sie nur eine dieser Funktionen erfülle. Der Kläger sei bereits vor dem Unfall als Badewärter eingesetzt gewesen. Dies zeige, dass er offenbar auf die Verwendung als „Adjustierer-Kalt“, in welcher Funktion er einen etwas höheren Stundenlohn gehabt habe, keinen ausschließlichen Anspruch gehabt habe. Da der Kläger auf einem geschützten Arbeitsplatz tätig sei, fehle für den Anspruch auf eine abstrakte Rente die dafür erforderliche Sicherungsfunktion.
Dieses Urteil wurde von beiden Streitteilen mit Berufung bekämpft. Mit dem angefochtenen Urteil gab das Berufungsgericht beiden Rechtsmitteln teilweise Folge. Es änderte die Entscheidung des Erstgerichts, die es im Umfang des Abspruchs über das Renten- und das Feststellungsbegehren bestätigte, im Umfang der Entscheidung über das Kapitalbegehren dahin ab, dass es dem Kläger einen Betrag von 168.737,75 S sA zusprach und sein auf Zahlung eines weiteren Betrags von 221.906,15 S sA gerichtetes Mehrbegehren abwies. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstands, über den es entschieden hat, zusammen mit dem in einem Geldbetrag bestehenden Teil 300.000 S übersteigt; dabei übersteige der von der Bestätigung betroffene Wert des Streitgegenstands in Ansehung des Feststellungsbegehrens 60.000 S nicht.
Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichts als unbedenklich und führte rechtlich im Wesentlichen aus, der Erstbeklagte habe durch das Ausfahren im Rückwärtsgang aus einem Privatgrundstück auf die Bundesstraße bei Dunkelheit und durch den vorzeitigen Abbruch dieses Verkehrsmanövers vor gänzlichem Erreichen der für seine Weiterfahrt in Aussicht genommenen südlichen Fahrbahnhälfte eine sehr gefährliche Verkehrslage geschaffen, für welches Verhalten er auch strafgerichtlich verurteilt worden sei. Es bedürfe somit zum Haftungsgrund der Beklagten keiner weiteren Ausführungen außer des Hinweises, dass unter den gegebenen Umständen die Nichtinanspruchnahme eines Einweisers im Sinne des § 13 Abs 3 StVO und die Vernachlässigung der Möglichkeit, das Rettungsfahrzeug schon im Hofraum zu wenden, um die Ausfahrt im Rückwärtsgang zu vermeiden, bei der Schadensteilung in Rechnung zu stellen seien.
Dem Kläger sei nur eine Reaktionsverspätung zur Last zu legen, nicht aber eine Verletzung des Rechtsfahrgebots, weil der Anstoß auch dann nicht unterblieben wäre, wenn er unter Einhaltung eines Mindestsicherheitsabstands von 1 m (zum rechten Fahrbahnrand) versucht hätte, die zwischen dem Rettungswagen und dem nördlichen Fahrbahnrand offengebliebene Durchfahrtslücke zu durchfahren.
Die vom Erstgericht vorgenommene Schadensteilung im Verhältnis von 3 : 1 zugunsten des Klägers sei unter diesen Umständen zu billigen.
Auch der Schmerzengeldzuspruch des Erstgerichts sei angemessen; ein weiterer Zuspruch wäre überhöht.
Dem Kläger stehe auch keine abstrakte Rente zu. Eine solche werde nur in jenen Ausnahmsfällen zuerkannt, in denen der Verletzte trotz körperlicher Dauerschäden leer ausgehen müsse, weil ihm derzeit und zufällig kein ziffernmäßig erfassbarer Verdienstentgang erwachsen sei. Der innere Zusammenhang mit dem tatsächlichen Verdienstentgang müsse gewahrt bleiben, da die rechtliche Grundlage im § 1325 ABGB liege. Es genüge daher nicht die bloße Minderung der Erwerbsfähigkeit schlechthin oder eine bloße Erschwernis der Arbeit. Es müsse vielmehr nach den konkreten Umständen des Einzelfalls eine Einkommensminderung zu erwarten oder doch wahrscheinlich sein. Der Verletzte müsse zur Erzielung desselben Arbeitserfolgs größere Anstrengungen zu erbringen haben, als dies ohne Unfallsfolgen der Fall wäre, wodurch die Möglichkeit einer früheren Erschöpfung seiner Arbeitskraft gegeben sei (Ausgleichsfunktion). Dazu müsse ferner die Gefahr der Benachteiligung im Wettbewerb mit gesunden Arbeitskräften gegeben sein (Sicherungsfunktion). Liege nur eine Voraussetzung vor, erfülle die abstrakte Rente nicht ihre erwähnte Aufgabe und es bestehe kein Anspruch darauf.
Der Kläger, der bereits vor dem Unfall als Badewärter gearbeitet habe, sei nach wie vor beim gleichen Dienstgeber beschäftigt und sei zunächst mit der gleichen Arbeit betraut worden. Sein Einsatz als sogenannter „Springer“ sei für die Beurteilung der beiden Funktionen nicht maßgebend. Er sei auf einem Arbeitsplatz im Sinne des Invalideneinstellungsgesetzes tätig und daher nur unter den dort normierten Voraussetzungen kündbar. Somit bestehe derzeit keine Gefahr eines Arbeitsplatzverlusts und einer Benachteiligung des Klägers dadurch, dass er bei der Bewerbung um einen neuen Arbeitsplatz in Konkurrenz mit gesunden Arbeitskräften treten müsste. Das Erstgericht habe daher mit Recht die Sicherungsfunktion verneint und das Rentenbegehren abgewiesen.
Gegen diese Entscheidung richten sich die Revisionen beider Streitteile. Der Kläger bekämpft sie im Umfang der Abweisung seines Kapitalbegehrens mit einem Betrag von 63.750 S sA und seines Rentenbegehrens mit monatlich 1.050 S aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil in diesem Umfang im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Die Beklagten bekämpfen die Entscheidung des Berufungsgerichts insoweit, als dem Kläger ein Betrag von mehr als 70.440,66 S sA zugesprochen und seinem Feststellungsbegehren in Ansehung von mehr als zwei Dritteln seiner künftigen Schäden stattgegeben wurde, gleichfalls aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Sie beantragen, das angefochtene Urteil in diesem Umfang im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.
Beide Streitteile haben Revisionsbeantwortungen mit dem Antrag erstattet, der Revision des Gegners nicht Folge zu geben.
Vorwegzunehmen ist, dass im vorliegenden Fall Aussprüche des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 und Abs 3 ZPO nicht zu erfolgen hatten, weil der in Geld bestehende von der Bestätigung betroffene Wert des Streitgegenstands den Betrag von 60.000 S übersteigt, der in Geld bestehende Teil des Streitgegenstands, über den das Berufungsgericht insgesamt entschieden hat, 300.000 S übersteigt und das Feststellungsbegehren des Klägers mit seinem Leistungsbegehren in einem engen tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang steht (vgl SZ 51/2; RZ 1978/95; 8 Ob 218, 219/83; 8 Ob 11/84; 8 Ob 33/84 ua). Die diesbezüglichen Aussprüche des Berufungsgerichts gelten daher als nicht beigesetzt (s dazu Petrasch in ÖJZ 1983, 201) und beide Revisionen sind im Sinne des § 502 Abs 4 Z 2 ZPO ohne die im § 503 Abs 2 ZPO normierte Beschränkung der Revisionsgründe zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Sachlich sind aber beide Revisionen nicht berechtigt.
1) Zur Schadensteilung:
Hier versuchen die Beklagten in ihrer Revision darzutun, dass das Mitverschulden des Klägers nicht mit einem Viertel, sondern mit einem Drittel zu bewerten sei.
Dem kann nicht gefolgt werden.
Der Erstbeklagte, der mit dem von ihm gelenkten Rettungsauto – es handelte sich dabei um kein Einsatzfahrzeug im Sinne des § 2 Abs 1 Z 25 StVO – aus einer Hauseinfahrt kam, war im Sinne des § 19 Abs 6 StVO gegenüber dem im fließenden Verkehr befindlichen Kläger benachrangt. Der Erstbeklagte war daher im Sinne des § 19 Abs 7 StVO verpflichtet, durch das Einordnen seines Fahrzeugs in den fließenden Verkehr den Kläger weder zu unvermitteltem Bremsen noch zum Ablenken seines Fahrzeugs zu nötigen. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen befand sich das Fahrzeug des Klägers bereits im Sichtbereich des Erstbeklagten, als dieser sein Einfahrmanöver in die Bundesstraße begann. Der Erstbeklagte, der den Verkehr auf der Bundesstraße in seiner tatsächlichen Gestaltung zu berücksichtigen hatte, hat durch seine von den Vorinstanzen festgestellte Fahrweise den Kläger zum unvermittelten Abbremsen und zum Auslenken seines Fahrzeugs genötigt und damit eindeutig den dem Kläger zustehenden Vorrang verletzt.
Was hingegen die Fahrweise des Klägers anlangt, hat das Berufungsgericht zutreffend erkannt, dass dem Umstand, dass er bei Annäherung an die Unfallstelle zunächst im Bereich der Fahrbahnmitte fuhr, keine entscheidende Bedeutung zukommt. Denn für den Kläger, der ja zunächst nicht wissen konnte, wie weit der Erstbeklagte mit dem Rettungsfahrzeug in die Bundesstraße einfahren werde, war zunächst gar nicht erkennbar, dass ihm nach dem Anhalten des Rettungsfahrzeugs im Zuge seines Reversiermanövers am rechten Fahrbahnrand eine Durchfahrtslücke von 1,4 m verbleiben werde. Für den Kläger kam es daher von vornherein nicht entscheidend auf eine bestimmte einzuhaltende Fahrlinie an, sondern darauf, sein Motorrad rechtzeitig vor dem in die Fahrbahn einfahrenden Rettungsfahrzeug, dessen weitere Bewegung er nicht vorhersehen konnte, anzuhalten. Unter diesen Umständen ist aber dem Kläger nur ein Verstoß gegen seine aus § 20 Abs 1 StVO abzuleitende Verpflichtung, auf das für ihn erkennbare verkehrswidrige Verhalten des Erstbeklagten rechtzeitig durch Herabsetzung seiner Fahrgeschwindigkeit zu reagieren, anzulasten, nicht aber noch zusätzlich ein Verstoß gegen das im § 7 StVO normierte Rechtsfahrgebot.
Da nach ständiger Rechtsprechung ein Verstoß gegen die Vorrangbestimmungen im Allgemeinen schwerer wiegt als andere Verkehrswidrigkeiten (8 Ob 286/82; 8 Ob 84/83; 8 Ob 16/84 uva) und die im vorliegenden Fall nach den Feststellungen der Vorinstanzen dem Kläger anzulastende Reaktionsverzögerung von 1,6 Sekunden nicht als besonders schwerwiegend anzusehen ist, können sich die Beklagten durch die von den Vorinstanzen vorgenommene Schadensteilung im Verhältnis von 3 : 1 zugunsten des Klägers nicht für beschwert erachten.
2) Zum Schmerzengeld:
Der Kläger versucht in seiner Revision darzutun, dass das ihm gebührende Schmerzengeld mit (ungekürzt) 400.000 S zu bemessen sei; demgegenüber stellen sich die Beklagten in ihrem Rechtsmittel auf den Standpunkt, dass dem Kläger nur ein Schmerzengeld von (ungekürzt) 250.000 S gebühre.
Wegen des engen sachlichen Zusammenhangs kann hier zu beiden Rechtsmitteln gleichzeitig Stellung genommen werden. Sie sind in diesem Umfang nicht berechtigt.
Der Kläger hat gemäß § 1325 ABGB Anspruch auf ein den erhobenen Umständen angemessenes Schmerzengeld. Dieses Schmerzengeld kann nur nach § 273 ZPO unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der körperlichen und seelischen Schmerzen des Verletzten sowie der Art und der Schwere seiner Verletzungsfolgen, nach freier Überzeugung des Gerichts global festgesetzt werden (8 Ob 308/81; 8 Ob 120/82; 8 Ob 153/83 uva).
Im vorliegenden Fall steht im Vordergrund, dass der Kläger durch den Unfall mehrfache schwere Verletzungen erlitten hat, die zur Amputation seines linken Unterschenkels und zur Notwendigkeit einer Bauchoperation, bei der unter anderem die Milz entfernt wurde, führten. Wenn auch der Heilungsverlauf den Umständen entsprechend im Wesentlichen unkompliziert war, kann doch nicht vernachlässigt werden, dass diese Verletzungen zu verhältnismäßig langdauernden teilweise qualvollen Schmerzen führten und dass der Kläger schließlich durch den Verlust seines linken Beines einen Dauerschaden erlitten hat, der sicher mit schwerwiegenden seelischen Beeinträchtigungen verbunden ist. Betrachtet man das Gesamtbild der im vorliegenden Fall dem Kläger zugefügten Verletzungen und ihrer Folgen, dann erscheint im Hinblick auf das Zusammentreffen der schweren Bein- und Bauchverletzungen und ihre Folgen ein Schmerzengeld von (ungekürzt) 350.000 S zur Abgeltung des dem Kläger zugefügten Ungemachs erforderlich, aber auch hinreichend. Es besteht daher kein Anlass zu einer Erhöhung oder Verminderung des Schmerzengeldzuspruchs der Vorinstanzen.
3) Zur abstrakten Rente:
Hier führt der Kläger in seiner Revision aus, dass ihm (im Hinblick auf die von den Vorinstanzen vorgenommene Schadensteilung) 75 % der begehrten und angemessenen abstrakten Rente zuzusprechen gewesen wären, und zwar sowohl für den Zeitraum vom 1. 6. 1977 bis einschließlich Juni 1979 in Form eines Kapitalbetrags von 26.250 S als auch für die Zeit ab 1. 7. 1979 in Form einer monatlichen Rente von 1.050 S.
Auch hier kann dem Kläger nicht gefolgt werden.
Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs steht dem Verletzten nicht die Wahl zu, entweder den konkreten Verdienstentgang ersetzt zu verlangen oder eine abstrakte Rente zu fordern (JBl 1966, 566; EvBl 1971/179; 8 Ob 71, 72/79; 8 Ob 99/83; 8 Ob 205/83 ua). Begehrt der Kläger den Zuspruch einer abstrakten Rente, so kommt nach ständiger Rechtsprechung der Zuspruch einer Rente, wegen eines konkreten Verdienstentgangs nicht in Betracht, weil diese Schadenersatzansprüche auf verschiedenen Rechtsgründen beruhen (JBl 1966, 566; EvBl 1971/179; ZVR 1982/140; 8 Ob 99/83; 8 Ob 205/83 ua).
Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bildet die abstrakte Rente eine Ausnahme für jene Härtefälle, in denen der Verletzte trotz eines körperlichen Dauerschadens leer ausgehen müsste, weil ihm zufällig und vorläufig kein ziffernmäßig erfassbarer Verdienstentgang erwachsen ist. Da der Zuspruch einer solchen Rente seine Grundlage in der Bestimmung des § 1325 ABGB hat, wonach der Schädiger bei Eintritt eines Dauerschadens des Geschädigten diesem auch den künftig entstehenden Verdienstentgang zu ersetzen hat, muss ein innerer Zusammenhang mit einem tatsächlichen Verdienstentgang gewahrt bleiben. Es genügt daher für den Anspruch auf eine solche Rente nicht eine Minderung der Erwerbsfähigkeit schlechthin oder eine bloße Erschwernis der Arbeit. Es muss vielmehr eine Einkommensminderung wegen der unfallsbedingten Verletzungen nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu erwarten oder doch wahrscheinlich sein (SZ 40/173; EvBl 1970/361; 8 Ob 177/76; 8 Ob 166/77; 8 Ob 5/81; 8 Ob 73/83 ua). Die abstrakte Rente hat nicht nur eine Ausgleichs-, sondern auch eine Sicherungsfunktion. Sie gebührt daher nicht, wenn sie im Einzelfall nur eine dieser Aufgaben erfüllt, sondern erst, wenn beide Voraussetzungen für den nach Schluss der Verhandlung in erster Instanz liegenden Zeitraum bejaht werden können (8 Ob 8/81; ZVR 1982/270; 8 Ob 73/83; 8 Ob 205/83 ua). Haben die Unfallsfolgen zu keiner Erwerbseinbuße des Geschädigten geführt, dann liegt es an ihm, konkrete Umstände zu behaupten und zu beweisen, die den Verlust seines Arbeitsplatzes und eine damit verbundene Einkommenseinbuße wahrscheinlich machen könnten; eine nicht ausschließbare allgemeine Möglichkeit künftiger Einkommenseinbußen genügt in diesem Zusammenhang nicht (ZVR 1977/232; 8 Ob 166/77; 8 Ob 184/78; 8 Ob 28/79; 8 Ob 5/81; 8 Ob 73/83; 8 Ob 205/83 ua).
Nach ständiger Rechtsprechung kann, ausgehend von ihrem Sicherungszweck, eine abstrakte Rente erst ab Schluss der Verhandlung in erster Instanz zugesprochen werden (ZVR 1967/216; EvBl 1972/2; 8 Ob 129/82 uva).
Geht man von diesen rechtlichen Grundsätzen aus, dann ergibt sich, dass die Vorinstanzen das Begehren des Klägers auf Zahlung einer abstrakten Rente mit Recht abgewiesen haben. Für den Zeitraum bis zum Schluss der Verhandlung in erster Instanz kam ein Zuspruch von Beträgen aus diesem Titel überhaupt nicht in Betracht. Dass dem Kläger konkret in absehbarer Zeit der Verlust seines derzeitigen Arbeitsplatzes drohe und dass er konkret in Gefahr laufe, auf dem freien Arbeitsmarkt mit gesunden Arbeitnehmern in Konkurrenz treten zu müssen, wurde weder behauptet noch festgestellt. Irgendein konkreter Umstand, der den derzeitigen Arbeitsplatz des Klägers als gefährdet erscheinen ließe, wurde nicht behauptet und ist nicht hervorgekommen. Unter diesen Umständen haben die Vorinstanzen zutreffend das Vorliegen der Sicherungsfunktion als Voraussetzung für die Zuerkennung einer abstrakten Rente verneint.
Soweit der Kläger in seinen Revisionsausführungen darzutun versucht, dass ihm ein konkreter Verdienstentgang entstanden sei, ist ihm zu entgegnen, dass im Sinne obiger Rechtsausführungen der Zuspruch einer Rente wegen eines konkreten Verdienstentgangs nicht in Betracht kommt, wenn die Leistung einer abstrakten Rente verlangt wurde.
Es erweisen sich somit die Revisionen beider Streitteile als unbegründet, sodass ihnen ein Erfolg versagt bleiben musste.
Die Kosten ihrer erfolglosen Rechtsmittel haben beide Streitteile selbst zu tragen. Wohl haben beide Streitteile im Sinne der §§ 41, 50 ZPO Anspruch auf Ersatz der Kosten ihrer Revisionsbeantwortungen. Da diese Kosten aber annähernd gleich sind, sind sie gegenseitig aufzuheben. Ein Zuspruch von Kosten des Revisionsverfahrens findet daher nicht statt.
Textnummer
E125106European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1984:0080OB00044.840.0906.000Im RIS seit
29.05.2019Zuletzt aktualisiert am
29.05.2019