TE Vwgh Erkenntnis 1999/3/9 97/01/0215

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Veröffentlicht am 09.03.1999
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §20 Abs1;
AVG §66 Abs4;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler und Dr. Rigler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Böhm, über die Beschwerde des A I in W, vertreten durch Dr. Heide Schubert, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Weyrgasse 5/9, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. August 1996, Zl. 4.338.838/7-III/13/96, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, der am 12. Mai 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 19. Mai 1992 einen Asylantrag gestellt hat, hat bei seiner niederschriftlichen Vernehmung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 10. Juni 1992 zu seinen Fluchtgründen im wesentlichen folgendes angegeben:

Er sei seit 1990 Mitglied der politischen Partei "SDP". Am 21. Februar 1992 habe er einen anonymen Anruf erhalten, in welchem ihm nahegelegt worden sei, am nächsten Tag nicht an seinem Arbeitsplatz als Elektroingenieur bei der Kommunikationsabteilung der Lokalregierung zu erscheinen. Der anonyme Anrufer habe ihm erklärt, daß bestimmte Parteiaktivitäten geplant wären, an denen der Beschwerdeführer als Mitglied der SDP nicht hätte teilnehmen dürfen. Die Mehrheit seiner Arbeitskollegen gehörten dem "NRC", einer konkurrierenden Partei, an. Am folgenden Tag sei der Vorsitzende der Lokalregierung, ebenfalls Mitglied des "NRC", in seinem Büro tot aufgefunden worden. Im Zuge der polizeilichen Untersuchungen betreffend dieses Attentat sei der Beschwerdeführer am 1. März 1992 festgenommen und am darauffolgenden Tag in ein Gefängnis nach Lagos überstellt worden. Dort sei er verhört worden, warum er am Tag des Attentates nicht bei seiner Arbeit erschienen sei. Er habe von dem anonymen Anruf erzählen wollen, es sei ihm jedoch nicht zugehört worden. Er sei des Mordes an dem Regierungsvorsitzenden verdächtigt worden, weil er Mitglied der "SDP" sei. Es sei ihm gesagt worden, daß er einem Tribunal vorgeführt werde. Auch andere Arbeitskollegen seien des Mordes verdächtigt worden. Der Beschwerdeführer sei völlig unschuldig und dennoch im Gefängnis angehalten worden. Nach etwa sechs Wochen sei ihm die Flucht aus dem Gefängnis gelungen. Bei einer Rückkehr nach Nigeria werde er im Falle eines Schuldspruches durch das Tribunal sicherlich zum Tod verurteilt werden.

Mit Bescheid vom 8. Juli 1992 hat die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich festgestellt, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei.

In seiner dagegen gerichteten Berufung verwies der Beschwerdeführer auf seine Angaben bei der Vernehmung und führte noch einmal aus, daß er nur wegen seiner Mitgliedschaft bei der "SDP" und seiner Abwesenheit vom Arbeitsplatz am Tag des Attentates des Mordes verdächtigt und verhaftet worden sei. Es nehme mit Sicherheit an, daß er bei einer Rückkehr nach Nigeria sofort verhaftet und von einem Tribunal zum Tod verurteilt werde. Weiters legte er der Berufung zwei Berichte einer nigerianischen Zeitung betreffend das Attentat auf den erwähnten Regierungsvorsitzenden und die Ermittlungen zur Aufklärung desselben bei.

Der Bescheid der belangten Behörde vom 10. März 1994, mit welchem diese Berufung abgewiesen worden war, wurde mit hg. Erkenntnis vom 20. Juni 1995, Zl. 94/19/1338, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben, weil die belangte Behörde anstelle des anzuwendenden Asylgesetzes (1968) bereits das Asylgesetz 1991 in der Fassung vor Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 1 leg. cit. durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94, angewendet hatte.

Mit Bescheid vom 29. August 1996 hat der Bundesminister für Inneres die Berufung neuerlich abgewiesen und festgestellt, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinn des Asylgesetzes (1998) sei.

In der Begründung führte die belangte Behörde aus, daß die Polizei den Beschwerdeführer nicht wegen seiner Mitgliedschaft bei der "SDP" sondern nur im Zuge der Ermittlungen zur Aufklärung des Mordes als Verdächtigen inhaftiert habe. Dies schloß die belangte Behörde ausschließlich daraus, daß nach den eigenen Angaben des Beschwerdeführers auch andere Mitarbeiter der Lokalregierung als Verdächtige festgenommen worden seien. Hätten die Behörden eine Verfolgung des Beschwerdeführers aus politischen Gründen im Auge gehabt, hätten sie von der Inhaftierung anderer Arbeitskollegen Abstand genommen. Dem Beschwerdeführer sei zuzumuten, sich dem Tribunal zu stellen und die gegen ihn bestehende Verdachtslage zu entkräften, zumal er sich ja zur Tatzeit nicht an seinen Arbeitsplatz aufgehalten habe. Die mit der Berufung vorgelegten Zeitungsartikeln hätten keinen Bezug zum Vorbringen des Beschwerdeführers. Da allgemeine Berichte zu keiner Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen könnten, sei darauf nicht bezug zu nehmen gewesen.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die Beschwerde wendet sich zunächst dagegen, daß die belangte Behörde den Inhalt des in erster Instanz erlassenen Bescheides unrichtig interpretiert habe.

Dieses Vorbringen geht schon deswegen ins Leere, weil die belangte Behörde den vorliegenden Fall gemäß § 66 Abs. 4 AVG selbständig - ohne Verweisung auf den Bescheid erster Instanz - beurteilt hat und nur die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheid verfahrensgegenständlich ist.

Der Beschwerdeführer hat ausgeführt, aufgrund seiner Mitgliedschaft bei der "SDP" und seines Fernbleibens vom Arbeitsplatz am Tag des Mordes an einem der konkurrierenden Partei angehörenden führenden Lokalpolitiker verdächtigt und verhaftet worden zu sein, obwohl er "völlig unschuldig" sei. Er hat sich somit ausreichend deutlich darauf berufen, daß er nicht (nur) zum Zweck der Aufklärung eines Verbrechens verhaftet worden sei, sondern die gegen ihn gerichteten Maßnahmen in Wahrheit auf seine politische Gesinnung abzielten.

Die belangte Behörde hat ihre Ansicht, daß es sich bei den Maßnahmen gegen den Beschwerdeführer nur um Ermittlungsakte handle, lediglich damit begründet, daß auch andere Personen verhaftet worden seien. Entgegen dieser Ansicht kann jedoch daraus, daß mehrere Personen verhaftet worden sind, nicht auf das diesen Verhaftungen zugrundeliegende Motiv geschlossen werden.

Mit der Berufung hat der Beschwerdeführer Zeitungsberichte vorgelegt, aus denen sich ergibt, daß im Zug der Aufklärung des Attentates jedenfalls auch der politische Kampf zwischen den Parteien "NCR" und "SDP" eine Rolle spielt.

Da sich diese Zeitungsberichte somit mit dem vom Beschwerdeführer konkret ins Treffen geführten Vorfall befassen, hätte sie die belangte Behörde nicht mit dem Hinweis, daß allgemeine Berichte die Flüchtlingseigenschaft nicht indizieren könnten, unbeachtet lassen dürfen.

Es sei hinzugefügt, daß der belangten Behörde - entgegen der Beschwerdemeinung - jedoch nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, daß sie den in der Zeitung enthaltenen Steckbrief betreffend eine nicht namentlich genannte Person nicht auf den Beschwerdeführer bezogen hat. Der Beschwerdeführer hat nämlich im Verwaltungsverfahren nie vorgebracht, steckbrieflich gesucht zu werden.

Soweit die belangte Behörde die Ansicht vertrat, dem Beschwerdeführer sei es zumutbar, sich dem Urteil des Tribunals zu stellen, ist ihr ebenfalls ein Verfahrensfehler unterlaufen. Aus dem gesamten Vorbringen des Beschwerdeführers in seinem Zusammenhang ergibt sich, daß er ein unfaires Gerichtsverfahren erwarte und fürchte, wegen seiner Zugehörigkeit zur "SDP" trotz seiner Unschuld zum Tod verurteilt zu werden. Er hat auch vorgebracht, daß während der Haft seine Ausführungen nicht angehört worden seien.

Im Hinblick auf die gegenteiligen Aussagen des Beschwerdeführers hätte die belangte Behörde aber nicht ohne Durchführung eines entsprechenden Ermittlungsverfahrens davon ausgehen dürfen, daß der Beschwerdeführer in Nigeria ein faires Gerichtsverfahren zu erwarten habe.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 9. März 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1997010215.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

01.01.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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