TE Vwgh Erkenntnis 1999/3/10 97/09/0242

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.03.1999
beobachten
merken

Index

E000 EU- Recht allgemein;
E2D Assoziierung Türkei;
E2D E02401013;
E2D E05204000;
E2D E11401020;
E6J;
60/04 Arbeitsrecht allgemein;
62 Arbeitsmarktverwaltung;

Norm

61993CJ0434 Ahmet Bozkurt VORAB;
ARB1/80 Art6 Abs1;
ARB1/80 Art6 Abs2;
AuslBG §1 Abs3;
EURallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Keller, über die Beschwerde des K in Wien, vertreten durch Dr. Dieter Böhmdorfer, Rechtsanwalt in Wien IV, Favoritenstraße 16, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle Wien des Arbeitsmarktservice vom 11. April 1997, Zl. LGSW/Abt. 10/13117/719.684/1997, betreffend Feststellung gemäß Art. 6 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Partei hat dem Arbeitsmarktservice Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer (ein türkischer Staatsangehöriger) stellte beim Arbeitsmarktservice Metall-Chemie Wien am 13. Jänner 1997 mit dem amtlich aufgelegten Formular einen Antrag auf "Feststellung gemäß Artikel 6 Abs. 1/3. Gedankenstrich des Beschlusses des Assoziationsrates Nr. 1/80". Hinsichtlich seiner Beschäftigungszeiten ab 23. Juni 1992 verwies der Beschwerdeführer im Antrag auf "ALG Anspruch + Krankengeld siehe Versicherungszeiten WGKK". Zu einer "derzeitigen Beschäftigung" des Beschwerdeführers enthält der Antrag keine Angaben.

Diesen Antrag wies das Arbeitsmarktservice Metall-Chemie Wien mit Bescheid vom 13. Jänner 1997 im wesentlichen mit der Begründung ab, daß der Beschwerdeführer zurückgerechnet vom Zeitpunkt seiner Antragstellung nicht vier Jahre ordnungsgemäß und ununterbrochen beschäftigt gewesen sei.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung. Er brachte darin im wesentlichen vor, daß er mehr als 20 Jahre Versicherungszeiten aufzuweisen habe. Durch einen Unfall sei er dann nicht mehr in der Lage gewesen, eine Beschäftigung aufzunehmen. Die von ihm beantragte Invaliditätspension sei abgelehnt worden, weil er als Hilfsarbeiter keinen "Arbeitsschutz" genieße. Aus diesem Grund seien "Lücken" enstanden. Er sei aus "den Quoten der Ausländerbeschäftigung rausgefallen". Er habe schon Arbeit gefunden, habe aber keine Arbeitsbewilligung und keinen "Arbeitslosenanspruch" mehr.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 11. April 1997 wurde der Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich des nach dem Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12. September 1963 eingerichteten Assoziationsrates vom 19. September 1980, Nr. 1/80 (ARB Nr. 1/80), keine Folge gegeben und damit der erstinstanzliche Bescheid des Arbeitsmarktservice Metall-Chemie Wien vom 13. Jänner 1997 bestätigt.

Diese Entscheidung wurde von der belangten Behörde im wesentlichen damit begründet, die Überprüfung der Beschäftigungszeiten des Beschwerdeführers ergebe, daß er das Erfordernis einer vierjährigen, ununterbrochenen Beschäftigung nicht erfülle. Vor allem fehle dem Beschwerdeführer aber die Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in folgenden Rechten verletzt: "in dem ihm aufgrund des Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates auf Feststellung des ihm gewährleisteten Rechts auf freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn oder Gehaltsverhältnis" und "in dem ihm durch § 37 AVG gewährleisteten Recht, daß die Behörde den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte zu geben hat". Er beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Art. 6 Satz 1 (Abs. 1) ARB Nr. 1/80 hat folgenden Wortlaut:

"Artikel 6

(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat

-

nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;

-

nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung

-

vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;

-

nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.

(2) Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.

(3) Die Einzelheiten der Durchführung der Absätze 1 und 2 werden durch einzelstaatliche Vorschriften festgelegt."

Der Beschwerdeführer legt in der Beschwerde seine Beschäftigungszeiten konkret dar. Nach diesem Vorbringen ist er beginnend ab 1. Jänner 1973 mit im einzelnen dargestellten Unterbrechungen bis 16. März 1994 bei verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt gewesen. Daß er nach dem 16. März 1994 bzw. seit dem 1. Jänner 1995 (bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides am 7. Juli 1997) beschäftigt gewesen sei, wird weder in der Beschwerde dargetan, noch wurde dies vom Beschwerdeführer im Feststellungsantrag bzw. im Verwaltungsverfahren behauptet. Dieser demnach unbestrittene Sachverhalt der Beschäftigungszeiten des Beschwerdeführers ist auch den im Verwaltungsverfahren eingeholten Auskünften des Hauptverbandes der Sozialversicherung zu entnehmen.

Davon ausgehend zeigt der Beschwerdeführer mit dem ausschließlich auf vor dem 1. Jänner 1995 zurückgelegten Beschäftigungszeiten schon deshalb keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf, weil die mit Art. 6 des Beschlusses des Assoziationsrates (ARB) Nr. 1/80 verbundene Rechtsposition für türkische Arbeitnehmer gilt, die erwerbstätig oder vorübergehend arbeitsunfähig sind. Hingegen bezieht sich Art. 6

Abs. 1 ARB Nr. 1/80 nicht auf die Lage eines türkischen Staatsangehörigen der den Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates endgültig verlassen hat, etwa weil er das Rentenalter erreicht hat oder weil er vollständig und dauernd arbeitsunfähig ist. Die Bestimmung des Artikel 6 Abs. 2 ARB Nr. 1/80 dient nämlich nur dazu, die Konsequenzen bestimmter (darin näher bezeichneter) Arbeitsunterbrechungen für die Anwendung von Artikel 6 Abs. 1 zu regeln. Zeiten der Arbeitslosigkeit oder der Abwesenheit wegen langer Krankheit, die den Beschäftigungszeiten nicht gleichgestellt sind, werden nur berücksichtigt, um die Aufrechterhaltung von Ansprüchen zu gewährleisten, die der Arbeitnehmer aufgrund vorheriger Beschäftigungszeiten erworben hat. Diese Bestimmungen garantieren somit nur den Fortbestand des Anspruchs auf Beschäftigung und setzen zwangsläufig die Fähigkeit zu einem solchen Fortbestand, wenn auch nach einer zeitweiligen Unterbrechung, voraus (vgl. das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 6. Juni 1995 in der Rechtssache C-434/93, Ahmet Bozkurt gegen Staatssecretaris van Justitie, Randnr. 38 und 39).

Nach dem Verlust seiner Beschäftigung im Jahre 1994 konnte sich der Beschwerdeführer noch nicht auf einen allenfalls durch die Zurücklegung in Art. 6 Abs. 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 umschriebener Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung erworbenen Anspruch auf Fortsetzung einer ordnungsgemäßen Beschäftigung nach den - erst mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union am 1. Jänner 1995 wirksamen - Bestimmungen des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 - etwa im Lichte des Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom 23. Jänner 1997, in der Rechtssache C-171/95 (Recep Tetik gegen Land Berlin) - berufen (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 11. Juni 1997, Zl. 96/21/0100, vom 18. Dezember 1997, Zl. 97/09/0152, und vom 15. April 1998, Zl. 98/09/0044). Daher hat die nach den Antragsbehauptungen und dem Beschwerdevorbringen seit (16. März) 1994 andauernde Beendigung der Beschäftigung des Beschwerdeführers zum Untergang der davor erworbenen Anwartschaft auf die mit dem dritten Gedankenstrich des Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 verbundene Rechtsposition geführt.

Im Beschwerdefall kann nach dem unbestrittenen Sachverhalt der Beschäftigungszeiten des Beschwerdeführers nicht davon gesprochen werden, daß der Beschwerdeführer seit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union dem Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaates angehört. Daran können auch Bestimmungen des ARB Nr. 1/80 über den Fortbestand des Anspruchs auf Beschäftigung bzw. über die Aufrechterhaltung von Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung nichts ändern.

Es war daher nicht rechtswidrig, wenn die belangte Behörde im Beschwerdefall die begehrte bescheidmäßige Feststellung über das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen gemäß Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich ARB Nr. 1/80 schon wegen der fehlenden Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zum Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates Österreich als nicht erfüllt angesehen hat.

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit § 41 AMSG und der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 10. März 1999

Gerichtsentscheidung

EuGH 693J0434 Ahmet Bozkurt VORAB;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1997090242.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

15.11.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten