TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/15 L524 2212003-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.01.2019
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Entscheidungsdatum

15.01.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.2
EMRK Art.3
EMRK Art.8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L524 2212003-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER LL.B. über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.11.2018, Zl. 1202876906-180771940/BMI-BFA_NOE_AST_02, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 14.08.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der am selben Tag erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte er vor, dass er Kurde und sunnitischer Moslem sei. Er stamme aus XXXX . Er habe fünf Jahre die Grundschule besucht und sei zuletzt Koch gewesen. In der Türkei würden noch seine Eltern, seine Lebensgefährtin und die vier Kinder leben. Er habe die Türkei illegal am 25. oder 26. Juli 2018 von Istanbul aus mit einem LKW verlassen und sei schlepperunterstützt nach Österreich gereist. Für die Reise habe er € 6.700,- bezahlt.

Hinsichtlich seines Fluchtgrundes gab er an (Schreibfehler im Original): "In meinem Wohnbezirk gab es Kämpfe zwischen der kurdischen und türkischen Armee. Es wurden sehr viele Häuser zerstört. Auch mein Haus wurde im Rahmen dieser Kämpfe massiv beschädigt. Ich wurde von der Polizei beschuldigt, dass ich den Kämpfern der PKK geholfen hätte. Es wurden viele Freunde festgenommen und ich hatte Angst, dass mir dasselbe Schicksal widerfährt - daher bin ich geflüchtet. Frau und Kinder blieben zurück. Andere Fluchtgründe habe ich nicht. Ich wollte bloß nicht festgenommen und eingesperrt werden."

2. Bei der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) am 03.10.2018 brachte der Beschwerdeführer zu seiner Ausreise aus der Türkei vor, dass er mit dem Flugzeug in den Kosovo geflogen und von dort mit einem LKW nach Wien transportiert worden sei. Er habe in Syrien, im Irak und in der Türkei als Koch gearbeitet und dabei gut verdient. Bis zu seinem Militärdienst habe er in XXXX gelebt. Im Jahr 2003 sei er nach Istanbul gegangen und habe dort bis 2006 gearbeitet. Mitte 2007 habe er in XXXX nach islamischem Recht geheiratet. Nach 15 bis 17 Tagen sei er wieder nach Istanbul gegangen, sei dort bis 2008 geblieben und habe sich anschließend bis Juni 2009 in Syrien aufgehalten. Danach sei er einen Monat wieder in XXXX gewesen und dann im August 2009 in den Nordirak gefahren, wo er neun Jahre gearbeitet habe. Alle sechs Monate sei er nach XXXX gekommen, um seine Eltern zu sehen. Bis Oktober 2017 habe er sich im Nordirak aufgehalten. Am XXXX sei sein Vater gestorben und der Beschwerdeführer sei nach XXXX zurückgekehrt und bis zu seiner Ausreise am 25. oder 26.07.2018 in der Türkei geblieben. Er habe mit seiner Frau, den Kindern, seinem jüngeren Bruder und dessen Frau im Haus seiner Mutter gelebt. Insgesamt würden noch sieben Brüder und eine Schwester, seine Frau, die Kinder und seine Mutter in der Türkei in XXXX in der Provinz XXXX leben.

Der Beschwerdeführer spreche nicht Deutsch, lebe von der Grundversorgung, besuche keine Kurse oder Ausbildungen und nehme nur gelegentlich an einem Deutschkurs teil.

Zu seinem Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an (Schreibfehler im Original):

"LA: Aus welchem Grund haben Sie somit einen Asylantrag gestellt?

VP: Meine Freunde und Bekannte von meinem Wohnbezirk wurden alle festgenommen. Die Männer wurden festgenommen. Als die Familien sie besuchen gingen, haben sie gesagt, dass sie XXXX auch suchen. Bei den Einvernahmen der Männer haben Sie nach mir gefragt. Es ist neu in der Türkei, dass alle Beweise gesammelt werden bevor man die Leute verhaftet. Sie verlangten von uns in XXXX , dass wir unser Haus verlassen sollten, was wir nicht gewollt und gemacht hatten.

LA: Wer hat das verlangt?

VP: Der Staat. Polizei und Armee. Auch die Gendarmerie. Alle haben zusammen gearbeitet und mittels Helikopter Flugblätter verteilt.

LA: Das war also ein allgemeiner Aufruf an alle? Oder wie kann ich das verstehen?

VP: Es gab Durchsagen mittels Megafon in XXXX , dass alle Ihre Häuser verlassen sollen. Dann wurden die Häuser bombardiert. Alles wurde dem Boden gleich gemacht. Kirchen, Cem-Häuser (Erklärung: Gebetshäuser für Aleviten) wurden zerstört. Es wurde alles bombardiert. Es waren auch Moscheen die teilweise zerstört wurden, wofür sie auch uns beschuldigten. Vom Staat wurde alles zerstört und wir wurden beschuldigt.

Anmerkung: VP zeigt Bilder von zerstörten Häusern und festgenommenen Männern auf seinem Handy. VP gibt an die Bilder mittels E-Mail schicken.

VP: Die Akten sind geheim in der Türkei. Die Leute werden Monate lang ohne Grund festgehalten. Man weiß nicht warum.

LA: Wen im Speziellen meinen Sie wenn Sie sagen sie wurden bedroht?

VP: Alle Einwohner von XXXX . Alle die nicht geflüchtet sind, wurden verhaftet. Von unserem Bezirk wurden 100 Personen festgenommen, alle die nicht ihre Häuser verlassen haben. Von denen waren 9 Personen, die 16-20 Jahre Gefängnisstrafe ohne Verfahren bekommen haben. Ohne ein Gerichtsverfahren. Der Grund warum ich nach Österreich gekommen bin, ist weil wir gehört haben, dass die österr. Regierung ein Waffenembargo gegen die Türkei verhängt hat. Meine Freunde die nicht flüchten konnten wurden alle festgenommen.

LA: Warum wurden alle Einwohner in XXXX bedroht?

VP: Die meisten Einwohner in XXXX waren Kurden. Alle Häuser, auch historische Gebäude, Weltkulturerbe, 80 Prozent davon wurde zerstört.

LA: Von wem wurde dies zerstört?

VP: Vom Staat. Sie sagten das wir Kurden sind und Armenier. So wurden wir beschuldigt. Bei den Wahlen haben wir die AKP nie gewählt.

LA: Wurden nur Männer verhaftet?

VP: Ja, die Frauen haben wir weggebracht. Nach der letzten Bombardierung haben wir die Kinder auch weggebracht in Gängen unter den historischen Gebäuden.

[...]

LA: Warum haben Sie Angst verhaftet zu werden?

VP: Weil ich Kinder habe. Wenn es in der Türkei Gerechtigkeit gäbe hätte ich keine Angst. Keiner hat die Sicherheit nicht festgenommen zu werden, den sogar der Parteivorstand der HDP wurde inhaftiert. Er ist seit 2015 im Gefängnis.

LA: Sie haben gemeinsam mit Ihrem Bruder im Haus Ihrer Mutter gewohnt. Warum wurde er nicht verhaftet?

VP: Nachdem dem Beginn des Krieges habe ich alle raus gebracht. Die sind alle in XXXX .

LA: Warum sind Sie nicht auch dort geblieben in XXXX ?

VP: Nach den Ereignissen in XXXX wurde ich festgenommen und ca. 2 Monate inhaftiert. Dann hatte ich einen guten Anwalt, der sorgte dass ich entlassen wurde. 12 Tage nach der Entlassung wurde der Militärputsch verübt am 15. Juli 2016. Ansonsten wäre ich noch einmal inhaftiert worden.

LA: Wann genau waren die Ereignisse in XXXX ?

VP: Im November 2015 hat alles angefangen. Jänner/Februar 2016 ging es weiter. Ca. Ende Februar 2016 wurden wir festgenommen. Mein Anwalt hat mir gesagt ich soll nach der Entlassung weg gehen. Unsere Freunde waren ohne Gerichtsverhandlung zu Freiheitsstrafen von 16- 20 Jahren verurteilt. Wenn ich dort geblieben wäre, hätte man mich festgenommen.

LA: Von Wann bis Wann genau wurden Sie inhaftiert?

VP: Ca. 58 Tage war ich in Haft. Ca. gegen Ende Februar bis Ende April. Nach der Inhaftierung hab ich sofort angefangen zu arbeiten. Dann war der Militärputsch. Stellen Sie sich vor der Bruder meiner Frau ist Staatsanwalt und bekam auch keine Akteneinsicht. Ich habe nicht an mich gedacht, sondern nur an meine Kinder. Es ist nicht gut für kleine Kinder wenn der Vater in Haft ist.

LA: Wieso hat man Sie entlassen aus der Haft?

VP: Ich habe einen guten Anwalt. Ein AKP naher Anwalt. Mein Anwalt war Parteivorstand der AKP in XXXX . Sogar einen mit der Todesstrafe Bedrohten könnte er aus der Haft holen.

LA: Warum haben Sie Angst erneut verhaftet zu werden, wenn Sie doch so einen parteinahen Anwalt haben?

VP: Ich wurde gemeinsam mit meinen Freunden verhaftet, aber ich wurde bevor meine Freunde verurteilt wurden, entlassen. Wir haben zwischen 10 und 15 Tausend türkische Lira an den Anwalt bezahlt. Wenn ich verurteilt worden wäre, dann wäre ich nur herausgekommen wenn ich 500 bis 600 Tausend Türkische Lira bezahlt hätte. Weil keiner so viel Geld hat ist das unmöglich. Ein Haus kostet 150 Tausend Türkische Lira.

LA: Was war der konkrete Anlass für das Verlassen der Türkei ?

VP: Die Mütter der inhaftierten Freunde von mir mit den hohen Freiheitsstrafen (16-20 Jahre Haftstrafe) haben meiner Mutter gesagt, dass man immer über mich Fragen gestellt hat, wo ich mich befinde. Es wurde Ihnen gesagt, dass Sie wissen müssten wo ich bin, da wir gemeinsam verhaftet wurden. Sie haben meiner Mutter gesagt, dass ich flüchten soll.

Ich konnte 8 Monate nicht arbeiten. Ich habe versucht den Kontrollen zu entgehen und das Geld für die Flucht zu sammeln. Ich wollte schon nach Österreich. Ich hätte aber auch nicht gewusst wohin wir fuhren.

[...]

LA: Über welchen Zeitraum genau wurden Sie inhaftiert?

VP: 27. Februar wurde ich festgenommen und am 28. April enthaftet.

LA: Wie viele Tage waren Sie in Haft?

VP: 59 Tage.

[...]

LA: In welchem Kalenderjahr waren Sie inhaftiert?

VP: Im Februar 2017.

[...]

LA: Was hat die Behörde die Sie im Februar 2017 festgenommen hat danach mit Ihnen gemacht?

VP: Sie haben uns ausgezogen und nackt mussten wir in die Hocke gehen. Sie haben uns fotografiert und an die Medien weiter gegeben. Sie konnten natürlich nicht feststellen, dass wir Terroristen sind. Sie haben uns beschuldigt die Löcher in die Häuser gemacht zu haben."

3. Mit Bescheid des BFA vom 16.11.2018, Zl. 1202876906-180771940/BMI-BFA_NOE_AST_02, wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

In der Begründung wurden zunächst die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Fluchtgrund in der Erstbefragung sowie die Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA wörtlich wiedergegeben. Weiters wurden die vom Beschwerdeführer vorgelegten Dokumente angeführt. Das BFA stellte fest, dass der Beschwerdeführer türkischer Staatsangehöriger, Kurde und sunnitischer Moslem sei. Seine Identität stehe aufgrund des vorgelegten türkischen Personalausweises fest. Er sei nach islamischem Recht verheiratet und habe mit seiner Ehefrau vier gemeinsame Kinder. Er habe in XXXX in der Provinz XXXX im Haus seiner Mutter gemeinsam mit seinem Bruder und dessen Ehegattin, sowie seiner Ehegattin und den gemeinsamen Kindern gelebt. Aktuell lebe die Ehegattin mit den gemeinsamen Kindern in XXXX in XXXX . Es würden noch acht Geschwister des Beschwerdeführers in der Provinz XXXX leben. Er sei außerdem gesund.

Zu den Gründen für das Verlassen seines Heimatstaates stellte das BFA fest, dass nicht festgestellt werden könne, dass dem Beschwerdeführer in der Türkei eine Haftstrafe drohe oder er verfolgt werde. Außerdem habe der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht glaubhaft machen können und er selbst keinen glaubwürdigen Eindruck hinterlassen. Eine individuelle Gefährdung oder Verfolgung des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat durch staatliche Organe oder Dritte könne nicht festgestellt werden. Danach traf das BFA Feststellungen zur Lage in der Türkei.

Beweiswürdigend führte das BFA zu aus (Schreibfehler im Original):

"Ihre Ausführungen zu den Gründen für die Asylantragstellung konnten aus den folgenden Gründen nicht als Sachverhalt festgestellt d.h. als glaubwürdig beurteilt werden:

Im Zuge Ihrer niederschriftlichen Einvernahme vom 03.10.2018 führen Sie aus, dass türkische Behörden Sie beschuldigt hätten, PKK-Kämpfer in der Ausübung ihrer kriegerischen Auseinandersetzungen mit der türkischen Armee und Polizei, unterstützt zu haben. Auch führen Sie in Ihrem Vorbringen an, dass Ihr Wohnort XXXX in der Provinz XXXX vom türkischen Staat vollständig zerstört worden wäre und die Einwohner des Ortes diesbezüglich beschuldigt worden wären.

Weiters führen Sie an, dass Sie von einer türkischen Behörde für Terrorismusbekämpfung festgenommen worden wären, und für einen Zeitraum von 59 Tagen inhaftiert worden wären. Derartiges ist der Erstbefragung vom 14.08.2018 nicht einmal ansatzweise zu entnehmen. Sie führten im Gegenteil in der Erstbefragung sogar noch an, dass Sie bloß nicht gewollt hätten, festgenommen und eingesperrt zu werden. Aus diesem Grund kommt Ihrem diesbezüglichen Vorbringen zu den Fluchtgründen nicht einmal ansatzweise Glaubwürdigkeit zu. Sie haben Ihr zentrales Fluchtvorbringen somit absolut gesteigert bzw. abgeändert, obwohl im Konkreten doch vielmehr zu erwarten wäre, dass jemand, der sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung genötigt sieht, aus seiner Heimat zu flüchten, um in einem anderen Land Asyl gewährt zu erhalten, die erste Gelegenheit nutzt und durch zweckdienliche und den Tatsachen entsprechende Angaben bestrebt ist, seinem Asylantrag zum Erfolg zu verhelfen. Diese weiteren Angaben deuten vielmehr daraufhin, dass Sie zum Zeitpunkt der Erstbefragung noch nicht in der Lage waren, Ihr in der folgenden Zeit gewachsenes Konstrukt betreffend Ihre Fluchtgründe zu präsentieren. Somit kommt Ihrem diesbezüglichen Asylvorbringen nicht einmal ansatzweise Glaubwürdigkeit zu.

Es liegt in der Natur der Sache, dass die vom Asylwerber geltend gemachte Furcht nicht bloß behauptet, sondern auch glaubhaft gemacht werden muss. Dabei steht die Vernehmung des Asylwerbers als wichtigstes Beweismittel zur Verfügung. Im Rahmen der Beweiswürdigung ist grundsätzlich den Angaben des Asylwerbers bei seiner im Verwaltungsverfahren größere Glaubwürdigkeit zuzumessen als späterem Vorbringen. Erfahrungsgemäß machen nämlich Asylwerber gerade bei der ersten Befragung spontan jene Angaben, die der Wahrheit am nächsten kommen. Als glaubwürdig können Fluchtgründe im Allgemeinen nicht angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asylbestand begründeten Tatsachen im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder gar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen und wenn er maßgebliche Tatsachen im Laufe des Asylverfahrens vorbringt. Die erkennende Behörde kann einen Sachverhalt grundsätzlich nur dann als glaubwürdig anerkennen, wenn der Asylwerber gleichbleibende Angaben macht, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erscheinen und wenn erst spät gemachte Angaben nicht den Schluss aufdrängen, dass Sie bloß der Asylerlangung dienen sollen, der Wirklichkeit aber nicht entsprechen (AsylGH, 7.4.2009, D12 219.513-4/2009/2E; VwGH 06.03.1996, 95/20/0650).

Auch der VwGH hat bereits mehrmals ausgesprochen, dass bei gleichbleibenden Verhältnissen im Herkunftsland bei gesteigertem Vorbringen des Asylwerbers die Wertung eines Vorbringens als unglaubwürdig nachvollziehbar sein kann (VwGH 27.04.2006, 2002/20/0170).

Ein gesteigertes Vorbringen ist nämlich nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als nicht glaubwürdig anzusehen (so schon VwGH v. 08.April 1987, 85/01/0299, VwGH v. 02. Februar 1994, 93/01/1035). Vielmehr müsse grundsätzlich den ersten Angaben des Asylwerbers ein erhöhter Wahrheitsgehalt zuerkannt werden (so schon VwGH v. 08. April 1987, 85/01/0299), weil es der Lebenserfahrung entspricht, dass Angaben, die in einem zeitlich geringen Abstand zu den darin enthaltenden Ereignissen gemacht werden, der Wahrheit in der Regel am nächsten kommen ( VwGH v. 11. November 1998, 98/01/0261, m.w.H.) (siehe Erkenntnis des AGH v. 26.09.2008 zu GZ. E5 229.790-3/2008-11E).

In diesem Zusammenhang ist überdies anzuführen, dass Sie anlässlich Ihrer niederschriftlichen Einvernahme vom 03.10.2018 ebenfalls keine hinreichende Erklärung für diese gesteigerte Darstellung Ihrer Fluchtgründe anführen konnten, führten Sie doch ausschließlich aus, dass man Sie nicht direkt nach einer Inhaftierung gefragt hatte.

Weiters gaben Sie bei Ihrer Erstbefragung am 14.08.2018 lediglich an, dass Sie die Befürchtung hätten, inhaftiert zu werden, weil dieses Schicksal Freunden von Ihnen widerfahren wäre. Jedoch sollte man annehmen, dass essentielle Punkte eines Fluchtvorbringens keinesfalls in Vergessenheit geraten können, sofern diese auch noch als zentraler Fluchtgrund im Nachhinein vorgebracht werden. Mit keinem Wort erwähnten Sie jedoch, dass Sie bereits 59 Tage in einer geschlossenen Strafanstalt in XXXX inhaftiert gewesen wären. Sie können dies zum Zeitpunkt der niederschriftlichen Einvernahme auch nicht mittels schriftlichen Beweisen belegen. Weder eine Anklageschrift, noch eine Haftentlassungsbestätigung, etc. wurde der einvernehmenden Behörde vorgelegt.

Es ist jedenfalls auch zu berücksichtigen, dass Ihre Angaben zum Fluchtgrund bei der Erstbefragung auch im Hinblick darauf, dass sich diese Erstbefragung nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat, keinesfalls unbeachtlich sein können, zumal ja jedenfalls die Frage nach dem Fluchtgrund auch Teil der Erstbefragung ist und es überdies nicht nachvollziehbar ist, dass ein Asylwerber die Frage zum Fluchtgrund, auch wenn sich diese Befragung nicht auf den näheren Fluchtgrund zu beziehen hat, den zentralen Fluchtgrund gänzlich nicht erwähnt, sondern ist in diesem Zusammenhang einzig und alleine verständlich, dass der Asylwerber den Fluchtgrund anlässlich der Erstbefragung nicht im Detail ausführt.

Bestärkt wird die erkennende Behörde in dieser Feststellung auch dadurch, dass es auch bei Ihrem neu vorgebrachten Fluchtvorbringen zu einigen Ungereimtheiten kam. Sie konnten Ihr Vorgehen nicht plausibel erklären. So geben Sie bei der Einvernahme am 03.10.2018 an, dass Sie vom 27. Februar 2017 bis 28. April 2017 in Haft gewesen wären. Ein weiteres Mal führen Sie aus, Ende Februar 2016 festgenommen worden zu sein. Dies widerspricht sich jedoch klar mit der Aussage, dass Sie von August 2009 bis Oktober 2017 im Nordirak ansässig gewesen wären, um als Koch zu arbeiten. Somit erscheint Ihr Vorbringen gänzlich unglaubwürdig, wenn Sie nicht einmal in der Lage sind Ihre geschilderte Haft, zeitlich in Ihrem Lebensverlauf nachvollziehbar einzugliedern.

Keineswegs nachvollziehbar für die erkennende Behörde ist, dass gerade Sie als Kurde, laut Ihren Angaben einen AKP-angehörigen Anwalt, namens XXXX , der sogar Parteivorstand der AKP in XXXX gewesen sein soll, engagiert hätten, der für Sie gebürgt haben soll, und Sie deshalb enthaftet worden seien. Es ist für die erkennende Behörde nicht nachvollziehbar, warum der besagte Anwalt gerade für Sie gebürgt haben soll und damit sein Amt als Parteivorstand gefährdet haben soll, wenn man Sie laut Ihrem Vorbringen nach der Inhaftierung wieder gesucht hätte. Weiters unklar erscheint, dass Sie sich seitens der türkischen Behörden, keiner Einvernahme nach der Festnahme und der gesamten Haftdauer unterziehen hätten müssen. Laut Ihren Angaben gäbe es einen Akt bezüglich Ihrer Inhaftierung, auf den jedoch jegliche Einsicht, seitens der türkischen Behörden verweigert werden würde. Das heißt, dass Sie weder wissen, warum man Sie verhaftet haben soll, bzw. ob überhaupt nach Ihnen gefahndet werden soll. Sie behaupten lediglich, aufgrund von Erzählungen der Mütter von inhaftierten Freunden, dass nach Ihnen im Gefängnis gefragt worden sein soll und dass Sie aufgrund dieser Informationen die Flucht ergriffen hätten.

Sie schildern, dass Sie Ihre Kinder, Ihre Frau und den Rest Ihrer Familie durch unterirdische Gänge nach XXXX gebracht haben sollen, wo sie zur Zeit von Ihrem Schwiegervater, Ihrer Mutter und Ihren Brüdern versorgt werden würden. Völlig unklar in dieser Behauptung ihrerseits erscheint jedoch, warum Sie alleine wieder zurück nach XXXX gegangen sein sollen, um sich erneut in Gefahr zu bringen, wenn Ihnen die Flucht mitsamt Ihrer Familie innerhalb der Türkei, an einen sicheren Ort, namens XXXX bereits gelungen sein soll. Kein normal denkender, flüchtender Mensch, würde wieder in die Gefahrenzone zurückkehren, nachdem ihm eine Flucht an einen sicheren Ort gelungen wäre.

Die erkennende Behörde wird weiters aufgrund Ihres Vorbringens vom 03.10.2018, in ihren Feststellungen bestärkt, in dem Sie ausführen, sich erst am Tag der Einvernahme wieder erinnern konnten, mittels Flugzeug von Istanbul in den Kosovo und von dort mit dem LKW weiter in Richtung Österreich gereist zu sein und nicht, wie in der Erstbefragung von Ihnen behauptet, mittels LKW von Istanbul nach Österreich gereist zu sein. In diesem Zusammenhang führen Sie auch aus, dass der Schlepper die Reisepässe aller Personen, die zusammen mit Ihnen geflüchtet wären, über 40 an der Zahl, abgenommen habe, um diese der Polizei am Flughafen zur Passkontrolle vorzulegen. Die Polizei habe laut Ihren Angaben, dann die Personen einzeln aufgerufen, den Pass abgestempelt und durchgelassen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte man Sie wohl verhaftet, wenn Sie wie von Ihnen behauptet von türkischen Behörden gesucht werden würden. Weiters völlig unglaubwürdig scheint, dass Ihr Schwager, der laut Ihren Angaben Staatsanwalt sein soll, keine Akteneinsicht in Ihrem Fall bekäme, obwohl er beruflich die Interessen des Staates vertritt. Es stellt sich die Frage wer, wen nicht einmal der Staatsanwalt, dann Akteneinsicht bekäme oder wer diesen Akt überhaupt führe.

Abschließend schildern Sie in Ihrer Einvernahme vom 03.10.2018, dass Sie im Falle einer Rückkehr befürchten, dass jemand aus Ihrer Familie verhaftet werden könnte um Sie dazu zu bewegen, sich vor der verfolgenden türkischen Behörde zu stellen, dass Sie lediglich Angst davor haben, Ihre Kinder müssten Sie in Haft besuchen und Sie selbst gar keine Angst vor einer Gefängnisstrafe haben.

Es ist anzunehmen, wenn die türkischen Behörden jemanden aus Ihrer Familie verhaften würden, um dies als Druckmittel für Ihre Stellung vor der Behörde zu verwenden, könne dies auch zum jetzigen Zeitpunkt geschehen, auch wenn Sie nicht in der Türkei anwesend sind. Außerdem bekräftigen Sie mehrmals nur Angst zu haben, dass Ihre Kinder von einer etwaigen Haft erfahren könnten und nicht, dass Sie selbst davor Angst hätten. Somit kann auch unter Zugrundelegung dieses Vorbringens nicht einmal ansatzweise davon ausgegangen werden, dass Sie diesbezüglich ein glaubhaftes Vorbringen zum Fluchtgrund erstattet haben.

Die freie Beweiswürdigung ist ein Denkprozess der den Regeln der Logik zu folgen hat und im Ergebnis zu einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung eines bestimmten historisch empirischen Sachverhalts, also von Tatsachen, führt. Der Verwaltungsgerichtshof führt dazu präzisierend aus, dass eine Tatsache in freier Beweiswürdigung nur dann als erwiesen angenommen werden darf, wenn die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ausreichende und sichere Anhaltspunkte für eine derartige Schlussfolgerung liefern (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76). Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens,

5. Auflage, § 45 AVG E50, Seite 305, führen beispielsweise in Zitierung des Urteils des Obersten Gerichtshofs vom 29.02.1987, Zahl 13 Os 17/87, aus: "Die aus gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnene freie Überzeugung der Tatrichter wird durch eine hypothetisch denkbare andere Geschehensvariante nicht ausgeschlossen. Muss doch dort, wo ein Beweisobjekt der Untersuchung mit den Methoden einer Naturwissenschaft oder unmittelbar einer mathematischen Zergliederung nicht zugänglich ist, dem Richter ein empirisch-historischer Beweis genügen. Im gedanklichen Bereich der Empirie vermag daher eine höchste, ja auch eine (nur) hohe Wahrscheinlichkeit die Überzeugung von der Richtigkeit der wahrscheinlichen Tatsache zu begründen, (...)". Somit kann unter Heranziehung dieser, von der höchstgerichtlichen Judikatur festgelegten, Prämissen für den Vorgang der freien Beweiswürdigung das ausreisekausale Vorbringen als nicht glaubhaft qualifiziert werden.

Im Rahmen der oa. Ausführungen ist anhand Ihrer Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten - z.B. gehäufte und eklatante Widersprüche (z.B. VwGH 25.1.2001, 2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (z.B. VwGH 22.2.2001, 2000/20/0461) - zu beurteilen, ob Ihre Schilderungen mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.

Auch wurde vom Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es der Verwaltungsbehörde [dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl] nicht verwehrt ist, auch die Plausibilität eines Vorbringens als ein Kriterium der Glaubwürdigkeit im Rahmen der ihr zustehenden freien Beweiswürdigung anzuwenden. (VwGH v. 29.6.2000, 2000/01/0093).

Auch ist eine abweisende Entscheidung im Verfahren nach § 3 AsylG bereits dann möglich, wenn es als wahrscheinlich angesehen wird, dass eine Verfolgungsgefahr nicht vorliegt, das heißt, mehr Gründe für als gegen diese Annahme sprechen (vgl zum Bericht der Glaubhaftmachung: Ackermann, Hausmann, Handbuch des Asylrechts (1991) 137 f; s.a. VwGH 11.11.1987, 87/01/0191) Rohrböck AsylG 1997, Rz 314,524), wie es hier der Fall ist.

Somit geht die erkennende Behörde davon aus, dass Ihr Fluchtvorbringen als nicht glaubhaft anzusehen ist. Ihre Schilderungen von den fluchtauslösenden Vorkommnissen sind mit Widersprüchen und Unplausibilitäten behaftet, sodass man kaum von einem tatsächlichen und glaubwürdigen Geschehen ausgehen kann.

In einer Gesamtbetrachtung gelangt die erkennende Behörde deshalb zu dem Schluss, dass Sie in diesen Punkten keinesfalls einen Sachverhalt vorgetragen und glaubhaft gemacht haben, dem schlüssig die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft entnommen werden können und geht die Behörde davon aus, dass es sich bei diesem Vorbringen um ein bloßes Konstrukt handelt und Sie nicht die wahren Beweggründe für diese Asylantragstellung dargelegt haben."

In rechtlicher Hinsicht wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer die behaupteten Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können. Es ergebe sich auch kein Hinweis darauf, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde. Es sei nicht zu erwarten, dass der Beschwerdeführer im Falle der Abschiebung in eine aussichtslose Situation geraten würde. Nach Abwägung aller Interessen ergebe sich, dass eine Rückkehrentscheidung zulässig sei.

4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts, mangelhafter bzw. unrichtiger Bescheidbegründung sowie Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger, Kurde und sunnitischer Moslem. Der Beschwerdeführer lebte und arbeitete von 2003 bis 2006 in Istanbul. Mitte 2007 hielt er sich für wenige Tage in XXXX auf und heiratete dort. Danach kehrte er nach Istanbul zurück, blieb dort bis 2008 und hielt sich schließlich bis Juni 2009 in Syrien auf. Danach kehrte er für einen Monat nach XXXX zurück und reiste im August 2009 in den Nordirak. Der Beschwerdeführer hielt sich bis Oktober 2017 im Nordirak auf reiste ca. alle sechs Monate nach XXXX , um seine Eltern zu sehen. Am XXXX ist sein Vater gestorben und der Beschwerdeführer ist nach XXXX zurückgekehrt. Der Beschwerdeführer hielt sich bis zum 25. oder 26.07.2018 in der Türkei auf. Der Beschwerdeführer hat in der Türkei, in Syrien und im Nordirak als Koch gearbeitet und gut verdient. Der Beschwerdeführer hat in der Türkei fünf Jahre die Schule besucht.

Der Beschwerdeführer ist nach islamischem Recht verheiratet und hat vier Kinder. Die Mutter, die Ehegattin, die vier gemeinsamen Kinder, sowie sieben Brüder und eine Schwester des Beschwerdeführers leben in XXXX in der Provinz XXXX . Dieser Ort ist ca. eine Autostunde von XXXX entfernt. Sowohl XXXX als auch XXXX befinden sich in der Provinz XXXX .

Der Beschwerdeführer verließ ca. im Juli 2018 legal mit einem Flugzeug die Türkei. Der Beschwerdeführer reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am 14.08.2018 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Er bezieht Leistungen aus der Grundversorgung und ist nicht berufstätig. Der Beschwerdeführer spricht nicht Deutsch und verfügt im Bundesgebiet über keine familiären oder sozialen Anknüpfungspunkte. Der Beschwerdeführer ist gesund.

Der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Fluchtgrund wird der Entscheidung mangels Glaubhaftigkeit nicht zugrunde gelegt.

Zur Lage in der Türkei werden folgende Feststellungen getroffen:

KI vom 26.6.2018, Präsidentschafts- und Parlamentswahlen:

Bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 24.6.2018 errang Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan 52,6% der Stimmen, sodass ein möglicher zweiter Wahlgang obsolet wurde. Der Kandidat der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP), Muharrem Ince, erhielt 30.6%. Der seit November 2016 inhaftierte ehemalige Ko-Vorsitzende der Demokratischen Partei der Völker (HDP), Selahattin Demirtas, erhielt 8,4% und die Vorsitzende der neu gegründeten Iyi-Partei, Meral Aksener, erreichte 7,3%. Die übrigen Mitbewerber lagen unter einem Prozent. Bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen erhielt die regierende AK-Partei 42,6% der Stimmen und 295 der 600 Sitze im Parlament. Trotz des Verlustes der absoluten Mehrheit errang die AKP durch ein Wahlbündnis unter dem Namen "Volksbündnis" mit der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), die 11,1% und 49 Sitze erreichte, die Mehrheit im Parlament. Die kemalistisch-sekuläre CHP gewann 22,6% bzw. 146 Sitze und ihr Wahlbündnispartner, die national-konservative Iyi-Partei, eine Abspaltung der MHP, 10% bzw. 43 Mandate. Die religiös-konservative Saadet-Partei, die dritte Partei nebst CHP und MHP im oppositionellen "Bündnis der Nation", erhielt nur 1,3% und blieb ohne Mandat. Drittstärkste Partei wurde die pro-kurdische HDP mit 11,7% und 67 Mandaten (HDN 26.6.2018).

Zwar hatten die Wähler und Wählerinnen eine echte Auswahl, doch bestand keine Chancengleichheit zwischen den Kandidaten und Parteien. Der amtierende Präsident und seine Partei genossen einen beachtlichen Vorteil, der sich auch in einer übermäßigen Berichterstattung der staatlichen und privaten Medien zu seinen Gunsten und der AKP widerspiegelte. Zudem missbrauchte die regierende AKP staatliche Verwaltungsressourcen für den Wahlkampf. Der restriktive Rechtsrahmen und die unter dem geltenden Ausnahmezustand gewährten Machtbefugnisse schränkten die Versammlungs- und Meinungsfreiheit auch in den Medien ein. Der Wahlkampf fand in einem stark polarisierten politischen Umfeld statt. Während alle Kandidaten eine aufgeladene Rhetorik gegen die Mitbewerber verwendeten, bezeichnete der amtierende Präsident immer wieder andere Kandidaten und Parteien als Unterstützer des Terrorismus. Während der Kampagne kam es zu einer Reihe von Zwischenfällen, die teilweise gewalttätig waren. Eine beträchtliche Anzahl von Übergriffen auf Partei- und Wahlkampfeinrichtungen betraf vor allem die pro-kurdische HDP, aber auch die CHP, Saadet-Partei und die IYI-Partei (OSCE/ODIHR 25.6.2018).

Quellen:

• Hürriyet Daily News (26.6.2018): 24. Juni 2018, Ergebnisse Präsidentschaftswahlen; Ergebnisse Parlamentswahlen, http://www.hurriyetdailynews.com/wahlen-turkei-2018, Zugriff 26.6.2018

• OSCE/ODIHR - OSCE/ODHIR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights; OSCE Parliamentary Assembly; PACE - Parliamentary Assembly of the Council of Europe (25.6.2018): International Election Observation Mission Republic of Turkey - Early Presidential and Parliamentary Elections - 24.6.2018, https://www.osce.org/odihr/elections/turkey/385671?download=true, Zugriff 26.6.2018

KI vom 18.4.2018, Bericht der Europäischen Kommission zur Türkei

Die Europäische Kommission (EK) veröffentlichte am 17.4.2018 ihren Länderbericht zur Türkei. Darin anerkennt laut Kommission die EU zwar, dass die Türkei angesichts der Putschversuches rasch und angemessen handeln musste, gleichzeitig zeigt sich die EU angesichts des umfassenden und kollektiven Charakters bzw. die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahmen besorgt, die seit dem Putschversuch ergriffen wurden. Hierzu gehören etwa die weit verbreiteten Entlassungen, Verhaftungen und Festnahmen. Die Türkei sollte den Ausnahmezustand unverzüglich aufheben.

Gravierende Mängel betreffen laut Bericht die bisher 31 Notstandsdekrete. Sie wurden nicht einer sorgfältigen und wirksamen Kontrolle durch das Parlament unterzogen, wodurch sie der gerichtlichen Überprüfung entzogen sind. Keines der Notstandsdekrete war bisher Gegenstand einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes. Diese Notverordnungen haben insbesondere bestimmte bürgerliche und politische Rechte, einschließlich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie der Verfahrensrechte, eingeschränkt. Sie haben zudem wichtige bestehende Rechtsakte geändert, die auch nach der Aufhebung des Ausnahmezustands nach Meinung der EK ihre Wirkung behalten werden.

Die Zivilgesellschaft ist zunehmend unter Druck geraten, insbesondere angesichts einer großen Zahl von Verhaftungen von Aktivisten, einschließlich Menschenrechtsverteidigern, und der wiederholten Anwendung von Demonstrationsverboten, was zu einer raschen Einengung der Grundrechte und -freiheiten geführt hat.

Das türkische Justizsystem ist von weiteren gravierenden Rückschlägen, insbesondere im Hinblick auf die Unabhängigkeit der Justiz, geprägt. Die Verfassungsänderungen bezüglich des Rates der Richter und Staatsanwälte (CJP) haben dessen Unabhängigkeit von der Exekutive weiter untergraben. Die CJP setzte die großangelegte Suspendierung und Versetzung von Richtern und Staatsanwälten fort.

Auch in den Bereichen Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Verfahrens- und Eigentumsrechte gab es gravierende Rückschläge. Die Situation in Bezug auf die Verhütung von Folter und Misshandlung gibt weiterhin Anlass zu ernster Besorgnis. In mehreren glaubwürdigen Berichten von Menschenrechtsorganisationen, so die EK, wird behauptet, dass die Aufhebung wichtiger Schutzmaßnahmen durch die Notverordnungen die Gefahr der Straffreiheit für die Täter solcher Verbrechen erhöht und zu einer Zunahme der Fälle von Folter und Misshandlung in Haft geführt hat. Diesbezügliche Klagen bergen angeblich das Risiko von Repressalien. Die Notstandsdekrete brachten zusätzliche Einschränkungen der Verfahrensrechte, einschließlich der Rechte der Verteidigung, mit sich.

Die Ernennung von Treuhändern als Ersatz für kommunale Führungskräfte und gewählte Vertreter, hauptsächlich in Gemeinden mit kurdischer Mehrheit, führte zu einer erheblichen Schwächung der lokalen Demokratie. Die Sicherheitslage im Südosten ist weiterhin angespannt, wobei 2017 weniger die urbanen denn die ländlichen Gebiete betroffen waren. Die Situation der Binnenvertriebenen hat sich infolge der Gewalt im Südosten nur unwesentlich verbessert. Nur ein kleiner Prozentsatz von ihnen hat neue Unterkünfte erhalten (EC 17.4.2018).

In einer Reaktion auf den Bericht teilte das türkische Außenministerium mit, dass die EK Unwillens sei, die Schwierigkeiten zu verstehen, mit denen das Land konfrontiert ist, weshalb die Kommission nicht in der Lage sei, objektiv und ausgewogen zu sein (MFA 18.4.2018).

Quellen:

• EC - European Commission (17.4.2018): Turkey 2018 Report [SWD (2018) 153

final],https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20180417-turkey-report.pdf, Zugriff 18.4.2018

• MFA - Republic of Turkey/Ministry of Foreign Affairs (18.4.2018):

No: 109, 17 April 2018, Press Release Regarding the 2018 Turkey Country Report and the Enlargement Strategy Paper, http://www.mfa.gov.tr/no_-109_-ab-komisyonunun-2018-turkiye-ulke-raporu-hk_en.en.mfa, Zugriff 18.4.2018

KI vom 21.3.2018, Bericht des OHCHR über die Auswirkungen des Ausnahmezustands auf die Menschenrechte in der Türkei:

Das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte veröffentlichte am 20.3.2018 seinen "Bericht über die Auswirkungen des Ausnahmezustands auf die Menschenrechte in der Türkei, einschließlich eines aktualisierten Berichts über den Südosten" für den Zeitraum 2017. Laut Bericht hat die routinemäßige Verlängerung des Ausnahmezustands in der Türkei zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen gegen Hunderttausende von Menschen geführt - von willkürlichem Entzug des Rechts auf Arbeit und Bewegungsfreiheit, über Folter und andere Misshandlungen bis hin zu willkürlichen Verhaftungen und Verletzungen des Rechts auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit (OHCHR 20.3.2018, vgl. Zeit 20.3.2018). Eines der alarmierendsten Ergebnisse ist laut Hochkommissar, Zeid Ra'ad Al Hussein, die Tatsache, dass die türkischen Behörden Berichten zufolge etwa 100 Frauen, die schwanger waren oder gerade entbunden hatten, festhielten, vor allem mit der Begründung, sie seien "Mitarbeiter" ihrer Ehemänner, die im Verdacht stehen, mit terroristischen Organisationen in Verbindung zu stehen. Einige Frauen wurden mit ihren Kindern festgenommen, andere wurden gewaltsam von ihnen getrennt (OHCHR 20.3.2018).

Der Bericht warnt davor, dass der Ausnahmezustand die Verschlechterung der Menschenrechtslage und die Erosion der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei begünstigt hat und langfristige Auswirkungen auf das institutionelle und sozioökonomische Gefüge der Türkei haben kann. Der Bericht unterstreicht ferner die Notwendigkeit, unabhängige, individuelle Prüfungen und Entschädigungen für die Opfer willkürlicher Verhaftungen und Entlassungen zu gewährleisten, und fordert die Türkei auf, den Ausnahmezustand unverzüglich zu beenden, das normale Funktionieren der staatlichen Institutionen wiederherzustellen sowie alle Rechtsvorschriften, die nicht den internationalen Menschenrechtsverpflichtungen entsprechen, einschließlich der Notverordnungen, zu überarbeiten bzw. zu revidieren (OHCHR 20.3.2018).

Das türkische Außenamt warf in einer Reaktion dem Hochkommissar vor, nicht nur seine Objektivität und Unparteilichkeit gegenüber der Türkei verloren zu haben, sondern dass das OHCHR unter seiner Leitung zum Kollaborateur terroristischer Organisationen abgestiegen sei. Der Bericht sei in Zusammenarbeit mit dem Terror nahestehender Kreise erstellt worden (MFA 20.3.2018).

Quellen:

• MFA - Republic of Turkey/Ministry of Foreign Affairs (20.3.2018):

No: 79, 20 March 2018, Press Release Regarding the OHCHR Turkey Report published on 20 March 2018, http://www.mfa.gov.tr/no_-79-bm-insan-haklari-yuksek-komiserli%C4%9Finin-ulkemize-iliskin-olarak-20-mart-2018-tarihinde-yayimladigi-belge-hk_en.en.mfa, Zugriff 21.3.2018

• OHCHR - The Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (20.3.2018): Turkey: UN report details extensive human rights violations during protracted state of emergency, http://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=22853&LangID=E, Zugriff 21.3.2018

• Die Zeit (20.3.2018): Gericht verurteilt Türkei wegen Inhaftierung zweier Journalisten,

http://www.zeit.de/politik/ausland/2018-03/europaeischer-gerichtshof-fuer-menschenrechte-turkei-inhaftierte-journalisten-militaerputsch, Zugriff 21.3.2018

KI vom 21.3.2018, Urteile des EGMR zu den inhaftierten Journalisten Alpay und Altan:

In den Fällen Sahin Alpay versus Türkei und Mehmet Hasan Altan versus Türkei stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fest, dass das Recht auf Freiheit und Sicherheit sowie das Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt worden waren (ECHR 20.3.2018). Dieser schloss sich damit der Meinung des türkischen Verfassungsgerichts an, das die Inhaftierung der beiden Kläger als Verstoß gegen die Meinungs- und Pressefreiheit gewertet und ihre Freilassung im Januar angeordnet hatte. Nach Kritik der Erdogan-Regierung an der Entscheidung hatten untergeordnete Gerichte aber die Freilassung der beiden verweigert (Zeit 20.3.2018).

Der türkische Staat muss ihnen jeweils 21 500 Euro Entschädigung zahlen. Es waren die ersten Urteile des EGMR zu inhaftierten Journalisten in der Türkei. Alpay und Altan waren vor knapp zwei Jahren nach dem gescheiterten Militärputsch, für den die türkische Regierung den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen verantwortlich macht, festgenommen worden. Alpay schrieb für die inzwischen geschlossene Zeitung Zaman, das wichtigste Medium der Gülen-Bewegung. Altan leitete eine Diskussionssendung im TV-Sender Can Erzincan TV, in der er nach Angaben der Ankläger mit "geheimen Botschaften" zum Putsch aufgerufen haben soll (FR 20.3.2018).

Alpay ist mittlerweile aus dem Gefängnis entlassen und unter Hausarrest gestellt worden. Das Verfahren gegen ihn läuft noch. Ein Prozesstermin steht noch nicht fest. Altan sitzt weiter im Gefängnis. Er wurde im Februar wegen versuchten Umsturzes zu lebenslanger Haft verurteilt (Standard 20.3.2018).

Quellen:

• European Court of Human Rights (20.3.2018): Chamber judgments concerning Turkey, https://www.echr.coe.int/Pages/home.aspx?p=home, Zugriff 21.3.2018

• Frankfurter Rundschau (20.3.2018): Menschenrechts-Gerichtshof verurteilt Türkei,

http://www.fr.de/politik/tuerkei-menschenrechts-gerichtshof-verurteilt-tuerkei-a-1470850, Zugriff 21.3.2018

• Der Standard (20.3.2018): Menschenrechtsgericht: U-Haft zweier türkischer Journalisten rechtswidrig, https://derstandard.at/2000076473222/Menschenrechtsgerichtshof-verurteilt-Tuerkei-wegen-Journalistenhaft, Zugriff 21.3.2018

• Die Zeit (20.3.2018): Gericht verurteilt Türkei wegen Inhaftierung zweier Journalisten,

http://www.zeit.de/politik/ausland/2018-03/europaeischer-gerichtshof-fuer-menschenrechte-turkei-inhaftierte-journalisten-militaerputsch, Zugriff 21.3.2018

KI vom 5.3.2018, UN-Sonderberichterstatter für Folter zu Foltervorwürfen und Verhalten der Regierung:

Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, äußerte ernste Besorgnis über die zunehmenden Vorwürfe von Folter und anderer Misshandlungen im Polizeigewahrsam seit Ende seines offiziellen Besuchs im Dezember 2016. Melzer zeigte sich beunruhigt angesichts der Behauptungen, dass eine große Anzahl von Personen, die im Verdacht stehen, Verbindungen zur Gülen-Bewegung oder zur bewaffneten Arbeiterpartei Kurdistans zu haben, brutalen Verhörmethoden ausgesetzt sind, die darauf abzielen, erzwungene Geständnisse zu erwirken oder Häftlinge zu zwingen, andere zu belasten. Zu den Missbrauchsfällen gehören schwere Schläge, Elektroschocks, Übergießen mit eisigem Wasser, Schlafentzug, Drohungen, Beleidigungen und sexuelle Übergriffe.

Der Sonderberichterstatter sagte, dass die Regierungsstellen offenbar keine ernsthaften Maßnahmen ergriffen haben, um diese Anschuldigungen zu untersuchen oder die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Stattdessen wurden Beschwerden, in denen Folter behauptet wird, angeblich von der Staatsanwaltschaft unter Berufung auf jene Notstandsverordnung (Art. 9 des Dekrets Nr. 667) abgewiesen, welche Beamte von einer strafrechtlichen Verantwortung für Handlungen im Zusammenhang mit dem Ausnahmezustand freispricht.

Die Tatsache, dass die Behörden es versäumt haben, Folter und Misshandlung öffentlich zu verurteilen und das allgemeine Verbot eines solchen Missbrauchs in der täglichen Praxis durchzusetzen, scheint laut Melzer jedoch ein Klima der Straffreiheit, Selbstzufriedenheit und Duldung gefördert zu haben, das dieses Verbot und letztendlich die Rechtsstaatlichkeit ernsthaft untergräbt (OHCHR 27.2.2018).

Der Sonderberichterstatter vermutet, dass sich angesichts der Massenentlassungen innerhalb der Behörden Angst breit gemacht hat, sich gegen die Regierung zu stellen. Staatsanwälte untersuchen Foltervorwürfe nicht, um nicht selber in Verdacht zu geraten (SRF 1.3.2018).

Quellen:

• OHCHR - Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (27.2.2018): Turkey: UN expert says deeply concerned by rise in torture allegations,

http://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=22718&LangID=E, Zugriff 5.3.2018

• SRF - Schweizer Radio und Fernsehen (1.3.2018): Foltervorwürfe an Türkei - Schläge, Elektroschocks, Eiswasser, sexuelle Übergriffe, https://www.srf.ch/news/international/foltervorwuerfe-an-tuerkei-schlaege-elektroschocks-eiswasser-sexuelle-uebergriffe, Zugriff 5.3.2018

KI vom 12.2.2018, Resolution des Europäischen Parlaments zur Menschenrechtslage:

In einer Resolution zur Menschenrechtslage in der Türkei erkennt das Europäische Parlament (EP) das Recht und die Pflicht der türkischen Regierung an, die Täter des Putschversuches vom 16.7.2016 vor Gericht zu stellen. Es hebt jedoch hervor, dass die gescheiterte Machtübernahme durch das Militär derzeit als Vorwand dafür herangezogen wird, die legitime und gewaltfreie Opposition noch stärker zu unterdrücken und die Medien und die Zivilgesellschaft durch unverhältnismäßige und unrechtmäßige Handlungen und Maßnahmen daran zu hindern, dass sie friedlich ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ausüben. Das EP ist zutiefst beunruhigt darüber, dass sich die Lage in den Bereichen Grundrechte und Grundfreiheiten und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei stetig verschlechtert und dass es der Justiz an Unabhängigkeit mangelt. Das EP verurteilt, dass Justiz und Verwaltung Gebrauch von willkürlichen Verhaftungen und Schikanen machen, um Zehntausende zu verfolgen und fordert die türkischen Staatsorgane nachdrücklich auf, all diejenigen umgehend und bedingungslos freizulassen, die nur inhaftiert wurden, weil sie ihrer rechtmäßigen Tätigkeit nachgegangen sind und ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit ausgeübt haben, und die in Gewahrsam gehalten werden, obwohl keine eindeutigen Beweise für Straftaten vorliegen. Das EP fordert, dass in der Türkei der Ausnahmezustand aufgehoben und die Notstandsdekrete zurückgenommen werden, und die türkische Regierung im Sinne der Rechtsstaatlichkeit allen Personen, die restriktiven Maßnahmen ausgesetzt waren, die Gelegenheit gibt, geeignete und wirksame Rechtsbehelfe einzulegen, wobei hierbei die Unschuldsvermutung ein Grundprinzip ist. Das EP fordert die Türkei auf, die "Untersuchungskommission zu Notstandsverfahren" so rasch wie möglich zu reformieren, damit diese zu einer soliden und unabhängigen Kommission wird, die in der Lage ist, alle Fälle einzeln zu behandeln, die überaus große Anzahl von Anträgen, die sie erhält, wirksam zu bearbeiten und sicherzustellen, dass die juristische Überprüfung nicht unangemessen verzögert wird. Die Entscheidungen der Kommission sind öffentlich zugänglich zu machen. Das EP bekräftigt, dass die allgemein gefassten türkischen Gesetze zur Terrorismusbekämpfung nicht dafür genutzt werden sollten, Bürger und die Medien dafür zu bestrafen, dass sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ausüben und verurteilt in diesem Zusammenhang, dass mindestens 148 wissenschaftliche Mitarbeiter öffentlicher und privater Universitäten in Istanbul, die die Petition "Akademiker für den Frieden" unterzeichnet hatten, verhaftet und vor Gericht gestellt wurden. Das EP verurteilt ebenso die jüngsten Festnahmen von Journalisten, Aktivisten, Ärzten und gewöhnlichen Bürgern, die sich kritisch über den türkischen Militäreinsatz in Afrin äußerten und ist zutiefst beunruhigt über die humanitären Folgen des Militäreinsatzes.

Das EP zeigt sich zutiefst beunruhigt über Berichte, wonach Häftlinge misshandelt und gefoltert worden sind, und fordert die türkischen Staatsorgane auf, diese Vorwürfe sorgfältig zu prüfen. Das EP fordert erneut die Veröffentlichung des Berichts des Ausschusses zur Verhütung von Folter des Europarates ("CPT-Bericht").

Das EP verurteilt den Beschluss des türkischen Parlaments auf das Schärfste, die Immunität zahlreicher Abgeordneter auf verfassungswidrige Weise aufzuheben, wodurch der Weg für die kürzlich erfolgte Festnahme von zehn Mitgliedern der Opposition - darunter die beiden Vorsitzenden der Demokratischen Partei der Völker (HDP) - bereitet und sechs Mitgliedern der Opposition das Mandat aberkannt wurde. Es verurteilt die Inhaftierung von 68 kurdischen Bürgermeistern und die willkürliche Absetzung gewählter Kommunalvertreter, wodurch die demokratische Struktur der Türkei weiter ausgehöhlt wird. Das EP fordert nachdrücklich die sofortige und bedingungslose Freilassung all derjenigen, die ohne Vorliegen irgendwelcher Beweise in Gewahrsam gehalten werden.

Das EP ist zutiefst beunruhigt über die Missachtung der Religionsfreiheit, die sich etwa in der zunehmenden Diskriminierung von Christen und sonstigen religiösen Minderheiten äußert.

Das EP hegt angesichts der Entscheidung des Istanbuler Strafgerichts, die beiden Journalisten Mehmet Altan und Sahin Alpay nicht aus der Haft zu entlassen, obwohl das Verfassungsgericht ihre Freilassung mit der Begründung angeordnet hatte, in der Haft seien ihre Rechte verletzt worden, schwerwiegende Bedenken hinsichtlich der Funktionsweise des Justizsystems in der Türkei (EP 8.2.2018).

Das türkische Außenministerium wies die Resolution des Europäischen Parlaments zurück und vermeldete, dass die Resolution weit davon entfernt sei, die gegenwärtigen Bedingungen zu verstehen, mit denen die Türkei konfrontiert ist. Die Türkei würde die Resolution als "null und nichtig" betrachten (HDN 9.2.2018).

Quellen:

• EP - Europäisches Parlament (8.2.2018): Die aktuelle Menschenrechtslage in der Türkei - Entschließung des Europäischen Parlaments vom 8. Februar 2018 zur aktuellen Lage der Menschenrechte in der Türkei (2018/2527(RSP)), http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+TA+P8-TA-2018-0040+0+DOC+PDF+V0//DE, Zugriff 12.2.2018

• HDN - Hürriyet Daily News (9.2.2018): European Parliament's 'rights in Turkey' resolution null and void: Turkish Foreign Ministry,

http://www.hurriyetdailynews.com/european-parliaments-rights-in-turkey-resolution-null-and-void-turkish-foreign-ministry-127039, Zugriff 12.2.2018

KI vom 29.1.2018, Festnahmen wegen Kritik an der türkischen Militäroperation in Syrien:

Dutzende türkische Social-Media-Nutzer, darunter auch Journalisten, wurden festgenommen, weil sie die Offensive der Türkei gegen die syrisch-kurdische Miliz YPG kritisiert haben, die Ankara als Bedrohung für die Grenzsicherheit sieht. Die türkische Internetbehörde überwacht Nutzer, die Inhalte teilen, welche die türkischen Truppen an der Front demoralisieren oder die einheimische Öffentlichkeit beeinflussen könnten. Das Büro des Premierministers erlässt direkt Zugangsverbote für solche Inhalte, und gegen Nutzer, die solche Beiträge teilen, wird eine Untersuchung eingeleitet (Ahval 26.1.2018, vgl. Standard 23.1.2018). Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatte bereits am 21.1.2018 verkündet, dass jeder, der sich gegen die türkische Afrin-Offensive ausspricht, Terroristen unterstütze (DS 21.1.2018). Diesbezüglich Verdächtige werden wegen "Beleidigung von Amtsträgern", "Anstiftung zu Hass und Feindseligkeit in der Öffentlichkeit", "Beleidigung des Präsidenten" oder "Propaganda für terroristische Vereinigungen" angeklagt (AA 27.1.2018).

Der OSZE-Beauftragte für Medienfreiheit, Harlem Désir, forderte am 26.1.2018 die türkischen Behörden auf, die Terrorismusanklagen gegen Journalisten fallen zu lassen und diese freizulassen. Désir äußerte auch seine Besorgnis über die Anweisungen für die Berichterstattung über die Militäraktionen in der Region Afrin, die Redakteuren und Reportern bei einer Pressekonferenz seitens des Premierministers Binali Yildirim, des stellvertretenden Premierministers Bekir Bozdag und Verteidigungsministers Nurettin Canikli erteilt wurden. Désir erinnerte daran, dass Journalisten nicht zum Inhalt instruiert werden sollten und dass die Pressefreiheit jederzeit geachtet werden muss. Es sei die Aufgabe eines Journalisten, unterschiedliche Ansichten zu präsentieren und die Öffentlichkeit zu informieren, auch wenn der Inhalt Kritik enthält (OSCE 26.1.2018).

Quellen:

• Ahval (26.1.2018): Turkey asks Twitter, Facebook, YouTube to remove posts on Afrin op,

https://ahvalnews.com/freedom-speech/turkey-asks-twitter-facebook-youtube-remove-posts-afrin-op, Zugriff 29.1.2018

• AA - Anadolu Agency (27.1.2018): Turkey remands 16 for PYD/PKK promotion on social media,

http://aa.com.tr/en/turkey/turkey-remands-16-for-pyd-pkk-promotion-on-social-media/1044501, Zugriff 29.1.2018

• DS - Daily Sabah (21.1.2018): Anyone who opposes Turkey's Afrin op will be siding with terrorists: FM Çavusoglu, https://www.dailysabah.com/war-on-terror/2018/01/21/anyone-who-opposes-turkeys-afrin-op-will-be-siding-with-terrorists-fm-cavusoglu, Zugriff 29.1.2018

• OSCE - Organization for Security and Co-operation in Europe (26.1.2018): OSCE media freedom representative calls on Turkey to release detained journalists and respect everyone's right to express ideas freely, http://www.osce.org/fom/368261, Zugriff 29.1.2018

• Der Standard (23.1.2018): Feldzug gegen Kurden: Kein Platz für Kritiker bei Erdogans Krieg,

https://derstandard.at/2000072760808/Kurdenmiliz-Tuerkische-Armee-bombardiert-Doerfer-in-Syrien?ref=rec, Zugriff 29.1.2018

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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