Entscheidungsdatum
11.03.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
L524 2207792-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER LL.B. über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch ZEIGE Zentrum für Europäische Integration und Globalen Erfahrungsaustausch, Ottakringer Straße 54/4/2, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.09.2018, Zl. 1099989606-171086466/BMI-BFA_WIEN_AST_01, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, stellte am 22.09.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der am selben Tag erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte er vor, dass er Kurde und alevitischer Moslem sei. Er stamme aus XXXX , habe dort acht Jahre die Grundschule und vier Jahre eine allgemeinbildende höhere Schule besucht und sei zuletzt als Hilfskoch tätig gewesen. In der Türkei lebe noch seine Mutter, sein Vater sei bereits verstorben. In Österreich lebe sein Bruder, der österreichischer Staatsbürger sei. Er habe die Türkei am 20.02.2016 legal mittels Flugzeug verlassen und sei legal mit einem österreichischen Visum in das Bundesgebiet gereist. Den Ausreiseentschluss habe er bereits im Jahr 2013 gefasst. Er habe konkret nach Österreich reisen wollen, da sein Bruder hier lebe.
Hinsichtlich seines Fluchtgrundes gab er an (Schreibfehler im Original):
"Ich wollte von Anfang in Österreich studieren und hier bleiben. Ich habe den Zeitpunkt zur Anmeldung für das Studium verpasst. Deswegen habe ich Probleme wegen meinem Aufenthaltstitel bekommen. Ich war in der Türkei, für die kurdische Partei HDP, politisch tätig. Mein Bruder hat im Jahr 2002 hier um Asyl angesucht, deswegen wurde wir von den Soldaten in meinem Heimatort unterdrückt. Als Kurde wird man schon wegen Kleinigkeiten belästigt. Zuletzt habe ich bei einem Treffen mit der Partei HDP im Jahr 2013 teilgenommen. Es sind Soldaten gekommen und haben mich festgenommen und mitgenommen. Dort wurde ich beschimpft und geschlagen. Danach wurde ich frei gelassen, aber ich wurde von den Soldaten weiter bedroht und ich sollte mich von der kurdischen Partei entfernen. Ich wollte dann studieren und ich habe mich für Prüfungen vorbereitet um ins Ausland zu gehen. Jetzt werden die Kurden seit dem Putsch-Versuch noch mehr unterdrückt. Ich habe hiermit alle meine Gründe und die dazugehörenden Ereignisse angegeben, warum ich nach Österreich gereist bin. Ich habe keine weiteren Gründe für eine Asylantragstellung."
Befragt nach seiner Befürchtung bei einer Rückkehr gab er an: "Die meisten HDP-Politiker sind im Gefängnis und ich werde auch in das Gefängnis kommen".
2. Bei der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) am 04.05.2018 brachte der Beschwerdeführer vor, dass er ledig und kinderlos sei und immer unter der Adresse XXXX in XXXX gelebt habe. In der Türkei würden noch seine Mutter, ein Onkel und eine Tante leben. In der Türkei besitze er ein Haus indem seine Mutter lebe und "eine Menge an Landwirtschaft". In Österreich würden ein weiterer Onkel und sein Bruder leben. Er habe in der Türkei acht Jahre die Grundschule und drei Jahre das Gymnasium besucht und sich für eine Universität angemeldet. Beruflich sei er als Bauarbeiter und Stellvertreter des Chefs dieser Baufirma und als Landwirt tätig gewesen.
Zu seiner Ausreise aus der Türkei brachte er vor, dass er den Entschluss hierzu bereits 2008 gefasst habe, weil er nicht zum Militärdienst gehen habe wollen, habe das Land jedoch nicht verlassen können. Er habe den Militärdienst dann doch abgeleistet. Im Dezember 2015 sei er legal mittels Studentenvisum in das österreichische Bundesgebiet gereist und habe dieses nach 3 Monaten für ein Jahr verlängern lassen. Das Visum sei bis 31.03.2017 gültig gewesen. Nachgefragt, weshalb er den Antrag auf internationalen Schutz erst am 22.09.2017, also ein halbes Jahr nach Ablauf seines Visums, gestellt habe, gab er an, es sei von Anfang an sein Ziel gewesen nach Österreich zu kommen um hier zu studieren. Nach der Rückübersetzung des Protokolls gab er an, dass es sein Ziel gewesen sei, nach Österreich zu kommen, um hier um Asyl anzusuchen und nicht um zu studieren.
Er sei kein Mitglied einer politischen Partei, jedoch Sympathisant der HDP gewesen. Aufgaben habe er dabei keine gehabt, er habe mündlich und per Flugblatt Informationen an Kurden verteilt und seit 1999 an Demonstrationen der Partei teilgenommen. Eine bestimmte Aufgabe habe er dabei nicht gehabt. Bei diesen seien öfters über 10.000 Personen dabei gewesen. Er sei bei den Demonstrationen nie festgenommen worden. Er habe in XXXX auch an Sitzungen der HDP teilgenommen, zuletzt im Jahr 2015.
Wenig später gab er an, er sei mehrmals, beginnend im Jahr 2008 und zuletzt im Jahr 2013, für ein bis zwei Tage festgenommen worden, weil er an Demonstrationen teilgenommen und Informationen verteilt habe. Er sei "zum Stützpunkt" gebracht und dort einzeln befragt, geschimpft, unterdrückt und geschlagen worden. Ziel der Festnahme sei die Befragung und eine Drohung gewesen.
Der Beschwerdeführer spreche Deutsch auf dem Niveau A2, sei kein Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation, gehe aber in kurdische Vereine.
Zu seinem Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an (Schreibfehler im Original):
"F: Können Sie mir sagen, warum Sie Ihre Heimat verließen und in Österreich einen Asylantrag stellen? Nennen Sie Ihre konkreten und Ihre individuellen Fluchtgründe dafür?
A: Mein Leben in der Türkei war nicht sicher. Ich wohnte in einer kleinen Stadt. Ich wurde mehrmals festgenommen, ich hatte Angst um mein Leben. Ich habe gesehen, dass mein Leben nicht mehr in Sicherheit ist. Deswegen habe ich mich entschlossen, das Land zu verlassen.
F: Haben Sie noch weitere Fluchtgründe?
A: Ich bin PKK-Sympathisant und habe PKK-Kämpfern mit der Versorgung von Lebensmitteln und Bekleidung geholfen. Momentan kann jeder als Terrorist beschuldigt werden. Schon bei Kleinigkeiten kann man jahrelang ins Gefängnis kommen.
F: Wurden Sie auch diesbezüglich bedroht?
A: Nein, aber ich hatte Angst, dass Soldaten davon erfahren, dass ich die PKK-Kämpfer unterstütze. Hätten Sie das gewusst, hätten sie mich für mindestens zehn Jahre ins Gefängnis gesteckt.
F: Wohin brachten Sie die Lebensmittel und die Bekleidung?
A: Zu den Bergen. Ich fuhr mit Freunden in die Berge und brachte die erwähnten Sachen in die Berge, direkt zu den Kämpfern. Ich machte das sehr oft. Mehr als hundert Mal. Dies erledigten wir stets in der Nacht, gegen Mitternacht.
F: Wann sind Sie zuletzt festgenommen worden?
A: Im Jahr 2013. Bei einer Hausdurchsuchung wurden Infoblätter gefunden. Das waren Informationsblätter für eine HDP-Veranstaltung. Es waren Infoblätter für die HDP. Ich musste mitkommen und wurde bei der Polizei befragt. Während der Befragung wurde ich auch geschlagen. Danach wurde ich jedoch wieder frei gelassen.
F: Beschreiben Sie die Vorfälle bei der Polizei so genau wie möglich!
A: Es wurden ungefähr 20 Personen festgenommen. Jeder wurde in ein einzelnes Zimmer gebracht. Dann wurden uns Fotos vorgelegt, ob wir die Person kennen. Wenn ich sagte, dass ich die Person nicht kenne, wurden wir mit dem Schlagstock und mit der Faust/Fuß geschlagen. Wir bekamen auch Fotos von ermordetetn PKK-Kämpfern gezeigt und wurden gefragt, ob wir auch so enden wollen würden. In den Bergen wurden auch PKK-Kämpfer umgebracht. Als ich Schüler war, wurden wir in die Berge gebracht. Alle getöteten PKK-Kämpfer waren nackt. Uns wurde erzählt, dass das Landesverräter wären und wurden diese vor unseren Augen getreten. Die Männer waren nicht beschnitten, also Ungläubige.
F: Waren Sie im Spital, nachdem Sie von der Polizei geschlagen wurden?
A: Es gab keinen Arzt, nur eine Krankenschwester. Ich erzählte ihr, dass ich geschlagen wurde, doch sie sagte, dass sie nichts machen kann.
F: Welche Verletzungen trugen Sie mit sich?
A: Im Augen- und Rückenbereich. Prellungen und blaue Flecken.
F: Wie viele Mitglieder hatte der Verein der HDP Ihres Dorfes?
A: Jeder meines Dorfes unterstützt die HDP. 100%-ig.
F: Wurden auch andere Bewohner Ihres Dorfes aufgrund der Unterstützung der HDP bedroht worden?
A: Ja, fast alle wurden festgenommen und befragt. Manchen wurde die grüne Karte (Karte f. Versicherung) weggenommen.
F: Gingen Sie auch im Jahr 2014 und 2015 auf Demonstrationen?
A: Ja.
F: Verteilten Sie in diesen Jahren auch noch Flugblätter?
A: Ja.
F: Gab es auch bei anderen Dorfbewohner Hausdurchsuchungen?
A: Ja, in jedem Haus. Ohne der Genehmigung von der Staatsanwaltschaft. Bei einem Ausnahmezustand werden nicht Genehmigungen für diesen Zweck benötigt.
F: Warum sollten gerade Sie aufgrund der Sympathie der HDP einer intensiven Bedrohung ausgesetzt sein, zumal Sie nicht einmal Mitglied der HDP sind?
A: Man muss kein offizielles Mitglied sein. Jeder der an den Veranstaltungen der HDP teilnimmt ist in Gefahr. Seit dem Jahr 1993 kamen hunderte meiner Ortschaft nach Österreich und suchten um Asyl an. Auch mein Bruder ist einer davon. Diese haben Asyl bekommen.
F: Was befürchten Sie im Falle der Rückkehr in die Türkei?
A: Mein Leben ist in Gefahr. Ich komme sicher zehn Jahre ins Gefängnis.
F: Wieso glauben Sie das? Die letzte Ihrer Festnahmen erfolgte im Jahr 2013 und im Jahr 2015 reisten Sie erst aus, d.h. die Probleme mit staatlichen Behörden endeten im Jahr 2013. Wieso sollten Sie ausgerechnet jetzt, 5 Jahre danach wieder Probleme bekommen?
A: Viele meiner Freunde wurden festgenommen. Ich wurde auch bedroht. Im Jahr 2015 wollten sie auch, dass ich ein Dorfbeschützer werde.
F: Was würde man Ihnen vorwerfen können, wenn Sie keine Informationen mehr verteilen würden?
A: Ich habe den PKK-Kämpfern geholfen. Ich habe Angst, dass sie das erfahren werden. Die Armee hat wegen der PKK im Jahr 2015 viele Häuser zerstört.
F: Wann haben Sie den PKK-Kämpfern das erste Mal geholfen?
A: Im Jahr 2001.
Vorhalt: Das ist vor 17 Jahren und hat es bis heute niemand erfahren, dass sie dies machen. Wieso sollte es in Zukunft wer in Erfahrung bringen?
A: Die PKK-Kämpfer brauchen unsere Unterstützung.
F: Wieso reisten Sie nicht in einer andere Stadt in der Türkei, beispielsweise nach Istanbul?
A: Als Kurde hat man überall Probleme. Die HDP-Büros werden überall angezündet. Ich fühle mich verpflichtet, dort hin zu gehen.
F: Sind die Angehörigen Ihrer in der Türkei lebenden Familie auch Symathisanten der HDP?
A: Ja.
F: Weshalb können diese dann noch in der Türkei leben?
A: Sie sind sehr alt."
3. Mit Bescheid des BFA vom 18.09.2018, Zl. 1099989606-171086466/BMI-BFA_WIEN_AST_01, wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).
In der Begründung wurden zunächst die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Fluchtgrund in der Erstbefragung sowie die Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA wörtlich wiedergegeben. Weiters wurden die vom Beschwerdeführer vorgelegten Dokumente angeführt. Das BFA stellte fest, dass der Beschwerdeführer türkischer Staatsangehöriger, Kurde und sunnitischer Moslem sei. Seine Identität stehe fest. Er sei ledig, habe keine Kinder und sei gesund. In der Türkei würden noch seine Mutter, ein Onkel und eine Tante leben und in Österreich würden sein Bruder und ein weiterer Onkel leben. Er habe in der Türkei sowohl die Grundschule als auch ein Gymnasium besucht und sei neben der Beschäftigung als Landwirt auch als stellvertretender Bauleiter bei einer Baufirma tätig gewesen. Er würde in der Türkei über ein Haus und eine Menge Landwirtschaft verfügen.
Zu den Gründen für das Verlassen seines Heimatstaates stellte das BFA fest, dass nicht festgestellt werden könne, dass der Beschwerdeführer in der Türkei einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt war bzw. eine solche künftig zu befürchten habe. Es könne auch aus den sonstigen Umständen keine asylrelevante Verfolgung iSd Gründe der GFK festgestellt werden. Danach traf das BFA Feststellungen zur Lage in der Türkei.
Beweiswürdigend führte das BFA zu aus (Schreibfehler im Original):
"Gerade im Asylverfahren ist das Vorbringen des Antragstellers oft das einzige Beweismittel, welches von der Partei der Behörde zur Verfügung gestellt wird. Die niederschriftlichen Angaben der Partei stellen daher im überwiegenden Teil des Verfahrens die wesentliche Entscheidungsgrundlage dar. Im Asylverfahren liegt oft ein geradezu sachtypischer Beweisnotstand vor, weshalb das Vorbringen auf die Glaubhaftigkeit und die Person des Asylwerbers selbst auf die Glaubwürdigkeit zu prüfen sind.
Ihr beim BFA vorgelegtes Vorbringen beschränkte sich jedoch auf bloß allgemein gehaltene, vage Angaben ohne der Anführung jeglicher Details und würde dieses selbst im Falle der theoretischen Glaubhaftmachung keine Asylrelevanz entfalten.
Im Rahmen Ihrer Erstbefragung teilten Sie befragt nach Ihren Fluchtgründen völlig zweifelhaft bereits vor der Schilderung Ihrer zur Ausreise bewegenden Gründe mit, dass Sie von Anfang an vor gehabt hatten, in Österreich studieren und hier aufhältig bleiben zu wollen, womit bereits die erste Skepsis der ho. Behörde bezüglich Ihres darauf folgenden Vorbringens erweckte.
Im weiteren Verlauf der Erstbefragung schilderten Sie, für die kurdische Partei HDP politisch tätig gewesen zu sein, weswegen Sie neben der allgemeinen Bedrohung aufgrund Ihrer kurdischen Ethnie gröbere Schwierigkeiten gehabt hätten.
In Bezug auf Ihre angeblich politischen Tätigkeiten für die kurdische Partei HDP gaben Sie im Rahmen Ihrer niederschriftlichen Einvernahme vom 04.05.2018 jedoch an, dass Sie zu keiner Zeit Mitglied einer politischen Partei gewesen sind, sondern lediglich Sympathisant der HDP-Partei gewesen wären. Widersprüchlich zu Ihrer Erstbefragung teilten Sie der ho. Behörde außerdem auch mit, dass Sie keine Aufgaben bei der HDP-Partei gehabt hatten, sondern lediglich an Veranstaltungen und Demonstrationen dieser teilgenommen hätten.
Doch auch bezüglich dieser Demonstrationen gaben Sie an, dass bei diesen des Öfteren über 10.000 weitere Personen teilgenommen hätten und Sie auch im Zuge dieser keine bestimmte Aufgabe übernommen hätten. Des Weiteren gaben Sie im Widerspruch zu Ihrer Erstbefragung an, dass Sie weder im Zuge einer Demonstration noch im Rahmen einer Sitzung der HDP-Partei festgenommen wurden, wobei Sie im Rahmen Ihrer Erstbefragung doch angeführt hatten, im Zuge eines Treffens mit der HDP-Partei festgenommen worden zu sein.
Obwohl Sie angeführt hatten, noch nie Probleme mit staatlichen Behörden Ihres Heimatlandes gehabt zu haben, behaupteten Sie mehrere Male, zuletzt im Jahr 2013, aufgrund des Verteilens von Informationen über die HDP-Partei für ein bis zwei Tage festgenommen worden zu sein. Das Ziel der Festnahme wäre eine Befragung Ihrer Person gewesen und wären Sie im Anschluss der Befragung wieder freigelassen worden. Diesbezüglich führten Sie überdies an, dass diese Festnahmen nicht nur Ihre Person, sondern fast jeden Dorfbewohner Ihres Heimatdorfes betroffen hätten.
Auf folgendes Erkenntnis ist hinzuweisen:
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist davon auszguehen, dass Verhöre und Befragungen für sich allein (wenn sie ohne weitere Folge bleiben) keine Verfolgungshandlungen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention darstellen (vgl. zB VwGH 29.10.1993, 93/01/0859; 31.3.1993, 93/01/0168; 26.6.1996, 95/20/0427; 4.11.1992, 92/01/0819; 6.3.1996, 95/20/0128; 10.30.1994n, 94/19/0257; 11.6.1997, 95/01/0627) und in polizeilichen Hausbesuchen und in der Vornahme von Hausdurchsuchungen für sich allein noch keine relevante Verfolgungshandlung erblickt werden kann (VwGH 24.4.1995, 94/19/1402; 19.2.1998, 96/20/0546).
Weshalb die staatlichen Behörden Ihres Heimatlandes gerade an Ihrer Person derartiges Interesse haben sollte, konnten Sie an keiner Stelle nachvollziehbar darlegen und ist von einer maßgeblichen Verfolgung Ihrerseits keinesfalls auszugehen.
Befragt nach weiteren Fluchtgründen führten Sie plötzlich völlig unglaubhaft an, Kämpfer der PKK sowohl mit Lebensmitteln als auch mit Bekleidung versorgt zu haben. Diesbezüglich gaben Sie völlig vage und unkonkret an, dass Sie bereits über hundert Mal in der Nacht in die Berge gefahren sind, um den Kämpfern die Sachen zu bringen.
Da Sie dieses Vorbringen jedoch weder im Rahmen Ihrer Erstbefragung noch befragt nach Ihren Fluchtgründen, sondern erst völlig plötzlich nach weiteren Fluchtgründen befragt angegeben haben und sich überdies auf vage und allgemein gehaltene Angaben beschränkten, kann diesem Vorbringen kombiniert mit der obendrein völligen Unglaubwürdigkeit Ihrer Person als nicht glaubhaft erachtet werden.
Zudem führten Sie an, dass Sie den Kämpfern der PKK das erste Mal im Jahr 2001 geholfen hätten und bis zum heutigen Tage niemand von diesen angeblichen Hilfsleistungen in Kenntnis wäre. Auch die Frage, wieso plötzlich jemand in Erfahrung bringen könnte, dass Sie die Kämpfer der PKK damals unterstützt hätten, konnten Sie nicht beantworten.
Es liegt in der Natur der Sache, dass die vom Asylwerber geltend gemachte Furcht nicht bloß behauptet, sondern auch glaubhaft gemacht werden muss. Dabei steht die Vernehmung des Asylwerbers als wichtigstes Beweismittel zur Verfügung. Im Rahmen der Beweiswürdigung ist grundsätzlich den Angaben des Asylwerbers bei seiner ersten Befragung im Verwaltungsverfahren größere Glaubwürdigkeit zuzumessen, als späteren Vorbringen. Erfahrungsgemäß machen nämlich Asylwerber gerade bei der ersten Befragung spontan jene Angaben, die der Wahrheit am nächsten kommen. Als glaubwürdig können Fluchtgründe im allgemeinen nicht angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder gar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen nihct vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen und wenn er maßgebliche Tatsachen erst spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt. Die erkennende Behörde kann einen Sachverhalt grundsätzlich nur dann als glaubwürdig anerkennen, wenn der Asylwerber gleichbleibende Angaben macht, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erscheinen und wenn erst spät gemachte Angaben nicht den Schluss aufdrängen, dass sie bloß der Asylerlangung dienen sollen, der Wirklichkeit aber nicht entsprechen (AsylGH, 7.4.2009, D12 219.513-4/2009/2E;VwGH 06.3.1996, 95/20/0650).
Auch spricht gegen eine tatsächliche Bedrohung Ihrer Person durch staatliche Behörden sowohl Ihr weiteres Verhalten in Österreich als auch Ihr damaliges Verhalten in der Türkei.
Nachdem Sie bereits im Zuge Ihrer Erstbefragung angaben, dass Sie es immer schon beabsichtigt hätten, nach Österreich zu reisen und in Österreich zu studieren, gaben Sie selbst im Rahmen Ihrer niederschriftlichen Einvernahme an, lediglich aus Studienzwecken aus Ihrem Heimatland ausgereist zu sein, wie folgender Textausschnitt zeigt:
Einvernahme vom 04.05.2018:
F: Zu welchem Zwecke sind Sie zu diesem Zeitpunkt aus der Türkei ausgereist?
A: Ich kam zu Studienzwecken nach Wien, mit einem Studentenvisum.
Diesbezüglich wird auch darauf hingewiesen, dass Sie legal mittels ausgestellten Visums in das österreichische Bundesgebiet eingereist sind.
Würden Sie tatsächlich von den türkischen Behörden verfolgt werden, wäre Ihnen eine legale Ausreise aus Ihrem Heimatland keinesfalls als möglich erschienen.
Zudem ist völlig fragwürdig, wieso Sie nicht bereits bei Ihrer Einreise im österreichischen Bundesgebiet Ihren Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, sondern diesen erst gestellt haben, nachdem Ihr Aufenthaltstitel abgelaufen ist.
Darüber hinaus erachtet es die ho. Behörde als völlig zweifelhaft, wieso Sie trotz der angeblich mehrmaligen Festnahme Ihrer Person bis zu Ihrer Ausreise aus Ihrem Heimatland nicht auf die Teilnahme an von der HDP organisierten Demonstrationen verzichtet hatten, sondern weiterhin an diesen teilnahmen.
Wären Ihre Lebensumstände in der Türkei tatsächlich aufgrund der Teilnahme an Demonstrationen bzw. des Engagements Ihrerseits an der politischen Bewegung der HDP dermaßen verschlechtert worden, ist doch keinesfalls plausibel, dass Sie weitere zwei Jahre an Demonstrationen der HDP teilgenommen hätten.
Auch darf angemerkt werden, dass Sie es trotz der angeblich unzähligen Hausdurchsuchen und Festnahmen Ihrer Person nie von Nöten gehalten hätten, zu übersiedeln, sondern hätten Sie von Geburt an bis zum Tag Ihrer Ausreise an ein und derselben Adresse gelebt.
Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung war Ihr Fluchtvorbringen weder nachvollziehbar noch plausibel genug, um glaubwürdig zu sein.
Bezüglich einer etwaigen Benachteiligung Ihrer Person wegen der Zugehörigkeit zur kurdischen Ethnie war angesichts der fehlenden Eingriffsintensität der geschilderten Vorfälle keinesfalls ein als Verfolgung zu qualifizierendes Szenario abzugewinnen.
Diesbezüglich ist grundsätzlich festzuhalten, dass allgemeine Diskriminierungen, etwa soziale Ächtung, für sich genommen nicht die hinreichende Intensität für eine Asylgewährung aufweisen können. Bestimmte Benachteiligungen (wie etwa allgemeine Geringschätzung durch die Bevölkerung, Schikanen, gewisse Behinderungen in der Öffentlichkeit) bis zur Erreichung einer Intensität, dass deshalb ein Aufenthalt des Beschwerdeführers im Heimatland als unerträglich anzusehen wäre (vgl VwGH 07.10.1995, 95/20/0080; 23.05.1995, 94/20/0808), sind dahin gehend hinzunehmen. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist die schwierige allgemeine Lage einer ethnischen Minderheit oder der Angehörigen einer Religionsgemeinschaft im Heimatland eines Asylwerbers für sich allein nicht geeignet, die für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorauszusetzende Bescheinigung einer konkret gegen den Asylwerber gerichteten drohenden Verfolgungshandlung darzutun (VwGH 31.01.2002, Zl. 2000/20/0358). So hat der Verwaltungsgerichtshof beispielsweise im Erkenntnis vom 23.06.1998, Zl. 96/20/0144, ausgesprochen, dass die bloße Zugehörigkeit türkischer Staatsangehöriger zur Volksgruppe der Kurden und das alevitische Religionsbekenntnis samt der damit einhergehenden Diskriminierung noch keinen ausreichenden Grund für die Asylgewährung bilden.
Die ha. Behörde geht aufgrund der Unglaubhaftigkeit und der mangelnden Asylrelevanz Ihres Fluchtvorbringens zusammenfassend davon aus, dass Sie die Türkei lediglich aus persönlichen Motiven heraus bzw. aus wirtschaftlichen Gründen verlassen haben, zumal Sie laut Ihren eigenen Angaben doch lediglich nach Österreich gereist wären, um in Wien studieren zu können.
Zusammenfassend ist es Ihnen nicht gelungen, die Behörde von der Glaubwürdigkeit hinsichtlich einer konkret gegen Ihre Person gerichteten asylrelevanten Bedrohung zu überzeugen."
In rechtlicher Hinsicht wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer die behaupteten Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können. Es ergebe sich auch kein Hinweis darauf, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde. Es sei nicht zu erwarten, dass der Beschwerdeführer im Falle der Abschiebung in eine aussichtslose Situation geraten würde. Nach Abwägung aller Interessen ergebe sich, dass eine Rückkehrentscheidung zulässig sei.
4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung, sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger, Kurde und Moslem der alevitischen Glaubensrichtung. Der Beschwerdeführer lebte in seinem Haus in XXXX in der Provinz XXXX . Er besitzt nach wie vor dieses Haus und eine nicht näher feststellbare Menge Landwirtschaft. Er besuchte in XXXX acht Jahre die Grundschule, drei Jahre das Gymnasium und war als Landwirt sowie als Bauarbeiter und Stellvertreter des Chefs seiner Baufirma beruflich tätig.
Der Beschwerdeführer ist gesund, ledig und kinderlos. In der Türkei leben noch die Mutter des Beschwerdeführers in seinem Haus, sowie ein Onkel und eine Tante. In Österreich leben der Bruder und ein weiterer Onkel des Beschwerdeführers.
Der Beschwerdeführer verließ am 20.02.2016 legal mit dem Flugzeug die Türkei und reiste legal mittels österreichischen, bis zum 15.06.2016 gültigen Visums in das österreichische Bundesgebiet ein.
Von 31.03.2016 bis 03.03.2017 verfügte der Beschwerdeführer über einen Aufenthaltstitel für Österreich (Aufenthaltsbewilligung: Studierender)
Am 22.09.2017 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Er bezieht keine Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung, ist nicht erwerbstätig und lebt bei seinem Bruder. Der Beschwerdeführer hat die Absolvierung von Deutschprüfungen nicht nachgewiesen. Er verfügt in Österreich neben seinem Bruder und Onkel über keine familiären Anknüpfungspunkte. Er ist seit Februar 2018 Mitglied des demokratischen Gesellschaftszentrums der KurdInnen in Wien. Er ist kein Mitglied einer politischen Partei.
Der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Fluchtgrund wird der Entscheidung mangels Glaubhaftigkeit nicht zugrunde gelegt.
Zur Lage in der Türkei werden folgende Feststellungen getroffen:
KI vom 26.6.2018, Präsidentschafts- und Parlamentswahlen
Bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 24.6.2018 errang Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan 52,6% der Stimmen, sodass ein möglicher zweiter Wahlgang obsolet wurde. Der Kandidat der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP), Muharrem Ince, erhielt 30.6%. Der seit November 2016 inhaftierte ehemalige Ko-Vorsitzende der Demokratischen Partei der Völker (HDP), Selahattin Demirtas, erhielt 8,4% und die Vorsitzende der neu gegründeten Iyi-Partei, Meral Aksener, erreichte 7,3%. Die übrigen Mitbewerber lagen unter einem Prozent. Bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen erhielt die regierende AK-Partei 42,6% der Stimmen und 295 der 600 Sitze im Parlament. Trotz des Verlustes der absoluten Mehrheit errang die AKP durch ein Wahlbündnis unter dem Namen "Volksbündnis" mit der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), die 11,1% und 49 Sitze erreichte, die Mehrheit im Parlament. Die kemalistisch-sekuläre CHP gewann 22,6% bzw. 146 Sitze und ihr Wahlbündnispartner, die national-konservative Iyi-Partei, eine Abspaltung der MHP, 10% bzw. 43 Mandate. Die religiös-konservative Saadet-Partei, die dritte Partei nebst CHP und MHP im oppositionellen "Bündnis der Nation", erhielt nur 1,3% und blieb ohne Mandat. Drittstärkste Partei wurde die pro-kurdische HDP mit 11,7% und 67 Mandaten (HDN 26.6.2018).
Zwar hatten die Wähler und Wählerinnen eine echte Auswahl, doch bestand keine Chancengleichheit zwischen den Kandidaten und Parteien. Der amtierende Präsident und seine Partei genossen einen beachtlichen Vorteil, der sich auch in einer übermäßigen Berichterstattung der staatlichen und privaten Medien zu seinen Gunsten und der AKP widerspiegelte. Zudem missbrauchte die regierende AKP staatliche Verwaltungsressourcen für den Wahlkampf. Der restriktive Rechtsrahmen und die unter dem geltenden Ausnahmezustand gewährten Machtbefugnisse schränkten die Versammlungs- und Meinungsfreiheit auch in den Medien ein. Der Wahlkampf fand in einem stark polarisierten politischen Umfeld statt. Während alle Kandidaten eine aufgeladene Rhetorik gegen die Mitbewerber verwendeten, bezeichnete der amtierende Präsident immer wieder andere Kandidaten und Parteien als Unterstützer des Terrorismus. Während der Kampagne kam es zu einer Reihe von Zwischenfällen, die teilweise gewalttätig waren. Eine beträchtliche Anzahl von Übergriffen auf Partei- und Wahlkampfeinrichtungen betraf vor allem die pro-kurdische HDP, aber auch die CHP, Saadet-Partei und die IYI-Partei (OSCE/ODIHR 25.6.2018).
Quellen:
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Hürriyet Daily News (26.6.2018): 24. Juni 2018, Ergebnisse Präsidentschaftswahlen; Ergebnisse Parlamentswahlen, http://www.hurriyetdailynews.com/wahlen-turkei-2018, Zugriff 26.6.2018
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OSCE/ODIHR - OSCE/ODHIR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights; OSCE Parliamentary Assembly; PACE - Parliamentary Assembly of the Council of Europe (25.6.2018): International Election Observation Mission Republic of Turkey - Early Presidential and Parliamentary Elections - 24.6.2018, https://www.osce.org/odihr/elections/turkey/385671?download=true, Zugriff 26.6.2018
KI vom 18.4.2018, Bericht der Europäischen Kommission zur Türkei
Die Europäische Kommission (EK) veröffentlichte am 17.4.2018 ihren Länderbericht zur Türkei. Darin anerkennt laut Kommission die EU zwar, dass die Türkei angesichts der Putschversuches rasch und angemessen handeln musste, gleichzeitig zeigt sich die EU angesichts des umfassenden und kollektiven Charakters bzw. die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahmen besorgt, die seit dem Putschversuch ergriffen wurden. Hierzu gehören etwa die weit verbreiteten Entlassungen, Verhaftungen und Festnahmen. Die Türkei sollte den Ausnahmezustand unverzüglich aufheben.
Gravierende Mängel betreffen laut Bericht die bisher 31 Notstandsdekrete. Sie wurden nicht einer sorgfältigen und wirksamen Kontrolle durch das Parlament unterzogen, wodurch sie der gerichtlichen Überprüfung entzogen sind. Keines der Notstandsdekrete war bisher Gegenstand einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes. Diese Notverordnungen haben insbesondere bestimmte bürgerliche und politische Rechte, einschließlich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie der Verfahrensrechte, eingeschränkt. Sie haben zudem wichtige bestehende Rechtsakte geändert, die auch nach der Aufhebung des Ausnahmezustands nach Meinung der EK ihre Wirkung behalten werden.
Die Zivilgesellschaft ist zunehmend unter Druck geraten, insbesondere angesichts einer großen Zahl von Verhaftungen von Aktivisten, einschließlich Menschenrechtsverteidigern, und der wiederholten Anwendung von Demonstrationsverboten, was zu einer raschen Einengung der Grundrechte und -freiheiten geführt hat.
Das türkische Justizsystem ist von weiteren gravierenden Rückschlägen, insbesondere im Hinblick auf die Unabhängigkeit der Justiz, geprägt. Die Verfassungsänderungen bezüglich des Rates der Richter und Staatsanwälte (CJP) haben dessen Unabhängigkeit von der Exekutive weiter untergraben. Die CJP setzte die großangelegte Suspendierung und Versetzung von Richtern und Staatsanwälten fort.
Auch in den Bereichen Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Verfahrens- und Eigentumsrechte gab es gravierende Rückschläge. Die Situation in Bezug auf die Verhütung von Folter und Misshandlung gibt weiterhin Anlass zu ernster Besorgnis. In mehreren glaubwürdigen Berichten von Menschenrechtsorganisationen, so die EK, wird behauptet, dass die Aufhebung wichtiger Schutzmaßnahmen durch die Notverordnungen die Gefahr der Straffreiheit für die Täter solcher Verbrechen erhöht und zu einer Zunahme der Fälle von Folter und Misshandlung in Haft geführt hat. Diesbezügliche Klagen bergen angeblich das Risiko von Repressalien. Die Notstandsdekrete brachten zusätzliche Einschränkungen der Verfahrensrechte, einschließlich der Rechte der Verteidigung, mit sich.
Die Ernennung von Treuhändern als Ersatz für kommunale Führungskräfte und gewählte Vertreter, hauptsächlich in Gemeinden mit kurdischer Mehrheit, führte zu einer erheblichen Schwächung der lokalen Demokratie. Die Sicherheitslage im Südosten ist weiterhin angespannt, wobei 2017 weniger die urbanen denn die ländlichen Gebiete betroffen waren. Die Situation der Binnenvertriebenen hat sich infolge der Gewalt im Südosten nur unwesentlich verbessert. Nur ein kleiner Prozentsatz von ihnen hat neue Unterkünfte erhalten (EC 17.4.2018).
In einer Reaktion auf den Bericht teilte das türkische Außenministerium mit, dass die EK Unwillens sei, die Schwierigkeiten zu verstehen, mit denen das Land konfrontiert ist, weshalb die Kommission nicht in der Lage sei, objektiv und ausgewogen zu sein (MFA 18.4.2018).
Quellen:
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EC - European Commission (17.4.2018): Turkey 2018 Report [SWD (2018) 153
final],https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20180417-turkey-report.pdf, Zugriff 18.4.2018
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MFA - Republic of Turkey/Ministry of Foreign Affairs (18.4.2018):
No: 109, 17 April 2018, Press Release Regarding the 2018 Turkey Country Report and the Enlargement Strategy Paper, http://www.mfa.gov.tr/no_-109_-ab-komisyonunun-2018-turkiye-ulke-raporu-hk_en.en.mfa, Zugriff 18.4.2018
KI vom 21.3.2018, Bericht des OHCHR über die Auswirkungen des Ausnahmezustands auf die Menschenrechte in der Türkei
Das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte veröffentlichte am 20.3.2018 seinen "Bericht über die Auswirkungen des Ausnahmezustands auf die Menschenrechte in der Türkei, einschließlich eines aktualisierten Berichts über den Südosten" für den Zeitraum 2017. Laut Bericht hat die routinemäßige Verlängerung des Ausnahmezustands in der Türkei zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen gegen Hunderttausende von Menschen geführt - von willkürlichem Entzug des Rechts auf Arbeit und Bewegungsfreiheit, über Folter und andere Misshandlungen bis hin zu willkürlichen Verhaftungen und Verletzungen des Rechts auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit (OHCHR 20.3.2018, vgl. Zeit 20.3.2018). Eines der alarmierendsten Ergebnisse ist laut Hochkommissar, Zeid Ra'ad Al Hussein, die Tatsache, dass die türkischen Behörden Berichten zufolge etwa 100 Frauen, die schwanger waren oder gerade entbunden hatten, festhielten, vor allem mit der Begründung, sie seien "Mitarbeiter" ihrer Ehemänner, die im Verdacht stehen, mit terroristischen Organisationen in Verbindung zu stehen. Einige Frauen wurden mit ihren Kindern festgenommen, andere wurden gewaltsam von ihnen getrennt (OHCHR 20.3.2018).
Der Bericht warnt davor, dass der Ausnahmezustand die Verschlechterung der Menschenrechtslage und die Erosion der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei begünstigt hat und langfristige Auswirkungen auf das institutionelle und sozioökonomische Gefüge der Türkei haben kann. Der Bericht unterstreicht ferner die Notwendigkeit, unabhängige, individuelle Prüfungen und Entschädigungen für die Opfer willkürlicher Verhaftungen und Entlassungen zu gewährleisten, und fordert die Türkei auf, den Ausnahmezustand unverzüglich zu beenden, das normale Funktionieren der staatlichen Institutionen wiederherzustellen sowie alle Rechtsvorschriften, die nicht den internationalen Menschenrechtsverpflichtungen entsprechen, einschließlich der Notverordnungen, zu überarbeiten bzw. zu revidieren (OHCHR 20.3.2018).
Das türkische Außenamt warf in einer Reaktion dem Hochkommissar vor, nicht nur seine Objektivität und Unparteilichkeit gegenüber der Türkei verloren zu haben, sondern dass das OHCHR unter seiner Leitung zum Kollaborateur terroristischer Organisationen abgestiegen sei. Der Bericht sei in Zusammenarbeit mit dem Terror nahestehender Kreise erstellt worden (MFA 20.3.2018).
Quellen:
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MFA - Republic of Turkey/Ministry of Foreign Affairs (20.3.2018):
No: 79, 20 March 2018, Press Release Regarding the OHCHR Turkey Report published on 20 March 2018, http://www.mfa.gov.tr/no_-79-bm-insan-haklari-yuksek-komiserli%C4%9Finin-ulkemize-iliskin-olarak-20-mart-2018-tarihinde-yayimladigi-belge-hk_en.en.mfa, Zugriff 21.3.2018
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OHCHR - The Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (20.3.2018): Turkey: UN report details extensive human rights violations during protracted state of emergency, http://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=22853&LangID=E, Zugriff 21.3.2018
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Die Zeit (20.3.2018): Gericht verurteilt Türkei wegen Inhaftierung zweier Journalisten,
http://www.zeit.de/politik/ausland/2018-03/europaeischer-gerichtshof-fuer-menschenrechte-turkei-inhaftierte-journalisten-militaerputsch, Zugriff 21.3.2018
KI vom 21.3.2018, Bericht des OHCHR über die Auswirkungen des Ausnahmezustands auf die Menschenrechte in der Türkei
Das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte veröffentlichte am 20.3.2018 seinen "Bericht über die Auswirkungen des Ausnahmezustands auf die Menschenrechte in der Türkei, einschließlich eines aktualisierten Berichts über den Südosten" für den Zeitraum 2017. Laut Bericht hat die routinemäßige Verlängerung des Ausnahmezustands in der Türkei zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen gegen Hunderttausende von Menschen geführt - von willkürlichem Entzug des Rechts auf Arbeit und Bewegungsfreiheit, über Folter und andere Misshandlungen bis hin zu willkürlichen Verhaftungen und Verletzungen des Rechts auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit (OHCHR 20.3.2018, vgl. Zeit 20.3.2018). Eines der alarmierendsten Ergebnisse ist laut Hochkommissar, Zeid Ra'ad Al Hussein, die Tatsache, dass die türkischen Behörden Berichten zufolge etwa 100 Frauen, die schwanger waren oder gerade entbunden hatten, festhielten, vor allem mit der Begründung, sie seien "Mitarbeiter" ihrer Ehemänner, die im Verdacht stehen, mit terroristischen Organisationen in Verbindung zu stehen. Einige Frauen wurden mit ihren Kindern festgenommen, andere wurden gewaltsam von ihnen getrennt (OHCHR 20.3.2018).
Der Bericht warnt davor, dass der Ausnahmezustand die Verschlechterung der Menschenrechtslage und die Erosion der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei begünstigt hat und langfristige Auswirkungen auf das institutionelle und sozioökonomische Gefüge der Türkei haben kann. Der Bericht unterstreicht ferner die Notwendigkeit, unabhängige, individuelle Prüfungen und Entschädigungen für die Opfer willkürlicher Verhaftungen und Entlassungen zu gewährleisten, und fordert die Türkei auf, den Ausnahmezustand unverzüglich zu beenden, das normale Funktionieren der staatlichen Institutionen wiederherzustellen sowie alle Rechtsvorschriften, die nicht den internationalen Menschenrechtsverpflichtungen entsprechen, einschließlich der Notverordnungen, zu überarbeiten bzw. zu revidieren (OHCHR 20.3.2018).
Das türkische Außenamt warf in einer Reaktion dem Hochkommissar vor, nicht nur seine Objektivität und Unparteilichkeit gegenüber der Türkei verloren zu haben, sondern dass das OHCHR unter seiner Leitung zum Kollaborateur terroristischer Organisationen abgestiegen sei. Der Bericht sei in Zusammenarbeit mit dem Terror nahestehender Kreise erstellt worden (MFA 20.3.2018).
Quellen:
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MFA - Republic of Turkey/Ministry of Foreign Affairs (20.3.2018):
No: 79, 20 March 2018, Press Release Regarding the OHCHR Turkey Report published on 20 March 2018, http://www.mfa.gov.tr/no_-79-bm-insan-haklari-yuksek-komiserli%C4%9Finin-ulkemize-iliskin-olarak-20-mart-2018-tarihinde-yayimladigi-belge-hk_en.en.mfa, Zugriff 21.3.2018
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OHCHR - The Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (20.3.2018): Turkey: UN report details extensive human rights violations during protracted state of emergency, http://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=22853&LangID=E, Zugriff 21.3.2018
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Die Zeit (20.3.2018): Gericht verurteilt Türkei wegen Inhaftierung zweier Journalisten,
http://www.zeit.de/politik/ausland/2018-03/europaeischer-gerichtshof-fuer-menschenrechte-turkei-inhaftierte-journalisten-militaerputsch, Zugriff 21.3.2018
KI vom 21.3.2018, Urteile des EGMR zu den inhaftierten Journalisten Alpay und Altan
In den Fällen Sahin Alpay versus Türkei und Mehmet Hasan Altan versus Türkei stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fest, dass das Recht auf Freiheit und Sicherheit sowie das Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt worden waren (ECHR 20.3.2018). Dieser schloss sich damit der Meinung des türkischen Verfassungsgerichts an, das die Inhaftierung der beiden Kläger als Verstoß gegen die Meinungs- und Pressefreiheit gewertet und ihre Freilassung im Januar angeordnet hatte. Nach Kritik der Erdogan-Regierung an der Entscheidung hatten untergeordnete Gerichte aber die Freilassung der beiden verweigert (Zeit 20.3.2018).
Der türkische Staat muss ihnen jeweils 21 500 Euro Entschädigung zahlen. Es waren die ersten Urteile des EGMR zu inhaftierten Journalisten in der Türkei. Alpay und Altan waren vor knapp zwei Jahren nach dem gescheiterten Militärputsch, für den die türkische Regierung den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen verantwortlich macht, festgenommen worden. Alpay schrieb für die inzwischen geschlossene Zeitung Zaman, das wichtigste Medium der Gülen-Bewegung. Altan leitete eine Diskussionssendung im TV-Sender Can Erzincan TV, in der er nach Angaben der Ankläger mit "geheimen Botschaften" zum Putsch aufgerufen haben soll (FR 20.3.2018).
Alpay ist mittlerweile aus dem Gefängnis entlassen und unter Hausarrest gestellt worden. Das Verfahren gegen ihn läuft noch. Ein Prozesstermin steht noch nicht fest. Altan sitzt weiter im Gefängnis. Er wurde im Februar wegen versuchten Umsturzes zu lebenslanger Haft verurteilt (Standard 20.3.2018).
Quellen:
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European Court of Human Rights (20.3.2018): Chamber judgments concerning Turkey, https://www.echr.coe.int/Pages/home.aspx?p=home, Zugriff 21.3.2018
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Frankfurter Rundschau (20.3.2018): Menschenrechts-Gerichtshof verurteilt Türkei,
http://www.fr.de/politik/tuerkei-menschenrechts-gerichtshof-verurteilt-tuerkei-a-1470850, Zugriff 21.3.2018
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Der Standard (20.3.2018): Menschenrechtsgericht: U-Haft zweier türkischer Journalisten rechtswidrig, https://derstandard.at/2000076473222/Menschenrechtsgerichtshof-verurteilt-Tuerkei-wegen-Journalistenhaft, Zugriff 21.3.2018
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Die Zeit (20.3.2018): Gericht verurteilt Türkei wegen Inhaftierung zweier Journalisten,
http://www.zeit.de/politik/ausland/2018-03/europaeischer-gerichtshof-fuer-menschenrechte-turkei-inhaftierte-journalisten-militaerputsch, Zugriff 21.3.2018
KI vom 5.3.2018, UN-Sonderberichterstatter für Folter zu Foltervorwürfen und Verhalten der Regierung
Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, äußerte ernste Besorgnis über die zunehmenden Vorwürfe von Folter und anderer Misshandlungen im Polizeigewahrsam seit Ende seines offiziellen Besuchs im Dezember 2016. Melzer zeigte sich beunruhigt angesichts der Behauptungen, dass eine große Anzahl von Personen, die im Verdacht stehen, Verbindungen zur Gülen-Bewegung oder zur bewaffneten Arbeiterpartei Kurdistans zu haben, brutalen Verhörmethoden ausgesetzt sind, die darauf abzielen, erzwungene Geständnisse zu erwirken oder Häftlinge zu zwingen, andere zu belasten. Zu den Missbrauchsfällen gehören schwere Schläge, Elektroschocks, Übergießen mit eisigem Wasser, Schlafentzug, Drohungen, Beleidigungen und sexuelle Übergriffe.
Der Sonderberichterstatter sagte, dass die Regierungsstellen offenbar keine ernsthaften Maßnahmen ergriffen haben, um diese Anschuldigungen zu untersuchen oder die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Stattdessen wurden Beschwerden, in denen Folter behauptet wird, angeblich von der Staatsanwaltschaft unter Berufung auf jene Notstandsverordnung (Art. 9 des Dekrets Nr. 667) abgewiesen, welche Beamte von einer strafrechtlichen Verantwortung für Handlungen im Zusammenhang mit dem Ausnahmezustand freispricht.
Die Tatsache, dass die Behörden es versäumt haben, Folter und Misshandlung öffentlich zu verurteilen und das allgemeine Verbot eines solchen Missbrauchs in der täglichen Praxis durchzusetzen, scheint laut Melzer jedoch ein Klima der Straffreiheit, Selbstzufriedenheit und Duldung gefördert zu haben, das dieses Verbot und letztendlich die Rechtsstaatlichkeit ernsthaft untergräbt (OHCHR 27.2.2018).
Der Sonderberichterstatter vermutet, dass sich angesichts der Massenentlassungen innerhalb der Behörden Angst breit gemacht hat, sich gegen die Regierung zu stellen. Staatsanwälte untersuchen Foltervorwürfe nicht, um nicht selber in Verdacht zu geraten (SRF 1.3.2018).
Quellen:
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OHCHR - Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (27.2.2018): Turkey: UN expert says deeply concerned by rise in torture allegations,
http://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=22718&LangID=E, Zugriff 5.3.2018
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SRF - Schweizer Radio und Fernsehen (1.3.2018): Foltervorwürfe an Türkei - Schläge, Elektroschocks, Eiswasser, sexuelle Übergriffe, https://www.srf.ch/news/international/foltervorwuerfe-an-tuerkei-schlaege-elektroschocks-eiswasser-