Entscheidungsdatum
14.03.2019Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
G309 2189449-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Ing. Mag. Franz SANDRIESSER als Vorsitzenden, sowie die Richterin Mag. Beatrix LEHNER und die fachkundige Laienrichterin Beate KOCH als Beisitzerinnen in der Beschwerdesache des XXXX, geb. XXXX, gegen den Bescheid vom 05.01.2018 und die Beschwerdevorentscheidung vom 28.02.2018, des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Steiermark, OB: XXXX, betreffend die Feststellung, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" nicht vorliegen, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und die Beschwerdevorentscheidung dahingehend abgeändert, dass es zu lauten hat:
"Die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass liegen vor."
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) brachte am 17.11.2017 via der Zentralen Poststelle beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Steiermark (im Folgenden: belangte Behörde), einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO ein. Da der BF nicht im Besitz eines Behindertenpasses mit der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" war, wurde dieser Antrag von der belangten Behörde als Antrag auf Vornahme dieser Zusatzeintragung in den Behindertenpass des BF gewertet. Dem Antrag waren medizinische Beweismittel (Befunde udgl.) sowie ein Bescheid des Landes Steiermark über die Bewilligung von Physiotherapiekosten angeschlossen.
2. Im Rahmen des seitens der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens wurde ein - aufgrund der Aktenlage erstattetes - medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt. Im Gutachten von XXXX, Arzt für Allgemeinmedizin, vom 20.12.2017, wird im Wesentlichen zusammengefasst folgendes festgehalten:
"Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?
Es ist Herrn XXXX nach dem Befund der Uni- Klinik für Kinder und Jugendliche vom 26.09.2017 sicher möglich eine kurze Wegstrecke ohne Unterbrechung, unter Verwendung eines Hilfsmittels, zurückzulegen und das Ein- und Aussteigen und den Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel zu bewältigen. Da keine Beschwerden im Bereich der Kniegelenke vorliegen und der Zehenspitzengang, der Fersengang und der Einbeinstand problemlos möglich sind."
3. Mit Bescheid vom 05.01.2018 wurde der Antrag des BF auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" abgewiesen und diese Entscheidung im Wesentlichen auf das eingeholte ärztliche Sachverständigengutachten gestützt, wonach die Voraussetzungen für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung nicht vorliegen würden.
4. Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit per E-Mail am übermittelten Schreiben vom 30.01.2018 innerhalb offener Frist Beschwerde und brachte weitere medizinische Beweismittel in Vorlage. Begründend führte der BF zu seiner Beschwerde aus, dass es ihm nur unter sehr starken Schmerzen und Verwendung von Kniebandagen für beide Knie und einem Gehstock möglich sei 300 m zu gehen; dies jedoch nicht am Stück sondern über den ganzen Tag verteilt. Wenn der BF diese Grenze überschreite, sei sein Körper so erschöpft, dass der Körper mit Fieber reagiere und er diesen und mindestens einen weiteren Tag das Bett nicht verlassen könne. Der BF finde, dass in seinem Fall erhebliche Einschränkungen der Funktion der unteren Extremitäten und erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit gegeben seien und die Wegstrecke von 300 bis 400 m nicht ohne Unterbrechung zurückgelegt werden könne. Auch ersuche der BF um Berücksichtigung, dass er bei seiner vorliegenden Erkrankung Ehlers-Danlos-Syndrom mit seinem Bewegungsapparat sehr schonend umgehen solle.
5. Im Rahmen des seitens der belangten Behörde fortgeführten Ermittlungsverfahrens wurde XXXX um eine ergänzende Begutachtung der Funktionseinschränkungen des BF ersucht. Im (ergänzenden) Gutachten von XXXX, Arzt für Allgemeinmedizin, vom 26.02.2018, wird im Wesentlichen zusammengefasst folgendes festgehalten:
"Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?
Nach den vorliegenden Befunden vom 12.09.2017, der Uni-Klinik für Kinder und Jugendchirurgie gibt Herr XXXX selbst an, dass er eine maximale Gehstrecke von 500 Meter unter Verwendung eines Gehstockes zurückzulegen kann. Laut dem Befund der Uni-Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin vom 13.09.2017 ist der Zehenspitzen- und Fersengang und der Einbeinstand problemlos möglich. Auch die Kniegelenke sind unauffällig. Die Schultergelenke (bei Elevation habituell luxiert) die hypermobilen Fingergelenke und die diskret überstreckbaren Ellbogengelenke hindern Herrn XXXX nicht daran, eine Wegstrecke (nach eigenen Angaben von 500 Metern) unter Verwendung eines Gehstockes zurückzulegen und das Ein- und Aussteigen und die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels zu bewältigen.
Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?
Nein
Gutachterliche Stellungnahme:
Nachdem durch eine molekulargenetische Untersuchung ein Ehlers-Danlos Syndrom ausgeschlossen werden konnte, wurde die Diagnose Marfan Syndrom gesichtet. Es ist deshalb Herrn XXXX sicher möglich, eine kurze Wegstrecke von 300 bis 500 m, ohne Unterbrechung zurückzulegen und die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels zu bewältigen."
6. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 28.02.2018 wurde der Bescheid der belangten Behörde hinsichtlich der Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" bestätigt und die Beschwerde abgewiesen.
7. Gegen die Beschwerdevorentscheidung erhob der BF mit per E-Mail übermittelten Schreiben vom 14.03.2018 das Rechtsmittel des Vorlageantrages und führte dazu aus, dass er unter einer multilokulären Dauerschmerzsymptomatik mit zwischenzeitlichen Schmerzen leide, er ständig Schmerzmittel einnehmen müsse, in der Schmerzambulanz in Behandlung sei und es ihm nicht möglich sei eine längere Wegstrecke (300 m) zu bewältigen. Die verfahrensgegenständlichen Sachverständigengutachten seien lediglich aufgrund der Aktenlage erstellt worden und sei der BF vom Sachverständigen nur im Verfahren betreffend die Beantragung der erhöhten Familienbeihilfe Ende Juli 2017 untersucht worden. Die Krankheit des BF sei fortschreitend und entsprechen die Ausführungen des Sachverständigen nicht dem momentanen Zustand des BF.
8. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch die belangte Behörde einlangend mit 16.03.2018 vorgelegt.
9. Seitens des erkennenden Gerichtes wurde der Amtssachverständige XXXX, Arzt für Allgemeinmedizin, mit der Begutachtung und Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Im eingeholten Gutachten vom 30.05.2018 wurde, basierend auf der persönlichen Untersuchung des BF, in Hinblick auf die Gesamtmobilität des BF im Zusammenhang mit der beantragten Zusatzeintragung wie folgt ausgeführt:
"Stellungnahme:
Unbestritten und diagnostiziert ist eine chronische Bindegewebserkrankung mit Hypermobilität sämtlicher Gelenke gegeben. Diesbezüglich ist eine Funktionseinschränkung bei rezidivierenden Luxationen der Schulter- aber auch Kniegelenke sowie Fingergelenke mehrmals diagnostiziert und auch objektivierbar, die Bewegung der Gelenke dadurch deutlich eingeschränkt, sowohl der Hüft- als auch der Knie- und Schultergelenke. Aktuell aufgrund der Untersuchung ist das Heben der Beine aktiv nicht relevant möglich, Gelenksschmerzen als limitierender Faktor für die Wegstrecke sind nachvollziehbar. Es wird eine Schmerzmedikation nach Stufe II WHO bei Bedarf eingenommen. Der sichere Transport im öffentlichen Verkehrsmittel wenn überhaupt nur in sitzender Position aufgrund der Muskelschwäche und der Hantierfunktionsminderung (über Kopf nicht möglich aufgrund der Schulterluxationsneigung), auf Tischebene eingeschränkt aufgrund der Kraftabschwächung.
Bei dem Beschwerdeführer liegen
-
(k)eine direkte erhebliche Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten vor, jedoch eine indirekte durch die erbliche Erkrankung
-
keine erheblichen Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit vor
-
keine erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder schwere anhaltende Erkrankungen des Immunsystems vor.
-
keine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubheit vor."
10. Das Ergebnis der Beweisaufnahme wurde den Verfahrensparteien seitens des erkennenden Gerichtes im Rahmen des Parteiengehörs gemäß § 45 Abs. 3 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG mit Schreiben vom 19.06.2018 zur Kenntnis gebracht und den Parteien die Möglichkeit eingeräumt, sich dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung zu äußern. Es langten keine Stellungnahmen ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist im Besitz eines Behindertenpasses.
Beim BF liegen ein Ehlers-Danlos-Syndrom/Marfan-Syndrom (Hypermobilität) sämtlicher Gelenke mit rezidivierenden Gelenksluxationen (Schulter, Finger und Kniegelenke) und eine Gelenksschmerzensymptomatik aufgrund der Grunderkrankung vor. Ferner besteht eine Aortenwurzeldilatation, eine geringgradige Skoliose und eine leichte Kurzsichtigkeit (Myopia levis) mit Brillenversorgung.
Der sichere Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter den üblichen Transportbedingungen ist dem BF im Hinblick auf die obig angeführten Gesundheitsschädigungen nicht möglich. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist dem BF nicht zumutbar.
Die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass liegen vor.
2. Beweiswürdigung:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt den vorgelegten Verwaltungsakten und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes. Die Feststellung, dass der BF im Besitz eines Behindertenpasses ist, stützt sich auf den Akteninhalt.
Das seitens des erkennenden Gerichtes eingeholte medizinische Sachverständigengutachten von XXXX, Arzt für Allgemeinmedizin, vom 30.05.2018 ist schlüssig, nachvollziehbar und weist keine Widersprüche auf. Soweit das Gutachten von XXXX vom von der belangten Behörde eingeholten Vorgutachten abweicht, ist dies auf den aktuellen bei der persönlichen Untersuchung des BF festgestellten Gesundheitszustand des BF und die durch XXXX vorgenommene Einschätzung der Gelenksschmerzen als limitierender Faktor für die Wegstrecke im Kontext mit der Schmerzmedikation nach Stufe II WHO und in Zusammenschau mit der bestehenden Muskelschwäche und der Hantierfunktionsminderung (Schulterluxationsneigung). Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen, sowie zu deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel Stellung genommen. Der auf Seite 4 des Gutachtens enthaltene Tippfehler ("eine" statt "keine") führt nicht zur Unschlüssigkeit des Gutachtens, zumal sich aus den Gutachten (insbesondere den gutachterlichen Ausführungen auf Seite 3 des Sachverständigengutachtens) nachvollziehbar ergibt, dass keine direkten erheblichen Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten vorliegen, jedoch eine indirekte erhebliche Einschränkung der Funktion der unteren Extremitäten durch die erbliche Erkrankung des BF (chronische Bindegewebserkrankung mit Hypermobilität sämtlicher Gelenke) besteht.
Der Inhalt des medizinischen Sachverständigengutachtens von XXXX wurde den Verfahrensparteien im Rahmen des Parteiengehörs zur Möglichkeit einer Stellungnahme übermittelt und von diesen unbeeinsprucht zur Kenntnis genommen. Das Sachverständigengutachten wird der Entscheidung des erkennenden Gerichts daher in freier Beweiswürdigung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
Gemäß § 6 BVwGG (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG (Bundesbehindertengesetzes) hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die im § 10 Abs. 1 Z 6 BBG genannte Vereinigung entsendet die Vertreterin oder den Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung. Hinsichtlich der Aufteilung des Nominierungsrechtes auf gleichartige Vereinigungen ist § 10 Abs. 2 BBG anzuwenden. Für die Vertreterin oder den Vertreter ist jeweils auch die erforderliche Anzahl von Ersatzmitgliedern zu entsenden.
Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 VwGVG).
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG (Bundes-Verfassungsgesetz) die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG steht es der Behörde im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung gemäß § 14 Abs. 1 VwGVG frei, den angefochtenen Bescheid innerhalb von zwei Monaten aufzuheben, abzuändern oder die Beschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen. Abweichend davon beträgt die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung gemäß § 46 BBG zwölf Wochen.
Gemäß § 15 VwGVG kann jede Partei binnen einer Frist von zwei Wochen nach Zustellung der Beschwerdevorentscheidung bei der Behörde den Antrag stellen, dass die Beschwerde dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt wird (Vorlageantrag).
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, durch Erkenntnis zu erledigen. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß
Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Das Verwaltungsgericht kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt wird, ungeachtet eines Parteienantrags, von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) noch Art. 47 GRC (Charta der Grundrechte der Europäischen Union) entgegenstehen. Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) kann entnommen werden, dass er das Sozialrecht auf Grund seiner technischen Natur und der oftmaligen Notwendigkeit, Sachverständige beizuziehen, als gerade dazu geneigt ansieht, nicht in allen Fällen eine mündliche Verhandlung durchzuführen (vgl. Eriksson v. Sweden, EGMR 12.04.2012; Schuler-Zgraggen v. Switzerland, EGMR 24.06.1993). Der im gegenständlichen Fall entscheidungsrelevante Sachverhalt wurde größtenteils auf gutachterlicher Basis ermittelt und ist durch seine "technische" Natur, nämlich durch medizinisches Fachwissen, gekennzeichnet. Da der Sachverhalt auch aus der Aktenlage in Verbindung mit den Beschwerdegründen und dem Begehren des BF geklärt erscheint, konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 VwGVG entfallen.
3.2. Zu Spruchteil A):
Unter Behinderung im Sinne des Bundesbehindertengesetzes ist gemäß § 1 Abs. 2 BBG die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit gemäß § 42 Abs. 1 BBG zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
Gemäß § 45 BBG Abs. 1 sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
Ein Bescheid ist gemäß § 45 Abs. 2 BBG nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3 BBG) oder der Pass eingezogen wird.
Gemäß § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist, einzutragen. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das
36. Lebensmonat vollendet ist und
-
erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
-
erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
-
erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
-
eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
-
eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach
§ 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d vorliegen.
Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden (vgl. etwa VwGH 18.12.2006, Zl. 2006/11/0211; VwGH 20.04.2004, Zl. 2003/11/0078 ua.).
Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, Zl. 2007/11/0080).
Gemäß § 29b Abs. 1 StVO (Straßenverkehrsordnung 1960) ist Inhabern und Inhaberinnen eines Behindertenpasses nach dem Bundesbehindertengesetz, die über die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" verfügen, als Nachweis über die Berechtigungen nach Abs. 2 bis 4 auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen ein Ausweis auszufolgen.
Es war aus folgenden Gründen spruchgemäß zu entscheiden:
Der BF leidet aufgrund der diagnostizierten chronischen Bindegewebserkrankung mit Hypermobilität sämtlicher Gelenke unter einer Funktionseinschränkung bei rezidivierenden Luxationen der Knie-, Schulter- und Fingergelenke. Die Bewegung der Hüft-, Knie- und Schultergelenke des BF ist deutlich eingeschränkt. Dem BF ist das Heben der Beine nicht relevant möglich. Die vom BF bewältigbare Wegstrecke wird durch die Gelenkschmerzen limitiert. Aufgrund der Muskelschwäche und der Hantierfunktionsminderung ist der sichere Transport des BF in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter den üblichen Transportbedingungen nicht möglich. Die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist somit gegeben.
Da der BF zudem Inhaber eines Behindertenpasses ist, liegen die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass vor.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden und der Beschwerde stattzugeben.
3.3. Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlicher Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die Zulassung der Revision war gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zudem zu verneinen, weil die gegenständliche Entscheidung in Wesentlichen nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, sondern von Tatsachenfragen. Maßgebend ist das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.
Schlagworte
Behindertenpass, Sachverständigengutachten, ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:G309.2189449.1.00Zuletzt aktualisiert am
28.05.2019