TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/2 W107 2192653-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.04.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

02.04.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W107 2192653-1/12E

Schriftliche Ausfertigung des am 13.03.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Sibyll BÖCK über die Beschwerde der mj. XXXX , geboren am XXXX alias XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, gesetzlich vertreten durch ihren Vater XXXX , dieser vertreten Mag. Julian A. Motamedi, Rechtsanwalt, Baumannstraße 9/12a, 1030 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.03.2019 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die minderjährige Beschwerdeführerin reiste gemeinsam mit ihrer Mutter (Beschwerdeführerin zu W107 2192650-1), ihrem Vater (Beschwerdeführer zu W107 2192657-1) und ihrem jüngeren Bruder (Beschwerdeführer zu W107 2192652-1) unter Umgehung der Einreisebestimmungen schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 24.12.2015, vertreten durch ihren Vater, gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren.

2. Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der Beschwerdeführerin nicht erteilt (Spruchpunkt III) und gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) und ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Auch die Anträge der Eltern und des mj. Bruders der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz wurden mit Bescheiden des BFA vom jeweils XXXX abgewiesen.

3. Mit Schreiben vom 13.04.2018 erhoben die Beschwerdeführerin, vertreten durch ihren Vater, sowie ihre Eltern und ihr Bruder, alle vertreten durch den amtswegig beigegebenen Rechtsberater, gemeinsam vollinhaltliche Beschwerde gegen die Bescheide des BFA.

4. Am 17.04.2018 legte das BFA die (gemeinsam erhobene) Beschwerde und die dazugehörigen Akten des Verwaltungsverfahrens aller vier Beschwerdeführer dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

5. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 13.03.2019 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari, des ausgewiesenen Rechtsvertreters und einer Vertrauensperson eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, im Zuge derer die Beschwerdeführerin, ihre Eltern und ihr Bruder im Familienverfahren zu ihren Anträgen auf internationalen Schutz einvernommen wurden. Die belangte Behörde verzichtete schriftlich auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.

Gemeinsam mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurden der Beschwerdeführerin die zum damaligen Zeitpunkt aktuellsten Länderinformationen zu Afghanistan übermittelt. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden zudem die am Tag der mündlichen Verhandlung aktuellsten und den Parteien elektronisch zugänglichen Länderinformationen, insbesondere das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan und die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018, in das Verfahren eingeführt.

Nach Schluss der mündlichen Verhandlung verkündete die Richterin das gegenständliche Erkenntnis samt den wesentlichen Entscheidungsgründen. Die Beschwerdeführerin, vertreten durch ihren Vater, verzichtete nach Belehrung über die Folgen des Verzichts ausdrücklich auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof.

Eine Ausfertigung der Niederschrift vom 13.03.2019 samt Belehrung wurde der Beschwerdeführerin, vertreten durch ihren Vater, und ihrer Rechtsvertretung am Tag der mündlichen Verhandlung persönlich ausgefolgt und dem BFA mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom selben Tag übermittelt.

6. Am 18.03.2019 beantragte das BFA die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den zugrundeliegenden Verwaltungsakt, insbesondere durch Einsicht in die im Verfahren vorgelegten Dokumente, Unterlagen und Befragungsprotokolle, Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, Einsicht in die ins Verfahren eingebrachten Länderberichte sowie Einsicht in das Zentrale Melderegister, das Strafregister und das Grundversorgungssystem.

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin führt den im Spruch angeführten Namen, ist minderjährig und Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan. Ihre Identität kann nicht festgestellt werden; die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführerin gelten ausschließlich für die Identifizierung ihrer Person im Asylverfahren.

Die Beschwerdeführerin reiste im Jahr 2015 gemeinsam mit ihren Eltern XXXX und XXXX (W107 2192650-1 und W107 2192657-1) sowie mit ihrem mj. Bruder XXXX (W107 2192652-1) unter Umgehung der Einreisebestimmungen schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 24.12.2015, vertreten durch ihren Vater, gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Zu diesem Zeitpunkt war die minderjährige Beschwerdeführerin ledig.

Die Beschwerdeführerin hält sich derzeit gemeinsam mit ihren Eltern und ihrem jüngeren Bruder in Österreich auf und lebt mit diesen zusammen.

Die Beschwerdeführerin ist aufgrund ihrer Minderjährigkeit strafunmündig und daher in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 02.04.2019, Zl. W107 2192650-1/13E, wurde der Beschwerde der Mutter der Beschwerdeführerin stattgegeben und ihr der Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 zuerkannt. Im Falle der Mutter der Beschwerdeführerin ist kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus dem vorgelegten Verfahrensakt der Beschwerdeführerin und jenem ihrer Mutter (W107 2192650-1).

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und Allgemeines:

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, was im gegenständlichen Verfahren nicht der Fall ist.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 24/2017, geregelt (§ 1 leg. cit.).

§ 1 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012, bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem BFA, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Gemäß § 3 BFA-G, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 70/2015, obliegt dem BFA die Vollziehung des BFA-VG (Z 1), die Vollziehung des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100 (Z 2), die Vollziehung des 7., 8. und 11. Hauptstückes des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100 (Z 3) und die Vollziehung des Grundversorgungsgesetzes - Bund 2005, BGBl. I Nr. 100 (Z 4).

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 68/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des BFA.

3.2. Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

Im vorliegenden Fall wurde der Mutter der Beschwerdeführerin mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 02.04.2019, Zl. W107 2192650-1/13E, gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 festgestellt, dass dieser damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Anhand der Ermittlungsergebnisse war davon auszugehen, dass sich die Mutter der Beschwerdeführerin angesichts ihrer auf ein selbstbestimmtes Leben gerichteten Einstellung ("westliche Gesinnung") aus wohlbegründeter Furcht wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe verfolgt zu werden, außerhalb Afghanistans befindet und in Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren (vgl. das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 02.04.2019, Zl. W107 2192650-1/13E). Es liegt auch in Bezug auf die Mutter der Beschwerdeführerin keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F GFK genannten Endigungs- und Ausschlussgründe vor.

Gemäß § 34 Abs. 2 iVm Abs. 5 AsylG 2005 hat das Bundesverwaltungsgericht aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status eines Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist und

3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7 AsylG 2005).

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist "Familienangehöriger", wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits im Herkunftsland bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat.

Die im Entscheidungszeitpunkt minderjährige und ledige Beschwerdeführerin ist die Tochter von XXXX (W107 2192650-1). Somit ist die Beschwerdeführerin als Familienangehörige iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 zu betrachten.

Die Beschwerdeführerin ist nicht straffällig geworden. Gegen die Mutter der Beschwerdeführerin ist kein Asylaberkennungsverfahren anhängig.

Der Beschwerdeführerin war daher gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 der gleiche Schutzumfang, dh. der Status der Asylberechtigten nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005, zuzuerkennen, ohne dass allfällige eigene Fluchtgründe zu beurteilen waren (vgl. VwGH 30.04.2018, Ra 2017/01/0418).

Der Beschwerde war daher stattzugeben und der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass der Beschwerdeführerin damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz (und auch jener der Mutter der Beschwerdeführerin) wurde am 24.12.2015 - somit nach dem 15.11.2015 - gestellt, wodurch insbesondere § 2 Abs. 1 Z 15 und § 3 Abs. 4 AsylG 2005 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im konkreten Fall Anwendung finden. Dementsprechend kommt der Beschwerdeführerin eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung zu, welche sich in eine unbefristete Aufenthaltsberechtigung umändert, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird.

3.3. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

Asylgewährung von Familienangehörigen, befristete
Aufenthaltsberechtigung, Familienverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W107.2192653.1.00

Zuletzt aktualisiert am

28.05.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten