Entscheidungsdatum
18.04.2019Norm
BBG §42Spruch
W115 2214143-1/4E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian DÖLLINGER als Vorsitzenden und die Richterin Mag. Ursula GREBENICEK sowie die fachkundige Laienrichterin Dr. Regina BAUMGARTL als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle XXXX , vom XXXX , OB: XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass, beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG idgF zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung:
Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) hat dem Beschwerdeführer am XXXX einen unbefristeten Behindertenpass ausgestellt und einen Grad der Behinderung in Höhe von 50 vH eingetragen.
2. Am XXXX hat die belangte Behörde die Zusatzeintragung "Gesundheitsschädigung gemäß § 2 Abs. 1 dritter Teilstrich der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen, BGBl. Nr. 303/1996" in den Behindertenpass des Beschwerdeführers eingetragen.
3. Am XXXX hat der Beschwerdeführer unter Vorlage eines Befundes der Hernienambulanz des XXXX vom XXXX einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO 1960) gestellt, welcher von der belangten Behörde auch als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gewertet worden ist. Als Gesundheitsschädigungen wurden vom Beschwerdeführer ein Blinddarmdurchbruch mit Seitenausgang und fünf Operationen sowie mehrmalige dünnflüssige Stuhlgänge pro Tag, welche nicht richtig kontrolliert werden könnten, angeführt.
3.1. Zur Überprüfung des Antrages wurde von der belangten Behörde ein Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin und Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am XXXX , mit dem Ergebnis eingeholt, dass die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung nicht vorliegen würden.
In diesem Gutachten wurde folgende Funktionseinschränkung angeführt:
? Kurzdarmsyndrom nach Entfernung großer Darmabschnitte
Zu den Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung wurde Folgendes angeführt (Auszug aus dem eingeholten Sachverständigengutachten):
"[...]
1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein-und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?
Keine, da bei den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen eine kurze Wegstrecke selbstständig zurückgelegt werden kann und im Fall eines Stuhldranges kann dieser zurückgehalten und entsprechende Toiletten noch zeitgerecht aufgesucht werden, da keine Inkontinenz besteht. Das Ein- und Aussteigen bei den in öffentlichen Verkehrsmitteln vorliegenden Niveauunterschieden ohne fremde Hilfe ist möglich und der sichere Transport im öffentlichen Verkehrsmittel inklusive Festhalten während der Fahrt, Stand- und Gangsicherheit unter den üblichen Transportbedingungen ist nicht beeinträchtigt.
2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?
Keine erhebliche Einschränkung der Funktion des Immunsystems dokumentiert.
Gutachterliche Stellungnahme:
Die medizinische Voraussetzung für den Zusatzeintrag "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" wird nicht erfüllt, da der imperative Stuhldrang weder durch eine fachärztliche Untersuchung noch durch diagnostische Untersuchungen entsprechend den medizinischen Leitlinien objektiviert worden ist und eine Stuhlinkontinenz nicht besteht.
[...]"
3.2. Im Rahmen des von der belangten Behörde gemäß § 45 Abs. 3 AVG erteilten Parteiengehörs wurden keine Einwendungen erhoben.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gemäß § 42 und § 45 BBG abgewiesen.
Begründend wurde im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, dass das durchgeführte Beweisverfahren ergeben habe, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sei. Die Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien der Beilage, welche einen Bestandteil der Begründung bilde, zu entnehmen.
In der rechtlichen Beurteilung zitiert die belangte Behörde die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) sowie Auszüge der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen (Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen).
Weiters wurde von der belangten Behörde ergänzend angemerkt, dass aufgrund des Nichtvorliegens der Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" über den Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO 1960 nicht abgesprochen werde.
Als Beilage zum Bescheid wurde von der belangten Behörde das eingeholte Sachverständigengutachten Dris. XXXX übermittelt.
5. Gegen diesen Bescheid wurde vom Beschwerdeführer unter Vorlage eines Befundes des Landesklinikums XXXX vom XXXX fristgerecht Beschwerde erhoben.
6. Die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsakt langte der Aktenlage nach am XXXX beim Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 17. Mai 1990 über die Beratung, Betreuung und besondere Hilfe für behinderte Menschen (Bundesbehindertengesetz - BBG), BGBl. Nr. 283/1990 idgF, hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Gemäß § 46 BBG beträgt die Beschwerdefrist abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.
Gemäß § 54 Abs. 18 BBG tritt § 46 BBG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 57/2015 mit 1. Juli 2015 in Kraft.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Gemäß § 29 Abs. 1 zweiter Satz VwGVG sind die Erkenntnisse zu begründen. Für Beschlüsse ergibt sich aus § 31 Abs. 3 VwGVG eine sinngemäße Anwendung.
Zu A)
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,
1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11.).
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, zur Auslegung des § 28 Abs. 3 2. Satz ausgeführt hat, ist vom prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auszugehen. Nach der Bestimmung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG kommt bereits nach ihrem Wortlaut die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht (vgl. auch Art. 130 Abs. 4 Z 1 B-VG). Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.
Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.
Wie der Verwaltungsgerichtshof im oben angeführten Erkenntnis ausgeführt hat, wird eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).
Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zu ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als grob mangelhaft:
Gemäß § 1 Abs. 2 BBG ist unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Gemäß § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen (Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen), BGBl. II Nr. 495/2013 idgF, ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls die Feststellung einzutragen, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
? erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
? erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
? erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
? eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
? eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.
Gemäß § 1 Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der/die Antragsteller/in dauernd an seiner/ihrer Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem/der Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH 23.05.2012, 2008/11/0128, und die dort angeführte Vorjudikatur sowie VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; 27.01.2015, 2012/11/0186).
Maßgebend für die Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" im Behindertenpass ist die Feststellung der Art, des Ausmaßes und der Auswirkungen der beim Beschwerdeführer vorliegenden Gesundheitsschädigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.
Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080; 22.10.2002, 2001/11/0242).
Betreffend das Kalkül "kurze Wegstrecke" wird angemerkt, dass der Verwaltungsgerichtshof von einer unter Zugrundelegung städtischer Verhältnisse durchschnittlich gegebenen Entfernung zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel von 300 - 400 m ausgeht (vgl. u.a. VwGH 27.05.2014, Ro 2014/11/0013).
Der belangten Behörde war aufgrund der vorgenommenen Ausstellung eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung in Höhe von 50 vH bereits bei Antragstellung des Beschwerdeführers auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass bekannt, dass dieser an einer schwerwiegenden Darmerkrankung leidet und ist dieses Leiden auch in dem im Zuge der Antragstellung vorgelegten Befund dokumentiert. Zudem hat der Beschwerdeführer in der Begründung seines Antrages u.a. vorgebracht, an mehrmaligen dünnflüssigen Stuhlgängen pro Tag, welche von ihm nicht richtig kontrolliert werden können, zu leiden.
Im Zusammenhang mit der beschwerdegegenständlichen Zusatzeintragung hatte der Verwaltungsgerichtshof schon wiederholt Krankheitsbilder zu beurteilen, die wiederkehrende Phasen der Inkontinenz beinhaltet haben: Im Erkenntnis vom 17.06.2013, 2010/11/0021, wurde der Umstand, dass (im Zusammenhang mit der Verdachtsdiagnose Morbus Crohn) die "mehrmals im Monat auftretenden Phasen der Stuhlinkontinenz und Flatulenzen unvorhersehbar und schubartig" aufgetreten sind, als Argument für die Annahme der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gewertet, insbesondere aufgrund der "Häufigkeit, Unvorhersehbarkeit und Unabwendbarkeit" der behaupteten Zustände, wie sie sich damals aus den ärztlichen Gutachten ergaben. In seinem Erkenntnis vom 23.02.2011, 2007/11/0142, wurde dieselbe Schlussfolgerung aus den Feststellungen der Behörde gezogen, wonach die damalige Beschwerdeführerin an einer Belastungsinkontinenz litt und täglich sechs bis sieben Mal ihre Vorlagen wechseln musste, wobei mit der Inkontinenz auch eine Geruchsbelästigung verbunden war. Diese Rechtsprechung hat der Verwaltungsgerichtshof in dem Erkenntnis vom 21.04.2016, Ra 2016/11/0018, bestätigt (vgl. auch VfGH 23.09.2016, E 439/2016-13).
Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung ist es im gegenständlichen Verfahren erforderlich zu erheben, ob hinsichtlich des Krankheitsbildes des Beschwerdeführers ein Zustand vorliegt, aus welchem eine Durchfallerkrankung mit häufigem und imperativem Stuhlgang, bei in der Regel weder vorhersehbaren noch beeinflussbaren Zeitpunkten des Stuhlganges, resultiert.
In dieser Hinsicht hat die belangte Behörde im angefochtenen Verfahren aber nur ansatzweise Ermittlungen geführt.
Die belangte Behörde hat zur Überprüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung lediglich ein allgemeinmedizinisches Sachverständigengutachten eingeholt. Dieses Gutachten ist jedoch nicht geeignet, um die in der Judikatur festgelegten Anforderungen zur Beurteilung der Rechtsfrage, ob dem Beschwerdeführer aufgrund der im Gutachten festgestellten Gesundheitsschädigung "Kurzdarmsyndrom nach Entfernung großer Darmabschnitte" die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist, zu erfüllen. So wird in dem eingeholten Gutachten nicht konkret dargelegt, wie sich das beim Beschwerdeführer festgestellte Darmleiden auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel konkret auswirkt. Dies wiegt umso schwerer, als im Sachverständigengutachten Dris. XXXX widersprüchlich angeführt wird, dass einerseits beim Beschwerdeführer trotz unterstützender Maßnahmen gegenüber jenem Sachverständigengutachten, das der Ausstellung des Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 50 vH zugrunde gelegt worden ist, keine Verbesserung der täglichen Durchfälle eingetreten ist, andererseits hält der Sachverständige aber hinsichtlich der Möglichkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel fest, dass der Beschwerdeführer im Falle eines Stuhldranges diesen ausreichend lange zurückhalten kann, um zeitgerecht eine Toilette zu erreichen, da keine Inkontinenz besteht.
Schlüssige und nachvollziehbare Ausführungen, wie der Sachverständige zu diesem Ergebnis gekommen ist, sind dem Gutachten nicht zu entnehmen. So wird nicht dargestellt, wie es dem Beschwerdeführer möglich sein soll, im Falle eines Stuhldranges diesen ausreichend lange "zurückzuhalten". Auch fehlen Zeitangaben hinsichtlich der Dauer des "Zurückhaltens" des Stuhles bzw. innerhalb welchen Zeitrahmens eine Toilette erreicht werden muss, um die spontane Verschmutzung des Beschwerdeführers zu vermeiden. Die alleinige Feststellung des Sachverständigen, der imperative Stuhldrang sei nicht befunddokumentiert, ist nicht ausreichend, um eine Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zu begründen. Dies vor allem auch vor dem Hintergrund, als dass der Beschwerdeführer auch im Rahmen der Anamneseerhebung angegeben hat, dass er bis zu zehnmal täglich an Durchfällen - mit imperativem Stuhldrang - leidet und dann sogleich eine Toilette aufsuchen muss. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass in jenem Sachverständigengutachten, dass der Ausstellung des Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung in Höhe von 50 vH zugrunde gelegt worden ist, dass Darmleiden des Beschwerdeführers unter die Positionsnummer 07.04.06 der Anlage zur Einschätzungsverordnung (Chronische Darmstörungen schweren Grades mit schweren chronischen Schleimhautveränderungen) eingeschätzt worden ist. Für die Heranziehung dieser Positionsnummer sieht die Anlage zur Einschätzungsverordnung tägliche, auch nächtliche Durchfälle, anhaltende oder häufig rezidivierende erhebliche Beschwerden, erhebliche Beeinträchtigung des Allgemein- und Ernährungszustandes, ausgeprägte Schleimhautveränderungen und eine schwere Beeinträchtigung des Ernährungszustandes vor.
Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen kann somit nicht von einer Schlüssigkeit des dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Sachverständigengutachtens gesprochen werden. Auch ist eine schlüssige und nachvollziehbare Auseinandersetzung mit den vom Beschwerdeführer vorgelegten Befunden nicht erfolgt. Es werden vom Sachverständigen zwar Angaben über den Inhalt der Befunde gemacht, Aussagen über die Art und Schwere der darin beschriebenen Gesundheitsschädigungen bzw. wie sich diese auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirken, sind jedoch nicht getroffen worden. Auch wird im eingeholten Sachverständigengutachten nicht erörtert, ob bzw. welche Therapieoption hinsichtlich der Darmerkrankung besteht und ob diese erfolgversprechend sowie dem Beschwerdeführer zumutbar ist.
Der eingeholte medizinische Sachverständigenbeweis vermag somit die verwaltungsbehördliche Entscheidung nicht zu tragen. Ein Gutachten bzw. eine medizinische Stellungnahme, welche Ausführungen darüber vermissen lässt, aus welchen Gründen der ärztliche Sachverständige zu einer Beurteilung gelangt ist, stellt keine taugliche Grundlage für die von der belangten Behörde zu treffende Entscheidung dar (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321).
Zudem hat die belangte Behörde zur Überprüfung der vorliegenden Gesundheitsschädigung lediglich ein allgemeinmedizinisches Sachverständigengutachten eingeholt, obwohl der belangten Behörde bereits bei Antragstellung bekannt war, dass beim Beschwerdeführer ein komplexes chirurgisch/internistisches Beschwerdebild hinsichtlich der Darmerkrankung vorliegt. Zwar besteht kein Anspruch auf die Zuziehung von Sachverständigen eines bestimmten medizinischen Teilgebietes, jedoch ist im vorliegenden Fall das von der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten zur Beurteilung des beim Beschwerdeführer vorliegenden chirurgisch/internistischen Beschwerdebildes nicht geeignet. Vielmehr liegen konkrete Anhaltspunkte vor, dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens der Fachrichtung Chirurgie bzw. Innere Medizin unbedingt erforderlich ist, um eine vollständige und ausreichend qualifizierte Prüfung des vorliegenden Darmleidens des Beschwerdeführers und dessen Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zu gewährleisten. Die alleinige Heranziehung eines Sachverständigen der Fachrichtung Allgemeinmedizin durch die belangte Behörde ist somit offensichtlich sachwidrig erfolgt.
Vor diesem Hintergrund ist nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde darauf verzichtet hat, das Ermittlungsverfahren dahingehend zu erweitern ein ärztliches Sachverständigengutachten der Fachrichtung Chirurgie bzw. Innere Medizin einzuholen.
Die seitens des Bundesverwaltungsgerichtes erforderliche Überprüfung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist auf dieser Grundlage daher nicht möglich.
Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde ein ärztliches Sachverständigengutachten der Fachrichtung Chirurgie bzw. Innere Medizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers, zu den oben dargelegten Fragestellungen einzuholen und die Ergebnisse unter Einbeziehung der vorliegenden Befunde und des Beschwerdevorbringens bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen haben. Anschließend hat sich die belangte Behörde mit der Rechtsfrage auseinanderzusetzen, ob dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist. Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird der Beschwerdeführer mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.
Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung als so mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre", ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes und angesichts der im gegenständlichen Fall unterlassenen Sachverhaltsermittlungen - nicht ersichtlich.
Im Übrigen scheint die Zurückverweisung der Rechtssache an die belangte Behörde auch vor dem Hintergrund der seit 01.07.2015 geltenden Neuerungsbeschränkung in Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 46 BBG zweckmäßig.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall des Beschwerdeführers noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückzuverweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
In den rechtlichen Ausführungen zu Spruchteil A) wurde ausführlich unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, ausgeführt, dass im verwaltungsbehördlichen Verfahren notwendige Ermittlungen unterlassen wurden.
Schlagworte
Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W115.2214143.1.00Zuletzt aktualisiert am
28.05.2019