TE Vfgh Erkenntnis 1997/2/25 B2586/96

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Veröffentlicht am 25.02.1997
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Index

L6 Land- und Forstwirtschaft
L6800 Ausländergrunderwerb, Grundverkehr

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Instanzenzugserschöpfung
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
Tir GVG 1993 §23 Abs1

Leitsatz

Zurückweisung der Beschwerde der erstbeschwerdeführenden Gesellschaft mangels Legitimation. Die erstbeschwerdeführende Gesellschaft - der gemäß §23 Abs1 Tir GVG 1993 Parteistellung zugekommen wäre - hat ihr Recht zur Antragstellung und zur Einbringung einer Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid nicht ausgeübt. Die belangte Behörde hat, indem sie die Berufung der Zweit- und Drittbeschwerdeführer abwies, einen mit dem erstinstanzlichen Bescheid übereinstimmenden neuen Bescheid erlassen (s zB VfSlg 8098/1977). Sie hat daher die durch den erstinstanzlichen Bescheid geschaffene Rechtslage nicht zum Nachteil der erstbeschwerdeführenden Gesellschaft verändert. Damit aber fehlt der Erstbeschwerdeführerin iS der bereits zitierten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die Beschwerdelegitimation. Zulässigkeit der Beschwerde der Zweit- und Drittbeschwerdeführer. Aufhebung des Bescheides infolge Anlaßfallwirkung der Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Tir GVG 1993 mit E v 10.12.96, G84/96 ua (Quasianlaßfall).

Spruch

I. Die Beschwerde wird, soweit sie von der erstbeschwerdeführenden Gesellschaft erhoben wurde, zurückgewiesen.

II. Die Zweit- und Drittbeschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Tirol ist schuldig, den Zweit- und Drittbeschwerdeführern zu Handen ihrer Rechtsvertreter die mit S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die erstbeschwerdeführende Gesellschaft hat mit Kaufvertrag vom 4. Juli 1995/19. Juli 1995 den Zweit- und Drittbeschwerdeführern 128/1813 Anteile an einer Liegenschaft in Tirol verkauft. Dieser Rechtserwerb wurde von den beiden Käufern gemäß §23 des Gesetzes vom 7. Juli 1993 über den Verkehr mit Grundstücken in Tirol (Tiroler Grundverkehrsgesetz), LGBl. für Tirol 82/1993 (im folgenden: TGVG 1993), angezeigt. In der Folge versagte die Bezirkshauptmannschaft Kufstein als Grundverkehrsbehörde I. Instanz gemäß §13 Abs1 TGVG 1993 die grundverkehrsbehördliche Zustimmung. Die dagegen erhobene Berufung der beiden Käufer wurde mit dem angefochtenen Bescheid der Landes-Grundverkehrskommission beim Amt der Tiroler Landesregierung abgewiesen.

2. Dagegen haben sowohl die Verkäuferin als auch die Käufer gemäß Art144 Abs1 B-VG Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben; die Beschwerdeführer erachten sich in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten bzw. wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt und begehren die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie den angefochtenen Bescheid verteidigt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

A. Zur Zulässigkeit:

1. Gemäß Art144 Abs1 B-VG kann Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde erst nach Erschöpfung des Instanzenzuges - falls ein solcher in Betracht kommt - erhoben werden. Bereits im Erkenntnis VfSlg. 1249a/1929 hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, daß eine Beschwerde nur dann zulässig ist, wenn der Beschwerdeführer den Instanzenzug ausgeschöpft hat. An dieser Rechtsauffassung hat der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 7142/1973 (unter Hinweis auf die Erkenntnisse VfSlg. 4538/1963 und 5038/1965) ausdrücklich für jene Fälle festgehalten, in denen der letztinstanzliche Bescheid die vor seiner Erlassung bestandene Rechtslage nicht zum Nachteil des Beschwerdeführers verändert hat (s. in diesem Zusammenhang etwa auch VfSlg. 7876/1976, 106; 8183/1977, 339).

In einem nach dem (Tiroler) Grundverkehrsgesetz 1970, LGBl. für Tirol 4/1971, zu beurteilenden Fall hat der Verfassungsgerichtshof nicht nur die Beschwerdelegitimation der Verkäufer zur Anfechtung des den erstinstanzlichen Bescheid - gegen den sie nicht berufen hatten - bestätigenden letztinstanzlichen Bescheides verneint, sondern überdies die Prozeßvoraussetzung der Erschöpfung des Instanzenzuges als nicht gegeben erachtet (VfSlg. 7198/1973). Auch in einem nach dem NÖ Grundverkehrsgesetz 1973, LGBl. 6800-3, zu beurteilenden Fall sah der Verfassungsgerichtshof darin, daß die Beschwerdeführerin ihr Recht zur Einbringung einer Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid nicht ausgeübt hatte, die Nichterschöpfung des Instanzenzuges (VfGH 12.6.1989, B1705/88), die - iS der ständigen Rechtsprechung - die Unzuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zur Folge hat.

2. Die erstbeschwerdeführende Gesellschaft - der gemäß §23 Abs1 TGVG 1993 Parteistellung zugekommen wäre - hat ihr Recht zur Antragstellung und zur Einbringung einer Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid nicht ausgeübt.

Die belangte Behörde hat, indem sie die Berufung der Zweit- und Drittbeschwerdeführer abwies, einen mit dem erstinstanzlichen Bescheid übereinstimmenden neuen Bescheid erlassen (s. zB VfSlg. 6016/1969, 6486/1971, 8084/1977, 8098/1977). Sie hat daher die durch den erstinstanzlichen Bescheid geschaffene Rechtslage nicht zum Nachteil der erstbeschwerdeführenden Gesellschaft verändert. Damit aber fehlt der Erstbeschwerdeführerin iS der bereits zitierten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die Beschwerdelegitimation.

3. Die Beschwerde war daher, soweit sie von der erstbeschwerdeführenden Gesellschaft erhoben wurde, schon deshalb ohne vorausgegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen (§19 Abs3 Z2 lite VerfGG).

4. Soweit die Beschwerde vom Zweit- und Drittbeschwerdeführer erhoben wurde, ist sie zulässig (s. etwa VfSlg. 12530/1990).

B. In der Sache:

1. Mit amtswegigem Beschluß vom 28. Juni 1996, B1522/95, sowie über Anträge des Verwaltungsgerichtshofes und des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol leitete der Verfassungsgerichtshof das Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit näher bezeichneter Bestimmungen des TGVG 1993 ein. Mit Erkenntnis vom 10. Dezember 1996, G84/96 ua., hat er ausgesprochen, daß das TGVG 1993 zur Gänze verfassungswidrig war.

2. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlaßfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlaßfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundeliegenden Tatbestands nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall (im engeren Sinn), anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Fälle gleichzuhalten, die zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (vgl. VfSlg. 10616/1985, 10736/1985, 10954/1986, 11711/1988).

3. Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren zu G84/96 ua. begann am 28. November 1996. Die vorliegende Beschwerde ist bereits am 12. August 1996 beim Verfassungsgerichtshof eingelangt, war also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig.

Nach dem Gesagten ist dieser Fall daher einem Anlaßfall gleichzuhalten.

4. Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides das als verfassungswidrig befundene TGVG 1993 an. Es ist nach Lage des Falles nicht von vornherein ausgeschlossen, daß diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführer nachteilig war.

Es ist daher auszusprechen, daß die Zweit- und Drittbeschwerdeführer durch den bekämpften Bescheid wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen in ihren Rechten verletzt wurden, sowie daß der Bescheid aufgehoben wird (vgl. etwa VfSlg. 10736/1985, VfGH 14.6.1994, B376/94, 27.11.1995, B314/95).

III. 1. Die Kostenentscheidung

beruht auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer von S 3.000,-- enthalten.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung entschieden werden.

Schlagworte

VfGH / Instanzenzugserschöpfung, VfGH / Legitimation, Grundverkehrsrecht Behörden, Parteistellung Grundverkehrsrecht, VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:B2586.1996

Dokumentnummer

JFT_10029775_96B02586_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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