TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/7 L515 2179310-1

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Veröffentlicht am 07.11.2018
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Entscheidungsdatum

07.11.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18 Abs1 Z1
BFA-VG §18 Abs5
BFA-VG §19
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.2
EMRK Art.3
EMRK Art.8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

L515 2179310-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. H. LEITNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA:

Georgien, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.11.2017, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG, Bundesgesetz über

das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz), BGBl I 33/2013 idgF, §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, §§ 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 idgF iVm §§ 9, 18 (1) BFA-VG,BGBl I Nr. 87/2012 idgF sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG2005, BGBl 100/2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

Es wird gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Republik Georgien zulässig ist.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. H. LEITNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA:

Georgien, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.11.2017, Zl. XXXX, beschlossen:

A) Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung

zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrenshergang

I.1. Die beschwerdeführende Partei (in weiterer Folge kurz als "bP" bezeichnet), ist ein männlicher Staatsangehöriger der Republik Georgien und brachte nach rechtswidriger Einreise in das Hoheitsgebiet der Europäischen Union und in weiterer Folge nach Österreich am 26.07.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als nunmehr belangte Behörde (in weiterer Folge "bB") einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

In Bezug auf das bisherige verfahrensrechtliche Schicksal bzw. das Vorbringen der bP im Verwaltungsverfahren wird auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen, welche wie folgt wiedergegeben werden (Wiedergabe an dem angefochtenen Bescheid):

"...

(Es folgen entscheidungsrelevante Auszüge aus der Erstbefragung)

[...]

11. Warum haben Sie ihr Land verlassen (Fluchtgrund):

In Georgien hat man mich unter Druck gesetzt, weil ich homosexuell bin, meine Familie hat dann auch davon erfahren. Lt. Georgischer Mentalität werden homosexuelle Personen verfolgt und gejagt.

Ich habe sonst keine Fluchtgründe und habe alle Fluchtgründe genannt.

11.1. Was befürchten Sie bei einer Rückkehr in Ihre Heimat?

Sie werden mich unter Druck setzen.

F:Wer wird sie unter Druck setzen?

A:Alle Georgier, die machen Parade gegen uns, sogar die Geistlichen sind gegen uns, einfach alle Personen.

[...]

(Es folgen entscheidungsrelevante Auszüge aus der Einvernahme bei der bB)

Anmerkung:

Bei Antragstellung legte der AW seinen georgischen Reisepass, ausgestellt am XXXX,

XXXXund seine ID - Card, ausgestellt am XXXX vor. Diese

Dokumente wurden bereits urkundentechnisch überprüft und befinden sich gegenwärtig bei

den Unterlegen "Freiwillige Rückkehr" bei der Caritas - Rückkehrhilfe in der XXXX.

LA: Ist Ihre Bereitschaft zur "Freiwilligen Rückkehr" noch immer gegeben?

VP: Nein. Ich habe vor, morgen zur Caritas zu gehen und meinen Antrag auf "Freiwillige

Rückkehr" zurückzuziehen.

[...]

LA: Wo in Georgien sind Sie geboren und wo haben Sie sich aufgehalten?

VP: Ich wurde am XXXX in XXXX geboren und habe mich dort bis zum Jahr 2010

(18. Lebensjahr) aufgehalten. Dann war ich an der Universität in TIFLIS, genauer an der

XXXX Universität Georgiens und studierte dort XXXX in Verbindung mit

XXXX. Dieses Studium verfolgte ich insgesamt vier Jahre. Die zweite Universität, an

welcher ich immatrikuliert war, war die XXXX - Universität in TIFLIS. Ich

schloss mein Studium nicht ab, beendete sozusagen meine Hochschulausbildung im Jahr

2017 aufgrund meiner Ausreise. In der Zwischenzeit habe ich auch meinen Wehrdienst

abgeleistet.

[...]

LA: Haben Sie Verwandte in Georgien?

VP: Ja, meine Eltern, meine zwei Brüder, meine Schwägerin, ein Neffe und eine Nichte.

LA: Wie ist ihr Familienstand?

VP: Ledig, keine Kinder.

[...]

LA: Lebten Sie in einer eigenen Wohnung oder bei Ihren Eltern?

VP: In TIFLIS lebte ich während meines Studiums in einer Mietwohnung, welche von

meinen Eltern finanziert wurde. Die letzte Zeit konnte ich selbst für die Miete aufkommen. Ich

arbeitete gelegentlich auf Baustellen als Hilfsarbeiter.

[...]

LA: Von was bestritten Sie die letzten Jahre Ihren Lebensunterhalt?

VP: Die letzte Zeit finanzierte ich mein Leben durch meine Arbeiten als Hilfsarbeiter.

[...]

LA: Stehen Sie in Kontakt mit Ihren Familienangehörige?

VP: Hauptsächlich zu meinen jüngeren Bruder Beka, zu meinen Eltern habe ich keinen

Kontakt.

LA: Warum haben Sie zu Ihren Eltern keinen Kontakt?

VP: Als ich meinen Eltern verraten habe, dass ich homosexuell bin, war die Situation sehr

angespannt. Wir redeten nicht mehr und ich kehrte nicht mehr heim nach XXXX.

LA: Haben Ihre Eltern versucht, Sie zu erreichen?

VP: Nein, nur mein Bruder Beka.

LA: Haben Sie von sich aus auch keinen Kontakt zu Ihren Eltern gesucht?

VP: Nein.

LA: Aber es muss doch eine emotionale Bindung vorliegen, haben Sie nicht das

Bedürfnis, einmal mit Ihren Eltern in Kontakt zu treten?

VP: Natürlich habe ich das Bedürfnis, das ist ja normal, aber ich traue mich nicht. Ich

gebe meinen Eltern Zeit und warte ab, wie deren Entscheidung ist.

LA: Könnte es sein, dass früher oder später Ihre Eltern mit Ihrer Homosexualität "leben

können"? Schließlich sind Sie ja ihr Sohn und pflegten bis zuletzt Kontakt mit ihnen?

VP: Ja, aber es geht nicht nur um meine Eltern - ich hatte auch Konflikte mit meinen

Freunden. Ich glaube früher oder später werden sie meine Homosexualität akzeptieren.

LA: Warum kommen Sie gerade nach Österreich?

VP: Es war eine spontane Entscheidung. Ich wollte nur nach Europa kommen und in

einem sicheren Land einen Asylantrag stellen.

[...]

LA: Was waren alle Ihre konkreten, die genauen und zeitlich aktuellen Gründe, dass Sie

Georgien verlassen mussten und Sie nicht zurück nach Georgien können, erzählen Sie

bitte?

VP:

Beginn der freien Erzählung:

Das Problem mit meiner Familie habe ich bereits erwähnt. Im Spätsommer 2016 hat meine

Familie über meine sexuelle Orientierung erfahren und unmittelbar nach dieser Szene habe

ich mein Elternhaus verlassen und ging nach TIFLIS. Ich habe gleich nach einer Woche eine

Arbeit gefunden und wenn ich früher nur gelegentlich gearbeitet habe, hatte ich dann eine

fixe Arbeit, weil ein Vorarbeiter mir geholfen hat. Dieser stammte auch aus meiner Region

"XXXX". Ich habe dann versucht, den Kontakt zu meinen Freunden zu verweigern aber

am XXXXan meinem Geburtstag haben mich drei gute Freunde besucht, um mir zum

Geburtstag zu gratulieren. Wir haben Alkohol konsumiert und in meinen alkoholisierten

Zustand habe ich meinen Freunden über meine Homosexualität berichtet. Es kam dabei zu

verbale Auseinandersetzungen, sie sind dann gegangen. Nach einer gewissen Zeit als ich im

Stiegenhaus meiner Wohnung war, haben die drei und weitere junge Männer mich

angesprochen. Sie haben mir vorgeworfen, homosexuell zu sein und von dieser Wohnung

weggehen soll. Ich wurde von ihnen erniedrigt und beschimpft. Erst später habe ich dann

realisiert, dass diese drei den anderen alles über mich erzählt haben. Ich habe natürlich

versucht mich zu verteidigen. Diese haben mich leicht geschlagen und mich aufgefordert,

den Bezirk zu verlassen. Sie haben mich bedroht, was ganz normal bei uns ist. Als ich dann

gesehen habe, dass nicht nur meine Familie sondern auch meine Freunde sich von mir

abgewandt haben, war das sehr schmerzhaft für mich und habe mit dem Gedanken gespielt,

auszureisen. Ich fing an, Geld zu sparen. Ich suchte eine andere Wohnung und verließ

meine Wohnung. Ich zog dann nach einen Monat in eine andere Wohnung in der XXXX

Straße. Das war vor Weihnachten. Weil ich gearbeitet habe konnte ich meine Universität

auch nicht regelmäßig besuchen. Es gab Tage, wo ich nicht arbeiten musste und die

Universität besuchte. Das war im März kurz nach Beginn des Frühjahrs - Semester. Ich

glaube, dass meine "Freunde" obwohl diese ihr Studium in einem anderen Gebäude

absolvierten, haben sie irgendwie die Adresse meiner neuen Wohnung erfahren und habe

mich vor meiner Wohnung erwischt. An diesem Tag ignorierte ich diese Freunde. Sie haben

dann den Bewohnern dieses Hauses über mich erzählt, weil meine Nachbarn dann sehr

aggressiv mir gegenüber waren. Das war eine Gruppe von Männern, welche als

"Taugenichts" bezeichnet werden und regelmäßig Alkohol trinken, bzw. Suchtgift

konsumieren und vor dem Haus herumlungern. Besonders wenn sie alkoholisiert waren,

waren sie aggressiv. Es gab Beschimpfungen und Verachtungen. Ich wurde oft gekränkt.

Dann habe ich gespürt, dass meine Nachbarn in diesem Haus auch unfreundlich wurden und wenn sie mich gesehen haben sie gezeigt, dass sie mich nicht mögen. Im April 2017 gab es

einen Vorfall im Stiegenhaus. Diese Männer waren alkoholisiert. Ich kam spät nach Hause

und wurde gesehen. Sie fingen an, mich zu beschimpfen und einer von diesen Männern zog

ein Messer aus der Tasche und ist auf mich losgegangen. Die anderen hielten ihn davon ab

und hinderten ihn daran, mich zu verletzen. Ich konnte nicht sofort ausziehen weil ich den

ganzen Monat die Miete bezahlt habe, so kam ich immer heimlich in meine Wohnung, um

nicht gesehen zu werden. Bis Ende April blieb ich in dieser Wohnung. Anfang Mai zog ich in

eine kleine billige Wohnung in einem alten Holzhaus. Die Universität brach ich ab und ging

nur meiner Arbeit nach, um das Geld für meine Ausreise zu verdienen und dieses zu sparen.

Von diesen drei Freunden stammte einer aus XXXX, dieser hat diese Information über

mich verbreitet, so wird überall über mich gelästert. Das ist der Grund, warum ich Georgien

verlassen habe.

Ende der freien Erzählung.

LA: Hatten Sie im Spätsommer 2016 bereits Ihre Mietwohnung in TIFLIS?

VP: Ja, ich hatte diese Wohnung bereits, diese zwei Monate während der Sommerferien

habe ich diese Wohnung nicht gekündigt um nicht erneut auf Wohnungssuche zu gehen.

LA: Haben Sie niemals versucht, öffentlich mit einem Mädchen aufzutreten, um aus dem

Fadenkreuz zu kommen?

VP: Nach XXXX bin ich nicht mehr gewesen. TIFLIS ist eine sehr große Stadt, wenn ich

auch mit einem Mädchen unterwegs gewesen wäre, hätte mich niemand gesehen.

LA: Haben Sie sich aufgrund der gegen Sie gerichteten Bedrohungen an die Polizei

gewandt?

VP: Nein. Ich hatte Angst vor meinem Bedrohern. Hätte ich sie angezeigt, wäre alles noch

viel schlimmer geworden. Ich hatte auch keine große Hoffnung, dass mir die Polizei hilft.

LA: Gab es während Ihrer Universitätsbesuche Einschränkungen?

VP: Nein.

LA: Warum haben Sie Ihre Aussage ihren Freuden an Ihren Geburtstag gegenüber ihre

Aussage zurückgezogen und behauptet, dass Sie nicht homosexuell sind?

VP: An diesem Tag wurde meine "Neuigkeit" erstmals mit Humor genommen, ich habe

jedoch ziemlich überzeugend über meine Homosexualität gesprochen.

LA: Lebten Sie Ihre Homosexualität "geoutet" oder "ungeoutet"?

VP: Ich lebte "ungeoutet".

LA: Wie findet man in Georgien "Gleichgesinnte"?

VP: Es gibt gewisse Bars, wo man entsprechende Bekanntschaften machen kann. Ich bin

dort aber nicht hingegangen. Ich nutzte Internet - Plattformen, um an Kontakte zu gelangen.

LA: Haben Sie in XXXX Erfahrung mit der Gay - Szene?

VP: Nein. Ich verließ ganz selten meine Unterkunft und kenne keine Örtlichkeiten.

LA: Sind Sie Mitglied bei einen "LGBTI- Verein"?

VP: Nein.

LA: Haben Sie sich in Georgien an Rechtsschutzbehörden gewandt?

VP: Nein.

LA: Haben Sie sich jemals in Georgien öffentlich an Demonstrationen beteiligt?

VP: Nein. Es gab einmal am 17.05.2016 eine Demonstration, an welcher ich mich nicht

beteiligte. Sogar kirchliche Würdeträger waren dabei und sind gegen homosexuelle

Menschen vorgegangen. Erst die Polizei löste diese Demonstration auf.

LA: Ist Ihnen bewusst, dass in Georgien homosexuelle Handlungen nicht unter Strafe

stehen - hingegen "Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung" unter Strafe

gestellt ist?

VP: Das weiß ich, diese Gesetze werden von Menschen gemacht doch was im realen

Leben passiert, ist etwas anderes.

Anmerkung: LIB Georgien Punkt Sexuelle Minderheiten (LGBTI)

LA: Ich bin mit den Fragen zu den Fluchtgründen soweit fertig. Wollen Sie dazu noch

etwas sagen? Haben Sie alle Ihre Gründe geltend gemacht? Hatten Sie genug Zeit und

Möglichkeit, alle Ihre Gründe geltend zu machen?

VP: Nein. Ich konnte alles schildern.

LA: Sie leben in einer betreuten Unterkunft der Grundversorgung in XXXX. Stimmt

das?

VP: Ja.

LA: Haben Sie außerhalb der Betreuungsstelle bereits soziale Kontakte zur

österreichischen Gesellschaft?

VP: Nein.

LA: Betätigen Sie sich bei karitativen Organisationen oder anderen Vereinen?

VP: Nein.

LA: Sprechen Sie Deutsch?

VP: Nein.

LA: Haben Sie in Österreich schon einmal Probleme mit Behörden, Polizei, Gericht oder

anderen Institutionen gehabt?

VP: Nein.

LA: Wurden Sie schon einmal strafgerichtlich verfolgt bzw. verurteilt? Hatten Sie

Probleme mit Verwaltungsbehörden aufgrund schwerer Verwaltungsstraftaten?

VP: Nein.

LA: Haben Sie sich jemals in oder außerhalb von Georgien politisch betätigt, gehören Sie

irgendeiner politischen Organisation oder Partei an?

VP: Nein.

LA: Möchten Sie zu den von Ihnen im Zuge der Befragung gemachten Angaben,

insbesondere zu ihrer Person, Ihrem Reiseweg oder betreffend vorhandener Dokumente,

Fluchtgrund etwas berichtigen, ergänzen oder hinzufügen? Sie werden nochmals darauf

hingewiesen, dass Ihre Angaben die Grundlage für die Entscheidung im Asylverfahren sind

und dass hervorkommende Widersprüche, Abweichungen von bereits getätigten Angaben

oder sonstige Tatsachenabweichungen ihre Glaubwürdigkeit maßgeblich beeinflussen.

VP: Ich konnte alles schildern.

LA: Ich beende somit die Einvernahme.

[...]

- Sie verzichteten im Zuge Ihrer Einvernahme auf eine Stellungnahme zu den

landeskundlichen Feststellungen Ihres Herkunftsstaates.

..."

I.2. Der Antrag der bP auf internationalen Schutz wurden folglich mit im Spruch genannten Bescheid der bB gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Georgien nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach gemäß § 46 FPG zulässig sei. Der Beschwerde wurde gem. § 18 (1) Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.

I.2.1. Die bB ging von der Homosexualität der bP aus und führte hierzu Folgendes aus (auszugsweise Wiedergabe an dem angefochtenen Bescheid):

In Bezug auf Ihren Ausreisegrund gaben Sie bei Ihrer Erstbefragung an, dass man Sie in Georgien unter Druck gesetzt hätte, da Sie homosexuell orientiert wären. Sie gaben weiter an, dass homosexuelle Personen in Georgien verfolgt und gejagt werden. Dieses Vorbringen wird der nachfolgenden Beweiswürdigung zugrunde gelegt, andere Fluchtgründe haben Sie über ausdrückliches Nachfragen nicht geltend gemacht.

Vorab sah sich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl veranlasst, sich mit der Frage

zu beschäftigen, ob Sie unabhängig Ihres Fluchtvorbringens von potenzieller "vulnerability"

betroffen sind. Das Sie als gesunder und arbeitsfähiger junger Mann mit herausragender

Universitätsbildung anzusehen sind, ist diese Frage zu verneinen.

Die von Ihnen zu Protokoll gegebenen personsbezogenen Daten sowie Lebensgeschichte

bieten keine Hinweise auf das Vorliegen einer individuell besonders herausragenden

Stellung Ihrer Person innerhalb der georgischen Gesellschaft, etwa durch Geburt, sozialer

Stellung, religiösen Fachwissens, etc. Das bedeutet in Verbindung mit Ihrem unbedenklichen

Gesundheitszustand und Kenntnis der Amts-/Landessprache auf Muttersprachenniveau im

Grundsätzlichen, dass eine neuerliche gesellschaftliche Sozialisation Ihrer Person in

Georgien Platz greifen kann. In diesem Zusammenhang wird darauf hinzuweisen sein, dass

Sie hier in Österreich über keinerlei sonstiges familiäres Umfeld verfügen und dazu noch mit

kulturellen, sprachlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen konfrontiert sind, die Ihnen

völlig fremd sein müssen. Wenn man dann noch bedenkt, dass Sie über mehrere Länder bis

nach Österreich reisen konnten - und dies ohne Sprachkenntnisse oder sonst irgendeine

verwandtschaftliche Unterstützung - dann wird man wohl davon ausgehen müssen, dass Sie

mangels Anzeichen beachtenswerter psychischer/physischer Problemstellungen im

Grundsätzlichen nicht einer besonderen Schutzwürdigkeit bedürfen und eine Rückkehr nach

Georgien, d.h. in eine Ihnen soziokulturell und sprachlich vertraute Umgebung, zumutbar ist.

Bei Ihrer Erstbefragung gaben Sie an, dass Sie in Georgien unter Druck gesetzt wurden, weil

Sie von Ihrer sexuellen Orientierung her homosexuell wären. Sie sprachen weiter an, dass

Ihre Familie von Ihrer sexuellen Orientierung erfahren hätte und laut georgischer Mentalität

homosexuelle Personen verfolgt und gejagt werden. Als Sie vom befragenden Polizisten

befragt wurden, wer Sie unter Druck gesetzt hätte, gaben Sie an, dass alle Georgier "Parade

gegen die homosexuelle Bevölkerung machen" und sogar die Geistlichen gegen diese

"sexuelle Minderheit" wären.

Bei Ihren Antworten auf jene Fragen, welche Ihnen im Anschluss an Ihre "Freie Erzählung"

gestellt wurden, gaben Sie an, sich niemals aufgrund etwaiger Bedrohungen an die Polizei

gewendet zu haben und Ihre sexuelle Orientierung stets im Verborgenen gelebt hätten. Sie

hätten weder einschlägige Bars oder Veranstaltungen besucht, noch waren Sie Mitglied in

einem "LGBT" - Verein. Sie hätten sich auch nicht an den Demonstrationen am 17.05.2016

beteiligt, welche im Punkt "Sexuelle Minderheiten" in den landeskundlichen Feststellungen

erwähnt werden, beteiligt.

Wie in den landeskundlichen Feststellungen beschrieben, stehen homosexuelle Handlungen

in Georgien nicht unter Strafe. Im Gegenzug wird jedoch "Diskriminierung aufgrund der

sexuellen Orientierung" unter Strafe gestellt. Obwohl sexuelle Minderheiten in Georgien

rechtlich nicht benachteiligt wären, würden diese Personen Ihre sexuelle Neigung oft im

Verborgenen leben und sich nicht offiziell zu deren Orientierung bekennen. Auch Sie lebten

Ihre sexuelle Orientierung im Verborgenen. Da es in Georgien aufgrund der Gesetzeslage

möglich ist, als Homosexueller zu leben und Sie lediglich Schikanen, bzw. Verachtungen

vorbrachten, ist eine asylrelevante - systematische Verfolgungshandlung auszuschließen.

Auch muss angemerkt werden, dass es selbst in Österreich, vor allem in den ländlichen

Regionen sehr wohl homosexuelle Personen gibt, diese jedoch auch so wie Sie, ihre

sexuelle Orientierung ausschließlich im Verborgenen leben würden. Auch hier gibt es

gesellschaftliche Moralvorschriften, welche Personen mit homosexueller Orientierung davon

abhalten, sich offiziell zu ihrer Gesinnung zu bekennen.

Sie brachten lediglich vor, in diesem Stiegenhaus in der XXXX Straße einmal attackiert

worden zu sein. Diese Männer waren dazu noch in alkoholisierten Zustand, bzw. standen

unter Drogeneinfluss. Ansonsten kam durch Ihre Schilderungen heraus, dass es möglich ist,

in der Stadt TIFLIS auch als Homosexueller zu leben. Dies wird durch Ihren Folgesatz bei

Ihrer "Freien Erzählung" untermauert, da Sie erst nach Verstreichen der Mietperiode aus

dieser Wohnung ausgezogen wären. Sie nutzten ausschließlich Internetplattformen, um den

Kontakt mit Gleichgesinnten herzustellen und bekannten sich öffentlich niemals zu Ihrer

Orientierung.

Genauer schilderten Sie, dass lediglich einer Ihrer "Freunde" aus XXXX kam und diese

Botschaft in Ihrer Heimatstadt verbreitet hätte. Dass diesem in XXXX geglaubt wurde, ist

nicht nachvollziehbar. Ebenso nicht nachvollziehbar ist, dass sich Ihre Eltern aufgrund der

von diesem "Freund" vorgebrachten Meldung sich von Ihnen abgewendet hätten. Wenn

diese "Freunde" tatsächlich Ihre "Freunde" waren, hätten Sie sich früher oder später mit Ihrer sexuellen Orientierung abgefunden und diese akzeptiert. Wir sind im Jahr 2017 und wenn man die Angaben der angeführten Anfragebeantwortung und die Angaben im Punkt

"Sexuelle Minderheiten" der landeskundlichen Feststellungen vergleicht, muss man

feststellen, dass selbst im orthodoxen Georgien bezüglich Akzeptanz gegenüber LGBT -

Personen eine "Öffnung" erkennbar ist. Dies wird zudem durch die georgischen Gesetze und

die Existenz von NGOs bewiesen.

Glaubhaft ist, dass man als offizieller, sozusagen "geouteter" Homosexueller in TIFLIS

Verachtungen und auch Gespött ausgesetzt sein kann. Dies ist jedoch selbst in Österreich

der Fall und indiziert in Zusammenschau mit den landeskundlichen Feststellungen Ihres

Herkunftsstaates Georgien keinerlei Asylrelevanz. Wie am Beginn des Punktes " Sexuelle

Minderheiten (LGBT)" beschrieben, werden homosexuelle Handlungen weder unter Strafe

gestellt, noch sind diese verboten. Unter Strafe gestellt ist jedoch die "Diskriminierung

aufgrund der sexuellen Orientierung".

Auch in der Anfragebeantwortung vom 08.01.2014 "GEORGIEN - Homosexualität" wird

beschrieben, dass soziale Vorurteile gegen LGBT stark sind und auch die Kirche

gleichgeschlechtliche Aktivitäten stark kritisieren würde. Eine Person, welche aufgrund

ihrer sexuellen Orientierung unter Druck stehen würde, wäre berechtigt, sich an die

Rechtsschutzbehörden zu wenden. Wenn sich dann herausstellen würde, dass der

erwähnte Druck eine Verfolgungshandlung oder ein Verbrechen darstellen würde, würde

dies rechtlich durch das georgische Strafgesetzbuch geahndet werden. Weiter wird in dieser

Anfragebeantwortung auf den Artikel 14 der georgischen Verfassung eingegangen, welcher

beschreibt, dass alle Personen gegenüber dem Gesetz trotz der Rasse, Hautfarbe, Sprache,

Geschlecht, sexueller Orientierung, Genderidentität, Alter, Religion, politischer oder

anderer Ansicht gleich sind.

Zudem existieren in Georgien NGOs, welche die Rechte der homosexuell orientierten

Personen schützen, sie rechtlich, psychologisch oder anders unterstützen. Infolge der

aktiven Arbeit des georgischen Ombudsmanns konnte man die homosexuell orientierten

Personen in die staatlichen Unterkünfte für die Opfer der Gewalt in der Familie unterbringen

(und sie bekommen da andere vorhandene Service) im Falle des Status des Opfers der

Gewalt in der Familie, gleich wie die Opfer anderer Gewalt.

Das Asylrecht schützt in Österreich nur Personen, gegen die mit staatlichen Maßnahmen

von erheblicher Intensität in Verfolgungsabsicht vorgegangen wird. In diesem Sinne gilt als

Verfolgung nur zielgerichtetes Handeln des Heimatstaates, das sich direkt gegen den

einzelnen wendet und in dessen Leib, Leben, Freiheit oder psychische Integrität eingreift.

Demnach wird Asyl in Österreich Personen gewährt, welche glaubhaft machen können, dass

sie in Ihrem Herkunftsstaat Verfolgung durch staatliche Maßnahmen aufgrund ihrer

politischen Einstellung, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen

Gruppe, ihrer Ethnie oder Religion ausgesetzt sind. Sie jedoch konnten keine glaubhafte

Verfolgungshandlung geltend machen.

Es mangelt somit in Gesamtschau an einem in der Genfer Flüchtlingskonvention

aufgezählten Fluchtgrund im Hinblick auf Ihre Person. Zumal jene Gründe, welche gemäß

der Genfer Flüchtlingskonvention zur Gewährung von Asyl führen würden und in dieser

taxativ - also erschöpfend - aufgezählt sind, von Ihnen nicht vorgebracht wurden, war aus

diesem Vorbringen und in Ermangelung einer Deckung mit der GFK bzw. dem AsylG Ihr

Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des

Asylberechtigten abzuweisen.

I.2.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Georgien traf die belangte Behörde ausführliche und schlüssige Feststellungen. Aus diesen geht hervor, dass in Georgien von einer unbedenklichen Sicherheitslage auszugehen und der georgische Staat gewillt und befähigt ist, sich auf seinem Territorium befindliche Menschen vor Repressalien Dritte wirksam zu schützen. Ebenso ist in Bezug auf die Lage der Menschenrechte davon auszugehen, dass sich hieraus in Bezug auf die bP ein im Wesentlichen unbedenkliches Bild ergibt. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass in der Republik Georgien die Grundversorgung der Bevölkerung gesichert ist, eine soziale Absicherung auf niedrigem Niveau besteht, die medizinische Grundversorgung flächendeckend gewährleistet ist, Rückkehrer mit keinen Repressalien zu rechnen haben und in die Gesellschaft integriert werden.

Zum konkreten Vorbringen der bP stellte die bB folgendes fest (Gliederung nicht mit dem Original übereinstimmend, Streichungen nicht gekennzeichnet):

Rechtsschutz / Justizwesen

Georgien unternimmt Anstrengungen, sich bei der Rechtsreform und der Wahrung der

Menschen- und Minderheitenrechte den Standards des Europarats anzupassen. 1996 wurde

ein Verfassungsgericht eingerichtet, 1997 die Todesstrafe abgeschafft und 2007 die

Abschaffung der Todesstrafe in der Verfassung verankert. In den Jahren seit der

"Rosenrevolution" 2003/2004 hat Georgien anerkennenswerte Fortschritte bei der

Polizeireform, dem erfolgreichen Kampf gegen die "Kleine Korruption" (Korruption im

alltäglichen Umgang), der Reform der Steuergesetzgebung und der Verbesserung der

Investitionsbedingungen erzielt. Im Rahmen der Justizreform wurde der Instanzenzug neu

geregelt und eine radikale Verjüngung der Richterschaft durchgesetzt (AA 11.2016b).

Fortschritte sind insbesondere im Justizwesen und Strafvollzug zu erkennen, wo inzwischen

eine unmenschliche Behandlung (auch Folter), die in der Vergangenheit durchaus

systemisch vorhanden war, in aller Regel nicht mehr festgestellt werden kann. Der Aufbau

eines unabhängigen und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen handelnden Justizwesens

gehört zu den wichtigsten Zielen der aktuellen Regierung. Zwei Reformwellen wurden bereits

durchgeführt, die dritte Reformwelle steht seit einiger Zeit bevor. Sie betrifft insbesondere die unparteiische Zuteilung von Rechtsfällen an Richter und die Ernennung von Richtern

aufgrund von Qualifikation und Eignung in einem transparenten Verfahren. Sehr aktive

NGOs und der unabhängige Ombudsmann beobachten diesen Prozess aufmerksam (AA

10.11.2016).

Das dritte Paket an Gesetzesänderungen, das den anhaltenden Mangel an Transparenz im

Justiz-Management bereinigen soll, wozu auch die Rechenschaftspflicht des Hohen Rates

der Justiz sowie die zufällige Zuweisung von Fällen gehören, konnte laut Europäischer

Kommission zwar Fortschritte verzeichnen, ist jedoch noch nicht vollständig angenommen

worden. Die Begründungen für das Abhalten von geschlossenen oder öffentlichen

Anhörungen werden nicht immer richtig kommuniziert. Die Transparenz bei der Zuteilung von Fällen, bei der Auswahl der Richteranwärter und der Gerichtsverwalter ist nicht vollständig gewährleistet. Der Umgang mit Disziplinarverfahren erfordert eine Stärkung. Die Mehrheit der Richter hat keine dauerhafte Amtszeit und die umstrittene dreijährige Probezeit für Richter besteht weiterhin. Die Justiz ist immer noch ernsthaft unterbesetzt und der Aktenrückstand steigt (EC 25.11.2016).

Kritisch betrachtet werden muss weiterhin die starke Neigung von Politikern, Richtern bei

Gerichtsentscheidungen in brisanten Fällen eine vorrangig politische Motivation zu

unterstellen und ggf. gesetzliche Änderungen vorzuschlagen. Politisch motivierte

Strafverfolgung war bis 2012 erkennbar und erfolgte in der Regel durch Vorwürfe von

Korruption, Amtsmissbrauch oder Steuervergehen. Nach dem Regierungswechsel wurden

190 in Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft als politische Gefangene erklärte Häftlinge

entlassen. Seit 2012 laufende Ermittlungen und teilweise schon mit rechtskräftigen Urteilen

abgeschlossene Strafverfahren gegen hochrangige Mitglieder und nachgeordnete Mitarbeiter der ehemaligen Regierung werden aus Sicht des [deutschen] Auswärtigen Amtes nicht als politisch motiviert eingeschätzt, sondern sind Teil der erforderlichen juristischen Aufarbeitung der rechtswidrigen bzw. strafrechtlich relevanten Handlungen der Vorgängerregierung. Die Tatsache, dass Gerichte hierbei nicht immer den Anträgen der Staatsanwaltschaft folgen, zeigt eine wachsende Unabhängigkeit der Justiz und deutliche Grenzen für eine etwaige politische Zielsetzung der Verfahren (AA 10.11.2016).

Freedom House bewertete Anfang 2016 die Einmischung der Regierung und der Legislative

in die Justiz weiterhin als erhebliches Problem, obwohl sich die gerichtliche Transparenz und

die Rechenschaftspflicht in den letzten Jahren verbessert haben, letztere zum Teil aufgrund

des verstärkten Medienzugangs zu den Gerichtssälen.

Menschenrechtsorganisationen

haben konsequent die Praxis der Staatsanwaltschaft kritisiert, wiederholt neue Anklagen

gegen Gefangene einzureichen, um ihre Zeit in der Untersuchungshaft zu verlängern, eine

Vorgehensweise, die durch eine Diskrepanz zwischen dem Strafgesetzbuch und der

Verfassung möglich gemacht wird. Im September 2015 allerdings befand das

Verfassungsgericht im Fall des ehem. Bürgermeisters von Tiflis, Ugulava, diese Praxis der

Verlängerung der Untersuchungshaft als verfassungswidrig, weil die verfassungsmäßige

Grenze von neun Monaten nicht überschritten werden darf. Ugulava gehörte zu zahlreichen

ehemaligen UNM-Vertretern, die seit 2012 mit Strafprozessen konfrontiert wurden, was

Fragen über den politischen Einflussnahme auf den Staatsanwalt aufwarf (FH 27.1.2016).

Während viele der Richter bemerkenswerte Anstrengungen unternahmen, ihr Niveau

dadurch zu verbessern, indem sie ihren Entscheidungen mehr Substanz verliehen,

besonders bei hochkarätigen Fällen, bleibt die Staatsanwaltschaft das schwächste Glied im

Justizbereich. Bis 2012 war die Staatsanwaltschaft ein Teil der Exekutive, und die Gerichte

waren bis zu einem gewissen Grad von der Exekutive abhängig. Die Staatsanwälte haben

sich mittlerweile daran gewöhnt, ihren Vorbringen eine adäquate Qualität zu verleihen. Nur

bei wenigen Gelegenheiten scheinen sie zurückhaltend zu sein. Nach der Trennung der

Staatsanwaltschaft vom Justizministerium wurde allerdings keine Aufsichtsbehörde für die

Staatsanwaltschaft institutionalisiert. Dieser Umstand beschädigt potentiell den Ruf des

gesamten Justizsystems. Die Staatsanwaltschaft hat mehr als 4.000 Anträge von Opfern

angeblicher Folter, unmenschlicher Behandlung oder Zwang erhalten, sowie von Personen,

welche gezwungen wurden, ihr Eigentum während der Herrschaft von Mikheil Saakaschwili

aufzugeben. Seit 2012 stellt der Umfang der Strafverfahren gegen die ehemalige Führung

eine Herausforderung für die aktuelle Regierung dar. Ihr wird vorgeworfen, politisch

motivierte Untersuchungen einzuleiten bzw. Gerichtsprozesse zu führen. Gleichzeitig wird

die Staatsanwaltschaft oft kritisiert, weil sie nicht die Fälle von Beamten untersucht hat, die

ihre Befugnisse überschritten haben, oder von Polizisten, die gegen das Gesetz verstoßen

haben oder von Menschen, die behaupten, im Gefängnis misshandelt worden zu sein. Als

Reaktion auf diese Situation hat die Staatsanwaltschaft ihre Absicht bekundet, eine neue

Abteilung zu schaffen, die im Rahmen von Gerichtsverfahren begangene Straftaten

untersuchen wird (BTI 1.2016).

Das georgische Strafrecht mit dem ursprünglichen Ansatz einer "zero tolerance policy" zeigte

eine enorm hohe Verurteilungsrate von 99%, mitunter wegen konstruierter Straftaten, sowie

hohe Haftstrafen. Mit dem Regierungswechsel 2012/13 erfolgte eine kontinuierliche

Liberalisierung des Strafrechts durch Reduzierung der Strafmaße, aber auch eine erkennbar

geringere Verurteilungsrate; diese ist auf eine stärkere Emanzipierung der Richterschaft von

den Anträgen der Staatsanwaltschaft zurückzuführen, aber auch auf eine Stärkung der

Rechte der Verteidigung im Strafprozess (AA 10.11.2016).

Am 12.1.2016 präsentierte der Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muižnieks,

seine Beobachtungen zur Menschenrechtslage in Georgien. Mehrere Gesprächspartner

wiesen auf die Mängel bei der Auswahl, Ernennung und Versetzung von Richtern hin.

Versetzungen und Beförderungen von Richtern scheinen nicht durch spezifische Regeln und

Kriterien reguliert zu sein, was die diesbezüglichen Entscheidungen als willkürlich erscheinen

lässt und folglich das öffentliche Vertrauen in die Justiz untergräbt. Der

Menschenrechtskommissar empfahl die diesbezügliche Umsetzung der Empfehlungen der

Venediger Kommission und des Direktorats für Menschenrechte des Europarats (DHR) aus

dem Jahr 2014. Überdies empfahl er, dass die Gerichtsfälle nach dem Zufallsprinzip den

Richtern zugeteilt werden. Denn es gab Befürchtungen, dass prominente Fälle Richtern

zugeteilt wurden, die als loyal zur Regierung gelten. Überdies sah der

Menschenrechtskommissar die geltende dreijährige Probezeit für Richter als bedenklich an,

weil letztere hierdurch anfälliger gegenüber einer möglichen Druckausübung sind. Auch in

diesem Punkt empfahl Muižnieks die Umsetzung der Empfehlungen der Venediger

Kommission und des DHR, welche die Abschaffung der Probezeit für Richter vorsahen. Dem

Menschenrechtskommissar wurden Berichte zuteil, wonach es wiederholt zu Drohungen und

Einschüchterungen von Verfassungsrichtern kam. So beispielsweise im Fall "Ugulava [ehem.

Bürgermeister von Tiflis] gegen das Parlament Georgiens". Richter und deren

Familienmitglieder wurden von Bürgern bedrängt, die sich vor den Privathäusern der Richter

versammelten und u.a. mit physischer Gewalt drohten (CoE-CommHR 12.1.2016).

Am 21.7.2016 erklärte der Vorsitzende des Verfassungsgerichts, dass einige Richter des

Gerichtshofes von den Behörden unter Druck gesetzt worden seien, in mehreren

hochkarätigen Fällen Urteile zu verschieben oder zugunsten Angeklagten zu entscheiden.

Staatsanwälte haben am 1.8.2016 darauf reagiert und eine Untersuchung zu den Vorwürfen

eingeleitet (AI 22.2.2017).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt (10.11.2016): Bericht über die asyl- und

abschiebungsrelevante Lage in Georgien

AA - Auswärtiges Amt (11.2016b): Staatsaufbau/Innenpolitik,

http://www.auswaertigesamt.

de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Georgien/Innenpolitik_node.html,

Zugriff 20.3.2017

AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The

State of the World's Human Rights - Georgia,

http://www.ecoi.net/local_link/336488/466107_en.html, Zugriff 27.2.2017

BTI - Bertelsmann Stiftung (1.2016), BTI 2016 - Georgia Country Report,

https://www.btiproject.

org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Georgia.pdf,

Zugriff 24.2.2017

CoE-CommHR - Commissioner for Human Rights of the Council of Europe

(12.1.2016): Observations on the human rights situation in Georgia:

An update on

justice reforms, tolerance and non-discrimination [CommDH(2016)2],

https://rm.coe.int/CoERMPublicCommonSearchServices/DisplayDCTMContent?coeR

eference=CommDH(2016)2, Zugirff 27.2.2017

EC - European Commission (25.11.2016): Association Implementation Report on

Georgia [SWD (2016) 423 final],

https://eeas.europa.eu/sites/eeas/files/1_en_jswd_georgia.pdf, Zugriff 24.2.2017

FH - Freedom House (27.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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