TE Bvwg Erkenntnis 2018/12/5 G303 2189350-1

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Veröffentlicht am 05.12.2018
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Entscheidungsdatum

05.12.2018

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch

G303 2189350-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Simone KALBITZER als Vorsitzende sowie die Richterin Dr. Eva WENDLER und den fachkundigen Laienrichter Herbert WINTERLEITNER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX,

geb. XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Kärnten, vom 25.09.2017, Zl. OB:

XXXX, betreffend die Ausstellung eines Behindertenpasses, zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

II. Der Grad der Behinderung beträgt 60 (sechzig) v.H. (von Hundert). Die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses liegen vor.

III. Der Antrag, der belangten Behörde die Verfahrenskosten in Höhe von € 2.920,89 aufzuerlegen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) brachte am 09.08.2017 beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Kärnten, (im Folgenden: belangte Behörde) einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses ein. Dem Antrag war ein Konvolut an medizinischen Beweismitteln angeschlossen.

2. Im Rahmen des seitens der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens wurde ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt.

In dem eingeholten Gutachten von XXXX, Ärztin für Allgemeinmedizin, vom 20.09.2017, wurde nach erfolgter persönlicher Untersuchung der BF am 19.09.2017 zusammengefasst folgendes festgehalten:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

1

degenerative Veränderung des Bewegungsapparates oberer Rahmensatz bei mäßiger Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule, Zustand nach mehrfacher Operation mit Gefühlsstörungen, arthrotischen Veränderungen in den Fingergelenken unter Berücksichtigung der Schulterschmerzen rechts bei guter Beweglichkeit

02.02.02

40

2

Zustand nach Aortenklappenersatz fixer Rahmensatz bei erfolgreicher Operation

05.07.04

30

3

Depression mit Angststörung mittlerer Rahmensatz bei stabilem Zustand unter Medikation

03.06.01

20

4

Zustand nach Ersatz der Aorta ascendens unterer Rahmensatz bei Beschwerdefreiheit

05.03.02

20

5

Vorhofflimmerarrythmie unterer Rahmensatz bei blutverdünnender Therapie

10.03.13

10

6

COPD unterer Rahmensatz bei gutem Ansprechen auf Bedarfsmedikation

06.06.01

10

7

arterielle Hypertonie fixer Rahmensatz bei entsprechender Therapie

05.01.01

10

Gesamtgrad der Behinderung 40 v. H.

 

 

 

Zum Gesamtgrad der Behinderung wurde begründend ausgeführt, dass die Gesundheitsschädigung (GS) 1 führe, GS 2 bis GS 7 würden bei gutem Ansprechen auf Medikation bzw. erfolgreicher Operation nicht weiter steigen.

3. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 25.09.2017 wurde der Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses vom 09.08.2017 abgewiesen und festgestellt, dass der Grad der Behinderung 40 % betrage. Gestützt wurde die Entscheidung der belangten Behörde auf das eingeholte, oben angeführte, ärztliche Sachverständigengutachten von Dr. XXXX. Dieses wurde dem angefochtenen Bescheid als Beilage angeschlossen. In der rechtlichen Begründung des angefochtenen Bescheides wurden die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes zitiert.

4. Dagegen brachte die BF fristgerecht mit Schreiben vom 02.11.2017 bei der belangten Behörde das Rechtsmittel der Beschwerde ein. Als Beschwerdegründe wurden Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtige Tatsachenfeststellung und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht.

Es wurde beantragt, den bekämpften Bescheid der belangten Behörde aufzuheben und dahingehend abzuändern, dass die Ausstellung des Behindertenpasses erfolgt; in eventu den Bescheid aufzuheben und an die belangte Behörde zur Ergänzung des Verfahrens durch eine weitere Begutachtung durch einen unabhängigen medizinischen Sachverständigen, zurückzuverweisen und jedenfalls die Kosten dieses Verfahrens der belangten Behörde aufzuerlegen.

In der Beschwerde wurde im Wesentlichen beanstandet, dass die Untersuchung der BF durch die Sachverständige äußerst oberflächlich erfolgt sei. Der behandelnde Arzt der BF, Dr. XXXX, habe bestätigt, dass das Gutachten in keiner Art und Weise, mit den tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimmen würde. Die BF sei mit der Begutachtung durch Fachärzte, welche seitens der belangten Behörde beauftragt werden, nicht einverstanden und rege an, einen unabhängigen Gutachter zu bestellen. Auch ein diesbezüglicher Antrag der BF auf Beauftragung eines unabhängigen Gutachters sei ohne weitere Begründung abgewiesen worden. Die BF sei nicht in der Lage einen einzigen Schritt ohne wesentliche Schmerzen zu gehen, längere Wegstrecken seien ihr überhaupt nicht mehr möglich; dies aufgrund des stärker werdenden Schmerzempfindens. Schmerzen seien zudem auch im Liegen vorhanden. Diese könnten nur durch besondere Haltungen vermieden werden, jedoch nicht immer.

5. Im Rahmen des Verfahrens zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung holte die belangte Behörde ein fachärztliches Sachverständigengutachten von Dr. XXXX, Facharzt für Orthopädie, vom 11.01.2018, welches auf einer persönlichen Untersuchung der BF am 10.01.2018 basiert, und ein allgemeinmedizinisches Sachverständigengutachten von Dr. XXXX, Ärztin für Allgemeinmedizin, vom 15.01.2018, welches auf Grund der Aktenlage erstellt wurde, ein.

5.1. In der Gesamtbeurteilung der Sachverständigen Dr. XXXX, Ärztin für Allgemeinmedizin, vom 15.01.2018, wird auf Grundlage der oben angeführten Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Orthopädie vom 11.01.2018 sowie der Allgemeinmedizin vom 15.01.2018, folgender Gesamtgrad der Behinderung eingeschätzt:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes Beqründunq der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

1

Wirbelsäule, Wirbelsäule - Funktionseinschränkungen schweren Grades Es bestehen mehrsegmentale Spondylodesen cervicale und Lumbal, mit entsprechenden Funktionseinschränkungen, hinzu kommt die Notwendigkeit wegen multipler Wirbelkörpereinbrüche, Wirbelkörper zu augmentierten und zwar in den Segmenten TH 11 bis L2. Ungeachtet dieser Operationen besteht eine Dauer-Schmerzsymptomatik mit wechselnder Intensität, die beim Stehen und Gehen schnell zunimmt

02.01.03

60

2

Kniegelenk - Untere Extremitäten, Kniegelenk Funktionseinschränkung geringen Grades beidseitig. Beginnende, altersentsprechende Femoropatellararthrose mit guter Beweglichkeit der Kniegelenke. Daher unterer RSW.

02.05.19

20

3

Schulter - Obere Extremitäten, Schultergelenk, Schultergürtel Funktionseinschränkung geringen Grades beidseitig. Endlagig schmerzhafte Impingement Symptomatik bds., rechts stärker als links

02.06.02

20

4

Hände - Obere Extremitäten, Funktionseinschränkung einzelner Finger Z.n. zweifacher Rhizarthrose Operation links, mit deutlich reduzierter Greiffunktion der linken Hand. Unter diesen Bedingungen mittlerer RSW.

02.06.26

20

5

Herzklappeninsuffizienz, Aortenklappeninsuffizienz - erfolgreich operiertes Vitium, vorgegebener Rahmensatz bei Zustand nach Aortenklappenersatz, erfolgreiche Operation

05.07.04

30

6

Affektive Störungen; Manische, depressive und bipolare Störungen, Depressive Störung - Dysthymie - leichten Grades, Manische Störung Hypomanie - leichten Grades Übernahme aus dem allgemeinmedizinischen Vorgutachten, eine Stufe über dem unteren Rahmensatz bei stabilem Zustand unter Medikation

03.06.01

20

7

Zustand nach Ersatz der Aorta ascendens Unterer Rahmensatz, Übernahme aus dem allgemeinmedizinischen Vorgutachten, bei Zustand nach operativem Ersatz liegt Beschwerdefreiheit vor

05.03.02

20

8

Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD), Chronisch obstruktive Lungenerkrankung - Leichte Form COPD I Oberer Rahmensatz, dieser wurde im Vergleich zum Vorgutachten gewählt bei laut orthopädischen Fachgutachten vorliegender Atemnot, Bedarfsmedikation, keine Dauertherapie

06.06.01

20

9

Blutverdünnungstherapie bei Vorhofflimmern Arrhythmie Unterer Rahmensatz entsprechend der Therapie ohne Blutungsübel

10.03.13

10

10

Hypertonie, Leichte Hypertonie Vorgegebener Rahmensatz, medikamentös therapiert

05.01.01

10

Gesamtgrad der Behinderung 60 v. H.

 

 

 

Als Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung wurde ausgeführt, dass die Gesundheitsschädigung 1 aus orthopädisch fachärztlicher Sicht führe. Die Gesundheitsschädigungen 2, 3, 4, seien zu geringfügig, um weiter steigernd wirken zu können. Bei den Gesundheitsschädigungen 5 - 10 handle es sich um internistische Gesundheitsschädigungen, die in keiner direkten Wechselwirkung zur führenden Gesundheitsschädigung stehen und als Einzelschädigungen zu gering ausgeprägt seien, um weiter zu steigern.

6. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 16.01.2018 wurde der BF das, unter Pkt. I.5. angeführte, Ergebnis des ärztlichen Ermittlungsverfahrens im Rahmen eines schriftlichen Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht und die Gelegenheit gegeben, dazu binnen drei Wochen Stellung zu nehmen.

6.1. Die BF erstattete nach der vorliegenden Aktenlage keine Stellungnahme.

7. Eine Beschwerdevorentscheidung wurde seitens der belangten Behörde nicht erlassen, da die Beschwerdevorentscheidungsfrist bereits laut Aktenlage mit 23.01.2018 endete. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt und sind am 15.03.2018 bei diesem eingelangt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die BF ist am XXXX geboren und hat ihren Wohnsitz im Inland.

Bei der BF liegen folgende behinderungsrelevante Gesundheitsschädigungen vor:

* Funktionseinschränkungen schweren Grades an der Wirbelsäule (Grad der Behinderung: 60 %)

* Funktionseinschränkungen geringen Grades an beiden Kniegelenken (Grad der Behinderung: 20 %)

* Beidseitige Funktionseinschränkung geringen Grades im Bereich des Schultergelenkes und des Schultergürtels (Grad der Behinderung 20%)

* Funktionseinschränkung einzelner Finger mit deutlich reduzierter Greiffunktion der linken Hand (Grad der Behinderung 20 %)

* Herzklappeninsuffizienz und Zustand nach erfolgreich operiertes Vitium (Grad der Behinderung: 30 %)

* Manische, depressive und bipolare Störungen (Grad der Behinderung: 20%)

* Zustand nach Ersatz der Aorta ascendens (Grad der Behinderung: 20 %)

* Chronisch obstruktive Lungenerkrankung COPD I, (Grad der Behinderung: 20 %)

* Blutverdünnungstherapie bei Vorhofflimmern (Grad der Behinderung: 10 %)

* Leichte Hypertonie (Grad der Behinderung: 10 %)

Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 60 (sechzig) von Hundert (v.H.).

Der Gesamtgrad der Behinderung ergibt sich aus dem führenden Wirbelsäulenleiden. Die anderen Gesundheitsschädigungen sind zu gering ausgeprägt, um eine Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung zu bewirken. Zudem stehen auch die internistischen Gesundheitsschädigungen der BF in keiner direkten Wechselwirkung zum führenden Leiden der Wirbelsäule.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten, der Beschwerde und dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes.

Die Feststellung zum Wohnsitz der BF ergibt sich aus einem eingeholten Datenauszug des Zentralen Melderegisters und den Angaben der BF in der Antragstellung.

Der Gesamtgrad der Behinderung von 60 von Hundert wurde aufgrund der medizinischen Gesamtbeurteilung der ärztlichen Sachverständigen Dr. XXXX, Ärztin für Allgemeinmedizin, vom 15.01.2018 unter Berücksichtigung des fachärztlichen Sachverständigengutachtens von Dr. XXXX, Facharzt für Orthopädie, festgestellt.

Diese medizinische Gesamtbeurteilung ist schlüssig, vollständig, weist keine Widersprüche auf und steht mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen im Einklang. Es wurde dabei auf die Art der einzelnen Leiden der BF und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Die seitens der BF vorgelegten medizinischen Unterlagen wurden im Rahmen der Begutachtung mitberücksichtigt.

Die festgestellten behinderungsrelevanten Gesundheitsschädigungen und deren korrekte und nachvollziehbare Einschätzung bezüglich des Grades der Behinderung gemäß der anzuwendenden Einschätzungsverordnung samt Anlage ergeben sich daraus.

Die Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung im Vergleich zum Vorgutachten von Dr. XXXX vom 20.09.2017, welches dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegt, wurde nachvollziehbar begründet, da die Veränderungen in der Wirbelsäule derart massiv sind, dass von einer schweren Beeinträchtigung der Wirbelsäule ausgegangen werden muss.

Der Inhalt des oben angeführten Gesamtgutachtens von Dr. XXXX wurde der BF seitens der belangten Behörde im Rahmen eines schriftlichen Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht und zur Möglichkeit einer Stellungnahme übermittelt. Eine Stellungnahme beziehungsweise Einwendungen wurde von der BF nicht erstattet, womit dieses Sachverständigengutachten unbestritten blieb.

Es wird daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 6 BVwGG (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung [idgF]) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG (Bundesbehindertengesetz, BGBl. Nr. 283/1990 idgF) hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter gemäß § 45 Abs. 4 BBG mitzuwirken.

Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF) geregelt (§ 1 VwGVG).

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG (Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 idgF) die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51/1991 idgF) mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG steht es der Behörde im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung gemäß § 14 Abs. 1 VwGVG frei, den angefochtenen Bescheid innerhalb von zwei Monaten aufzuheben, abzuändern oder die Beschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen. Abweichend davon beträgt die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung gemäß § 46 BBG zwölf Wochen.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4 VwGVG) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Das Verwaltungsgericht kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteienantrags, von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art 6 Abs. 1 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) noch Art 47 GRC (Charta der Grundrechte der Europäischen Union) entgegenstehen.

Der im gegenständlichen Fall entscheidungsrelevante Sachverhalt wurde größtenteils auf gutachterlicher Basis ermittelt. Die entscheidungswesentliche orthopädische Begutachtung basierte auch auf einer persönlichen Untersuchung der BF. Der Inhalt des vorliegenden Gesamtgutachtens von Dr. XXXX, welches auch die orthopädische Begutachtung berücksichtigt, wurde zudem von der BF im Rahmen ihres schriftlichen Parteiengehörs nicht beeinsprucht.

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit den Beschwerdegründen und dem Begehren der BF geklärt erscheint, konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 VwGVG entfallen.

Im vorliegenden Fall wurde darüber hinaus seitens beider Parteien eine mündliche Verhandlung nicht beantragt.

Dem Absehen von der Verhandlung stehen hier auch Art 6 Abs. 1 EMRK und Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht entgegen.

3.2. Zu Spruchteil A):

Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist gemäß § 1 Abs. 2 BBG die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Gemäß § 40 Abs. 1 BBG ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. I Nr. 22/1970, angehören.

Nach § 35 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG 1998), BGBl. I Nr. 400/1998, sind die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen. Zuständige Stelle ist:

* Der Landeshauptmann bei Empfängern einer Opferrente (§ 11 Abs. 2 des Opferfürsorgegesetzes, BGBl. I Nr. 183/1947).

* Die Sozialversicherungsträger bei Berufskrankheiten oder Berufsunfällen von Arbeitnehmern.

* In allen übrigen Fällen sowie bei Zusammentreffen von Behinderungen verschiedener Art das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen; dieses hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach §§ 40 ff des BBG, im negativen Fall durch einen in Vollziehung dieser Bestimmungen ergehenden Bescheid zu bescheinigen.

Gemäß § 41 BBG gilt als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 leg. cit. genannten Voraussetzungen der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 leg. cit. vorliegt.

Gemäß § 42 Abs. 1 hat der Behindertenpass den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

Gemäß § 45 BBG Abs. 1 sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

Ein Bescheid ist gemäß § 45 Abs. 2 BBG nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

Es war aus folgenden Gründen spruchgemäß zu entscheiden:

Im Rahmen des Beschwerdevorentscheidungsverfahrens führte die belangte Behörde ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch, in dem sie drei medizinische Sachverständigengutachten einholte und der BF ein schriftliches Parteiengehör zum Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme gewährte. Die Beschwerdevorentscheidung wurde durch die belangte Behörde nicht erlassen, da die Beschwerdevorentscheidungsfrist von zwölf Wochen vor Ablauf des Ermittlungsverfahrens endete. Daher wurden die gegenständliche Beschwerde und die Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Die seitens der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten wurden im Rahmen des Beschwerdeverfahrens vom erkennenden Gericht als nachvollziehbar, schlüssig und widerspruchfrei gewertet, sodass die Einholung von weiteren Gutachten nicht notwendig war. Insbesondere wurde das Gesamtergebnis der medizinischen Beweisaufnahme seitens der BF nicht bestritten.

Anzumerken bleibt, dass dem Beschwerdevorbringen der BF, keine seitens der belangte Behörde beauftragte Sachverständigen mit der medizinischen Begutachtung zu betrauen, nicht Folge geleistet wurde, da die Behörde gemäß § 52 Abs.1 AVG primär die ihr beigegebenen oder ihr zur Verfügung stehenden amtlichen Sachverständigen (Amtssachverständigen) beizuziehen hat.

Es konnten auch keine Gründe festgestellt werden, dass aufgrund der Besonderheit des gegenständlichen Falles im Sinne des § 52 Abs. 2 AVG es geboten wäre, einen nichtamtlichen Sachverständigen heranzuziehen.

Zudem sind gemäß ständiger Rechtsprechung sowohl des Verwaltungsals auch des Verfasungsgerichtshofes Amtssachverständige bei der Erstattung ihrer Gutachten ausschließlich der Wahrheit verpflichtet und hinsichtlich des Inhaltes ihrer Gutachten an keine Weisungen gebunden (vgl VfSlg 16567/2002), weil Gutachten den sie erstellenden (Amts-) Sachverständigen persönlich zurechenbar sind (VfGH 04.10.2014, Zl. E707/2014).

Alle Gesundheitsschädigungen der BF wurden in dem vorliegenden Gesamtgutachten berücksichtigt; für jedes einzelne behinderungsrelevante Leiden wurde ein Grad der Behinderung nach der anzuwendenden Anlage zur Einschätzungsverordnung korrekt eingeschätzt.

Die Gesamteinschätzung ist auch unter Bedachtnahme auf den durchgeführten Sachverständigenbeweis vorzunehmen (vgl. VwGH 19.11.1997, Zl. 95/09//0232; 04.09.2006, Zl. 2003/09/0062).

Demnach konnte ein Gesamtgrad der Behinderung von 60 von Hundert festgestellt werden.

Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 60 von Hundert und einem Wohnsitz im Inland sind die Voraussetzungen gemäß § 40 Abs. 1 BBG für die Ausstellung eines Behindertenpasses erfüllt.

Der Beschwerde war daher spruchgemäß stattzugeben und festzustellen, dass der Grad der Behinderung der BF 60 (sechzig) v.H. (von Hundert) beträgt.

3.3. Verfahrenskosten:

Im VwGVG ist mit § 35 leg. cit. Kostenersatz lediglich für Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt geregelt. Sonstige Regelungen über die Kostentragung sind nicht statuiert. Nach der Grundregel des § 74 Abs. 1 AVG hat jeder Beteiligte die ihm im Verwaltungsverfahren erwachsenden Kosten selbst zu bestreiten. Im Anwendungsbereich des AVG gilt damit der Grundsatz der Kostenselbsttragung (VwGH 27.06.2007, Zl. 2005/04/0257). Dieser Grundsatz gilt auch gegenüber der Behörde (VwGH 02.05.2005, Zl. 2004/07/0089). Ein Kostenersatz zwischen den Beteiligten findet nur dort statt, wo er in der Verwaltungsvorschrift geregelt ist. Da weder im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, noch im BBG Kostenersatz vorgesehen ist, findet somit gemäß § 17 VwGVG iVm § 74 Abs. 1 AVG ein solcher nicht statt.

Der Antrag der BF, der belangten Behörde die "Prozesskosten" aufzuerlegen, ist somit mangels Rechtsgrundlage als unzulässig zurückzuweisen.

3.4. Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlicher Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung.

Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behindertenpass, Grad der Behinderung, Sachverständigengutachten,
Verfahrenskosten, Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:G303.2189350.1.00

Zuletzt aktualisiert am

24.05.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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