TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/21 W123 2195681-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.03.2019
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Entscheidungsdatum

21.03.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs3
AsylG 2005 §34 Abs5
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch

W123 2195581-1/9E

W123 2195679-1/10E

W123 2195681-1/9E

W123 2195684-1/8E

W123 2195688-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Michael ETLINGER über die Beschwerden

1. der XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.04.2018, 1100508903-152076014/BMI-BFA_STM_RD (W123 2195688-1),

2. des XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.04.2018, 1100508707-152075999/BMI-BFA_STM_RD (W123 2195679-1),

3. des mj. XXXX , geb. XXXX , auch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.04.2018, 1100509301-152076065/BMI-BFA_STM_RD (W123 2195581-1),

4. des mj. XXXX , geb. XXXX , auch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.04.2018, 1100509203-152076057/BMI-BFA_STM_RD (W123 2195681-1) und

5. der mj. XXXX , geb. XXXX , auch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.04.2018, 1100509007-152076022/BMI-BFA_STM_RD (W123 2195684-1),

alle StA. Afghanistan, nach Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung

A)

beschlossen:

I. Das Verfahren hinsichtlich Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide wird eingestellt.

und zu Recht erkannt:

II. Den Beschwerden gegen die Spruchpunkte 1. bis V. (zu. 1) bzw. gegen die Spruchpunkte II. bis VI. (zu 2. bis 5.) der angefochtenen Bescheide wird mit der Maßgabe stattgegeben, dass es zu lauten hat:

"1. XXXX , geb. XXXX ,

2. XXXX , geb. XXXX ,

3. XXXX , geb. XXXX ,

4. XXXX , geb. XXXX , und

5. XXXX , geb. XXXX ,

wird gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 (zu 1.) bzw. § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 iVm Abs. 5 AsylG 2005 (zu 2. bis 5.) der Status der subsidiär Schutzberechtigten (zu 1. und 5.) bzw. des subsidiär Schutzberechtigten (zu 2. bis 4.) in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird

1. XXXX ,

2. XXXX ,

3. XXXX ,

4. XXXX

5. XXXX

eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte (zu 1. und 5.) bzw. als subsidiär Schutzberechtigter (zu 2. bis 4.) bis zum 21.03.2020 erteilt."

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind verheiratet sowie die Eltern und die gesetzlichen Vertreter der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer.

2. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer stellten am 29.12.2015 für sich und die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer Anträge auf internationalen Schutz. Am 29.12.2015 erfolgte die Erstbefragung der Erst- und Zweitbeschwerdeführer durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes.

3. Am 04.04.2018 erfolgte die Einvernahme der Erst- und Zweitbeschwerdeführer vor der belangten Behörde.

4. Die belangte Behörde wies mit den angefochtenen Bescheiden vom 30.04.2018 die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II. bzw. 1.) ab. Weiters sprach die belangte Behörde aus, dass den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde (Spruchpunkt III. bzw. II), gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG erlassen werde (Spruchpunkt IV. bzw. III.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V. bzw. IV.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI. bzw. V.).

5. Am 12.05.2018 brachten die Beschwerdeführer - fristgerecht - Beschwerde gegen die Bescheide der belangten Behörde im vollen Umfang ein.

6. Am 01.03.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

Die belangte Behörde wies mit den angefochtenen Bescheiden vom 30.04.2018 die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II. bzw. 1.) ab. Weiters sprach die belangte Behörde aus, dass den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde (Spruchpunkt III. bzw. II.), gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG erlassen werde (Spruchpunkt IV. bzw. III.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V. bzw. IV.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI. bzw. V.).

In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 01.03.2019 zogen die Beschwerdeführer die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide zurück.

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Afghanistan, Schiiten und gehören der Volksgruppe der Hazara an. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer heirateten in der Provinz Parwan auf traditionelle Weise. Sie sind die Eltern und die gesetzlichen Vertreter der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer.

Die Erstbeschwerdeführerin wurde in der Provinz Parwan geboren und verbrachte danach sechs Jahre im Iran. In weiterer Folge zog die Familie der Beschwerdeführerin wieder für sechs Jahre zurück in ihr Heimatdorf, um erneut für sechs Jahre im Iran wohnhaft zu sein. Im Iran fassten die Beschwerdeführer den Entschluss, Afghanistan zu verlassen.

Die Erstbeschwerdeführerin war nie erwerbstätig und zog nach ihrer Heirat in das Haus ihrer Schwiegereltern. Der Vater der Erstbeschwerdeführerin ist bereits verstorben; ihre Mutter ist bettlägerig. Ihre Mutter und ihre unverheirateten Geschwister sind in der Stadt Kabul wohnhaft; ihre Mutter wird durch den Bruder der Erstbeschwerdeführerin versorgt, der Gläser und Geschirr auf einem Karren verkauft, um den Lebensunterhalt der Familie zu erwirtschaften.

Der Zweitbeschwerdeführer stammt aus der Provinz Parwan. Im Jahr 1997 zog der Zweitbeschwerdeführer mit seiner Familie in den Iran; im Jahr 2003 kehrte die Familie wieder zurück nach Afghanistan, um im Jahr 2009 wieder in den Iran zu ziehen. Er besuchte insgesamt fünf Jahre die Schule und arbeitete in Afghanistan in der Landwirtschaft und als LKW-Fahrer. Im Iran war der Zweitbeschwerdeführer auf Baustellen als Hilfsarbeiter tätig. Der Zweitbeschwerdeführer hat keine Geschwister. Die Eltern und der Onkel väterlicherseits des Zweitbeschwerdeführers sind bereits verstorben.

Die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer besuchen in Österreich die Schule.

Die Beschwerdeführer verfügen in Afghanistan keine Angehörigen, zu welchen Kontakt besteht und von welchen eine entsprechende Unterstützung erwartet werden könnte. Sie sind gesund und strafgerichtlich unbescholten bzw. strafunmündig und nehmen Leistungen aus der Grundversorgung in Anspruch.

Die Beschwerdeführer stellten im Dezember 2015 die vorliegenden Anträge auf internationalen Schutz.

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben mittels Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der Erst- und Zweitbeschwerdeführer vor dieser und dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, des bekämpften Bescheides und des Beschwerdeschriftsatzes sowie in die von den Beschwerdeführern vorgelegten Urkunden.

Die Feststellungen zu Identität, Familienverhältnissen, Herkunft und Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer gründen sich auf die diesbezüglich gleichbleibenden und daher glaubhaften Angaben der Erst- und Zweitbeschwerdeführer vor dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, der belangten Behörde, in dem Beschwerdeschriftsatz und in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Es ist im Verfahren nichts hervorgekommen, das Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen zur Person der Beschwerdeführer aufkommen lässt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A)

1. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide:

3.1. Aufgrund der rechtswirksamen Zurückziehung der verfahrensgegenständlichen Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide durch die Beschwerdeführer, war das Beschwerdeverfahren daher in dieser Hinsicht mit Beschluss einzustellen (vgl. VwGH 29.04.2015, Fr 2014/20/0047).

2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. bzw. I. der angefochtenen Bescheide:

3.2. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Die Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur EMRK betreffen die Abschaffung der Todesstrafe.

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 leg.cit. offen steht.

Gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Antrag auf subsidiären Schutz abzuweisen, wenn in einem Teil des Herkunftsstaates des Asylwerbers vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden kann und dem Asylwerber zugemutet werden kann, sich in diesem Teil aufzuhalten (innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen für den subsidiären Schutz nicht vorliegen.

In ständiger Rechtsprechung führt der Verwaltungsgerichtshof zur Prüfung der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten Folgendes aus (vgl. etwa VwGH 23.01.2018, Ra 2017/20/0361):

"Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des EGMR beruhenden Judikatur ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 25.5.2016, Ra 2016/19/0036, und VwGH 8.9.2016, Ra 2016/20/0063, jeweils mwN).

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (vgl. dazu VwGH 21.2.2017, Ra 2016/18/0137, mit Hinweisen auf Rechtsprechung des EGMR und EuGH).

In diesem Sinn hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner jüngeren, zum Herkunftsstaat Afghanistan ergangenen Rechtsprechung wiederholt und unter Bezugnahme auf die diesbezügliche ständige Rechtsprechung des EGMR ausgesprochen, dass es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Es reicht für den Antragsteller nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zu berufen. Die allgemeine Situation in Afghanistan ist nämlich nicht so gelagert, dass schon alleine die Rückkehr eines Antragstellers dorthin eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde (vgl. VwGH 25.4.2017, Ra 2016/01/0307, mwN)."

Der Verwaltungsgerichtshof sprach jüngst in Bezug auf das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative Folgendes aus (vgl. VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001):

"Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner jüngeren Rechtsprechung bereits erkannt, dass eine schwierige Lebenssituation (bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht), die ein Asylwerber bei Rückführung in das als innerstaatliche Fluchtalternative geprüfte Gebiet vorfinden würde, für sich betrachtet nicht ausreicht, um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen. Mit Bezug auf die Verhältnisse in Afghanistan wurde ausgeführt, es könne zutreffen, dass ein alleinstehender Rückkehrer ohne familiären Rückhalt und ohne finanzielle Unterstützung in der afghanischen Hauptstadt Kabul (anfangs) mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert sei. Soweit es sich aber um einen jungen und gesunden Mann, der über Schulbildung und Berufserfahrung verfüge, handle, sei - auf der Grundlage der allgemeinen Länderfeststellungen zur Lage im Herkunftsstaat - nicht zu erkennen, dass eine Neuansiedlung in Kabul nicht zugemutet werden könne. Dies stehe auch im Einklang mit der Einschätzung der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016, denen zufolge es alleinstehenden, leistungsfähigen Männern im berufsfähigen Alter ohne spezifische Vulnerabilität möglich sei, auch ohne Unterstützung durch die Familie in urbaner Umgebung zu leben (vgl. VwGH 8.8.2017, Ra 2017/19/0118). Auch der Verfassungsgerichtshof hat in einem jüngst ergangenen Erkenntnis vom 12. Dezember 2017, E 2068/2017, ausgesprochen, dass einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrsche, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut sei und die Möglichkeit habe, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul zugemutet werden könne, und zwar selbst dann, wenn er - wie im entschiedenen Fall - nicht in Afghanistan geboren worden sei, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan habe, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen sei. Dem ist lediglich hinzuzufügen, dass bei dieser Sichtweise dem Kriterium der ‚Zumutbarkeit' neben jenem der Gewährleistung von Schutz vor Verhältnissen, die Art. 3 EMRK widersprechen, durchaus Raum gelassen wird. Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr - im Sinne des bisher Gesagten - möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. dazu nochmals VwGH 8.8.2017, Ra 2017/19/0118, mwN)."

3.3. Zur Erstbeschwerdeführerin:

Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 gegeben sind:

Die Erstbeschwerdeführerin wurde in der Provinz Parwan geboren und verbrachte danach sechs Jahre im Iran. In weiterer Folge zog die Familie der Beschwerdeführerin wieder für sechs Jahre zurück in ihr Heimatdorf, um erneut für sechs Jahre im Iran wohnhaft zu sein. Im Iran fassten die Beschwerdeführer den Entschluss, Afghanistan zu verlassen.

Bei der Provinz Parwan handelt es sich - so wie bereits im angefochtenen Bescheid ausgeführt wurde - um eine sichere Provinz.

Für die Zuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan reicht es nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zu berufen, sondern es müssen vom Betroffenen auch individuelle Umstände glaubhaft gemacht werden, die im Fall der Rückkehr nach Afghanistan eine reale Gefahr der Verletzung des Art. 3 EMRK für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen bzw. die Unzumutbarkeit der Ansiedelung im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative bewirken würden. Solche Umstände bzw. Merkmale hat die Erstbeschwerdeführerin im Verfahren dargetan:

Die Erstbeschwerdeführerin ist 39 Jahre alt, verheiratet und Mutter von drei minderjährigen Kindern. Sie verfügt über keine Schulbildung und kann auf keine Berufserfahrung zurückgreifen. Sie kümmerte sich ausschließlich um den Haushalt und ihre Kinder. Es wurde Zeit ihres Lebens hauptsächlich von männlichen Familienmitgliedern für ihren Lebensunterhalt gesorgt. Ferner ist in Berücksichtigung zu ziehen, dass die Erstbeschwerdeführerin einen großen Teil ihres Lebens nicht in Afghanistan verbrachte, sondern im Iran. Die Erstbeschwerdeführerin verfügt auch über keine Ersparnisse und Grundstücke in Afghanistan.

Zwar leben die unverheirateten Geschwister und die Mutter der Erstbeschwerdeführerin in Kabul, jedoch ist diesbezüglich zu berücksichtigen, dass die Mutter der Erstbeschwerdeführerin seit drei Jahren bettlägerig ist und die Geschwister der Erstbeschwerdeführerin für den Lebensunterhalt der Mutter der Erstbeschwerdeführerin aufkommen müssen. Über sonstige Familienangehörige bzw. über ein sonstiges ausreichendes soziales Netzwerk in Afghanistan verfügt die Erstbeschwerdeführerin nicht. Es ist vom Bundesverwaltungsgericht daher davon auszugehen, dass die Erstbeschwerdeführerin - auch aufgrund ihrer langen Abwesenheit - in Afghanistan über keine Familienangehörigen, welche sie in Afghanistan finanziell und/oder mit der Zurverfügungstellung von Wohnraum unterstützen könnten, zurückgreifen kann.

Es kann im vorliegenden Fall nicht davon ausgegangen werden, dass die Erstbeschwerdeführerin als Mutter von drei minderjährigen Kindern in der Lage ist, den unbedingt notwendigen Unterhalt für sich und ihre drei minderjährigen Kinder zu erwirtschaften.

Auch kann nicht angenommen werden, dass der Zweitbeschwerdeführer für den Lebensunterhalt der Erstbeschwerdeführerin und der Drittbis Fünftbeschwerdeführer aufkommen könnte. Diesbezüglich sind die besonderen Umstände des Zweitbeschwerdeführers (Alter, Familienstand, Aufenthaltsort und fehlende familiäre Anknüpfungspunkte), die nicht mit den Rückkehrbedingungen, die ein junger, gesunder, lediger und erwerbsfähiger Mann zu gewärtigen hat, vergleichbar sind, zu berücksichtigen: Der Zweitbeschwerdeführer ist bereits 49 Jahre alt, verheiratet und Vater von drei minderjährigen Kindern sowie verfügt über keine Familienangehörigen und kein ausreichendes soziales Netz in Afghanistan. Die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer besuchen in Österreich die Schule und sind daher noch stark von ihren Eltern abhängig.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative iSd § 8 Abs. 3 iVm § 11 AsylG 2005, etwa in den als verhältnismäßig sicher eingestuften Regionen, zB Herat oder Mazar-e-Sharif, würde der Erstbeschwerdeführerin unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Umstände und des Fehlens eines unterstützenden sozialen oder familiären Netzwerks ihrerseits in Afghanistan derzeit ebenfalls nicht zur Verfügung stehen. In den verhältnismäßig sicher eingestuften Regionen müsste die Erstbeschwerdeführerin nach einem - wenn auch nur vorläufigen - Wohnraum suchen, ohne jedoch über ausreichende Kenntnisse der örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten zu verfügen.

Folglich kann daher im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung der die Erstbeschwerdeführerin betreffenden individuellen Umstände nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass sie im Fall der Rückkehr nach Afghanistan einer realen Gefahr iSd Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, welche unter Berücksichtigung der oben dargelegten persönlichen Verhältnisse der Erstbeschwerdeführerin und der derzeit in Afghanistan vorherrschenden Versorgungsbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen würde.

Da somit in Afghanistan für die Erstbeschwerdeführerin die reale Gefahr einer existenzbedrohenden Situation iSd oben dargestellten Anforderungen besteht, ist der Erstbeschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, von der belangten Behörde oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden von der belangten Behörde für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

Folglich ist der Erstbeschwerdeführerin die im Spruch angeführte Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer eines Jahres zu erteilen.

3.4. Zu den Zweit- bis Fünftbeschwerdeführern:

Gemäß § 34 Abs. 3 iVm Abs. 5 AsylG 2005 hat das Bundesverwaltungsgericht aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Erkenntnis den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist;

3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und

4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist "Familienangehöriger", wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits im Herkunftsland bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.

Der Zweitbeschwerdeführer ist der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin. Die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer sind die minderjährigen ledigen Kinder der Erstbeschwerdeführerin.

Die Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer, welchen der Status der Asylberechtigten nicht zuzuerkennen ist (siehe rechtliche Beurteilung) sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten bzw. strafunmündig.

Die Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer sind daher Familienangehörige der Erstbeschwerde-führerin iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005.

Der Erstbeschwerdeführerin wird mit diesem Erkenntnis der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

Den Zweit- bis Fünftbeschwerdeführern ist daher gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 iVm Abs. 5 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuzuerkennen. Folglich ist den Zweit- bis Fünftbeschwerdeführern gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 die im Spruch angeführte Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer eines Jahres zu erteilen.

Zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (siehe dazu insbesondere die unter A) zitierte Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

befristete Aufenthaltsberechtigung, Familienverfahren, subsidiärer
Schutz, Zurückziehung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W123.2195681.1.00

Zuletzt aktualisiert am

24.05.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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