TE Vwgh Erkenntnis 1999/3/12 97/19/0066

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Veröffentlicht am 12.03.1999
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AufG 1992 §5 Abs1;
AVG §38;
AVG §39 Abs2;
AVG §66 Abs4;
AVG §69 Abs1 Z3;
B-VG Art130 Abs2;
FrG 1997 §113 Abs6;
FrG 1997 §113 Abs7;
VwGG §41 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Schattleitner, über die Beschwerde der 1972 geborenen IÖ in Lustenau, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in Dornbirn, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 12. Jänner 1996, Zl. 117.236/2-III/11/95, betreffend Aussetzung eines Verfahrens bezüglich Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, die zuletzt über eine Aufenthaltsbewilligung mit Gültigkeit vom 26. Jänner 1995 bis 26. Juli 1995 verfügte, beantragte am 17. Mai 1995 die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung um weitere zwei Jahre. Die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn leitete das Ermittlungsverfahren ein, in dessen Verlauf vom (von dieser getrennt lebenden) Gatten der Beschwerdeführerin der Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch vom 4. April 1995, Zl. 1 R 183/95, vorgelegt wurde, aus dem die Verpflichtung des Ehegatten der Beschwerdeführerin zur Leistung einer vorläufigen Unterhaltszahlung in der Höhe von S 7000,- an die Beschwerdeführerin hervorgeht. Der Ehegatte der Beschwerdeführerin bezweifelte das Vorliegen ausreichender Mittel zur Bestreitung des Unterhaltes der Beschwerdeführerin.

Die belangte Behörde hielt der Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 25. August 1995 vor, dass dieser Betrag unter dem nach dem Sozialhilferichtsatz für das Land Vorarlberg liegenden Unterhaltsbedarf liege und überdies Schulden in der Höhe von S 54 500,- aushafteten.

Die Beschwerdeführerin erstattete eine Stellungnahme vom 4. September 1995, in der sie zu ihrer finanziellen Situation erklärte, die ihr von der Behörde vorgehaltenen Schulden seien dadurch entstanden, dass ihr Ehegatte seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht nachgekommen sei; dieser Unterhaltsrückstand sei ihr bereits rechtskräftig zugesprochen worden. In der Unterhaltssache verlange sie von ihrem Ehegatten einen monatlichen Unterhalt von S 9000,-, womit ihr Unterhalt für die Dauer des beabsichtigten Aufenthaltes gedeckt sei.

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vom 8. September 1995 wurde das Verfahren zur Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 38 AVG bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Verfahrens über die Höhe des vom Ehegatten zu zahlenden Unterhaltes ausgesetzt. Die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn begründete diese Entscheidung damit, dass die Frage der Höhe des vom Ehegatten zu zahlenden Unterhaltes im Verfahren über die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung eine präjudizielle Rechtsfrage sei. Die Beschwerdeführerin erhob Berufung.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 12. Jänner 1996 wurde die Berufung der Beschwerdeführerin als unbegründet abgewiesen. Die belangte Behörde begründete ihren Bescheid damit, dass gemäß § 5 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufG) Fremden eine Bewilligung nicht erteilt werden dürfte, wenn deren Lebensunterhalt in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert sei. Da die Festsetzung der Höhe der Unterhaltszahlungen, die der Beschwerdeführerin nach der Scheidung von ihrem Gatten zustünden, wesentlich zur Beurteilung ihres Lebensunterhaltes im Bundesgebiet sei, liege im gegenständlichen Verfahren eine Vorfrage vor, welche für die Entscheidungsfindung der Behörde von erheblicher Bedeutung sei. Im Falle der Anhängigkeit des Verfahrens in der Vorfrage stehe es im Ermessen der Behörde, das Verfahren zu unterbrechen oder selbst zu entscheiden. Im Rahmen der Ermessensübung werde dabei insbesondere der Aspekt der Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis einerseits und andererseits der Aspekt möglichst richtiger und einheitlicher Entscheidung zu berücksichtigen sein. Zweckmäßiger erscheine eine Unterbrechung, wenn bei der Lösung der Vorfrage Ermessen zu üben sei.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher mit Beschluss vom 24. September 1996, B 304/96, deren Behandlung ablehnte und sie mit Beschluss vom 18. Dezember 1996, Zl. B 304/96, an den Verwaltungsgerichtshof abtrat. Aus der Beschwerdeergänzung geht hervor, dass sich die Beschwerdeführerin durch den bekämpften Bescheid in ihrem Recht verletzt erachtet, dass keine Aussetzung des Verfahrens betreffend die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung erfolge, sondern vielmehr die Aufenthaltsbewilligung befristet verlängert werde. Hinsichtlich der einfachgesetzlichen Rechtsverletzungen sei der belangten Behörde insbesondere das Fehlen einer Interessensabwägung vorzuwerfen. Das gesetzlich eingeräumte Ermessen der Behörde sei nicht dem Gesetz entsprechend ausgeübt worden, da die vorgebrachten persönlichen Verhältnisse und familiären Beziehungen bei der Entscheidung der Behörde nicht berücksichtigt worden seien. Die Beschwerdeführerin könne sich zwar derzeit legal in Österreich aufhalten und auch ausreisen, könne aber mangels Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung nicht mehr nach Österreich einreisen, weshalb die belangte Behörde bei Beachtung dieser Aspekte zu einer anderen Entscheidung hätte kommen können und müssen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

§ 38 AVG lautet:

"Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird."

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde eine verfahrensrechtliche Entscheidung getroffen und kein Verlängerungsantrag der Beschwerdeführerin abgewiesen, weswegen auf diesen Beschwerdefall die Bestimmungen des § 113 Abs. 6 und 7 FrG 1997 nicht zur Anwendung kommen.

Gemäß § 4 Abs. 2 zweiter Satz AufG konnte eine Bewilligung jeweils um höchstens zwei weitere Jahre verlängert werden, sofern kein Ausschließungsgrund (§ 5) vorliegt. § 5 Abs.1 AufG nannte als Ausschließungsgründe neben dem Vorliegen eines Sichtvermerksversagungsgrundes (§ 10 Abs. 1 FrG) und der mangelnden Sicherung einer für Inländer ortsüblichen Unterkunft in Österreich auch die mangelnde Sicherung des Lebensunterhaltes für die Geltungsdauer der Bewilligung.

Aus dieser Bestimmung ergibt sich die Pflicht der für die Bewilligungserteilung zuständigen Behörden, zum einen auf Grundlage der vom Antragsteller zu erstattenden Angaben und der von diesem initiativ vorzulegenden Belege die Höhe des dem Antragsteller zur Verfügung stehenden Unterhaltes und zum anderen den Unterhaltsbedarf des Beschwerdeführers für die Dauer der Bewilligung festzustellen. Bei Ermittlung des Unterhaltsbedarfes kann sich die Aufenthaltsbehörde - so die ständige hg. Rechtsprechung - an den Richtsätzen der Sozialhilfeverordnung des jeweiligen Landes des geplanten Aufenthaltes (hier: Vorarlberg) orientieren.

Die Beschwerdeführerin berief sich hinsichtlich der ihr zur Verfügung stehenden Unterhaltsmittel auf einen Rechtsanspruch gegenüber ihrem Ehegatten auf Leistung von Unterhalt. Nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin und der diesbezüglich unbedenklichen Aktenlage war zum Zeitpunkt der Entscheidung der Aufenthaltsbehörden die Festsetzung ihres endgültigen monatlichen Unterhaltes Gegenstand eines Verfahrens vor dem Bezirksgericht Dornbirn bzw. dem Landesgericht Feldkirch. Der Beschwerdeführerin war durch einstweilige Verfügung ein vorläufiger Unterhalt in der Höhe von monatlich S 7.000,-- zugesprochen worden, eingeklagt war im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides eine endgültige Unterhaltsleistung in der Höhe von S 9.000,--. Bei Zugrundelegung der erstgenannten Summe als monatlich ansprechbare Unterhaltsleistung wäre - wie die belangte Behörde der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 25. August 1995 auch vorhielt - offenbar der im Sozialhilferichtsatz für das Land Vorarlberg festgelegte Unterhaltsbedarf zuzüglich Miete und Betriebskosten nicht gedeckt gewesen; stünde der Beschwerdeführerin aber die eingeklagte höhere Summe (samt der Nachzahlungen hinsichtlich des Differenzbetrages für in der Vergangenheit liegenden Zeiträume) in absehbarer Zeit zur Verfügung, wäre nicht ausgeschlossen, dass von der Sicherung ihres Lebensunterhaltes auszugehen wäre.

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes handelt es sich bei einer Vorfrage um eine Frage, zu deren Beantwortung die in einer Verwaltungsangelegenheit zur Entscheidung berufene Behörde sachlich nicht zuständig ist, die aber für ihre Entscheidung eine notwendige Grundlage bildet und daher von ihr bei ihrer Beschlussfassung berücksichtigt werden muss. Eine Vorfrage ist somit ein vorweg, nämlich im Zuge der Sachverhaltsermittlung zu klärendes rechtliches Element des zur Entscheidung stehenden Rechtsfalles und setzt voraus, dass der Spruch der erkennenden Behörde in der Hauptfrage nur nach Klärung einer in den Wirkungsbereich einer anderen Behörde oder eines Gerichtes fallenden Frage gefällt werden kann. Es muss sich demnach um eine Frage handeln, die den Gegenstand eines Abspruches rechtsfeststellender oder rechtsgestaltender Natur durch eine andere Behörde oder ein Gericht bildet (vgl. Walter-Thienel, Die Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E. 1 zu § 38 AVG).

Nach dem Vorgesagten lag im gegenständlichen Fall eine Vorfragenentscheidung im Sinne des § 38 AVG vor, weil der Zuspruch von Unterhalt in einer bestimmten Höhe an die Beschwerdeführerin einen derartigen Akt darstellt; die Beantwortung dieser Vorfrage war für die Hauptfragenentscheidung unabdingbar und wurde durch die Entscheidung des Gerichtes in einer die Verwaltungsbehörden bindenden Weise geregelt.

Das Gesetz regelt nun nicht im einzelnen, unter welchen Voraussetzungen die Behörde die Vorfrage selbst zu beurteilen hat oder von der Möglichkeit der Aussetzung des Verfahrens Gebrauch machen kann. Es ist in das Ermessen der Behörde gestellt, ob sie vorerst die Entscheidung der anderen Behörde bzw. des Gerichts anrufen und abwarten oder aber die Vorfrage selbst beurteilen und lösen will. Sie ist aber deswegen nicht völlig ungebunden. Es kann ihre diesbezügliche Entscheidung durchaus auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden, und zwar in der Richtung, ob sie diese Entscheidung im Sinne des Gesetzes getroffen hat. Dabei ist auf Überlegungen der Verfahrensökonomie genauso Bedacht zu nehmen wie auf den Gesichtspunkt, von vornherein die Möglichkeit von Bindungskonflikten und die Erforderlichkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG zu vermeiden (vgl. u.a. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Juni 1993, Zl. 93/11/0117).

Gegen die Rechtmäßigkeit dieser Ermessensentscheidung bringt die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde aber nur vor, die belangte Behörde habe nicht darauf Bedacht genommen, dass die Beschwerdeführerin wegen der Aussetzung des Verfahrens und der dadurch längeren Verfahrensdauer ihre Angehörigen und Bekannten in Deutschland und in der Türkei nicht mehr besuchen könne, da sie zwar ausreisen, aber mangels Aufenthaltsbewilligung nicht mehr nach Österreich einreisen könne. Mit dieser Argumentation vermag sie aber ebensowenig eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darzutun wie mit den Ausführungen hinsichtlich der von der Behörde nicht oder unzureichend vorgenommenen Berücksichtigung ihrer familiären Beziehungen und persönlichen Verhältnisse. Es ist nämlich nicht notwendigerweise davon auszugehen, dass die Aufenthaltsbehörde die strittige - in der Regel von Beweiserhebungen abhängige - Frage des Bestehens eines Unterhaltsanspruches der Beschwerdeführerin gegen ihren Ehemann schneller zu lösen vermöchte als die hierauf spezialisierten Gerichte. Schließlich wird erst im Verfahren über den Verlängerungsantrag selbst auf den Schutz des Familienlebens gegebenenfalls Bedacht zu nehmen sein.

Mit der vorliegenden Beschwerde wurde daher keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufgezeigt, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung wurde aus dem Grund des § 39 Abs.2 Z 6 VwGG Abstand genommen, zumal die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen ließen, daß die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtsfrage nicht erwarten läßt, und Art. 6 Abs. 1 MRK dem nicht entgegensteht.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 12. März 1999

Schlagworte

Ermessen Inhalt der Berufungsentscheidung Sachverhalt Vorfrage

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1997190066.X00

Im RIS seit

08.01.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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