TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/4 W196 2016822-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.04.2019
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Entscheidungsdatum

04.04.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52

Spruch

W196 2016814-1/8E

W196 2016818-1/9E

W196 2016822-1/5E

W196 2016825-1/5E

W196 2115870-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX ,

2.)

XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX , 4.) XXXX , geb. XXXX ,

5.)

XXXX , geb. XXXX alle StA. Russische Föderation 1.) gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ad 1.) vom 17.12.2014 zu Zl. 635455502-14000337, ad 2.) vom 17.12.2014 zu Zl. 634962205-14000345, ad 3.) vom 17.12.2014 zu Zl. 634962009-14000400, ad 4.) vom 17.12.2014 zu Zl. 649236404-14000434, ad 5) vom 13.10.2015 zu Zl. 1085403608-151250369 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.03.2019 zu Recht erkannt:

A)

1. Die Beschwerden werden hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 AsylG als unbegründet abgewiesen.

2. Den Beschwerden wird hinsichtlich der Spruchpunkte III. stattgegeben und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG iVm § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist.

1.) XXXX , 2.) XXXX , 3.) XXXX , 4.) XXXX , 5.) XXXX wird jeweils gemäß §§ 54, 55 Abs. 2 und 58 Abs. 2 AsylG der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer (Folgend: BF1) und die Zeitbeschwerdeführerin (im Folgend: BF2) stellten für sich und ihr minderjähriges Kind, die Drittbeschwerdeführerin (Folgend: BF3), am 05.05.2013 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz. Dabei gaben sie im Zuge der Erstbefragung am 07.05.2013 an, Staatsangehörige der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit zu sein.

Während der Führung des Konsultationsverfahrens wurde die Viertbeschwerdeführerin (Folgend: BF4) im österreichischen Bundesgebiet geboren und stellte ihre gesetzliche Vertreterin, die Zweitbeschwerdeführerin, am 21.10.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Nach Führung des Konsultationsverfahrens wurden die Anträge der Beschwerdeführer zugelassen und fand am 30.12.2013 eine weitere Erstbefragung der BF1 und BF2 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Dabei brachte BF1 zu seinen Fluchtgründen vor, dass er wegen seines spurlos verschwundenen Cousins einige Male von maskierten Männern aufgesucht worden sei. Sein Cousin habe früher im Tschetschenienkrieg gekämpft und sei danach spurlos verschwunden. Die maskierten Männer hätten den BF1 zweimal entführt, geschlagen und schikaniert. Sie hätten Informationen, insbesondere den Aufenthaltsort des vermissten Cousins, erhalten wollen, wobei er nicht wisse, wo sein Cousin aufhältig und ob er noch am Leben sei. Aus diesem Grund hätten die Verwandten seine Gattin zu sich nehmen und die Beziehung auflösen wollen. Auf Grund dieser Vorkommnisse und aus Angst um sein Leben, habe er beschlossen zu fliehen.

Die BF2 bezog sich im Rahmen ihrer Fluchtgründe auf jene des BF1. Dabei gab sie an, dass ihr Mann von maskierten Männern in deren Heimat mehrmals bedroht und zweimal entführt worden sei. Einmal habe sie diese Männer auch gesehen, als sie zu ihnen gekommen seien. Sie wären auf der Suche nach dem Cousin des BF1 gewesen, deshalb hätten sie ihren Ehemann befragt, geschlagen und ihm gedroht. Ihre Eltern hätten Angst um die BF2 gehabt und hätten die Ehe auflösen und die BF2 zurück ins Elternhaus holen wollen. Allerdings hätte deren gemeinsame Tochter bei der Familie des Mannes bleiben und von diesen erzogen werden müssen. Sie hätten jedoch zusammenbleiben wollen. Aus diesen beiden Gründen hätten sie beschlossen zu fliehen.

Am 16.12.2014 wurden BF1 und BF2 vor dem Bundesamt im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Russisch niederschriftlich einvernommen.

Dabei führte der BF1 zu seinem Fluchtvorbringen aus, dass er Probleme wegen seines Cousins gehabt habe und wäre er ca. Mitte 2012 mitgenommen worden. Sein Cousin sei spurlos verschwunden und habe dieser am Krieg teilgenommen. Man habe von ihm wissen wollen, wo er sich befinde und ob er etwas über die Tätigkeit seines Cousins wisse. Er sei zweimal mitgenommen worden und beide Male wieder, jeweils am zweiten Tag, freigelassen worden. Es wären Russen und Tschetschene zusammen gewesen. Die Gesichter wären verhüllt und hätten sie schwarze Uniformen getragen. Wohin sie ihn gebracht hätten, wisse er nicht, jedoch sei es nicht weit weg gewesen. Sie hätten ihm die Augen verbunden, die sie ihm beim Verhör abgenommen hätten. Das Verhör habe in einem Zimmer ohne Fenster stattgefunden. Er sei in der Nacht von drei bis vier Personen von zu Hause aus mitgenommen worden. Sie wären reingekommen, zumal er die Türe erst gegen 23 oder 24 Uhr absperre. Sie hätten nichts gesagt, sondern dem BF1 einfach mitgenommen. Die Leute wären mit langen Waffen ausgestattet gewesen. Sie hätten den BF1 geschlagen, jedoch nicht so schlimm und beschimpft. Nach ein bis zwei Monaten sei er erneut mitgenommen worden. Über Nachfrage gab er an, dass sein Cousin 1997 oder 1998 verschwunden sei. Auf die Frage, worin nun sein Fluchtgrund liege, gab er an, dass die beiden Mitnahmen das erste Problem sei. Das weitere Problem wären seine Schwiegereltern die gewollt hätten, dass er sich von seiner Frau trenne. Sein Hauptgrund, warum er die Russische Föderation verlassen habe, liege darin begründet, dass er nicht von seiner Frau getrennt werden wolle. Dem fügte er hinzu, dass es ein zusätzliches Problem gebe. So hätten seine Verwandten gewollt, dass seine Frau das Gesicht verschleiern solle, wobei er der Ansicht sei, dass man so etwas freiwillig machen sollte. Wenn man sein Gesicht einmal verschleiere, so müsse man das ein Leben lang tun. Sie seien deswegen ständig von seinem Vater, dessen neue Frau und seinen Brüdern geärgert worden, wobei sie seine Frau zu nichts gezwungen hätten. Im Falle einer Rückkehr wisse er nicht, was passieren könnte. Ferner gab er an, dass er eine Schwester in Österreich habe, die mit ihrem Mann und ihren Kindern in Wien leben würde. Seine Schwester lebe bereits seit 10 Jahren in Österreich.

Die BF2 gab im Rahmen ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt zunächst an, dass sie schwanger sei. In ihrer Heimat, in Tschetschenien, würden ihre Eltern, ihre Schwester und ihr Bruder leben. Ihre Eltern würden in einem kleinen Haus leben. Sie hätten keine wirtschaftlichen Probleme. Derzeit habe sie ca. einmal im Monat Kontakt zu ihren Angehörigen. Zu ihren Fluchtgründen befragt und aufgefordert diese zu schildern, gab sie an, dass sie wegen den Problemen ihres Mannes geflohen sei. Sie hätten eine Familie und zusammenbleiben wollen. Ihre Verwandten hätten sie vom BF1 wegen dessen Mitnahme und Befragungen trennen wollen. Befragt, ob sie Gründe nennen könne, die gegen ihre Ausweisung aus Österreich sprechen würden, meinte sie, dass es in Österreich gute Gesetze gebe. Dass sie im Falle einer Rückkehr in ihre Heimat Verfolgung, unmenschliche Behandlung oder die Todesstrafe drohe, glaube sie nicht. Über Nachfrage, gab sie an, dass sie für ihre minderjährigen Kinder keine eigenen Fluchtgründe geltend machen wolle. Es würden die gleichen Gründe wie für sie, nämlich die Fluchtgründe des BF1, gelten. Sie wären wegen den Problemen ihres Mannes gekommen.

Mit den im Spruch angeführten Bescheiden vom 17.12.2014 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Erst- bis Viertbeschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.). Unter Spruchpunkt III. wurde ihnen ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Z 2 FPG erlassen und wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise auf 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).

In seiner Begründung stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen fest, dass die Beschwerdeführer allesamt Staatsangehörige der Russischen Föderation und Zugehörige der Tschetschenischen Volksgruppe seien und muslimischen Glauben hätten. BF1 und BF2 wären miteinander verheiratet. Sie hätten zwei Kinder und sei deren zweites Kind in Österreich geboren. Die BF2 bis BF4 hätten sich auf die Fluchtgründe des BF1 bezogen, wobei nicht festgestellt werden habe können, dass die BF in deren Heimatland einer konkreten individuellen Bedrohung ausgesetzt wären. Ebenso wenig habe eine gegen sie gerichtete Bedrohung im Sinne des § 8 AsylG festgestellt werden können. Es habe nicht festgestellt werden könne, dass die BF unter Zugrundelegung des Vorbringens in der Russischen Föderation Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten drohen würde. Sie selbst hätten angegeben keine wirtschaftlichen Gründe zu haben. Begründend wurde hinsichtlich des Vorbringens von BF1 ausgeführt, dass er widersprüchliche Angaben hinsichtlich des Zeitpunktes des Verschwindens seines Cousins angegeben habe. Zudem habe er betreffend die behauptete Entführung keine genauen Angaben tätigen können und habe auch mit seinem Vorbringen betreffend die Verschleierung nur vage und zögerliche Angaben getätigt und letztlich vorgebracht, dass sie von seiner Familie nur damit geärgert worden wären, weil seine Frau sich nicht verschleiern habe wollen, wobei sie dazu nicht gezwungen worden sei. Demnach habe er keine Gründe im Sinne der GFK geltend machen können. Das Fluchtvorbringen sei in der Gesamtheit als ausschließlich zur Asylerlangung, ohne ausreichende Realkennzeichen, vorgebracht worden. Betreffend die BF2 bis BF4 wurde darauf hingewiesen, dass BF2, als gesetzliche Vertretung für BF3 und BF4, unmissverständlich vorgebracht habe, dass sie allesamt keine eigenen Fluchtgründe hätten. Da den BF in deren Herkunftsstaat keine Verfolgung drohe, sie weder an einer lebensbedrohenden Erkrankung erleiden noch sonstige auf ihre Person bezogenen außergewöhnlichen Umstände behauptete oder bescheinigt hätten, gehe die Behörde davon aus, dass den BF in deren Herkunftsstaat auch keine Gefahren drohen würde. Ebenso hätten die BF die Möglichkeit bei einer Rückkehr in deren gewohnten Umfeld zu leben bzw. würde ihnen als Tschetschenen sowie als russische Staatsangehörige das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthaltes in der Russischen Föderation zukommen.

Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer im Wege ihrer rechtsfreundlichen Vertretung fristgerecht Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Dabei wurde nach Wiederholung des Vorbringens des BF1 im Wesentlichen ausgeführt, dass die Aussagen des BF1 mit den allgemeinen Verhältnissen in seinem Heimatland vereinbar seien und wurde in diesem Zusammenhang auf diverse Berichte hingewiesen. In einer Gesamtschau ergebe sich somit ein deutliches Bild dahingehend, dass es jederzeit zu Übergriffen jeglicher Art kommen könne. Insbesondere gehe auch deutlich hervor, dass die Miliz ihren eigenen Machenschaften nachgehe und die Aufrechterhaltung ein geregeltes Justizwesen im Allgemeinen vernachlässigt bzw. u.a. auch bewusst nicht ausgeführt werde. Auch wäre es für die BF2 gefährlich in die Russische Föderation zurückzukehren und wurde diesbezüglich auf einen Artikel "Rückkehrende und Angehörige von Flüchtlingen" verwiesen. Des Weiteren sei es in Tschetschenien Brauch, dass bei einer Trennung die Kinder beim Mann verblieben. Vor diesem Hintergrund, dass die Eltern der BF2 die Trennung von BF1 und BF2 gewollt hätten, würde dies einen Eingriff in deren Familienleben bedeuten.

Am XXXX wurde der Fünftbeschwerdeführer (Folgend: BF5) im Bundesgebiet geboren und stellen seine Eltern, als gesetzliche Vertreter, am 14.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 34 Abs. 1 Z 3 AsylG. Dabei wurden keine eigenen Fluchtgründe für den BF5 vorgebracht. Zum Nachweis ihrer Identität wurde die österreichische Geburtsurkunde sowie ein Auszug aus dem zentralen Melderegister des BF5 vorgelegt.

Mit Bescheid vom 28.09.2015 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des BF5 auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) ab. Unter Spruchpunkt III. wurde ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF5 eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Z 2 FPG erlassen und wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG unter einem festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise auf 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).

Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass für den BF5 von seinen gesetzlichen Vertretern, seinen Eltern, keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht wurden und erging die inhaltsgleiche Entscheidung wie bei seiner Kernfamilie, BF1 bis BF4, wogegen fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde eingebracht wurde.

Am 25.03.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Zuhilfenahme einer geeigneten Dolmetscherin für die Sprache Tschetschenisch statt, an der die Beschwerdeführer und deren Rechtsvertreterin teilnahmen.

Dem Beschwerdeprotokoll der Befragung sind folgende entscheidungswesentliche Passagen zu entnehmen:

P1: Ich bin 2013 nach Österreich gekommen. Ich bin am XXXX in XXXX in Tschetschenien geboren. Ich habe ungefähr 2012 standesamtlich traditionell geheiratet. Meine Schulzeit habe ich in Russland, in der Stadt XXXX verbracht. Das letzte Schuljahr habe ich in XXXX gemacht, weil meine Mutter verstorben ist und wir, mit meinem Vater, nach Tschetschenien zurückgekehrt sind. Mein Vater lebt noch in Tschetschenien. Meine Schwester XXXX wohnt in Wien, in der Großfeldsiedlung.

R: Warum sind Sie aus Tschetschenien weggegangen? Was ist passiert?

P1: Wir sind mit meinem älteren Bruder nach Russland, XXXX gefahren. Unser Cousin war im ersten tschetschenischen Krieg und wir, vor allem meine Mutter, hatten Angst, dass mein älterer Bruder auch, wie mein Cousin, in den Krieg ziehen wollte. Ich war damals noch in der Schule, mein Bruder war erwachsen. Ich wurde in Tschetschenien auch zwei Mal mitgenommen, weil mein Cousin im Krieg war. Das war ungefähr 2004. Beim ersten Mal wurde ich mitgenommen als in Ausbildung war. Als ich zu meiner Ausbildungsstätte gefahren bin, wurde ich auf der Straße eingesammelt. Beim zweiten Mal wurde ich wieder auf der Straße eingesammelt, es sind ungefähr 1-2 Monate dazwischen vergangen.

R: Wer hat Sie mitgenommen und was wollten diese Menschen wissen?

P1: Dort waren Leute mit verschiedenen Sprachen, manche haben Russisch und manche Tschetschenisch gesprochen. Manche waren maskiert, andere nicht. Sie wollten wissen, ob ich etwas damit zu tun habe und ob ich auch mit in den Krieg ziehen möchte, wie mein Cousin und wo mein Cousin ist. Sie wollten wissen, ob mein Cousin noch lebt und wenn ja, wo er ist.

R: Wurden da nur Sie befragt, oder auch Ihr Bruder und Ihr Vater?

P1: Bedroht haben sie auch meinen Bruder und meinen Vater aber mitgenommen haben sie nur mich. Ich war ca. 25 alt. Sie haben viele Fragen über dieses Thema gestellt und mich geschlagen. Sie haben mich dann irgendwo rausgeschmissen, ich weiß aber nicht wo genau das war. Ich weiß nicht mehr genau was danach passiert ist. Ich bin dann mit meiner Frau 2013 hergekommen.

R: Warum sind Sie nach Österreich gekommen? Wovor hatten Sie Angst?

P1: Wir hatten Angst, dass sie mich wieder mitnehmen würden. Es war unklar, ob ich dann wieder zurückkommen würde. Mein Bruder hat einen anderen Familiennamen, deswegen können sie ihn nicht finden. Wir hatten große Angst, dass wir kämpfen müssen und dass sie mich wieder mitnehmen könnten. Wir hatten damals ein Kind und meine Frau war schwanger, ich konnte sie nicht zurücklassen, weil sie auch Angst hatte. Die ganze Familie hat in Angst gelebt.

RV: Was hat Ihr Cousin gemacht?

P1: Er war mit den Widerstandskämpfern zusammen und hat gekämpft. Er war Widerstandskämpfer gegen die russische Armee, bei den Wahabisten.

RV: Wie lange hat Ihr Cousin gekämpft?

P1: Seit Anfang des Krieges, bis 2010 wussten wir wo er ist. Wir wussten ungefähr was er macht, aber nichts Genaueres.

RV: Woher wussten Sie, dass Ihr Cousin noch am Leben ist?

P1: Die Angehörigen haben in derselben Gegend gelebt, so hat man einiges gewusst.

RV: Seit 2010 wissen Sie nicht mehr ob er am Leben ist oder nicht?

P1: Wir wissen das nicht. Vielleicht sitzt er im Gefängnis, wir haben keine Ahnung.

RV: Der Beschwerdeführer hat erzählt, dass er zwei Mal festgenommen bzw. mitgenommen wurde. Was genau war Gegenstand dieser Befragung?

P1: Sie wollten vor allem wissen, wo sich mein Cousin aufhält. Sie wollten ihn festnehmen. Sie haben uns alle gequält.

R: Wurden die Angehörigen Ihres Cousins auch befragt?

P1: Seine Frau wurde auch immer befragt und gequält. Sie hat dann ihren Namen sowie ihren Wohnort gewechselt, sie wollte sich nicht mehr verstecken.

RV: Wurden Sie selbst gefoltert bzw. misshandelt während der Befragung?

P1: Ja, ich wurde geschlagen.

R: Erzählen Sie aus Ihrer Sicht, warum Sie aus Tschetschenien weggegangen sind.

P2: Bereits bevor wir geheiratet haben, haben wir von der Familie meines Mannes gehört, dass sein Cousin gesucht wurde. Meine Familie hat mir das gesagt, sie wollten deswegen nicht, dass ich ihn heirate. Ich habe das aber alles nicht geglaubt und ihn trotzdem geheiratet. Mein Mann hatte mir damals schon erzählt, dass das alles stimmt. Meine Familie war dagegen aber ich habe ihn trotzdem geheiratet. Nach einem Monat wurde ich schwanger. Einmal, als ich mein Kind bereits hatte, sind maskierte Leute zu uns nach Hause gekommen und haben meinen Mann mitgenommen. Beim zweiten Mal wurde er auch so mitgenommen, aber da war ich nicht dabei, weil ich nicht zu Hause war.

RV: Könnten Sie uns sagen von wem der Cousin gesucht wurde?

P2: Die Männer sprachen russisch und haben gefragt "Wo ist XXXX ". Sie haben nicht gesagt wer sie sind, und uns keine Ausweise gezeigt. Sie haben gedroht, dass wenn wir nicht sagen würde wo er ist, sie unsere Männer mitnehmen. Es war schon kompliziert. Manche Leute haben das Gerücht verbreitet die Regierung würde ihn suchen. Ich persönlich habe die Eltern des Cousins nie nachgefragt, wieso er gesucht wird.

R: Was ist danach passiert?

P2: Etwa 1-2 Tage nach dem ich zurück war, wurde er zurückgebracht. Ich sah in auf der Straße. Er wurde auch gefragt, wo sein Cousin ist. Er wurde auch geschlagen. Meine Eltern haben große Angst bekommen, als sie hörten, dass mein Ehemann entführt wurde. Sie hatten Angst, dass wir nicht in Ruhe gelassen werden, weil er der einzige junge Mann in seiner Familie war. Sein großer Bruder war nicht zu Hause. Meine Eltern haben befürchtet, dass sie ihn wieder mitnehmen und er einmal nicht mehr zurückkommt. Ich habe Angst bekommen, ich habe gesehen wie sein Körper ausgesehen hat. Ich hatte große Angst, dass sie ihn wieder mitnehmen würde und nicht wieder gehen lassen. Ich hatte große Angst, weil er der Vater meiner Kinder ist. Wir haben besprochen, dass wir gemeinsam weggehen sollten und alles hinter uns lassen. Wir haben besprochen, dass wir nach Österreich gehen sollten.

R: Wieso ausgerechnet Österreich?

P2: Weil wir über Österreich hörten, da meine Schwägerin auch hier lebt. Wir haben gehört, dass Österreich ein gutes Land ist, indem gut auf die Menschen aufgepasst wird. Wir wussten, wir würden hier geschützt werden. Genau zu der Zeit in der wir weg wollten, haben wir erfahren, dass ich schwanger war.

RV: Hat Ihr Ehemann Ihnen gesagt, woher diese Folterspuren auf seinem Körper stammen? -

P2: Ja, er hat es mir erzählt. Er wurde von den Menschen, die zu uns gekommen waren und ihn mitgenommen haben, geschlagen. Aber er kann nur schwer selbst darüber erzählen, da bekommt er Stress.

RV: Hat er Ihnen etwas erzählt, dass er sonst noch nicht erzählt hat?

P2: Er hat mir nichts erzählt. Es geht ihm sehr schlecht deswegen, wenn er daran denkt kommt es ihm so vor als würde er wieder in der Situation stecken. Ich habe nur die Verletzungen auf seinem Körper gesehen, es sah schrecklich aus.

RV: Wie lange hat es gedauert, bis diese Verletzungen verheilt waren?

P2: Es hat schon lange gedauert, wie lange genau kann ich nicht sagen. Wir haben gewartet bis die Verletzungen verheilt waren bis wir das Land verlassen haben. Wir hatten Angst, dass wir bei der Grenze deswegen Probleme bekommen könnten.

R: Wie viel Zeit ist vergangen zwischen dem Zurückkommen des Mannes beim zweiten Mal und dem Verlassen der Heimat?

P2: Es waren ca. 4 Monate. In diesen 4 Monaten haben sie meinen Mann gesucht und sind immer wieder gekommen, zu uns nach Hause und auch zu Angehörigen. Wir haben ihn aber immer bei Freunden und Bekannten versteckt. Sie haben ihn auch bei Angehörigen gesucht.

RV: Was ist mit der Frau des Cousins passiert?

P2: Die maskierten Leute sind auch zu seiner Frau und seiner Familie gekommen und haben nachgefragt und haben sie bedroht. Ihre Familie hat sich Sorgen um sie gemacht, dann ist seine Frau weggegangen aus dem Haus Ihres Mannes. Sie hat die Familie gewechselt, so dass sie niemand findet. Sie hat auch den Wohnort gewechselt.

R: Möchten Sie noch etwas Ergänzendes zum Verfahren sagen?

P2: Unsere Kinder wachsen hier auf, sie sind es hier gewöhnt. Sie haben Freunde, wir sind auch mit österreichischen Leuten befreundet. Wir bitten Sie, dass wir hierbleiben dürfen.

P1: Wenn wir hierbleiben dürfen, und arbeiten gehen dürfen würde ich gerne nicht mehr von der Sozialhilfe leben. Ich möchte die Sprache besser lernen und arbeiten. Ich kann gut Computer und Autos reparieren.

P2: Dort wo wir jetzt wohnen, nimmt mein Chef immer meinen Mann mit um seinen Computer oder sein Auto zu reparieren.

Im Zuge der Verhandlung wurden vorgelegt:

* Ein Mutter-Kind-Pass, voraussichtlicher Geburtstermin XXXX ;

* Unterstützungsschreiben für die Familie, von Frau XXXX ;

* Kindergartenbesuchsbestätigung für BF3 bis BF5;

* Teilnahmebestätigung Deutschkurs für BF1;

* Teilnahmebestätigung Deutschkurs von XXXX für BF1 und BF2;

* Teilnahmebestätigung Deutschkurs im Rahmen des Projekts "SprachCall 2017" vom Juni 2017 und November 2017;

* Unterstützungsschreiben vom Theresia XXXX und Dr.jur. XXXX

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage des Verwaltungsaktes der belangten Behörde, der vor dem Bundesverwaltungsgericht am 25.03.2019 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung und der im Laufe des Verfahrens vorgelegten und amtswegig beschafften Beweismittel wird Folgendes festgestellt:

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und somit Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Ihre Identität steht fest. Sie sind Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe, moslemischer Religionszugehörigkeit und führen die im Spruch genannten Namen; beim Erstbeschwerdeführer handelt es sich um den Ehegatten der im Herkunftsstaat geehelichten Zweitbeschwerdeführerin, die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer sind die gemeinsamen Kinder des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin.

Die Erst- bis Drittbeschwerdeführer lebten bis zu ihrer Ausreise aus der Russischen Föderation gemeinsam im Dorf XXXX , Bezirk XXXX und war deren Existenzgrundlage gesichert. Der BF1 hat von 1994 bis 2005 die Grund- und Mittelschule besucht und erwirtschaftete den Lebensunterhalt durch seine Tätigkeit als Bauarbeiter. Die BF2 hat von 2000 bis 2011 die Grund- und Mittelschule besucht und folglich einen medizinischen Lehrgang absolviert. Zuletzt war sie Hausfrau.

Am 05.05.2013 stellten die Erst- bis Drittbeschwerdeführer Anträge auf internationalen Schutz, nachdem sie illegal in das österreichische Bundesgebiet einreisten. Die Viert- bis Fünftbeschwerdeführer wurde im österreichischen Bundesgebiet geboren und stellte ihre gesetzliche Vertretung die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz. Es liegt ein Familienverfahren gem. § 34 AsylG vor.

Festgestellt wird, dass die BF über Familienangehörige in der Russischen Föderation verfügen. So leben die beiden Brüder des BF1 in der Russischen Föderation, sein Vater lebt in dessen eigenem Haus in XXXX . Seine Mutter ist verstorben. Die BF2 verfügt über ihre Eltern, ihre Schwester und einen Bruder in Tschetschenien.

Die Zweitbeschwerdeführerin bezog sich auf die Fluchtgründe des Erstbeschwerdeführers und wurden für die minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.

Nicht als Sachverhalt zugrunde gelegt werden sämtliche Angaben der Beschwerdeführer - insbesondere des Erstbeschwerdeführers - zur behaupteten Bedrohungssituation in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation. Insbesondere wird nicht festgestellt, dass den Beschwerdeführern eine asylrelevante Gefährdung, die von Seiten der Separatisten ausgeht, ausgesetzt sind. Die Beschwerdeführer haben mit ihrem Vorbringen keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft gemacht. Nicht festgestellt werden kann, dass der Erstbeschwerdeführer auf Grund eines Verwandtschaftsverhältnisses zu seinem Cousin einer staatlichen Verfolgung ausgesetzt war oder im Falle einer Rückkehr ausgesetzt wäre.

Nicht festgestellt werden kann, dass die Beschwerdeführer im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation in ihrem Recht auf Leben gefährdet wären, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würden oder von der Todesstrafe bedroht wären.

Die Beschwerdeführer sind gesund. Die Erst- bis Zweitbeschwerdeführer sind arbeitsfähig. Die BF2 ist schwanger. Die unbescholtenen Beschwerdeführer halten sich seit beinahe sechs Jahren (fünf Jahre und elf Monaten) im Bundesgebiet auf. Die Beschwerdeführer leben im gemeinsamen Haushalt. Sei beziehen Leistungen aus der Grundversorgung. Die Beschwerdeführer haben sich ein soziales Netz in Österreich aufgebaut. Die BF2 hat mehrere Deutschkurse besucht und wird die Familie - laut Empfehlungsschreiben - als fleißig und integrationswillig beschrieben und ausgeführt, dass sie sich im hohen Maß an diversen Aktionen beteiligen. Die Beschwerdeführer haben österreichische Bekannte zu denen regelmäßiger Kontakt besteht. Die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer besuchen den Kindergarten. Aufgrund der gesetzten Integrationsschritte, sowie des aufrechten Familienlebens zwischen den Beschwerdeführern, würde eine Rückkehrentscheidung einen ungerechtfertigten Eingriff in deren Privat- und Familienleben darstellen. Die Beschwerdeführer verfügen über Familienangehörige in Österreich, die Schwester des BF1 lebt in Wien.

Zur Situation im Herkunftsstaat Beschwerdeführer wird auf die aktuellen Berichte zur Lage in der Russischen Föderation respektive Tschetschenien verwiesen. Aus diesen ergibt sich auszugsweise Folgendes:

Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und

Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5.2018b).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5.2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).

Quellen: - AA - Auswärtiges Amt (5.2018b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederationnode/russischefoederation/201534, Zugriff 1.8.2018 - CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018):

The World Factbook,

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 1.8.2018

-

EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-stateactors-of-protection.pdf, Zugriff 1.8.2018 - FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018 - GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 1.8.2018 - GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 1.8.2018 - OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report,

https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 29.8.2018 - Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen", https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volkschliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 1.8.2018 - Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident, https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 1.8.2018 - Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 1.8.2018

Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.1.2018), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik.

Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau 12.2017).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation - GKS - Staatliches Statistikamt (25.1.2018): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2018,

http://www.gks.ru/free_doc/new_site/population/demo/PrPopul2018.xlsx, Zugriff 1.8.2018 - ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation - Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds, http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 1.8.2018 - SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018):

Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 1.8.2018

Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (28.8.2018a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 28.8.2018 - BmeiA (28.8.2018): Reiseinformation Russische Föderation,

https://www.bmeia.gv.at/reiseaufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 28.8.2018 - Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden,

https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russischemethoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 29.8.2018 - EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (28.8.2018): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-undreisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 28.8.2018 - GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2018d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 28.8.2018 - SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swpberlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

Nordkaukasus

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 21.5.2018). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sogenannten IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaya Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der ISSprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des ISKalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich in den vergangenen Jahren die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem sogenannten IS zuzurechnen waren (ÖB Moskau 12.2017). Offiziell kämpfen bis zu 800 erwachsene Tschetschenen für die Terrormiliz IS. Die Dunkelziffer dürfte höher sein (DW 25.1.2018).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine konsequente Politik der Repression radikaler Elemente (ÖB Moskau 12.2017).

Im gesamten Jahr 2017 gab es im ganzen Nordkaukasus 175 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 134 Todesopfer (82 Aufständische, 30 Zivilisten, 22 Exekutivkräfte) und 41 Verwundete (31 Exekutivkräfte, neun Zivilisten, ein Aufständischer) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es im gesamten Nordkaukasus 27 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 20 Todesopfer (12 Aufständische, sechs Zivilisten, 2 Exekutivkräfte) und sieben Verwundete (fünf Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 21.6.2018).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation - Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/42208/, Zugriff 28.8.2018 - Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43519/, Zugriff 28.8.2018 - DW - Deutsche Welle (25.1.2018): Tschetschenien:

"Wir sind beim IS beliebt",

https://www.dw.com/de/tschetschenien-wir-sind-beim-is-beliebt/a-42302520, Zugriff 28.8.2018 - ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation - SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015):

Reaktionen auf den "Islamischen Staat" (ISIS) in Russland und Nachbarländern,

http://www.swpberlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018 - SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus,

https://www.swpberlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

Tschetschenien

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten prorussischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, auch in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Im gesamten Jahr 2017 gab es in Tschetschenien 75 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 59 Todesopfer (20 Aufständische, 26 Zivilisten, 13 Exekutivkräfte) und 16 Verwundete (14 Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es in Tschetschenien acht Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon sieben Todesopfer (sechs Aufständische, eine Exekutivkraft) und ein Verwundeter (eine Exekutivkraft) (Caucasian Knot 21.6.2018).

Quellen:

-

Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/42208/, Zugriff 28.8.2018 - Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43519/, Zugriff 28.8.2018

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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