Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach H***** B*****, verstorben am ***** 2014, zuletzt wohnhaft *****, über den Revisionsrekurs der Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 6. November 2017, GZ 1 R 203/17m-69, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Feldkirch vom 6. Juli 2017, GZ 34 A 34/16v-60, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Revisionsrekursbeantwortung des Nachlasspflegers wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die am ***** 2014 verstorbene H***** B***** war deutsche Staatsangehörige und wohnte zuletzt in Deutschland. Sie hatte in Österreich eine Eigentumswohnung.
Nach ihrem Tod ist bei einem deutschen Amtsgericht eine Nachlasspflegschaft anhängig, in der ein Rechtsanwalt zum Nachlasspfleger für die unbekannten Erben der Verstorbenen bestellt wurde. Sein Wirkungskreis umfasst die Sicherung und Verwaltung des Nachlasses und die Ermittlung der Erben.
Im vorliegenden Verlassenschaftsverfahren wurde der Nachlasspfleger zuerst zum Verlassenschaftskurator bestellt, später aber wegen der räumlichen Entfernung seines Amtes enthoben und eine Verlassenschaftskuratorin, insbesondere mit dem Wirkungskreis des Verkaufs der Eigentumswohnung bestellt. Dieser Grundbesitz der Verstorbenen wurde mit Kaufvertrag vom 24. 5./30. 5. 2016 zu einem Kaufpreis von 40.000 EUR verkauft. Das Verlassenschaftsgericht genehmigte den Kaufvertrag mit Beschluss vom 7. 6. 2016 und trug der – mittlerweile wieder enthobenen – Verlassenschaftskuratorin auf, den Kaufpreis mündelsicher zu veranlagen. Mittlerweile erliegt der Verkaufserlös auf einem Treuhandkonto des Gerichtskommissärs.
Am 19. 8. 2016 beantragte der Nachlasspfleger, den Kaufpreis freizugeben. Er habe alle Werte der Erblasserin zu verwalten und die vorhandenen Verbindlichkeiten zu begleichen. Das Guthaben aus dem Verkaufserlös werde benötigt, um diverse Forderungen zu begleichen. Die Ermittlung der Erben werde von seiner Kanzlei betrieben. Hiefür würden Kosten für die Recherche und Urkundenbeschaffung anfallen. Der verbleibende Betrag werde auf einem Konto angelegt, welches so gesperrt sei, dass eine Verfügung nur mit Genehmigung des Nachlassgerichts Heinsberg möglich sei. Über diesen Antrag wurde bisher noch nicht entschieden.
Die Finanzprokuratur beantragte mit der am 18. 5. 2017 beim Erstgericht eingelangten Eingabe, die Verlassenschaft gemäß § 184 AußStrG infolge fruchtlosen Ablaufs der Frist zur Einberufung der unbekannten Erben für erblos zu erklären und das nach vollständiger Realisation und Abzug sämtlicher Passiva (inklusive Verfahrenskosten) verbleibende, in Österreich befindliche Nachlassvermögen der Republik Österreich zu übergeben.
Das Erstgericht gab diesem Antrag statt. Es seien keine Erben bekannt und der Nachlass sei nach deutschem Recht als erblos zu beurteilen. Gemäß § 29 IPRG sei daher auf das in Österreich befindliche Vermögen österreichisches Recht anzuwenden und der Nachlass gemäß § 184 AußStrG der Republik Österreich zu übergeben.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Nachlasspflegers Folge und hob die erstinstanzliche Entscheidung auf. Im vorliegenden Fall lägen zwar mangels bekannter Erben noch keine Erbantrittserklärungen vor. Der Nachlasspfleger als gesetzlicher Vertreter der Erben habe aber ein Interesse der noch zu erforschenden Erben am Erbantritt bekundet, weshalb seine Rekurslegitimation zu bejahen sei.
Nach § 1960 Abs 1 BGB habe in Deutschland das Nachlassgericht ua dann für die Sicherung des Nachlasses zu sorgen, wenn der Erbe unbekannt oder wenn ungewiss sei, ob er die Erbschaft angenommen habe. Die Nachlasspflegschaft stelle eine Fürsorgemaßnahme zu Gunsten des endgültigen Erben und des Nachlasses dar und bezwecke die Ermittlung des unbekannten Erben und die Sicherung und Erhaltung des Nachlasses. Der Nachlasspfleger sei gesetzlicher Vertreter der endgültigen Erben.
§ 29 IPRG sehe vor, dass dann, wenn der Nachlass nach dem in § 28 Abs 1 IPRG bezeichneten Recht erblos sei oder er einer Gebietskörperschaft als gesetzlichem Erben zukommen würde, an die Stelle dieses Rechts das Recht jeweils des Staats, in dem sich das Vermögen des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes befinde, trete. Voraussetzung für die Beurteilung eines Nachlasses als erblos iSd § 29 IPRG sei hier, dass die Erbenermittlung in Deutschland abgeschlossen und ein Feststellungsbeschluss nach § 1964 BGB ergangen sei. Da der Rekurswerber geltend mache, dass dies noch nicht der Fall sei, und die bisherigen Beweisergebnisse keinen Schluss auf den Stand des Nachlassverfahrens in Deutschland erlaubten, werde das Erstgericht diese Umstände im fortgesetzten Verfahren zu klären haben.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den Fragen, ob bei Anwendung deutschen Rechts das Vorliegen eines Feststellungsbeschlusses iSd § 1964 BGB Voraussetzung für eine Beschlussfassung nach § 184 AußStrG sei, und ob einem von einem deutschen Gericht bestellten Nachlasspfleger die Rekurslegitimation gegen einen Beschluss nach § 184 AußStrG zukomme, nicht existiere.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Republik Österreich mit dem Antrag, den erstinstanzlichen Beschluss wiederherzustellen. Sie beruft sich einerseits darauf, dass dem Nachlasspfleger keine Rekurslegitimation zugekommen sei, und meint andererseits, dass nach § 29 IPRG die Frage, wem der Nachlass gebühre, nach dem Recht des Belegenheitsstaats zu beurteilen sei.
Dieses Rechtsmittel wurde dem Nachlasspfleger am 7. 5. 2018 zugestellt. Seine Revisionsrekursbeantwortung wurde erst am 15. 6. 2018 per Telefax übermittelt und ist angesichts der 14-tägigen Frist des § 68 Abs 1 AußStrG verspätet. Die Einleitung eines Verbesserungsverfahrens, die bei fristgerechter Erstattung wegen der Verstöße gegen § 5 EIRAG – die nachträgliche schriftliche Bekanntgabe eines Einvernehmensanwalts ist von diesem nicht unterschrieben, sodass das Einvernehmen nicht nachgewiesen wurde – und gegen die auch dienstleistende europäische Rechtsanwälte treffende Verpflichtung zur Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr (2 Ob 36/15f; 2 Ob 12/16b) notwendig gewesen wäre, kann daher unterbleiben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Zur Rechtsmittellegitimation des Nachlasspflegers:
1.1. Infolge des Todes der Erblasserin im Jahr 2014 ist die Rechtslage vor Inkrafttreten der EuErbVO (am 17. 8. 2015) maßgeblich. Daraus folgt zunächst gemäß § 106 Abs 1 Z 1 JN aF die inländische Gerichtsbarkeit für die Abhandlung der Verlassenschaft über das im Inland befindliche unbewegliche Vermögen. Das anzuwendende materielle Recht ergibt sich aus den §§ 28 ff IPRG. Danach ist, wie in Punkt 2. noch näher auszuführen sein wird, die hier relevante Frage, ob Erblosigkeit des Nachlasses vorliegt, nach deutschem Recht zu beurteilen.
1.2. Nach § 1960 Abs 1 BGB hat das Nachlassgericht, soweit ein Bedürfnis besteht, bis zur Annahme der Erbschaft für die Sicherung des Nachlasses zu sorgen. Das Gleiche gilt, wenn der Erbe unbekannt oder wenn ungewiss ist, ob er die Erbschaft angenommen hat.
Die Nachlasspflegschaft stellt eine Fürsorgemaßnahme zu Gunsten des endgültigen Erben und des Nachlasses dar. Sie bezweckt die Ermittlung des unbekannten Erben und die Sicherung und Erhaltung des Nachlasses. Der Nachlasspfleger ist – da das BGB keine „hereditas iacens“ kennt – nicht Vertreter des Nachlasses (oder Träger eines privaten Amtes), sondern gesetzlicher Vertreter der endgültigen Erben (Leipold in MüKoBGB7 [2017] § 1960 Rn 36 f; Mešina in Staudinger, BGB [2017] § 1960 Rn 23; Siegmann/Höger in Bamberger/Roth, BGB³ [2012] § 1960 Rn 10; Najdecki in Burandt/Rojahn, Erbrecht3 [2019] § 1960 BGB Rn 21). Die ordnungsgemäße Führung der Nachlasspflegschaft erfordert daher in der Regel auch die Inbesitznahme, Verwaltung und Erhaltung des Nachlasses (Mešina in Staudinger, BGB § 1960 Rn 4; Najdecki in Burandt/Rojahn, Erbrecht3 § 1960 BGB Rn 20).
1.3. Die Bestellung begründet, wenn das Nachlassgericht den Wirkungskreis nicht eingeengt hat, die Vertretungsmacht des Nachlasspflegers für den unbekannten Erben bezüglich aller Nachlassangelegenheiten. Er hat nach außen grundsätzlich unbeschränkte Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Nachlasses (Leipold in MüKoBGB7 § 1960 Rn 48).
1.4. Die Entscheidung des Erstgerichts bedeutet einen Eingriff in den gesetzlich definierten Wirkungskreis des Nachlasspflegers und damit in die rechtlich geschützten Interessen der von ihm nach deutscher Rechtslage vertretenen unbekannten Erben. Das Rekursgericht hat daher dem Nachlasspfleger im Ergebnis zu Recht die Rekurslegitimation zugebilligt (vgl 1 Ob 124/10g; RIS-Justiz RS0006641).
2. Zur Beurteilung der Erblosigkeit:
2.1. § 28 Abs 1 IPRG normiert, dass die Rechtsnachfolge von Todes wegen nach dem Personalstatut des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes zu beurteilen ist. Nach Abs 2 der Bestimmung sind der Erbschaftserwerb und die Haftung für Nachlassschulden dann, wenn eine Verlassenschaftsabhandlung in Österreich durchgeführt wird, nach österreichischem Recht zu beurteilen.
Im vorliegenden Fall verweist § 28 Abs 1 IPRG auf deutsches Recht, das die Verweisung auch annimmt.
§ 29 IPRG sieht vor, dass dann, wenn der Nachlass nach dem in § 28 Abs 1 IPRG bezeichneten Recht erblos ist oder er einer Gebietskörperschaft als gesetzlichem Erben zukommen würde, an die Stelle dieses Rechts das Recht jeweils des Staats tritt, in dem sich das Vermögen des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes befindet.
2.2. Die Erblasserin war im Zeitpunkt ihres Todes deutsche Staatsangehörige, sodass – wie eingangs erwähnt – nach deutschem Recht zu beurteilen ist, ob der Nachlass erblos ist oder einer Gebietskörperschaft als gesetzlichem Erben zukommt.
2.3. Die Rechtsmittelwerberin hält der Anwendung des deutschen Rechts entgegen, dass aus § 29 IPRG bei Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien klar und zweifelsfrei die Absicht des Gesetzgebers hervorgehe, dass die Frage, wem der Nachlass gebühre, über den der Erblasser nicht testiert habe und der auch nicht zur gesetzlichen Erbfolge berufenen natürlichen Personen zufalle, umfassend nach dem Recht des Belegenheitsstaats zu beurteilen sei. Damit zitiert das Rechtsmittel eine Passage aus der Entscheidung 5 Ob 511/85, die zum schwedischen Erbfonds erging.
Richtig ist, dass die Materialien zu § 29 IPRG (ErläutRV 784 BlgNR 14. GP 45) darlegen, dass, was die Anknüpfung angehe, daran gedacht werden könne, auch für diesen Bereich das Personalstatut zur Anwendung zu bringen. Es sei aber nicht zu übersehen, dass zwischen den beteiligten Staaten der Gegenseitigkeit eine besondere Bedeutung zukomme. Deshalb sei es angezeigt, das Recht des Belegenheitsstaats für maßgebend zu erklären und jede abweichende Regelung zwischenstaatlichen Verträgen vorzubehalten.
Diese Ausführungen bedeuten aber nur, dass in Fällen der Erblosigkeit über das Schicksal des Nachlasses das Recht des jeweiligen Lageorts unter Berücksichtigung allfälliger Rück- und Weiterverweisungen entscheidet (Schwimann in Rummel³ II/6 § 29 IPRG Rz 1), und nicht, dass bereits auf die Frage, ob überhaupt Erblosigkeit vorliegt, das Recht des Lageorts Anwendung fände, wie die Rechtsmittelwerberin impliziert.
Auch in der Entscheidung 5 Ob 511/85 wurden die von der Revisionsrekurswerberin zitierten Ausführungen lediglich zur Frage gemacht, wem der erblose, in Österreich befindliche Nachlass gebührt, nachdem zuvor die Frage, ob überhaupt Erblosigkeit anzunehmen sei, nach schwedischem Erbrecht beurteilt und gelöst worden ist. Ausdrücklich wurde dazu ausgeführt, dass die Frage, ob die Rechtsnachfolge von Todes wegen in das in diesem Zeitpunkt in Österreich befindliche Vermögen des Erblassers nach österreichischem (Sach-)Recht zu beurteilen sei, davon abhänge, ob sein Nachlass nach dem in erster Linie anzuwendenden schwedischen Recht erblos sei oder einer Gebietskörperschaft als gesetzlichem Erben zukäme.
2.4. Auch hier hat es daher dabei zu bleiben, dass die Frage, ob die Rechtsnachfolge von Todes wegen in das der Erblasserin gehörende, im Zeitpunkt ihres Todes in Österreich befindliche (hier: unbewegliche) Vermögen iSv § 29 IPRG nach österreichischem Recht als jenes des Belegenheitsstaats zu beurteilen ist, davon abhängt, ob der Nachlass nach dem dafür anzuwendenden deutschen Recht erblos ist oder einer Gebietskörperschaft als gesetzlichem Erben zukäme.
2.5. Die dafür maßgebliche Bestimmung des BGB lautet wie folgt:
„§ 1964 Erbenvermutung für den Fiskus durch Feststellung
(1) Wird der Erbe nicht innerhalb einer den Umständen entsprechenden Frist ermittelt, so hat das Nachlassgericht festzustellen, dass ein anderer Erbe als der Fiskus nicht vorhanden ist.
(2) Die Feststellung begründet die Vermutung, dass der Fiskus gesetzlicher Erbe ist.“
Die Norm legt dem Nachlassgericht eine Ermittlungspflicht für Fälle auf, in denen der Fiskus als gesetzlicher Erbe in Betracht kommt, die teilweise landesgesetzlich näher geregelt ist (Najdecki in Burandt/Rojahn, Erbrecht3 § 1960 BGB Rn 3; vgl auch Mešina in Staudinger, BGB § 1964 Rn 1). Dauer und Umfang der Ermittlung unterliegen aber keinen starren gesetzlichen Regeln, sondern sind dem pflichtgemäßen Ermessen des Nachlassgerichts überlassen (Mešina in Staudinger, BGB § 1964 Rn 4; Najdecki in Burandt/Rojahn, Erbrecht3 § 1964 BGB Rn 3). Die öffentliche Aufforderung zur Anmeldung der Erbrechte (§ 1965 BGB) ersetzt die Ermittlungen aber nicht (Leipold in MüKoBGB7 § 1964 Rn 3).
Die Feststellung, dass ein anderer Erbe nicht vorhanden ist, ist nur zulässig, wenn die Suche nach einem vorgehenden Erben, der die Erbschaft annimmt, innerhalb angemessener Frist erfolglos geblieben ist. Der Feststellungsbeschluss führt zu der Vermutung, dass der Fiskus gesetzlicher Erbe ist (Leipold in MüKoBGB7 § 1964 Rn 6 und 9; Mešina in Staudinger, BGB § 1964 Rn 2).
2.6. Dass im deutschen Nachlasspflegeverfahren die Ermittlung der Erben abgeschlossen und ein Feststellungsbeschluss über die vermutete Erbenstellung des Fiskus bereits ergangen wäre, steht nicht fest und damit auch nicht, ob ein Fall, in dem § 29 IPRG zur Anwendung käme, gegeben ist. Das Rekursgericht hat daher dem Erstgericht zu Recht weitere Erhebungen in diese Richtung aufgetragen.
Textnummer
E124932European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0020OB00140.18D.0328.000Im RIS seit
24.05.2019Zuletzt aktualisiert am
21.02.2020