TE Vwgh Erkenntnis 1999/3/12 96/19/3206

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Veröffentlicht am 12.03.1999
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Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AufG 1992 §5 Abs1;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
MRK Art8 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Schattleitner, über die Beschwerde der 1972 geborenen KN in Wien, vertreten durch Mag. Dr. I, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 26. August 1996, Zl. 306.486/2-III/11/96, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin verfügte über Sichtvermerke im Zeitraum vom September 1986 bis Dezember 1990. Ein am 16. Jänner 1991 ausgestellter unbefristeter Sichtvermerk wurde nach der diesbezüglich unbestrittenen Aktenlage von der Bundespolizeidirektion Wien am 22. Juli 1995 für ungültig erklärt.

Die Beschwerdeführerin beantragte am 2. Jänner 1996 die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zum Zweck der unselbständigen Erwerbstätigkeit sowie der Familiengemeinschaft mit ihrem Ehegatten, einem österreichischen Staatsbürger, mit dem sie am 13. September 1990 die Ehe geschlossen hatte. Aus den Aktenunterlagen geht weiters hervor, daß die Beschwerdeführerin Mutter von vier Kindern, jeweils österreichischen Staatsbürgern, ist.

Der Landeshauptmann von Wien wies mit Bescheid vom 7. Mai 1996 den Antrag gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes (FrG) ab, weil sich die Beschwerdeführerin seit dem Zeitpunkt der Ungültigerklärung ihres Sichtvermerkes nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Die Beschwerdeführerin erhob Berufung.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 26. August 1996 wurde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 AufG und § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG abgewiesen. Die belangte Behörde stellte folgende rechtskräftige Verurteilungen der Beschwerdeführerin fest:

1.) Jugendgerichtshof Wien, 18 B U 26/91, vom 11.03.1991 rechtskräftig am 15.03.1991 wegen § 164 Abs. 1 Z 1 StGB, zu 40 TS zu je öS 50 (öS 2.000,--) in NEF 20 Tage Freiheitsstrafe, Vollzugsdatum 07.05.1991,

2.) Strafbezirksgericht Wien, 10 U 2171/92, vom 07.05.1992 rechtskräftig am 02.06.1992 wegen §§ 15, 127 StGB, zu 40 TS zu je öS 40 (öS 1.600,--) im NEF 20 Tage Freiheitsstrafe, Vollzugsdatum 02.06.1992,

3.) Strafbezirksgericht Wien, 10 U 2473/92, vom 18.02.1993 rechtskräftig am 02.03.1993 wegen §§ 15, 127 StGB, zu 50 TS zu je öS 60,-- (öS 3.000,--) im NEF 25 Tage Freiheitsstrafe, Vollzugsdatum 02.03.1993,

4.) LG für Strafsachen Wien, 5 A E VR 7737/94 HV 4596/94, vom 14.09.1994 rechtskräftig am 19.09.1994 wegen §§ 15, 127,128 Abs. 1 Z 2 StGB, zu 5 Monaten Freiheitsstrafe bedingt, Probezeit 3 Jahre,

5.) LG Wr. Neustadt, 11 AE VR 648/93 HV 231/93, vom 01.02.1995 rechtskräftig am 06.02.1995 wegen §§ 127, 130, 229 Abs. 1, 135 Abs. 1 StGB, zu 3 Monaten Freiheitsstrafe bedingt, Probezeit 3 Jahre, Zusatzstrafe gem. § 31 und 40 StGB unter Bedachtnahme auf LG f. Strafsachen Wien 5 A E VR 7737/94 HV 4596/94, rechtskräftig 19.09.1994.

Die belangte Behörde führte aus, die Beschwerdeführerin habe durch ihr Verhalten gezeigt, daß sie nicht gewillt sei, die Gesetze der Republik Österreich einzuhalten. Durch mehrere weitere gegen die Beschwerdeführerin von der BPD Wien wegen stets verschiedentlicher und wiederholter Gesetzesübertretungen erstatteten Anzeigen, die keineswegs das seit den Gerichtsverurteilungen in der Berufung angeführte Wohlverhalten feststellen ließen, stünde für die Behörde die deutlich kontinuierlich feststellbare Mißachtung der Rechtsordnung in Österreich durch die Beschwerdeführerin fest. Auch die Beachtung fremdenrechtlicher Vorschriften hinsichtlich der Sichtvermerkspflicht habe die Beschwerdeführerin gänzlich außer Acht gelassen. Damit liege ein Sichtvermerksversagungsgrund im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 4 FrG vor und es könne der Beschwerdeführerin daher keine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden. Bei Abwägung der privaten Interessen mit den öffentlichen im Sinn des Art. 8 Abs. 2 MRK sei wohl berücksichtigt worden, daß die Beschwerdeführerin mit ihrem Ehemann und ihren Kindern in Familiengemeinschaft lebe. Aufgrund ihrer bereits fünfmaligen gerichtlichen Verurteilungen wegen Diebstahls und Hehlerei und der wiederholt gegen die Beschwerdeführerin erstatteten Anzeigen wegen des Verdachtes der Übertretungen von Gesetzen gegen fremdes Eigentum und wegen der Nichteinhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften durch die Beschwerdeführerin, die auch eine Gefahr der Beispielswirkung auf andere Fremde darstellten, sowie weiters aufgrund der Tatsache des bei der Beschwerdeführerin kontinuierlich fortgesetzten strafbaren Verhaltens sei im Fall der Beschwerdeführerin den öffentlichen Interessen eindeutig die Priorität eingeräumt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde,

über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

§ 5 Abs. 1 AufG lautete:

"§ 5. (1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, insbesondere aber, wenn deren Lebensunterhalt oder eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert ist."

§ 10 Abs. 1 Z 4 FrG lautete:

"§ 10. (1) Die Erteilung eines Sichtvermerkes ist zu versagen, wenn

....

4. der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentlichen Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;"

§ 4 Z 2 der von der belangten Behörde anzuwendenden Verordnung BGBl. Nr. 854/1995 lautete:

"§ 4. Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung kann ausnahmsweise im Inland gestellt werden von:

...

2. Angehörigen von österreichischen Staatsbürgern (§ 3 Abs. 1 Z 1 Aufenthaltsgesetz), die gemäß § 14 Abs. 3 FrG einreisen oder denen vor der Einreise ein gewöhnlicher Sichtvermerk erteilt wurde,

..."

Der gegenständliche Antrag vom 2. Jänner 1996 wurde gestellt, nachdem der für die Beschwerdeführerin zuletzt erteilte unbefristete Sichtvermerk für ungültig erklärt worden war. Ein Fall des § 113 Abs. 6 oder 7 FrG 1997 liegt daher nicht vor.

Die belangte Behörde hat ihre Gefährdungsprognose zum einen auf das gerichtlich strafbare Verhalten der Beschwerdeführerin, zum anderen auf - nicht näher dargestellte - "mehrere weitere gegen die Beschwerdeführerin seitens der BPD Wien wegen stets verschiedentlicher und wiederholter Gesetzesübertretungen erstatteter Anzeigen" sowie darauf gestützt, daß die Beschwerdeführerin "die Beachtung fremdenrechtlicher Vorschriften hinsichtlich der Sichtvermerkspflicht gänzlich außer Acht gelassen habe". Soweit die belangte Behörde mit dem zuletzt genannten Argument auf die rechtswidrige Fortsetzung des Inlandsaufenthaltes der Beschwerdeführerin nach der Ungültigerklärung ihres Sichtvermerkes Bezug nimmt, unterließ sie es jedoch, in diesem Zusammenhang festzustellen, ob der Beschwerdeführerin, die Angehörige eines österreichischen Staatsbürgers ist, einer ihrer Sichtvermerke vor ihrer letzten Einreise in das Bundesgebiet erteilt wurde und sie gegebenenfalls zur Antragstellung vom Inland aus berechtigt gewesen wäre. Dieser Feststellungsmangel ist aus folgenden Gründen für den vorliegenden Fall von Bedeutung:

Ein länger dauernder Aufenthalt eines Fremden im Anschluß an die rechtskräftige Abweisung seines rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrages rechtfertigt die Annahme, sein weiterer Aufenthalt werde die öffentliche Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens gefährden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Oktober 1997, Zl. 96/19/1693). Diese Überlegung hätte auch im Fall der Beschwerdeführerin zu gelten, die ihren unrechtmäßigen Aufenthalt im Anschluß an die Ungültigerklärung eines Sichtvermerkes fortsetzte. Dieser unrechtmäßige Aufenthalt rechtfertigte grundsätzlich die Annahme, ihr weiterer Aufenthalt werde die öffentliche Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens gefährden.

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz hat jedoch dann Platz zu greifen, wenn der sich unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltende Fremde zur ausnahmsweisen Antragstellung im Inland berechtigt ist. Durch die in § 6 Abs. 2 dritter Satz AufG in Verbindung mit § 2 Abs. 3 Z. 4 AufG enthaltene (und auch voll ausgeschöpfte) Verordnungsermächtigung an die Bundesregierung, näher umschriebenen Gruppen von Fremden, die sich nach dem Ende ihrer Aufenthaltsbewilligung weiterhin unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, die Möglichkeit zur Antragstellung im Inland einzuräumen, gab der Gesetzgeber zu erkennen, daß er die vom unrechtmäßigen Aufenthalt solcher zur Antragstellung im Inland berechtigter Fremder ausgehende Störung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens nicht für so gravierend erachtet, daß daraus die gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 FrG maßgebliche Prognose abzuleiten wäre, auch der weitere Aufenthalt des Fremden aufgrund einer zu erteilenden Bewilligung werde die öffentliche Ordnung (auf diesem Gebiet) gefährden. Ein solches Verhalten eines Fremden kann daher für sich allein genommen den Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG nicht begründen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1997, Zl. 96/19/2066).

Sollte der Beschwerdeführerin, die mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet ist, vor ihrer letzten Einreise in das Bundesgebiet ein Sichtvermerk erteilt worden sein, wäre nicht auszuschließen, daß sie gemäß § 4 Z 2 der Verordnung BGBl. Nr. 854/1995 zur ausnahmsweisen Antragstellung im Inland berechtigt gewesen wäre. Ihr unrechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet könnte diesfalls nicht als Grundlage für die Gefährdungsprognose des § 10 Abs.1 Z 4 FrG herangezogen werden. Dies gilt gleichermaßen für die nicht näher dargestellten weiteren Anzeigen gegen die Beschwerdeführerin; ohne Feststellungen über den Inhalt dieser Anzeigen und über das diesen Anzeigen zugrundeliegende und als erwiesen anzunehmende Verhalten der Beschwerdeführerin kann sich die belangte Behörde nicht darauf berufen, daß (auch) durch diese "Anzeigen" die genannte Gefährdungsprognose gestützt würde.

Die belangte Behörde ging bei der Annahme der Verwirklichung des Sichtvermerksversagungsgrundes des § 10 Abs.1 Z 4 FrG auch von den gerichtlichen Verurteilungen der Beschwerdeführerin aus. In ihrem Vorbringen vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpft die Beschwerdeführerin die Annahme der belangten Behörde, durch die ihr zur Last liegenden gerichtlichen Verurteilungen sei der Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z 4 FrG verwirklicht worden, nicht. Angesichts der Anzahl und der Häufigkeit der strafgerichtlichen Verurteilungen der Beschwerdeführerin ist die rechtliche Beurteilung der belangten Behörde, wonach der (weitere) Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich die öffentliche Sicherheit gefährden würde, nicht rechtswidrig (vgl. zur Gewichtung der Eigentumskriminalität das hg. Erkenntnis vom 22. November 1995, Zl. 95/21/0004).

Die Beschwerdeführerin weist in ihrer Beschwerde darauf hin, daß die belangte Behörde trotz Vorliegens eines Sichtvermerksversagungsgrundes bei der Interessensabwägung die starken Bindungen der Beschwerdeführerin im österreichischen Bundesgebiet stärker hätte berücksichtigen müssen. Dazu ist vorerst zu bemerken, daß eine Bedachtnahme auf die während eines langjährigen Voraufenthaltes begründeten privaten und familiären Beziehungen in Österreich bei einer auf § 5 Abs. 1 AufG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z 4 FrG infolge strafrechtlichen Fehlverhaltens gestützten Entscheidung auch dann geboten ist, wenn eine frühere Aufenthaltsberechtigung bereits rechtskräftig entzogen worden ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Oktober 1998, Zl. 97/19/1405). Diese Bedachtnahme hat derart zu geschehen, daß die Behörde zu prüfen hat, ob ein Aufenthalt des Fremden im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit derart gefährden würde, daß die in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen einen Eingriff in sein Privat- und Familienleben rechtfertigen (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 21. Mai 1997, Zl. 96/19/0542).

Aus den Angaben der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren und in der Beschwerde geht hervor, daß diese in Wien geboren ist, bei ihrer Familie in Deutschland aufwuchs und mit 15 Jahren, also mehrere Jahre vor ihrer im Jahr 1990 erfolgten Eheschließung, nach Österreich zurückkehrte. Während des Verwaltungsverfahrens und auch in der Beschwerde wird dieser Darstellung entsprechend hinsichtlich der privaten Interessen der Beschwerdeführerin auf ihren mehrjährigen rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich seit 1987 sowie auf den Aufenthalt der übrigen Familienmitglieder der Beschwerdeführerin, nämlich ihres Ehegatten und ihrer vier (Klein)kinder, die alle österreichische Staatsbürger seien, verwiesen.

Es steht außer Zweifel, daß die Verweigerung der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung an die Beschwerdeführerin einen Eingriff in das von der Beschwerdeführerin mit ihren (österreichischen) Familienangehörigen im Inland geführte Familienleben darstellt. Unbestritten ist, daß mit dem angefochtenen Bescheid ein berechtigtes Ziel im Sinne des Art. 8 Abs.2 MRK angestrebt wird, nämlich die "Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und die Verhinderung strafbarer Handlungen". Um frei von Rechtswidrigkeit zu sein, muß es sich bei dem mit der angefochtenen Entscheidung verbundenen Eingriff aber um einen solchen handeln, der "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" ist, dh. er muß durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und gegenüber dem verfolgten legitimen Ziel verhältnismäßig sein (vgl. zuletzt EGMR 19.2.1998, Nr. 154/1996/773/974, Fall Dalia gg Frankreich, ÖJZ 1998/937).

Nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) ist bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in familiäre und private Beziehungen zum einen darauf Bedacht zu nehmen, ob das Familienleben des betroffenen Fremden ohne große Hindernisse in seinem Heimatland fortgeführt werden kann (vgl. EGMR vom 28. Mai 1985, Zl. 15/1983/71/107-109, Fall Abdulaziz gg Vereinigtes Königreich, EuGRZ 1985/567; vom 28. November 1996, Zl. 73/1995/579/665, Fall Ahmut gg Niederlande, OJZ 1997/22; vom 29. Jänner 1997, Zl. 112/1995/618/708, Fall Bouchelkia gg Frankreich, ÖJZ 1998,5), was inbesondere dann der Fall ist, wenn die Angehörigen, mit denen das geschützte Familienleben weitergeführt werden sollte, über die Staatsbürgerschaft des Fremden verfügten. Handelte es sich bei den Angehörigen aber um Staatsbürger des Aufenthaltsstaates, erachtete es der EGMR eine Verletzung des Art. 8 MRK als gegeben, wenn die Angehörigen zur Entwicklung ihrer Persönlichkeit (zB. Kinder aufgrund ihres Alters) fortdauernden Kontakt mit dem Fremden benötigten (vgl. EGMR vom 21. Juni 1988, Zl. 3/1987/126/177, Fall Berrehab gg die Niederlande, ÖJZ 1989,3) und wenn im Heimatland des Fremden ein gemeinsames Familienleben nicht ohne Schwierigkeiten geführt werden konnte (vgl. EGMR vom 26. März 1992, Zl. 55/1990/246/317, Fall Beljoudi gg Frankreich, ÖJZ 1992,33). Bei der Bewertung der Zulässigkeit des Eingriffes wurde auch Augenmerk darauf gerichtet, ob die vorhandenen Familienbande zu Staatsbürgern des Aufenthaltsstaates während einer rechtmäßigen Niederlassung des Fremden begründet wurden oder nicht und ob sich im Falle einer Unrechtmäßigkeit der Niederlassung der Fremde dieser "Unsicherheit" seines weiteren rechtlichen Schicksals bewußt sein mußte (vgl. EGMR vom 29. Jänner 1997, Zl. 112/1995/618/708, Fall Bouchelkia gg Frankreich, ÖJZ 1998,5; sowie zuletzt vom 19. Februar 1998, Zl. 154/1996/773/974, Fall Dalia gg Frankreich, ÖJZ 1998,937).

Daraus folgt, dass bei Angehörigen mit gleicher Staatsbürgerschaft wie der Fremde - wenn nicht besondere Umstände dagegen sprechen - grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass das gemeinsame Familienleben im gemeinsamen Heimatstaat weitergeführt werden kann. Im Gegensatz dazu ist bei Familienangehörigen mit österreichischer Staatsbürgerschaft nicht ohne weiteres davon auszugehen, dass eine Weiterentwicklung des Familienlebens im Heimatland des Fremden ohne rechtliche oder faktische Schwierigkeiten möglich sein wird. Davon ausgehend erweist sich ein Eingriff in das im Inland geführte Familienleben eines Fremden mit Angehörigen gleicher Staatsbürgerschaft (hier: durch die Verweigerung der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung) als weniger gravierend als ein Eingriff in das Familienleben mit österreichischen Staatsbürgern. Diese unter einem derart erhöhten Schutz stehenden Familienbande zu österreichischen Staatsbürgern müssen aber zu einem Zeitpunkt begründet worden sein, in dem sich der Fremde im Inland rechtmäßig niedergelassen hatte und er mit einer Bewilligung seiner weiteren Niederlassung rechnen konnte.

Während ihres beinahe 10jährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet, der sich - soweit ersichtlich - über acht Jahre auf Aufenthaltstitel stützen konnte, ehelichte die Beschwerdeführerin einen österreichischen Staatsbürger, brachte 4 Kinder (mit österreichischer Staatsbürgerschaft) zur Welt und begründete dadurch ein durch Art 8 MRK geschütztes Familienleben im Bundesgebiet. Diese Familienbande begründete die Beschwerdeführerin (mit Ausnahme der Geburt ihres letzten Kindes) während eines Zeitraumes, in dem sie sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielt. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit war daher die starke Verankerung der Beschwerdeführerin im Inland zu beachten und darüberhinaus in Erwägung zu ziehen, daß die vier (Klein)kinder der Beschwerdeführerin zur Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft mit ihrer Mutter zur Ausreise und zum Aufenthalt in Jugoslawien gezwungen wären, was - angesichts des Alters und des Entwicklungsstadiums der Kinder und der Änderung des sprachlichen und sozialen Umfeldes - einer Entwurzelung der Familienangehörigen der Beschwerdeführerin gleichkäme. Von einer problemlosen Fortführung des Familienlebens der Beschwerdeführerin mit ihren österreichischen Familienangehörigen in Jugoslawien ist daher nicht auszugehen. Darüberhinaus ist nicht auszuschließen, daß neben diesen tatsächlichen Hindernissen auch rechtliche Hindernisse in Bezug auf den Aufenthaltstitel dieser Kinder als österreichische Staatsbürger in Jugoslawien auftreten.

Die belangte Behörde hat nun die Gefährdungsprognose und die Verhältnismäßigkeit des Eingriffes in die familiären Interessen der Beschwerdeführerin auf deren unrechtmäßigen Aufenthalt, auf das Vorliegen von "Anzeigen" gegen die Beschwerdeführerin und auf die Verurteilungen der Beschwerdeführerin gestützt. Dass die ersten beiden von der Behörde herangezogenen Gründe diese Schlussfolgerung nicht zu tragen vermögen, wurde auf den Seiten 5 und 6 des vorliegenden Erkenntnisses aufgezeigt. Angesichts dessen, dass (vorläufig) hinsichtlich der Begründung der Gefährdungsprognose und der Verhältnismäßigkeit des Eingriffes das Vorliegen der strafgerichtlichen Verurteilungen verbleibt, welche trotz ihrer Häufigkeit insgesamt nicht von außergewöhnlicher Schwere sind, und die familiären Interessen der Beschwerdeführerin - wie oben dargestellt - durch die österreichische Staatsangehörigkeit ihrer Angehörigen sehr stark ausgesprägt sind, erweist sich der Eingriff unter dem Gesichtspunkt der Achtung des Familienlebens der Beschwerdeführerin (gerade noch) als unangemessen im Verhältnis zum verfolgten legitimen Ziel der Hintanhaltung von Straftaten und verletzt daher Art. 8 MRK.

Mit ihrer Auffassung, bei dieser Sachlage die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung im Grunde des § 10 Abs.1 Z 4 FrG versagen zu dürfen, verkannte die belangte Behörde daher die Rechtslage und belastete den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Dieser war daher aus den dargestellten Gründen gemäß § 42 Abs.2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Stempelgebührenersatz war nur in dem zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Ausmaß (Eingabengebühr für zwei Ausfertigungen der Beschwerde und Beilagengebühr für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides) zuzusprechen.

Wien, am 12. März 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1996193206.X00

Im RIS seit

02.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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