TE Bvwg Erkenntnis 2018/12/19 W187 2163251-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.12.2018
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Entscheidungsdatum

19.12.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W187 2163251-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Christian SCHMAUS, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX, XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm §§ 3 Abs 1, 8 Abs 1 und § 10 Abs 1 Z 3 und § 57 AsylG 2005, iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das Bundesgebiet ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen seiner Erstbefragung am selben Tag wurde der Beschwerdeführer zu seiner Identität, seiner Reiseroute und seinen Fluchtgründen einvernommen. Hier gab er als Beweggrund für seine Ausreise an, dass er für eine Person namens XXXX, die im Gefängnis gewesen sei, mit seiner Firma gebürgt habe. XXXX sei freigelassen worden, habe aber gegen seine Bewährungsauflagen verstoßen, weshalb der Beschwerdeführer verhaftet worden sei. Der Beschwerdeführer sei gegen Bezahlung einer Gebühr wieder freigekommen und habe vom Vater des XXXX sein Geld zurückverlangt. XXXX sei getötet worden und sein Vater habe den Beschwerdeführer für dessen Tod verantwortlich gemacht.

2. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, in der Provinz Ghazni geboren zu sein und dort bis zum Jahr 2000 gelebt zu haben. Er sei Hazara und Moslem gewesen. Jetzt gehe er in die Kirche der Zeugen Jehovas. Als Fluchtgrund führte er im Wesentlichen denselben Sachverhalt wie in der Erstbefragung an.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gegen den Beschwerdeführer wurde gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige zwei Wochen [richtig: 14 Tage] ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem Beschwerdeführer amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

4. Mit Schreiben vom XXXX erhob der Beschwerdeführer, unterstützt durch einen Rechtsberater, fristgerecht vollinhaltlich Beschwerde gegen den spruchgegenständlichen Bescheid wegen inhaltlich falscher Entscheidung und mangelhafter Verfahrensführung. Zudem wurde die Verfassungswidrigkeit der Rechtsmittelbelehrung moniert.

5. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer im Beisein des ausgewiesenen Rechtsvertreters und eines Dolmetschers für die Sprache Dari vom erkennenden Richter zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen sowie ein Zeuge zum Thema der behaupteten Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum befragt wurde. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.

Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:

"[...]

Richter: Verstehen Sie den Dolmetscher gut?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?

Beschwerdeführer: Ja. Ich bin gesund.

Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?

Beschwerdeführer: Nein, ich bin ganz gesund. Ich nehme keine Medikamente.

[...]

Richter: Können Sie sich an Ihre Aussage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?

Beschwerdeführer: Ja, ich erinnere mich daran. Aber alles was ich damals gesagt habe, ist nicht gut übersetzt worden.

Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?

Beschwerdeführer: Ich bin in der Provinz Ghazni, im Distrikt XXXX, im Dorf XXXX. Ich bin am XXXX geboren.

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

Beschwerdeführer: Meine Muttersprache ist Dari, ich kann auch ein bisschen Deutsch.

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

Beschwerdeführer: Ich bin Hazara, ich bin jetzt ein Christ, ich bin verheiratet und habe 3 Kinder.

Richter: Wo sind Ihre Frau und Ihre Kinder?

Beschwerdeführer: Meine Familie lebt immer noch in unserem Dorf in Afghanistan.

Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.

Beschwerdeführer: Ich kann das Datum nicht genau angeben, aber ca. im Jahr 2000, als die Taliban den Ort an sich genommen haben, bin ich in den Iran gegangen. Dort war ich ca. 1 Jahr. Als die Taliban aus Afghanistan wieder vertrieben wurden, ging ich wieder zurück nach Afghanistan. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich nur in meinem Heimatdorf gelebt. Nach meiner Rückkehr aus dem Iran bin ich nach Herat gefahren.

Richter: Wie haben Sie in Afghanistan gewohnt?

Beschwerdeführer: Vor der Taliban-Zeit hat mein Vater gearbeitet, er hat als Händler gearbeitet. Als ich im Iran war, bevor ich wieder nach Afghanistan zurückkam, ist mein Vater nach Herat gegangen. Das war der Grund, warum ich auch nach Herat gegangen bin. In Herat haben wir in einem Miethaus gewohnt. Mein Vater hat am Bazar als Verkäufer gearbeitet. Wir haben die Ware von den Iranern gekauft und in afghanischen Geschäften weiter verkauft. Wir haben ein normales Leben gehabt.

Richter: Was haben Sie in Afghanistan gemacht, gearbeitet, gelernt oder etwas Anderes?

Beschwerdeführer: Vor der Taliban-Zeit bin ich in die Schule gegangen. Danach war das nicht mehr möglich.

Richter: Welche Schulbildung haben Sie erhalten?

Beschwerdeführer: Ich bin nur sieben Jahre in die Schule gegangen.

Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

Beschwerdeführer: Meine Eltern sind schon verstorben. Meine Frau und meine Kinder leben in XXXX. Meine Frau arbeitet in unserem Dorf als Schneiderin.

Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?

Beschwerdeführer: Ja, aber da kein guter Empfang besteht, rufen sie mich manchmal an.

Richter: Haben Sie in Afghanistan Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?

Beschwerdeführer: Ich habe eine Tante vs, die zurzeit in Pakistan lebt. Ich habe einen Bruder, der in Herat lebt. Mit ihm habe ich keinen Kontakt seitdem ich in Österreich bin.

Richter: Wollen Ihre Gattin und Geschwister auch nach Österreich kommen?

Beschwerdeführer: Wenn ich hier auf meinen eigenen Beinen stehen kann, dann nur meine Gattin. Mein Bruder sicher nicht.

Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?

Beschwerdeführer: Zurzeit besuche ich einen Deutschkurs. Vorher, in der Zeit in der ich keinen Kurs hatte, habe ich für die Diakonie gearbeitet. Ich gehe auch zwei Mal pro Woche in die Kirche der Zeugen Jehovas.

Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?

Beschwerdeführer: Ich kenne viele Leute, aber ich kann sie nicht als Freunde bezeichnen. Ich habe einen sehr guten Freund, der heute auch anwesend ist (XXXX).

Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!

Beschwerdeführer: Ich habe Angst gehabt. Nachdem mein Vater fort war, habe ich eine Firma gegründet. Da ich eine offizielle Firma gehabt habe, habe ich für jemanden gebürgt. Nachdem ich für diese Person gebürgt habe, hat der Staat diese Person aus dem Gefängnis frei gelassen. Diese Person war deswegen im Gefängnis, weil sie zu dritt in einem PKW waren, der Staat meinte, dass es ein gestohlenes Auto sei. Nachdem die Staatsanwaltschaft ihre Arbeit zu Ende gebracht hat, war sie der Meinung, dass zwei der drei Personen unschuldig sind, und sie wurden wieder frei gelassen. Die dritte Person, namens XXXX, ging ins Gefängnis und für diese Person habe ich gebürgt. Deswegen wurde diese Person frei gelassen. Nachdem XXXX aus dem Gefängnis frei gelassen wurde, hat die Drogenabteilung der Staatsanwaltschaft einen Brief an die Abteilung geschrieben, die XXXX inhaftiert und freigelassen hat. Der Inhalt des Briefes war, dass dieser XXXX auch einen Akt bei der Drogenabteilung der Staatsanwaltschaft hätte. Darin wurde auch gefragt, warum XXXX freigelassen wurde. Aus diesem Grund bin ich von der Staatsanwaltschaft und der Hinweis darauf kontaktiert worden, dass die Drogenabteilung der Staatsanwaltschaft noch einen Akt über XXXX führt. Es wurde in diesem Brief von mir verlangt, dass ich die Person, für die ich gebürgt habe, wieder zurückbringe. Deshalb habe ich der Staatsanwaltschaft geantwortet, dass ich über den Akt der Drogenabteilung der Staatsanwaltschaft nichts wusste und ich habe für ihn nur wegen des Vorwurfs des Autodiebstahls gebürgt. Da ich selber nicht zur Staatsanwaltschaft gegangen bin, hat die Staatsanwaltschaft über den Ortsbürgermeister Druck auf mich ausgeübt. Durch diesen Druck musste ich zur Staatsanwaltschaft gehen, als ich aber dort war, noch bevor man mich befragt hat, hat man mir die Handschellen angelegt und mich ins Gefängnis gesteckt. Ich glaube, dass diese Abteilung der Staatsanwaltschaft, die den XXXX befreit hat, wollte es vertuschen und selbst keine Verantwortung übernehmen und damit sie etwas in der Hand haben, oder zu einem späteren Zeitpunkt sagen können, dass diese Person verschwunden sei. In der Zeit, in der ich im Gefängnis war, sind der Bruder und der Vater von XXXX mich besuchen gekommen. Ich habe bei dem Gespräch mit dem Bruder und dem Vater von XXXX gesagt, dass ich nichts gemacht habe, außer für XXXX zu bürgen. Ich weiß nicht, warum ich im Gefängnis bin. Der Bruder und der Vater von XXXX haben mir gesagt, dass XXXX nicht hier sei und sie nicht wissen würden, wo er sich aufhält. Aus diesem Grund hat die Staatsanwaltschaft versucht, mich als Mittäter von XXXX darzustellen. Dann hat der Bruder und Vater von XXXX versucht, irgendeinen Weg zu finden, wie es bei uns fast üblich ist, mich aus dem Gefängnis zu befreien. Der Bruder und der Vater haben mit den Verantwortlichen gesprochen und sie wollten 25.000 Dollar. Die andere Seite hat vorgeschlagen, dass er nicht alleine wäre und man ihm ein bisschen Zeit geben soll, damit er mit anderen Mitarbeitern reden konnte, um irgendeinen Weg zu finden, mich aus dem Gefängnis zu befreien. Nachdem diese Leute den Betrag von 25.000 Dollar bekommen haben, haben sie uns gesagt, dass das einzige was sie tun könnten, dass sie mich nur aus dem Gefängnis herausholen können und das auch unter der Bedingung, dass ich XXXX finden sollte und ihn zurück bringen solle. Mehr konnten sie nicht für mich tun. Nachdem ich aus dem Gefängnis draußen war, hat man mir einen Brief der Staatanwaltschaft mitgegeben und darin stand, dass ich XXXX auf jeden Fall zurück bringen muss. Um XXXX zu finden, bin ich auch öfter zu seiner Wohnung gegangen. Dieses Spiel hat ca. 3 Jahre gedauert. Letztendlich konnte ich XXXX nicht finden. Bis eines Tages sagte mir der Vater von XXXX, dass ich nicht mehr zu ihrer Wohnung kommen darf. Er hat gesagt, dass sie Nachbarn hätten und es nicht gut wäre, wenn ich immer dorthin komme und nach XXXX frage. Der Vater von XXXX hat abgelehnt, diesen Betrag von 25.000 Dollar zurückzugeben. Er sagte, dass ich diesen Betrag nicht für XXXX sondern die eigene Befreiung aus dem Gefängnis bezahlt hätte. Einmal habe ich mich mit dem Vater von XXXX gestritten und ich sagte ihm, dass ich XXXX finden muss. Bei diesem Streit war ich etwas außer mir und ich sagte zu dem Vater von XXXX, dass ich XXXX entweder lebendig oder tot finden muss und ich ihn auf jeden Fall wieder zur Staatsanwaltschaft bringen muss. Dann hat er schlechte Wörter verwendet und mir gesagt, dass ich nichts tun könnte. Wenn ich es versuchen würde, dann würde ich ihn "richtig kennenlernen". Er hat mir wortwörtlich gedroht, falls ich es versuchen würde, würde er etwas tun, damit ich wieder jahrelang ins Gefängnis zurückgehen muss. Dann bin ich wieder zurück nachhause gegangen. Drei Monate nach diesem Ereignis hat mich meine Frau angerufen und mir telefonisch gesagt, dass ein paar Leute bei uns zu Hause sind. Sie hat mich gefragt, wieso diese Leute bei uns zu Hause sind. Ich habe meine Frau gefragt, wie die Leute aussehen würden. Sie sagte, dass alle bewaffnet seien. Ich habe sofort gedacht, dass es Leute von der Staatsanwaltschaft sein könnten. Ich habe einen Freund namens XXXX angerufen, weil sein Bruder bei der Staatssicherheit gearbeitet hat. Ich habe XXXX Bruder gebeten, der Sache nachzugehen. Dann habe ich durch den Bruder von XXXX erfahren, dass XXXX nicht mehr am Leben sei. Er ist verstorben oder getötet worden, genau weiß ich es nicht. Nachdem ich diese Sache erfahren habe, habe ich wirklich Angst gehabt. Erstens musste ich diese Person zur Staatsanwaltschaft zurückbringen, zweitens hatte mich XXXX Vater bedroht. Aus diesem Grund bin ich zu einem Freund namens XXXX gegangen. Ich habe ihm die ganze Geschichte erzählt. Er sagte mir, dass die ganze Geschichte ein abgekartetes Spiel sei. Da ich einmal im Gefängnis war und dort persönlich erfahren habe, wie es dort ist, habe ich wirklich mit der Angst zu tun bekommen und ich dachte mir, da XXXX jetzt nicht mehr am Leben ist und ich dieses Mal als Mörder ins Gefängnis gehen sollte, wird es für mich sehr gefährlich. Mein Freund XXXX war auch meiner Meinung. Aus diesem Grund hat er mich beraten und mir gesagt, dass ich den Ort entweder für immer oder für eine gewisse Zeit verlassen muss, bis sich alles wieder beruhigt. Dann bin ich in der Nacht mit XXXX, der einen LKW gehabt hat, gefahren. Zuerst sind wir nach Wesh gefahren und dann weiter nach Pakistan. Ich war eine Woche in Pakistan, ich habe in dieser Woche immer wieder nachgedacht, was ich machen solle. Dann habe ich einen Schlepper getroffen. Ich habe meine Familie dort gelassen und bin mit dem Schlepper weiter in den Iran gegangen. Dieser Schlepper hat uns in die Türkei, Griechenland und weiter gebracht. Bis ich dann nach Österreich gekommen bin.

Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!

Beschwerdeführer: Einen Grund kann ich so nennen. Wenn ich wieder zurück nach Afghanistan gehen müsste, würde ich getötet werden. Das ist ein sehr wichtiger Grund. Jetzt bin ich Christ, das ist auch eine gefährliche Sache.

Richter: Haben Sie Fragen an den Beschwerdeführer?

Rechtsvertreter: Es wird im Akt auch ein Betrag von 12.000 Afghani genannt. Können Sie das erklären.

Beschwerdeführer: Diese 12.000 Afghani ist jener Betrag, den ich bezahlen musste, weil man mich von der Staatsanwaltschaft nach § 339 Strafgesetz bestraft hat. Deswegen musste ich 12.000 Afghani bezahlen.

Rechtsvertreter: Erzählen Sie bitte dem Gericht, seit wann und warum Sie die Versammlung der Zeugen Jehovas besuchen.

Beschwerdeführer: Ich bin seit ca. 16 Monaten dabei. Ich fühle mich dort sehr ruhig und entspannt, ich habe ein gutes Gefühl dort. Ich bete dort einen wahren Gott an. Da ich früher an etwas geglaubt habe, das über Generationen an mich weitergegeben wurde. Aber verstanden habe ich nichts. Wir beten und sprechen dort in unserer Muttersprache. An was ich damals geglaubt habe, denke ich, dass alles verkehrt war. Mit meinem neuen Glauben denke ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin.

Rechtsvertreter: Wie oft besuchen Sie diese Versammlungen und wie laufen diese ab?

Beschwerdeführer: Sie sind verschieden. Dienstags von 19:00-20:45 Uhr, samstags von 18:00-20:00 Uhr. Man spricht von dem heiligen Buch. Es gibt zwei Sitzungen, in einer spricht man Deutsch in der anderen Dari oder Farsi. Die Leute, die uns die Sachen erklären, bekommen von bedeutenderen Gemeindemitgliedern über iPad die Texte, die sie uns vortragen.

Rechtsvertreter: Haben Sie bereits Freunde zum Glauben gebracht?

Beschwerdeführer: Ja. Jemand ist mir mit 6 Monate mit mir hingegangen, ein anderer 3 Monate. Es gab auch andere die nur ein paar Sitzungen mitgekommen sind.

Rechtsvertreter: Der heute anwesende Zeuge, hat mir gesagt, dass er Sie am Weg bei den Zeugen Jehovas begleitet. Können Sie näheres dazu sagen?

Beschwerdeführer: Er ist ein sehr guter Mensch. Er hat mir auch sehr viel geholfen. Zum ersten Mal habe ich durch ihn das heilige Buch kennengelernt. Er hat das ganze Buch auf mein Handy geladen, ich habe alles bei mir. Er berät mich auch immer, dass wenn ich, egal wann, alleine bin, das Buch weiter lesen soll. Ich bin jetzt soweit, das jede Seite von dem heiligen Buch, wenn man mich fragt, binnen paar Sekunden von meinem Handy herausnehmen kann.

Rechtsvertreter: Es wird zum Beweis für die Hinwendung des Beschwerdeführers zum christlichen Glauben die Einvernahme des XXXX beantragt. Der Zeuge begleitet den BF bei den Zeugen Jehovas auf seinem Weg und kann aus unmittelbar eigener Erfahrung über die vom Herzen kommende Hinwendung zum Christentum wie auch die Integration in die Gemeinde der Zeugen Jehovas aussagen. Das Thema ist für den Verfahrensausgang von rechtlicher Relevanz, da jedoch das Gericht zum Ergebnis kommen wird, dass im gegenständlichen Fall ein Abfall vom Islam vorliegt, welcher für den Fall der Rückkehr des BF in sein Herkunftsland asylrelevante Verfolgung im Sinne der GFK nach sich zöge.

Richter: Sind Sie getauft?

Beschwerdeführer: Noch nicht.

[...]

Richter: Was können Sie uns über die Aktivitäten des BF im Rahmen der Zeugen Jehovas sagen?

Zeuge: Ich bin derjenige, der mit dem BF die Bibel studiert. Zurzeit studieren wir das Buch "Was lehrt die Bibel wirklich" auf Farsi. Das Buch besteht aus 19 Kapiteln, wir sind jetzt bei Kapital 12. Er ist bei jeder Zusammenkunft dabei. Er war auch am 31. März 2018 bei der Abendmahlfeier dabei. Da war der Beschwerdeführer dabei. Wir haben im Jahr 4 Kongresse, da war der Beschwerdeführer auch immer dabei. Wir haben zurzeit 5 Älteste. Ich bin für den Beschwerdeführer zuständig und ich habe die Aufgabe ihm das Gefühl weiterzugeben. Ich habe die Aufgabe den Ältesten zu berichten, ihnen eine allfällige Aufnahme vorzuschlagen. Ich bin "Bibellehrer", was aber bedeutet, dass ich gemeinsam mit ihm das oben genannte Buch studiere. Ich habe das Gefühl, dass der Beschwerdeführer glaubt und Fortschritte macht. Ich schätze, dass es noch ein Jahr bis zu einer Taufe dauern kann.

Der Zeuge weist das Buch vor. Es wird ihm nach Einsicht zurückgegeben.

Richter: Können Sie bestätigen, dass der Beschwerdeführer regelmäßig Dienstag und Samstag an den Zusammenkünften teilnimmt?

Zeuge: Ja. Ich war selbst früher Moslem. Diese Religion ist so tief verwurzelt, dass es eine Zeit dauert bis man versteht, worum es in der Bibel wirklich geht. Das ist bei ihm auch der Fall. Ich erwarte nicht, dass er über Nacht alles versteht.

Rechtsvertreter: Sie haben vorher gesagt, Sie kennen auch Fälle, in denen sich Personen aus glaubensfremden Motiven an die Zeugen Jehovas gewandt haben. Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, ist es auch Ihre Aufgabe die Echtheit der Hinwendung zum Glauben zu prüfen. Können Sie dazu etwas sagen?

Zeuge: Wir haben viele Fälle gehabt, wo Leute nur zu uns gekommen sind, weil sie Interviews gehabt haben. Beim Beschwerdeführer erlebe ich das komplett anders. Sonst würden wir auch nicht weiter machen. Die Ältesten sind auch bei den Zusammenkünften dabei, diese sehen den Beschwerdeführer auch. Ich habe ein gutes Gefühl bei dem Beschwerdeführer, sehr positiv.

Der Beschwerdeführer legt keine weiteren Beweisanträge vor.

[...]".

6. Mit Eingabe vom XXXX erfolgte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers zum Verfahrensstand.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX, ist afghanischer Staatsangehöriger und volljährig. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari, er kann dieses Sprache lesen und schreiben.

Der Beschwerdeführer gehört der Volksgruppe der Hazara an und wurde als schiitischer Moslem erzogen. Er stammt aus der Provinz Ghazni, ist verheiratet und hat drei Kinder. Seine Ehefrau und seine drei Kinder leben im Heimatdorf des Beschwerdeführers in Afghanistan. Der Beschwerdeführer hat Kontakt zu seiner Familie. Der Bruder des Beschwerdeführers lebt in Herat. Zum Bruder besteht derzeit kein Kontakt.

Der Beschwerdeführer verfügt über eine siebenjährige Schulbildung und hatte in Afghanistan ein eigenes Bergbau-Unternehmen.

Der Beschwerdeführer ist gesund und benötigt weder ärztliche Behandlung noch Medikamente.

1.2 Zu seinen Fluchtgründen und der Rückkehr nach Afghanistan

Der Beschwerdeführer stellte am XXXX den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung persönlich bedroht oder verfolgt wurde oder eine Verfolgung im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten hätte.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer in Afghanistan eine konkret gegen ihn gerichtete psychische bzw physische Gewalt aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit als Hazara droht.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan infolge seines Aufenthalts in Europa einer Verfolgung aufgrund einer ihm unterstellen politischen oder religiösen Gesinnung ausgesetzt wäre.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer zum christlichen Glauben konvertiert ist und ihm deshalb Verfolgung in Afghanistan droht. Der Beschwerdeführer hat sich nicht in einer für die Außenwelt erkennbaren Weise vom islamischen Glauben losgelöst. Ein Religionswechsel aus innerer Überzeugung konnte nicht festgestellt werden. Die christliche Religion ist im Entscheidungszeitpunk nicht zum wesentlichen und unverzichtbaren Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers geworden.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer seinem derzeitigen Interesse für die "Zeugen Jehovas" im Falle der Rückkehr nach Afghanistan weiter nachkommen und dieses im Falle der Rückkehr nach Afghanistan nach außen zur Schau tragen würde.

1.3 Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Der Beschwerdeführer hält sich seit November 2015 in Österreich auf. Er reiste illegal in das Bundesgebiet ein und hatte nie ein nicht auf das Asylverfahren gegründetes Aufenthaltsrecht in Österreich. Der Beschwerdeführer bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ist nicht erwerbstätig. Er besuchte nach eigenen Angaben einen Deutschkurs, Zertifikate über einen Kursbesuch bzw über die Absolvierung einer Deutschprüfung hat der Beschwerdeführer bis zum Entscheidungszeitpunkt nicht vorgelegt. Weitere integrative Schritte hat der Beschwerdeführer weder belegt noch behauptet.

In Österreich leben keine Verwandten oder sonstige enge Bezugspersonen des Beschwerdeführers. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.4 Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers

Es werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:

1.4.1 Aktualisierung der Sicherheitslage - Q1.2018

Landesweit haben in den letzten Monaten Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (The Guardian; vgl. BBC 29.1.2018). Die Gewalt Aufständischer gegen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen hat in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban erhöhen ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (Asia Pacific 30.1.2018).

Im Stadtzentrum und im Diplomatenviertel wurden Dutzende Hindernisse, Kontrollpunkte und Sicherheitskameras errichtet. Lastwagen, die nach Kabul fahren, werden von Sicherheitskräften, Spürhunden und weiteren Scannern kontrolliert, um sicherzustellen, dass keine Sprengstoffe, Raketen oder Sprengstoffwesten transportiert werden. Die zeitaufwändigen Kontrollen führen zu langen Wartezeiten; sollten die korrekten Papiere nicht mitgeführt werden, so werden sie zum Umkehren gezwungen. Ebenso werden die Passagiere in Autos von der Polizei kontrolliert (Asia Pacific 30.1.2018).

Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie 29.1.2019

Am Montag den 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der Islamische Staat bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

Quellen zufolge operiert der IS in den Bergen der östlichen Provinz Nangarhar (The Guardian 29.1.2018); die Provinzhauptstadt Jalalabad wird als eine Festung des IS erachtet, dessen Kämpfer seit 2015 dort aktiv sind (BBC 24.1.2018). Nachdem der IS in Ostafghanistan unter anhaltenden militärischen Druck gekommen war, hatte dieser immer mehr Angriffe in den Städten für sich beansprucht. Nationale und internationale Expert/innen sehen die Angriffe in den Städten als Überlappung zwischen dem IS und dem Haqqani-Netzwerk (einem extremen Arm der Taliban) (NYT 28.1.2018).

Angriff im Regierungs- und Diplomatenviertel in Kabul am 27.1.2018

Bei einem der schwersten Angriffe der letzten Monate tötete am Samstag den 27.1.2018 ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 28.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (The Guardian 27.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Der Vorfall ereignete sich im Regierungs- und Diplomatenviertel und wird als einer der schwersten seit dem Angriff vom Mai 2017 betrachtet, bei dem eine Bombe in der Nähe der deutschen Botschaft explodiert war und 150 Menschen getötet hatte (Reuters 28.1.2018).

Die Taliban verlautbarten in einer Aussendung, der jüngste Angriff sei eine Nachricht an den US-amerikanischen Präsidenten, der im letzten Jahr mehr Truppen nach Afghanistan entsendete und Luftangriffe sowie andere Hilfestellungen an die afghanischen Sicherheitskräfte verstärkte (Reuters 28.1.2018).

Angriff auf die NGO Save the Children am 24.1.2018

Am Morgen des 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden dabei getötet und zwölf weitere verletzt. Zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich 50 Mitarbeiter/innen im Gebäude. Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018).

Der jüngste Angriff auf eine ausländische Hilfseinrichtung in Afghanistan unterstreicht die wachsende Gefahr, denen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in Afghanistan ausgesetzt sind (The Guardian 24.1.2018).

Das Gelände der NGO Save the Children befindet sich in jener Gegend von Jalalabad, in der sich auch andere Hilfsorganisationen sowie Regierungsgebäude befinden (BBC 24.1.2018). In einer Aussendung des IS werden die Autobombe und drei weitere Angriffe auf Institutionen der britischen, schwedischen und afghanischen Regierungen (Reuters 24.1.2018).

Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul am 20.1.2018

Der Angriff bewaffneter Männer auf das Luxushotel Intercontinental in Kabul, wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018). Fünf bewaffnete Männer mit Sprengstoffwesten hatten sich Zutritt zu dem Hotel verschafft (DW 21.1.2018). Die exakte Opferzahl ist unklar. Einem Regierungssprecher zufolge sollen 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet worden sein. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle Fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

Wie die Angreifer die Sicherheitsvorkehrungen durchbrechen konnten, ist Teil von Untersuchungen. Erst seit zwei Wochen ist eine private Firma für die Sicherheit des Hotels verantwortlich. Das Intercontinental in Kabul ist trotz des Namens nicht Teil der weltweiten Hotelkette, sondern im Besitz der afghanischen Regierung. In diesem Hotel werden oftmals Hochzeiten, Konferenzen und politische Zusammentreffen abgehalten (BBC 21.1.2018). Zum Zeitpunkt des Angriffes war eine IT-Konferenz im Gange, an der mehr als 100 IT-Manager und Ingenieure teilgenommen hatten (Reuters 20.1.2018; vgl. NYT 21.1.2018).

Insgesamt handelte es sich um den zweiten Angriff auf das Hotel in den letzten acht Jahren (NYT 21.1.2018). Zu dem Angriff im Jahr 2011 hatten sich ebenso die Taliban bekannt (Reuters 20.1.2018).

Unter den Opfern waren ausländische Mitarbeiter/innen der afghanischen Fluggesellschaft Kam Air, u.a. aus Kirgisistan, Griechenland (DW 21.1.2018), der Ukraine und Venezuela. Die Fluglinie verbindet jene Gegenden Afghanistans, die auf dem Straßenweg schwer erreichbar sind (NYT 29.1.2018).

1.4.2 Aktualisierung der Sicherheitslage - Q4.2017

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil - der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungskräften hält landesweit an (UN GASC 20.12.2017). Zur Verschlechterung der Sicherheitslage haben die sich intensivierende Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften beigetragen (SIGAR 30.10.2017; vgl. SCR 30.11.2017).

Die afghanischen und internationalen Sicherheitskräfte verstärkten deutlich ihre Luftoperationen (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die in 22 Provinzen registriert wurden. So haben sich im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) Luftangriffe um 73% gegenüber dem Vorjahreswert erhöht (UN GASC 20.12.2017). Der Großteil dieser Luftangriffe wurde in der südlichen Provinz Helmand und in der östlichen Provinz Nangarhar erfasst (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die als Hochburgen des IS und der Taliban gelten (SIGAR 30.10.2017). Verstärkte Luftangriffe hatten wesentliche Auswirkungen und führten zu hohen Opferzahlen bei Zivilist/innen und regierungsfeindlichen Elementen (UN GASC 20.12.2017). Zusätzlich ist die Gewalt in Ostafghanistan auf die zunehmende Anzahl von Operationen der ANDSF und der Koalitionskräfte zurück zu führen (SIGAR 30.10.2017). Landesweit kam es immer wieder zu Sicherheitsoperationen, bei denen sowohl aufständische Gruppierungen als auch afghanische Sicherheitskräfte Opfer zu verzeichnen hatten (Pajhwok 1.12.2017; TP 20.12.2017; Xinhua 21.12.2017; Tolonews 5.12.2017; NYT11.12.2017). Den Vereinten Nationen zufolge hat sich der Konflikt seit Anfang des Jahres verändert, sichvon einer asymmetrischen Kriegsführung entfernt und in einen traditionellen Konflikt verwandelt, der von bewaffneten Zusammenstößen zwischen regierungsfeindliche Elementen und der Regierung gekennzeichnet ist. Häufigere bewaffnete Zusammenstöße werden auch als verstärkte Offensive der ANDSF-Operationen gesehen um die Initiative von den Taliban und dem ISKP zu nehmen - in diesem Quartal wurde im Vergleich zum Vorjahreine höhere Anzahl an bewaffneten Zusammenstößen erfasst (SIGAR 30.10.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

In den ersten acht Monaten wurden insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal, wurden 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. Laut UN haben sich bewaffnete Zusammenstöße um 5% erhöht und machen nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 gab es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraums des Jahres 2016, verzeichnen die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen [IEDs - improvised explosive device], Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen - nichtsdestotrotz waren sie Hauptursache für zivile Opfer. Die östliche Region verzeichnete die höchste Anzahl von Vorfällen, gefolgt von der südlichen Region (UN GASC 21.9.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan von 1.1.-31.8.2017 19.636 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (Stand: 31.8.2017) (INSO o.D.).

Zivilist/innen

Im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des letzten Jahres registrierte die UNAMA zwischen 1.1. und 30.9.2017 8.019 zivile Opfer (2.640 Tote und 5.379 Verletzte). Dies deutet insgesamt einen Rückgang von fast 6% gegenüber dem Vorjahreswert an (UNAMA 10.2017); konkret hat sich die Anzahl getöteter Zivilist/innen um 1% erhöht, während sich die Zahl verletzter Zivilist/innen um 9% verringert hat (UN GASC 20.12.2017). Wenngleich Bodenoffensiven auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer waren - führte der Rückgang der Anzahl von Bodenoffensiven zu einer deutlichen Verringerung von 15% bei zivilen Opfern. Viele Zivilist/innen fielen Selbstmordattentaten, sowie komplexen Angriffen und IEDs zum Opfer - speziell in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Kandahar und Faryab (UNAMA 10.2017).

Zivile Opfer, die regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben wurden, sind um 37% zurückgegangen: Von insgesamt 849 waren 228 Tote und 621 Verletzte zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Elementen zugeschrieben werden, um 7%: von den 1.150 zivilen Opfer starben 225, während 895 verletzt wurden. Die restlichen Opfer konnten keiner Tätergruppe zugeschrieben werden (UNAMA 10.2017).

High-profile Angriffe

Am 31.10.2017 sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der "Green Zone" der Hauptstadt Kabul in die Luft. Der angebliche Täter soll Quellen zufolge zwischen 12-13 Jahren alt gewesen sein. Mindestens vier Menschen starben bei dem Angriff und ein Dutzend weitere wurden verletzt. Dies war der erste Angriff in der "Green Zone" seit dem schweren Selbstmordattentat im Mai 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall Ende Oktober 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017; UN GASC 20.12.2017)

Am 20.10.2017 sprengte sich ein Angreifer in der Shia Imam Zamam Moschee in Kabul in die Luft; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet und 45 weitere verletzt. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017; UN GASC 20.12.2017). In dem Distrikt Solaina, in der westlichen Provinz Ghor, wurde ebenso eine Moschee angegriffen - in diesem Fall handelt es sich um eine sunnitische Moschee. Die tatsächliche Opferzahl ist umstritten: je nach Quellen sind zwischen 9 und 39 Menschen bei dem Angriff gestorben (Independent 20.10.2017; vgl. NYT 20.10.2017; al Jazeera 20.10.2017).

Am 19.10.2017 wurde im Rahmen eines landesweit koordinierten Angriffes der Taliban 58 afghanische Sicherheitskräfte getötet: ein militärisches Gelände, eine Polizeistationen und ein militärischer Stützpunkt in Kandahar wären beinahe überrannt worden (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017). Einige Tage vor diesem Angriff töteten ein Selbstmordattentäter und ein Schütze mindestens 41 Menschen, als sie ein Polizeiausbildungszentrum in der Provinzhauptstadt Gardez stürmten (Provinz Paktia) (BBC 21.10.2017). In der Woche davor wurden 14 Offiziere der Militärakademie auf dem Weg nach Hause getötet, als ein Selbstmordattentäter den Minibus in die Luft sprengte in dem sie unterwegs waren (NYT 20.10.2017). Die afghanische Armee und Polizei haben dieses Jahrschwere Verlusten aufgrund der Taliban erlitten (BBC 21.10.2017).

Am 7.11.2017 griffen als Polizisten verkleidete Personen/regierungsfeindliche Kräfte eine Fernsehstation "Shamshad TV" an; dabei wurde mindestens eine Person getötet und zwei Dutzend weitere verletzt. Die afghanischen Spezialkräfte konnten nach drei Stunden Kampf, die Angreifer überwältigen. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Guardian 7.11.2017; vgl. NYT 7.11.2017; UN GASC 20.12.2017). (Guardian 7.11.2017)

Bei einem Selbstmordangriff im November 2017 wurden mindestens neun Menschen getötet und einige weitere verletzt; die Versammelten hatten einem Treffen beigewohnt, um den Gouverneur der Provinz Balkh - Atta Noor - zu unterstützen; auch hier bekannte sich der ISzu diesem Selbstmordattentat (Reuters 16.11.2017; vgl. UN GASC 20.12.2017)

Interreligiöse Angriffe "Green Zone" in Kabul

Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).

Eine Erweiterung der sogenannten Green Zone ist geplant; damit wird Verbündeten der NATO und der US-Amerikaner ermöglicht, auch weiterhin in der Hauptstadt Kabul zu bleiben ohne dabei Risiken ausgesetzt zu sein. Kabul City Compound - auch bekannt als das ehemalige Hauptquartier der amerikanischen Spezialkräfte, wird sich ebenso innerhalb der Green Zone befinden. Die Zone soll hinkünftig vom Rest der Stadt getrennt sein, indem ein Netzwerk an Kontrollpunkten durch Polizei, Militär und privaten Sicherheitsfirmen geschaffen wird. Die Erweiterung ist ein großes öffentliches Projekt, das in den nächsten zwei Jahren das Zentrum der Stadt umgestalten soll; auch sollen fast alle westlichen Botschaften, wichtige Ministerien, sowie das Hauptquartier der NATO und des US-amerikanischen Militärs in dieser geschützten Zone sein. Derzeit pendeln tagtäglich tausende Afghaninnen und Afghanen durch diese Zone zu Schulen und Arbeitsplätzen (NYT 16.9.2017).

Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul - dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizist/innen werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten schrittweise umgesetzt werden (Reuters 6.8.2017).

Ein erweiterter Bereich, die sogenannte "Blue Zone" soll ebenso errichtet werden, die den Großteil des Stadtzentrums beinhalten soll - in diesem Bereich werden strenge Bewegungseinschränkungen, speziell für Lastwagen, gelten. Lastwagen werden an einem speziellen externen Kontrollpunkt untersucht. Um in die Zone zu gelangen, müssen sie über die Hauptstraße (die auch zum Flughafen führt) zufahren (BBC 6.8.2017; vgl. Reuters 6.8.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Informationen zur Stärke der ANDSF und ihrer Opferzahlen werden von den US-amerikanischen Kräften in Afghanistan (USFOR-A) geheim gehalten; im Bericht des US Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR) werden Schätzungen angegeben:

Die Stärke der ANDSF ist in diesem Quartal zurückgegangen; laut USFOR-A Betrug die Stärke der ANDSF mit Stand August 2017 etwa 320.000 Mann - dies deutet einen Rückgang von 9.000 Mann gegenüber dem vorhergehenden Quartal an. Dennoch erhöhte sich der Wert um

3.500 Mann gegenüber dem Vorjahr (SIGAR 30.10.2017). Die Schwundquote der afghanischen Nationalpolizei war nach wie vor ein großes Anliegen; die Polizei litt unter hohen Opferzahlen (UN GASC 20.12.2017). Im Rahmen eines Memorandum of Understanding (MoU) zwischen dem afghanischen Verteidigungs- und Innenministerium wurde die afghanische Grenzpolizei (Afghan Border Police) und die afghanische Polizei für zivile Ordnung (Afghan National Civil Order Police) dem Verteidigungsministerium übertragen (UN GASC 20.12.2017). Um sogenanntem "Geisterpersonal" vorzubeugen, werden seit 1.1.2017 Gehälter nur noch an jenes Personal im Innen- und Verteidigungsministerium ausbezahlt, welches ordnungsgemäß registriert wurde (SIGAR 30.10.2017)

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Taliban

Die Taliban waren landesweit handlungsfähig und zwangen damit die Regierung erhebliche Ressourcen einzusetzen, um den Status Quo zu erhalten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive im April, haben die Taliban - im Gegensatz zum Jahr 2016 - keine größeren Versuche unternommen Provinzhauptstädte einzunehmen. Nichtsdestotrotz, gelang es den Taliban zumindest temporär einige Distriktzentren zu überrennen und zu halten; dazu zählen der Distrikt Taywara in der westlichen Provinz Ghor, die Distrikte Kohistan und Ghormach in der nördlichen Provinz Faryab und der Distrikt Jani Khel in der östlichen Provinz Paktia. Im Nordosten übten die Taliban intensiven Druck auf mehrere Distrikte entlang des Autobahnabschnittes Maimana-Andkhoy in der Provinz Faryab aus; die betroffenen Distrikte waren: Qaramol, Dawlat Abad, Shirin Tagab und Khwajah Sabz Posh. Im Süden verstärkten die Taliban ihre Angriffe auf Distrikte, die an die Provinzhauptstädte von Kandahar und Helmand angrenzten (UN GASC 21.9.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Die Operationen des ISIL-KP in Afghanistan sind weiterhin auf die östliche Region Afghanistans beschränkt - nichtsdestotrotz bekannte sich die Gruppierung landesweit zu acht nennenswerten Vorfällen, die im Berichtszeitraum von den UN registriert wurden. ISIL-KP verdichtete ihre Präsenz in der Provinz Kunar und setze ihre Operationen in Gegenden der Provinz Nangarhar fort, die von den ANDSF bereits geräumt worden waren. Angeblich wurden Aktivitäten des ISIL-KP in den nördlichen Provinzen Jawzjan und Sar-e Pul, und den westlichen Provinzen Herat und Ghor berichtet (UN GASC 21.9.2017).

Im sich zuspitzenden Kampf gegen den ISIL-KP können sowohl die ANDSF, als auch die Koalitionskräfte auf mehrere wichtige Erfolge im zweiten Quartal verweisen (SIGAR 31.7.2017): Im Juli wurde im Rahmen eines Luftangriffes in der Provinz Kunar der ISIL-KP-Emir, Abu Sayed, getötet. Im August wurden ein weiterer Emir des ISIL-KP, und drei hochrangige ISIL-KP-Führer durch einen Luftangriff getötet. Seit Juli 2016 wurden bereits drei Emire des ISIL-KP getötet (Reuters 13.8.2017); im April wurde Sheikh Abdul Hasib, gemeinsam mit 35 weiteren Kämpfern und anderen hochrangigen Führern in einer militärischen Operation in der Provinz Nangarhar getötet (WT 8.5.2017; vgl. SIGAR 31.7.2017). Ebenso in Nangarhar, wurde im Juni der ISIL-KP-Verantwortliche für mediale Produktionen, Jawad Khan, durch einen Luftangriff getötet (SIGAR 31.7.2017; vgl.: Tolonews 17.6.2017).

Politische Entwicklungen

Die Vereinten Nationen registrierten eine Stärkung der Nationalen Einheitsregierung. Präsident Ghani und CEO Abdullah einigten sich auf die Ernennung hochrangiger Posten - dies war in der Vergangenheit Grund für Streitigkeiten zwischen den beiden Führern gewesen (UN GASC 21.9.2017).

Die parlamentarische Bestätigung einiger war nach wie vor ausständig; derzeit üben daher einige Minister ihr Amt kommissarisch aus. Die unabhängige afghanische Wahlkommission (IEC) verlautbarte, dass die Parlaments- und Distriktratswahlen am 7. Juli 2018 abgehalten werden (UN GASC 21.9.2017).

1.4.3 Aktualisierung der Sicherheitslage - Q3.2017

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren ab - auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017). Der afghanische Präsident Ghani hat mehrere Schritte unternommen, um die herausfordernde Sicherheitssituation in den Griff zu bekommen. So hielt er sein Versprechen den Sicherheitssektor zu reformieren, indem er korrupte oder inkompetente Minister im Innen- und Verteidigungsministerium feuerte, bzw. diese selbst zurücktraten; die afghanische Regierung begann den strategischen 4-Jahres Sicherheitsplan für die ANDSF umzusetzen (dabei sollen die Fähigkeiten der ANDSF gesteigert werden, größere Bevölkerungszentren zu halten); im Rahmen des Sicherheitsplanes sollen Anreize geschaffen werden, um die Taliban mit der afghanischen Regierung zu versöhnen; Präsident Ghani bewilligte die Erweiterung bilateraler Beziehungen zu Pakistan, so werden unter anderem gemeinsamen Anti-Terror Operationen durchgeführt werden (SIGAR 31.7.2017). Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Laut einem Bericht des amerikanischen Verteidigungsministeriums behielten die ANDSF, im Berichtszeitraum 1.12.2016-31.5.2017 trotz aufständischer Gruppierungen, auch weiterhin Kontrolle über große Bevölkerungszentren: Die ANDSF waren im Allgemeinen fähig große Bevölkerungszentren zu schützen, die Taliban davon abzuhalten gewisse Gebiete für einen längeren Zeitraum zu halten und auf Talibanangriffe zu reagieren. Die ANDSF konnten in städtischen Gebieten Siege für sich verbuchen, während die Taliban in gewissen ländlichen Gebieten Erfolge erzielen konnten, in denen die ANDSF keine dauernde Präsenz hatten. Spezialeinheiten der afghanischen Sicherheitskräfte (ASSF - Afghan Special Security Forces) leiteten effektiv offensive Befreiungsoperationen (US DOD 6.2017).

Bis Ende April 2017 lag die Truppenstärke der afghanischen Armee [ANA - Afghan National Army] bei 90,4% und die der afghanischen Nationalpolizei [ANP - Afghan National Police] bei 95,1% ihrer Sollstärke (UN GASC 20.6.2017).

High-profile Angriffe

Als sichere Gebiete werden in der Regel die Hauptstadt Kabul und die regionalen Zentren Herat und Mazar-e Sharif genannt. Die Wahrscheinlichkeit, hier Opfer von Kampfhandlungen zu werden, ist relativ geringer als zum Beispiel in den stark umkämpften Provinzen Helmand, Nangarhar und Kunduz (DW 31.5.2017).

Hauptstadt Kabul

Kabul wird immer wieder von Attentaten erschüttert (DW 31.5.2017).

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben und mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt als ein Selbstmordattentäter einen Sprengstoff beladenen Tanklaster mitten im Diplomatenviertel in die Luft sprengte (FAZ 6.6.2017; vgl. auch:

al-Jazeera 31.5.2017; The Guardian 31.5.2017; BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Bedeutend ist der Angriffsort auch deswegen, da dieser als der sicherste und belebteste Teil der afghanischen Hauptstadt gilt. Kabul war in den Wochen vor diesem Anschlag relativ ruhig (al-Jazeera 31.5.2017).

Zunächst übernahm keine Gruppe Verantwortung für diesen Angriff; ein Talibansprecher verlautbarte nicht für diesen Vorfall verantwortlich zu sein (al-Jazeera 31.5.2017). Der afghanische Geheimdienst (NDS) macht das Haqqani-Netzwerk für diesen Vorfall verantwortlich (The Guardian 2.6.2017; vgl. auch: Fars News 7.6.2017); schlussendlich bekannte sich der Islamische Staat dazu (Fars News 7.6.2017).

Nach dem Anschlag im Diplomatenviertel in Kabul haben rund 1.000 Menschen, für mehr Sicherheit im Land und eine Verbesserung der Sicherheit in Kabul demonstriert (FAZ 2.6.2017). Bei dieser Demonstration kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräften (The Guardian 2.6.2017); dabei wurden mindestens sieben Menschen getötet und zahlreiche verletzt (FAZ 2.6.2017).

Auf der Trauerfeier für einen getöteten Demonstranten- den Sohn des stellvertretenden Senatspräsidenten - kam es am 3.6.2017 erneut zu einem Angriff, bei dem mindestens 20 Menschen getötet und 119 weitere verletzt worden waren. Polizeiberichten zufolge, waren während des Begräbnisses drei Bomben in schneller Folge explodiert (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017); die Selbstmordattentäter waren als Trauergäste verkleidet (The Guardian 3.6.2017). Hochrangige Regierungsvertreter, unter anderem auch Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, hatten an der Trauerfeier teilgenommen (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017).

Herat

Anfang Juni 2017 explodierte eine Bombe beim Haupteingang der historischen Moschee Jama Masjid; bei diesem Vorfall wurden mindestens 7 Menschen getötet und 15 weitere verletzt (Reuters 6.6.2017; vgl. auch: TMN 7.6.2017). Zu diesem Vorfall hat sich keine Terrrorgruppe bekannt (TMN 7.6.2017; vgl. auch: US News 12.6.2017). Sirajuddin Haqqani - stellvertretender Leiter der Taliban und Führer des Haqqani Netzwerkes - verlautbarte, die Taliban wären für diese Angriffe in Kabul und Herat nicht verantwortlich (WP 12.6.2017).

Mazar-e Sharif

Auf der Militärbase Camp Shaheen in der nördlichen Stadt Mazar-e Sharif eröffnete Mitte Juni 2017 ein afghanischer Soldat das Feuer auf seine Kameraden und verletzte mindestens acht Soldaten (sieben US-amerikanische und einen afghanischen) (RFE/RL 17.6.2017).

Die Anzahl solcher "Insider-Angriffe" [Anm.: auch green-on-blue attack genannt] hat sich in den letzten Monaten erhöht. Unklar ist, ob die Angreifer abtrünnige Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte sind oder ob sie Eindringlinge sind, die Uniformen der afghanischen Armee tragen (RFE/RL 17.6.2017). Vor dem Vorfall im Camp Shaheen kam es dieses Jahr zu zwei weiteren registrierten Insider-Angriffen: der erste Vorfall dieses Jahres fand Mitte März auf einem Militärstützpunkt in Helmand statt: ein Offizier des afghanischen Militärs eröffnete das Feuer und verletzte drei US-amerikanische Soldaten (LWJ 11.6.2017; vgl. auch: al-Jazeera 11.6.2017).

Der zweite Vorfall fand am 10.6.2017 im Zuge einer militärischen Operation im Distrikt Achin in der Provinz Nangarhar statt, wo ein afghanischer Soldat drei US-amerikanische Soldaten tötete und einen weiteren verwundete; der Angreifer wurde bei diesem Vorfall ebenso getötet (BBC 10.6.21017; vgl. auch: LWJ 11.6.2017; DZ 11.6.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Afghanistan ist mit einer anhaltenden Bedrohung durch mehr als 20 aufständische Gruppen bzw. terroristische Netzwerke, die in der AfPak-Region operieren, konfrontiert; zu diesen Gruppierungen zählen unter anderem die Taliban, das Haqqani Netzwerk, der Islamische Staat und al-Qaida (US DOD 6.2017).

Taliban

Die Fähigkeiten der Taliban und ihrer Operationen variieren regional signifikant; sie verwerten aber weiterhin ihre begrenzten Erfolge, indem sie diese auf sozialen Medien und durch Propagandakampagnen als strategische Siege bewerben (US DOD 6.2017).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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