TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/10 W233 2181255-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.04.2019
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Entscheidungsdatum

10.04.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W233 2181255-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Andreas FELLNER als Einzelrichter über die Beschwerde des zum Zeitpunkt seiner Antragstellung auf internationalen Schutzes volljährigen XXXX , Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.11.2017,

Zahl: 1073481901 - 150668888, nach Durchführung einer mündlichen

Verhandlung am 25.03.2019 zu Recht:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG

2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, stellte nach seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 13.06.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Seinen Antrag begründete er im Rahmen seiner Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 15.06.2015 unter anderem damit, dass er von seinem Onkel als ein Ungläubiger bezichtigt werden, da er nicht bete und weil er das Fasten im Monat Ramadan nicht eingehalten habe.

1.3. In der Folge wurde der Beschwerdeführer am 09.05.2017 vor dem Bundesamt niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen zu Protokoll, dass er bereits im frühen Kindesalter mit seiner Familie seinen Herkunftsstaat Afghanistan verlassen habe und in den Iran verzogen sei. Im Iran habe er mit seinen Eltern in der Stadt XXXX in der Nähe von Teheran gelebt. Nach seinem Fluchtgrund befragt, gab er an, dass er keiner Religion angehöre und ihm von der Familie seines Vaters gedroht worden sei, dass, wenn er nicht anfange zu beten und zu fasten, sie ihn bei der Polizei anzeigen werden. Auf Nachfrage, wer in konkret bedroht habe, führte er aus, dass dies sein Onkel gewesen sei.

1.4. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 46 FPG ist und ihm dafür gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist für seine freiwillige Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt.

1.5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.

1.6. Zur Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts fand am 25.03.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit des Beschwerdeführers und seines Rechtsvertreters statt, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen, seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat sowie seiner Integration in Österreich befragt wurde. Bereits vorab hat das Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 20.02.2019 dem Beschwerdeführer das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29.06.2018 und die UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 mit der Einladung dazu binnen einer Frist von zwei Wochen eine Stellungnahme abzugeben, zur Kenntnis und somit ins Verfahren eingebracht. Das Bundesamt hat auf die ihm mittels E-Zustellung am 20.02.2019 erfolgte Ladung nicht reagiert und hat somit unentschuldigt an dieser Verhandlung nicht teilgenommen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes des Beschwerdeführers, beinhaltend die Befragungen vom 15.06.2015 (Erstbefragung) sowie vom 09.05.2017 (niederschriftliche Einvernahme), den gegenständlichen Bescheid vom 23.11.2107 und die Beschwerde vom 24.12.2017; durch Einvernahme des Beschwerdeführers im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 25.03.2019; durch Einsichtnahme in die im Verlauf des Verfahrens vorgelegten Unterlagen und Stellungnahmen, in aktuelle Auszüge aus Strafregister, GVS, IZR und ZMR sowie durch Einsichtnahme in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29.06.2018 und die UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018. Demnach steht folgender Sachverhalt fest:

2. Feststellungen:

2.1. Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und ist ein Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan. Er gehört der Volksgruppe der Hazara an. Der Beschwerdeführer hat keine Kenntnis über sein tatsächliches Geburtsdatum. Laut einem über Auftrag des Bundesamts eingeholten gerichtsmedizinischen Gutachten wies der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt seiner Untersuchung am XXXX ein Mindestalter von 18 Jahren auf und war zum Zeitpunkt seiner Antragstellung auf internationalen Schutz mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits 18 Jahre alt.

2.2. Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan als Moslem geboren fühlt sich aber seit seinem 14. oder 15. Lebensjahr keiner Religionsgemeinschaft zugehörig und bezeichnet sich selbst als jemanden, dem Religion nichts bedeute.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan würde der als Moslem geborene Beschwerdeführer nicht zum Islam, der Staatsreligion Afghanistans, zurückkehren.

2.3. Im Entscheidungszeitpunkt kann im Hinblick auf die aktuelle Lage in Afghanistan für als Muslime Geborene nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan auf Grund seines Abfalls vom Islam (Apostasie) keiner asylrelevanten Verfolgung unterliegt.

Dem Beschwerdeführer steht als vom Islam Abgefallenen keine innerstaatliche Fluchtalternative offen.

2.4. Der Beschwerdeführer verfügt über ein Deutschzertifikat auf dem Niveau B1 und besucht einen Vorbereitungslehrgang zum Erwerb des Pflichtschulabschlusses.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

2.5. Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Afghanistan vom 29.06.2018, mit Stand vom 08.01.2019, gekürzt und bereinigt):

4. Rechtsschutz / Justizwesen:

Gemäß Artikel 116 der Verfassung ist die Justiz ein unabhängiges Organ der Islamischen Republik Afghanistan. Die Judikative besteht aus dem Obersten Gerichtshof (Stera Mahkama, Anm.), den Berufungsgerichten und den Hauptgerichten, deren Gewalten gesetzlich geregelt sind. (Casolino 2011). Die wichtigste religiöse Institution des Landes ist der Ulema-Rat (Afghan Ulama Council - AUC, Shura-e ulama-e afghanistan, Anm.), eine nationale Versammlung von Religionsgelehrten, die u.a. den Präsidenten in islamrechtlichen Angelegenheiten berät und Einfluss auf die Rechtsformulierung und die Auslegung des existierenden Rechts hat (USDOS 15.8.2017; vgl. AB 7.6.2017, AP o.D.).

Das afghanische Justizwesen beruht sowohl auf dem islamischen [Anm.:

Scharia] als auch auf dem nationalen Recht; letzteres wurzelt in den deutschen und ägyptischen Systemen (NYT 26.12.2015; vgl. AP o.D.).

Die rechtliche Praxis in Afghanistan ist komplex: Einerseits sieht die Verfassung das Gesetzlichkeitsprinzip und die Wahrung der völkerrechtlichen Abkommen, einschließlich Menschenrechtsverträge, vor, andererseits formuliert sie einen unwiderruflichen Scharia-Vorbehalt. Ein Beispiel dieser Komplexität ist das neue Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist (AP o.D.; vgl. vertrauliche Quelle 10.4.2018). Die Organe der afghanischen Rechtsprechung sind durch die Verfassung dazu ermächtigt, sowohl das formelle als auch das islamische Recht anzuwenden (AP o.D.).

Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist in der Verfassung verankert, wird aber in der Praxis selten umgesetzt. Die Umsetzung der rechtlichen Bestimmungen ist innerhalb des Landes uneinheitlich. Dem Gesetz nach gilt für alle Bürger/innen die Unschuldsvermutung und Angeklagte haben das Recht, beim Prozess anwesend zu sein und Rechtsmittel einzulegen; jedoch werden diese Rechte nicht immer respektiert. Bürger/innen sind bzgl. ihrer Verfassungsrechte oft im Unklaren und es ist selten, dass Staatsanwälte die Beschuldigten über die gegen sie erhobenen Anklagen genau informieren. Die Beschuldigten sind dazu berechtigt, sich von einem Pflichtverteidiger vertreten und beraten zu lassen; jedoch wird dieses Recht aufgrund eines Mangels an Strafverteidigern uneinheitlich umgesetzt (USDOS 20.4.2018). In Afghanistan existieren keine Strafverteidiger nach dem westlichen Modell; traditionell dienten diese nur als Mittelsmänner zwischen der anklagenden Behörde, dem Angeklagten und dem Gericht. Seit 2008 ändert sich diese Tendenz und es existieren Strafverteidiger, die innerhalb des Justizministeriums und auch außerhalb tätig sind (NYT 26.12.2015). Der Zugriff der Anwälte auf Verfahrensdokumente ist oft beschränkt (USDOS 3.3.2017) und ihre Stellungnahmen werden während der Verfahren kaum beachtet (NYT 26.12.2015). Berichten zufolge zeigt sich die Richterschaft jedoch langsam respektvoller und toleranter gegenüber Strafverteidigern (USDOS 20.4.2018). Gemäß einem Bericht der New York Times über die Entwicklung des afghanischen Justizwesens wurden im Land zahlreiche Fortbildungskurse für Rechtsgelehrte durch verschiedene westliche Institutionen durchgeführt. Die Fortbildenden wurden in einigen Fällen mit bedeutenden Aspekten der afghanischen Kultur (z. B. Respekt vor älteren Menschen), welche manchmal mit der westlichen Orientierung der Fortbildenden kollidierten, konfrontiert. Auch haben Strafverteidiger und Richter verschiedene Ausbildungshintergründe:

Während Strafverteidiger rechts- und politikwissenschaftliche Fakultäten besuchen, studiert der Großteil der Richter Theologie und islamisches Recht (NYT 26.12.2015).

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan üblicherweise akzeptiert wird, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang; oft werden die Bestimmungen des islamischen Rechts zugunsten des Gewohnheitsrechts missachtet, welches den Konsens innerhalb der Gemeinschaft aufrechterhalten soll (USIP 3.2015; vgl. USIP o.D.). Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht. Dazu zählen unter anderem das Frauenrecht, Strafrecht und -verfahren, die Verbindlichkeit von Rechten gemäß internationalem Recht und der gesamte Bereich der Grundrechte (USIP o. D.).

Laut dem allgemeinen Islamvorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Trotz großer legislativer Fortschritte in den vergangenen 14 Jahren gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia, Gewohnheits-/Stammesrecht) (AA 9.2016; vgl. USIP o.D., NYT 26.12.2015, WP 31.5.2015, AA 5.2018). Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so ist nicht festgelegt, welches Gesetz im Fall eines Konflikts zwischen dem traditionellen islamischen Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und eine fehlende Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen (AA 5.2018).

Das kodifizierte Recht wird unterschiedlich eingehalten, wobei Gerichte gesetzliche Vorschriften oft zugunsten der Scharia oder lokaler Gepflogenheiten missachteten. Bei Angelegenheiten, wo keine klar definierte Rechtssetzung angewendet werden kann, setzen Richter und lokale Schuras das Gewohnheitsrecht (welches auch nicht einheitlich ist, Anm.) durch (USDOS 20.4.2018).

Gemäß dem "Survey of the Afghan People" der Asia Foundation (AF) nutzten in den Jahren 2016 und 2017 ca. 20.4% der befragte Afghan/innen nationale und lokale Rechtsinstitutionen als Schlichtungsmechanismen. 43.2% benutzten Schuras und Jirgas, währed 21.4% sich an die Huquq-Abteilung [Anm.: "Rechte"-Abteilung] des Justizministeriums wandten. Im Vergleich zur städtischen Bevölkerung bevorzugten Bewohner ruraler Zentren lokale Rechtsschlichtungsmechanismen wie Schuras und Jirgas (AF 11.2017; vgl. USIP o.D., USDOS 20.4.2018). Die mangelnde Präsenz eines formellen Rechtssystems in ruralen Gebieten führt zur Nutzung lokaler Schlichtungsmechanismen. Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, da die Zentralregierung dort am stärksten ist, während es in den ländlichen Gebieten - wo ungefähr 76% der Bevölkerung leben - schwächer ausgeprägt ist (USDOS 3.3.2017; vgl. USDOS 20.4.2018). In einigen Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle setzen die Taliban ein paralleles auf der Scharia basierendes Rechtssystem um (USDOS 20.4.2018).

Die Unabhängigkeit des Justizwesens ist gesetzlich festgelegt; jedoch wird die afghanische Judikative durch Unterfinanzierung, Unterbesetzung, inadäquate Ausbildung, Unwirksamkeit und Korruption unterminiert (USDOS 20.4.2018). Rechtsstaatliche (Verfahrens-)Prinzipien werden nicht konsequent angewandt (AA 9.2016). Dem Justizsystem mangelt es weiterhin an der Fähigkeit die hohe Anzahl an neuen und novellierten Gesetzen einzugliedern und durchzuführen. Der Zugang zu Gesetzestexten wird zwar besser, ihre geringe Verfügbarkeit stellt aber für einige Richter/innen und Staatsanwälte immer noch eine Behinderung dar. Die Zahl der Richter/innen, welche ein Rechtsstudium absolviert haben, erhöht sich weiterhin (USDOS 3.3.2017). Im Jahr 2017 wurde die Zahl der Richter/innen landesweit auf 1.000 geschätzt (CRS 13.12.2017), davon waren rund 260 Richterinnen (CRS 13.12.2017; vgl. AT 29.3.2017). Hauptsächlich in unsicheren Gebieten herrscht ein verbreiteter Mangel an Richtern und Richterinnen. Nachdem das Justizministerium neue Richterinnen ohne angemessene Sicherheitsmaßnahmen in unsichere Provinzen versetzen wollte und diese protestierten, beschloss die Behörde, die Richterinnen in sicherere Provinzen zu schicken (USDOS 20.4.2018). Im Jahr 2015 wurde von Präsident Ghani eine führende Anwältin, Anisa Rasooli, als erste Frau zur Richterin des Obersten Gerichtshofs ernannt, jedoch wurde ihr Amtsantritt durch das Unterhaus [Anm.: "wolesi jirga"] verhindert (AB 12.11.2017; vgl. AT 29.3.2017). Auch existiert in Afghanistan die "Afghan Women Judges Association", ein von Richterinnen geführter Verband, wodurch die Rechte der Bevölkerung, hauptsächlich der Frauen, vertreten werden sollen (TSC o.D.).

Korruption stellt weiterhin ein Problem innerhalb des Gerichtswesens dar (USDOS 20.4.2017; vgl. FH 11.4.2018); Richter/innen und Anwält/innen sind oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffnete Gruppen (FH 11.4.2018), um Entlassungen oder Reduzierungen von Haftstrafen zu erwirken (USDOS 20.4.2017). Wegen der Langsamkeit, der Korruption, der Ineffizienz und der politischen Prägung des afghanischen Justizwesens hat die Bevölkerung wenig Vertrauen in die Judikative (BTI 2018). Im Juni 2016 errichtete Präsident Ghani das "Anti-Corruption Justice Center" (ACJC), um innerhalb des Rechtssystems gegen korrupte Minister/innen, Richter/innen und Gouverneure/innen vorzugehen, die meist vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt waren (AB 17.11.2017; vgl. Reuters 12.11.2016). Der afghanische Generalprokurator Farid Hamidi engagiert sich landesweit für den Aufbau des gesellschaftlichen Vertrauens in das öffentliche Justizwesen (BTI 2018). Seit 1.1.2018 ist Afghanistan für drei Jahre Mitglied des Human Rights Council (HRC) der Vereinten Nationen. Mit Unterstützung der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) und des Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) arbeitet die afghanische Regierung an der Förderung von Rechtsstaatlichkeit, der Rechte von Frauen, Kindern, Binnenflüchtlingen und Flüchtlingen sowie Zuschreibung von Verantwortlichkeit (HRC 21.2.2018).

15. Religionsfreiheit;

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5.2018; vgl. CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (USDOS 15.8.2017).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 15.8.2017). Der politische Islam behält in Afghanistan die Oberhand; welche Gruppierung - die Taliban (DeobandiHanafismus), der IS (Salafismus) oder die afghanische Verfassung (moderater Hanafismus) religiös korrekter ist, stellt jedoch weiterhin eine Kontroverse dar. Diese Uneinigkeit führt zwischen den involvierten Akteuren zu erheblichem Streit um die Kontrolle bestimmter Gebiete und Anhängerschaft in der Bevölkerung (BTI 2018).

Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, enthält keine Definition von Apostasie (vgl. MoJ 15.5.2017). Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Proselytismus (Missionierung, Anm.) illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 15.8.2017) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323). Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 15.8.2017).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (FH 11.4.2018).

Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (USDOS 15.8.2017; vgl. AA 5.2018); so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger/innen unabhängig von ihrer Religion (AA 5.2018). Wenn weder die Verfassung noch das Straf- bzw. Zivilgesetzbuch bei bestimmten Rechtsfällen angewendet werden können, gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung. Laut Verfassung sind die Gerichte dazu berechtigt, das schiitische Recht anzuwenden, wenn die betroffene Person dem schiitischen Islam angehört. Gemäß der Verfassung existieren keine eigenen, für NichtMuslime geltende Gesetze (USDOS 15.8.2017).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten (USDOS 15.8.2017). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nichtmuslimischen Glauben deklariert (HO U.K. 2.2017; vgl. USDOS 10.8.2016). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über die Konfession des/der Inhabers/Inhaberin. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt (USDOS 15.8.2017). Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 15.8.2017).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 15.8.2017).

Christen berichteten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die meistens während ihres Aufenthalts im Ausland zum Christentum konvertierten, würden aus Furcht vor Vergeltung ihren Glauben alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern ausüben (USDOS 15.8.2017).

Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (CRS 13.12.2017).

Beobachtern zufolge sinkt die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet (USDOS 15.8.2017).

Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 15.8.2017; vgl. CRS 13.12.2017, FH 11.4.2018). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 15.8.2017).

3. Beweiswürdigung:

3.1. Die Feststellungen zum Namen, zur Staatsangehörigkeit und der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara des Beschwerdeführers beruhen auf seinen diesbezüglich während des gesamten Verfahrens gleichlautenden Angaben an deren Richtigkeit der erkennende Richter keine Zweifel hegt. Die Feststellung in Bezug auf seine Unkenntnis seines tatsächlichen Geburtsdatums gründet sich auf seine glaubhaften Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, jene, dass er zum Zeitpunkt seiner Antragstellung ein Alter von 18 Jahren aufwies, auf ein über Auftrag des Bundesamtes eingeholtes gerichtsmedizinisches Gutachten.

3.2. Die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer als Moslem geboren wurde und sich seit seinem 14. oder 15. Lebensjahr keiner Religionsgemeinschaft zugehörig fühlt und sich selbst als jemand bezeichnet, dem Religion nichts bedeute, stützt sich auf seine im gesamten Verfahren vorgebrachten Fluchtgrund, dass er keine Religion habe. In der mündlichen Beschwerdeverhandlung konnte der Beschwerdeführer glaubhaft machen, dass er an keinen Gott glaube. So bekräftigte er, dass Religion für ihn nichts bedeute, da diese von den Eltern den Kindern bloß weitergegeben werde. Er hingegen glaube an Sachen, die man beweisen könne. Früher hätten die Menschen blind an Sachen geglaubt, die in den Religionsbüchern stehen. Auf Nachfrage gab der Beschwerdeführer in der mündlichen Beschwerdeverhandlung an, dass er neben dem Islam auch gegenüber dem Christentum, Judentum oder Buddhismus kritisch eingestellt sei. Befragt, ob er denn die Aussage teile, dass Gott die Welt erschaffen habe, gab der Beschwerdeführer an, dass er diesen Gott nicht sehe. Er denke eher wissenschaftlich, so wie Darwin. Darwin habe gesagt, dass die Menschen vom Affen abstammen würden, was für ihn logisch sei. Es sei für ihn auch nicht nachvollziehbar, dass ein Mensch sein Leben einem Gott widme. Auch glaube er an kein höheres Wesen, sondern daran, dass jeder für sein Leben selbst verantwortlich ist.

Diesen Angaben des Beschwerdeführers ist eindeutig zu entnehmen, dass er die in Afghanistan zur Staatsreligion erhobene Religion des Islam sowie die seiner Ansicht nach im Namen dieser Religion in Afghanistan üblichen religiösen Praktiken tatsächlich ernsthaft ablehnt und sich aus innerer Überzeugung vom Islam abgewendet hat und im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan auch nicht wieder zur afghanischen Staatsreligion des Islam zurückkehren würde. Darüber hinaus kann sich der Beschwerdeführer auch mit den Inhalten anderer Religionsgemeinschaften nicht identifizieren. Der Beschwerdeführer hat dem erkennenden Richter in der Beschwerdeverhandlung gegenüber seine Ansicht über den Islam und die vom ihm gezogene Konsequenz, nämlich die Ablehnung bzw. den Abfall von dieser Religionsgemeinschaft, vehement vertreten und überzeugend dargelegt, dass er aufgrund seiner inneren Einstellung nicht an einen Gott glaubt, sondern Religion im Allgemeinen für ihn nichts bedeute, sohin er Atheist ist. Für die Annahme einer Apostasie lediglich zum Schein bzw. zum Zweck der Asylerlangung finden sich sohin keine Anhaltspunkte.

3.3. Dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr als in Afghanistan als Moslem Geborener aufgrund seine Abfalls vom Islam mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung drohen würde, beruht auf den diesem Verfahren zugrunde gelegten Länderinformationen. Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Diese aktuellen Länderfeststellungen über Afghanistan stützen die Feststellung, dass der Beschwerdeführer als ein als Moslem geborener Atheist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung wegen seines nunmehr areligiösen Lebens zu befürchten hat. In diesem Zusammenhang ist in den Länderinformationen ausgeführt, dass laut Verfassung, der Islam die Staatsreligion in Afghanistan ist. Zwar enthält das neue afghanische Strafgesetzbuch vom 15.02.2018 keine Definition von Apostasie, doch gilt laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie, die falls sie nicht innerhalb von drei Tagen widerrufen werden sollte, bei Männern mit Enthauptung zu bestrafen ist. Ein Richter kann jedoch eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. In Bezug auf das Justizwesen ist in den einschlägigen Länderinformationen festgehalten, dass das afghanische Justizwesen sowohl auf dem islamischen Recht (Scharia) als auch auf dem nationalen Recht beruht. Die Organe der afghanischen Rechtsprechung sind durch die Verfassung dazu ermächtigt, sowohl das formelle als auch das islamische Recht anzuwenden. Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist in der Verfassung zwar verankert, wird aber in der Praxis selten umgesetzt. Auch wird das kodifizierte Recht unterschiedlich eingehalten, wobei die Gerichte gesetzliche Vorschriften oft zugunsten der Scharia oder lokaler Gepflogenheiten missachten. Bei Angelegenheiten, wo keine klar definierte Rechtsetzung angewendet werden kann, setzten die Richter das Gewohnheitsrecht durch. Während Strafverteidiger rechts- und politikwissenschaftliche Fakultäten besuchen, studiert der Großteil der Richter Theologie und islamisches Recht.

Einzelfallbezogen ergibt sich aus dem glaubhaften Vorbringen des Beschwerdeführers in Verbindung mit den getroffenen Feststellungen zur Situation von Atheisten in Afghanistan, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan aktuell Gefahr liefe, einer Verfolgung wegen des Vorwurfs des Abfalls vom Islam (= Apostasie) - somit aus religiösen Gründen - ausgesetzt zu sein. Für den Vorwurf der Apostasie ist nicht der formelle Übertritt in einer anderen Religion zwingend erforderlich (was vom Beschwerdeführer im gegenständlichen Fall auch nicht vorgebracht wurde, sondern hat dieser angegeben, dass ihn Religion im Allgemeinen nicht interessiere).

Aufgrund der sich aus den Länderfeststellungen ergebenden Situation von Apostaten im gesamten afghanischen Staatsgebiet steht dem Beschwerdeführer auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung.

Aufgrund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer seine Ablehnung jeglicher Religionsgemeinschaft glaubhaft machen konnte, war eine weitere Erörterung seines Fluchtvorbringens obsolet und erübrigt sich daher eine weitere Auseinandersetzung mit diesem.

3.4. Dass der Beschwerdeführer über Kenntnisse der deutschen Sprache auf dem Niveau B.1. verfügt stützt sich auf die Vorlage entsprechender Zeugnisse. Dass der Beschwerdeführer strafrechtliche unbescholten ist, gründet sich auf die Einsichtnahme in sein aktuelles Strafregister.

4. Rechtliche Beurteilung

Zu A) Asyl

4.1. Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ist einem Fremden, der in Österreich einen (zulässigen) Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) verweist). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0080, mwN).

Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist, dass die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen steht. Sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet (vgl. VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0113).

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl. VwGH 15.03.2001, 99/20/0036). Eine inländische Fluchtalternative ist nur dann gegeben, wenn sie vom Asylwerber in zumutbarer Weise in Anspruch genommen werden kann. Herrschen am Ort der ins Auge gefassten Fluchtalternative - nicht notwendigerweise auf Konventionsgründen beruhende - Bedingungen, die eine Verbringung des Betroffenen dorthin als Verstoß gegen Art. 3 EMRK erscheinen lassen würden, so ist die Zumutbarkeit jedenfalls zu verneinen (vgl. VwGH 16.12.2010, 2007/20/0913). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "internen Flucht- oder Schutzalternative" innewohnt, setzt voraus, dass nähere Feststellungen über die zu erwartende konkrete Lage des Betroffenen in dem in Frage kommenden Gebiet getroffen werden (vgl. VwGH 29.04.2015, Ra 2014/20/0151, mwN).

Um die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu erreichen, müssen konkrete, gegen den Asylwerber selbst gerichtete Verfolgungshandlungen glaubhaft gemacht werden (VwGH 10.03.1994, 94/19/0056). In diesem Zusammenhang hat der Betroffene die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darzustellen (EGMR 07.07.1987, Nr. 12877/87, Kalema/Frankreich).

4.2. § 3 Abs. 2 AsylG 2005 lautet: "(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe)."

§ 3 Abs. 2 AsylG 2005 ist Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über die Normen für die Anerkennung von Dirttstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes Abl L 337/9 vom 20.12.2011 (Statusrichtlinie), nachgebildet.

Art. 5 Abs. 2 Statusrichtlinie lautet: "Die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, kann auf Aktivitäten des Antragstellers nach Verlassen des Herkunftslandes beruhen, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind."

Der VfGH hat ausgesprochen, dass asylrelevante Verfolgung gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 auch auf Aktivitäten beruhen kann, die der Fremde seit dem Verlassen des Herkunftsstaats gesetzt hat (VfGH 12.12.2013, U 2272/2012).

4.3. Nach islamischem Verständnis bedeutet der Abfall vom Islam einen hochverratsähnlichen Angriff auf das Staats- und Gesellschaftssystem und ist nicht auszuschließen, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr Afghanistan dort Verfolgungshandlungen bis hin zur Todesstrafe ausgesetzt ist.

4.4. Mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers, wegen seines Abfalls vom Islam, konkret, dass er sich im Iran seit seinem 14. oder 15 Lebensjahr nicht mehr für Religion interessiere, nicht bete und auch zu Ramadan nicht faste, macht der Beschwerdeführer einen subjektiven Nachfluchtgrund geltend (vgl. § 3 Abs. 2 AsylG 2005).

Bei einer erst nach Verlassen des Herkunftsstaates erfolgten Abwendung eines Fremden vom Islam ist zu prüfen, ob diese Abwendung allenfalls bloß zum Schein erfolgt ist. In vergleichbaren Fällen hat der Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf die Konversion vom Islam zum Christentum in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, dass ein Fremder der nicht behauptet, im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat wieder vom christlichen Glauben zum Islam übertreten zu wollen, und ist der Fremde nicht nur zum Schein zum Christentum konvertiert, kommt es nicht auf die Frage an, welche Konsequenzen der Asylwerber wegen einer bloß vorübergehenden, der Asylerlangung dienenden Annahme des christlichen Glaubens zu befürchten hätte. Vielmehr ist maßgeblich, ob er bei weiterer Ausführung seines behaupteten inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion (allenfalls sogar mit der Todesstrafe) belegt zu werden (VwGH 24.10.2001, 99/20/0550; VwGH 19.12.2001, 2000/20/0369; VwGH 17.10.2002, 2000/20/0102; VwGH 30.06.2005, 2003/20/0544; VwGH 14.11.2007, 2004/20/0485; VwGH 24.09.2014, Ra 2014/19/0048 m.w.N.; VwGH 23.06.2015, Ra 2014/01/0117). Diese Rechtsprechung zur Konversion vom Islam zum Christentum ist auch auf den konkreten Einzelfall des Beschwerdeführers, der sich ohne einen formellen Übertritt zu einer anderen Religion vom Islam losgesagt hat, zu beachten. Denn der Vorwurf sich der Apostasie schuldig gemacht zu haben, kann auch aus moslemisch-religiösen Pflichten leugnenden Verhaltensweisen, nämlich zu beten und zu fasten, resultieren. Ein Verstoß gegen die Scharia - wie unter anderem Apostasie - zieht in Afghanistan den dieser Entscheidung zugrunde gelegten Erkenntnisquellen zufolge sowohl staatliche als auch nichtstaatliche Verfolgung nach sich. Im Fall des Beschwerdeführers ist jedenfalls davon auszugehen, dass sein Abfall vom Islam bzw. sein "Bekenntnis" zum Atheismus aus einem inneren Entschluss erfolgt ist und er sein "Nichtglauben" auch im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan ausleben würde.

Bei Zugrundelegung der Sachverhaltsfeststellungen zur Situation in Afghanistan ist zu prognostizieren, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan als eine Person, die eines Verstoßes gegen die Scharia wegen Apostasie bezichtigt wird, mit hoher Wahrscheinlichkeit Eingriffen von erheblicher Intensität seitens konservativ-religiöser Personen (etwa durch Geistliche und/oder auch Taliban) und der strafrechtlichen staatlichen Verfolgung ausgesetzt sein wird.

Da nicht davon auszugehen ist, dass der Beschwerdeführer seine Apostasie widerruft bzw. ihm dies als überzeugten Atheisten auch nicht zumutbar ist, sprechen im Fall des Beschwerdeführers - unter Einbeziehung der Situation von Konvertiten und Apostaten in Afghanistan - konkrete und substanzielle Anhaltspunkte für das Vorliegen einer aktuellen, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit vorliegenden Gefahr persönlich und konkret für den Beschwerdeführer. Laut den aktuellen Länderberichten ist der Islam in Afghanistan die Staatsreligion und nur Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben, wobei der politische Islam in Afghanistan die Oberhand behält. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts zu verstehen. Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan daher für Muslime nicht. Der islamische Klerus sowie viele Bürgerinnen und Bürger sehen die Abkehr vom Islam als Verstoß gegen die Grundsätze des Islam an. Konversion - als ein Akt des Abfalls vom Glauben und als ein Verbrechen gegen den Islam - ist mit Todesstrafe bedroht, wenn der Konvertit nicht widerruft.

Es ist nach dem Gesagten nicht davon auszugehen, dass der afghanische Staat - sofern er nicht selbst wegen des Verstoßes gegen die Scharia bzw. wegen Apostasie verfolgt - in der Lage wäre, Personen, die von Seiten nichtstaatlicher Akteure bedroht werden, ausreichend Schutz zu gewähren. Der afghanische Staat ist nur sehr beschränkt in der Lage, die Sicherheit der afghanischen Bevölkerung zu garantieren, die Zentralregierung verfügt nicht über das Machtmonopol, um die Bürger ausreichend zu schützen. Fallbezogen ist daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer angesichts des ihn treffenden Verfolgungsrisikos keinen ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat finden kann.

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt nur dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einen in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich jenen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung anknüpft. Im Fall des Beschwerdeführers liegt das oben dargestellte Verfolgungsrisiko unzweifelhaft in seiner nunmehrigen religiösen Überzeugung - dem Atheismus - begründet.

Aufgrund des in ganz Afghanistans gültigen islamischen Rechts (Scharia) und der in der Praxis angewendeten islamischen Rechtsprechung sowie aufgrund der in der afghanischen Gesellschaft bestehenden Traditionen und der Intoleranz gegenüber Apostaten bzw. Konvertiten gegenüber (im Fall des Beschwerdeführers kann von einer Konversion zum Atheismus gesprochen werden), ist davon auszugehen, dass sich die oben dargelegte Situation für den Beschwerdeführer im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan gleichermaßen darstellt, weshalb keine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 AsylG für den Beschwerdeführer besteht.

Da dem Beschwerdeführer aufgrund seiner religiösen Überzeugung, die zu seiner Apostasie geführt hat und aufgrund der er jedenfalls einer Verfolgung in Afghanistan aller Wahrscheinlichkeit nach sowohl von Seiten des Staates als auch von Seiten von Privatpersonen ausgesetzt wäre, Asyl gewährt wurde, erübrigt sich eine nähere Auseinandersetzung mit etwaigen weiteren asylrelevanten Aspekten im Vorbringen des Beschwerdeführers, wie insbesondere eine drohende Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara.

Das Vorliegen eines Asylausschlussgrundes (Artikel 1 Abschnitt D, F der GFK und § 6 AsylG) oder eines Endigungsgrundes (Artikel 1 Abschnitt C der GFK) ist nicht hervorgekommen. Dem Beschwerdeführer war daher gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Der Vollständigkeit halber ist anzuführen, dass sich aus dem Akteninhalt auch keine Anhaltspunkte für die Anwendbarkeit eines Ausschlussgrundes nach § 6 AsylG 2005 ergeben.

Gemäß § 3 Abs. 5 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B)

Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 vorliegt. Dass eine Konversion als subjektiver Nachfluchtgrund zur Asylgewährung führen kann, ergibt sich klar aus der unter A) zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichthofes und des Verfassungsgerichtshofes sowie der Judikatur der europäischen Gerichtshöfe. Ob ein Glaubenswechsel tatsächlich vollzogen wurde und dessen möglich Folgen für den Beschwerdeführer im Herkunftsstaat sind dagegen auf Ebene der Beweiswürdigung zu beurteilen.

Schlagworte

Apostasie, asylrechtlich relevante Verfolgung, gesamtes
Staatsgebiet, Nachfluchtgründe, Religion, Schutzunfähigkeit,
wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W233.2181255.1.00

Zuletzt aktualisiert am

23.05.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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