TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/31 W258 2185079-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.01.2019
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Entscheidungsdatum

31.01.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W258 2185065-1/9E

W258 2185018-1/9E

W258 2185066-1/9E

W258 2185073-1/9E

W258 2185068-1/14E

W258 2185069-1/9E

W258 2185079-1/16E

W258 2185067-1/8E

Schriftliche Ausfertigung des am 27.11.2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerold PAWELKA-SCHMIDT über die Beschwerde von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.)

XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX , 4.) XXXX , geb. XXXX , 5.)

XXXX , geb. XXXX , 6.) XXXX , geb. XXXX , 7.) XXXX , geb. XXXX , und

8.) XXXX , geb. XXXX , alle StA Afghanistan, alle vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, 1090 Wien, Alser Straße 20, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 15.12.2017 zu 1.) Zl. XXXX , zu 2.) Zl. XXXX , zu 3.) Zl. XXXX , zu

4.) Zl. XXXX , zu 5.) Zl. XXXX zu 6.) Zl. XXXX zu 7.) Zl. XXXX und zu 8.) Zl. XXXX wegen Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten, des Status eines subsidiär Schutzberechtigten, Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen und Erlass einer Rückkehrentscheidung nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.11.2018 zu Recht erkannt:

A)

Den Beschwerden wird teilweise Folge gegeben und die angefochtenen Bescheide dahingehend abgeändert, dass jeweils die Spruchpunkte IV. bis VI. entfallen und die Spruchpunkte II. und III. zu lauten haben:

II. XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX und XXXX , geb. XXXX werden gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

III. Ihnen wird gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 27.11.2019 erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

XXXX (in Folge kurz "BF1") und XXXX (in Folge kurz "BF2") sind miteinander verheiratet und Eltern der mj XXXX (in Folge kurz "BF3"), der mj XXXX (in Folge kurz "BF4"), des mj XXXX (in Folge kurz "BF5"), des mj XXXX (in Folge kurz "BF6"), des zum Zeitpunkt der Antragstellung mj XXXX (in Folge kurz "BF7") und des mj XXXX (in Folge kurz "BF8").

Die BF stellten am XXXX in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Die BF gaben in der am selben Tag durchgeführten Befragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zusammengefasst an, sie seien Staatsbürger der Islamischen Republik Afghanistan (in Folge kurz "Afghanistan") aus der Provinz Kabul, Distrikt Paghman, Dorf "Paghman Khel" bzw "Farman Khel". Der BF1 gehöre - ebenso wie seine Kinder - der Volksgruppe der Tadschiken an und sei sunnitischer Moslem. Die BF2 sei schiitische Hazara. Die BF hätten Afghanistan verlassen, weil die BF2 als schiitische Hazara - insbesondere von der sunnitischen Familie des BF1 - verfolgt worden sei. Auch die Kinder der BF1 und BF2 seien als Hazara beschimpft und benachteiligt worden. Der BF7 habe bei einem Bombenanschlag auf die BF2 einen Hirnschlag erlitten. Darüber hinaus sei die BF2 gezwungen worden, eine Burka zu tragen, was sie auf Grund ihrer modernen und westlichen Einstellung nicht gewollt hätte. In Afghanistan würden nach wie vor ein Bruder und eine Schwester des BF1 und die Frau des Onkels väterlicherseits der BF2 leben.

In der Einvernahme der BF1 und BF2 am XXXX und der BF5 und BF8 am 14.12.2017 führten die BF vor der belangten Behörde im Wesentlichen aus wie bisher. Der BF7 machte in seiner Einvernahme vor der belangten Behörde am 14.12.2017 keinerlei Angaben.

Mit Bescheid vom XXXX wies die belangte Behörde die Anträge der BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab, erteilte ihnen keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) und setzte die Frist für ihre freiwillige Ausreise aus dem Bundesgebiet mit zwei "Wochen/Tage" (sic!) ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VI.).

Dagegen richtet sich die gegenständlichen Beschwerden vom XXXX wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge von Verletzung von Verfahrensvorschriften in der die BF im Wesentlichen wie bisher vorbrachten und auf die schlechte Sicherheitslage in Afghanistan hinwiesen sowie ua beantragten, ihnen den Status eines Asylberechtigten in eventu eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.

Mit Schriftsatz vom XXXX legte die belangte Behörde dem erkennenden Gericht die Beschwerde unter Anschluss der Verwaltungsakten vor.

Nach Parteiengehör vom 31.10.2018 wurde XXXX mit hg Beschluss vom 06.11.2018 als Sachverständiger aus dem Fachgebiet forensische Altersdiagnostik bestellt und beauftragt, Befund und Gutachten zum Mindestalter des BF5 zu erstatten. Befund und Gutachten wurden am 13.11.2018 erstattet, den Parteien mit Beschluss vom 13.11.2018 zugestellt und ihnen freigestellt, bis zur mündlichen Verhandlung am 27.11.2018 dazu Stellung zu nehmen.

Nach Parteiengehör vom 05.10.2018 wurde XXXX mit hg Beschluss vom 12.10.2018 als Sachverständiger aus dem Fachgebiet Neurologie und Psychiatrie bestellt und beauftragt, Befund und Gutachten zu etwaigen neurologischen oder psychischen Erkrankungen des BF7 zu erstatten. Befund und Gutachten wurden am 16.11.2018 erstattet, den Parteien mit Beschluss vom 19.11.2018 zugestellt und ihnen freigestellt, bis zur mündlichen Verhandlung am 27.11.2018 dazu Stellung zu nehmen.

In der Beschwerdeverhandlung vom 27.11.2018 wurden die BF zu ihren Fluchtgründen ergänzend befragt und das Erkenntnis - Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten, Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung bis zum 27.11.2019 und Abweisung des Antrags auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten - verkündet. Die BF stellten einen Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses.

Beweise wurden aufgenommen durch Einvernahme der BF1 und BF2 als Partei sowie Einsicht in die Verwaltungsakten der BF und in die folgenden Urkunden:

* Länderinformationsblatt Afghanistan, Staatendokumentation 11.09.2018 (in Folge kurz "LIB"),

* "Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarf afghanischer Asylsuchender", UNHCR 30.08.2018 (in Folge kurz "UNHCR"),

* Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan:

Mischehen zwischen Sunniten und Schiiten, Staatendokumentation, 11.11.2014 (in Folge kurz BFA 11.11.2014),

* Diverse Empfehlungsschreiben und Bestätigungen als Konvolut (Beilage ./1), nämlich

o Empfehlungsschreiben XXXX vom 23.11.2018,

o Undatiertes Empfehlungsschreiben XXXX ,

o Bescheinigungen des XXXX vom 28.09.2018 über den Besuch eines Deutschbasiskurses für Asylsuchende (A0) des BF1 und der BF2,

o Empfehlungsschreiben der XXXX , XXXX , vom 22.11.2018 hinsichtlich des BF8,

o Empfehlungsschreiben der XXXX , XXXX , vom 22.11.2018 hinsichtlich des BF5,

o Bestätigung der Gemeinde XXXX vom 19.11.2018 über die - erfolglose - Bewerbung der BF5 und BF8 um einen Ferialjob,

o Bestätigung der XXXX GmbH vom 30.07.2018 über die - erfolglose - Bewerbung der BF5 und BF8 um einen Ferialjob,

o Undatiertes Empfehlungsschreiben des Fussballtrainers XXXX hinsichtlich der Vereinstätigkeit des BF5,

o Klassenlehrerbericht vom 17.11.2018 hinsichtlich des BF6,

o Bestätigung der XXXX GmbH über die Teilnahme des BF6 an berufspraktischen Tagen vom 11.09.2018,

o Undatierte Empfehlungsschreiben des XXXX hinsichtlich des BF6,

o Empfehlungsschreiben der Klassenvorständin 1A der XXXX vom 20.11.2018 hinsichtlich der BF4,

o Undatierter Klassenlehrbericht der XXXX hinsichtlich der BF3 sowie dem BF1 und der BF2,

o Empfehlungsschreiben XXXX , XXXX , vom 19.11.2018 hinsichtlich der BF,

o Empfehlungsschreiben der Familie XXXX vom November 2018 hinsichtlich der BF und den

o Sozialbericht der XXXX vom 16.11.2018 hinsichtlich der BF.

* Befund des XXXX vom 13.10.2017, wonach sich in den aufgenommenen Skelettabschnitten keine pathologischen Veränderungen finden, hinsichtlich des BF1 (Beilage ./2)

* Volljährigkeitsbegutachtung der XXXX vom 13.11.2018 hinsichtlich des BF5 (GZ 2185068-1/9),

* Nervenärztliches Gutachten der gerichtlich beeideten Sachverständigen XXXX vom 16.11.2017 hinsichtlich etwaiger neurologischer oder psychischer Erkrankungen des BF7 (GZ 2185065-1/10).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Der folgende Sachverhalt steht fest:

1.1. Zur individuellen Situation der BF:

1.1.1. Allgemeines:

Der BF1 ist mit der BF2 seit 1998 traditionell verheiratet, die Ehe wurde nicht registriert. Die BF3 bis BF8 sind ihre leiblichen Kinder. Die BF3 und BF8 sind Zwillinge.

Die BF sind afghanische Staatsangehörige, ihre Muttersprache ist Dari. Die BF2 gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist schiitische Muslima. Der BF1 und die BF3 bis BF8 gehören der Volksgruppe der Tadschiken an und sind sunnitische Moslem.

Der männliche BF1 wurde im Jahr 1969 oder 1970 in Afghanistan, in der Provinz Kabul, im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX , aka XXXX , geboren und ist ebendort aufgewachsen. Er hat keine Schule besucht und als Lehmarbeiter auf Baustellen gearbeitet. Der BF1 ist - abgesehen von Rückenschmerzen, wobei seine Wirbelsäule keinen pathologischen Veränderungen aufweist - gesund und arbeitsfähig.

Die weibliche BF2 wurde am 22.11.1981 in der Stadt Kabul im Distrikt Darlamant geboren und ist ebendort aufgewachsen. Sie hat zehn Jahre die Schule besucht, die zehnte Schulstufe - auf Grund der Verlobung und Hochzeit mit dem BF1 - aber nicht abgeschlossen, hat nach ihrer Hochzeit bei ihrem Mann in seinem Heimatdorf gelebt und war Hausfrau. Nach der Geburt ihrer Kinder hat sie etwa fünf Jahre in XXXX als Kindergärtnerin gearbeitet. Die BF2 ist gesund und arbeitsfähig.

Die BF3 wurde im Jahr 2009, der BF4 im Jahr 2007, der BF5 und der BF8 spätestens am 07.10.2002, der BF6 im Jahr 2005 und der BF7 im Jahr 2001 in der Provinz Kabul, im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX geboren, in dem sie bis etwa September 2013 gelebt haben. Danach sind sie gemeinsam mit ihren Eltern in die Stadt Kabul in den Bezirk XXXX gezogen.

BF5 und BF8 haben fünf Jahre die Grundschule besucht. Der BF6 hat drei Jahre die Schule besucht. Der BF7 ist bis zu seinem zwölften Lebensjahr in Afghanistan in die Schule gegangen. Die BF4 und die BF3 haben in Afghanistan keine Schule besucht; es steht ihnen aber die Möglichkeit offen, die Schule zu besuchen.

In Afghanistan leben derzeit noch die folgenden Verwandten der BF:

Hinsichtlich des BF1, ein älterer Bruder, eine Schwester, Cousins väterlicherseits und weitere entfernte Verwandte. Sie leben alle in seinem Heimatdorf.

Hinsichtlich der BF2, die Ehefrau eines - verstorbenen - Onkels väterlicherseits, die in der Stadt Kabul lebt. Ihr Leben finanziert sie durch die Unterstützung ihres Schwiegersohns, der als Taglöhner arbeitet, in einer Zweizimmerwohnung wohnt und zusätzlich für seine Frau und seine fünf Kinder obsorgepflichtig ist.

Die BF sind ungefähr im September 2015, der genaue Zeitpunkt kann nicht festgestellt werden, aus Afghanistan in Richtung Europa ausgereist. Die Fluchtkosten iHv EUR 26.000,00 haben Sie durch ihre Ersparnisse, den Verkauf von Schmuck der BF2 und des Hauses des BF1 im Heimatdorf an einen Freund des BF1 finanziert. Sie sind unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet Österreichs eingereist und haben am 23.09.2017 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

1.1.3. Zum Fluchtvorbringen:

Die Familie des BF1 und die Bewohner des Heimatdorfs des BF1 standen seiner Ehe mit der BF2 kritisch gegenüber, weil die BF1 Schiiten ist und aus der Stadt Kabul stammt, im Dorf aber üblicherweise untereinander geheiratet wird und werden soll. Die Familie des BF1 hat bereits vor der Eheschließung gewusst, dass die BF2 eine schiitische Hazara ist und hat der Ehe zugestimmt.

Weil die BF2 nicht aus dem Dorf stammt und Schiitin ist, wurden die BF1, die BF2 und ihre Kinder von den Dorfbewohnern immer wieder beschimpft und der BF1 hat von manchen Personen keine Arbeit bekommen. Die BF5, BF6, BF7 und BF8 wurden in der Schule wegen der konfessionell gemischten Ehe der BF1 und BF2 immer wieder verspottet.

Es kam zu keinen körperlichen Übergriffen auf die BF2 von ihrem Schwager, insbesondere wurde sie nicht geohrfeigt und in den Rücken getreten, weil sie sich geweigert hat, mit den anderen Frauen am Feld zu arbeiten.

Einmal wurde die BF2 im Wald beim Nachhauseweg von ihrer Arbeit von vier bis fünf Unbekannten überfallen und verletzt, der BF1 kam dazu und konnte die Angreifer in die Flucht schlagen, wobei ihm dabei die Nase gebrochen wurde und er Schnittverletzungen am Oberarm und am linken Daumen sowie Verletzungen am Rücken davongetragen hat. Der Angriff steht in keinem Bezug zur interkonfessionellen Ehe der BF1 und BF2.

Es kam zu keinem Bombenanschlag, der gezielt gegen die BF gerichtet war.

In Dalamant wurde der BF5 einmal von einem Auto verfolgt; dieser Vorfall steht in keinem Bezug zu interkonfessionellen Ehe der BF1 und BF2.

Die BF1 und BF2 haben Afghanistan gemeinsam mit ihren Kindern BF3 bis BF8 auf Grund der schlechten Sicherheits- und Versorgungslage - insbesondere in Hinblick auf ihre Kinder - verlassen.

1.1.4. Zum Gesundheitszustand des BF7 (Auszug des Nervenärztlichen Gutachtens vom 16.11.2018 OZ 9 zur AZ W258 2185079-1, dessen zitierter Inhalt festgestellt wird):

"Psychiatrisch ist von einer posttraumatischen Belastungsstörung mit anhaltender Persönlichkeitsänderung auszugehen. Ob dieses Trauma nun durch Gewalt, die Bombe, oder noch durch die Flucht entstanden und die jetzige Pubertät, Asylverfahren und drohende Abschiebung verstärkt wurde, kann nicht eindeutig festgestellt werden. Er leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung mit Persönlichkeitsänderung. Er zeigt Festzuhalten ist jedenfalls, dass der BF ein ausgeprägt regressives Verhaltensmuster mit dissoziativen Charakter, stupor-artig aufweist. Darunter versteht man, dass der Betroffene erstarrt und sowohl motorisch als auch psychisch kaum Kontakt mit der Umwelt aufnimmt. Der BF verhält sich völlig aspontan, abweisend, passiv, hält keinerlei Blickkontakt und ähnelt teilweise im Verhaltensmuster auch einem Kleinkind mit dem Bedürfnis, wieder von den Eltern, insbes. der Mutter gefüttert und betreut zu werden, auch das einnässen ist ein deutlich regressives Verhaltensmuster.

Zusätzlich ist es auch zu einem einmalig aufgetretenen Impulsdurchbruch mit sowohl auto-aggressiven Verhalten (Selbstschädigung durch Kopf gegen die Wand hauen laut Angaben der Mutter) als auch Fremd-Aggression gegen die Schwester mit Würgen gekommen. Dieser Impulsdurchbruch ereignete sich zu Silvester während der Raketenfeuer. Dieser Impulsdurchbruch ist vermutlich durch die Silvester-Knallerei provoziert gewesen und es konnten vom BF seine Emotionen nicht mehr adäquat gesteuert werden, sodass es letztlich sowohl zu Selbst- als auch Fremdverletzung geführt hat.

Aufgrund dieses Impulsdurchbruches kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass jederzeit wieder ein sowohl auto-aggressives, letztlich aber auch jederzeit, insbesondere durch Provakation (sensorische oder akustische Reize, Erinnerungen, Erlebnisse) neuerlich ein fremdaggressives Verhalten bzw. eine Fremdgefährdung im Rahmen eines neuerlichen Impulsdurchbruches eintreten kann.

[...]

Psychiatrisch ergeben sich durch das regressive und dissoziative stupor-artige Verhaltensmuster doch insoferne Einschränkungen, als dass der BF auf die Fürsorge einer Vertrauensperson, Mutter oder Vater, angewiesen ist. Dabei wird aber auch eben durch die Fürsorge das regressive Verhalten per se und auch die Abhängigkeit weiterhin aufrecht erhalten. Zum jetzigen Zeitpunkt besteht keinerlei Arbeitsfähigkeit. Zum jetzigen Zeitpunkt besteht auch keine Selbständigkeit des BF.

[...]

Aus psychiatrischer Sicht ist [im Falle einer Überführung (der Transport und die Konfrontation mit dem Ort des angeblichen Bombenanschlags) des BF nach Afghanistan] eine neuerliche Re-Traumatisierung möglich. Es sollte die Rückkehr in eine stabile Umgebung, bzw. keinerlei Bedrohung der persönlichen Sicherheit bestehen. Es sollte eine geregelte Wohnsituation, Lebenssituation im Familienverband möglich sein. Bei alleiniger Überführung des BF ist sicherlich eine deutliche Verschlechterung der jetzigen psychischen Situation anzunehmen. Eine Trennung des BF von der übrigen Familie sollte keinesfalls erfolgen, weder durch den alleinigen Aufenthalt des BF in Österreich noch durch die alleinige Überführung in das Heimatland. Der BF ist aufgrund seiner psychischen Situation auf den Aufenthalt im Familienverband angewiesen, um ihm dadurch einigermassen Sicherheit durch seine Vertrauenspersonen zu vermitteln. Derzeit hat sich auch durch die Betreuung an der Kinder- und Jugendheilkunde keine wesentliche Veränderung im Verhalten des BF ergeben, er war bis jetzt auch nicht soweit, eine entsprechende psychologische Betreuung anzunehmen. Das ausgeprägt regressive Verhaltensmuster bzw. die dissoziative Störung per se stellen keine Kontraindikation für eine Überführung dar. Die Überführung muss jedoch in eine gesicherte Umgebung erfolgen und kann nicht an den Wohnort bzw. an den Ort der Bombenangriffe erfolgen. In Österreich wäre eine sehr langwierige, über Jahre andauernde, unbedingt in der Muttersprache zu führende engmaschige psychotherapeutische Betreuung, Traumatherapie, erforderlich, welche auch nur möglicherweise zu einer Verbesserung der persönlichen Situation führen könnte, denn durch das Verharren in der Regression ist auch die Entwicklung eines sekundären Krankheitsgewinnes nicht auszuschließen.

Auch im Heimatland des BF sollte eine entsprechende fachärztliche Betreuung und Traumatherapie erfolgen."

1.1.4.1 Der BF7 wird von seinen Eltern versorgt, sie sich intensiv und gut um ihn kümmern.

1.1.5. Zur "westlichen Orientierung" der BF2:

Ihren Tag verbringt die BF2 typischerweise mit der Erziehung und Betreuung ihrer Kinder und der Führung des Haushalts. Sie kleidet sich westlich, in Afghanistan musste sie eine Burka tragen. Die BF2 hat einen Deutschkurs A0 besucht und keine Sprachprüfungen aus Deutsch absolviert. Sie spricht einfaches Deutsch. In Österreich hat die BF weder ehrenamtlich noch gegen Entgelt gearbeitet. Sie möchte gerne eine Ausbildung als Krankenpflegerin machen oder in einem Supermarkt, als Reinigungskraft oder im sozialen Pflegebereich arbeiten; sie hat einmal in einem Krankenhaus nachgefragt, sonst aber keine Schritte zur Erreichung ihres Ausbildungsziels gesetzt. Sie geht alleine spazieren, einkaufen und in der Donau schwimmen, wobei sie als Schwimmbekleidung Shorts und einen Badeanzug trägt. Ihre Kinder sollen sich die Ehegatten selbst aussuchen.

1.2. Zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat:

1.2.1 Zur Sicherheitslage in Afghanistan im Allgemeinen und in der Provinz Kabul im Besonderen:

Neueste Ereignisse (Auszug des Kapitel 1 des LIB):

IS-Angriff während Massoud-Festzug in Kabul 9.9.2018

Bei einem Selbstmordanschlag im Kabuler Stadtteil Taimani kamen am 9.9.2018 mindestens sieben Menschen ums Leben und ungefähr 24 weitere wurden verletzt. Der Anschlag, zu dem sich der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte, fand während eines Festzugs zu Ehren des verstorbenen Mudschahedin-Kämpfers Ahmad Shah Massoud statt (AJ 10.9.2018; vgl. Khaama Press 10.9.2018b).

IS-Angriff auf Sportverein in Kabul 5.9.2018

Am Mittwoch, dem 5.9.2018, kamen bei einem Doppelanschlag auf einen Wrestling-Klub im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi mindestens 20 Personen ums Leben und ungefähr 70 weitere wurden verletzt (AJ 6.9.2018; vgl. CNN 6.9.2018, TG 5.9.2018). Zuerst sprengte sich innerhalb des Sportvereins ein Attentäter in die Luft, kurz darauf explodierte eine Autobombe in der sich vor dem Klub versammelnden Menge (SO 5.9.2018) Der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte sich zum Anschlag (RFE/RL 5.9.2018).

IS-Angriff auf die Mawoud Akademie in Kabul 15.8.2018

Ein Selbstmordattentäter sprengte sich am Nachmittag des 15.8.2018 in einem privaten Bildungszentrum im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi, dessen Bewohner mehrheitlich Schiiten sind, in die Luft (NZZ 16.8.2018; vgl. BBC 15.8.2018, Repubblica 15.8.2018). Die Detonation hatte 34 Tote und 56 Verletzte zur Folge (Reuters 16.8.2018a; vgl. NZZ 16.8.2018, Repubblica 15.8.2018). Die Mehrheit der Opfer waren Studentinnen und Studenten, die sich an der Mawoud Akademie für die Universitätsaufnahmeprüfungen vorbereiteten (Reuters 16.8.2018b; vgl. RFE/RL 17.8.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Vorfall (RFE/RL 17.8.2018; vgl. Reuters 16.8.2018b).

IS-Angriff vor dem Flughafen in Kabul 22.7.2018

Am Sonntag, dem 22.7.2018, fand ein Selbstmordanschlag vor dem Haupteingangstor des Kabuler Flughafens statt. Der Attentäter sprengte sich in die Luft, kurz nachdem der afghanische Vizepräsident Rashid Dostum von einem einjährigen Aufenthalt in der Türkei nach Afghanistan zurückgekehrt und mit seinem Konvoi vom Flughafen abgefahren war (AJ 23.7.2018; vgl. Reuters 23.7.2018). Es kamen ca. 23 Personen ums Leben und 107 wurden verletzt (ZO 15.8.2018; vgl. France24). Der Islamische Staat (IS) reklamierte den Anschlag für sich (AJ 23.7.2018; vgl. Reuters 23.7.2018).

Zur allgemeinen Sicherheitslage (Auszug des Kapitel 3. des LIB):

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht.Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

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Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

* Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

* Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)

* Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

* Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).

* Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

* Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).

* Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

* Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit)

* Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).

* Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Kart-e Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).

* Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul, als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vgl. TG 20.10.2017).

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vgl. DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018).

Zivilist/innen

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.2009-31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).

Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% Gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte), und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).

Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre viertel-jährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u. a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 3.484 zivile Opfer (823 Tote und 2.661 Verletzte) im Rahmen von 1.845 Bodenoffensiven registriert - ein Rückgang von 19% gegenüber dem Vorjahreswert aus 2016 (4.300 zivile Opfer, 1.072 Tote und 3.228 Verletzte in 2.008 Bodenoffensiven). Zivile Opfer, die aufgrund bewaffneter Zusammenstöße zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Kräften zu beklagen waren, sind zum ersten Mal seit 2012 zurückgegangen (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 forderten explosive Kampfmittelrückstände (Engl. "explosive remnants of war", Anm.) 639 zivile Opfer (164 Tote und 475 Verletzte) - ein Rückgang von 12% gegenüber dem Jahr 2016. 2017 war überhaupt das erste Jahr seit 2009, in welchem ein Rückgang verzeichnet werden konnte. Der Rückgang ziviler Opfer ist möglicherweise u.a. auf eine Verminderung des indirekten Beschusses durch Mörser, Raketen und Granaten in bevölkerten Gegenden von regierungsfreundlichen Kräfte zurückzuführen (UNAMA 2.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).

Taliban

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurde. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018).

Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friendens-Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden (NYT 27.3.2018).

Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen (FAZ 19.10.2017; vgl. Pajhwok 13.3.2018). Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben (FAZ 19.10.2017). Auch ist es sehr schwierig Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren - dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS (AAN 5.2.2018).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Höchst umstritten ist von Expert/innen die Größe und die Gefahr, die vom IS ausgeht. So wird von US-amerikanischen Sicherheitsbeamten und weiteren Länderexpert/innen die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan mit zwischen 500 und 5.000 Kämpfern beziffert. Jeglicher Versuch die tatsächliche Stärke einzuschätzen, wird durch den Umstand erschwert, dass sich die Loyalität der bewaffneten radikalen Islamisten oftmals monatlich oder gar wöchentlich ändert, je nach ideologischer Wende, Finanzierung und Kampfsituation (WSJ 21.3.2018). Auch wurde die afghanische Regierung bezichtigt, die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan aufzublasen (Tolonews 10.1.2018). Zusätzlich ist wenig über die Gruppierung und deren Kapazität, komplexe Angriffe auszuführen, bekannt. Viele afghanische und westliche Sicherheitsbeamte bezweifeln, dass die Gruppierung alleine arbeitet (Reuters 9.3.2018).

Die Fähigkeiten und der Einfluss des IS sind seit seiner Erscheinung im Jahr 2015 zurückgegangen. Operationen durch die ANDSF und die US-Amerikaner, Druck durch die Taliban und Schwierigkeiten die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu gewinnen, störten das Wachstum des IS und verringerten dessen Operationskapazitäten. Trotz erheblicher Verluste von Territorium, Kämpfern und hochrangigen Führern, bleibt der IS nach wie vor eine Gefährdung für die Sicherheit in Afghanistan und in der Region. Er ist dazu in der Lage, öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) in städtischen Zentren zu verüben (USDOD 12.2017). Der IS hat sich nämlich in den vergangenen Monaten zu einer Anzahl tödlicher Angriffe in unterschiedlichen Teilen des Landes bekannt - inklusive der Hauptstadt. Dies schürte die Angst, der IS könne an Kraft gewinnen (VoA 10.1.2018; vgl. AJ 30.4.2018). Auch haben örtliche IS-Gruppen die Verantwortung für Angriffe auf Schiiten im ganzen Land übernommen (USDOD 12.2017).

Im Jahr 2017 wurden dem IS 1.000 zivile Opfer (399 Tote und 601 Verletzte) zugeschrieben sowie die Entführung von 81 Personen; er war damit laut UNAMA für 10% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich - eine Zunahme von insgesamt 11% im Vergleich zum Jahr 2016. Im Jahr 2017 hat sich der IS zu insgesamt 18 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen oder zivile Objekte bekannt (UNAMA 2.2018); er agiert wahllos - greift Einrichtungen der afghanischen Regierung und der Koalitionskräfte an (AAN 5.2.2018), aber auch ausländische Botschaften (UNAMA 2.2.018). Fast ein Drittel der Angriffe des IS zielen auf schiitische Muslime ab (UNAMA 2.2018; vgl. AAN 5.2.2018) - sechs Angriffe waren auf schiitische Glaubensstätten (UNAMA 2.2018). Der IS begründet seine Angriffe auf die schiitische Gemeinschaft damit, dass deren Mitglieder im Kampf gegen den IS im Mittleren Osten involviert sind (AAN 5.2.2018).

Zusätzlich dokumentierte die UNAMA im Jahr 2017 27 zivile Opfer (24 Tote und drei Verletzte) sowie die Entführung von 41 Zivilist/innen, die von selbsternannten IS-Anhängern in Ghor, Jawzjan und Sar-e Pul ausgeführt wurden. Diese Anhänger haben keine offensichtliche Verbindung zu dem IS in der Provinz Nangarhar (UNAMA 2.2018).

Der IS rekrutierte auf niedriger Ebene und verteilte Propagandamaterial in vielen Provinzen Afghanistans. Führung, Kontrolle und Finanzierung des Kern-IS aus dem Irak und Syrien ist eingeschränkt, wenngleich der IS in Afghanistan nachhaltig auf externe Finanzierung angewiesen ist, sowie Schwierigkeiten hat, Finanzierungsströme in Afghanistan zu finden. Dieses Ressourcenproblem hat den IS in einen Konflikt mit den Taliban und anderen Gruppierungen gebracht, die um den Gewinn von illegalen Kontrollpunkten und den Handel mit illegalen Waren wetteifern. Der IS bezieht auch weiterhin seine Mitglieder aus unzufriedenen TTP-Kämpfern (Tehreek-e Taliban in Pakistan - TTP), ehemaligen afghanischen Taliban und anderen Aufständischen, die meinen, der Anschluss an den IS und ihm die Treue zu schwören, würde ihre Interessen vorantreiben (USDOD 12.2017).

Auch ist der IS nicht länger der wirtschaftliche Magnet für arbeitslose und arme Jugendliche in Ostafghanistan, der er einst war. Die Tötungen von IS-Führern im letzten Jahr (2017) durch die afghanischen und internationalen Kräfte haben dem IS einen harten Schlag versetzt, auch um Zugang zu finanziellen Mitteln im Mittleren Osten zu erhalten. Finanziell angeschlagen und mit wenigen Ressourcen, ist der IS in Afghanistan nun auf der Suche nach anderen Möglichkeiten des finanziellen Überlebens (AN 6.3.2018).

Zur Sicherheitslage in Kabul (Auszug Kapitel 3.1. des LIB):

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z).

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, T

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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