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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AlVG 1977 §12 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der A in G, vertreten durch Dr. Candidus Cortolezis, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Hauptplatz 14, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservices Steiermark vom 3. Dezember 1996, Zl. LGS 600/LA2/1218(7022)1996, betreffend Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Vom 4. November 1991 bis zum Ablauf ihres befristeten Dienstverhältnisses am 31. August 1996 war die Beschwerdeführerin Dienstnehmerin der Finanzlandesdirektion für Steiermark, wobei sie bis zum 3. November 1992 als Eignungspraktikantin und ab dem 4. November 1992 als vollbeschäftigte Vertragsbedienstete tätig war. Seit dem Wintersemester 1991/92 studiert die Beschwerdeführerin Psychologie an der Karl-Franzens-Universität in Graz. Nach der Beendigung ihres Dienstverhältnisses bezog die Beschwerdeführerin vom 1. September 1996 bis zum 15. September 1996 Arbeitslosengeld. Seit dem 16. September 1996 absolviert die Beschwerdeführerin zusätzlich zu ihrem Studium der Psychologie eine Ausbildung an der Akademie für Sozialarbeit im Ausmaß von sechs Semestern, die mit einer Diplomprüfung und der Vorlage einer Diplomarbeit abschließt.
2. Mit dem Bescheid des Arbeitsmarktservice Graz vom 31. Oktober 1996 wurde das Arbeitslosengeld der Beschwerdeführerin ab dem 16. September 1996 eingestellt. Der dagegen von der Beschwerdeführerin erhobenen Berufung wurde von der belangten Behörde mit dem angefochtenen Bescheid vom 3. Dezember 1996 keine Folge gegeben. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Bestimmungen des § 12 Abs. 3 lit. f und Abs. 4 AlVG in der hier maßgebenden, durch den Art. 23 Z. 6 des Strukturanpassungsgesetzes 1996, BGBl. Nr. 201 geschaffenen und ab dem 1. Mai 1996 geltenden Fassung lauten:
"(3) Als arbeitslos im Sinne des Abs. 1 und 2 gilt insbesondere nicht:
...
f) wer in einer Schule oder einem geregelten Lehrgang - so als ordentlicher Hörer einer Hochschule, als Schüler einer Fachschule oder einer mittleren Lehranstalt - ausgebildet wird oder, ohne daß ein Dienstverhältnis vorliegt, sich einer praktischen Ausbildung unterzieht.
...
(4) Die regionale Geschäftsstelle kann von den Bestimmungen des Abs. 3 lit. f unter folgenden Voraussetzungen Ausnahmen zulassen:
1. Der Arbeitslose muß während eines Zeitraumes von einem Jahr vor dem Eintritt der Arbeitslosigkeit mindestens sechs Monate oder mindestens die Hälfte der Ausbildungszeit, wenn diese kürzer als zwölf Monate ist, einer oder mehreren arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigungen nachgegangen sein,
2. zugleich muß er dem Studium bzw. der praktischen Ausbildung oblegen sein und
3. er darf die letzte Beschäftigung vor Eintritt der Arbeitslosigkeit nicht selbst zwecks Fortsetzung des Studiums oder der praktischen Ausbildung freiwillig gelöst haben."
2.1. Nach der Auffassung der Beschwerdeführerin widerspreche der angefochtene Bescheid dem § 12 Abs. 4 AlVG, weil die Aufnahme einer zusätzlichen Ausbildung neben dem Studium der Psychologie an den im übrigen erfüllten Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld nichts ändere. Die Ausbildung an der Sozialakademie stelle eine optimale Ergänzung dar und erhöhe die Vermittelbarkeit der Beschwerdeführerin am Arbeitsmarkt. Weder für das Studium der Psychologie noch für die Ausbildung an der Sozialakademie werde eine wesentliche Anwesenheitspflicht vorausgesetzt, sodaß der Beschwerdeführerin die Absolvierung ihrer Studien neben einer vollen Erwerbstätigkeit leicht möglich sei.
2.2. Die Definition der Arbeitslosigkeit durch den § 12 Abs. 1 AlVG wird durch die weiteren Absätze des § 12 AlVG näher ausgeführt. Für die im § 12 Abs. 3 lit. f AlVG genannte Personengruppe gebührt kein Arbeitslosengeld, es sei denn, das Arbeitsmarktservice läßt gemäß § 12 Abs. 4 AlVG eine Ausnahme zu.
Der Grund für diese Regelung ist darin zu erblicken, daß der Gesetzgeber - ungeachtet subjektiver Umstände und Erklärungen des Arbeitslosen, insbesondere seiner Arbeitswilligkeit - von der Vermutung einer Unvereinbarkeit der Ausbildung mit einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung und damit auch von der Vermutung des Fehlens der Verfügbarkeit für eine Vermittlung durch das Arbeitsamt bzw. des Fehlens der Möglichkeit eines Bemühens um eine neue zumutbare Beschäftigung ausgeht. Dadurch soll verhindert werden, daß das Arbeitslosengeld - systemwidrig - zur Finanzierung einer solchen Ausbildung herangezogen wird, statt dazu zu dienen, nach Maßgabe der Bestimmungen des AlVG den Entgeltausfall nach Verlust der arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung bis zur Wiedererlangung einer neuen abzugelten (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 1996, Zl. 96/08/0125 = VwSlg. 14.542/A).
2.3. Unter einem Studium ist eine den Studierenden voll in Anspruch nehmende, auf Erreichung eines bestimmten Lernabschlusses abzielende Ausbildung in einer Schule, Hochschule, Fachschule oder einer mittleren Lehranstalt zu verstehen (vgl. wiederum das schon zitierte Erkenntnis vom 22. Oktober 1996, Zl. 96/08/0125, unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 7. März 1996, Zlen. G 72/95 und andere, sowie die hg. Erkenntnisse vom 17. Dezember 1996, Zl. 96/08/0140, und vom 23. Juni 1998, Zl. 98/08/0042). Bei der Inanspruchnahme durch ein solches Studium kann der Studierende ein Arbeitsverhältnis ungeachtet grundsätzlicher Arbeitswilligkeit nur ausnahmsweise eingehen. Die Frage, ob eine umfassende Inanspruchnahme vorliegt, ist durch die Ausbildung, so wie sie nach den jeweiligen Ausbildungsvorschriften üblicherweise erfolgt, und nicht nach der konkret-individuellen Art, wie der Auszubildende der Ausbildung obliegt, zu beantworten. Dabei ist davon auszugehen, daß die in einem Lehrplan vorgesehenen Semesterstunden auch besucht werden. Auf eine "Anwesenheitspflicht" des Studenten kommt es nicht an. Die Beschwerdeführerin hat nicht bestritten, daß das sechssemestrige Studium an der Akademie für Sozialarbeit eine derartige Ausbildung darstellt. Es ist daher davon auszugehen, daß es sich sowohl beim Studium der Psychologie an der Karl-Franzens-Universität in Graz als auch bei der Ausbildung in der Akademie für Sozialarbeit um Studien im Sinne des § 12 Abs. 3 lit. f und Abs. 4 AlVG handelt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 1998, Zl. 98/08/0094, und den Lehrplan der Akademie für Sozialarbeit, BGBl. Nr. 991/1994).
Nun hat die Beschwerdeführerin in Bezug auf das Studium der Psychologie durch die gleichzeitige Ausübung von Studium und Beschäftigung in dem vom Gesetz geforderten Ausmaß bewiesen, daß sie in der Lage wäre, das Studium auch künftig neben einer (neuen) Beschäftigung zu betreiben. Daher ist die sonst bestehende, unwiderlegliche Vermutung einer fehlenden Vermittelbarkeit bzw. des Fehlens eines Bemühens um eine neue Beschäftigung im Hinblick auf dieses Studium ungerechtfertigt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Juni 1998, Zl. 94/08/0044). Das Arbeitsmarktservice konnte daher bei der Beschwerdeführerin das Vorliegen einer Ausnahme im Sinne des § 12 Abs. 4 AlVG annehmen und ihr ab dem 1. September 1996 Arbeitslosengeld zuerkennen.
2.5. Mit der Aufnahme des Zweitstudiums an der Akademie für Sozialarbeit nach dem Ende ihrer Beschäftigung bei der Finanzlandesdirektion Steiermark sind jedoch die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Ausnahme im Sinn des § 12 Abs. 4 AlVG weggefallen, weil die dort normierte Voraussetzung, daß der Arbeitslose zugleich mit der Ausübung einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung "dem Studium" oblegen sein muß, nicht erfüllt ist.
2.6. Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof in dem bereits mehrfach zitierten Erkenntnis vom 22. Oktober 1996, Zl. 96/08/0125, ausgesprochen, daß es nicht schade, wenn das Studium, dem der nunmehr Arbeitslose obliegt, und jenes, dem er vor Eintritt der Arbeitslosigkeit oblegen ist, nicht (durchgehend) ident sind, sondern mehrere, aber im wesentlichen ununterbrochene Studien vorliegen. Dies gilt jedoch nur unter dem Gesichtspunkt des in der Vergangenheit erbrachten Erweises einer objektiven Vereinbarkeit zwischen dem Studium und der arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung für die zukünftige Vereinbarkeit bzw. Verfügbarkeit des Arbeitslosen. Es muß sich also um Studien handeln, die im Hinblick auf die mit ihnen einhergehende zeitliche Inanspruchnahme vergleichbar sind.
Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt, weil zum Studium der Psychologie, das für sich die Voraussetzungen des § 12 Abs. 3 lit. f AlVG erfüllt, eine Inanspruchnahme durch eine Ausbildung hinzutrat, für die der im § 12 Abs. 4 AlVG geforderte Nachweis der Vereinbarkeit mit einer Beschäftigung nicht erbracht wurde und schon aufgrund der zeitlichen Lagerung der Ausbildung nicht erbracht werden konnte.
3. Ab dem 16. September 1996 gilt die Beschwerdeführerin daher nicht mehr als arbeitslos, sodaß seither kein Arbeitslosengeld gebührt.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Anspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 16. März 1999
Schlagworte
ErmessenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1997080011.X00Im RIS seit
18.10.2001Zuletzt aktualisiert am
30.09.2008