TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/26 W171 2153778-1

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Veröffentlicht am 26.02.2019
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Entscheidungsdatum

26.02.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch

W171 2153778-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Gregor Klammer, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.01.2019

A)

I. beschlossen:

Das Beschwerdeverfahren gegen Spruchpunkt I., II. und IV. des angefochtenen Bescheids wird gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG eingestellt.

II. zu Recht erkannt:

Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 52 FPG in Verbindung mit § 9 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt.

XXXX wird gemäß §§ 54, 55 und 58 Abs. 2 AsylG 2005 idgF der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer stellte nach illegaler Einreise am 29.12.2014 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der am 30.12.2014 durchgeführten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer hinsichtlich seiner Fluchtgründe an, sein Onkel sei Mitglied der Taliban und verlange, dass der Beschwerdeführer am Kampf teilnehme.

I.2. Am 21.12.2016 fand eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) statt.

Dabei gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen zusammengefasst an, dass sein Onkel Mitglied der Taliban sei und versucht habe, ihn für die Taliban zu rekrutieren.

Er lebe in Österreich bei einer Familie und besuche Deutschkurse. Ab Jänner 2017 werde er die Hauptschule besuchen. Am Wochenende arbeite er ehrenamtlich beim Roten Kreuz.

Der Beschwerdeführer legte folgenden Dokumente vor:

* Bestätigung über den Besuch eines Kurses für den Pflichtschulabschluss

* Bestätigung über den Besuch eines Aufbaukurses zu Erreichung des NMS-Niveaus

* Bestätigung über ehrenamtliche Tätigkeit beim Roten Kreuz

* Bestätigung über ehrenamtliche Tätigkeit bei der Caritas

* Empfehlungsschreiben

* Zeugnis Deutsch B1

* Deutschzertifikat A2

* Teilnahmebestätigung Mathematikunterricht

* Teilnahmebestätigung Computerkurs

* Teilnahmebestätigung Einführung in die Informatik

I.3. Mit Bescheid des BFA vom 06.04.2017 wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß

§ 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkte II.). Dem Beschwerdeführer wurde in Spruchpunkt III. des Bescheides ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Beweiswürdigend wurde ausgeführt, das Vorbringen des Beschwerdeführers sei widersprüchlich und enthalte nicht nachvollziehbare bzw. unrealistische Passagen. Die geltend gemachte Bedrohungssituation entspreche offensichtlich nicht den Tatsachen. Es habe auch nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr ins Herkunftsland in eine Notsituation geraten würde. Es lägen zudem keine Aspekte einer außergewöhnlichen und schützenswerten Integration vor.

I.4. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Beweiswürdigung der Behörde sei mangelhaft und nicht nachvollziehbar. Weiters habe der Beschwerdeführer durch seinen Aufenthalt in Österreich eine westliche Orientierung erfahren und wäre daher in Afghanistan als "verwestlicht" zu erkennen. Dem Beschwerdeführer stehe keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung.

I.6. Der Beschwerdeführer legte am 12.09.2017 folgende Unterlagen vor:

* Teilnahmebestätigung an einem Informationsworkshop HIV/Aids

* Teilnahmebestätigung "Umweltbaustelle"

* Teilnahmebestätigung Gitarrenunterricht

* Anmeldung zu einer Veranstaltung im Bundeskanzleramt

* Bescheinigung Erste-Hilfe-Grundkurs

I.7. Am 21.11.2018 langte ein Empfehlungsschreiben für den Beschwerdeführer ein.

I.8. Am 23.11.2018 stellte der Beschwerdeführer einen Fristsetzungsantrag.

I.9. Der Beschwerdeführer übermittelte am 17.01.2019 eine Stellungnahme bezüglich seiner Integration in Österreich und legte folgenden Dokumente vor:

* Ärztlicher Entlassungsbrief vom 21.04.2017

* Ausbildungsbestätigung und Zeugnis Rettungssanitäter

* Verleihung des Dienstgrads Rotkreuz-Helfer

* Liste der Tätigkeitsbereiche beim Roten Kreuz

* Auszug des Stundenplans beim Roten Kreuz

* Unterstützungserklärung Rotes Kreuz

* Bestätigung über ehrenamtliche Tätigkeit bei der Caritas

* Zeugnis über Pflichtschulabschlussprüfung

* Bestätigung über erfolgreichen Schulbesuch der Bundeshandelsakademie

* Teilnahmezertifikat Computerkurs

* Teilnahmebestätigung Workshop "Diskriminierung"

* 50 Unterstützungserklärungen

* diverse Fotos

I.10. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 23.01.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

Der Zeuge XXXX , Geschäftsführer einer Bezirksstelle des Roten Kreuzes, gab hierbei an, dass der Beschwerdeführer mittlerweile ausgebildeter Rettungssanitäter sei. Er habe bisher 46 Dienste gefahren und etwa 470 Stunden freiwillige Arbeit geleistet.

Die Zeugin XXXX gab an, dass der Beschwerdeführer zwei Jahre bei ihr gewohnt habe. Danach habe sie für ihn eine eigene Wohnung gesucht und auch gefunden. Zum Beschwerdeführer habe sie ein mütterliches Verhältnis. Er komme nach wie vor auf Besuch und kümmere sich um ihren Garten. Er übernehme auch fallweise Kinderbetreuung und kümmere sich in ihrer Abwesenheit um das Haus, manchmal auch um das der Nachbarn.

Der Zeuge XXXX gab an, dass er den Beschwerdeführer seit etwa Herbst 2015 kenne. Er habe damals bereits als Dolmetscher in der Flüchtlingsunterkunft fungiert. Er habe ihn häufig beim Spazierengehen mit seinem Hund begleitet. Es sei dann im Laufe der Zeit ein wirkliches Vertrauensverhältnis entstanden. Er sei auch bei diversen Gartenfeiern, oder auch bei Familienfesten immer wieder zu Gast. Der Beschwerdeführer sei bei Familienurlauben dabei und gehe mit ihnen Bergsteigen und Klettern.

Die Zeugin XXXX , Tochter von XXXX , gab zu Protokoll, den Beschwerdeführer seit Weihnachten 2015 zu kennen. Seither gebe es gemeinsame Unternehmungen verschiedenster Art. Der Beschwerdeführer sie mittlerweile ihr bester Freund. Er sei bei Unternehmungen ihrer Gruppe immer dabei. Manche in der Gruppe hätten Migrationshintergrund, es sei aber kein zweiter Afghane dabei.

Die Zeugin XXXX sagte aus, dass sie den Beschwerdeführer von einer Theateraufführung im Jahr 2016 kenne. Er habe damals in "Der Besuch der alten Dame" mitgespielt. Sie würden sich in unregelmäßigen Abständen treffen und schwimmen oder gemeinsam grillen.

Der Zeuge XXXX gab an, er gehöre zu der bereits von den Zeuginnen Hopfner und Schlatte erwähnten Gruppe von Jugendlichen aus der Gegend. Meistens würden sie einander in der Gruppe sehen. Es sei aber auch schon vorgekommen, dass er zum Beschwerdeführer nach Hause gekommen sei und er etwas gekocht habe.

Der Zeuge XXXX gab an, ebenfalls zur erwähnten Gruppe Jugendlicher zu gehören. Er treffe den Beschwerdeführer in Lokalen oder beim Schwimmen.

Nach Einvernahme der Zeugen wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt.

I.11. Der Beschwerdeführer zog mit Schreiben vom 13.02.2019 die Beschwerde gegen Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheids zurück.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Aufgrund jener der Entscheidung zugrunde liegenden Akten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie des Bundesverwaltungsgerichtes steht nachstehender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und ist sunnitischer Moslem.

Der Beschwerdeführer reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 29.12.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er hält sich seitdem durchgängig im Bundesgebiet auf.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich den Pflichtschulabschluss nachgeholt und besucht derzeit eine Handelsakademie. Er verfügt über Deutschkenntnisse auf mindestens dem Niveau B1. Er ist ausgebildeter Rettungssanitäter und als solcher ehrenamtlich beim Roten Kreuz tätig. Der Beschwerdeführer war auch in der Altenbetreuung und beim Alpenverein ehrenamtlich tätig.

Er verfügt über freundschaftliche soziale Kontakte. Er hat sich während seines vierjährigen Aufenthaltes in Österreich einen festen Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut und ist in seinem Lebensumfeld als sozial integriert anzusehen.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

Die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers leben in Afghanistan. Es besteht telefonischer Kontakt.

Der Beschwerdeführer zog mit Schreiben vom 13.02.2019 die Beschwerde gegen Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheids zurück.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Der Beschwerdeführer hat keine Identitätsdokumente vorgelegt. Die Identität des Beschwerdeführers steht mit für das Verfahren ausreichender Sicherheit fest.

Die Feststellungen zum Aufenthalt der Familienangehörigen im Herkunftsstaat beruhen auf den gleichbleibenden Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren.

Die Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers ergeben sich aus den vorgelegten Zeugnissen.

Die Feststellungen zur Aus- und Weiterbildung ergeben sich aus den vorgelegten Zeugnissen und Bestätigungen.

Die Feststellungen zur persönlichen Situation des Beschwerdeführers sowie dessen Integration - insbesondere zum Vorliegen vertiefter sozialer Kontakte - in Österreich ergeben sich aus den glaubhaften Angaben der Zeugen im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie aus den vorgelegten Unterlagen.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer in Österreich strafgerichtlich unbescholten ist, ergibt sich aus dem aktuell eingeholten Strafregisterauszug.

3. Rechtliche Beurteilung:

A) Zu Spruchpunkt I.:

Wird eine Beschwerde zurückgezogen, so ist das diesbezügliche Verfahren einzustellen (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 13 Rz 42; Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, § 28 Anm. 5). Der behördliche Bescheid erlangt sodann formelle Rechtskraft.

Nachdem der Beschwerdeführer eine Beschwerde, soweit sie sich gegen Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheids richtet, mit Schriftsatz vom 13.02.2019 rechtswirksam zurückgezogen hat, war das Beschwerdeverfahren in diesem Umfang sohin beschlussmäßig gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG einzustellen (Vgl. hierzu B VwGH 29. 4. 2015, Fr 2014/20/0047). Ebenso einzustellen war das Beschwerdeverfahren hinsichtlich des Spruchpunktes IV., da die Frist für die freiwillige Ausreise durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels obsolet wurde.

3.3. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides:

Mit der Zurückziehung der Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. am 13.02.2019 ist die mit dem angefochtenen Bescheid vorgenommene Abweisung des Antrags auf Gewährung von internationalem Schutz bzw. subsidiären Schutz in Rechtskraft erwachsen.

Gegenstand des nunmehrigen Verfahrens bildet daher allein ein Abspruch über die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen, wobei in diesem Kontext grundsätzlich § 10 AsylG 2005, § 9 BFA-VG sowie die entsprechenden Bestimmungen des FPG anzuwenden sind.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

§ 55 AsylG 2005 lautet:

"§ 55 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung plus' zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine ‚Aufenthaltsberechtigung' zu erteilen."

§ 57 AsylG 2005 lautet:

"§ 57 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt."

§ 58 AsylG 2005 lautet:

"§ 58 (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,

4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder

5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

(2) Die Erteilung eines Aufenthaltstitel gemäß § 55 von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird."

Die maßgeblichen Bestimmungen des FPG lauten:

"§ 46 (1) Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, sind von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,

2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,

3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder

4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.

§ 50 (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

§ 52 (1) [...]

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

[...]

(9) Das Bundesamt hat mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

§ 55 (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.

(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt."

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

der Grad der Integration,

die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch des Status eines subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen nicht vor, weil der Aufenthalt des Beschwerdeführers weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet ist, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist, noch der Beschwerdeführer Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs. 1 Z 3 FPG wurde. Weder hat der Beschwerdeführer das Vorliegen eines der Gründe des § 57 FPG behauptet, noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes im Ermittlungsverfahren hervor.

Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist, dass dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iSd Art. 8 EMRK geboten ist.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern zB auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt). Ein Recht auf Familienleben gem. Art. 8 EMRK kann sich nicht nur in Bezug auf die Kernfamilie ergeben, sondern auch auf andere verwandtschaftliche Verhältnisse (wie bspw. zwischen erwachsenen Geschwistern), insofern bestimmte Voraussetzungen einer hinreichend stark ausgeprägten Nahebeziehung erfüllt sind. Diese Voraussetzungen sind u.a. gegenseitige finanzielle Abhängigkeit, ein gemeinsamer Wohnsitz sowie sonstige Abhängigkeit wie beispielsweise gegenseitige Pflege.

Im Fall des Beschwerdeführers sind weder Hinweise für das Bestehen eines Familienlebens des Beschwerdeführers in Österreich noch für eine sonstige ausreichend intensive Beziehung des Beschwerdeführers zu einer ihm in Österreich besonders nahestehender Personen hervorgekommen. Ein schützenswertes Familienleben des Beschwerdeführers liegt in Österreich somit nicht vor.

Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte daher allenfalls lediglich in das Privatleben des Beschwerdeführers eingreifen.

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Sisojeva ua. gg Lettland, Nr. 60654/00, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, ÖJZ 2007, 852 ff.).

Dass der Aufenthalt nur aufgrund einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung rechtmäßig ist, mindert das Gewicht der privaten Interessen, die aus einer in dieser Zeit vollzogenen Integration resultieren. Mit Zunahme der Aufenthaltsdauer tritt aber auch der Aspekt des aufenthaltsrechtlichen Status zunehmend in den Hintergrund, sodass in diesem Zeitraum entstandene persönliche oder gar familiäre Bindungen sich auf die Interessenabwägung mitunter entscheidend zugunsten einer Abstandnahme von der Ausweisung auswirken können. Dies setzt naturgemäß voraus, dass keine besonderen Umstände zulasten des/der Asylwerbers/Asylwerberin hinzukommen, wie z.B. strafgerichtliche Verurteilungen.

Der Aspekt der Bindungen zum Heimatstaat steht in direkter Beziehung zur Integration im Bundesgebiet: Je länger der Aufenthalt im Gastland, desto stärker wird der Verlust an Bindungen zum Heimatland sein. Mit der Abnahme von Bindungen zum Herkunftsstaat wird in der Regel auch der Integrationsgrad im Bundesgebiet zunehmen. Das Fehlen jeglicher Verwandter und sonstiger Bezugspersonen im Heimatland wird ebenso wie der zwischenzeitlich eingetretene Verlust der Sprache des Heimatlandes für die Frage der Zumutbarkeit einer Reintegration maßgebliche Bedeutung erlangen (Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, ÖJZ 2007/74, 858 f.).

3.3.1. Der unbescholtene Beschwerdeführer lebt seit 29.12.2014 - somit etwas mehr als vier Jahre - durchgehend im österreichischen Bundesgebiet und hat sich in diesem Zeitraum von Beginn an um eine umfassende Integration bemüht. In dieser Zeit entwickelte der Beschwerdeführer ein schützenswertes Privatleben in Österreich, von welchem sich das erkennende Gericht insbesondere im Rahmen der abgehaltenen mündlichen Verhandlung, durch Einsichtnahme in die vorgelegten Beweismittel und die Anhörung und Befragung der anwesenden Zeugen zu überzeugen vermochte.

Der Beschwerdeführer hat die Pflichtschlussabschluss-Prüfung abgelegt und bestanden. Seit Februar 2018 besucht er eine Handelsakademie. Er hat seinen Arbeitswillen bereits bei freiwilligen Tätigkeiten beim Roten Kreuz und anderen gemeinnützigen Organisationen unter Beweis gestellt. Der Beschwerdeführer ist ausgebildeter Rettungssanitäter und kann mehr als 400 Stunden Einsatz beim Roten Kreuz verbuchen. Im Zuge des Verfahrens legte der Beschwerdeführer zudem glaubhaft dar, künftig weitere Integrationsschritte setzen zu wollen. Er zeigte sich laut Angabe der glaubwürdig auftretenden Zeugen um eine Integration, Verbesserung seiner Sprachkenntnisse und einer Selbsterhaltungsfähigkeit äußerst bemüht und ist laut den vorgelegten Beweismitteln ein freundlicher, am Kontakt mit Österreichern interessierter, hilfsbereiter junger Mann mit Arbeitseifer. Vor diesem Hintergrund kann davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer seinen Lebensunterhalt künftig unabhängig von staatlichen Unterstützungsleistungen bestreiten kann.

Der Beschwerdeführer hat die bisher in Österreich verbrachte Zeit erfolgreich genutzt, um sich in vielerlei Hinsicht in die österreichische Gesellschaft zu integrieren. Er besuchte Deutschkurse und spricht inzwischen gut Deutsch. Die vorgelegten Beweismittel belegen die Integration des Beschwerdeführers in die österreichische Gesellschaft. Er hat nachgewiesen, dass er eine Deutschprüfung auf dem Niveau B1 abgelegt hat.

Der Beschwerdeführer nimmt intensiv am sozialen Leben in seinem Wohnumfeld teil und hat zahlreiche Kontakte zur österreichischen Bevölkerung geknüpft. Aus den vorgelegten Beweismitteln, insbesondere den zahlreichen Unterstützungserklärungen, und aus den Schilderungen der einvernommenen Zeugen kommt hervor, dass der Beschwerdeführer von seinen Mitmenschen sehr geschätzt wird.

Durch die Bemühungen des Beschwerdeführers, durch Aus- und Weiterbildung die Selbsterhaltungsfähigkeit zu erreichen sowie seine bisherigen - von Erfolg gekrönten - Bemühungen um das Erlangen der deutschen Sprache, hat der Beschwerdeführer deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er seine Integration hier in Österreich intensiv betreibt und auch bereits von einem ausreichenden Grad an Integration ausgegangen werden kann.

Festzuhalten ist auch, dass der Beschwerdeführer über die gesamte Zeit hindurch unbescholten geblieben und strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist, wobei die strafgerichtliche Unbescholtenheit allein die persönlichen Interessen eines Fremden am Verbleib in Österreich gemäß der verwaltungsgerichtlichen Judikatur nicht entscheidend zu verstärken vermag (vgl. VwGH 25.2.2010, 2010/0018/0029).

In die Interessenabwägung ist auch die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat mit einzubeziehen, wobei die bisherige Rechtsprechung grundsätzlich keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852ff.). Zwar hat der VwGH zum Ausdruck gebracht, dass einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zukommt (vgl. dazu VwGH 30.7.2015, 2014/22/0055; VwGH 23.06.2015, 2015/22/0026; VwGH 10.11.2010, 2008/22/0777, VwGH 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479), weshalb die Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers im Rahmen der Interessenabwägung insofern nachteilig ausschlägt. Allerdings kann auch eine bloß in einem unter fünf Jahren liegenden Zeitraum erlangte Integration infolge intensiver Integrationsbemühungen die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigende Konstellation begründen. Die Annahme eines "Automatismus", wonach ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels bei Vorliegen einer Aufenthaltsdauer von nur zweieinhalb Jahren "jedenfalls" abzuweisen wäre, wird von der höchstgerichtlichen Judikatur als verfehlt erachtet (vgl. dazu insbesondere VwGH 30.7.2015, 2014/22/0055, VwGH 28.1.2016, Ra 2015/21/0191-6, VfGH 6.6.2014, U45/2014).

Im gegenständlichen Fall kann keineswegs davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer die in Österreich verbrachte Zeit nicht genützt hätte, um sich sozial und beruflich zu integrieren. Das Gegenteil ist der Fall: der Beschwerdeführer hat sich während seines Aufenthalts seit Dezember 2014 - wie oben ausgeführt - überaus intensiv und sehr erfolgreich bemüht, sich umfassend zu integrieren. Der Beschwerdeführer hat einen entsprechend hohen Grad der Integration in sprachlicher und gesellschaftlicher Hinsicht erreicht, der sich vor allem im erfolgreichen Erwerb von Deutschkenntnissen, der umfangreichen ehrenamtlichen Tätigkeit und in der umfassenden Teilnahme am sozialen und beruflichen Leben manifestiert.

Berücksichtigt man all diese Aspekte, so überwiegen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung im gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt die aus den erwähnten Umständen in ihrer Gesamtheit erwachsenden privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im österreichischen Bundesgebiet und an der Fortführung seines bestehenden Privatlebens in Österreich die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung zugunsten eines geordneten Fremdenwesens. Eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer würde sich daher zum maßgeblichen aktuellen Entscheidungszeitpunkt als unverhältnismäßig im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK erweisen.

Das Bundesverwaltungsgericht kommt daher aufgrund der vorgenommenen Interessenabwägung unter Berücksichtigung der genannten besonderen Umstände dieses Beschwerdefalles zu dem Ergebnis, dass eine Rückkehrentscheidung gegen die Beschwerdeführer unzulässig ist. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass die drohende Verletzung des Privatlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend, sondern auf Dauer sind und es war daher gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festzustellen, dass die Rückkehrentscheidung gegen die Beschwerdeführer auf Dauer unzulässig ist.

3.4. Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 ("Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK") von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer unzulässig erklärt wird.

Auch das BVwG darf - in jeder Verfahrenskonstellation - über einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 absprechen. Die Frage der Erteilung des Aufenthaltstitels ist vom Prüfungsgegenstand einer angefochtenen Rückkehrentscheidung mitumfasst, weshalb in einem zu entscheiden ist (siehe ErläutRV 582 BlgNR 25. GP).

Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird (Z 2). Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist gemäß Abs. 2 eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.

Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung dient gemäß § 14 Abs.2 NAG dem Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache zur vertieften elementaren Sprachverwendung (d.h. Deutschkenntnisse auf A2-Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen).

Das Modul 2 dient dem Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache zur vertieften selbstständigen Sprachverwendung (d.h. Deutschkenntnisse auf B1-Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen).

Gemäß § 14a Abs. 4 Z 4 zweiter Satz NAG beinhaltet die Erfüllung des Moduls 2 (§ 14b) das Modul 1.

3.4.1. Da die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 im Falle des Beschwerdeführers in Folge des Ausspruches der dauerhaften Unzulässigkeit einer diesen betreffenden Rückkehrentscheidung gegeben sind, und der Beschwerdeführer darüber hinaus Deutschkenntnisse auf zumindest dem Niveau A2 iSd § 14a Abs. 4 NAG nachweisen konnte, war ihm gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat dem Beschwerdeführern den Aufenthaltstitel gemäß § 58 Abs. 7 AsylG 2005 auszufolgen. Der Aufenthaltstitel gilt gemäß § 54 Abs. 2 AsylG 2005 zwölf Monate lang, beginnend mit dem Ausstellungsdatum.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, da die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, sondern ausschließlich das Resultat einer eingehenden diskursiven Glaubwürdigkeitsauseinandersetzung basierend auf den konkret im Verfahren präsentierten Angaben des Beschwerdeführers darstellt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen - im Rahmen der rechtlichen Beurteilung bereits wiedergegebenen - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus, Deutschkenntnisse, Integration,
Interessenabwägung, Privatleben, Rückkehrentscheidung auf Dauer
unzulässig, Zurückziehung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W171.2153778.1.00

Zuletzt aktualisiert am

22.05.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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