TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/6 W159 2184672-1

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Veröffentlicht am 06.03.2019
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Entscheidungsdatum

06.03.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W159 2184672-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.12.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.02.2019, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß §§ 3 Abs. 1 iVm 34 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gem. § 3 Abs. 5 leg. cit. wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der mj.Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, schiitischen moslemischen Glaubens und ledig, gelangte mit seinen Eltern und Geschwistern (Bruder und Schwester) (spätestens) am 10.07.2015 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Am nächsten Tag erfolgte die Erstbefragung durch die LPD XXXX .

In der Niederschrift bei der belangten Behörde gab die Mutter des Beschwerdeführers zu ihren Fluchtgründen befragt an, dass die Taliban in Afghanistan einen Sohn getötet und ihren Ehemann zusammengeschlagen hätten. Das Ehepaar sei in den Iran ausgereist, damit ihre Kinder beschützt seien. Im Iran hätten sie sich Sorgen gemacht, dass sie nach Afghanistan abgeschoben würden. Einen ihrer Söhne hätten sie schon vor Jahren nach Finnland geschickt. Nunmehr hätten sie Angst um einen weiteren ihrer Söhne gehabt, weil die iranischen Behörden, afghanische Jugendliche, in den Krieg nach Syrien schicken würden. Sie hätte aus Angst gehabt, dass der Ehemann nach Afghanistan abgeschoben werde. Ihre Kinder hätten nicht in die Schule gehen können und Mädchen würden zwangsverheiratet werden.

Mit dem im Spruch angeführten Bescheid der belangten Behörde vom 22.12.2017, wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 07.06.2016 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 sowie des eines subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 Abs 1 abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß §§ 57 AsylG nicht erteilt. Die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan sei zulässig. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

Die belangte Behörde führte zu den Fluchtgründen aus, dass ein Familienverfahren zu seiner Mutter vorliegen würden. Nach der Rechtsprechung des VwGH ist bei der Beurteilung betreffend die Zuerkennung vom subsidiären Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Die reale Gefahr müsse sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohend Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein sowie ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu fallen. Der VwGH habe auf die Rechtsprechung des EGMR in jüngst ergangenen Urteilen hingewiesen, wonach die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert sei, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde (Ra 2015/01/0134). Der EGMR gehe, auf die Afghanistan-Richtlinien des UNHCR gestützt, davon aus, dass die Übersiedlung in einen anderen Teil Afghanistan zumutbar sei, wenn Schutz durch die eigene Großfamilie, Gemeinschaft oder den Stamm am Zielort verfügbar sei. Alleinstehende Männer und Kleinfamilien sei es unter bestimmten Umständen auch möglich, ohne Unterstützung durch die Familie und Gemeinschaft in städtischen oder halbstädtischen Gebieten mit existenter Infrastruktur und unter effektiver staatlicher Kontrolle zu überleben. Aus den herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen ergebe sich zunächst, dass die aktuelle Situation in Afghanistan unverändert weder sicher noch stabil sei, doch variiere die Sicherheitslage von Provinz zu Provinz und von Distrikt zu Distrikt. Aus den Feststellungen zur Sicherheitslage in der Provinz und Stadt Kabul, (andere Regionen kämen nicht in Betracht), könne nicht abgeleitet werden, dass für jede dort lebende oder dorthin zurückkehrende Person das reale Risiko einer Verletzung der durch Art. 2 und 3 EMRK sowie Protokoll Nr. 6 zur EMRK geschützten Güter mit einer derartigen Wahrscheinlichkeit drohe, dass dies zur Gewährung von subsidiären Schutz führen müsste. Die afghanische Regierung hätte die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren, die Sicherheitsverantwortung sei bei der afghanischen Armee und Polizei und schwere sicherheitsrelevante Zwischenfälle seien deutlich reduziert worden. Kabul sei für Normalbürger, die nicht mit Ausländern zusammenarbeiten eine sichere und gute erreichbare Stadt und sogenannte Gefährdungsquellen seien in reinen Wohngebieten nicht anzunehmen.

Der bevollmächtigte am 16.01.2018 die XXXX , zur rechtlichen Vertretung in Asylangelegenheiten.

Am 24.01.2018 langte die Frist gerecht erbracht Beschwerde, wegen inhaltlicher Rechtwidrigkeit, unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens aufgrund fehlerhafter bzw. unzureichender Ermittlungen und mangelhafter Beweiswürdigung, gegen alle Spruchpunkte ein. Aufgrund des mangelhaften Ermittlungsverfahrens und der mangelhaften Beweiswürdigung seien unrichtige Feststellungen getroffen worden.

Am 12.02.2019 fand eine Verhandlung am Bundesverwaltungsgericht statt, an welcher der Beschwerdeführer und die Familienglieder (Eltern, Schwester, Bruder) als Beschwerdeführer und Beschwerdeführerinnen, ein Rechtsvertreter, ein Zeuge und eine Dolmetscherin teilnahmen. Am 29.01.2018 teilte die belangte Behörde mit, dass sie auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung verzichte.

Der Richter befragte die Mutter des Beschwerdeführers.

Die Mutter des Beschwerdeführers gab an, sie wolle ihr Vorbringen und ihre Beschwerde aufrechtzuerhalten. Sie sei afghanische Staatangehörige, der Volksgruppe der Hazara zugehörig und schiitischen Glaubens. Sie entstamme einer traditionsverbundenen, religiösen Familie aus einem ländlichen Gebiet und sei 17 Jahre alt gewesen, als sie verehelicht worden sei. Ihr drei jüngsten Kinder und ihr Mann seien mit ihr hier in Österreich aufhältig. Sie hätte 17 Jahre, nach ihrer Ausreise aus Afghanistan, nur im Iran gelebt. Sie sei Analphabetin und werde in der Unterkunft von freiwilligen Lehrerinnen und ihren Kindern in der deutschen Sprache unterrichtet. In Afghanistan, gab die Mutter des Beschwerdeführers an, hätte sie traditionell nicht aus dem Haus dürfen, im Iran hätte sie Stickereiarbeiten als Heimarbeit gemacht. Die Mutter des Beschwerdeführers gab an, sie hätte keine Verwandte in Afghanistan mehr. Sie hätte keine persönlichen Probleme mit staatlichen Organen oder mit Privatpersonen in Afghanistan gehabt, jedoch sei ihr ältester Sohn von den Taliban mitgenommen und getötet worden.

Die Mutter des Beschwerdeführers gab an in Österreich würde ihr es gesundheitlich bessergehen. In Österreich hätte sie österreichische Freunde, sie würden sich gegenseitig einladen. Im Iran hätte die Familie in den vielen Jahren keine iranischen Freunde gefunden. In Österreich würde die Familie sich so fühlen, als würden sie sich schon seit der Kindheit kennen. Sie gehe alleine oder mit ihrem Mann einkaufen. Gelegentlich schicke sie auch ihren Mann einkaufen. Die Mutter des Beschwerdeführers gab an die deutsche Sprache zu verstehen und sie versuche sich selbst zu verständigen. Im Notfall würden ihre Tochter oder ihre Söhne die Dolmetscherrolle übernehmen. Die Mutter des Beschwerdeführers habe das A1-Sprachdiplom erworben, sie versuche ihre Sprachkenntnisse weiter zu verbessern, sie wolle trotz ihres Alters gebildet sein und freue sich über jedes deutsche Wort, welches sie lerne. Die Mutter des Beschwerdeführers erzählte, sie würde einmal im Monat mit ihren österreichischen Freundinnen frühstücken gehen und ihre Kinder würden miteinander spielen. Sie könne auch die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. Sie gab an, dass ihre Kinder schon schwimmen gewesen seien, ihre Kinder würden auch wollen, dass sie Fahrrad fahren lerne, jedoch sei sie persönlich noch zu ängstlich. Die Mutter des Beschwerdeführers gab an, so frei wie sie sich hier in Österreich als Frau bewegen könne, habe sie es bis jetzt nicht können. Sie wolle hier in Österreich etwas lernen und arbeiten gehen, z.B. könne sie sehr gut kochen und wolle deshalb in einem Restaurant arbeiten. Sie wolle in Österreich nachholen, was sie in ihrer Jugend verpasst hätte, sich so kleiden zu können, würde ihr das Gefühl geben jung zu sein. Sie wolle nicht zurückkehren, sie hätte sich hier schon eingelebt und könne hier über ihr Leben selbst entscheiden.

Der Vater des BF als gesetzlicher Vertreter gab an, dass der BF keine eigenen Fluchtgründe habe. Er gehe hier in die Schule, spiele mit anderen Kindern z.B. Fußball, aber nicht in einem Verein.

In der Stellungnahme vom 05.02.2019 wurde auf die Verfolgungssituation der Frauen in Afghanistan verwiesen. Die Frauen in Afghanistan hätten keine Grundrechte und würden sowohl unter gesellschaftlichen als auch staatlichem Druck stehen, weil sie der sozialen Gruppe der Frauen angehören würden. Im Falle einer Rückkehr würde es zu einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK kommen. Keine Frau und kein Mädchen, die ein eigenständiges Leben wolle, ihre eigenen Entscheidungen treffe, die über ihre sexuelle Selbstbestimmung verfüge, die als gleichberechtigter Mensch behandelt werden wolle, sei ein Leben in Afghanistan zumutbar. Dies würde in zahlreichen Berichten belegt werden. Die vorherrschenden konservativ-islamischen Ansichten zur Rolle der Frauen zeige sowohl massive Einschnitte in die Freiheit als auch Gefahren im Falle der Übertretung der konventionellen Normen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person des Beschwerdeführers wird Folgendes festgestellt:

Der Beschwerdeführer ist minderjähriger Staatsbürger von Afghanistan, der Volksgruppe der Hazara zugehörig und schiitischen Glaubens. Er ist am 10.07.2015 in das Bundesgebiet eingereist und hat gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Er hat keine eigenen Fluchtgründe. Im Bundesgebiet hält er sich mit seinen Eltern und zwei Geschwistern auf. Diese sind ebenso Staatsbürger von Afghanistan.

Glaubhaft ist, dass die Mutter des Beschwerdeführers eine westlich orientiere Frau ist, die sich seit ihrer Ankunft ein freies und selbstbestimmtes Leben lebt. Sie und der Beschwerdeführer haben sich in Österreich integriert.

Der Mutter des Beschwerdeführers wurde mit einem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom heutigen Tag der Status von Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt, dass ihr die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

- Beweis wurde erhoben durch Einvernahmen der Beschwerdeführerin durch Beamte der LPD XXXX am 10.07.2015 sowie durch das BFA, Regionaldirektion OÖ am 14.11.2017, durch Befragung der Eltern des Beschwerdeführers im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 12.02.2019 sowie durch Vorhalt der oben näher bezeichneten länderkundlichen Dokumente durch das Bundesverwaltungsgericht.

2. Beweiswürdigung:

Der Mutter des Beschwerdeführers wurde Asyl gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Status der Asylberechtigten zuerkannt, ihr kommt damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zu.

Da Asyl im Familienverfahren zuerkannt wird, war es nicht erforderlich Länderfeststellungen zu treffen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 1 VwGVG regelt dieses Bundesgesetz das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der BAO, des AgrVG und des DVG und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte. Entgegenstehende Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht sind, bleiben unberührt (§ 58 Abs. 2 VwGVG, in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2013).

§ 1 BFA-VG, BGBl. I 2012/87 idF BGBl. I 2013/144 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG 2005 und FPG bleiben unberührt. Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA-VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

Zu A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2004 Nr. L 304/12 [Statusrichtlinie] verweist). Damit will der Gesetzgeber an die Gesamtheit der aufeinander bezogenen Elemente des Flüchtlingsbegriffs der GFK anknüpfen (VwGH 24.03.2011, 2008/23/1443). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren." (vgl. VfSlg. 19.086/2010; VfGH 12.6.2010, U 613/10)

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011; 17.03.2009, 2007/19/0459; 28.05.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771; 17.03.2009, 2007/19/0459; 28.05.2009, 2008/19/1031; 06.11.2009, 2008/19/0012). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011; 28.05.2009, 2008/19/1031). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Der Beschwerdeführer selbst hat - wie dargelegt - keine Verfolgung in Afghanistan aus einem in der GFK genannten Grund glaubhaft machen können.

Im Fall des Beschwerdeführers liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung von Asyl im Familienverfahren vor, weil seine Mutter asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat glaubhaft dargelegt hat, weil es sich bei dieser um eine Angehörige der besonders vulnerablen Gruppe der Frauen mit "westlichen Gesinnung" handelt.

§ 34 Abs. 1 AsylG 2005 lautet:

"Stellt ein Familienangehöriger (§ 2 Z 22) von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist; einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder einem Asylwerber einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes."

Gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 122/2009 hat die Behörde aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3); die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7 AsylG 2005).

Familienangehörige sind gemäß § 2 Z 22 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 135/2009, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.

Bei dem Begriff "Familienleben im Sinne des Art. 8 MRK" handelt es sich nach gefestigter Ansicht der Konventionsorgane um einen autonomen Rechtsbegriff der Konvention (vgl. EGMR, Urteil v. 13.6.1997, Fall MARCKX, Ser. A, VOL. 31, Seite 14, § 31).

Nach dem oben zitierten EGMR-Urteil sind sowohl die Beziehungen der Eltern untereinander, als auch jeweils jene zu den Kindern durch Art. 8 MRK geschützte familiäre Bande. Bei einer diesbezüglichen Familie ergeben sich die von der MRK-Rechtsprechung zusätzlich geforderten engen Bindungen der Familienmitglieder untereinander aus ihrem alltäglichen Zusammenleben, gemeinsamer Sorge und Verantwortung füreinander, sowie finanzieller und anderer Abhängigkeit.

Die Unmöglichkeit der Fortsetzung des Familienlebens in einem anderen Staat wird in der Regel dann gegeben sein, wenn kein anderer Staat ersichtlich ist, der dem Asylberechtigten und seinem Angehörigen Asyl oder eine dem Asylrecht entsprechende dauernde Aufenthaltsberechtigung gewährt.

Ehegatten führen ebenso wie Kinder mit ihren Eltern ipso iure ein Familienleben.

Mit seiner Mutter führt der Beschwerdeführer ein Familienleben. Er und seine Eltern sind Familienangehörige gemäß § 2 Z 22 AsylG 2005.

Seiner Mutter wurde der Status einer Asylberechtigten zuerkannt.

Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte, wonach dem Beschwerdeführer ein Familienleben getrennt von seiner Mutter in einem anderen Staat zumutbar ist oder möglich wäre, sodass die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl im Zuge eines Familienverfahrens gegeben sind.

Dem Beschwerdeführer war daher Asyl zu gewähren.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz am 11.07.2015 - und somit vor dem 15.11.2015 - gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF BGBl. I 24/2016 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 AsylG 2005 im konkreten Fall keine Anwendung finden.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Wie unzweifelhaft der rechtlichen Beurteilung zu entnehmen ist, weicht die gegenständliche Entscheidung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es zu irgendeinem Sachverhaltsaspekt des gegenständlichen Falles an einer Rechtsprechung und kann auch nicht davon gesprochen werden, dass die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf den gegenständlichen Fall als uneinheitlich zu beurteilen wäre. Im Übrigen liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der im vorliegenden Fall zu lösenden Rechtsfragen vor.

Vielmehr wurden die in dem vorliegenden Fall zu lösenden Rechtsfragen auf Basis der bisherigen Judikatur der Höchstgerichte entschieden.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Asylgewährung von Familienangehörigen, Familienverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W159.2184672.1.00

Zuletzt aktualisiert am

22.05.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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