Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Priv.-Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W* Gesellschaft mit beschränkter Haftung, *, vertreten durch die Salzborn Rechtsanwaltsgesellschaft m.b.H. in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. H* F* und 2. S* K*, beide vertreten durch Dr. Claudia Stoitzner, MBA, Rechtsanwältin in Wien, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 23. Jänner 2019, GZ 39 R 293/18d-79, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Eine Kündigung wegen unleidlichen Verhaltens setzt eine Störung des friedlichen Zusammenlebens voraus, die durch längere Zeit fortgesetzt wird oder sich in häufigen Wiederholungen äußert und überdies nach ihrer Art das bei den besonderen Verhältnissen des einzelnen Falls erfahrungsgemäß geduldete Ausmaß übersteigt. Einmalige Vorfälle bilden den Kündigungsgrund nur, wenn sie schwerwiegend sind; jedoch können mehrere, an sich geringfügige Vorfälle den Kündigungstatbestand bilden (RIS-Justiz RS0070437, RS0070303, RS0067678). Entscheidend ist stets das Gesamtverhalten des Mieters, zu dessen Würdigung auch auf länger zurückliegende Ereignisse zurückzugreifen ist (vgl RS0070321). Es ist nicht nur das als Kündigungsgrund angeführte Verhalten, sondern darüber hinaus das der Kündigung vorangehende ebenso wie das ihr nachfolgende Verhalten einer Würdigung zu unterziehen (RS0067519; vgl RS0070378, RS0067534).
2. Der Frage, ob es sich bei einem konkreten Verhalten um ein unleidliches Verhalten nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG handelt, kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zu (RS0042984), weil regelmäßig eine Abwägung im Einzelfall vorzunehmen ist (RS0042984 [T3, T11, T13]); ein Eingreifen des Obersten Gerichtshofs im Interesse der Rechtssicherheit wäre nur dann erforderlich, wenn eine auffallende Fehlbeurteilung vorliegt (RS0042984 [T5, T6, T8]).
Eine solche aufzugreifende Fehlbeurteilung zeigt die Revision nicht auf. Den Beklagten liegt nicht nur das unerlaubte Filmen und Fotografieren von Nachbarn bei einer Vielzahl von Gelegenheiten – nach den Feststellungen teils sogar in deren Wohnungen hinein – zur Last, sondern ebenso das über längere Zeit wiederholte vulgäre Beschimpfen von Nachbarn aus nichtigen Anlässen oder das Hinabwerfen von Essensresten auf unter ihrer Wohnung gelegene Terrassen. Dass die Vorinstanzen ein solches Gesamtverhalten als Verwirklichung des Kündigungsgrundes gewürdigt haben, hält sich im Rahmen des den Gerichten zustehenden Ermessensspielraums.
3. Zwar ist im Kündigungsstreit, in dem über die Wirksamkeit einer Rechtshandlung, nämlich der Aufkündigung, entschieden wird, der Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung maßgebend (vgl RS0070282); unter anderem bei Kündigungsgründen, die eine Zukunftsprognose erfordern, ist aber wegen der Besonderheit dieser Kündigungsgründe auch auf die nach der Zustellung der Aufkündigung eingetretenen Umstände Bedacht zu nehmen (RS0044752 [insbes T5]). Eine Verhaltensänderung nach Einbringung der Aufkündigung und damit eine Zukunftsprognose hat nur dann einen Einfluss auf das Schicksal der Aufkündigung, wenn der – wiederum in Einzelfallbeurteilung zu ziehende – Schluss zulässig ist, dass die Wiederholung der bisherigen Unzukömmlichkeiten auszuschließen ist (vgl RS0042790, RS0067534 [T2], RS0070340).
Entgegen der Ansicht der Revisionswerberinnen hat das Berufungsgericht mit dem Hinweis auf die von ihnen kurz nach Zustellung der Aufkündigung begangenen Tätlichkeiten keineswegs eine „voreilige Kündigung“ zu rechtfertigen versucht, sondern zum Ausdruck gebracht, daraus jedenfalls keine günstige Zukunftsprognose angesichts eines bereits verwirklichten Kündigungsgrundes ableiten zu können. Auch dies bewegt sich im Einzelfall vertretbar im Rahmen des den Gerichten hier eingeräumten Beurteilungsspielraums (vgl RS0070340 [T9]).
4. Bei der Beurteilung der Frage, ob das Verhalten eines Mieters rücksichtslos, anstößig oder sonst grob ungehörig ist und den Mitbewohnern das Zusammenwohnen verleidet, kommt entscheidende Bedeutung den örtlichen und persönlichen Verhältnissen der Beteiligten und den im Hause gewohnten Umgangsformen zu. Es kommt also darauf an, was nach den im betreffenden Haus üblichen Verhältnissen noch als zulässig angesehen werden kann (RS0067693). Bei Streitigkeiten und Übergriffen zwischen mehreren Mietern kann der Vermieter alle oder auch nur einen von ihnen kündigen, wobei es unerheblich ist, ob nur der Gekündigte allein oder auch die anderen Mietparteien den Kündigungsgrund gesetzt haben (RS0067596). Der Kündigungstatbestand schützt nicht nur den ruhigen Mieter gegen den unleidlichen, sondern auch das wichtige Interesse des Vermieters, in seinem Haus Ruhe und Ordnung zu wahren (RS0067596 [T1]).
Das Argument der Revision, es hätten auch andere Mieter die Beklagten beschimpft und Kündigungstatbestände gesetzt, es werde mit zweierlei Maß gemessen, zeigt nicht auf, inwieweit sich das Berufungsgericht von diesen Grundsätzen der Rechtsprechung entfernt hätte. Dass sich zumindest zwei Nachbarn durchaus gegenüber den Beklagten im Ton vergriffen hätten, dass sich daraus aber im Gesamtzusammenhang noch kein diesen Äußerungen entsprechender Umgangston im Haus konstruieren lasse, ist vor dem Hintergrund des festgestellten Benehmens der Beklagten gegenüber einer Vielzahl von sie nicht beschimpfenden Nachbarn im Einzelfall vertretbar.
5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
Textnummer
E125047European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:E125047Im RIS seit
22.05.2019Zuletzt aktualisiert am
27.05.2022