TE OGH 2019/4/29 2Ob202/18x

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Veröffentlicht am 29.04.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** P*****, vertreten durch Mag. Friedrich Poppmeier, Rechtsanwalt in St. Paul im Lavanttal, und des Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Partei F*****, vertreten durch Dr. Ivo Burianek, Rechtsanwalt in Mödling, gegen die beklagten Parteien 1. D***** G*****, und 2. M***** Versicherung*****, beide vertreten durch Dr. Gerda Schildberger, Rechtsanwältin in Bruck an der Mur, wegen 69.224,10 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 5.000 EUR), über den Rekurs und die außerordentliche Revision der beklagten Parteien gegen den Beschluss und das Teilurteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 4. Juli 2018, GZ 5 R 56/18x-66, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Teil- und Zwischenurteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 23. Jänner 2018, GZ 20 Cg 25/15a-61, teilweise bestätigt und im Übrigen aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei und dem Nebenintervenienten deren mit jeweils 2.514,95 EUR (darin enthalten 419,16 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

2. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

Text

Begründung:

Am 11. 7. 2012 verschuldete der Erstbeklagte einen Verkehrsunfall. Er kam als Lenker eines PKW in einer Kurve aufgrund weit überhöhter Geschwindigkeit auf die Gegenfahrbahn und prallte gegen das entgegenkommende, vom achtzehnjährigen Sohn des Klägers gelenkte Fahrzeug. Der Sohn des Klägers wurde bei dem Unfall getötet. Der Erstbeklagte wurde im Strafverfahren wegen fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 88 Abs 1 StGB rechtskräftig verurteilt. Das Unfallfahrzeug hatte er erst einen Tag vor dem Unfall von einem damaligen Freund käuflich erworben. Es war gemeinsam mit dem Fahrzeug des Vaters des Verkäufers bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversichert, wobei für beide Fahrzeuge nur ein Kennzeichen vergeben worden war (Wechselkennzeichen). Der Verkäufer hatte dem Erstbeklagten das Fahrzeug ohne Kennzeichentafeln übergeben und den Typenschein zur Abmeldung einstweilen einbehalten. Der Erstbeklagte hatte vor dem Unfall ein anderes Kennzeichen auf das Fahrzeug montiert.

Der Kläger war am Verkehrsunfall nicht umittelbar beteiligt. Er erlitt aber durch den Unfalltod seines Sohnes eine akute Belastungsreaktion, aus der sich eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelte, die dann in eine Anpassungsstörung und letztlich in eine depressive Episode mit Chronifizierungstendenz mündete. Spätfolgen des Unfallereignisses sind auszuschließen, jedoch stellt das chronifizierte psychische Leiden eine unfallkausale Dauerfolge dar.

Der Kläger begehrte zuletzt 2.557,80 EUR an Kosten psychotherapeutischer Behandlungen, 66.666,30 EUR an bis August 2017 erlittenem Verdienstentgang sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für sämtliche künftige Schäden aus dem Unfall. Er brachte vor, die Nachricht vom Unfalltod seines Sohnes habe bei ihm eine psychische Beeinträchtigung mit Krankheitswert ausgelöst, die er bis heute nicht überwunden habe. Er habe aufgrund dessen seinen Beruf als selbständiger Tischler und Flößer nur mehr eingeschränkt ausüben können. Der Erstbeklagte sei als Erwerber des Unfallfahrzeugs in das Versicherungsverhältnis zur zweitbeklagten Partei eingetreten. Diese habe in der vorprozessualen Korrespondenz ihre Eintrittspflicht für den Schaden überdies anerkannt und die Schmerzengeldansprüche sowie Behandlungskosten bezahlt.

Die beklagten Parteien wendeten ein, die psychische Beeinträchtigung des Klägers habe keinen Krankheitswert erreicht, seine Arbeitsfähigkeit sei nicht herabgesetzt worden. Der Erstbeklagte sei nicht in das Versicherungsverhältnis zur zweitbeklagten Partei eingetreten. Diese hafte daher nicht für die Ansprüche des Klägers. Ein konstitutives Anerkenntnis sei nicht abgegeben worden.

Das Erstgericht erkannte das Zahlungsbegehren des Klägers als dem Grunde nach zu Recht bestehend und stellte die Haftung der beklagten Parteien zur ungeteilten Hand für sämtliche künftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall fest, jene der zweitbeklagten Partei beschränkt mit der gesetzlichen Mindestversicherungssumme gemäß § 9 KHVG. Der Kläger habe einen Schockschaden erlitten, weshalb die beklagten Parteien dem Grunde nach auch für den dem Kläger durch die Beeinträchtigung seiner körperlichen Unversehrtheit entstandenen Verdienstentgang und die Behandlungskosten hafteten. Psychische Dauerfolgen lägen vor, weshalb das Feststellungsinteresse gegeben sei.

Das von den beklagten Parteien angerufene Berufungsgericht bestätigte das über das Feststellungsbegehren gefällte Teilurteil mit der Maßgabe, dass es gegenüber der zweitbeklagten Partei das über die gesetzliche Mindestversicherungssumme gemäß § 9 KHVG hinausgehende Begehren abwies. Hingegen hob es das Zwischenurteil auf und verwies die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Das Berufungsgericht erörterte, der Erstbeklagte sei als Erwerber gemäß §§ 69, 158h VersVG in den Versicherungsvertrag eingetreten, weshalb die zweitbeklagte Partei passivlegitimiert sei. Überdies habe die zweitbeklagte Partei ihre prinzipielle Deckungs- und Eintrittspflicht vorprozessual konstitutiv anerkannt. Der geltend gemachte Verdienstentgang und die Behandlungskosten seien keine mittelbaren Schäden, sondern Folge der behaupteten psychischen Beeinträchtigung mit Krankheitswert. Das Feststellungsinteresse sei aufgrund der beim Kläger eingetretenen unfallkausalen Dauerfolge jedenfalls gegeben. Ein Zwischenurteil über das Leistungsbegehren sei aber noch nicht möglich, weil zur Beurteilung der Ansprüche dem Grunde nach noch ergänzende Feststellungen erforderlich seien.

Das Berufungsgericht ließ (nur) den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu, da weder zur Frage des Eintritts des Erwerbers in den Versicherungsvertrag bei Veräußerung eines einzelnen von zwei Fahrzeugen, denen ein Wechselkennzeichen zugewiesen worden sei, aktuelle Rechtsprechung vorliege noch zur Frage, ob bei einem krankheitswertigen Gesundheitsschaden eines schockgeschädigten Angehörigen auch Anspruch auf Ersatz des Verdienstentgangs und der Behandlungskosten bestehe.

In ihrem Rekurs streben die beklagten Parteien die gänzliche Abweisung des Leistungsbegehrens an und stellen hilfsweise einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger und der Nebenintervenient beantragen in ihren Rekursbeantwortungen, den Rekurs als unzulässig zurückzuweisen; in eventu, ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Zum Rekurs:

Der Rekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Eine erhebliche, für die Entscheidung auch präjudizielle Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO wird weder in der zweitinstanzlichen Zulassungsbegründung noch im Rechtsmittel aufgezeigt:

1. Nach ständiger Rechtsprechung stellt die durch einen Schock hervorgerufene psychische Erkrankung eine Körperverletzung iSd § 1325 ABGB dar (2 Ob 186/03x; 2 Ob 111/03p mwN). Nahen Angehörigen eines Getöteten gebührt für den ihnen verursachten „Schockschaden“ mit Krankheitswert Schadenersatz, weil diese „Dritten“ durch das Erleiden eines Nervenschadens in ihrem absolut geschützten Recht auf körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt und als unmittelbar Geschädigte anzusehen sind (2 Ob 189/16g mwN). Die Rechtswidrigkeit einer solchen Körperverletzung wird dabei nicht aus dem Schutzzweck der Verhaltensvorschrift, welche die Erstverletzung verhindern soll, sondern aus der bei Verletzung absolut geschützter Rechte gebotenen Interessenabwägung abgeleitet (RS0116865). Schockschäden naher Angehöriger mit Krankheitswert sind dann ersatzfähig, wenn die Verletzungshandlung – im Rahmen einer typisierten Betrachtung – in hohem Maße geeignet erschien, einen solchen Schockschaden herbeizuführen, was insbesondere bei der Nachricht vom Tod naher Angehöriger in Frage kommen kann (2 Ob 186/03x; RS0116865).

Der Oberste Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang bereits mit hinreichender Deutlichkeit klargestellt, dass solcherart Geschädigten die in § 1325 ABGB eingeräumten Ansprüche zukommen, wozu auch solche auf Ersatz von Heilungskosten (2 Ob 7/05a) und eines erlittenen Verdienstentgangs (vgl 2 Ob 48/16x) zählen.

Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dem Kläger könne aufgrund des erlittenen Schockschadens mit Krankheitswert grundsätzlich Ersatz von Behandlungskosten und Verdienstentgang zustehen, entspricht daher der Rechtslage und wirft keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

2. Das Berufungsgericht hat die Eintrittspflicht der zweitbeklagten Partei für die vom Kläger geltend gemachten Schäden auch auf das Vorliegen eines konstitutiven Anerkenntnisses gestützt.

Ein konstitutives Anerkenntnis schafft unabhängig von dem bestehenden, in der Vergangenheit liegenden Rechtsgrund eine neue selbständige Verpflichtung. Es kommt dadurch zustande, dass der Gläubiger seinen Anspruch ernstlich behauptet und der Schuldner die Zweifel am Bestehen des behaupteten Rechts dadurch beseitigt, dass er das Recht zugibt (RS0032496 [T6, T7, T9]). Das konstitutive Anerkenntnis gehört damit zu den Feststellungsverträgen (RS0032779). Es ruft das anerkannte Rechtsverhältnis auch für den Fall, dass es nicht bestanden haben sollte, ins Leben und hat somit rechtsgestaltende Wirkung (RS0032496 [T6, T7]). Es entfaltet wie ein Vergleich Bereinigungswirkung (RS0110121). Ob ein konstitutives Anerkenntnis vorliegt, ist durch Auslegung des Parteiwillens zu ermitteln. Dabei gilt die Vertrauenstheorie; es kommt darauf an, welchen Eindruck der Erklärungsempfänger aus dem Verhalten des Erklärenden redlicherweise haben musste. Maßgeblich sind vor allem die mit dem Anerkenntnis verfolgten Zwecke, die beiderseitigen Interessenlagen und die allgemeine Verkehrsauffassung über die Bedeutung eines solchen Anerkenntnisses (RS0017965, RS0032666). Im Zweifel gilt ein Regulierungsanbot nicht als eigenes Anerkenntnis des Versicherers dem Grunde nach (RS0032959). Die Beurteilung, ob eine Erklärung als deklaratives oder konstitutives Anerkenntnis zu werten ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und begründet in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0044468).

Im vorliegenden Fall hat die zweitbeklagte Partei die vom Kläger (und dessen Ehefrau) erhobenen Ansprüche zunächst unter Hinweis auf eine fehlende Deckungspflicht wegen einer Schwarzfahrt des Erstbeklagten zur Gänze abgelehnt. Nachdem ihre zur Schadensregulierung bevollmächtigte Vertreterin mit Schreiben vom 16. 1. 2013 dem Klagevertreter mitgeteilt hatte, die zweitbeklagte Partei prüfe erneut die Eintrittspflicht, richtete sie am 13. 3. 2013 ein weiteres Schreiben an den Klagevertreter, in dem sie erklärte, dass die zweitbeklagte Partei „in die Regulierung eintreten“ werde. In der Folge bezahlte die zweitbeklagte Partei die vom Klagevertreter geforderten Schmerzengeldbeträge und Behandlungskosten. Die Zahlung des begehrten Verdienstentgangs lehnte sie nicht wegen fehlender Passivlegitimation, sondern mit dem Hinweis ab, der Verstorbene sei dem Kläger gegenüber nicht zum Unterhalt verpflichtet gewesen. Die Ansicht des Berufungsgerichts, der Klagevertreter habe davon ausgehen dürfen, dass die zweitbeklagte Partei ihre zunächst strittige grundsätzliche Eintrittspflicht für den durch den Unfall entstandenen Schaden gegenüber dem Kläger zugestehe, sodass insoweit ein konstitutives Anerkenntnis vorliege, bewegt sich im Rahmen der dargelegten Rechtsprechungsgrundsätze (vgl etwa 7 Ob 256/99v).

Ob der Erstbeklagte als Erwerber des Fahrzeugs in den bestehenden Versicherungsvertrag eingetreten ist, ist für die Frage der Passivlegitimation der zweitbeklagten Partei somit nicht präjudiziell.

3. Der Rekurs ist daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Ein Kostenvorbehalt findet im Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte Zulässigkeit eines Rekurses nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO nicht statt (RS0123222 [insb T2, T4, T7]). Vielmehr sind dem Kläger und dem Nebenintervenienten, die auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen haben, jeweils die Kosten ihrer Rekursbeantwortungen zuzusprechen. Die Bemessungsgrundlage im Rekursverfahren beträgt allerdings lediglich 69.224,10 EUR.

Textnummer

E125044

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0020OB00202.18X.0429.000

Im RIS seit

22.05.2019

Zuletzt aktualisiert am

08.10.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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