Entscheidungsdatum
28.02.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W173 2166182-2/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Margit MÖSLINGER-GEHMAYR als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.12.2018, Zl. 1091961707-180865154, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer XXXX (in der Folge: BF) stellte am 21.10.2015 erstmals einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz in Österreich. Der BF gab dazu im Rahmen der am 22.10.2015 durchgeführten Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes an, afghanischer Staatsangehöriger, Paschtune, sunnitischer Muslim und am XXXX in der Provinz Maidan Wardak geboren zu sein. Er sei im Iran aufgewachsen und habe neun Jahre die Schule in Teheran besucht. Danach habe er als Hilfsarbeiter gearbeitet. Seine Eltern würden nach wie vor in Teheran leben. Der BF habe den Iran vor zwei Monaten verlassen, weil er im Iran illegal aufhältig gewesen sei. Er habe dort nicht zur Schule gehen können. Zuletzt hätten die Iraner die Afghanen zurück nach Afghanistan abgeschoben. In Afghanistan herrsche derzeit Krieg, daher könne er nicht in Afghanistan leben.
2. Am 15.11.2016 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) im Beisein seiner Rechtsvertretung einvernommen. Dabei gab der BF an, dass Dari seine Muttersprache sei, er aber auch Farsi, Paschtu und etwas Deutsch spreche. Es gehe ihm gut und er sei gesund. Er sei am XXXX in der Provinz Maidan Wardak geboren. Er sei im Alter von zwei Jahren aus Afghanistan in den Iran geflüchtet. Personen, die der BF nicht gekannt habe, hätten seine Eltern bedroht. Er sei von diesen Personen geschlagen und mit dem Messer am Hinterkopf am Rücken und am Oberarm verletzt worden. Dies sei vor einem Jahr und sieben Monaten passiert. Er sei Paschtune und nie wegen seiner Volks- oder Religionszugehörigkeit verfolgt worden. Er habe acht Jahre in Teheran die Schule besucht und eine 6-jährige Ausbildung zum Glaser gemacht. Er habe zu seinem Vater kein gutes Verhältnis. Mit seiner Mutter halte er zweimal monatlich Kontakt. Er habe kein gutes Verhältnis zu seinem Vater, da sich seine Eltern vor sechs Jahren getrennt hätten. Er wisse nicht, wo sich sein Vater befinde. Er habe gehört, dass der Vater gestorben sei, aber er wisse es nicht. Seine Mutter sei mit ihm aus Afghanistan in den Iran geflohen, da sein Vater Anhänger der Taliban gewesen sei. Ca. ein Jahr später habe sein Vater nach dem BF und seiner Mutter im Iran gesucht. Sie hätten sich versteckt. Aber als der Vater sie gefunden habe, seien sie wieder geflohen und hätten sich erneut versteckt. Konkret habe der Vater den BF gefunden, als dieser am Heimweg von der Schule gewesen sei. Er habe wissen wollen, wo sich die Mutter befinde, aber der BF habe fliehen könne. Der Vater sei dann nach Afghanistan zurückgekehrt. Das habe der BF von einem Freund des Vaters erfahren. Ein Freund seines Vaters habe ihn auf der Straße gesehen. Es seien er und seine Mutter geschlagen und belästigt worden. Die Mutter habe Verletzungen an Beinen und Armen erlitten und daher nicht richtig gehen können.
Vor ca. einem Jahr und sieben Monate habe sich der BF im Ortsteil Charchak, Teheran, Iran, befunden, wo drei Personen auf ihn zugekommen seien. Es seien zwei Iraner und ein Afghane gewesen, die seinen Vater gekannt und gewollt hätten, dass der BF mit ihnen mitgehe und in ein Auto einsteige. Als sich der BF gewehrt habe, hätten sie auf ihn eingeschlagen. Einer habe ihn mit einem Messer verletzt, sodass er das Krankenhaus aufsuchen habe müssen. Daher habe er den Iran verlassen. Er habe neben der Schule gearbeitet, um seine Mutter zu unterstützen. Er wolle nicht nach Afghanistan zurückkehren, da sein Vater die Zusammenarbeit des BF mit den Taliban gegen seinen Willen anstrebe. Sein Vater würde ihn sicher umbringen, da er dem BF immer vorgeworfen habe, was für ein Sohn er sei, der vor seinem Vater flüchte. Der BF habe sich gegen seinen Vater und für Europa entschieden. Auf Vorhalt zum von ihm angeführten Tod seines Vaters stützte sich der BF darauf, dies nur gehört zu haben, es aber nicht genau zu wissen. Er sei nie persönlich in Afghanistan bedroht worden, da er sehr jung gewesen sei. Er wisse nicht, welche Funktionen sein Vater bei den Taliban gehabt habe. Seine Mutter habe erzählt, dass sein Vater Fahrer bei den Taliban wäre, aber er wisse es nicht. Er könne auch nicht nach Kabul zurückkehren, da ihn sein Vater, der in der Provinz Maidan-Warduk im Ort Kharud tätig sei, finden würde und er niemanden in Afghanistan habe.
Er gehe in Österreich keiner Vereins- oder Organisationstätigkeit nach. Er sei in der Grundversorgung. Er habe in Österreich einen Diebstahl begangen und sei in eine Rauferei verwickelt gewesen. Er habe noch keinen Deutschkurs besucht, aber er gehe oft in die Bücherei in der Burggasse und lese Bücher, um die Sprache zu lernen. Danach treffe er sich oft mit Freunden aus Österreich und Afghanistan. Er habe keinen Kontakt zu seiner in Afghanistan lebenden Familie. Er möchte in Österreich eine Schule besuchen, eine Ausbildung machen und arbeiten.
3. Mit Schreiben vom 29.11.2016 führte die (damalige) Vertretung des BF aus, dass der BF im Alter von zwei Jahren Afghanistan verlassen habe und mit seiner Mutter in den Iran gereist sei. Seine Mutter sei mit dem Vater zwangsverheiratet worden. Zu seinem Vater als einem Anhänger der Taliban habe er ein schlechtes Verhältnis. Die Taliban würden den BF immer noch suchen, da er den Aufforderungen des Vaters, sich den Taliban anzuschließen, nicht nachgekommen sei. Der BF werde von den Taliban als weltanschaulicher und politischer Gegner gewertet. Es sei somit festzustellen, dass sich der BF aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der (ihm unterstellten) politischen Gesinnung, außerhalb Afghanistans befinde und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt sei, in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren. Es wurde auf verschiedene Vorfälle in Afghanistan verwiesen.
4. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 3.2.2017, Zl. 143 Hv 74/16z, wurde der BF rechtskräftig wegen §§ 15, 269 Abs. 1 1. Fall, §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 StGB und §§ 15, 127, 130 Abs. 1
1. Fall StGB (versuchter Widerstand gegen die Staatsgewalt, schwere Körperverletzung, versuchter gewerbsmäßiger Diebstahl) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt.
5. Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 07.03.2017, Zl. 331 HR 61/17a, wurde wegen Fluchtgefahr und Tatbegehungsgefahr die Untersuchungshaft über den BF verhängt und begründend ausgeführt, dass die Staatsanwaltschaft Wien ein Ermittlungsverfahren gegen den BF wegen des Verdachtes des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB führe.
6. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 24.05.2017, Zl. 153 Hv 26/17s, wurde der BF rechtskräftig wegen §§ 15, 87 Abs. 1 StGB [Verbrechen der absichtlich schweren Körperverletzung] zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt und im Hinblick auf das Urteil vom 3.2.2017 die Probezeit auf 5 Jahre verlängert.
7. Mit Bescheid vom 5.7.2017, Zl. 1091961707-151598438, wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.) ab. Die belangte Behörde erteilte dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte fest, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Einer Beschwerde des BF gegen diese Entscheidung über seinen Antrag auf internationalen Schutz wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 und 4 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.). Es wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise bestimmt (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm. Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den BF ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.). Weiters wurde festgestellt, dass der BF gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 AsylG sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 7.2.2017 verloren habe (Spruchpunkt VII.). Mit Verfahrensanordnung vom 5.7.2017 wurde der VMÖ dem BF von Amts wegen als Rechtsberatung zur Seite gestellt.
Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass nicht festgestellt werden habe können, dass der BF in Afghanistan einer Bedrohung von staatlicher oder privater Seite ausgesetzt sei bzw. eine solche zu befürchten hätte. Es habe kein fluchtauslösendes Ereignis und nicht annähernd ein zeitlicher Zusammenhang zwischen den behaupteten Ereignissen und seiner Ausreise festgestellt werden können. Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass der BF gesund sei, an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung leide, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftslandes vertraut sei, acht Jahre die Grundschule besucht und neben der Schule eine mehrjährige Ausbildung zum Glaser absolviert und auch in dieser Sparte gearbeitet habe. Weiters verfüge der BF über familiäre Bindungen in Afghanistan und im Iran. Der BF könne sich mithilfe der Rückkehrunterstützung ein Leben in Herat, Mazar-e-Sharif oder Kabul aufbauen. Mit der Stadt Herat, Kabul und Mazar-e-Sharif besitze der BF eine innerstaatliche Lebens- und Wohnalternative. Die Unterstützung durch NGO¿s seien am besten in diesen Regionen gewährleistet. Es wurde auch auf die Erreichbarkeit dieser Städte per Flugzeug hingewiesen. Dies ergebe sich auch aus den Länderberichten. Die Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass der BF in Österreich keine Verwandten habe, mehrmals straffällig geworden sei und sich aufgrund einer rechtskräftigen Verurteilung zurzeit in der Justizanstalt befinde. Die Erlassung des Einreiseverbotes und die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass der BF in Österreich zweimal rechtskräftig verurteilt worden sei und im kriminalpolizeilichen Aktenindex insgesamt 15 gerichtlich strafbare Anzeigen in der Zeit vom 18.2.2016 bis zum 3.3.2017 gegen den BF gespeichert seien, darunter Verbrechen wie schwere Körperverletzung, Widerstand gegen die Staatsgewalt, absichtliche schwere Körperverletzung und schwerer Raub. Gegen die Abschiebung des BF sprechende Gründe würden nicht vorliegen.
8. Mit Schriftsatz vom 27.7.2017 erhob der BF fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 5.7.2017 gegen sämtliche Spruchpunkte.
9. Mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 21.2.2018, Zl 46Hv 2/18v, wurde der BF rechtskräftig wegen § 83 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt und im Hinblick auf das Urteil vom 3.2.2017 (Punkt 1.7.) die bedingte Nachsicht der Freiheitsstrafe widerrufen. Der BF hatte während der Verbüßung seiner Haftstrafe in der Justizanstalt Gerasdorf einen weiteren Insassen vorsätzlich am Körper verletzt.
10. Vom Bundesverwaltungsgericht wurden mündliche Verhandlungen am 24.8.2017 und 20.8.2018 anberaumt, wobei den diesbezüglichen Ladungen die aktuellen Länderberichte angeschlossen waren. Im Zuge der zuletzt genannten mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde vom Vertreter des BF auf eine Stellungnahme zu den aktuellen Länderberichten verzichtet. Der BF gab an, während seiner Haft die Schule besucht, einen Fahrradtechnikkurs absolviert zu haben. Er absolviere eine Lehre als Koch. Bestätigungen dazu würden nachgereicht werden. Er möchte eine Chance bekommen, um seine Besserung beweisen zu können. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.8.2018, W255 2166182-1/22E, wurde die Beschwerde vom 27.7.2017 zu den Spruchpunkten I., II., III., V. und VI. als unbegründet abgewiesen. Hinsichtlich Spruchpunkt VII. wurde der Beschwerde stattgegeben und dieser Spruchpunkt zum Verlust des Aufenthaltsrechts gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 AsylG 2005 ersatzlos aufgehoben.
Begründend wurde zu den Spruchpunkten I. und II. ausgeführt, dass dem BF im Hinblick auf sein konkretes Vorbringen zu seinen behaupteten Fluchtgründen (insbesondere Verfolgung durch seinen Vater als Talibananhänger bzw. dessen Umfeld) keine Glaubwürdigkeit zukomme. Dem BF sei es deshalb insgesamt nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der GFK genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen. In dem Länderbericht, der im genannten Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts wiedergegebenen wurde, wurde auf die Erreichbarkeit der größeren afghanischen Städte auch per Flugzeug verwiesen. Insbesondere Städte wie Kabul oder Herat seien per Flugzeuge auch mit internationalen Fluglinien erreichbar.
Vor dem Hintergrund der individuellen Situation des BF sei diesem die Rückkehr jedenfalls auch in die Stadt Kabul zumutbar. Es seien insgesamt keine konkreten Anhaltspunkte dafür aufgekommen, dass der BF bei einer Rückkehr einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre. Der BF sei gesund, im erwerbsfähigen Alter, verfüge über achtjährige Schulbildung und viel Jahre Arbeitserfahrung in einer Glasfabrik. Er spreche die Landessprachen Dari und Paschto. Die Mutter des BF lebe in Teheran, gehe einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit als Lehrerin nach, stehe mit dem BF in regelmäßigem Kontakt und sei in der Lage, den BF finanziell zu unterstützen. Auch ein langjähriger Freund der Mutter, der mit seiner Familie in Kabul lebe, wäre bereit, den BF zumindest vorübergehend mit Unterkunft und Verpflegung zu versorgen. Der BF könne zudem Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen, wodurch er Unterstützung für die Existenzgründung bei einer Rückkehr erlangen kann. Dafür würden auch die Einschätzungen der UNHCR-Richtlinien sprechen. In einer Gesamtbetrachtung sei davon auszugehen, dass die Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet nur geringes Gewicht hätten und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung in den Hintergrund treten würden. Die Erlassung der Rückkehrentscheidung sei daher im vorliegenden Fall gemäß § 9 BFA-VG geboten und auch nicht unverhältnismäßig.
11. Am 12.9.2018 stellte der BF neuerlich einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz in Österreich. Bei der Einvernahme am 12.9.2018 durch ein Organ der Polizeiinspektion Schwechat führte der BF dazu aus, seine alten Fluchtgründe aufrecht zu erhalten. Es habe sich nichts geändert. Er könne nicht in die Heimat zurückkehren und habe Angst vor seinem Vater. Die Änderung seiner Fluchtgründe sei seit seiner Flucht bekannt.
12. Zur Einvernahme am 27.11.2018 durch die belangte Behörde wurde der BF auf Grund seiner bis 13.3.2019 dauernden Inhaftierung in der Justizvollzugsanstalt vorgeführt. Der BF gab an, gesund zu sein. Über seinen Fluchtgrund befragt, führte er aus, dass er jetzt älter geworden sei und sich ein neues Leben aufbauen wolle. Er mache derzeit eine Ausbildung in der Küche der Justizanstalt Korneuburg. Er habe einen Fahrradtechnik- und 1.Hilfekurs absolviert. Sein Vater sei streng gläubig und vertrete die Meinung, sich opfern zu müssen und nur auf diese Weise ins Paradies zu kommen. Der Aufenthaltsort seines Vaters sei ihm unbekannt. Seine Mutter, mit der er gemeinsam in den Iran geflohen sei, befinde sich noch immer dort. Er halte seine alten Fluchtgründe aufrecht. Zur Rechtskraft der Entscheidung zu seinem 1.Antrag auf internationalen Schutz möchte er nichts sagen. Er möchte nicht zurück. Er habe sein ganzes Leben mit seiner Mutter verbracht, die auch vor seinem Vater geflohen sei. Er habe in Österreich keine Verwandten. Er sei kein Mitglied eines Vereins in Österreich.
13. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 10.12.2018, Zl. 1091961707 - 180865154, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 12.9.2018 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Nach Wiedergabe der Länderberichte insbesondere auch mit Bezug auf Herat und Kabul, Mazar-e-Sharif sowie deren Erreichbarkeit wurde von der belangten Behörde begründend ausgeführt, dass der BF im gegenständlichen Verfahren keinen entscheidungsrelevanten Sachverhalt vorgebracht habe, welcher nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens entstanden sei. Die wesentliche Sachlage habe sich weder in Hinblick auf den in der Sphäre des BF gelegenen Sachverhalt, noch auf jenen, der von Amts wegen aufzugreifen sei, in einem Ausmaß verändert, das eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages nicht von vornherein als ausgeschlossen erschienen ließe. Dem gegenständlichen Folgeantrag, der sich im Wesentlichen auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag stütze, stehe die Rechtskraft des über den Erstantrag absprechenden Bescheides entgegen. In der gegenständlichen Fallkonstellation stehe daher die Rechtskraft des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.8.2018 einem neuerlichen Antrag entgegen. Es habe sich auch bei den im Erstverfahren zugrunde gelegten Feststellungen zum Heimatland des BF (Afghanistan) unter Berücksichtigung von aktualisierten Versionen des im Erstverfahren verwendeten Quellenmaterials kein Hinweis auf eine sich seit dem rechtskräftigen Abschluss des Erstverfahrens maßgeblich geänderte Lage im Heimatland ergeben. Einer Beschwerde wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt. Mit Verfahrensanordnung vom 10.12.2018 wurde der Verein für Menschenrechte Österreich dem BF amtwegig als Rechtsberater zur Seite gestellt.
14. Mit Schreiben vom 20.12.2018 erhob der BF, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, Beschwerde gegen sämtliche Spruchpunkte des Bescheides vom 10.12.2018. Inhaltlich wurde ausgeführt, die belangte Behörde berücksichtige nicht die individuelle Situation des BF als junger Erwachsener, der von Taliban im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan zwangsweise rekrutiert werden würde, weil sein Vater ein Taliban sei. Der BF würde im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan bezogen auf das gesamte Staatsgebiet in eine aussichtslose Lebenssituation geraten. Es bestehe für den BF die reale Gefahr, eine Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder durch die Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden. In diesem Zusammenhang wurden in der Beschwerde drei Anschläge in Kabul im Herbst 2018 angeführt. Eine Rückkehr des BF stehe in Widerspruch zu § 8 Abs. 1 AsylG 2005. Der BF sei arbeitsfähig- und willig. Ihm sei sein Fehlverhalten bewusst und er bemühe sich, nach seiner Entlassung ein normales Leben ohne Belastung für den Staat zu führen. Der weitere Aufenthalt des BF im Bundesgebiet sei finanziell abgesichert.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1 Zur Person des BF
Der BF ist am XXXX geboren und afghanischer Staatsangehöriger. Der BF stammt aus der afghanischen Provinz Maidan Wardak. Er ist Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und sunnitischer Muslim. Die Muttersprache des BF ist Dari. Der BF spricht auch Paschtu.
Der BF übersiedelte gemeinsam mit seiner Mutter in seinem zweiten Lebensjahr von Afghanistan in den Iran, wo er gemeinsam mit seiner Mutter in Teheran aufwuchs. Mit dem in Afghanistan verbleibenden Vater hat der BF seit seiner Ausreise aus Afghanistan als Kleinkind keinen Kontakt mehr. In Teheran besuchte der BF acht Jahre die Schule und arbeitete mehrere Jahre in einer Glasfabrik. Ein langjähriger Freund der Mutter des BF lebte mit seiner Familie in Afghanistan und stand seit der Ausreise der Mutter des BF mit ihr in regelmäßigen Kontakt. Er kann den BF im Rückkehrfall unterstützen.
Der BF reiste im Oktober 2015 vom Iran nach Österreich und stellte am 21.10.2015 einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz. Bezüglich seines Fluchtgrundes brachte der BF in diesem Verfahren im Wesentlichen vor, dass sein Vater ein Anhänger der Taliban gewesen sei. Der BF sollte sich den Taliban in Afghanistan anschließen.
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 3.2.2017, Zl. 143 Hv 74/16z, wurde der BF rechtskräftig wegen §§ 15, 269 Abs. 1 1. Fall, §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 StGB und §§ 15, 127, 130 Abs. 1 1. Fall StGB (versuchter Widerstand gegen die Staatsgewalt, schwere Körperverletzung, versuchter gewerbsmäßiger Diebstahl) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt.
Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 07.03.2017, Zl. 331 HR 61/17a, wurde wegen Fluchtgefahr und Tatbegehungsgefahr die Untersuchungshaft über den BF verhängt und begründend ausgeführt, dass die Staatsanwaltschaft Wien ein Ermittlungsverfahren gegen den BF wegen des Verdachtes des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB führt.
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 24.05.2017, Zl. 153 Hv 26/17s, wurde der BF rechtskräftig wegen §§ 15, 87 Abs. 1 StGB [Verbrechen der absichtlich schweren Körperverletzung] zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt und im Hinblick auf das Urteil vom 3.2.2017 die Probezeit auf 5 Jahre verlängert.
Mit Bescheid vom 5.7.2017, 1091961707-151598438, wurde der Antrag auf internationalem Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Dagegen erhob der BF Beschwerde.
Mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 21.2.2018, Zl 46Hv 2/18v, wurde der BF rechtskräftig wegen § 83 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt und im Hinblick auf das Urteil vom 3.2.2017 die bedingte Nachsicht der Freiheitsstrafe widerrufen. Der BF hatte während der Verbüßung seiner Haftstrafe in der Justizanstalt Gerasdorf einen weiteren Insassen vorsätzlich am Körper verletzt.
Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.8.2018, Zl. W255 2166182-1/22E, wurde die gegen den Bescheid vom 5.7.2017 erhobene Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. als unbegründet abgewiesen. Dieses Erkenntnis des Bundes-verwaltungsgerichts blieb unbekämpft.
Am 12.9.2018 stellte der BF den gegenständlichen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz und begründete diesen damit, dass seine alten Fluchtgründe aufrecht bleiben würden. Es habe sich nichts geändert und er könne nicht in die Heimat zurückkehren. Sein Vater sei streng gläubig und meine, dass man sich opfern müsse und nur so ins Paradies komme.
Der BF ist gesund und arbeitsfähig.
Im gegenständlichen Fallkonstellation ergab sich weder eine Änderung der maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat des BF noch in sonstigen, in der Person des BF gelegenen Umständen.
1.2 Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan (Gesamtaktualisierung 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 8.01.2019)
Anschlag auf Regierungsgebäude in Kabul
Am 24.12.2018 detonierte vor dem Ministerium für öffentliches Bauwesen im Osten Kabuls (PD16) eine Autobombe; daraufhin stürmten Angreifer das nahe gelegene Gebäude des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Märtyrer und Behinderte und beschossen weitere Regierungseinrichtungen in der Umgebung (ORF 24.12.2018; vgl. ZO 24.12.2018, Tolonews 25.12.2018). Nach einem mehrstündigen Gefecht zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Angreifern konnten diese besiegt werden. Quellen zufolge kamen ca. 43 Menschen ums Leben (AJ25.12.2018; vgl. Tolonews 25.12.2018, NYT 24.12.2018). Bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 25.12.2018; vgl. AJ 25.12.2018).
Problematische Stimmenauszählung nach Parlamentswahlen und Verschiebung der Präsidentschaftswahl
Am 6.12.2018 erklärte die afghanische Wahlbeschwerdekommission (IECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Somit wurden die Stimmen von ungefähr einer Million Kabulis annulliert (Telepolis 15.12.2018; vgl. TAZ 6.12.2018). Die Gründe für die Entscheidung der IECC seien mehrere, darunter Korruption, Wahlfälschung und die mangelhafte Durchführung der Wahl durch die Unabhängige Wahlkommission (IEC) (Telepolis 15.12.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2018). Die Entscheidung wurde von der IEC als "politisch motiviert" und "illegal" bezeichnet (Tolonews 12.12.2018). Am 8.12.2018 erklärte die IECC dennoch, die Kommission würde ihre Entscheidung revidieren, wenn sich die IEC kooperationswillig zeige (Tolonews 8.12.2018). Einer Quelle zufolge einigten sich am 12.12.2018 die beiden Wahlkommissionen auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen, welche die Transparenz und Glaubhaftigkeit dieser wahren sollte; ca. 10% der Stimmen in Kabul sollen durch diese neue Methode nochmals gezählt werden (Tolonews 12.12.2018). Die Überprüfung der Wahlstimmen in der Provinz Kabul ist weiterhin im Gange (Tolonews 7.1.2019). Dem Gesetz zufolge müssen im Falle der Annullierung der Stimmen innerhalb von einer Woche Neuwahlen stattfinden, was jedoch unrealistisch zu sein scheint (Telepolis 15.12.2018). Bisher hat die IEC die vorläufigen Ergebnisse der Wahl für 32 Provinzen veröffentlicht (IEC o.D.). Am 30.12.2018 wurde die Verschiebung der Präsidentschaftswahl vom 20.4.2019 auf den 20.7.2019 verkündet. Als Gründe dafür werden u.a. die zahlreichen Probleme während und nach den Parlamentswahlen im Oktober genannt (WP 30.12.2018; vgl. AJ 30.12.2018, Reuters 30.12.2018).
Anschläge in Kabul (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)
Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 20.11.2018 ca. 55 Menschen ums Leben und ca. 94 weitere wurden verletzt (AJ 21.11.2018; vgl. NYT 20.11.2018, TS 21.11.2018, LE 21.11.2018). Der Anschlag fand in der Hochzeitshalle "Uranus" statt, wo sich Islamgelehrte aus ganz Afghanistan anlässlich des Nationalfeiertages zu Maulid an-Nabi, dem Geburtstag des Propheten Mohammed, versammelt hatten (AJ 21.11.2018; vgl. TS 21.11.2018, TNAE 21.11.2018, IFQ 20.11.2018, Tolonews 20.11.2018). Quellen zufolge befanden sich zum Zeitpunkt der Explosion zwischen 1.000 und 2.000 Personen, darunter hauptsächlich Islamgelehrte und Mitglieder des Ulemarates, aber auch Mitglieder der afghanischen Sufi-Gemeinschaft und andere Zivilisten, in der Hochzeitshalle (AJ 21.11.2018; vgl. LE 21.11.2018, NYT 20.11.2018, DZ 20.11.2018, IFQ 20.11.2018). Gemäß einer Quelle fand die Detonation im ersten Stock der Hochzeitshalle statt, wo sich zahlreiche Geistliche der afghanischen Sufi-Gemeinschaft versammelt hatten. Es ist nicht klar, ob das Ziel des Anschlags das Treffen der sufistischen Gemeinschaft oder das im Erdgeschoss stattfindende Treffen der Ulema und anderer Islamgelehrten war (LE 21.11.2018; vgl. TNAE 21.11.2018). Weder die Taliban noch der Islamische Staat (IS) bekannten sich zum Angriff, der dennoch von den Taliban offiziell verurteilt wurde (LE 21.11.2018; vgl. AJ 21.11.2018, IFQ 20.11.2018).
Am 12.11.2018 kamen bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt ca. sechs Personen ums Leben und 20 weitere wurden verletzt (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, ANSA 12.11.2018). Anlass dafür war eine Demonstration in der Nähe des "Pashtunistan Square" im Stadtzentrum, an der hunderte von Besuchern, darunter hauptsächlich Mitglieder und Unterstützer der Hazara-Gemeinschaft, teilnahmen, um gegen die während des Berichtszeitraums anhaltenden Kämpfe in den Provinzen Ghazni und Uruzgan zu demonstrieren (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, KP 12.11.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (DZ 12.11.2018; vgl. AJ 12.11.2018).
Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 31.10.2018 ca. sieben Personen ums Leben und weitere acht wurden verletzt (Dawn 1.11.20181; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Unter den Opfern befanden sich auch Zivilisten (Pajhwok 31.10.2018; vgl. 1TV 31.10.2018). Die Explosion fand in der Nähe des Kabuler Gefägnisses Pul-i-Charkhi statt und hatten dessen Mitarbeiter zum Ziel (Dawn 1.11.2018; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (Dawn 1.11.2018, vgl. 1TV 31.10.2018).
KI vom 29.10.2018, Parlamentswahlen und UNAMA-Update zu zivilen Opfern
Am 20. und am 21.10.2018 fand in Afghanistan die Wahl für das Unterhaus (Wolesi Jirga, Anm.) in 32 der 34 Provinzen statt (AAN 21.10.2018b; vgl. LS 21.10.2018). In der Provinz Ghazni wurde die Parlamentswahl verschoben, voraussichtlich auf den 20.4.2019, wenn u. a. auch die Präsidentschafts- und Distriktwahlen stattfinden sollen (siehe hierzu KI der Staatendokumentation vom 19.10.2018). In der Provinz Kandahar fand die Wahl am 27.10.2018 mit Ausnahme der Distrikte Nesh und Maruf statt (AAN 26.10.2018; vgl. CNN 27.10.2018). Grund für die Verzögerung war die Ermordung u.a. des lokalen Polizeichefs General Abdul Raziq am 18.10.2018 (AJ 19.10.2018; vgl. LS 21.10.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle gemeldet (CNN 27.10.2018). Die Wahl, die für den 20.10.2018 geplant war, wurde um einen Tag verlängert, weil die Wähler aus sicherheits- und technischen Gründen in zahlreichen Provinzen nicht wählen konnten:
Lange Wartezeiten vor den Wahllokalen sowie verspätete Öffnungszeiten, Mangel an Wahlunterlagen, Probleme bei der biometrischen Verifizierung der Wähler, sicherheitsrelevante Vorfälle usw. waren die Hauptprobleme während der beiden Wahltage (AAN 20.10.2018; vgl. AAN 21.10.2018a). Von den ca. neun Milionen Afghanen und Afghaninnen, die sich für die Wahl registriert hatten, wählten laut Schätzungen der Independent Election Commission (IEC) zwischen drei und vier Milionen (CNN 27.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018b). In den Städten und Gebieten, die als sicherer gelten, war der Wahlandrang höher als in den ländlichen Gegenden, in denen die Taliban Einfluss ausüben (AAN 20.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018a).
Während der beiden Wahltage fanden Quellen zufolge landesweit ca. 200 sicherheitsrelevante Vorfälle statt und ca. 170 Zivilsten kamen während des ersten Wahltages ums Leben bzw. wurden verwundet: In Kabul wurden 15 Tote, in Baghlan 12, in Nangarhar 11 und in Kunduz 3 Tote verzeichnet. Auch Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte befanden sich unter den Opfern (vgl. AAN 21.10.2018a, RN 21.10.2018, AFP 20.10.2018).
Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) (UNAMA 10.10.2018).
Zivile Opfer
Insgesamt wurden im selben Berichtszeitraum 8.050 zivile Opfer (2.798 Tote und 5.252 Verletzte) verzeichnet. Die meisten zivilen Opfer wurden durch Selbstmord- und Nicht-Selbstmord-IED
[Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer (UNAMA 10.10.2018).
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(UNAMA 10.10.2018)
Zivilisten in den Provinzen Nangarhar, Kabul, Helmand, Ghazni und Faryab waren am stärksten betroffen. In Nangarhar wurde bis 30.9.2018 die höchste Zahl an zivilen Opfern (1.494) registriert:
davon 554 Tote und 940 Verletzte (UNAMA 10.10.2018).
Regierungsfeindliche Gruppierungen verursachten 65% der zivilen Opfer (5.243): davon 1.743 Tote und 3.500 Verletze. 35% der Opfer wurden den Taliban, 25% dem Islamic State Khorasan Province (ISKP) und 5% unidentifizierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben (darunter 1% selbsternannten Mitgliedern des ISKP) (UNAMA 10.10.2018).
Regierungfreundliche Gruppierungen waren für 1.753 (761 Tote und 992 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich: 16% wurden durch die afghanischen, 5% durch die internationalen Sicherheitskräfte und 1% durch regierungfreundliche bewaffnete Gruppierungen verursacht (UNAMA 10.10.2018).
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(UNAMA 10.10.2018)
KI vom 19.10.2018, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2018 (relevant für Abschnitt 3 / Sicherheitslage)
Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (UNGASC 10.9.2018). Am 19.8.2018 kündigte der afghanische Präsident Ashraf Ghani einen dreimonatigen Waffenstillstand mit den Taliban vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 an, der von diesen jedoch nicht angenommen wurde (UNGASC 10.9.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018, TG 19.8.2018, AJ 19.8.2018). Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.5.2018 - 15.8.2018) 5.800 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 10% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 14% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (61%) aus. Selbstmordanschläge nahmen um 38% zu, Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Kräfte stiegen um 46%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten, wo insgesamt 67% der Vorfälle stattfanden. Es gibt weiterhin Bedenken bezüglich sich verschlechternder Sicherheitsbedingungen im Norden des Landes:
Eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden wurde in den Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan registriert, und Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der drei Provinzen (UNGASC 10.9.2018).
Zum ersten Mal seit 2016 wurden wieder Provinzhauptädte von den Taliban angegriffen: Farah- Stadt im Mai, Ghazni-Stadt im August und Sar-e Pul im September (UNGASC 10.9.2018; vgl. Kapitel 1., KI 11.9.2018, SIGAR 30.7.2018, UNGASC 6.6.2018). Bei den Angriffen kam es zu heftigen Kämpfen, aber die afghanischen Sicherheitskräfte konnten u.a. durch Unterstützung der internationalen Kräfte die Oberhand gewinnen (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018, GT 12.9.2018). Auch verübten die Taliban Angriffe in den Provinzen Baghlan, Logar und Zabul (UNGASC 10.9.2018). Im Laufe verschiedener Kampfoperationen wurden sowohl Taliban- als auch ISKP-Kämpfer (ISKP, Islamic State Khorasan Province, Anm.) getötet (SIGAR 30.7.2018).
Sowohl die Aufständischen als auch die afghanischen Sicherheitskräfte verzeichneten hohe Verluste, wobei die Zahl der Opfer auf Seite der ANDSF im August und September 2018 deutlich gestiegen ist (Tolonews 23.9.2018; vgl. NYT 21.9.2018, ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018).
Trotzdem gab es bei der Kontrolle des Territoriums durch Regierung oder Taliban keine signifikante Veränderung (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018). Die Regierung kontrollierte - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 15.5.2018 56,3% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 (57%) bedeutet. 30% der Distrikte waren umkämpft und 14% befanden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 67% der Bevölkerung lebten in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befanden, 12% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 23% lebten in umkämpften Gebieten (SIGAR 30.7.2018).
Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist weiterhin in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv (USGASC 6.6.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018). Auch war die terroristische Gruppierung im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia verantwortlich (UNGASC 10.9.2018; vgl. KI vom 11.9.2018, KI vom 22.8.2018). Anfang August besiegten die Taliban den in den Distrikten Qush Tepa und Darzab (Provinz Jawzjan) aktiven "selbsternannten" ISKP (dessen Verbindung mit dem ISKP in Nangarhar nicht bewiesen sein soll) und wurden zur dominanten Macht in diesen beiden Distrikten (AAN 4.8.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018).
Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.5.2018 - 30.9.2018) 1.969 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Durch die folgende kartografische Darstellung der Staatendokumentation soll die Verteilung des Konflikts landesweit veranschaulicht werden.
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(BFA Staatendokumentation 15.10.2018a)
Im Folgenden wird das Verhältnis zwischen den diversen sicherheitsrelevanten Vorfällen für den Zeitraum 1.4.2018 - 30.9.2018 durch eine Grafik der Staatendokumentation veranschaulicht.
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(BFA Staatendokumentation 15.10.2018b)
Zivile Opfer
Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) 5.122 zivile Opfer (1.692 Tote und 3.430 Verletzte), ein Rückgang von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. 45% der zivilen Opfer wurden durch IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, aber auch Selbstmordanschläge, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer. Zivilisten in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Faryab, Helmand und Kandahar waren am stärksten betroffen. Wobei die Zahl der durch Zusammenstöße am Boden verursachten zivilen Opfer um 18% und die Zahl der gezielten Tötungen deutlich zurückging. Jedoch ist die Opferzahl bei komplexen und Selbstmordangriffen durch regierungsfeindliche Gruppierungen gestiegen (um 22% verglichen mit 2017), wobei 52% der Opfer dem ISKP, 40% den Taliban und der Rest anderen regierungsfeindlichen Gruppierungen zuzuschreiben ist (UNAMA 15.7.2018).
Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) für 3.413 (1.127 Tote und 2.286 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich (67%): 42% der Opfer wurden den Taliban, 18% dem IS und 7% undefinierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Vergleich mit dem ersten Halbjahr 2017 stieg die Anzahl ziviler Opfer von gezielten Angriffen auf Zivilisten um 28%, was hauptsächlich auf Angriffe auf die öffentliche Verwaltung und Vorfälle mit Bezug auf die Wahlen zurückzuführen ist (UNAMA 15.7.2018).
Ungefähr 1.047 (20%) der verzeichneten zivilen Opfer wurden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 17% wurden von den afghanischen Sicherheitskräften, 2% durch die internationalen Streitkräfte und 1% von regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppierungen verursacht. Gegenüber 2017 sank die den regierungstreuen Gruppen zugerechnete Zahl ziviler Opfer von Zusammenstößen am Boden um 21%. Gleichzeitig kam es jedoch zu einem Anstieg der Opfer von Luftangriffen um 52% (Kunduz, Kapisa und Maidan Wardak) (UNAMA 15.7.2018; vgl. UNAMA 25.9.2018a, UNAMA 25.9.2018b).
Auch wurden von UNAMA zivile Opfer durch Fahndungsaktionen, hauptsächlich durch die Spezialkräfte des National Directorate of Security (NDS) und regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen wie die Khost Protection Force (KPF) verzeichnet (UNAMA 15.7.2018).
Dennoch unternahm die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen zur Reduzierung der Zahl ziviler Opfer, was hauptsächlich während Bodenoperationen einen diesbezüglichen Rückgang zur Folge hatte. Die Regierung verfolgt eine "nationale Politik für zivile Schadensminimierung und - prävention" und das Protokol V der "Konvention über bestimmte konventionelle Waffen in Bezug auf explosive Kriegsmunitionsrückstände", welche am 9.2.2018 in Kraft getreten ist. Bei Bodenoperationen regierungfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich Taliban) wurde ein Rückgang der zivilen Opfer um 23% im Vergleich zu 2017 verzeichnet. So sank etwa die Zahl der zivilen Opfer der hauptsächlich von den Taliban eingesetzten Druckplatten-IEDs um 43% (UNAMA 15.7.2018).
Wahlen
Zwischen 14.04.2018 und 27.7.2018 fand die Wählerregistrierung für die Parlaments- sowie Distriktwahlen statt. Offiziellen Angaben zufolge haben sich im genannten Zeitraum 9,5 Millionen Wähler registriert, davon 34% Frauen (UNGASC 10.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Parlaments- sowie Distriktwahlen endete am 12.6.2018 bzw. 14.6.2018 und die Kandidatenliste für die Parlamentswahlen wurde am 2.7.2018 veröffentlicht (UNGASC 10.9.2018). Am 25.9.2018 wurde vom Sprecher der Independent Electoral Commission (IEC) verkündet, dass die landesweiten Distriktwahlen sowie die Parlamentswahlen in der Provinz Ghazni am 20.10.2018 nicht stattfinden werden (im Rest des Landes hingegen schon). Begründet wurde dies mit der niedrigen Anzahl registrierter Kandidaten für die Distriktwahlen (nur in 40 von 387 Distrikten wurden Kandidaten gestellt) sowie mit der "ernst zu nehmenden Sicherheitslage und anderen Problematiken". Damit wurden beide Wahlen (Distriktwahlen landesweit und Parlamentswahlen in Ghazni) de facto für 2018 abgesagt. Obwohl noch nicht feststeht, wann diese nachgeholt werden sollen, ist der 20.4.2019, an dem u.a. die Präsidentschafts- sowie Provinzwahlen stattfinden sollen, als neuer Termin wahrscheinlich (AAN 26.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Präsidentschaftswahl ist für den Zeitraum 11.11.2018 - 25.11.2018 vorgesehen; die vorläufige Kandidatenliste soll am 10.12.2018 bereitstehen, während die endgültige Aufstellung am 16.1.2019 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018). Ohne die Provinz Ghazni sank die Zahl der registrierten Wähler mit Stand Oktober 2018 auf ungefähr 8.8 Milionen (AAN 9.10.2018; vgl. IEC o. D.). Die Verkündung der ersten Wahlergebnisse für die Parlamentswahlen (ohne Provinz Ghazni) ist für den 10.11.2018 vorgesehen, während das Endergebnis voraussichtlich am 20.12.2018 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018).
Im April und Oktober 2018 erklärten die Taliban in zwei Stellungnahmen, dass sie die Wahl boykottieren würden (AAN 9.10.2018). Angriffe auf mit der Ausstellung von Tazkiras sowie mit der Wahlregistrierung betraute Behörden wurden berichtet. Sowohl am Wahlprozess beteiligtes Personal als auch Kandidaten und deren Unterstützer wurden von regierungsfeindlichen Gruppierungen angegriffen. Zwischen 1.1.2018 und 30.6.2018 wurden 341 zivile Opfer (117 Tote und 224 Verletzte) mit Bezug auf die Wahlen verzeichet, wobei mehr als 250 dieser Opfer den Anschlägen Ende April und Anfang Mai in Kabul und Khost zuzuschreiben sind. Auch wurden während des Wahlregistrierungsprozesses vermehrt Schulen, in denen Zentren zur Wahlregistrierung eingerichtet worden waren, angegriffen (39 Angriffe zwischen April und Juni 2018), was negative Auswirkungen auf die Bildungsmöglichkeiten von Kindern hatte (UNAMA 15.7.2018). Seit dem Beginn der Wählerregistrierung Mitte April 2018 wurden neun Kandidaten ermordet (AAN 9.10.2018).
Von den insgesamt 7.366 Wahllokalen werden aus Sicherheitsgründen letztendlich am Tag der Wahl 5.100 geöffnet sein (AAN 9.10.2018; vgl. UNAMA 17.9.2018, Tolonews 29.9.2018). Diese sollen während der fünf Tage vor der Wahl von 54.776 Mitgliedern der Afghan National Security Forces (ANSF) bewacht werden; 9.540 weitere stehen als Reserven zur Verfügung (Tolonews 29.9.2018; vgl. AAN 9.10.2018).
KI vom 11.9.2018, Angriffe des Islamischen Staates (IS/ISKP) in Kabul, Anschläge in Nangarhar und Aktivitäten der Taliban in den Provinzen Sar-i Pul und Jawzjan
Anschläge in Nangarhar 11.9.2018
Am 11.9.2018 kamen nach einem Selbstmordanschlag während einer Demostration im Distrikt Mohamad Dara der Provinz Nangarhar mindestens acht Menschen ums Leben und weitere 35 wurden verletzt (Tolonews 11.9.2018; vgl. TWP 11.9.2018, RFE/RL 11.9.2018). Kurz zuvor wurde am Vormittag des 11.9.2018 ein Anschlag mit zwei Bomben vor der Mädchenschule "Malika Omaira" in Jalalabad verübt, bei dem ein Schüler einer nahegelegenen Jungenschule ums Leben kam und weitere vier Schüler verletzt wurden, statt (RFE/RL 11.9.2018; AFP 11.9.2018). Davor gab es vor der Mädchenschule "Biba Hawa" im naheligenden Distrikt Behsud eine weitere Explosion, die keine Opfer forderte, weil die Schülerinnen noch nicht zum Unterricht erschienen waren (AFP 11.9.2018).
Weder die Taliban noch der IS/ISKP bekannten sich zu den Anschlägen, obwohl beide Gruppierungen in der Provinz Nangarhar aktiv sind (AFP 11.9.2018; vgl. RFE/RL 11.9.2018, TWP 11.9.2018).
Kämpfe in den Provinzen Sar-e Pul und Jawzjan 11.9.2018
Am Montag, dem 10.9.2018, eroberten die Taliban die Hauptstadt des Kham Aab Distrikts in der Provinz Jawzjan nachdem es zu schweren Zusammenstößen zwischen den Taliban und den afghanischen Sicherheitskräften gekommen war (Tolonews 10.9.2018a; Tolonews 10.9.2018b). Sowohl die afghanischen Streitkräfte als auch die Taliban erlitten Verluste (Khaama Press 10.9.2018a).
Am Sonntag, dem 9.9.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt der Provinz Sar-i Pul, wo nach wie vor u.a. mit Einsatz der Luftwaffe gekämpft wird (Tolonews 10.9.2018b; vgl. FAZ 10.9.2018). Quellen zufolge haben die Taliban das Gebiet Balghali im Zentrum der Provinzhauptstadt eingenommen und unter ihre Kontrolle gebracht (FAZ 10.9.2018). Sar-i-Pul-Stadt gehört zu den zehn Provinzhauptstädten, die Quellen zufolge das höchste Risiko tragen, von den Taliban eingenommen zu werden. Dazu zählen auch Farah-Stadt, Faizabad in Badakhshan, Ghazni-Stadt, Tarinkot in Uruzgan, Kunduz-Stadt, Maimana in Faryab und Pul-i- Khumri in Baghlan (LWJ 10.9.2018; vgl. LWJ 30.8.2018). Weiteren Quellen zufolge sind auch die Städte Lashkar Gar in Helmand und Gardez in Paktia von einer Kontrollübernahme durch die Taliban bedroht (LWJ 10.9.2018).
IS-Angriff während Massoud-Festzug in Kabul 9.9.2018
Bei einem Selbstmordanschlag im Kabuler Stadtteil Taimani kamen am 9.9.2018 mindestens sieben Menschen ums Leben und ungefähr 24 weitere wurden verletzt. Der Anschlag, zu dem sich der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte, fand während eines Festzugs zu Ehren des verstorbenen Mudschahedin-Kämpfers Ahmad Shah Massoud statt (AJ 10.9.2018; vgl. Khaama Press 10.9.2018b).
IS-Angriff auf Sportverein in Kabul 5.9.2018
Am Mittwoch, dem 5.9.2018, kamen bei einem Doppelanschlag auf einen Wrestling-Klub im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi mindestens 20 Personen ums Leben und ungefähr 70 weitere wurden verletzt (AJ 6.9.2018; vgl. CNN 6.9.2018, TG 5.9.2018). Zuerst sprengte sich innerhalb des Sportvereins ein Attentäter in die Luft, kurz darauf explodierte eine Autobombe in der sich vor dem Klub versammelnden Menge (SO 5.9.2018) Der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte sich zum Anschlag (RFE/RL 5.9.2018).
Weiterführende Informationen über die Aktivitäten der Taliban und Zusammenstöße mit den afghanischen Sicherheitskräften werden in der kommenden Aktualisierung (Q3) der Sicherheitslage näher beschrieben.
KI vom 22.08.2018, Angriffe des Islamischen Staates (IS/ISKP) in Kabul und Paktia und Aktivitäten der Taliban in Ghazni, Baghlan, Faryab und Kunduz zwischen 22.7.2018 und 20.8.2018; (relevant für Abschnitt 3 / Sicherheitslage)
Entführung auf der Takhar-Kunduz-Autobahn 20.8.2018
Am 20.8.2018 entführten die Taliban 170 Passagiere dreier Busse, die über die Takhar-Kunduz- Autobahn auf der Reise nach Kabul waren (Tolonews 20.8.2018; vgl. IFQ 20.8.2018). Quellen zufolge wurden die Entführten in das Dorf Nikpe der Provinz Kunduz gebracht, wo es zu Kämpfen zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Aufständischen kam. Es wurden insgesamt 149 Personen freigelassen, während sich die restlichen 21 weiterhin in der Gewalt der Taliban befinden (IFQ 20.8.2018). Grund für die Entführung war die Suche nach Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte bzw. Beamten (IFQ 20.8.2018; vgl. BBC 20.8.2018). Die Entführung erfolgte nach dem von Präsident Ashraf Ghani angekündigten Waffenstillstand, der vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 gehen sollte und jedoch von den Taliban zurückgewiesen wurde (Reuters 20.8.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018).
IS-Angriff auf die Mawoud Akademie in Kabul 15.8.2018
Ein Selbstmordattentäter sprengte sich am Nachmittag des 15.8.2018 in einem privaten Bildungszentrum im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi, dessen Bewohner mehrheitlich Schiiten sind, in die Luft (NZZ 16.8.2018; vgl. BBC 15.8.2018, Repubblica 15.8.2018). Die Detonation hatte 34 Tote und 56 Verletzte zur Folge (Reuters 16.8.2018a; vgl. NZZ 16.8.2018, Repubblica 15.8.2018). Die Mehrheit der Opfer waren Studentinnen und Studenten, die sich an der Mawoud Akademie für die Universitätsaufnahmeprüfungen vorbereiteten (Reuters 16.8.2018b; vgl. RFE/RL 17.8.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Vorfall (RFE/RL 17.8.2018; vgl. Reuters 16.8.2018b).
Kämpfe in den Provinzen Ghazni, Baghlan und Faryab
Am Donnerstag, dem 9.8.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt Ghaznis, einer strategisch bedeutenden Provinz, die sich auf der Achse Kabul-Kandahar befindet (Repubblica 13.8.2018; vgl. ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018). Nach fünftägigen Zusammenstößen zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Aufständischen konnten letztere zurückgedrängt werden (AB 15.8.2018; vgl. Xinhua 15.8.2018). Während der Kämpfe kamen ca. 100 Mitglieder der Sicherheitskräfte ums Leben und eine unbekannte Anzahl Zivilisten und Taliban (DS 13.8.2018; vgl. ANSA 13.8.2018).
Am 15.8.2018 verübten die Taliban einen Angriff auf einen Militärposten in der nördlichen Provinz Baghlan, wobei ca. 40 Sicherheitskräfte getötet wurden (AJ 15.8.2018; vgl. Repubblica 15.8.2018, BZ 15.8.2018).
Auch im Distrikt Ghormach der Provinz Faryab wurde gekämpft: Die Taliban griffen zwischen 12.8.2018 und 13.8.2018 einen Stützpunkt des afghanischen Militärs, bekannt als Camp Chinaya, an und töteten ca. 17 Mitglieder der Sicherheitskräfte (ANSA 14.8.2018; vgl. CBS 14.8.2018, Tolonews 12.8.2018). Quellen zufolge kapitulierten die Sicherheitskräfte nach dreitägigen Kämpfen und ergaben sich den Aufständischen (CBS 14.8.2018; vgl. ANSA 14.8.2018).
IS-Angriff auf schiitische Moschee in Gardez-Stadt in Paktia 3.8.2018
Am Freitag, dem 3.8.2018, kamen bei einem Selbstmordanschlag innerhalb der schiitischen Moschee Khawaja Hassan in Gardez-Stadt in der Provinz Paktia, 39 Personen ums Leben und weitere 80 wurden verletzt (SI 4.8.2018; vgl. Reuters 3.8.2018, FAZ 3.8.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag (SI 4.8.2018).
IS-Angriff vor dem Flughafen in Kabul 22.7.2018
Am Sonntag, dem 22.7.2018, fand ein Selbstmordanschlag vor dem Haupteingangstor des Kabuler Flughafens statt. Der Attentäter sprengte sich in die Luft, kurz nachdem der afghanische Vizepräsident Rashid Dostum von einem einjährigen Aufenthalt in der Türkei nach Afghanistan zurückgekehrt und mit seinem Konvoi vom Flughafen abgefahren war (AJ 23.7.2018; vgl. Reuters 23.7.2018). Es kamen ca. 23 Personen ums Leben und 107 wurden verletzt (ZO 15.8.2018; vgl. France24). Der Islamische Staat (IS) reklamierte den Anschlag für sich (AJ 23.7.2018; vgl. Reuters 23.7.2018).
Politische Lage
Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).
Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).
Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).
Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).
Parlament und Parlamentswahlen
Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 20.4.2018, USDOS 15.8.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.1.2017).
Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.2.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.4.2018; vgl. USDOS 15.8.2017).
Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).
Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20. Oktober 2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.4.2018; vgl. AAN 22.1.2017, AAN 18.12.2016).
Parteien
Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.8.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus