TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/5 I409 2172459-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.02.2019
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Entscheidungsdatum

05.02.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
AVG §68 Abs1
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.2
EMRK Art.3
EMRK Art.8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs1a
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I409 2172459-3/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Florian Schiffkorn als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, Staatsangehörigkeit Nigeria, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 8. Jänner 2019, Zl. 1121598509/181115757, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Die belangte Behörde führt im angefochtenen Bescheid unter dem Punkt "A) Verfahrensgang" Folgendes aus:

"Sie haben am 07.07.2016 einen - ersten - Antrag auf internationalen Schutz gestellt, wobei Sie angaben, den Namen A. O. zu führen, Staatsangehöriger von Nigeria und am XX.XX.XXXX geboren zu sein. Dieser Antrag, den Sie zusammenfassend begründeten, dass Sie Nigeria verlassen hätten, weil Sie von Anhängern der Volksgruppe Fulani angegriffen worden wären, da diese Ihr Land einnehmen hätten wollen und die Polizei diesbezüglich nichts unternommen hätte, wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion XXXX, IFA-Zl. 1121598509/160946419, vom 12.09.2017, gem. § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG idgF abgewiesen, da diesem Vorbringen kein Glauben geschenkt wurde. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG wurde Ihr Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel gem. § 57 AsylG wurde Ihnen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Ziffer 3 AsylG 2005 idgF wurde gegen Sie eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Ziffer 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass Ihre Abschiebung gem. § 46 FPG nach Nigeria zulässig ist. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde Ihnen eine Frist von zwei Wochen für Ihre freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt. Die dagegen fristgerecht eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.04.2018, GZ I403 2172459-1/2E als unbegründet abgewiesen. Dieses Erkenntnis erwuchs am 18.04.2018 in Rechtskraft.

Am 06.06.2018 haben Sie einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz gestellt (IFA-Zl. 1121598509/180524475). Dieser Antrag, den Sie zusammenfassend begründeten, dass es exakt dasselbe Problem wäre - die Fulani hätten Ihre Farm zerstört - wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Erstaufnahmestelle XXXX, vom 24.07.2018, gem. § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde Ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen Sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF erlassen. Gemäß § 52 Absatz 9 FPG wurde festgestellt, dass Ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig ist. Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde Ihnen keine Frist für eine freiwillige Ausreise gewährt. Ihre dagegen fristgerecht eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.11.2018, GZ: I421 2172459-2/4E, als unbegründet abgewiesen. Dieses Erkenntnis erwuchs am 13.11.2018 in Rechtskraft.

Am 21.11.2018 haben Sie einen dritten - gegenständlichen - Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Anlässlich der niederschriftlichen Befragung am 21.11.2018 vor der Abteilung Fremdenpolizei und Anhaltevollzug in Wien, XXXX, gaben Sie an, Ihre alten Asylgründe aufrecht zu erhalten. Vor etwa zwei Monaten hätten Sie mit einem Freund in Nigeria telefoniert, wobei dieser Ihnen mitgeteilt hätte, dass die Polizei intensiv nach Ihnen suchen würde. Sie würden nämlich verdächtigt, homosexuell zu sein. Bei einer Rückkehr befürchten Sie deswegen eine 40-jährige Haftstrafe.

...

-

Am 19.12.2018 wurden Sie beim BFA, Erstaufnahmestelle XXXX, in Gegenwart eines Rechtsberaters im Zulassungsverfahren einvernommen. Die wesentlichen Passagen dieser Einvernahme gestalten sich dabei wie folgt:

...

LA: Hat sich seit Rechtskraft des Vorverfahrens Ihr Gesundheitszustand maßgeblich verändert - sind Sie gesund?

VP: Ja, ja, ja. Ich war vor kurzem krank und bin jetzt wieder gesund.

...

LA: Wissen Sie noch, was Sie bei der Erstbefragung zu Ihrer mittlerweile dritten Antragstellung zu Ihren Fluchtgründen angegeben haben - können Sie das in ein paar Sätzen wiedergeben?

VP: Ich habe dort angegeben, dass ich in Nigeria beschuldigt werde homosexuell zu sein und deshalb würden mir dort 14 Jahre Haft drohen.

LA: Sind das alle Gründe, warum Sie gegenständlichen Asylantrag gestellt haben?

VP: Es gibt zwei Gründe. Der erste Grund ist wegen den Fulani Herdsmen. Der zweite Grund ist wegen der Homosexualität.

LA: Führen Sie die Bedrohungslage wegen der Homosexualität?

VP: Sie beschuldigen mich, dass ich homosexuell bin. Ein Freund von mir sagte, ich solle flüchten, sonst werden sie mich verhaften und ich werde mein Leben 14 Jahre lang im Gefängnis verbringen. In Wirklichkeit bin ich nicht homosexuell.

LA: Seit wann würden Sie beschuldigt werden, homosexuell zu sein?

VP: Seit Dezember 2017. Mein Freund hat mich heuer 2018 angerufen und hat mir gesagt, dass diese Leute noch immer nach mir suchen, wegen dieser homosexuellen Sache. Mein Leben ist in Gefahr. Ich habe keinen Vater mehr.

LA: Was wäre diese "homosexuelle Sache" gewesen, beschreiben Sie?

VP: Ich wollte einem jungen Burschen helfen, dann sind Leute gekommen und haben behauptet, dass ich diesen Burschen vergewaltigen würde.

LA: War das auf offener Straße?

VP: In der Nacht, bei einem Haus. Ich habe Leute gesehen, bei einer Hausecke - ich wollte dem jungen Burschen helfen und dann ist die Polizei gekommen und ich bin weggelaufen. Die Polizei hat jemand anderen festgenommen. Dieser andere hatte der Polizei dann gesagt, dass ich der Schuldige wäre - aber es ist eine Lüge. Polizei sagte, dass sie sowieso schon nach mir suchen, da ich gegen die Fulani Herdsman gekämpft habe.

LA: Der Vorfall deckt sich eher wenig, mit dem was Sie bei der Polizei vor einem Monat angegeben haben - können Sie die Details wiedergeben?

VP: Ich habe der Polizei gesagt, dass ich zwei Gründe habe und der Hauptgrund das mit der Homosexualität ist.

LA: Noch einmal, was wäre da genau passiert - wie viele Personen waren beteiligt?

VP: Wie ich bereits gesagt habe, ich bin vorbeigegangen, da waren Leute hinter meinem Haus. Sie hielten einen jungen Burschen fest und ich ging dort hin. Ich habe den Jungen gerettet und diese anderen Leute kämpften gegen mich und dann ist die Polizei gekommen und haben zwei von diesen Leuten festgenommen. Diese beiden sagten der Polizei, dass ich homosexuell wäre und bei der Vergewaltigung dabei gewesen wäre. Die Polizei sucht wegen mir auch wegen der Fulani-Sache.

LA: Wann wäre dieser Vorfall genau gewesen?

VP: Es war 2014. Auf mehrmalige Nachfrage: VP: Mai 2014.

LA: Wann haben Sie den Anruf von Ihrem Freund bekommen?

VP: September 2018.

LA: Somit wäre Ihnen dieser Sachverhalt zumindest während Ihres zweiten Asylverfahrens bekannt gewesen, richtig?

VP: Ja.

LA: Haben Sie über den Anruf von diesem Freund Ihren Anwalt informiert?

VP: Ja, ja.

LA: Warum haben Sie das nicht in einem der Vorverfahren schon gesagt?

VP: Bei der Einvernahme habe ich das gesagt, aber sie ließen mich nicht reden.

LA: Bei welcher Einvernahme wäre das gewesen?

VP: Bei dem dritten Asylantrag.

LA: Bei der Erstbefragung bei der Polizei, richtig?

VP: Ja, am 21.11.2018.

LA: Haben sich seit Rechtskraft des Erstverfahrens wesentliche Änderungen betreffend Ihr Privat- und Familienleben in Österreich ereignet?

VP: Ich habe Probleme mit meiner Gesundheit, mein Körper juckt und ich kann in der Nacht nicht schlafen - ich war schon beim Arzt. Manchmal, wenn ich huste, kommt Blut raus. Ich rauche aber nicht, ich weiß nicht was los ist mit mir.

LA: Haben sich seit Rechtskraft des Erstverfahrens wesentliche Änderungen betreffend Ihr Privat- und Familienleben in Österreich ereignet?

VP: Ich habe meinen Deutschkurs beenden müssen. Ich müsste das jetzt selbst bezahlen, habe aber kein Geld dafür, das brauche ich um Essen zu kaufen.

...".

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 8. Jänner 2019 wies die belangte Behörde den Folgeantrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 21. November 2018 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten sowie des subsidiär Schutzberechtigen gemäß "§ 68 Absatz 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991 idgF" wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkte I und II). Dem Beschwerdeführer wurde überdies ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß "§ 57 AsylG" nicht erteilt (Spruchpunkt III). Gemäß "§ 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF" wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß "§ 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF" erlassen (Spruchpunkt IV). Gemäß "§ 52 Absatz 9 FPG" wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß "§ 46 FPG" nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V) und dass gemäß "§ 55 Absatz 1a FPG" keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VI). Darüber hinaus wurde gemäß "53 Absatz 1 iVm Absatz 2 Ziffer 6 FPG" gegen ihn ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII)

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 24. Jänner 2019 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Entscheidung über die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid

A) 1. Feststellungen

A) 1.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist volljährig, ledig und kinderlos, mittel- und vermögenslos, gesund und erwerbsfähig. Er ist Staatsangehöriger von Nigeria, Angehöriger der Volksgruppe der Edo und moslemischen Glaubens.

Seit (mindestens) 7. Juli 2016 hält sich der Beschwerdeführer in Österreich auf; er verfügt im Bundesgebiet über keine maßgeblichen privaten sowie über keine familiären Anknüpfungspunkte. Nach Abschluss seines ersten Asylverfahrens kam er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach, verblieb unrechtmäßig im Bundesgebiet und stellte zwei unzulässige Folgeanträge. Dadurch kam es, da der Beschwerdeführer bis dato Leistungen aus der Grundversorgung bezieht, zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft.

Soweit er in seinem dritten Asylverfahren behauptet, in Nigeria durch die "Fulani Herdsmen" bzw. aufgrund seiner angeblichen Homosexualität verfolgt zu werden, bestanden nach seinen Angaben beide Fluchtgründe bereits vor dem rechtskräftigen Abschluss seines ersten Asylverfahrens; dass er (zu Unrecht) beschuldigt wird, homosexuell zu sein, erfuhr er angeblich während seines zweiten Asylverfahrens.

Feststellungen zu seiner Identität - vor allem zu seinem Namen und seinem Geburtsdatum - können nicht getroffen werden.

Aufgrund der allgemeinen Lage im Land wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner persönlichen Verfolgung oder einer wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird.

A) 1.2. Zu den Feststellungen zur Lage in Nigeria:

Zur Lage in Nigeria werden folgende Feststellungen getroffen:

"Politische Lage

Nigeria ist in 36 Bundesstaaten und einen Bundeshauptstadtbezirk sowie 774 Local Government Areas (LGA/Bezirke) untergliedert. Die Bundesstaaten werden von direkt gewählten Gouverneuren regiert (AA 21.11.2016; vgl. AA 4.2017a; vgl. GIZ 7.2017a). Die Bundesstaaten verfügen auch über direkt gewählte Parlamente (AA 4.2017a).

Nigeria verfügt über ein Mehrparteiensystem. Die Verfassung vom 29.5.1999 enthält alle Attribute eines demokratischen Rechtsstaates (inkl. Grundrechtskatalog), und orientiert sich insgesamt am System der USA. Einem starken Präsidenten, der zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist, und einem Vizepräsidenten stehen ein aus Senat und Repräsentantenhaus bestehendes Parlament und eine unabhängige Justiz gegenüber (AA 21.11.2016; vgl. AA 4.2017a). In der Verfassungswirklichkeit dominiert die Exekutive in Gestalt des direkt gewählten Präsidenten und die direkt gewählten Gouverneure. Der Kampf um politische Ämter wird mit großer Intensität und häufig auch mit undemokratischen, gewaltsamen Mitteln geführt. Polizei und Justiz werden ebenfalls vom Bund kontrolliert (AA 21.11.2016).

Die Parteienzugehörigkeit orientiert sich bei den meisten der ca. 50 kleineren Parteien an Führungspersonen. Loyalitäten gegenüber der eigenen ethnischen Gruppe bzw. gegenüber Personen gehen anderen Loyalitäten vor; entsprechend repräsentiert keine der Parteien eine eindeutige politische Richtung (AA 21.11.2016).

Die Wahlen von Präsident und Nationalversammlung 2015 und die seitdem stattgefundenen

Wahlen der Gouverneur- und Landesparlamente in 31 von 36 Bundesstaaten haben die politische Landschaft in Nigeria grundlegend verändert. Die seit 2013 im All Progressives' Congress (APC) vereinigte Opposition gewann neben der Präsidentschaftswahl eine klare Mehrheit in beiden Häusern des Parlaments und regiert nun auch in 23 der 36 Bundesstaaten. Die seit 1999 dominierende People-s Democratic Party (PDP) musste zum ersten Mal in die Opposition und ist durch Streitigkeiten um die Parteiführung stark geschwächt. Lediglich in den südöstlichen Bundesstaaten des ölreichen Niger-Deltas konnte sie sich als Regierungspartei behaupten (AA 21.11.2016).

Bei den Präsidentschaftswahlen am 28.3.2015 besiegte der frühere Militärmachthaber und Kandidat der Opposition, Muhammadu Buhari, den bisherigen Amtsinhaber Goodluck Jonathan mit 54,9 Prozent der abgegebenen Stimmen. Bei diesen Wahlen, die von der internationalen Öffentlichkeit als beispielhaft für die Demokratie Afrikas gelobt wurden, kam es zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit Nigerias zu einem demokratischen Machtwechsel (GIZ 7.2017a). Der APC gewann die Gouverneurswahlen in 20 von 29 Bundesstaaten. Er stellt in den 36 Bundesstaaten derzeit 24 Gouverneure, die PDP 11 und All Progress Grand Alliance (APGA) einen Gouverneur. Unter den 36 Gouverneuren ist weiterhin keine Frau. Die Wahlen vom März/April 2015 wurden sowohl in Nigeria als auch von internationalen Wahlbeobachtern trotz organisatorischer Mängel als im Großen und Ganzen frei und fair bezeichnet. Die Spitzenkandidaten Jonathan und Buhari hatten sich in einer Vereinbarung (Abuja Accord) zur Gewaltlosigkeit verpflichtet. Dies und die Tatsache, dass Präsident Jonathan seine Wahlniederlage sofort anerkannte, dürfte größere gewalttätige Auseinandersetzungen verhindert haben. Die Minister der Regierung Buhari wurden nach einem längeren Sondierungsprozess am 11.11.2015 vereidigt (AA 4.2017a).

Neben der modernen Staatsgewalt haben auch die traditionellen Führer immer noch einen nicht zu unterschätzenden, wenn auch weitgehend informellen Einfluss. Sie gelten als Kommunikationszentrum und moralische Instanz und können wichtige Vermittler in kommunalen und in religiös gefärbten Konflikten sein (AA 4.2017a).

Fast im ganzen Norden Nigerias ist das System der LGA kollabiert. Große Teile kamen unter Kontrolle von Milizen und lokalen "Strongmen", die den politischen und sozio-ökonomischen Raum ausfüllen. Dies führte zur Vertiefung lokaler und regionaler Missstände (BS 2016).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria

-

AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): Nigeria - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Innenpolitik_node.html, Zugriff 6.7.2017

-

BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Nigeria Country Report,

https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Nigeria.pdf, Zugriff 6.7.2017

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (7.2017a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html, Zugriff 2.8.2017

Sicherheitslage

Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete und keine Bürgerkriegsparteien (AA 21.11.2016). In drei Gebieten herrschen Unsicherheit und Spannungen: im Nordosten (islamistische Gruppe Boko Haram); im Middle Belt (v.a. im Bundesstaat Plateau); und im Nigerdelta (SBM 17.1.2017). Laut SBM Intel war Boko Haram im Jahr 2016 für 71 Vorfälle mit 1.240 Toten verantwortlich. Den Fulani-Hirten werden für das Jahr 2016 47 Vorfälle mit 1425 Toten zugeschrieben. Viehdiebstahl, welcher für viele Jahre an Bedeutung verloren hat, ist inzwischen für Hirten, die hauptsächlich von Fulani abstammen, ein Grund für Konflikte und Angriffe geworden. Bei zwölf Vorfällen von Viehdiebstahl sind 470 Menschen getötet worden. Die Ölkonflikte, die sich im Jahr 2016 im Nigerdelta zugetragen haben, haben sich auf die ölproduzierenden Bundesstaaten im Südwesten und Südosten verbreitet. Bei 32 Vorfällen wurden 97 Menschen getötet (SBM 17.1.2017).

Es besteht aufgrund wiederholter Angriffe und Sprengstoffanschläge militanter Gruppen (Boko Haram, Ansaru) derzeit ein sehr hohes Anschlagsrisiko insbesondere für Nord- und Nordostnigeria, einschließlich für die Hauptstadt Abuja. In mehreren Städten Nord- und Nordostnigerias finden immer wieder Gefechte zwischen Sicherheitskräften und militanten Gruppen statt. Angehörige der Sicherheitskräfte, Regierungsstellen, christliche Einrichtungen - aber auch Einrichtungen gemäßigter Moslems - sowie Märkte, Wohnviertel und internationale Organisationen sind Anschlagsziele der militanten Gruppen. Drohungen bestehen gegen moslemische Einrichtungen im Süden (BMEIA 24.7.2017).

Das deutsche Auswärtige Amt warnt vor Reisen in die nördlichen Bundesstaaten Borno, Yobe, Adamawa, Bauchi und Gombe. Darüber hinaus wird auch von nicht notwendigen Reisen in die übrigen Landesteile Nordnigerias abgeraten. Wegen des besonders hohen Entführungsrisikos wird außerdem von Reisen in die Bundesstaaten Delta, Bayelsa, Rivers, Imo (insb. Hauptstadt Owerri), Abia, Anambra, Ebonyi, Edo, Enugu, Delta, Kogi, den südlichen Teil von Cross Rivers, Ogun und Akwa Ibom abgeraten (AA 24.7.2017). Auch das österreichische Außenministerium warnt vor Reisen in die Bundesstaaten Borno, Yobe, Adamawa, Plateau sowie den südlichen Landesteil von Bauchi und Kano. Mit Gewaltausbrüchen in allen zwölf nördlichen Bundestaaten ist jederzeit zu rechnen (BMEIA 24.7.2017). Das britische Außenministerium warnt zusätzlich noch vor Reisen in die Flussgegenden der Bundesstaaten Delta, Bayelsa, Rivers, Akwa Ibom und Cross River States sowie an die Grenze zu Niger im Bundesstaat Zamfara (UKFCO 24.7.2017).

Das österreichische Außenministerium hat für folgende Bundesstaaten eine partielle Reisewarnung ausgesprochen: Abia, Akwa Ibom, Anambra, Bayelsa, Delta, Ebonyi, Edo, Ekiti, Enugu, Imo, Kaduna, Kano, Oyo, Ondo, Rivers, einschließlich Port Harcourt und die vorgelagerten Küstengewässer (BMEIA 24.7.2017). Das britische Außenministerium warnt vor unnötigen Reisen nach: Bauchi, Zamfara, Kano, Kaduna, Jigawa, Katsina, Kogi, Abia sowie an die Grenze zu Niger in Sokoto und Kebbi und die Trockengebiete von Delta, Bayelesa und Rivers (UKFCO 24.7.2017). In Nigeria können in allen Regionen meist kaum vorhersehbar lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe dafür sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Meist sind diese Auseinandersetzungen von kurzer Dauer (wenige Tage) und örtlich begrenzt (meist nur einzelne Orte, in größeren Städten nur einzelne Stadtteile) (AA 24.7.2017).

In Lagos kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen verschiedenen Ethnien, politischen Gruppierungen aber auch zwischen Militär und Polizeikräften (BMEIA 24.7.2017) bzw. zu Problemen (u.a. Mobs, Plünderungen) durch die sogenannten "Area Boys". Der Einsatz von Schlägertruppen und privaten Milizen zur Erreichung politischer oder wirtschaftlicher Ziele ist weit verbreitet (AA 21.11.2016).

Gemäß den Zahlen des Council on Foreign Relations für die Zeitspanne Jänner 2016 bis Juni 2017 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (3.097), Benue (754), Rivers (360), Zamfara (308) und Adamawa (201). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer relativ niedrigen Zahl hervor: Jigawa (2), Gombe (3), Kebbi (7) und Sokoto (8) (CFR 2017). Laut OSAC besteht eine erhebliche terroristische Bedrohung vor allem in Nordnigeria. Boko Haram hat für die meisten terroristischen Aktivitäten die Verantwortung übernommen. In der gesamten Nigerdelta-Region greifen mehrere aufständische Gruppen gezielt die Infrastruktur und Mitarbeiter von internationalen Ölgesellschaften an. Viele Gebiete im südlichen Nigeria erleben aufgrund großer Armut, mangelnder Bildung, Jugendarbeitslosigkeit und bedeutender Inflation Unruhen verursacht durch Zivilisten (OSAC 4.7.2017).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria

-

AA - Auswärtiges Amt (24.7.2017): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/NigeriaSicherheit.html, Zugriff 24.7.2017

-

BMEIA - Außenministerium (24.7.2017): Reiseinformationen - Nigeria,

http://www.bmeia.gv.at/aussenministerium/buergerservice/reiseinformation/a-z-laender/nigeria-de.html, Zugriff 24.7.2017

-

CFR - Council on Foreign Relations (2017): Nigeria Security Tracker, http://www.cfr.org/nigeria/nigeria-security-tracker/p29483, Zugriff 25.7.2017

-

OSAC - Overseas Security Advisory Council (4.7.2017): Nigeria 2017 Crime and Safety Report - Abuja, https://www.osac.gov/pages/ContentReportDetails.aspx?cid=21604, Zugriff 25.7.2017

-

SBM - SBM Intel (7.1.2017): A Look at Nigeria's Security Situation,

http://sbmintel.com/wp-content/uploads/2016/03/201701_Security-report.pdf, Zugriff 24.7.2017

-

UKFCO - United Kingdom Foreign and Commonwealth Office (24.7.2017): Foreign Travel Advice - Nigeria, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria, Zugriff 24.7.2017

Nigerdelta

Das Nigerdelta, welches die Bundesstaaten Ondo, Edo, Delta, Bayelsa, Rivers, Imo, Abia, Akwa Ibom und Cross River umfasst, sorgt mit seinen Öl- und Gasreserven für 95 Prozent der Exporterlöse Nigerias (DACH 2.2013; vgl. OP 22.6.2017).

Die Lage im Nigerdelta hat sich seit November 2016 wieder beruhigt, ist aber noch nicht vollständig stabil und bleibt volatil; die Bedrohung der dort angesiedelten Öl- und Gasförderung durch militante Gruppen und Piraten bleibt ein Risiko, ebenso wie die Verschlechterung der ökologischen Grundlagen der Region (AA 4.2017c). Es gab eine Reihe von Angriffen auf die Ölinfrastrukturen, so zum Beispiel übernahm im Mai 2016 die aufständische Gruppe Niger Delta Avengers die Verantwortung für mehrere Angriffe auf die Ölgiganten Chevron, Shell und Nigerian National Petroleum Company (N24 29.5.2016). Ende August 2016 gaben die Niger Delta Avengers bekannt, dass die Gruppe die Feindseligkeiten einstellt und zum Dialog mit der Regierung bereit sei (NW 30.8.2016). Die Delta Avengers haben mit ihren Angriffen aufgehört, um den Friedensgesprächen eine Chance zu geben. Allerdings hat sich eine neue Gruppe, die sich die "New Delta Avengers" nennen, gebildet (Reuters 14.6.2017; vgl. NW 29.6.2017). Der Vizepräsident, Yemi Osinbajo, hat dem Nigerdelta bereits mehrere Besuche abgestattet und sich dabei mit traditionellen Führern und lokalen Politikern getroffen, um die Lage zu besprechen (FT 9.4.2017).

Entführungen sind besonders häufig im Nigerdelta und in den südöstlichen Bundesstaaten Abia, Imo und Anambra. Politiker, Reiche und Ausländer waren die häufigsten Opfer (FH 1.2017).

Von 2000 bis 2010 agierten im Nigerdelta militante Gruppen, die den Anspruch erhoben, die Rechte der Deltabewohner zu verteidigen und die Forderungen auf Teilhabe an den Öleinnahmen auch mittels Gewalt gegenüber der Regierung durchzusetzen (AA 21.11.2016).

2009 gelang dem damaligen Präsidenten Yar'Adua mit dem Amnestieangebot für die Militanten im Niger-Delta eine Beruhigung des Konflikts. Unter Buhari lief das Programm am 15.12.2015 aus. Damit begannen wieder die Angriffe auf die Ölinfrastruktur und die Produktion brach ein. Die Regierung scheint vornehmlich auf eine militärische Lösung zu setzen (AA 21.11.2016). Mit dem Amnestieprogramm gingen Kriminalität und Gewalt im Süden zunächst merklich zurück. Allerdings steigen Kriminalität und Gewalt in letzter Zeit wieder an. Deshalb hat die Regierung Buhari im Februar 2016 beschlossen, das Ende 2015 ausgelaufene Amnestieprogramm um weitere zwei Jahre bis 2017 zu verlängern (AA 4.2017a).

Bei den bewaffneten Auseinandersetzungen im Nigerdelta handelt es sich sowohl um einen Konflikt zwischen regionalen militanten Gruppen und der Staatsgewalt, als auch um Rivalitäten zwischen den unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im ersten Fall stehen in der Regel finanzielle Interessen der bewaffneten Gruppen im Vordergrund, im zweiten Fall geht es um einen Verteilungskampf rivalisierender Gruppen. Abgelegene Gebiete im Nigerdelta sind bis heute teils unter Kontrolle von separatistischen und kriminellen Gruppen. Teile des unzugänglichen Gebiets stellen weiterhin einen weitgehend rechtsfreien Raum dar, in dem die Einflussmöglichkeiten staatlicher Ordnungskräfte begrenzt sind (AA 21.11.2016). Das UK Home Office berichtet, dass laut DefenceWeb eine Joint Task Force (JTF) 2013 eingerichtet wurde, um den Terrorismus und andere Bedrohungen im Nigerdelta zu bekämpfen (UKHO 8.2016a). Die JTF, auch Operation Pulo Shield genannt, wurde im Juni 2016 umstrukturiert und mit der neuen Operation Delta Safe ersetzt, damit die derzeitigen Sicherheitsprobleme im Nigerdelta angegangen werden können (PT 22.6.2016; vgl. auch NT 9.7.2016).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria

-

AA - Auswärtiges Amt (4.2017c): Nigeria - Wirtschaft, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Wirtschaft_node.html, Zugriff 26.7.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): Nigeria - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Innenpolitik_node.html, Zugriff 24.8.2016

-

DACH - Asylkooperation Deutschland-Österreich-Schweiz (27.2.2013):

D-A-CH Fact-sheet zu Nigeria,

http://www.ecoi.net/file_upload/1729_1361973048_dach-nigeria-factsheet-gr-2013-02.doc, Zugriff 27.7.2017

-

FH - Freedom House (1.2017): Freedom in the World 2017 - Nigeria, https://www.ecoi.net/local_link/341818/485138_de.html, Zugriff 26.7.2017

-

FT - Financial Times (9.4.2017): Talks help crude and peace flow in the Niger Delta,

https://www.ft.com/content/8fc6b24c-152a-11e7-80f4-13e067d5072c, Zugriff 26.7.2017

-

N24 - News 24 (29.5.2016): Buhari to keep Delta amnesty programme, http://www.news24.com/Africa/News/buhari-to-keep-delta-amnesty-programme-20160529-2, Zugriff 26.7.2017

-

NT - Nigerian Tribune (9.7.2016): Operation Delta Safe gets new Coordinator,

http://tribuneonlineng.com/operation-delta-safe-gets-new-coordinator/, Zugriff 26.7.2017

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NW - Newsweek (29.6.2017): Nigeria Oil: Militants Will 'Give Peace a Chance' and Stop Attacks in Niger Delta, http://www.newsweek.com/nigeria-oil-yemi-osinbajo-niger-delta-629964, Zugriff 26.7.2017

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NW - Newsweek (30.8.2016): Niger Delta Avengers say 'Hostilities ceased' against Nigerian Government, http://europe.newsweek.com/niger-delta-avengers-say-hostilities-ceased-against-nigerian-government-494387?rm=eu, Zugriff 2.8.2017

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OP - Oilprice.com (22.6.2017): Once Again, Tensions Are Rising In Nigeria's Oil Sector,

http://oilprice.com/Energy/Crude-Oil/Once-Again-Tensions-Are-Rising-In-Nigerias-Oil-Sector.html, Zugriff 25.7.2017

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PT - Premium Times (22.6.2016): Nigerian military scraps Niger Delta 'Operation Pulo Shield',

http://www.premiumtimesng.com/news/top-news/205761-nigerian-military-scraps-niger-delta-operation-pulo-shield.html, Zugriff 26.7.2017

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Reuters (14.6.2017): Nigeria Oil: Militants Will 'Give Peace a Chance' and Stop Attacks in Niger Delta, http://www.reuters.com/article/nigeria-security-avengers-idUSL8N1J94QB, Zugriff 26.7.2017

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UKHO - UK Home Office (8.2016a): Country Information and Guidance Nigeria: Background information, including actors of protection, and internal relocation,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1471849541_cig-nigeria-background-v2-0-august-2016.pdf, Zugriff 26.7.2017

Middle Belt inkl. Jos/Plateau

Die ethnischen Gegensätze in Nigeria werden durch religiös-konfessionelle Trennlinien verstärkt, die aufgrund historischer Entwicklungen und moderner Binnenmigration viel komplizierter verlaufen, als es das vereinfachte Bild einer Nord-Süd-Teilung Nigerias in einen überwiegend muslimischen Norden und einen stärker christlich geprägten Süden nahelegt. Immer wieder kommt es zu lokalen Konflikten zwischen einzelnen ethnischen, sozialen und religiösen Gruppen, wie insbesondere zwischen Hirten und Bauern in Zentralnigeria (AA 4.2017a). Während diese Gewalt gewöhnlich nicht als religiöser Konflikt beginnt, nimmt es häufig religiöse Untertöne an und wird so von vielen Beteiligten als religiöser Konflikt wahrgenommen (USCIRF 26.4.2017). Bei derartiger Gewalt liegt der Ursprung gewöhnlich jedoch darin, dass in einem sehr heterogenen und ethnisch vielfältigen Teil Nigerias eine Gruppe die Kontrolle des Staatsapparates gegenüber einer anderen Gruppe beansprucht (KAS 12.7.2013; vgl. WWR 20.3.2015, IRIN 13.6.2017). Die Gründe, die für die Gewalt genannt werden, sind unter anderem Landstreitigkeiten, da Hirten Weideland für ihre Rinder suchen; bewaffnete Hirten, die sich vor Viehdiebstahl schützen wollen; und Fulani, die im Süden von Kaduna Rache für 500 Muslime, die bei Gewalt nach den Wahlen getötet wurden, ausüben (USCIRF 26.4.2017).

Obwohl kommunale Auseinandersetzungen in nahezu allen Regionen des Landes vorkommen, sind Intensität und Opfer in der Region des "Middle Belt? gravierender. Dies gilt v.a. für die Bundesstaaten Kaduna und Plateau, wo zahllose Menschen, vornehmlich Frauen und Kinder, auf brutalste Weise ermordet werden (KAS 12.7.2013; vgl. WWR 20.3.2015). Der Middle Belt bildet eine Brücke zwischen dem vorwiegend muslimischen Nordnigeria und dem hauptsächlich christlichen Süden. Die Region wird von kleinen christlichen Ethnien dominiert, die eine lange Tradition des Widerstandes gegen die muslimischen Ethnien aus dem Norden haben. Die Spannungen im Middle Belt sind mit dem Problem der "Indigenität" verbunden: Jeder Bundesstaat und jede LGA in Nigeria unterteilt seine Bevölkerung in "indigene" und "nicht-indigene" Bürger, oder "Einheimische" und "Siedler". Im Middle Belt genießen vorwiegend die o.g. kleinen christlichen Ethnien den Status der Indigenen, während die muslimischen Hausa und Fulani als Siedler eingestuft werden (DACH 2.2013; vgl. WWR 20.3.2015; IRIN 13.6.2017).

In Nigeria leben 18 Millionen Fulani, die auch Fulbe oder Peul genannt werden. 98 Prozent der Fulani sind muslimisch (CWI 6.2016). Die Fulani haben seit Jahrhunderten in einem großen Bereich Westafrikas ihre Rinderherden weiden lassen, doch sind sie dem wachsenden Druck ausgesetzt sich niederzulassen. Viele von ihnen haben es auch bereits getan. Da die Umweltbedingungen sich in der Sahelzone verschlechtern, sind die Fulani-Hirten gezwungen, auf der Suche nach neuen Weidegebieten langsam Richtung Süden und Westen zu wandern. Dies führt zu Konkurrenz und somit auch zu Kämpfen zwischen den Hirten und den Bauern um die natürlichen Ressourcen (CWI 6.2016; vgl. IRIN 27.7.2017).

Die wiederkehrende Gewalt zwischen den überwiegend christlichen Bauern und überwiegend muslimischen nomadischen Hirten ist im Jahr 2016 und Anfang 2017 angestiegen und hat zu hunderten von Toten und Zerstörungen von Kirchen geführt. Solche Angriffe wurden für Kaduna, Plateau, Bauchi, Taraba und Benue vermeldet. So wurden im März 2016 in Agatu Local Government Area, Benue zwischen 100-300 Menschen getötet und laut Berichten zufolge mindestens sechs Dörfer zerstört (USCIRF 26.4.2017). Eine andere Quelle spricht von über 500 Toten. Insgesamt sind im Jahr 2016 bei 59 Vorfällen 1.895 Menschen getötet worden (SBM 7.1.2017).

Die Regierung hat es lange nicht geschafft auf diese Gewalt adäquat zu reagieren. Die Bundespolizei wird selten eingesetzt, geschweige denn rechtzeitig. Die Regierung hat Polizei und Militär ins südliche Kaduna entsandt, um die Gewalt dort in den Griff zu bekommen. Jedoch gibt es Berichte, dass die Truppen sich nur bei den Hauptstraßen aufhielten und nicht weiter in die ländlichen Gebiete, wo es auch zu Gewalt kommt, vorgedrungen sind (USCIRF 26.4.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): Nigeria - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Innenpolitik_node.html, Zugriff 26.7.2017

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CWI - 21st Century Wilberforce Initiative (6.2016): Nigeria, Fractured and Forgotten, Discrimination And Violence Along Religious Fault Lines,

http://www.standwithnigeria.org/wp-content/uploads/2016/06/NIgeria-Fractured-and-Forgotten.pdf, Zugriff 27.7.2017

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DACH - Asylkooperation Deutschland-Österreich-Schweiz (27.2.2013):

D-A-CH Factsheet zu Nigeria,

http://www.ecoi.net/file_upload/1729_1361973048_dach-nigeria-factsheet-gr-2013-02.doc, Zugriff 27.7.2017

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IRIN - IRIN News (13.7.2017): The deadly conflict tearing Nigeria apart (and it's not Boko Haram), https://www.irinnews.org/analysis/2017/06/13/deadly-conflict-tearing-nigeria-apart-and-it%E2%80%99s-not-boko-haram, Zugriff 27.7.2017

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KAS - Konrad Adenauer Stiftung (12.7.2013): Unsicherheit in Nigeria,

http://www.kas.de/wf/doc/kas_34967-544-1-30.pdf?130716165200, Zugriff 27.7.2017

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SBM - SBM Intel (7.1.2017): A Look at Nigeria's Security Situation,

http://sbmintel.com/wp-content/uploads/2016/03/201701_Security-report.pdf, Zugriff 24.7.2017

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USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom (26.4.2017): Nigeria,

https://www.ecoi.net/file_upload/5250_1494486149_nigeria-2017.pdf, Zugriff 7.7.2017

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WWR - World Watch Research (30.3.2015): Migration and Violent Conflict in Divided Societies, Non-Boko Haram violence against Christians in the Middle Belt region of Nigeria, https://www.worldwatchmonitor.org/wp-content/uploads/2015/07/Migration-and-Violent-Conflict-in-Divided-Societies-March-2015-1.pdf, Zugriff 27.7.2017

Nordnigeria - Boko Haram

In den ersten eineinhalb Jahren Amtszeit hat es Buhari geschafft, die Bedrohung durch Boko Haram (Jama'atu Ahlis Sunna Lidda'awati wal-Jihad (USDOS 2.6.2016) weitgehend einzudämmen (AA 4.2017a). Boko Haram ist seit Mitte 2010 für zahlreiche schwere Anschläge mit tausenden von Todesopfern verantwortlich. Seitdem fielen diesem Konflikt unterschiedlichen unabhängigen Schätzungen zufolge zwischen 20.000 und 30.000 Menschenleben zum Opfer (AA 4.2017a).

Im Nordosten und Zentrum Nigerias hatte sich die Sicherheitslage insgesamt verbessert. Die nigerianischen Streitkräfte konnten den Großteil der von Boko Haram eingenommenen Territorien wieder zurückerobern, allerdings gelingt es ihnen kaum, diese Gebiete zu sichern (AA 21.11.2016; vgl. USDOS 19.7.2017). In den ländlichen Teilen der Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa kommt es weiterhin zu tödlichen Anschlägen der Islamisten; nur die Distriktzentren gelten als sicher (AA 21.11.2016).

Die von Boko Haram betroffenen Staaten haben sich im Februar 2015 auf die Aufstellung einer 8.700 Mann starken Multinational Joint Task Force (MNJTF) zur gemeinsamen Bekämpfung von Boko Haram verständigt (AA 4.2017a). Bei der im April gestarteten Offensive des Militärs im Sambisa Forest, dem wichtigsten Rückzugsraum Boko Harams, konnten bis Anfang Mai ca. 700 von Boko Haram entführte Frauen und Kinder befreit werden (AA 21.11.2016). Bis Oktober 2015 konnte Boko Haram aus allen von ihr kontrollierten Städten und aus fast allen Landkreisen im Nordosten Nigerias vertrieben werden, ohne das es den nigerianischen Sicherheitsbehörden bisher gelungen ist, diese Gebiet

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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