Entscheidungsdatum
03.04.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W204 2216609-1/8E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Kinder- und Jugendhilfeträger für Wien, Magistrat der Stadt Wien, Wiener Kinder- und Jugendhilfe, Gruppe Recht - Asylvertretung, Rüdengasse 11, 1030 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.02.2019, Zl. 1116837602 - 160753925 / BMI-BFA_WIEN_AST_01:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben, der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang und unstrittiger Sachverhalt:
I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am 30.05.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
I.2. Tags darauf wurde der BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion XXXX im Beisein eines Rechtsberaters niederschriftlich erstbefragt. Dabei gab der BF u.a. an, am XXXX geboren worden zu sein sowie der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensgemeinschaft anzugehören. Befragt nach seinen Fluchtgründen führte der BF aus, die Taliban hätten seinen Vater jede Nacht geprügelt und hätten gewollt, dass dieser für sie Drogen verkaufe. Er habe Angst gehabt, dass sie auch ihm etwas antun würden. Der IS sei sehr brutal zu den Hazara und würde diese köpfen.
I.3. Am 11.04.2017 übermittelte die LPD XXXX eine Meldung, wonach der BF des Diebstahls verdächtig sei.
I.4. Am 05.04.2018 übermittelte der gesetzliche Vertreter einen Obsorgebeschluss.
I.5. Am 09.04.2018 wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) verständigt, dass gegen den BF Anklage wegen Vergehen gegen das SMG erhoben worden sei.
I.6. Am 25.04.2018 übermittelte der gesetzliche Vertreter eine Stellungnahme, wonach der BF aufgrund einer reaktiven Depression mit Angststörung zurzeit nicht vernehmungsfähig sei und legte dazu ein Attest einer Allgemeinmedizinerin vor. Die für den 26.04.2018 anberaumte Einvernahme wurde deshalb abberaumt.
I.7. Am 27.04.2018 übermittelte das Landesgericht für Strafsachen eine Verständigung von einer rechtskräftigen Verurteilung.
I.8. Am 07.05.2018 übermittelte die LPD XXXX eine Meldung, wonach der BF bei einem Vergehen nach dem SMG auf frischer Tat betreten worden sei.
I.9. Am 09.05.2018 wurde das BFA verständigt, dass über den BF die Untersuchungshaft verhängt worden sei. Am 16.05.2018 wurde dem BFA mitgeteilt, dass gegen den BF Anklage erhoben worden sei.
I.10. Eine für den 25.05.2018 geplante Einvernahme konnte nicht durchgeführt werden, weil der gesetzliche Vertreter erst am selben Tag von der Einvernahme informiert und aufgrund der früheren Einvernahmeunfähigkeit des BF dessen psychologische Befundung zwar bereits veranlasst wurde, aufgrund der Inhaftierung des BF jedoch noch nicht erfolgen konnte.
I.11. Am 14.06.2018 wurde dem BFA eine gekürzte Urteilsausfertigung den BF betreffend übermittelt.
I.12. Am 13.11.2018 übermittelte die LPD XXXX eine rechtskräftige Strafverfügung gegen den BF wegen der Störung der öffentlichen Ordnung.
I.13. Am 22.11.2018 übermittelte die LPD XXXX eine Stellungnahme des Amtsarztes zu den offenen medizinischen Fragen, aus der hervorgeht, dass der BF - ohne Beiziehung eines Dolmetschers - im Beisein eines Polizisten amtsärztlich begutachtet wurde. Der BF befinde sich in einem sehr guten Allgemein- und Ernährungszustand, einfache deutsche Gespräche seien ohne Dolmetscher möglich, komplexe Gespräche würden einen Dolmetscher erfordern. Der BF sei zeitlich, örtlich, situativ und zur Person voll orientiert. Die Gedankenziele würden erreicht und das Verhalten sei adäquat. Psychomotorisch sei der BF ruhig. Eine gedrückte Stimmung sei erhebbar, der BF nehme jedoch nach eigenen Angaben keine Medikamente und benötige keine Therapien. Es bestehe keine generelle Angst, vor Afghanistan habe er jedoch Angst. Ein depressiver Zustand bestehe nicht. Zusammenfassend wurde festgehalten, dass die Einvernahmefähigkeit gegeben sei, wobei komplexe Gespräche einen Dolmetscher erforderten.
I.14. Am 28.11.2018 übermittelte die LPD XXXX eine Meldung, dass der BF wegen eines Vergehens gegen das SMG angezeigt worden sei.
I.15. Am 13.12.2018 übermittelte der gesetzliche Vertreter eine Schulbesuchsbestätigung.
I.16. Am 14.12.2018 wurde der BF von einem Organwalter des BFA in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari, des gesetzlichen Vertreters und einer Vertrauensperson niederschriftlich einvernommen. Der BF wurde dabei u.a. zu seinem Gesundheitszustand, seiner Identität, seinen Lebensumständen in Afghanistan, seinen Familienangehörigen und seinen Lebensumständen in Österreich befragt. Nach den Gründen befragt, die den BF bewogen, seine Heimat zu verlassen, gab er an, sein Vater sei jeden Abend von den Taliban belästigt worden. Der BF kenne den Grund dafür nicht, da er sehr jung gewesen sei, vielleicht hätten ihn die Taliban aber rekrutieren wollen. Deswegen habe sein Vater beschlossen, den BF wegzuschicken. Sein Vater sei bei der afghanischen Armee gewesen, vielleicht sei das auch einer der Gründe. Als der BF nach Österreich gereist sei, sei seine Familie in den Iran gereist.
Als Beilage zur Niederschrift wurde eine Stellungnahme seiner Unterkunft genommen.
I.17. Am 28.12.2018 übermittelte der gesetzliche Vertreter eine Stellungnahme, wonach die Befragung des Amtsarztes zu den Fluchtgründen beziehungsweise eine Heranziehung dieser zur Entscheidungsfindung rechtlich unzulässig sei, da weder der gesetzliche Vertreter noch ein Dolmetscher anwesend gewesen seien. Der Stellungnahme beigelegt war ein Empfehlungsschreiben der Bewährungshelferin des BF.
I.18. Mit Bescheid vom 08.02.2019, dem gesetzlichen Vertreter am 13.02.2019 zugestellt, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei (Spruchpunkt V.) und keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.). Einer Beschwerde wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.) und gegen den BF ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.). Der BF habe sein Recht zum Aufenthalt ab dem 25.04.2018 verloren (Spruchpunkt IX.).
Begründend wurde ausgeführt, die Angaben des BF seien zu vage und unkonkret und daher nicht glaubhaft. Die Angaben des BF vor dem Amtsarzt zu seinen Fluchtgründen seien nicht zur Entscheidungsfindung herangezogen worden. Dem BF drohe bei einer Rückkehr auch aufgrund seiner Volksgruppe keine Verfolgung, der Status eines Asylberechtigten habe ihm daher nicht gewährt werden können. Es habe keine lebensbedrohliche Krankheit festgestellt werden können und der BF verfüge über ausreichende heimatliche Sprachkenntnisse, schulisches Ausbildungsniveau und Arbeitserfahrung. Er sei arbeitsfähig und -willig. Ihm sei daher eine Rückkehr in seine Heimatprovinz oder nach Mazar-e Sharif und Herat zuzumuten, weswegen ihm auch der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu gewähren sei, zumal er im Fall einer Rückkehr Unterstützung durch die Familienangehörigen aus dem Iran erhalten könne.
Der BF sei mehrmals gerichtlich verurteilt worden und aus den Gerichtsurteilen könne eine erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit festgestellt werden, weswegen ein Einreiseverbot zu erlassen gewesen sei.
Der BF sei am 25.04.2018 zu einer bedingten viermonatigen Freiheitsstrafe verurteilt worden, weswegen der Verlust des Aufenthaltsrechts festzustellen gewesen sei.
I.19. Mit Verfahrensanordnung vom 13.02.2019 wurde dem BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.
I.20. Am 13.03.2019 erhob der gesetzliche Vertreter mittels E-Mails Beschwerde gegen den Bescheid in vollem Umfang wegen Verfahrensfehler und wegen materieller Rechtswidrigkeit. Das BFA habe sich mit der Minderjährigkeit des BF nicht ausreichend auseinandergesetzt und das leitende Prinzip des Kindeswohls nicht ausreichend beachtet. Der BF leide, wie auch bereits während des Verfahrens vorgebracht, an einer psychischen Erkrankung, sei jedoch nicht in der Lage, sich dies einzugestehen. Er habe bisher stets eine weiterführende neurologische Abklärung seiner Beschwerden abgelehnt, was möglicherweise damit zusammenhänge, dass psychische Beschwerden in Afghanistan ein Stigma bedeuteten. Die Vorgangsweise des BFA bei der Untersuchung durch den Amtsarzt sei rechtswidrig, so sei der BF, ohne dass dies psychiatrisch notwendig gewesen sei, nicht von der Untersuchung informiert worden, weswegen der BF nicht die Möglichkeit gehabt habe, sich emotional auf die Untersuchung vorzubereiten. Zudem seien bei der Untersuchung Fragen zur Flucht und zum Fluchtgrund gestellt worden, was für die Frage der Verhandlungsfähigkeit irrelevant und unzulässig sei. Außerdem sei kein Dolmetscher anwesend gewesen. Die psychische Problematik hätte dem BFA auch bei der Einvernahme auffallen müssen, zumal er sich bei einfachen Fragen widersprochen und einsilbig geantwortet sowie die Vernehmung habe unterbrochen werden müssen.
Das BFA habe auch die Glaubwürdigkeit des BF falsch beurteilt, zumal das schmale Aussageverhalten auf das Alter des BF bei den Vorfällen zurückzuführen sei. Das BFA habe auch nicht ermittelt, womit die Kernfamilie im Iran ihren Lebensunterhalt bestreite, obwohl sie davon ausgehe, dass der BF bei einer Rückkehr von dieser unterstützt werden könne. Unabhängig davon wäre der BF aufgrund seines jungen Alters bei einer Rückkehr einer realen Gefahr einer Verletzung seiner in § 8 AsylG genannten Rechte ausgesetzt, was auch das BFA bei entsprechenden Länderfeststellungen erkannt hätte.
Zum Verlust des Aufenthaltsrechts wird in der Beschwerde ausgeführt, dass es sich dabei um eine ex lege eintretende Folge handle, die mit Verfahrensanordnung mitzuteilen sei und im Bescheid deklarativ festgestellt werde. Der BF habe keine Verfahrensanordnung über den Verlust des Aufenthaltsrechts erhalten, wohl, weil zu dieser Zeit der Rechtsfolgenausschluss des JGG noch voll zum Tragen gekommen wäre. Die vom Gesetzgeber erst später eingefügte Regelung des § 2 Abs. 4 AsylG, wonach eine maßgebliche Verurteilung auch vorliege, wenn sie wegen einer Jugendstraftat erfolgt sei, sei bei der letzten gerichtlichen Verurteilung noch nicht in Kraft gestanden, sodass zu diesem Zeitpunkt eine ex lege Rechtsfolge nicht eintreten könne. Im Übrigen verstoße diese Regelung gegen Art. 1 BVG über die Rechte von Kindern und gegen das Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander, weil es Fremde und Asylwerber unterschiedlich behandle. Es wurde daher für den Fall, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Anwendbarkeit des § 2 Abs. 4 AsylG ausgeht, angeregt, einen Antrag auf Gesetzesprüfung beim VfGH zu stellen.
Der BF stelle darüber hinaus auch keine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar, weswegen auch kein Einreiseverbot zu erlassen sei. Jedenfalls sei die Dauer unverhältnismäßig. Der BF beantragte, das Bundesverwaltungsgericht möge der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkennen, ein psychiatrisches Gutachten über die Verhandlungsfähigkeit des BF einholen, eine mündliche Verhandlung anberaumen, dem BF den Status des Asylberechtigten zuerkennen, in eventu dem BF subsidiären Schutz gewähren, in eventu aussprechen, dass die Abschiebung unzulässig sei und dem BF einen Aufenthaltstitel erteilen, in eventu den Bescheid beheben und das Verfahren zur neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückverweisen, Spruchpunkt IX. ersatzlos beheben und aussprechen, dass das Aufenthaltsrecht rückwirkend ab dem 25.04.2018 wieder auflebe.
I.21. Am 15.03.2019 verständigte die LPD XXXX das BFA, dass der BF wegen des Vergehens der Sachbeschädigung angezeigt worden sei.
I.22. Am 28.03.2019 langte die gegenständliche Beschwerde samt dem Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein, deren Einlangen mit Mitteilung gemäß § 16 Abs. 4 BFA-VG bestätigt worden ist.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG entscheiden die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
Gemäß § 6 BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idF BGBl. I Nr. 50/2016, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt in der vorliegenden Rechtssache Einzelrichterzuständigkeit vor.
II.2. Zu Spruchpunkt A):
II.2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Nach § 28 Abs. 2 leg.cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Stets kommt es auf das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte an. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren2, 2018, § 28 VwGVG, Anm. 11 mwN).
§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.
II.2.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet (vgl. auch VwGH 30.06.2015, Ra 2014/03/0054):
Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht kommt nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
Der Verfassungsgesetzgeber hat sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.
Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg.cit. bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 leg.cit. verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das in § 28 leg.cit. insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen beziehungsweise besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).
II.2.3. Gemäß § 18 AsylG hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Mit dieser Regelung wurde für das Asylverfahren eine Konkretisierung der aus § 37 AVG iVm § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde und des Verwaltungsgerichtes, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen, geschaffen (VwGH 10.08.2018, Ra 2018/20/0314).
Diesen Erfordernissen ist das BFA im vorliegenden Fall in gravierender Weise nicht nachgekommen. Der BF machte durch seinen gesetzlichen Vertreter während des Verfahrens mehrmals geltend, dass er aufgrund seiner psychischen Beschwerden nicht einvernahmefähig sei und belegte dies auch mit entsprechendem ärztlichen Befund. Das BFA sah sich darauf - zu Recht - veranlasst, die Einvernahmefähigkeit zu prüfen, wozu es sich eines Amtsarztes der Landespolizeidirektion bediente. Dessen Ausführungen entsprechen jedoch nicht den Anforderungen an ein Gutachten. Ein Sachverständigengutachten, das von der Behörde ihrer Entscheidung zu Grunde gelegt wird, muss nach ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung einen Befund und das Gutachten im engeren Sinn enthalten sowie ausreichend begründet sein. Der Befund besteht in der Angabe der tatsächlichen Grundlagen, auf denen das Gutachten (im engeren Sinn) aufbaut, und der Art, wie sie beschafft wurden. Während somit der Befund die vom Sachverständigen vorgenommenen Tatsachenfeststellungen enthält, bilden die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Fähigkeiten benötigt, das Gutachten im engeren Sinn. Ferner ist nur ein schlüssiges und nachvollziehbares Gutachten von einer Gegenpartei zu entkräften, während schlichte Feststellungen des Sachverständigen, die nicht weiter begründet sind, nicht widerlegt werden müssen. Denn das Erfordernis der Widerlegung eines von der Behörde eingeholten Sachverständigengutachtens auf gleicher fachlicher Ebene greift nur ein, wenn ein vollständiges, schlüssiges und widerspruchsfreies Gutachten vorliegt. Dabei hat der Sachverständige seine Sach- und Ortskenntnis schriftlich im Rahmen des Befundes, der eine von ihm - wenn auch etwa unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungsmethoden, wie beispielsweise der Zitierung entsprechender Fachliteratur - vorgenommene Tatsachenfeststellung darstellt, soweit zu konkretisieren, dass sie für Dritte nachvollziehbar ist. Einwendungen gegen die Schlüssigkeit eines Gutachtens einschließlich der Behauptung, die Befundaufnahme sei unzureichend beziehungsweise der Sachverständige gehe von unrichtigen Voraussetzungen aus, haben somit ebenso wie Einwendungen gegen die Vollständigkeit des Gutachtens auch dann Gewicht, wenn sie nicht auf gleicher fachlicher Ebene angesiedelt sind, also insbesondere auch ohne Gegengutachten erhoben werden (VwGH 25.09.2018, Ra 2018/05/0199; 16.02.2017, Ra 2016/05/0026). Liegen einer Verwaltungsbehörde widersprechende Gutachten vor, so hat sie diese Gutachten nach ihrem inneren Wahrheitsgehalt gegeneinander abzuwägen und in der Begründung ihrer Entscheidung ihre Erwägungsgründe darzulegen (VwGH 21.01.2019, Ra 2018/03/0130; 03.10.2018, Ra 2017/12/0088).
Gegenständlich liegen zwei ärztliche Befunde vor, wobei weder aus dem vom BF vorgelegten Befund noch aus der Stellungnahme des Amtsarztes hervorgeht, auf welcher Basis die dortigen Schlüsse gezogen werden. In der Stellungnahme des Amtssachverständigen wird vielmehr ausgeführt, dass lediglich einfache Gespräche mit dem BF auf Deutsch möglich seien, während komplexere Gespräche einen Dolmetscher erfordern würden. Die Untersuchung fand jedoch - nach den durch das BFA unbestrittenen Angaben des BF - ohne Beiziehung eines Dolmetschers statt, sodass nicht ersichtlich ist, inwieweit überhaupt eine vertiefte Kommunikation stattfinden konnte.
Es lagen somit zwei widersprechende ärztliche Befunde vor, die beide auf gleicher fachlicher Ebene liegen. Auch aus der Einvernahme selbst ergeben sich durchaus Zweifel, ob der BF tatsächlich einvernahmefähig war, zumal er sich bei einfachen Fragen, die nicht mit dem Fluchtgrund zusammenhängen, gravierend widersprach. So gab er beispielsweise an, sein Großvater würde im Heimatdorf leben, nur um im Satz darauf auszusagen, dass alle Angehörigen verstorben seien (AS 195). Auch musste die Einvernahme - nach den ebenfalls unbestrittenen Angaben des BF - wegen einer für den BF notwendigen Pause unterbrochen werden (AS 200). Vor diesem Hintergrund kann auch das vom BFA grundsätzlich richtig erkannte schmale Aussageverhalten in Bezug auf den Fluchtgrund für eine - wie vom BF behauptete - fehlende Einvernahmefähigkeit sprechen.
Es hätte daher, wie die Beschwerde zu Recht moniert, zur weiteren Abklärung, ob der BF einvernahmefähig ist, der Einholung eines Gutachtens eines Sachverständigen bedurft, was das BFA jedoch einzuholen unterlassen hat. Zumindest hätte das BFA jedoch den Amtssachverständigen aufzufordern gehabt, seine Stellungnahme zu ergänzen. Überdies hätte sich das BFA auch beweiswürdigend mit den Aussagen der behandelnden Ärztin des BF im Detail auseinander zu setzen und insbesondere auch dessen Grundlagen zu erörtern und gegebenenfalls darzulegen gehabt, warum die Annahmen der behandelnden Ärztin seiner Ansicht nach nicht zutreffen (VwGH 21.01.2019, Ra 2018/03/0130). In dieser Beweiswürdigung wären auch die sonstigen Schriftstücke, wie jene seiner Betreuung, aus denen ebenfalls Schlafstörungen und Anpassungsschwierigkeiten hervorgehen, zu berücksichtigen gewesen. Auch der Umstand, dass der BF in den Strafverfahren offensichtlich einvernahmefähig war, ändert an dieser Beurteilung nichts, da es durchaus im Bereich des Möglichen liegt, dass der BF zwar zu seinen Handlungen in Österreich als Jugendlicher Aussagen tätigen kann, während ihm das für Situationen aus seiner Kindheit in Afghanistan, die ja möglicherweise der Auslöser der psychischen Beschwerden waren, nicht möglich ist, was ebenso durch das Gutachten zu klären wäre.
Das BFA hat daher zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts nur völlig ungeeignete Ermittlungen gesetzt und der angefochtene Bescheid leidet unter erheblichen Ermittlungsmängeln. Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, weil eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll. Dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist, ist nicht ersichtlich. Es war daher gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG mit einer Aufhebung des angefochtenen Bescheides und einer Zurückverweisung der Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde vorzugehen.
Im weiteren Verfahren wird das BFA neben der Einholung eines Gutachtens zur Einvernahmefähigkeit und psychischen Situation des BF zudem auch die Verhältnisse der Familie des BF im Iran sowie die Situation, in die der minderjährige BF ohne dortigen Familienanschluss nach Afghanistan zurückkehren würde, zu erheben haben. Dazu macht die Beschwerde nämlich zu Recht geltend, dass das BFA bei der Frage der Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten davon ausgegangen ist, dass der BF von seiner Familie unterstützt werden könne und daher trotz der Minderjährigkeit des BF keine reale Gefahr der in § 8 AsylG genannten Rechte vorliege. Wie die Beschwerde richtig ausführt, traf das BFA diese Feststellung jedoch ohne jegliche Ermittlungen und hat sich auch mit der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers sowie mit seiner - diversen im Akt einliegenden Schriftstücken entnehmbaren - Anpassungsschwierigkeit nicht auseinandergesetzt. Ebenfalls mangelhaft sind die Feststellungen zum Einreiseverbot. Dazu zitiert das BFA lediglich die Eintragungen aus dem Strafregister und stellte fest, der BF sei bereits mehrfach gerichtlich verurteilt worden, ohne jedoch nähere Feststellungen zu den strafbaren Handlungen des BF und eine Prognose zu treffen, obwohl dem BFA die Urteile vorlagen. Die alleinige Zitierung des Strafregisterauszugs ist jedoch nicht ausreichend als Basis für ein Einreiseverbot (VwGH 25.09.2018, Ra 2017/21/0253). Auch wenn die Ermittlungen zu diesen beiden Themenkomplexen nicht derart gravierend mangelhaft waren, dass sie alleine eine Kassation des Bescheides rechtfertigen würden, ist in Zusammenschau damit, dass in Bezug auf die Einvernahmefähigkeit des BF lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt wurden und somit die Ermittlungspflicht an das Bundesverwaltungsgericht delegiert werden sollte, eine Aufhebung des Bescheides geboten.
Die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, da bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
II.2.4. Zu Spruchpunkt II. B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, gesundheitlicheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W204.2216609.1.00Zuletzt aktualisiert am
20.05.2019