Kopf
Das Oberlandesgericht Innsbruck als Berufungsgericht hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hoffmann als Vorsitzenden sowie die Richter Dr. Huber und Dr. Gosch als weitere Mitglieder des Senats in der Rechtssache der klagenden Partei S***** *****, *****, *****, vertreten durch ***** ***** Rechtsanwälte OG in *****, wider die beklagte Partei REPUBLIK ÖSTERREICH, vertreten durch *****, *****, *****, wegen (eingeschränkt) EUR 572,40 s.A., über die Berufung der klagenden Partei (Berufungsinteresse: EUR 572,40 s.A.) gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 3.10.2018, 45 Cg 39/18m-8, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird k e i n e Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen deren mit EUR 305,90 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.
Die Revision ist jedenfalls u n z u l ä s s i g .
entscheidungsgründe:
Text
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft (im Folgenden kurz: BH) ***** vom 25.6.2012 wurde die Lenkberechtigung des Klägers wie folgt eingeschränkt: „Absolute Alkoholabstinenz, Code 05.08“.
Mit Bescheid der BH ***** vom 4.12.2014 wurde die Lenkberechtigung des Klägers für die Dauer von mindestens 13 Monaten, gerechnet ab dem 26.7.2014, wegen eines Alkoholdelikts entzogen. Zugleich wurde die Absolvierung einer Nachschulung für alkoholauffällige Lenker sowie die Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens inklusive verkehrspsychologischer Untersuchung angeordnet. Diesen Anordnungen kam der Kläger nicht nach.
Am 8.12.2015 wurde für den Kläger in Ungarn ein Führerschein für die Fahrzeugklassen AM und B ausgestellt.
Mit Bescheid der BH ***** vom 3.7.2017 wurde der Kläger unter Hinweis auf seine ungarische Lenkberechtigung vom 8.12.2015 aufgefordert, sich zum Nachweis der gesundheitlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen binnen drei Monaten nach Zustellung dieses Bescheids gemäß § 24 Abs 4 FSG amtsärztlich untersuchen zu lassen. Für den Fall, dass der Kläger der Aufforderung zur amtsärztlichen Untersuchung innerhalb der genannten Frist keine Folge leistet, wurde die Entziehung der Lenkberechtigung gemäß § 24 Abs 4 FSG bis zur Befolgung der Anordnung angedroht. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.
Vertreten durch die nunmehrige Klagsvertretung regte der Kläger mit Schriftsatz vom 22.9.2017 bei der BH ***** die Aufhebung des Bescheids vom 3.7.2017 gemäß § 68 AVG mit der zusammengefassten Begründung an, der Bescheid widerspreche dem Anerkennungsgrundsatz nach Art 1 Abs 2 RAbs 2 RL 91439 = Art 2 Abs 1 RL 2006/126 und der dazu ergangenen Rechtsprechung des EuGH, wonach die Befugnis zur Anwendung der nationalen Entziehungsvorschriften nur aufgrund eines Verhaltens des Betroffenen nach dem Erwerb des EU-Führerscheins und nicht aufgrund von Umständen vor der Erteilung dieser Fahrerlaubnis ausgeübt werden könne. Auch nach der Judikatur des VwGH zu § 24 Abs 1 FSG komme eine Entziehung oder Einschränkung der Lenkberechtigung nur dann in Betracht, wenn sich seit ihrer Erteilung die Umstände unter anderem in Bezug auf die bei der Erteilung angenommene geistige oder körperliche Eignung entscheidend geändert hätten.
Mit Schreiben vom 26.09.2017 teilte die BH ***** dem Kläger mit, dass eine amtswegige Bescheidaufhebung nach § 68 AVG mangels Vorliegens der Voraussetzungen nicht beabsichtigt sei. Sollte der Kläger der Aufforderung zur amtsärztlichen Untersuchung innerhalb der am 10.10.2017 endenden Frist nicht Folge leisten, sei die Lenkberechtigung bis zur Befolgung der Anordnung zu entziehen.
Am 6.10.2017 erstattete der durch die Klagsvertretung vertretene Kläger eine Äußerung an die BH *****, in der unter Hinweis auf die Judikatur des EuGH, insbesondere die Entscheidung vom 2.12.2010, C 3-334/09, Scheffler, die Behauptung der Unvertretbarkeit des Aufforderungsbescheids vom 3.7.2017 ausführlich begründet wurde.
Mit Bescheid vom 9.11.2017 hob die BH ***** den Bescheid vom 3.7.2017 gemäß § 68 AVG unter Hinweis auf das Fehlen gesicherter Rechtsprechung zur Auslegung der Sperrfrist nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ auf.
Mit Rechnung vom 22.2.2018 stellte die Klagsvertretung dem Kläger ihre Leistungen für das Einschreiten gegenüber der BH ***** mit EUR 954,00 zuzüglich 20 % Umsatzsteuer, insgesamt EUR 1.144,80, abzüglich einer vom Kläger geleisteten Akontozahlung von EUR 400,00, mit restlich EUR 744,80 in Rechnung.
Von diesem Sachverhalt ist im Berufungsverfahren auszugehen.
Der Kläger begehrte mit seiner Mahnklage die Erlassung eines bedingten Zahlungsbefehls über einen Betrag von EUR 1.344,80 s.A. mit der Begründung, die von der BH ***** angekündigte Aberkennung des für ihn am 8.12.2015 in Ungarn ausgestellten gültigen Führerscheins widerspreche der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH. Mit Mandatsbescheid der BH ***** vom 3.7.2017 sei er aufgefordert worden, sich binnen drei Monaten amtsärztlich untersuchen zu lassen, da er ihm auferlegte begleitende Maßnahmen im Zuge eines Entzugs der Lenkberechtigung während eines Alkoholdelikts laut Bescheid vom 4.12.2014 nicht befolgt habe. Die Anregung seines Vertreters vom 22.9.2017, den Aufforderungsbescheid vom 3.7.2017 gemäß § 68 AVG aufzuheben, sei mit Schreiben der BH ***** vom 26.9.2017 unter gleichzeitiger Ankündigung der Entziehung der Lenkberechtigung bei nicht fristgerechter Befolgung der Aufforderung zurückgewiesen worden. Mit Schriftsatz vom 6.10.2017 habe er gegenüber der BH ***** dargelegt, dass eine Entziehung der Lenkberechtigung gegen die Rechtsprechung des EuGH verstoße. Mit Bescheid vom 9.11.2017 habe die BH ***** letztlich den Aufforderungsbescheid vom 3.7.2017 gemäß § 68 AVG behoben.
Seine Vertretungskosten bezifferten sich wie folgt:
22.9.2017 Anregung TP 3A EUR 318,--
50 % Einheitssatz EUR 159,--
6.10.2017 Äußerung TP 3A EUR 318,--
50 % Einheitssatz EUR 159,--
Zwischensumme EUR 954,--
20 % USt EUR 190,80
Gesamt EUR 1.144,80
Sein Ersatzanspruch stütze sich auf den Rechtsgrund der Staatshaftung wegen Abweichens von hinreichend geklärter EuGH-Rechtsprechung. In seiner Entscheidung vom 27.5.2014 habe der VwGH klar zum Ausdruck gebracht, dass sowohl der Erwerb als auch die Entziehung der ausländischen Lenkberechtigung während der aufrechten Entziehung der österreichischen Lenkberechtigung stattfinden müsse und somit eine von einem anderen Mitgliedsstaat ausgestellte Lenkberechtigung nicht nach Ablauf der 18-monatigen Frist des § 27 Abs 1 Z 1 FSG entzogen werden könne. Nach Ablauf von 18 Monaten ab dem 26.7.2014, sohin ab dem 26.1.2016, habe daher selbst nach der Doktrin des VwGH keine Möglichkeit mehr bestanden, die Gültigkeit des ungarischen Führerscheins des Klägers vom 8.12.2015 in Zweifel zu ziehen. Der Klagsanspruch werde auch auf den Rechtsgrund der Amtshaftung gestützt. Hätte der Kläger gegen den Aufforderungsbescheid vom 3.7.2017 Vorstellung erhoben, wäre der Schaden in Form von Rechtsvertretungskosten genauso eingetreten. Diesfalls wären nicht nur die Kosten der Vorstellung entstanden, sondern, da die BH ***** der Vorstellung nicht stattgegeben hätte, auch die Kosten einer Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht. Die Kosten der Äußerung vom 6.10.2017 seien durch unvertretbar rechtswidriges Behördenverhalten verursacht.
Mit Schriftsatz vom 10.9.2018 schränkte der Kläger sein Begehren auf Zahlung eines Betrags von EUR 572,40 samt 4 % Zinsen seit 14.11.2017 für die Äußerung vom 6.10.2017 ein.
Die Beklagte erhob gegen den antragsgemäß erlassenen bedingten Zahlungsbefehl fristgerecht Einspruch, bestreitet das Klagsvorbringen und beantragt die Abweisung auch des eingeschränkten Klagsbegehrens. Der Grundsatz der Anerkennung einer von einem anderen Mitgliedsstaat ausgestellten Lenkberechtigung gelte nicht aus- nahmslos. Es sei einem Mitgliedsstaat nach der Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich nicht verwehrt, einer Person, auf die in seinem Hoheitsgebiet ein Führerscheinentzug in Verbindung mit einer Sperrfrist für die Neuerteilung angewandt worden sei, die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedsstaats während der Sperrfrist ausgestellten Führerscheins zu versagen, sofern es dadurch nicht zu einer Nichtanerkennung auf unbestimmte Zeit komme. Wenn überhaupt ein Verstoß gegen Unionsrecht vorliege, so sei dieser nicht hinreichend qualifiziert, um einen Staatshaftungsanspruch zu begründen. Die österreichische Lenkberechtigung sei dem Kläger für die Dauer von mindestens 13 Monaten, vom 26.7.2014 bis mindestens 26.8.2015, rechtskräftig entzogen worden. Der ausländische Führerschein sei ihm am 8.12.2015, somit rund 16 ½ Monate nach Beginn des österreichischen Entzugsverfahrens, ausgestellt worden. Generell gelte gemäß § 27 Abs 1 Z 1 FSG, dass eine Lenkberechtigung nach Ablauf einer Entziehungsdauer von mehr als 18 Monaten erlösche. Der ungarische Führerschein sei dem Kläger somit noch vor Ablauf der 18-monatigen Frist ausgestellt worden.
Nach der Judikatur des EuGH könne die Staatshaftung in bestimmten Fällen ausgeschlossen werden, wenn dies „angemessen“ und mit dem Grundsatz der Effizienz des Ersatzes vereinbar sei. So könnten die Mitgliedsstaaten eine Haftungsminderung oder einen Haftungsausschluss für Fälle vorsehen, in denen sich der Geschädigte nicht in angemessener Form um die Verhinderung des Schadenseintritts oder um die Begrenzung des Schadensumfangs bemühte, insbesondere indem er rechtzeitig von allen ihm zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten Gebrauch gemacht habe. Die Mitgliedsstaaten seien somit ermächtigt, die Haftung bei Abwendbarkeit des Schadens durch Rechtsmittel auszuschließen. Auch eine allgemeine Schadensminderungs- bzw Rettungspflicht des Geschädigten werde mit dem Unionsrecht als vereinbar erachtet. Daraus folge, dass die diesbezüglichen Bestimmungen des österreichischen Amtshaftungsrechts (§ 2 Abs 2 AHG und § 1304 ABGB) zur Anwendung kämen. Der Kläger habe seine Rettungspflicht dadurch verletzt, dass er den Mandatsbescheid vom 3.7.2017 nicht bekämpft habe. Darüber hinaus sei die Äußerung vom 6.10.2017 für die Rechtsverteidigung nicht notwendig bzw zweckmäßig gewesen. Die der Behörde im § 68 Abs 2 bis 4 AVG eingeräumte Aufsichtsgewalt diene nach Ansicht der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts nicht dem Schutz irgendeines subjektiven Rechts, sondern der Wahrung öffentlicher Interessen. Da sie vom Gesetzgeber ausschließlich der Behörde überantwortet und der Partei kein Rechtsanspruch auf Anwendung dieser Gesetzesbestimmungen eingeräumt sei, könne die Ablehnung eines darauf gerichteten Antrags, in welcher Form dies auch ergehe, niemand zulässigerweise mit einem Rechtsmittel bekämpfen. Da die Partei keinen Anspruch auf Anwendung des § 68 AVG habe, könne dem Kläger auch aus diesem Grund kein Ersatzanspruch für eine Anregung zur Anwendung des § 68 AVG bzw für in diesem Verfahren erstattete Äußerungen zukommen. Das Klagebegehren werde auch der Höhe nach bestritten.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das eingeschränkte Klagebegehren zur Gänze ab und verpflichtete den Kläger zum Ersatz der mit EUR 479,94 bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens. Es legte seiner Entscheidung die eingangs wiedergegebenen Feststellungen zugrunde und würdigte diese in rechtlicher Hinsicht wie folgt:
Eine Staatshaftung der Mitgliedsstaaten wegen Verletzung des Unionsrechts setze Folgendes voraus:
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Die unionsrechtliche Norm, gegen die verstoßen werde, müsse die Verleihung von Rechten an die Geschädigten bezwecken,
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der Verstoß gegen diese Norm müsse hinreichend qualifiziert sein und
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zwischen dem entstandenen Schaden und dem vom Mitgliedsstaat zu vertretenden Verstoß müsse ein unmittelbarer Kausalzusammenhang bestehen.
Ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht setze nach der Rechtsprechung des EuGH voraus, dass der Mitgliedsstaat die Grenzen, die seinem Ermessen gesetzt seien, offenkundig und erheblich überschritten habe, wobei zu den insoweit zu berücksichtigenden Gesichtspunkten insbesondere das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift sowie der Umfang des Ermessensspielraums gehörten, den die verletzte Vorschrift den nationalen Behörden belasse. Ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht sei jedenfalls dann hinreichend qualifiziert, wenn die einschlägige Rechtsprechung des EuGH vorwerfbar verkannt worden sei. Es komme auf die Offenkundigkeit des Verstoßes an. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sehe die hier zur Anwendung gelangende Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 20.12.2006 über den Führerschein die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedsstaaten ausgestellten Führerscheine ohne jede Formalität vor und sei es Aufgabe des Ausstellermitgliedsstaats, zu prüfen, ob die im Unionsrecht aufgestellten Mindestvoraussetzungen, insbesondere die Voraussetzungen des Art 7 Abs 1 der Richtlinie 2006/126/EG hinsichtlich des Wohnsitzes und der Fahreignung erfüllt seien und ob somit die Erteilung einer Fahrerlaubnis gerechtfertigt sei. Sowohl die frühere als auch die aktuelle hier anzuwendende Führerscheinrichtlinie 2006/126/EG enthalte eine ganz wesentliche Ausnahme vom Grundsatz der wechselseitigen Anerkennung von in einem anderen Mitgliedsstaat ausgestellten Führerscheinen. Nach Art 8 Abs 4 der alten Richtlinie 91/439/EWG könne es ein Mitgliedsstaat ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedsstaat einer Person ausgestellt worden sei, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in Abs 2 genannten Maßnahmen (Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis) angewendet worden sei. Art 11 Abs 4 Unterabsatz 2 der neuen Richtlinie 2006/126/EG sehe vor, dass ein Mitgliedsstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ablehne, der von einem anderen Mitgliedsstaat einer Person ausgestellt worden sei, deren Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedsstaats eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden sei. Nach der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH sei es einem Mitgliedsstaat aufgrund der Richtlinie nicht verwehrt, einer Person, auf die in seinem Hoheitsgebiet ein Führerscheinentzug in Verbindung mit einer Sperrfrist für die Neuerteilung angewandt worden sei, die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedsstaat während dieser Sperrfrist ausgestellten Führerscheins zu versagen, sofern es dadurch nicht zu einer Nichtanerkennung auf unbestimmte Zeit komme. Werde der betreffenden Person allerdings in einem anderen Mitgliedsstaat nach Ablauf der Sperrfrist ein Führerschein ausgestellt, sei es dem Mitgliedsstaat, in dem der Führerschein seinerzeit entzogen worden sei, verwehrt, die Anerkennung der Gültigkeit des im Ausland ausgestellten Führerscheins abzulehnen. Im vorliegenden Fall sei die Entziehungsdauer durch den rechtskräftigen Bescheid der Behörde vom 4.12.2014 in zweifacher Hinsicht determiniert. Einerseits sei der Entzug der Lenkberechtigung für die Dauer von mindestens 13 Monaten, gerechnet ab dem 26.7.2014 angeordnet gewesen, andererseits aber auch ausgesprochen gewesen, dass die Entziehungsdauer nicht vor Befolgung der bescheidmäßigen Anordnungen ende. Aufgrund der Berücksichtigung der Regelung in § 27 Abs 1 Z 1 FSG habe die Entziehungsdauer – in Fällen wie dem vorliegenden, in denen der Lenker die Anordnungen für die Beendigung des Entzugs nicht (zeitgerecht) befolgt habe – 18 Monate betragen, weil es nach deren Ablauf nach § 27 Abs 1 Z 1 FSG zum gänzlichen Erlöschen der Lenkberechtigung komme. Die Rechtsauffassung, der Anerkennungsgrundsatz sei auf einen im EU-Ausland innerhalb einer Sperrfrist von 18 Monaten ab Entziehung der Lenkberechtigung ausgestellten Führerschein nicht anzuwenden, sei durchaus vertretbar. Im vorliegenden Fall sei die ungarische Lenkberechtigung des Klägers am 8.12.2015, somit innerhalb einer Frist von 18 Monaten ab Entziehung der Lenkberechtigung, ausgestellt worden. Bei dieser Ausgangslage sei – bei Beachtung der Klarheit und Genauigkeit der Regelungen – die zur Begründung eines Staatshaftungsanspruchs erforderliche hinreichend qualifizierte unionsrechtswidrige Rechtsanwendung zu verneinen. Daran könne auch der Umstand, dass nach der Rechtsprechung des VwGH die Entziehung einer ausländischen Lenkberechtigung zu einem Zeitpunkt, zu dem die österreichische Lenkberechtigung gemäß § 27 Abs 1 Z 1 iVm § 24 Abs 2 FSG bereits erloschen gewesen sei, durch § 30 Abs 2 vierter und fünfter Satz FSG nicht gedeckt sei, nichts ändern.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die fristgerechte Berufung des Klägers unter Geltendmachung des Berufungsgrunds der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit einem auf gänzliche Klagsstattgebung gerichteten Abänderungsantrag.
Die Beklagte stellt in ihrer Berufungsbeantwortung den Antrag, der Berufung der Gegenseite keine Folge zu geben.
Die Berufung ist nicht berechtigt.
Der Berufungswerber macht in seiner Rechtsrüge geltend, dass sich nunmehr eine ständige Rechtsprechung des VwGH herausgebildet habe, wonach eine während des 18-monatigen (Maximal-)Entziehungszeitraums ausgestellte ausländische Lenkberechtigung auch innerhalb dieser 18 Monate entzogen werden müsse und nach Ablauf der 18 Monate eine Entziehung des während der 18-monatigen österreichischen Sperrfrist des im Ausland ausgestellten Führerscheins nicht mehr möglich sei. Der VwGH interpretiere das österreichische Führerscheinrecht dahingehend, dass aufgrund der Bestimmung des § 27 Abs 1 Z 1 FSG in Österreich jede Lenkberechtigung nach 18 Monaten Entziehungsdauer erlösche. Eine ausländische Lenkberechtigung könne nicht rückwirkend entzogen werden. Daraus folge, dass der ungarische Führerschein des Klägers vom 8.12.2015 nach Ablauf des 18-monatigen Entziehungszeitraums, also nach dem 25.1.2016, jedenfalls von Österreich anzuerkennen sei und diesbezüglich der Anerkennungsgrundsatz des Art 2 Abs 1 RL 2006/126 sowie die Gleichstellung gemäß § 1 Abs 4 FSG gelte. Nach der Judikatur der VwGH müsse sowohl der Erwerb als auch die Entziehung der ausländischen Lenkberechtigung während der aufrechten Entziehung der österreichischen Lenkberechtigung stattfinden. Eine von einem anderen Mitgliedsstaat nach Ablauf der 18-monatigen Frist des § 27 Abs 1 Z 1 FSG entzogene Lenkberechtigung könne nicht mehr entzogen werden. Da sich nach dem Zeitraum, in dem sich der zu 1 Ob 43/17f beurteilte (mit 21.1.2014 abgeschlossene) Anlasssachverhalt verwirklicht hatte, eine neue ständige Rechtsprechung des VwGH herausgebildet hat, ersetze die Berufung auf die Entscheidung 1 Ob 43/17f nicht die Prüfung der Argumentation des Klägers, wonach die Behörde gegen die in der Zeit nachher entstandene Rechtsprechung des VwGH unvertretbar rechtswidrig verstoßen habe. Der Aufforderungsbescheid vom 3.7.2017 und dessen Verteidigung im Schreiben vom 26.9.2017, seien unvertretbar rechtswidrig und begründeten eine Ersatzpflicht nach dem AHG und nach Staatshaftungsrecht. Durch den Ersatz des Art 1 Abs 2 RL 91/493 durch Art 2 Abs 1 RL 2006/126 habe sich keine Änderung der Unionsrechtslage ergeben. Die für alle Mitgliedsstaaten verbindliche Rechtsauslegung des EuGH im Beschluss „Scheffler“ finde weiterhin uneingeschränkt Anwendung. Es liege auch kein Verstoß gegen die Rettungs- bzw Schadensminderungspflicht vor. Die vom Kläger verfasste Eingabe habe ihren Zweck erreicht, indem die Führerscheinbehörde den Aufforderungsbescheid mit Bescheid vom 9.11.2017 amtswegig behoben habe. Bei den Kosten der Äußerung vom 6.10.2017 handle es sich daher jedenfalls um Kosten der notwendigen Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung, die sich die Beklagte aufgrund des insistierenden Schreibens der Behörde vom 26.9.2017 als eigene Haftungsgrundlage zurechnen lassen müsse.
Dazu war zu erwägen:
Rechtliche Beurteilung
1. Gemäß § 1 Abs 1 AHG haften die Rechtsträger nach den Bestimmungen des Bürgerlichen Rechts für den Schaden am Vermögen oder an der Person, den die als ihre Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch ein rechtswidriges Verhalten schuldhaft zugefügt haben. Voraussetzung für einen Amtshaftungsanspruch nach § 1 Abs 1 AHG ist demnach ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten der Behörde. Die Rechtswidrigkeit ergibt sich auch im Bereich des Amtshaftungsrechts vor allem aus einem Verstoß gegen Ge- und Verbote der Rechtsordnung. Erfasst ist nicht nur der Bereich der Anwendung von materiell- und verfahrensrechtlichen Regelungen auf den Geschädigten, sondern die Verletzung aller öffentlich- und privatrechtlichen Vorschriften, die den Schutz von Rechtsgütern bezwecken (Mader in Schwimann, RZ 48 zu § 1 AHG mwN).
2. Für das Verschulden gelten mangels näherer Bestimmungen im AHG die Regeln des ABGB, wonach eine Haftung bei jedem Grad des Verschuldens besteht (Mader, aaO Rz 65). Gehaftet wird für Vorsatz, grobe und auch leichte Fahrlässigkeit (Schragel AHG3, Rz 157).
3. Wenn der Amtshaftungsanspruch – wie hier – darauf gestützt wird, dass eine Entscheidung in Anwendung einer unvertretbaren Rechtsansicht gefällt wurde, so ist im Amtshaftungsprozess nicht zu prüfen, ob die in Betracht kommende Entscheidung richtig war, sondern ob sie auf einer vertretbaren Gesetzesauslegung oder Rechtsauffassung beruhte (RIS-Justiz RS0049798 [T6]). Nicht jede objektiv unrichtige Entscheidung eines Gerichts oder einer Behörde zieht eine Amtshaftung nach sich. Nur die Abweichung von einer klaren Gesetzeslage oder ständigen Rechtsprechung, die nicht erkennen lässt, dass sie auf einer sorgfältigen Überlegung beruht, wird regelmäßig als Verschulden anzusehen sein (1 Ob 96/15x; 1 Ob 197/13x; 1 Ob 201/13k uva).
4. Nach § 27 Abs 1 Z 1 FSG erlischt eine Lenkberechtigung jedenfalls nach Ablauf einer Entziehungsdauer von mehr als 18 Monaten; damit ist jegliche Sperrfrist mit dem Erlöschen der Lenkberechtigung nach Ablauf von 18 Monaten jedenfalls beendet (1 Ob 236/16m). Der VwGH hat dazu ausgesprochen, dass § 30 Abs 2 fünfter Satz FSG die Entziehung einer ausländischen Lenkberechtigung nur „bis zu jenem Zeitpunkt …, zu dem die bereits angeordnete Entziehungsdauer endet“, erlaube; eine auf § 30 Abs 2 vierter und fünfter Satz FSG gestützte Entziehung einer ausländischen Lenkberechtigung ist damit jedenfalls dann nicht mehr zulässig, wenn die österreichische Lenkberechtigung bereits erloschen ist, weil die Entziehung der ausländischen Lenkberechtigung nur für die verbleibende Dauer der aufrechten Entziehung der österreichischen Lenkberechtigung vorgesehen ist (VwGH vom 27.5.2014, Ra 2014/110002; VwGH vom 26.11.2014, Ra 2014/110028; VwGH vom 11.11.2014, Ra 2014/11/0062).
5. Hier war der Führerschein mit Wirksamkeit vom 26.7.2014 für 13 Monate, sohin bis 26.8.2015, entzogen worden, wobei sich unter Heranziehung der Frist von 18 Monaten ein automatisches Erlöschen der österreichischen Lenkberechtigung mit 26.1.2016 ergibt. Mit dem inkriminierten Bescheid der BH ***** vom 3.7.2017 wurde die Entziehung der mit 8.12.2015 erteilten Lenkberechtigung gemäß § 24 Abs 4 FSG bis zur Befolgung der von der BH ***** erteilten Auflagen angedroht. Zu diesem Zeitpunkt lag bereits die oben zitierte ständige Judikatur des VwGH vor, wonach die Entziehung einer ausländischen Lenkberechtigung jedenfalls nicht mehr zulässig ist, wenn die österreichische Lenkberechtigung bereits erloschen ist.
6. Das Berufungsgericht teilt im Hinblick auf die unter Punkt 4. zitierte nunmehr herrschende Rechtsprechung des VwGH die Bedenken des Klägers gegen die Rechtmäßigkeit des Aufforderungsbescheids der BH ***** vom 3.7.2017. Sollte dieser rechtswidrig sein, wäre die darin vertretene Rechtsansicht wohl auch als unvertretbar zu qualifizieren. Dem Amtshaftungsgericht ist es jedoch verwehrt, selbständig die Rechtmäßigkeit bzw Rechtswidrigkeit eines im Verwaltungsverfahren ergangenen Bescheids zu beurteilen, hierzu sind ausschließlich die Verwaltungsgerichte einschließlich der beiden Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts befugt. Liegt diesbezüglich noch keine Entscheidung vor, wäre nach § 11 AHG vorzugehen, also das Verfahren zu unterbrechen und diese Frage dem VwGH zur Beurteilung vorzulegen.
7. Vor einer solchen Anrufung muss das Amtshaftungsgericht die Anspruchsvoraussetzung des § 2 Abs 2 AHG prüfen (RIS-Justiz RS0050218). Ein Amtshaftungsanspruch setzt nämlich voraus, dass alle zulässigen und rechtzeitig möglichen Rechtsmittel (einschließlich einer allfälligen VwGH-Beschwerde bzw -Revision) ergriffen wurden. Eine Nachprüfung der Erfolgsaussichten kommt in Amtshaftungsverfahren nicht mehr in Betracht. Die Unterlassung der Ausschöpfung des Rechtszugs ist auch nicht dadurch zu entschuldigen, dass der Amtshaftungskläger das Rechtsmittel oder die Revision (früher: Beschwerde) an den VwGH für aussichtslos hielt. Dies gilt auch dann, wenn der Schaden durch einen möglicherweise rechtswidrigen unterinstanzlichen Bescheid entstand, der in der Folge von der Oberbehörde als nichtig aufgehoben wurde, wenn eine Beschwerde (Revision) gegen diesen Bescheid an den VwGH unterlassen wurde (RIS-Justiz RS0053063).
8. Nichts anderes kann im vorliegenden Fall gelten: Der Kläger hat die ihn treffende (Rettungs-/Schadensminderungs-)Pflicht nach § 2 Abs 2 AHG durch Erhebung eines Rechtsmittels gegen den Bescheid der BH ***** vom 3.7.2017 verletzt, indem er diesen unangefochten in Rechtskraft erwachsen ließ, sodass schon deshalb ein aus diesem Bescheid abgeleiteter Amtshaftungsanspruch zu verneinen ist, selbst wenn die Behörde rund vier Monate später diesen Bescheid amtswegig wieder aufhob. Wodurch diese Bescheidaufhebung allenfalls veranlasst wurde, insbesondere ob dies auf eine allfällige – für den Kläger kostenverursachende – Intervention der Klagsvertretung zurückzuführen ist, kann dabei dahingestellt bleiben.
9. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 50, 41 Abs 1 ZPO. Der Berufungsbeantwortung ist allerdings ein Berufungsinteresse von nur EUR 572,40 zugrunde zu legen.
10. Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision stützt sich auf § 502 Abs 2 ZPO.
Oberlandesgericht Innsbruck, Abteilung 4
Innsbruck, am 31.1.2019
Dr. Georg Hoffmann, Senatspräsident
Textnummer
EI0100068European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OLG0819:2019:00400R00169.18M.0131.000Im RIS seit
20.05.2019Zuletzt aktualisiert am
20.05.2019