Entscheidungsdatum
04.04.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W159 2182033-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Äthiopien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.12.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.03.2019, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Absatz 1 Asylgesetz idgF der Status einer Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Absatz 5 Asylgesetz 2005 idgF wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Artikel 133 Absatz 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Äthiopien, gelangte (spätestens) am 12.08.2016 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Am selben Tag erfolgte die Erstbefragung durch das XXXX .
Zu den Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer aus, er hätte sein Heimatland verlassen, weil er von der LYU Police beschuldigt worden sei, den ONLF Rebellen anzugehören. Der Beschwerdeführer und sein Vater hätten in einem kleinen Geschäft Gemischtwaren verkauft. Die LYU Police sei der Meinung gewesen, dass der Beschwerdeführer die Rebellen unterstütze und hätte mit Inhaftierung gedroht.
In der Niederschrift zum Antrag auf internationalen Schutz am 23.11.2017 gab der Beschwerdeführer an, er sei in Äthiopien geboren worden, sei äthiopischer Staatsbürger und moslemischen Glaubens. Der Beschwerdeführer gab an, dass seine Mutter verstorben sei und der Vater sich im Gefängnis in Äthiopien aufhalten würde. Er hätte einen Bruder und zwei Schwestern, zu welchen er ab und zu Kontakt hätte. Er hätte in Äthiopien die Schule besucht und als Verkäufer im Laden des Vaters gearbeitet.
Zu seinem Fluchtgrund befragt erzählte der Beschwerdeführer, er sei zu der Hochzeit eines Freundes eingeladen gewesen und hätte dort seine Brieftasche, mit seinem Personalausweis und 500 Bir, verloren. Diesen Umstand hätte er bei den Hochzeitsgästen gemeldet, mit der Bitte die Brieftasche zurückzugeben. Sie sei leider nicht gefunden worden, deshalb sei der Beschwerdeführer nach zwei Tagen zu den Behörden gegangen, um den Verlust zu melden. Die Behörde hätte gemeint, er solle noch eine Zeit verstreichen lassen, bis sie eine Meldung bekomme. Sollte die Brieftasche des Beschwerdeführers nicht gefunden werden, würde er einen neuen Personalausweis bekommen. Am 28.02.2016 hätte die Liyu Police den Beschwerdeführer in der Nacht aufgesucht, verhaftet und ins Gefängnis gebracht. Bei der Einvernahme sei dem Beschwerdeführer vorgehalten worden der ONLF anzugehören. Der Beschwerdeführer hätte gesagt, es würde nicht stimmen, er sei Schüler und würde im Laden des Vaters arbeiten. Der Beschwerdeführer sei der Lüge bezichtigt und geschlagen worden. Sie hätten seinen Personalausweis vorgezeigt und gesagt, sie hätten diesen Ausweis bei einem männlichen ONLF Mitglied gefunden, womit belegt sei, dass der Beschwerdeführer ONLF Mitglied sei. Der Beschwerdeführer gab an, er hätte den Ausweis verloren und er sei kein Mitglied dieser Gruppierung. Während seines einmonatigen Gefängnisaufenthaltes sei er jede Nacht einvernommen und geschlagen worden, um die Wahrheit herauszufinden. Der Beschwerdeführer sei nicht vor Gericht gestellt worden. Nach diesem Monat sei dem Beschwerdeführer mitgeteilt worden, dass er in ein anderes Gefängnis verlegt werden würde. In diesem Gefängnis hätten sich nur ONLF Mitglieder befunden und es sei bekannt gewesen, dass es Folter gäbe. Da viele in dieses Gefängnis verlegt worden seien, seien sie aus dem Wagen geflüchtet. Der Beschwerdeführer sei drei Stunden in das Dorf des Onkels gelaufen, welcher ihn gefragt hätte, wo er gewesen sei, die Familie hätte den Beschwerdeführer gesucht. Bei dem Versuch den Vater des Beschwerdeführers zu Hause zu erreichen, erzählte die Schwester, dass die Liyu Police gekommen sei, das Geschäft geschlossen und den Vater mitgenommen hätte. Der Beschwerdeführer hätte sich bei seinem Onkel versteckt gehalten und nachdem der Vater nicht aus dem Gefängnis entlassen worden sei, sei er schlepperunterstützt geflohen, um sein Leben zu retten.
Mit Bescheid vom 04.12.2017 wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 und des Status des subsidiär Schutzberechtigen gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Es wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Äthiopien zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise würde zwei Wochen betragen.
Die belangte Behörde führte aus, dass das Vorbringen zum Fluchtgrund widersprüchlich, nicht plausibel, wenig detailreich, nicht lebensnah und deshalb unglaubwürdig sei. Der Beschwerdeführer hätte bei der Einvernahme vor der belangten Behörde sein Fluchtvorbringen massiv gesteigert. Um einen positiven Ausgang des Asylverfahrens zu erreichen, sei es verständlich, dass der Beschwerdeführer die Geschehnisse falsch dargestellt oder ein falsches Vorbringen vorgebracht hätte. So hätte der Beschwerdeführer in der Erstbefragung vorgebracht, dass er und sein Vater verdächtigt worden wäre, die ONLF zu unterstützen und mit der Inhaftierung gedroht worden sei. In der Befragung vor der belangten Behörde hätte der Beschwerdeführer angegeben, dass er festgenommen, inhaftiert und misshandelt worden sei. Weiters sei die Fluchtgeschichte bei der Gefängnisverlegung nicht glaubhaft. Die belangte Behörde sei zu dem Schluss gelangt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen würden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Äthiopien, Gefahr laufen würde, im Herkunftsstaat einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden. Es seien keine Gründe festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer eine "Aufenthaltsberichtigung besonderen Schutz" erteilt bekomme. Es hätten auch keine Gründe für ein schützenswertes Privat- und Familienleben festgestellt werden können. Der Beschwerdeführer würde versuchen sich zu integrieren und deutsch zu lernen, sei jedoch mittellos, in der Grundversorgung und in einer Betreuungsstelle untergebracht. Dementsprechend sei eine Rückkehrentscheidung zu erlassen gewesen.
Der Beschwerdeführer bevollmächtigte am 12.12.2017 die XXXX als Rechtsvertreter und erhob innerhalb der Frist, Beschwerde im vollen Umfang wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung der Verfahrensvorschriften. Die vorliegenden Länderberichte würden zwar allgemeine Aussagen über Äthiopien beinhalten, würden sich jedoch kaum mit dem konkreten Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers auseinandersetzen. Im konkreten Fall hätten etwa Feststellungen über die "Liyu Police (Sonderpolizei) in der Somali Region" getroffen werden sollen. Hätte die belangte Behörde diese Länderberichte herangezogen, so hätte sie zu der Feststellung kommen müssen, dass der Beschwerdeführer eine Verbindung zur ONLF unterstellt worden sei und ihm deshalb in ganz Äthiopien Verfolgung drohen würde, da das Interesse des Staates geweckt worden sei. Dem Beschwerdeführer drohe aufgrund der ihm unterstellten Mitgliedschaft zur ONLF und der ihm dadurch unterstellten politischen Gesinnung unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung durch inadäquate medizinische Versorgung und anhaltende Diskriminierungen. Würde der Beschwerdeführer neuerlich inhaftiert werden, drohe ihm auch eine Verletzung seines Rechts auf Leben.
Am 30.05.2018 wurde die Teilnahmebestätigung "Werte- und Orientierungskurs" vorgelegt. Der Beschwerdeführer nahm in der Zeit vom 17.09.2018 bis 31.01.2019 am Vorbereitungslehrgang zum Nachholen des Pflichtschulabschlusses teil.
Am 05.03.2019 fand am Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung statt, an der der Beschwerdeführer, sein Rechtsvertreter, drei Zeugen und ein Dolmetscher teilnahmen. Die belangte Behörde teile am 03.01.2018 mit der Beschwerdevorlage mit, dass sie auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG verzichtet.
Der Rechtsvertreter beantragte zu Beginn der Verhandlung die Einvernahme von drei Zeugen zur guten Integration des Beschwerdeführers und legte folgende Unterlagen vor: Bestätigung eines Fussballclubs, Teilnahmebestätigung an einem Werte- und Orientierungskurs, Bestätigung der XXXX , Teilnahmebestätigungen am Vorbereitungslehrgang zum Nachholen des Pflichtschullabschlusses der XXXX , Teilnahmebestätigung an einem EDV-Bewerbungstraining der XXXX , Zeugnis über die Abschlussprüfung aus Englisch "Globalität und Transkulturalität" der XXXX , Zeugnis über die Abschlussprüfung aus Gesundheit und Soziales der XXXX und zwei Empfehlungsschreiben.
Der Beschwerdeführer gab an, sein bisheriges Vorbringen einschließlich der Beschwerde aufrecht erhalten zu wollen. Er korrigierte im Einvernahmeprotokoll der belangten Behörde seine Heimatadresse und gab an, dass er verheiratet sei und seine Frau in Somalia wohnhaft sei.
Der Beschwerdeführer gab an, er sei äthiopischer Staatsangehöriger, er würde keinen Personalausweis besitzen, jedoch hätte er eine Kopie seines Schulzeugnisses vorgelegt. Zum Vorhalt des Richters bezüglich seiner Herkunft, erläuterte der Beschwerdeführer, er sei ursprünglich aus der Region Somali in Äthiopien. In dieser Region seien die Bevölkerung Somali, die Region gehöre aber zu Äthiopien.
Der Beschwerdeführer gab an, er sei ein Baal Ad, Angehöriger des Subclans XXXX und des Großclans Daarood. Er sei sunnitischer Moslem. Er hätte von seiner Geburt bis zu seiner Ausreise in seiner Heimatstadt XXXX , in der Stadt, gelebt. Er sei in seinem Leben nie in Somalia gewesen, auch seine Eltern und Vorfahren seien schon in Äthiopien geboren worden und hätten dort gelebt. Seine Mutter sei 2011 eines natürlichen Todes gestorben und sein Vater sei seit 29.03.2016 verschollen. Seine Familie hätte nie Dokumente besessen. Man könne nur einen Reisepass beantragen, wenn man ins Ausland fahren wolle. Die meisten Leute hätten nur einen Personalausweis. Der Beschwerdeführer hätte auch schon einmal einen äthiopischen Ausweis gehabt, er hätte ihn jedoch verloren. Im Protokoll stehe auch, wie er ihn verloren hätte. Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, er hätte seinen Personalausweis schon in Äthiopien verloren.
Der Beschwerdeführer erzählte er hätte einen Bruder und zwei Schwestern, welche in der Heimatstadt leben würde. Er hätte dort zehn Jahre lang die Schule besucht. Sein Vater hätte den Beschwerdeführer bei den Kosten zur Lebenserhaltung unterstützt. Der Vater hätte ein Lebensmittegeschäft geführt und er hätte dort manchmal mitgeholfen. Die Familie hätte wirtschaftlich gesehen der Mittelschicht angehört und der Beschwerdeführer hätte sich in Äthiopien nicht politisch betätigt. Er sei auch nicht Mitglied oder Unterstützer einer bewaffneten Gruppierung gewesen. Jedoch hätten die Polizisten ihn verdächtigt, dass er einer bewaffneten Gruppierung helfe. Er sei von einem Freund im Jahr 2016 zur Hochzeit eingeladen worden. Während des Aufenthalts bei der Hochzeit hätte er seine Geldbörse mit seinem Personalausweis und 500 Bir verloren. Zunächst hätte der Beschwerdeführer die Besucher der Hochzeit nach seiner Geldbörse befragt und sie gebeten, falls man die Geldbörse finden würde, solle man diese zurückgeben. Nach zwei Tagen sei der Beschwerdeführer zur Ausstellungsbehörde gegangen und hätte erzählt, was ihm passiert sei. Er hätte sich einen neuen Ausweis ausstellen lassen wollen. Man hätte dem Beschwerdeführer gesagt, er soll noch abwarten, sollte er seinen Ausweis nicht wiederbekommen, werde er einen neuen erhalten. Er werde kontaktiert werden. Am 28.02.2016 seien ein paar Mitglieder der "Liyu Police" zu dem Beschwerdeführer gekommen.
Dieser Vorfall sei nach Mitternacht gewesen. Der Beschwerdeführer sei von vier bewaffneten Männer in einem Auto, einem PickUp "Abdi Bile" (Toyota Landcruiser), mitgenommen, in das Gefängnis " XXXX " gebracht und in eine Zelle eingesperrt worden. Diese Männer seien mit automatischen Gewehren und Schlagstöcken aus Kunststoff bewaffnet gewesen und hätten Polizeiuniformen getragen. Sie hätten dem Beschwerdeführer vorgeworfen, dass er ein Mitglied der OLNF sei. Nach der Ankunft im Gefängnis, sei der Beschwerdeführer in eine Zelle eingesperrt worden. Am nächsten Tag sei er nach XXXX , ein Ort außerhalb von XXXX , in ein Lager der Liyu Police gebracht worden. Es sei dort auch ein kleines Dorf in der Nähe. Nach der Ankunft sei der Beschwerdeführer einvernommen worden. Er sei verdächtigt worden, ein Mitglied der OLNF zu sein. Der Beschwerdeführer sei aufgefordert worden zu erzählen, was er mache und mit wem er zusammenarbeite. Der Beschwerdeführer hätte der Liyu Police gesagt, er sei Schüler, kein Mitglied der OLNF und er würde seinem Vater im Geschäft helfen. Einer dieser Männer hätte behauptet, der Beschwerdeführer würde sie anlügen. Der Beschwerdeführer hätte beteuert, er würde die Wahrheit sagen. Der Beschwerdeführer sei gefragt worden, wessen Ausweis vor ihm läge. Es sei der Ausweis des Beschwerdeführers gewesen. Dieser Ausweis, sei jedoch bei einem Mitglied der OLNF gefunden, das würde bedeuten, dass der Beschwerdeführer auch Mitglied dieser Organisation sei. Der Beschwerdeführer hätte weiter bestritten, dass er etwas mit der OLNF zu tun hätte und hätte angegeben, dass er seinen Ausweis verloren hätte. Danach hätte die Polizei angefangen den Beschwerdeführer zu schlagen und sie hätten ihn nach kurzer Zeit wieder in das Gefängnis gebracht. Er sei etwa einen Monat fast jede Nacht verhört worden. Zu diesem Zweck sei er vom Gefängnis nach XXXX gebracht worden und danach wieder zurück. Er sei bei jedem Verhör misshandelt worden. Er sei mit einem Plastikstock, manchmal auch mit der flachen Hand geschlagen worden. Es sei bezweckt worden, dass der Beschwerdeführer zugebe Mitglied der OLNF zu sein und angebe mit wem er zusammenarbeiten würde. Deshalb hätte man immer wieder die gleichen Fragen an ihn gerichtet. Jedoch der Beschwerdeführer beteuerte er sei kein Mitglied der OLNF.
Nachgefragt erzählte der Beschwerdeführer, die Zelle sei etwa so groß wie ein Viertel des Verhandlungssaals gewesen. Am Anfang sei er alleine in der Zelle gewesen, aber manchmal seien auch ein oder zwei Häftlinge zur ihm gebracht worden. In der Zelle sei nur ein Teppich und eine Decke gewesen. Jeder hätte eine eigene Decke gehabt und die Häftlinge hätten auf dem Teppich geschlafen. Die Notdurft sei während des Tagen draußen verrichtet worden, in der Nacht hätten die Häftlinge einen Kübel gehabt. Die Zelle hätte ein vergittertes Fenster und eine Tür gehabt.
Das Verhör hätte im Lager, wo nur Mitglieder der Liyu Police gewesen seien, stattgefunden. Es hätte ein paar Zimmer gegeben. In einem dieser Zimmer sei er verhört worden. In diesem Zimmer hätte sich nur ein Sessel und ein Tisch sowie ein Plastikschlagstock befunden. Derjenige, der den Beschwerdeführer verhört hätte, sei auf dem Sessel gesessen, der Beschwerdeführer sei vor ihm gestanden. Beim Verhör seien sie immer zu zweit gewesen. Der Verhörraum hätte kein Fenster, sondern nur eine Tür gehabt.
Der Richter hielt dem Beschwerdeführer vor, dass, bei der belangten Behörde nicht von der "Liyu Police", sondern von der "New Police" gesprochen worden sei. Der Beschwerdeführer antwortete, dass man beide Bezeichnungen verwenden würde. Es würde die gleiche Gruppierung bedeuten. New Police verwende man nur für die Habashi. Auf Amharisch nenne man sie "Liyu Police". Der Beschwerdeführer sei auf somalisch verhört worden. Er würde außerdem Englisch, ein bisschen Arabisch und ein bisschen Amharisch und ein bisschen Deutsch sprechen.
Nachgefragt erzählte der Beschwerdeführer, wie ihm die Flucht gelungen sei. Eines nachts hätten sechs Häftlinge in ein anderes Gefängnis, in das XXXX , gebracht werden sollen. Das XXXX hätte sich außerhalb von XXXX befunden. Die Gefangenen seien mit einem Klein-LKW mit offener Ladefläche transportiert worden. Die Straße dorthin hätte sich in einen schlechten Zustand mit vielen Schlaglöchern befunden. Der Gefangenentransport sei bei einem Kanal, der sich bei Regen mit Wasser füllt, vorbeigekommen. Der Fahrer hätte besonders langsam fahren müssen und die Gefangenen hätten ihre Chance gesehen. Der Beschwerdeführer sei aus dem Auto gesprungen, jedoch er wisse nicht, ob auch andere gesprungen seien. Dann sei der Beschwerdeführer in eine andere Richtung gelaufen bis zu seinem Onkel mütterlicherseits, der in einem Dorf außerhalb von XXXX wohnt. Einer der vier Bewacher sei dem Beschwerdeführer nachgelaufen und hätte auch in seine Richtung geschossen, hätte ihn aber verfehlt.
Er hätte der belangten Behörde nichts erzählt, dass ihm ein Bewacher nachgelaufen sei, weil er nervös gewesen sei und es nicht genau gewusst hätte. Er hätte aber die Schüsse auf jeden Fall gehört. Nachdem die Wache versucht hätte auf ihn zu schießen, hätte er auch gedacht, dass diese ihm nachgelaufen sei.
Auf den Vorhalt des Richters, wie der Beschwerdeführer die LKW Seitenbegrenzungen in der angegebenen Höhe von zwei bis zweieinhalb Metern überwinden hätte können, antwortete er: "Ich habe die Frage so verstanden, wie hoch der LKW vom Boden bis zur Ladefläche war. Ich habe das nur geschätzt". Er sei beim Gefangenentransport nicht gefesselt gewesen.
Auf die Frage des Richters, was der Beschwerdeführer bei seinem Onkel in Erfahrung gebracht hätte, erzählte er, er hätte dem Onkel berichtet, dass er aus dem Gefängnis geflüchtet sei. Der Onkel hätte dem Beschwerdeführer gesagt, dass er gesucht worden wäre. Der Onkel wollte dem Vater des Beschwerdeführers mitteilen, dass der Beschwerdeführer bei ihm sei, doch der Vater hätte das Mobiltelefon ausgeschaltet gehabt. Der Beschwerdeführer hätte folglich seine Schwester angerufen. Diese hätte erzählt, dass der Vater von der "Liyu Police" in der Nacht, in welcher der Beschwerdeführer geflüchtet sei, entführt worden sei. Der Beschwerdeführer hätte die folgende Nacht noch bei seinem Onkel verbracht. Die Mitglieder der Liyu Police seien wieder nachhause gekommen und hätten den Beschwerdeführer gesucht. Am nächsten Tag in der Früh hätte der Beschwerdeführer noch einmal seine Schwester telefonisch kontaktiert, um nachzufragen ob der Vater zurückgekommen sei. Er hätte auch erfahren, dass das Geschäft von der Polizei geschlossen worden sei. Nach dem Gespräch mit der Schwester hätte sich der Beschwerdeführer entschlossen zu fliehen.
Der Beschwerdeführer gab an, er hätte auch jetzt noch Kontakt zu seiner Schwester. Da sie unverheiratet sei und der Vater verschwunden sei, gehe es ihr nicht sehr gut. Die Schwester hätte dem Beschwerdeführer auch berichtet, dass nachdem er das Land verlassen habe, die Polizei noch ein paar Mal zuhause gewesen sei und den Beschwerdeführer gesucht hätte. Über den Vater sei nichts in Erfahrung gebracht worden.
Zurzeit würde der Beschwerdeführer in einer Pension leben. Sie seien dort viele Leute und würden gemeinsam kochen und einander helfen. Er würde auch Fußball in der Mannschaft der Gemeinde, als Verteidiger auf der rechten Seite, spielen. Der Beschwerdeführer gab an, er habe das A1 Deutschdiplom gemacht und bereite sich auf den Pflichtschulabschluss vor. Er hätte zu österreichische Familien Kontakt und möchte auch sein Deutsch verbessern. Er hätte auch in einer Theatergruppe gespielt und jetzt besuche er diese manchmal, da er am Nachmittag in die Schule gehe. Er hätte das A1-Deutschdiplom. Als Asylwerber dürfe er noch nicht arbeiten, aber er richte in der Theatergruppe die Sessel bei Vorführungen, helfe im Altersheim und habe bei einem Fußballprojekt der XXXX mitgewirkt. Er würde in keiner Ehe oder Lebensgemeinschaft leben, habe keine österreichische Freundin, jedoch österreichische Freunde über den Fußball, die Theatergruppe und die Schule.
Auf die Frage des Richters, was mit dem Beschwerdeführer geschehen würde, wenn er nach Äthiopien zurückkehren müsse, antwortete er, wenn die Liyu Police ihn wiederfinden würde, würde sie ihn entweder töten oder zumindest einsperren. In XXXX , wäre es für ihn noch schwieriger, da er die Sprache dort nicht sprechen könne. Somit könne er dort auch keine Arbeit finden. Er sei auch Angehöriger eines Minderheiten-Stammes und würde aufgrund der Volksgruppe diskriminiert werden.
Angemerkt wurde, dass der Beschwerdeführer die Fragen zur Integration schon in gutem Deutsch beantwortete.
Befragung des Zeugen1
Der Zeuge1 gab an, er würde den Beschwerdeführer durch seine Schwester kennen, welche bedauerlicherweise im Vorjahr verstorben sei.
Der Zeuge1 gab auch an, er hätte den Beschwerdeführer als sehr hilfsbereiten und aufrechten Mann kennengelernt. Die Frau des Zeugen1 würde einen Biobauernhof betreiben und den Quartiergeber des Beschwerdeführers beliefern. So hätte sich auch der Kontakt ergeben. Der Beschwerdeführer sei sehr hilfsbereit. Als die Schwester des Zeugen1 verstorben sei, wäre der Beschwerdeführer einer der Ersten gewesen, der gefragt hätte, wie er helfen könne. Er sei sehr bemüht Deutsch zu lernen, deshalb würde er immer wieder nach deutschen Wörtern und deren Bedeutung fragen. Der Beschwerdeführer sei sehr lernbereit und sehr gut integriert.
Der Beschwerdeführer würde die Familie des Zeugen1 öfters besuchen kommen und mit den Kindern spielen. Diese Begegnungen seien äußert positiv. Der Beschwerdeführer hätte auch keine Scheu mit Praktikanten aus anderen Ländern Kontakt aufzunehmen und sei sehr gewillt die österreichische Kultur zu leben.
Der Zeuge1 gab an, dass er bei einer positiven Entscheidung dem Beschwerdeführer bei der Arbeitssuche helfen würde. Er sei 24 Jahre in der Gemeindepolitik tätig gewesen und hätte auch einen humanitären Auftrag.
Befragung des Zeugen2
Der Zeuge2 gab an, dass der Beschwerdeführer seit September 2016 bei ihm wohnen würde und solange würde er ihn auch kennen. Der Zeuge hätte täglich mit dem Beschwerdeführer zu tun. Der Beschwerdeführer würde sich sehr gut im Ort integrieren. Er sei im Haus immer sehr freundlich und sei nie negativ aufgefallen. Er würde sich auch mit der Familie sehr gut verstehen.
Der Zeuge2 gab an den Obmann des Fußballvereins zu kennen. So sei der Beschwerdeführer zum Fußballspielen gekommen. Der Rechtsvertreter zeigte das Foto der Fußballmannschaft dem Gericht.
Der Zeuge2 gab auch an, dass die Familie mit dem Beschwerdeführer gemeinsam zu verschiedenen Veranstaltungen gehen würde. Sie würden auch gemeinsam essen. Der Beschwerdeführer würde öfters mit der Enkelin des Zeugen2 spielen. Er sei in den Familienverband eingebunden und wäre auch zu Weihnachten und zu Silvester eingeladen gewesen.
Befragung des Zeugen3:
Auf die Frage, woher der Zeuge3 den Beschwerdeführer kenne, antworte er, dass seine Frau eine Theatergruppe leiten würde. Sein Sohn und seine Tochter würden in dieser Theatergruppe mitspielen, während seine Frau die Choreographie leiten würde. Die gesamte Theatergruppe sei in sein zu Hause eingeladen gewesen und so hätte er den Beschwerdeführer kennengelernt. Der Zeuge3 gab an, dass der Beschwerdeführer ein angenehmer Mensch, höflich und hilfsbereit sei. Der Beschwerdeführer sei schon Schauspieler gewesen und er würde beim Aufstellen von Kulissen helfen.
Den Verfahrensparteien wurde das aktuelle LIB der Staatendokumentation zu Äthiopien vom 08.01.2019 und eine Frist von zwei Wochen zur Abgabe einer Stellungnahem eingeräumt.
Stellungnahme des Rechtvertreters:
"Der Beschwerdeführer wird in Äthiopien auf Grund seiner unterstellten politischen Gesinnung verfolgt. Er kommt aus der Somali-Region, wo die "Liyu Police" vorherrschend ist und bestätigt auch das Länderinformationsblatt (LIB), dass es zu ständigen Menschenrechtsverletzung durch diese kommt und diese aktiv gegen vermutete Unterstützer von ONLF vorgeht. Ebenso bestätigen die zwei vorgelegten Human Rights Watch-Berichte, dass die "Liyu Police" in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers noch immer präsent ist und dort auch ethnische Konflikte vorherrschend sind. In der Herkunftsregion des Beschwerdeführers herrscht eine volatile Sicherheitslage, die definitiv bei einer Rückkehr eine Art. 3 EMRK-Verletzung darstellen würde, abgesehen von der asylrelevanten Verfolgung. Ebenso steht dem Beschwerdeführer keine IFA offen, da die "Liyu Police" ihn im gesamten Staatsgebiet finden kann und andererseits er als Volksgruppenzugehöriger der Somali einer Minderheit angehört und mit gravierender Diskriminierung zu rechnen hätte, die ein IFA nicht zumutbar macht. Abgesehen davon besteht laut LIB im gesamten Staatsgebiet, auch in XXXX , ein erhöhtes Sicherheitsrisiko. Bei einer Rückkehr droht dem Beschwerdeführer der Tod oder die Inhaftierung in das Ogaden-Gefängnis, in den Menschrechtsverletzungen an der Tagesordnung stehen. Hierzu wird auf das dbzgl. Bericht von Human Rights Watch verwiesen. Bezugnehmend auf die fortgeschrittene Integration des Beschwerdeführers möchte ich auf die Rechtsprechung des VwGH hinweisen, dass auch in zweieinhalb Jahren eine Integration verlangt werden kann, die einen Aufenthaltstitel begründet. Die Beschwerdeanträge werden aufrechterhalten."
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:
1. Feststellungen:
Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Äthiopien und stammt aus der Region Somali, er ist nach seinem Angaben ein Baal Ad, Angehöriger des Subclans XXXX und des Großclans Daarood und sunnitischer Moslem. Er lebte seit seiner Geburt in seiner Heimatstadt XXXX . Seine Mutter starb im Jahr 2011 eines natürlichen Todes, sein Vater ist seit 29.03.2016 verschollen. Der Beschwerdeführer besuchte zehn Jahre die Schule. Die Familie gehörte dem Mittelstand an und besaß ein Geschäft, welches nunmehr geschlossen ist.
Der Beschwerdeführer war 2016 zu einer Hochzeit seines Freundes eingeladen. Dort verlor er seine Geldtasche und seinen Personalausweis. Er meldete den Verlust bei der Behörde, welche noch zuwarten wollte, bevor sie einen neuen Ausweis ausstellen würde. Es kamen jedoch Mitgieder der "Liyu Police" zu dem Beschwerdeführer und verhafteten ihn, weil sein Personalausweis bei einem OLNF-Mitglied gefunden wurde. Der Beschwerdeführer wurde verdächtigt ein Mitglied dieser Gruppierung zu sein. Bei den Einvernahmen wurde der Beschwerdeführer mit der flachen Hand und einen Plastikstock geschlagen, um ein Geständnis zu erwirken. Der Beschwerdeführer beteuerte aber, kein Mitglied dieser bewaffneten Gruppierung zu sein, er gab an, er gehe zu Schule und unterstütze seinen Vater im Geschäft.
Der Beschwerdeführer nutzte die Gelegenheit zur Flucht, als er in ein anderes Gefängnis verlegt werden sollte. Er versteckte sich bei seinem Onkel. Die Liyu Police verschleppte den Vater, welcher bis heute verschollen ist. Der Beschwerdeführer verließ aus Angst um sein Leben seinen Heimatstaat. Aus telefonischen Kontakt mit seiner Schwester weiß er, dass er noch immer von der Liyu Police gesucht wird.
Der Beschwerdeführer ist sehr um seine Integration bemüht.
Zu Äthiopien wird folgendes verfahrensbezogen festgestellt:
Politische Lage
Entsprechend der Verfassung ist Äthiopien ein föderaler und demokratischer Staat. Die Grenzen der Bundesstaaten orientieren sich an sprachlichen und ethnischen Grenzen sowie an Siedlungsgrenzen. Seit Mai 1991 regiert in Äthiopien die Ethiopian People's Revolutionary Democratic Front (EPRDF), die sich aus vier regionalen Parteien zusammensetzt: Tigray People's Liberation Front (TPLF), Amhara National Democratic Movement (ANDM), Oromo People's Democratic Organisation (OPDO) und Southern Ethiopian Peoples' Democratic Movement (SEPDM). Traditionellen Führungsanspruch in der EPRDF hat die TPLF, die zentrale Stellen des Machtapparates und der Wirtschaft unter ihre Kontrolle gebracht hat (AA 17.10.2018).
Auf allen administrativen Ebenen werden regelmäßig Wahlen durchgeführt, zu denen Oppositionsparteien zugelassen sind. Bei den Parlamentswahlen im Mai 2015 gewannen die regierende EPRDF und ihr nahestehende Parteien nach Mehrheitswahlrecht alle 547 Parlamentssitze. Auf allen administrativen Ebenen dominiert die EPRDF. Auch in den Regionalstaaten liegt das Übergewicht der Politikgestaltung weiter bei der Exekutive. Staat und Regierung bzw. Regierungspartei sind in der Praxis nicht eindeutig getrennt (AA 17.10.2018).
Äthiopien ist politisch sehr fragil (GIZ 9.2018). Zudem befindet sich das Land derzeit unter Premierminister Abiy Ahmed in einem politischen Wandel (GIZ 9.2018a). Abiy Ahmed kam im April 2018 nach dem Rücktritt von Hailemariam Desalegn an die Macht. Seitdem hat er den Ausnahmezustand des Landes beendet, politische Gefangene freigelassen, umstrittene Kabinettsmitglieder und Beamte entlassen, Verbote für Websites und sozialen Medien aufgehoben und ein Friedensabkommen mit dem benachbarten Eritrea geschlossen (RI 14.11.2018; vgl. EI 12.12.2018, JA 23.12.2018). Bereits seit Anfang des Jahres waren noch unter der Vorgängerregierung erste Schritte einer politischen Öffnung unternommen worden. In der ersten Jahreshälfte 2018 wurden ca. 25.000 teilweise aus politischen Gründen inhaftierte bzw. verdächtige Personen vorzeitig entlassen. Oppositionsparteien wurden eingeladen, aus dem Exil zurückzukehren, und wurden entkriminalisiert. Abiy Ahmed hat eine Kehrtwende weg von der repressiven Politik seiner Vorgänger vorgenommen. Er bemüht sich seit seinem Amtsantritt mit Erfolg für stärkeren zivilgesellschaftlichen Freiraum und hat die Praxis der Kriminalisierung von Oppositionellen und kritischen Medien de facto beendet. Im Mai 2018 gab es mehrere Dialogformate in Addis Abeba und der benachbarten Region Oromia, unter Beteiligung von Vertretern der Regierung, Opposition und Zivilgesellschaft. Abiy hat zudem angekündigt, dass die für 2020 angesetzten Wahlen frei und fair und ohne weitere Verzögerungen stattfinden sollen (AA 17.10.2018).
Unter der neuen Führung begann Äthiopien mit dem benachbarten Eritrea einen Friedensprozess hinsichtlich des seit 1998 andauernden Konfliktes (JA 23.12.2018). Im Juni 2018 kündigte die äthiopische Regierung an, den Friedensvertrag mit Eritrea von 2002 vollständig zu akzeptieren (GIZ 9.2018a). Mithilfe der USA, Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate begann Abiy Ahmed Gespräche und begrüßte den eritreischen Präsidenten Isaias Afeworki im Juli 2018 in Addis Abeba (JA 23.12.2018). Nach gegenseitigen Staatsbesuchen sowie der Grenzöffnung erfolgte Mitte September 2018 die offizielle Unterzeichnung eines Freundschaftsvertrages zwischen den beiden Ländern (GIZ 9.2018a). Die Handels- und Flugverbindungen wurden wieder aufgenommen, und die UN-Sanktionen gegen Eritrea wurden aufgehoben (JA 23.12.2018).
Am 7.8.2018 unterzeichneten Vertreter der äthiopischen Regierung und der Oromo Liberation Front (OLF) in Asmara ein Versöhnungsabkommen und verkündeten am 12.8.2018 einen einseitigen Waffenstillstand (BAMF 13.8.2018). Am 15.9.2018 kehrten frühere Oromo-Rebellen aus dem Exil in die Hauptstadt Addis Abeba zurück. Die Führung der OLF kündigte an, nach der Aussöhnung mit der Regierung fortan einen friedlichen Kampf für Reformen führen zu wollen. Neben OLF-Chef Dawud Ibsa und anderen Funktionären kamen auch etwa 1.500 Kämpfer aus dem benachbarten Eritrea zurück. Obwohl die Feier von einer massiven Sicherheitspräsenz begleitet wurde, kam es zu Ausschreitungen (BAMF 17.9.2018). Nach offiziellen Angaben wurden nach den Ausschreitungen rund 1.200 Personen inhaftiert (BAMF 1.10.2018).
Abiy Ahmeds Entscheidung Frauen in Führungspositionen zu befördern, wurde weitgehend begrüßt. Die Hälfte der 20 Ministerposten der Regierung wurden an Frauen vergeben, darunter Schlüsselressorts wie das Ministerium für Handel und Industrie und das Verteidigungsministerium. Abiy hat u. a. die renommierte Menschenrechtsanwältin Meaza Ashenafi zur ranghöchsten Richterin des Landes ernannt, die ehemalige UNO-Beamtin Sahle-Work Zewde wurde einstimmig vom Parlament zur Präsidentin gewählt (BAMF 29.10.2018; vgl. BBC 18.11.2018, EZ 25.10.2018, GIZ 9.2018a). Die Präsidentin hat vor allem eine repräsentative Funktion, da die politische Macht beim Ministerpräsidenten liegt (BAMF 29.10.2018; vgl. BBC 18.11.2018). Aisha Mohammed ist nun Verteidigungsministerin, Muferiat Kamil Friedensministerin. Letzterer sind Polizei und Geheimdienste unterstellt. Die Ernennung der beiden Frauen ist auch deshalb historisch, weil es sich um Muslime aus ethnischen Minderheiten (Oromo) handelt, die noch nie zuvor so mächtige Ämter bekleideten. Ihre Anwesenheit im Kabinett hilft Abiy Ahmed nicht nur, Geschlechterparität zu erreichen, sondern auch, seine Unterstützungsbasis unter ethnischen Minderheiten und Muslimen zu erweitern, die sich manchmal über politische Ausgrenzung beklagen (BBC 18.11.2018).
Darüber hinaus ging die Regierung gegen Offizielle vor, die der Korruption und Rechtsverletzungen verdächtigt wurden. 60 Personen wurden verhaftet, darunter der ehemalige Leiter eines militärisch geführten Geschäftskonzerns und ehemalige stellvertretende Leiter des Geheimdienstes, Getachew Assefa. Dieser wurde wegen Korruption und Menschenrechtsverletzungen verhaftet (BBC 18.11.2018; vgl. EI 12.12.2018). Assefa war ein führendes Mitglied des Tigray-Flügels der regierenden EPRDF. Vertreter der EPRDF - darunter die Führung der TPLF - haben erklärt, dass es einen allgemeinen Konsens darüber gibt, dass Kriminelle vor Gericht gestellt werden sollten. Ältere Vertreter der TPLF fordern, dass derartige Verhaftungen nicht politisch motiviert und nur auf Tigray abzielen dürfen. Aktivisten von Tigray erachten die Verhaftungen allerdings als politisch motiviert - mit dem Ziel, die Tigray zu schwächen. Auf einen Protest in neun Großstädten in Tigray folgte am 8.12. und 9.12.2018 eine große Kundgebung in Mekele, bei der Zehntausende teilnahmen. Die Spannungen zwischen der Bundesregierung und der Region Tigray haben sich verschärft (EI 12.12.2018). Es bleibt abzuwarten, ob diese Säuberungen den Staat nicht zu destabilisieren drohen. Zudem sind die Gewaltkonflikte in den Regionen nach wie vor nicht unter Kontrolle, und Abiy weigert sich, Gewalt anzuwenden. Sein Ruf nach Ruhe und Einheit bleibt jedoch ungehört. Die Zahl der IDPs ist gestiegen, und die Gefahr einer Teilung des Landes bleibt nicht ausgeschlossen (JA 23.12.2018).
Seit seinem Amtsantritt im April 2018 als äthiopischer Premierminister, hat Abiy Ahmed tiefgreifende Reformen angeschoben. Trotzdem bleiben die Herausforderungen zahlreich. Die Restriktionen gegen Bürgerrechtsorganisationen sind noch nicht aufgehoben und das Antiterrorismusgesetz muss noch reformiert werden. Für seinen Umgang mit diesen fundamentalen Problemen steht der neue Premierminister in Kritik. Das Versprechen von freien Wahlen stößt auf die Realität eines Landes, das von einer Koalition von Rebellen kontrolliert wird - der EPRDF. Diese ist seit 1991 an der Macht und behält sämtliche Institutionen im Griff (SFH 5.12.2018).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (17.10.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1452858/4598_1543583225_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aethiopien-stand-september-2018-17-10-2018.pdf, Zugriff 11.12.2018
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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (13.8.2018): Briefing Notes vom 13. August 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/1442567/1226_1536220409_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-13-08-2018-deutsch.pdf, Zugriff 28.12.2018
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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (17.9.2018): Briefing Notes vom 17. September 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/1445520/1226_1539001493_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-17-09-2018-deutsch.pdf, Zugriff 28.12.2018
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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (1.10.2018): Briefing Notes vom 1. Oktober 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/1445533/1226_1539002314_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-01-10-2018-deutsch.pdf, Zugriff 28.12.2018
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BBC News (18.11.2018): The women smashing Ethiopia's glass ceiling, https://www.bbc.com/news/world-africa-46110608, Zugriff 17.12.2018
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EI - Ethiopia Inside (12.12.2018): Rebranded show trials are exactly what remodeled Ethiopia does not need, https://www.ethiopia-insight.com/2018/12/12/rebranded-show-trials-are-exactly-what-remodeled-ethiopia-does-not-need/, Zugriff 17.10.2018
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EZ - Ezega (25.10.2018): Ethiopia Names First Woman President, https://www.ezega.com/News/NewsDetails/6729/Ethiopia-Names-First-Woman-President, Zugriff 6.12.2018
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GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2018):
Äthiopien, Überblick,
https://www.liportal.de/aethiopien/ueberblick/, Zugriff 11.12.2018
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GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit Deutschland (9.2018a): Äthiopien, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/aethiopien/geschichte-staat/, Zugriff 10.12.2018
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JA - Jeune Afrique (23.12.2018): Éthiopie: Abiy Ahmed, le négus du changement,
https://www.jeuneafrique.com/mag/692770/politique/ethiopie-abiy-ahmed-le-negus-du-changement/?utm_source=newsletter-ja-actu-abonnes&utm_medium=email&utm_campaign=newsletter-ja-actu-abonnes-24-12-18, Zugriff 27.12.2018
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RI - Refugees International in Reliefweb.int (14.11.2018): The Crisis Below the Headlines: Conflict Displacement in Ethiopia, https://reliefweb.int/report/ethiopia/crisis-below-headlines-conflict-displacement-ethiopia, Zugriff 11.12.2018
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SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (5.12.2018): Sind Rückführungen von äthiopischen Asylsuchenden wirklich dringend?, https://www.fluechtlingshilfe.ch/news/archiv/2018/sind-rueckfuehrungen-von-aethiopischen-asylsuchenden-wirklich-dringend.html, Zugriff 13.12.2018
Sicherheitslage
Nach der Wahl eines neuen Premierministers hat sich die Sicherheitslage derzeit wieder beruhigt. Der im Februar 2018 ausgerufene Notstand wurde am 5.6.2018 vorzeitig beendet (AA 4.1.2019). Derzeit gibt es in keiner äthiopischen Region bürgerkriegsähnliche Zustände; die Konflikte zwischen Ethnien (z.B. Gambella, SNNPR, Oromo/Somali) haben keine derartige Intensität erreicht (AA 17.10.2018). Laut österreichischem Außenministerium gilt in Addis Abeba und den übrigen Landesteilen ein erhöhtes Sicherheitsrisiko (BMEIA 12.12.2018). Ein Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land (EDA 10.12.2018; vgl. BAMF 1.10.2018, BAMF 24.9.2018).
Im ganzen Land kann es bei Demonstrationen zu Ausschreitungen kommen und Gewaltanwendung nicht ausgeschlossen werden (BMEIA 12.12.2018). Die politischen und sozialen Spannungen können jederzeit zu gewalttätigen Demonstrationen, Plünderungen, Straßenblockaden und Streiks führen. Auch in Addis Abeba können gewalttätige Demonstrationen jederzeit vorkommen. Zum Beispiel haben Mitte September 2018 gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten verschiedener Lager sowie zwischen Demonstranten und Sicherheitskräfte zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 10.12.2018; vgl. BAMF 1.10.2018, BAMF 24.9.2018). Ende September 2018, sollen bei Protesten in Addis Abeba, 58 Menschen getötet worden sein, staatliche Stellen berichteten von 23 Toten. Die meisten Todesopfer habe es gegeben, als jugendliche Banden der Volksgruppe der Oromo am 16.9.2018 andere Ethnien angriffen. Zu weiteren Todesopfern kam es, als tausende Menschen gegen diese Gewaltwelle protestierten (BAMF 1.10.2018; vgl. BAMF 24.9.2018).
Zusammenstöße zwischen den Gemeinschaften in den Regionen Oromia, SNNPR, Somali, Benishangul Gumuz, Amhara und Tigray haben sich fortgesetzt. Dort werden immer mehr Menschen durch Gewalt vertrieben. Aufgrund der Ende September 2018 in der Region Benishangul Gumuz einsetzenden Gewalt wurden schätzungsweise 240.000 Menschen vertrieben (FEWS 29.11.2018).
Spannungen zwischen verschiedenen Volksgruppen und der Kampf um Wasser und Weideland können in den Migrationsgebieten der nomadisierenden Viehbesitzer im Tiefland zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führen, die oft erst durch den Einsatz der Sicherheitskräfte beendet werden (EDA 10.12.2018).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (4.1.2019): Äthiopien: Reise- und Sicherheitshinweise,
https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopien-node/aethiopiensicherheit/209504, Zugriff 4.1.2019
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AA - Auswärtiges Amt (17.10.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1452858/4598_1543583225_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aethiopien-stand-september-2018-17-10-2018.pdf, Zugriff 11.12.2018
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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (1.10.2018): Briefing Notes vom 1. Oktober 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/1445533/1226_1539002314_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-01-10-2018-deutsch.pdf, Zugriff 28.12.2018
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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (24.9.2018): Briefing Notes vom 24. September 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/1445536/1226_1539002669_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-24-09-2018-deutsch.pdf, Zugriff 28.12.2018
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BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (12.12.2018): Äthiopien, Reise & Aufenthalt - Sicherheit und Kriminalität,
http://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/aethiopien/, Zugriff 12.12.2018
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EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (10.12.2018): Reisehinweise für Äthiopien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/aethiopien/reisehinweise-aethiopien.html, Zugriff 10.12.2018
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FEWS - Famine Early Warning System Network / World Food Programme, in Reliefweb.int (29.11.2018): Ethiopia Key Message Update, November 2018,
https://reliefweb.int/report/ethiopia/ethiopia-key-message-update-november-2018, Zugriff 11.12.2018
Somali Regional State (SRS / Ogaden) und Oromia
Für den SRS gilt laut österreichischem Außenministerium eine partielle Reisewarnung (BMEIA 6.12.2018). Das deutsche Außenministerium warnt vor Reisen südlich und östlich von Harar und Jijiga (AA 4.1.2019). Die Sicherheitslage ist in diesem Landesteil volatil. Lokale Gefechte zwischen der äthiopischen Armee und verschiedenen Rebellengruppen kommen vor. Zum Beispiel forderten bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen der Armee und einer lokalen Miliz im August 2018 in Jijiga zahlreiche Todesopfer und Verletzte (AA 4.1.2019; vgl. EDA 6.12.2018, DW 8.8.2018). Es kam damals zu interkommunaler Gewalt zwischen ethnischen Somalis und in der Stadt lebenden Hochländern (UNOCHA 25.11.2018) und zur Plünderung von Besitztümern ethnischer Minderheiten (DW 8.8.2018). Angriffe richteten sich gezielt gegen ethnische Nicht-Somalis und gegen orthodoxe Kirchen, darunter auch Priester (AA 17.10.2018). Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten sowie zwischen verfeindeten Ethnien können auch weiterhin vorkommen. Auch besteht das Risiko von Anschlägen. Zudem besteht Minengefahr und das Risiko von Entführungen (EDA 6.12.2018; vgl. BMEIA 6.12.2018).
Rund um den Grenzübergang Moyale kam es mehrfach, zuletzt Mitte Dezember 2018, zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Volksgruppen der Somali- und Oromia Region sowie den Sicherheitskräften, bei denen zahlreiche Todesopfer zu beklagen waren (AA 4.1.2019). Auch am 12.11.2018 führte Gewalt zwischen den Gemeinschaften Gebra und Garre dazu, dass etwa 15.000 Menschen in der Stadt Moyale, einer Stadt, die sowohl zu Oromia als auch zu Somalia gehört, vertrieben wurden (UNOCHA 25.11.2018).
Im Süden Äthiopiens hatte es in jüngster Vergangenheit mehrfach blutige Zusammenstöße zwischen Angehörigen der Ethnien der Oromo und der Somali gegeben. Hintergrund ist der Streit um Weideland und andere Ressourcen (WZ 16.12.2018). Im Grenzgebiet der Oromo- und Somali-Regionen kommt es schon seit Anfang 2017 verstärkt zu gewaltsamen und teilweise tödlichen Zusammenstößen beider Volksgruppen. Betroffen sind vor allem die Gebiete Moyale, Guji, Bale, Borena, Hararghe und West Guji (AA 4.1.2019). Der Grenzkonflikt zwischen den Regionen Oromia und dem SRS hat sich verschärft (AA 17.10.2018).
Für die Region Oromia wurde ein hohes Sicherheitsrisiko ausgerufen. In den Regionen Oromia und Amhara kann es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Bevölkerung und der Polizei kommen. Zudem kommt es häufiger zu Entführungen an der somalisch-kenianischen Grenze, sowie grenzüberschreitender Stammesauseinandersetzungen (BMEIA 6.12.2018). In den Oromo-und Amhara-Regionen kommt es des Öfteren zu teils gewalttätigen Demonstrationen und Protestaktionen (AA 4.1.2019). Über 200.000 Menschen sind seit Juli 2018 vor ethnischen Konflikten im SRS geflohen. Damit steigt die Gesamtzahl auf über 700.000, die in den letzten Jahren vor interkommunaler Gewalt geflohen sind, so die neueste Displacement Tracking Matrix für Äthiopien. Die meisten kamen aus der Region Oromia. Insgesamt wurden im SRS fast 1,1 Millionen Menschen vertrieben, wenn auch andere Ursachen wie Dürre und Überschwemmungen berücksichtigt werden (NRC 20.11.2018).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (4.1.2019): Äthiopien: Reise- und Sicherheitshinweise,
https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopien-node/aethiopiensicherheit/209504, Zugriff 4.1.2019
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AA - Auswärtiges Amt (17.10.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1452858/4598_1543583225_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aethiopien-stand-september-2018-17-10-2018.pdf, Zugriff 11.12.2018
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BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (6.12.2018): Äthiopien, Reise & Aufenthalt - Sicherheit und Kriminalität,
http://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/aethiopien/, Zugriff 6.12.2018
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DW - Deutsche Welle (8.8.2018): Äthiopien: Ethnische Konflikte schwelen weiter,