Entscheidungsdatum
09.04.2019Norm
ASVG §67 Abs10Spruch
W151 2167121-1/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Doris KOHL, MCJ über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch Knittl Nigl Winkelmayr RAe, Porzellangasse 22A/7, 1090 Wien, gegen den Bescheid der Wiener Gebietskrankenkasse, vom 23.06.2017, XXXX , wegen § 67 Abs. 10 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), beschlossen:
A)
Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Wiener Gebietskrankenkasse zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Bescheid vom 23.06.2017 verpflichtete die Wiener Gebietskrankenkasse (im Folgenden: WGKK) den Beschwerdeführer (im Folgenden auch BF) als faktischer Geschäftsführer der XXXX (im Folgenden: Beitragsschuldnerin) gemäß § 67 Abs. 10 ASVG in Verbindung mit § 83 ASVG, die von dieser zu entrichten gewesenen Beiträge samt Nebengebühren aus den Vorschreibungen für den Zeitraum "September 2015 bis März 2016" in Höhe von EUR 98.930,49 zuzüglich Verzugszinsen in der sich nach § 59 Abs. 1 ASVG jeweils ergebenden Höhe, das seien ab 23.06.2017 3,38% p. a. aus EUR 93.702,95 zu bezahlen.
Begründend führte die WGKK aus, dass die Beitragsschuldnerin die Beiträge für die genannten Beitragszeiträume nicht entrichtet habe und sich der Schaden durch die erfolgreiche Anfechtung im Konkurs der Beitragsschuldnerin auf mittlerweile EUR 98.930,49 erhöht habe.
Aus dem Bericht des Masseverwalters, Herrn XXXX sei ersichtlich, dass der BF auf sämtlichen Bankkonten der Beitragsschuldnerin zeichnungsberechtigt gewesen ist und von Auftraggebern der Beitragsschuldnerin als Einschreiter und Ansprechpartner bekannt gegeben wurde. Der BF sei demnach als faktischer Geschäftsführer der Beitragsschuldnerin Vertreter des Dienstgebers.
Gemäß § 67 Abs. 10 und § 58 Abs. 5 ASVG hätten Vertreter juristischer Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Beiträge jeweils bei Fälligkeit aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
Dem Bescheid angeschlossen war ein Rückstandsausweis in der Höhe von EUR 98.930,49. Darin waren Verzugszinsen und Nebengebühren aufgelistet.
2. In der dagegen erhobenen Beschwerde brachte der BF vor, er bestreite die Ausführungen des Masseverwalters. Er sei nicht faktischer Geschäftsführer der Beitragsschuldnerin gewesen. Er habe auch keinen direkten Einfluss an der Gesellschaft gehabt und habe insbesondere keine firmeninternen Weisungen erteilen können.
Dem beigelegten Firmenbuchauszug sei zu entnehmen, dass XXXX Geschäftsführer der Beitragsschuldnerin gewesen ist.
3. Die gegenständliche Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt wurden samt einer seitens der belangten Behörde erstatteten Gegenschrift dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) am 09.08.2017 vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Feststellungen gründen sich auf den im Verfahrensgang angeführten Sachverhalt.
2. Rechtliche Beurteilung:
2.1. Zuständigkeit
Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
§ 414 Abs. 1 ASVG normiert die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Entscheidung über Beschwerden gegen Bescheide eines Versicherungsträgers.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 414 Abs. 2 ASVG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht nur in Angelegenheiten nach § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 und nur auf Antrag einer Partei durch einen Senat. Die vorliegende Angelegenheit ist nicht von dieser Bestimmung erfasst.
Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
2.2. Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht:
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
2.3. Prüfungsumfang und Entscheidungsbefugnis des Bundesverwaltungsgerichts:
§ 27 VwGVG legt den Prüfungsumfang fest und beschränkt diesen insoweit, als das Verwaltungsgericht (bei Bescheidbeschwerden) prinzipiell (Ausnahme: Unzuständigkeit der Behörde) an das Beschwerdevorbringen gebunden ist (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren [2013], Anm. 1 zu § 27 VwGVG). Konkret normiert die zitierte Bestimmung: "Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen."
Die zentrale Regelung zur Frage der Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte bildet § 28 VwGVG. Die vorliegend relevanten Abs. 1, 2 und 3 dieser Bestimmung lauten wie folgt:
"§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist."
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Zu A)
2.4. Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG haften die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Gesellschaft, Kommanditgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Vermögensverwalter haften, soweit ihre Verwaltung reicht, entsprechend.
§ 67 Abs. 10 ASVG sanktioniert die Verletzung sozialversicherungsrechtlicher Pflichten. Die Verletzung dieser Pflichten muss dafür kausal sein, dass Beiträge nicht entrichtet und später uneinbringlich wurden. Die Verletzung der genannten Pflichten muss schuldhaft erfolgt sein. Bei der Frage der schuldhaften Nichtentrichtung von Beiträgen kommt es auf das im Zeitpunkt der Fälligkeit der jeweiligen Beiträge gesetzte Verhalten des Vertreters an. (vgl. Mosler Müller Pfeil, der SV-Komm, Manz 2014, RZ 107-115 zu § 67 Abs. 10 ASVG).
Der angefochtene Bescheid bezieht sich auf eine Beitragsnachverrechnung aus Vorschreibungen für die Zeiträume "September 2015 bis März 2016".
Die vorliegende Frage der Haftung ist zeitraumbezogen nach der im Beobachtungszeitraum geltenden Rechtslage zu beurteilen.
Gemäß § 58 Abs. 5 ASVG haben die VertreterInnen juristischer Personen, die gesetzlichen VertreterInnen natürlicher Personen und die VermögensverwalterInnen (§ 80 BAO) alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Beiträge jeweils bei Fälligkeit aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden. Der Sorgfaltsmaßstab des § 58 Abs. 5 ASVG ist daher auf den vorliegenden Fall anzuwenden.
Zufolge VwGH 98/08/0191 ist eine für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum zu prüfende Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG auf die Fälle der §§ 111 und 114 Abs. 2 ASVG i.d.a.F. zu beschränken. Nur wenn Beiträge als Folge einer vom haftenden Vertreter schuldhaft begangenen Meldepflichtverletzung oder als Folge einer vom haftenden Vertreter schuldhaft unterlassenen Abfuhr einbehaltener DienstnehmerInnen-Beiträge uneinbringlich wurden, besteht für den hier zu prüfenden Beobachtungszeitraum Haftung im Sinne des § 67 Abs. 10 ASVG. Für diese Beiträge haftet der der Vertreter ohne Rücksicht auf eine Gläubigerbenachteiligung zur Gänze (vgl. Mosler Müller Pfeil, der SV-Komm, Manz 2014, RZ 89 zu § 67 Abs. 10 ASVG mit Verweis auf VwGH 2013/08/0006).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (im Folgenden: VwGH) ist die Haftung der in § 67 Abs. 10 ASVG genannten Personen nur dann gegeben, wenn erstens die Uneinbringlichkeit der Beitragsschulden bei der Gesellschaft feststeht, zweitens eine schuldhafte und rechtswidrige Verletzung der sozialversicherungsrechtlichen Pflichten durch die genannten Personen vorliegt und drittens die Uneinbringlichkeit dieser Beiträge auf diese schuldhaften Pflichtverletzungen zurückzuführen ist (vgl. VwGH 11.04.2018, Ra 2015/08/0038).
2.5. Uneinbringlichkeit der Beitragsschulden:
Die Uneinbringlichkeit der Abgaben liegt vor, wenn Vollstreckungsmaßnahmen erfolglos waren oder voraussichtlich erfolglos wären (Hinweis E 8.11.1978, 1199/78; Hinweis Ritz, Kommentar zur BAO/2, Tz 5f zu § 9). Aus der Konkurseröffnung allein ergibt sich zwar noch nicht zwingend die Uneinbringlichkeit (Hinweis E 26.6.1996, 95/16/0077, VwSlg 7105 F/1996), diese ist aber jedenfalls dann anzunehmen, wenn im Lauf des Insolvenzverfahrens feststeht, dass die Abgabenforderung im Konkurs mangels ausreichenden Vermögens nicht befriedigt werden kann; diesfalls ist daher kein Abwarten der vollständigen Abwicklung des Konkurses erforderlich (vgl. VwGH 22.09.1999, 96/15/0049 mwN).
Im Beschwerdefall ergibt sich aus einem im vorgelegten Verwaltungsakt befindlichen Auszug aus der Insolvenzdatei sowie einem amtswegig eingeholten Firmenbuchauszug, dass mit Beschluss des HG Wien vom 13.04.2016 über das Vermögen der Beitragsschuldnerin der Konkurs eröffnet und dieser mit Beschluss des HG Wien vom 23.06.2017 nach Ausschüttung einer Quote von 3,561934% wieder aufgehoben wurde. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte steht damit die Uneinbringlichkeit der Abgaben fest.
2.6. Zur Höhe der rückständigen Beiträge:
Weitere Voraussetzung für den Eintritt der Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG ist, dass diese Beiträge der Höhe nach bestimmt sind.
Die WGKK hat dem bekämpften Bescheid einen Rückstandsausweis vom 23.06.2017 zugrunde gelegt, wobei neben der Summe der Beiträge Verzugszinsen gemäß § 59 Abs. 1 ASVG (gerechnet bis 22.06.2017) auch Nebengebühren angegeben wurden. Der Rückstandsausweis ist eine öffentliche Urkunde und begründet nach § 292 ZPO vollen Beweis über seinen Inhalt, also die Abgabenschuld (vgl. OGH RlS-Justiz RS0040429 mwN).
Die im Rückstandsausweis enthaltene Aufgliederung in Teilbeträge für bestimmte Zeiträume zuzüglich Verzugszinsen ist für das gegenständliche Verfahren hinreichend. Einer weiteren Klarstellung, wie sich der Haftungsbetrag im Einzelnen zusammensetzt, bedarf es nicht (vgl. VwGH 11.04.2018, Ra 2015/08/0038).
Die Höhe der rückständigen Beiträge steht somit fest.
2.7 Zur Zurückverweisung:
Die Behörde gründete die Haftung des BF nach § 67 Abs. 10 ASVG auf dessen Eigenschaft als faktischer Geschäftsführer der Beitragsschuldnerin. Der BF hat dies in seiner Beschwerde ausdrücklich bestritten. Er sei nicht faktischer Geschäftsführer gewesen, er habe keinen Einfluss an der Gesellschaft gehabt und habe keine firmeninternen Weisungen erteilten können.
a) Stellung des BF als "faktischer" Vertreter iSd. § 67 Abs. 10
ASVG:
Die Haftungsbestimmung des § 67 Abs. 10 ASVG erfasst nur gesetzliche Vertreter juristischer Personen. Gesetzliche Vertreter einer GmbH sind die Geschäftsführer (vgl. VwGH 14.03.2001, 2000/08/0097 mwN).
In seinem Erkenntnis vom 14.03.2001, Zl. 2000/08/0097, führt der Verwaltungsgerichtshof weiters aus, dass eine Konstruktion, die im Wesentlichen nur der Umgehung gesetzlicher Haftungen als Geschäftsführer dient, nach § 539a Abs. 2 ASVG insoweit unbeachtlich ist, als dadurch etwa auch die Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG umgangen werden soll. An Stelle der unbeachtlichen Konstruktion tritt gemäß § 539a Abs. 3 ASVG jene, die den wirtschaftlichen Vorgängen, Tatsachen und Verhältnissen angemessen gewesen wäre.
In diesem Erkenntnis war ein Sachverhalt zu beurteilen, in welchem ein Alleingesellschafter einer GmbH einen Dritten zum Geschäftsführer bestellte, ihm zugleich im Innenverhältnis praktisch alle mit der Geschäftsführung verbundenen Befugnisse nahm, ausgenommen die gesetzlich nicht abdingbaren und sich gleichzeitig vom nach außen hin nominellen Geschäftsführer mit einer umfassenden Generalvollmacht ausstatten lässt. In diesem Fall vertrat der VwGH daher die Ansicht, dass diese Konstruktion gewählt wurde, um dem Alleingesellschafter zwar die Befugnisse zur Geschäftsführung zu vermitteln, ihn jedoch vor den einen Geschäftsführer nach dem Gesetz treffenden Sorgfaltsverbindlichkeiten und den damit verbundenen Haftungen zu schützen.
Folglich können auch sogenannte "faktische" Vertreter zur Haftung herangezogen werden, wenn eine Umgehung gesetzlicher Haftungen als Geschäftsführer feststellbar wäre.
Fallgegenständlich ergibt sich aus einem amtswegig eingeholten Firmenbuchauszug, dass der BF zu keinem Zeitpunkt als Geschäftsführer der Beitragsschuldnerin im Firmenbuch eingetragen war.
Die diesbezüglichen Feststellungen der belangten Behörde erschöpfen sich in einem Verweis auf einen "Bericht" des Masseverwalters XXXX , wonach der BF auf allen Konten der Beitragsschuldnerin zeichnungsberechtigt war und von Auftraggebern als Einschreiter bzw. Ansprechpartner bekannt gegeben wurde. Die Behörde schließt daraus, dass der BF demnach als faktischer Geschäftsführer der Beitragsschuldnerin Vertreter der Dienstgeberin geworden sei. Feststellungen in Richtung einer Umgehungskonstruktion, wie vom o.g. VwGH-Erkenntnis sind dem Bescheid nicht zu entnehmen.
Die Behörde stützte die Annahme der Stellung des BF als faktischer Geschäftsführer somit einzig auf einen - im Übrigen erst im Zuge der Gegendarstellung zur Beschwerdevorlage vorgelegten - Bericht des Masseverwalters (es handelt sich hierbei um eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft XXXX ), ohne hierzu eigene Ermittlungen anzustellen. Sie lässt auch völlig unberücksichtigt, dass in diesem Bericht weitere zeichnungsberechtigte Personen (z.B.: Frau XXXX , ebenfalls auf allen Konten zeichnungsberechtigt) angeführt sind und legt nicht substantiiert dar, aus welchen Gründen gerade der BF faktischer Geschäftsführer der Beitragsschuldnerin gewesen sein soll. Die Feststellung, dass der BF von den - im Bescheid nicht näher genannten - Auftraggebern der Beitragsschuldnerin als Einschreiter und Ansprechpartner bekannt gegeben wurde, ist ohne hierzu eigene Ermittlungen anzustellen jedenfalls nicht ausreichend, um eine Haftung des BF nach § 67 Abs. 10 ASVG als faktischer Geschäftsführer zu begründen.
Es bedarf daher konkreter, im Einzelnen nachprüfbarer Feststellungen der Behörde, ob und in welchem Ausmaß nur der BF tatsächlich faktische Geschäftsführungstätigkeiten für die Beitragsschuldnerin wahrgenommen hat und ob und in welcher Form eine Umgehung der gesetzlichen Haftung des im Firmenbuch eingetragenen Geschäftsführers vorlag. Die Behörde hat daher im nachfolgenden Verfahren diesbezüglich konkrete Ermittlungen anzustellen (zB.:
Einvernahme des Masseverwalters, allfälliger Geschäftspartner, der Geschäftsführer bzw. der übrigen Zeichnungsberechtigten) und die Ergebnisse dem BF ins Parteiengehör zu übermitteln, im Bescheid dazu Feststellungen zu treffen und diese rechtlich zu subsumieren.
b) Zur Frage der schuldhaft unterlassenen Abfuhr einbehaltener Dienstnehmerbeiträge:
Als weitere Voraussetzung für den Haftungseintritt muss auch eine für die Uneinbringlichkeit der Beiträge schuldhafte Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten vorliegen. Welche Pflichten den Geschäftsführer gegenüber dem zuständigen Krankenversicherungsträger treffen, ist in § 67 Abs. 10 ASVG nicht geregelt.
Von der Lehre und Rechtsprechung werden als schuldhafte Pflichtverletzung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG [i.V.m. § 58 Abs. 5 leg.cit] neben den hier nicht gegenständlichen Meldeverstößen im Sinne des § 111 leg.cit i.V.m. § 9 VStG (verst. Senat vom 12.12.2000, Zl. 98/08/0191, 0192 [Slg. Nr. 15528/A]) und die Ungleichbehandlung von Sozialversicherungsbeiträgen und das - hier gegenständliche -Vorenthalten von Dienstnehmerbeiträgen angesehen.
Die Haftung des Vertreters gemäß § 67 Abs. 10 ASVG setzt somit voraus, dass dieser tatsächlich eine Pflichtverletzung begangen hat. Zwar wäre es Aufgabe des BF, nachzuweisen, dass ihn kein Verschulden an der ihm zur Last gelegten Pflichtverletzung trifft. Damit dieser Beweis aber überhaupt angetreten werden kann, muss aber die Behörde die dem BF zur Last gelegte Pflichtverletzung in einer Weise spezifizieren, die das Antreten eines Gegenbeweises überhaupt ermöglicht. Die Beweislastregelung, wonach es Sache des Vertreters der Beitragsschuldnerin sei, die Gründe darzutun, aus denen ihm die Erfüllung der gesetzlichen Pflichten unmöglich gewesen sei, betrifft lediglich das Verschulden, nicht aber das Vorliegen der Pflichtverletzung selbst.
Wie bereits ausgeführt, hat die belangte Behörde in ihrem Bescheid nur auf den Bericht des Masseverwalters hingewiesen. Ein Ermittlungsverfahren mit Parteiengehör zum allfälligen Verschulden des BF ist dem Akt nicht zu entnehmen, sodass folglich der bekämpfte Bescheid dazu auch keine Feststellungen trifft. Mit diesem Verweis legt die belangte Behörde somit nicht dar, ob die Nichtabfuhr der einbehaltenen Dienstnehmerbeiträge dem BF schuldhaft zur Last gelegt werden kann.
Ob eine derartige Pflichtverletzung vorliegt, hat die belangte Behörde im Sinne des § 39 Abs. 2 AVG somit von Amts wegen zu prüfen (vgl. VwGH 14.04.2010, 2010/08/0001).
Dies hat die belangte Behörde im nachfolgenden Verfahren nachzuholen und sodann dem BF im Rahmen des Parteiengehörs Gelegenheit zu geben, Beweise zur Frage der Schuldhaftigkeit der unterlassenen Abfuhr einbehaltener Dienstnehmerbeiträge zu erbringen.
c) Zur Kausalität der Pflichtverletzung:
Schließlich wäre es Aufgabe der belangten Behörde gewesen, amtswegig ein Ermittlungsverfahren zu führen, zu prüfen und dann im Bescheid dazu Feststellungen zu treffen, ob die Uneinbringlichkeit dieser Beiträge auf eine - falls festgestellt - schuldhaften Pflichtverletzungen zurückzuführen ist. Dies kann etwa durch Einsicht in den Firmen-/Konkursakt geschehen, Einvernahme des BF und sonstiger Unternehmensverantwortlicher, um sich ein Bild über die Geschäftslage im verfahrensrelevanten Zeitraum zu machen, Einvernahme von sonstigen mit der Geschäftsgebarung be- und vertrauten Personen (Steuerberater, Rechtsanwalt, Mitarbeiter), Prüfung der Unterlagen des Unternehmens, allenfalls durch Bestellung eines betriebswirtschaftlichen Sachverständigen. Die Ergebnisse dieses Ermittlungsverfahrens sind dem BF ins Parteiengehör zu übermitteln. Danach ist ein neuer rechtskonformer und nachprüfbarer Bescheid zu erlassen.
2.8. Zulässigkeit der Zurückverweisung:
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis 2015/04/0019 vom 24.06.2015 ausgesprochen hat, stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Das mit § 28 VwGVG insgesamt normierte System verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
Indem die belangte Behörde den maßgebenden Sachverhalt im Hinblick auf die Voraussetzungen der Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG in wesentlichen Punkten nicht oder nur ansatzweise ermittelt hat, hat sie im Ergebnis - auch - durch ihre Verfahrensführung und den angefochtenen Bescheid die wesentliche Ermittlungs- und Begründungstätigkeit unterlassen und damit an die Rechtsmittelinstanz delegiert (vgl. VwGH 26.06.2014, Zl. 2014/03/0063). Würde das Bundesverwaltungsgericht - jene Instanz, die zur eigentlichen Rechtskontrolle eingerichtet wurde - die Instanz sein, die im Verfahren erstmals eine begründete Entscheidung mit den Feststellungen des maßgeblichen Sachverhaltes erlässt, wäre damit der Rechtsschutz der beschwerdeführenden Partei de facto eingeschränkt. Es ist in erster Linie die Aufgabe der Erstbehörde als Tatsacheninstanz zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung sich sachgerecht mit dem Antrag auseinanderzusetzen, den maßgeblichen Sachverhalt vollständig festzustellen, ihre Begründung im Bescheid nachvollziehbar darzustellen und diese zentrale Aufgabe nicht an das Bundesverwaltungsgericht zu delegieren.
Eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht wäre im vorliegenden Fall auch nicht im Interesse der Raschheit gelegen und wäre - insbesondere angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden.
Aus den dargelegten Gründen war daher spruchgemäß der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Das hg. Erkenntnis hält sich an die darin zitierte Judikatur des VwGH.
Schlagworte
Ermittlungspflicht, Geschäftsführer, Kassation, mangelndeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W151.2167121.1.00Zuletzt aktualisiert am
17.05.2019