TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/7 L502 2117938-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.01.2019
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Entscheidungsdatum

07.01.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.2
EMRK Art.3
EMRK Art.8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L502 2117938-1/67E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch RA Dr. BLUM, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.11.2015, FZ. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 31.05.2017 und 30.05.2018, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen mit der Maßgabe,

dass Spruchpunkt III, erster Satz, des Bescheides zu lauten hat:

"Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird gemäß § 57 AsylG nicht erteilt".

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF) stellte im Gefolge seiner Anhaltung im Zuge einer fremdenpolizeilichen Kontrolle am 20.06.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am gleichen Tag wurde die asylgesetzliche Erstbefragung des BF durchgeführt.

Im Gefolge dessen wurde das Verfahren zugelassen und dem BF eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung erteilt.

2. Am 12.11.2015 wurde der BF an der Regionaldirektion Vorarlberg des BFA niederschriftlich einvernommen.

Dabei legte er als Identitätsnachweise einen Personalausweis, einen Staatsbürgerschaftsnachweis und einen Studentenausweis sowie als weitere Beweismittel ein Reifezeugnis, eine Meldebescheinigung seines Vaters und eine Lebensmittelbezugskarte vor, von denen Kopien zum Akt genommen wurden.

Zu den in der Einvernahme als Beweismittel herangezogenen länderkundlichen Informationen des BFA zur allgemeinen Lage im Irak wollte der BF keine Stellungnahme abgeben.

3. Mit dem im Spruch genannten Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ihm für die freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt (Spruchpunkt IV).

4. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 16.11.2015 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 AsylG von Amts wegen ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.

5. Gegen den ihm durch Hinterlegung beim Postamt mit Wirksamkeit vom 19.11.2015 zugestellten Bescheid der belangten Behörde erhob der BF mit Unterstützung seines Rechtsberaters am 30.11.2015 innerhalb offener Frist in vollem Umfang Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).

Der Beschwerde wurden verschiedene österr. Integrationsnachweise sowie verschiedene Fotos und arabisch-sprachige Urkunden zur Ausbildung des BF im Irak in Kopie beigelegt.

6. Die Beschwerdevorlage des BFA langte am 03.12.2015 beim BVwG ein und wurde das Verfahren in der Folge der Gerichtsabteilung L 502 des BVwG zur Entscheidung zugewiesen.

7. Mit 11.12.2015 langten weitere Beweismittel des BF in Form von Fotos seiner Mutter bzw. ihres Reisepasses beim BVwG ein.

Mit 04.01.2016 langten im Wege des BFA beim BVwG nochmals Kopien von bereits vom BF vorgelegten Beweismitteln ein.

Mit 11.02.2016 sowie 26.02.2016 langten beim BVwG weitere Beweismittel in Form von Fotos des BF zu seinem Ausbildungsabschluss im Herkunftsstaat sowie weiterer arabisch-sprachiger Urkunden und weitere österr. Integrationsnachweise ein.

8. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des BVwG vom 01.04.2016 wurde das Beschwerdeverfahren der Gerichtsabteilung L 502 des BVwG abgenommen und der GA L 522 neu zugewiesen.

9. Mit 14.04.2016 und 25.04.2016 langten beim BVwG als weitere Beweismittel des BF diverse sprachliche Integrationsnachweise, eine psychologische Stellungnahme, ein medizinischer Befund und ein kirchliches Unterstützungsschreiben ein.

Mit 09.05.2016 langte ein psychiatrischer Befund den BF betreffend ein.

Mit 11.05.2016 und 01.08.2016 langten weitere Teilnahmebestätigungen des BF für Sprachkurse ein.

Mit 13.09.2016 langte eine ergänzende Stellungnahme des Rechtsberaters des BF zu dessen Antragsgründen und ein Unterstützungsschreiben einer Betreuungsorganisation ein.

10. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des BVwG vom 15.12.2016 wurde das Beschwerdeverfahren der Gerichtsabteilung L 522 des BVwG abgenommen und neuerlich der GA L 502 zugewiesen.

11. Mit Schriftsätzen vom 27.02.2017 und 07.03.2017 gab der nunmehrige anwaltliche Vertreter des BF seine Bevollmächtigung bekannt und erstattete ein ergänzendes schriftliches Vorbringen zu dessen Antragsgründen.

12. Mit 01.03.2017 langte beim BVwG eine schriftliche Eingabe des Rechtsberaters einschließlich diverser Unterstützungsschreiben zugunsten des BF und mehrerer Fotos ein.

13. Das BVwG führte am 31.05.2017 eine erste mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers und seines Vertreters sowie eines Zeugen durch, in der auch länderkundliche Materialien als Beweismittel zum Akt genommen wurden.

14. Mit 08.06.2017 legte der Vertreter des BF dem BVwG einen Datenträger mit länderkundlichen Materialien als Beweismittel vor.

Dem Auftrag des BVwG vom 27.06.2017 entsprechend erstellte ein Übersetzer für die arabische Sprache eine schriftliche Zusammenfassung des Inhalts des Datenträgers.

15. Mit 25.08.2017 legte der Vertreter des BF dem BVwG einen länderkundlichen Bericht sowie einen Judikaturhinweis vor.

16. Mit Beschluss vom 20.10.2017 bestellte das BVwG (auch) für das gg. Beschwerdeverfahren einen länderkundlichen Sachverständigen für den Herkunftsstaat Irak.

Mit gleichem Tag wurde dieser mit länderkundlichen Recherchen im Irak anhand von näher ausgeführten Fragestellungen beauftragt.

17. Mit 24.10.2017, 28.11.2017, 18.12.2017, 02.01.2018, 02.02.2018 und 24.05.2018 legte der Vertreter des BF dem BVwG weitere länderkundliche Materialien sowie diverse Judikaturhinweise vor.

18. Mit 05.04.2018 langte der Recherchebericht des länderkundlichen Sachverständigen beim BVwG ein. Am 14.05.2018 langte seine ergänzende Aufstellung zum zeitlichen und örtlichen Ablauf der Recherche ein.

19. Mit Schreiben vom 14.05.2018 beantragte der Vertreter des BF die gerichtliche Befragung eines namhaft gemachten Zeugen zu den Antragsgründen des BF.

20. Am 30.05.2018 führte das BVwG eine weitere mündliche Verhandlung in der gg. Beschwerdesache im Beisein des BF, seines Vertreters sowie des namhaft gemachten Zeugen durch.

Im Zuge der Verhandlung wurden dem Vertreter das mit 18.12.2017 eingereichte Konvolut an länderkundlichen Materialien angesichts des übergroßen Umfangs der Beweismittelvorlage zur Verbesserung retourniert sowie der Recherchebericht des länderkundlichen Sachverständigen samt Anhang zur Kenntnisnahme und allfälligen schriftlichen Stellungnahme ausgefolgt.

21. Mit 20.06.2018, 22.08.2018, 17.09.2018 und 05.11.2018 legte der Vertreter des BF die verbesserte Beweismittelvorlage vor und erstattete jeweils ergänzende Stellungnahmen.

22. Mit 21.11.2018 legte der Vertreter des BF dem BVwG einen Datenträger vor, auf dem sich mehrere dem Internet entnommene arabischsprachige Kurzvideos fanden. Diese wurden am 17.12.2018 einem Dolmetscher für die arabische Sprache zur Einsichtnahme und zusammenfassenden Wiedergabe ihres Inhalts übergeben, diese langte am 24.12.208 beim BVwG und am 04.01.2019 bei der zuständigen Gerichtsabteilung ein und wurde zum Akt genommen.

23. Das BVwG erstellte aktuelle Auszüge aus den Datenbanken des Zentralen Melderegisters, des Strafregisters und des Grundversorgungsinformationssystems den BF betreffend.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Identität des BF steht fest. Er ist irakischer Staatsangehöriger, Araber und Moslem der sunnitischen Glaubensrichtung.

Er stammt aus der Stadt XXXX in der nordirakischen Provinz XXXX , wo er aufwuchs und die Schule sowie zwischen 2010 und 2014 die Universität, wo er ein Studium der Volkswirtschaft betrieb, besuchte.

Die Eltern und drei verheiratete Brüder sowie eine verwitwete Schwester des BF mit ihren jeweiligen Angehörigen leben aktuell gemeinsam in einem Eigenheim, dem Stammsitz der Familie, in XXXX , das ausreichenden Wohnraum für mehrere Familien bietet, vier weitere verheiratete Schwestern leben mit ihren Angehörigen andernorts in XXXX . Die Angehörigen des BF hatten im Dezember 2016 vorübergehend die Stadt verlassen und sich in einem Lager für Binnenvertriebene zwischen XXXX und XXXX aufgehalten und waren nach ca. sieben Monaten wieder nach XXXX zurückgekehrt. Der Vater des BF bezieht eine Rente, zwei Brüder betreiben gemeinsam ein Restaurant und die verwitwete Schwester ist Rechtsanwältin. Der dritte Bruder ist wegen einer Behinderung nicht erwerbstätig. Der BF steht mit seiner Mutter in regelmäßigem Kontakt.

Er reiste im Juli 2014 - im Gefolge der Invasion der Provinz XXXX durch die Milizen der Terrororganisation IS - von XXXX über Syrien in die Türkei, hielt sich ca. ein Jahr lang in Istanbul auf, wo er auch erwerbstätig war, und gelangte von dort schlepperunterstützt bis Österreich, wo er nach der Einreise am 20.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte und sich seither aufhält.

Er besuchte bisher verschiedene Sprachkurse und erwarb dadurch sowie durch Selbststudium und seine sozialen Kontakte Grundkenntnisse der deutschen Sprache für den Alltagsgebrauch, er ist in Österreich seit seiner Einreise nicht legal erwerbstätig gewesen, bezieht bis dato Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber, bewohnt eine private Mietwohnung und ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2.1. Der BF ist homosexuell orientiert. Er nahm seine homosexuelle Orientierung bereits im Alter von 16 Jahren wahr und lebte diese während seines weiteren Lebens in seiner Heimatstadt bis zur Ausreise im Jahr 2014, somit über ca. sieben Jahre hinweg, in der Form mehrerer homosexueller Bekanntschaften mit Gleichaltrigen und in einem Fall auch mit einem erheblich älteren Mann aus. Auch während seines einjährigen Aufenthalts in der Türkei nach seiner Ausreise aus dem Irak hatte er homosexuelle Kontakte.

Nach der Einreise nach Österreich pflegte er mehrere homosexuelle Kontakte, führte von August 2016 bis ca. Ende 2017 eine enge homosexuelle Beziehung mit einem österr. Staatsangehörigen, die aber keinen gemeinsamen Wohnsitz der beiden Partner umfasste, und führt aktuell wieder eine homosexuelle Beziehung mit einem deutschen Staatsangehörigen, der den BF in Österreich regelmäßig besucht.

1.2.2. Es war nicht feststellbar, dass der BF vor der Ausreise aus dem Irak wegen seiner homosexuellen Orientierung einer individuellen Verfolgung durch Dritte oder durch staatliche Organe ausgesetzt war.

Es war auch nicht feststellbar, dass er im Falle einer Rückkehr in die Heimat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer Verfolgung durch Dritte oder durch staatliche Organe wegen seiner homosexuellen Orientierung ausgesetzt wäre.

1.2.3. Es war nicht feststellbar, dass er bei einer Rückkehr einer individuellen Verfolgung durch Angehörige der Terrororganisation IS ausgesetzt wäre.

1.2.4. Es war nicht feststellbar, dass er bei einer Rückkehr einer individuellen Verfolgung durch seine Herkunftsfamilie oder sonstige Dritte wegen seiner Abwendung von islamischen oder seiner Zuwendung zu christlichen Glaubensinhalten ausgesetzt wäre.

1.2.5. Es war nicht feststellbar, dass er bei einer Rückkehr in seine Heimat keine ausreichende Lebensgrundlage vorfinden würde oder er einer gravierenden individuellen Gefährdung angesichts einer allgemeinen Gefahrenlage vor Ort ausgesetzt wäre.

1.3. Weder der private noch der öffentliche Ausdruck einer homosexuellen Orientierung ist per se im Irak innerhalb der Jurisdiktionsgewalt der staatlichen Gerichte mit einer strafrechtlichen Sanktion verbunden. Im irakischen Strafgesetzbuch findet sich keine entsprechende Strafbestimmung. Eine öffentliche homosexuelle wie auch eine sonst nicht gesellschaftskonforme sexuelle Betätigung kann aus strafrechtlicher Sicht theoretisch zur Anwendung von Straftatbeständen, die sich gegen jedwede Form eines "ungebührlichen" oder "unsittlichen" Verhaltens in der Öffentlichkeit unabhängig von der Frage der sexuellen Orientierung der Betroffenen richten und mit der Androhung von Geldstrafen oder geringen Haftstrafen verbunden sind, durch die zuständigen staatlichen Organe führen. Belastbare Berichte aus dem Bereich der irakischen Exekutive, i.e. der Polizei und den Gerichten, über Amtshandlungen oder Verfahren, denen ein Vorgehen gegen Angehörige sexueller Randgruppen wegen ihrer sexuellen Orientierung zugrunde lag, liegen nicht vor. Demgegenüber gibt es auch keine Informationen über spezifische Verhaltensrichtlinien zu Gunsten dieser Personengruppe im Rahmen des Polizeidienstes. Innerhalb der Exekutive ist tendenziell von einem Klima der Vermeidung der Beschäftigung mit der Thematik auszugehen.

Tendenziell steht die irakische Gesellschaft Angehörigen der sogen. LGBTI (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Intersexual) - Community aufgrund von religiös geprägten moralischen Bewertungen dieser sexuellen bzw. geschlechtlichen Ausdrucksformen skeptisch bis ablehnend gegenüber. Im Allgemeinen wird von ihr jedoch eine öffentliche Thematisierung möglichst vermieden. Angehörige sexueller Randgruppen können Kontakte zu möglichen Beziehungspersonen auch im öffentlichen Raum herstellen und pflegen, sie bringen ihre sexuelle Orientierung aber meist nicht explizit nach außen zum Ausdruck.

Betroffene haben andererseits für den Fall des Bekanntwerdens ihrer sexuellen Orientierung mit Vorurteilen, Ausgrenzung und Diskriminierung durch Dritte zu rechnen. Das irakische Rechtssystem bietet keine expliziten Möglichkeiten, gegen derlei Reaktionen zu ihrem Nachteil auf rechtlicher Ebene vorzugehen, wiewohl die irakische Verfassung die Gleichstellung aller Staatsangehörigen und damit ein Diskriminierungsverbot unabhängig auch von ihrer sexuellen Orientierung festschreibt. Ein dauerhafter Wechsel des Wohnsitzes innerhalb der irakischen Städte stellt insoweit faktisch meist die einzig praktikable Möglichkeit für Betroffene dar solchen gesellschaftlichen Reaktionen auszuweichen.

Die ablehnende Haltung gegenüber Angehörigen der LGBTI-Community kann ihren Niederschlag innerhalb familiärer Strukturen, denen diese angehören, finden, sofern deren sexuelle Orientierung bzw. geschlechtsbezogenes Auftreten als "unehrenhaft" für ihre Angehörigen erachtet wird, u.U. kann dies auch zur Ausstoßung der Betroffenen aus dem jeweiligen Verband oder zu sogen. "Ehrenverbrechen" führen. Angehörige der LGBTI-Community können, sofern ihre sexuelle bzw. geschlechtliche Orientierung bekannt wurde, auch im Rahmen von Amtshandlungen zu Opfern polizeilicher Gewalt, die sich auf eine diskriminierende oder ablehnende Haltung ihnen gegenüber gründet, werden.

Berichten zufolge kam es in den Jahren 2009, 2012 und 2014 insbesondere in Bagdad zu einem gezielten Vorgehen von Mitgliedern schiitischer Milizen als selbsternannten nichtstaatlichen Sicherheitsorganen, die sich die Ahndung eines aus religiöser Sicht verwerflichen Verhaltens der Betroffenen zum Ziel gemacht hatten, gegen einzelne Angehörige der LGBTI-Community. So kam es Anfang 2009 innerhalb des von der schiitischen Miliz der sogen. Mahdi-Armee dominierten Stadtteils von Bagdad namens Sadr City zu einer gewalttätigen Kampagne gegen homosexuelle Männer, die in der Folge auch auf andere Städte übergriff und keinen Gegenreaktionen staatlicher Organe begegnete. Im Jahr 2012 gingen dieselben Akteure gezielt gegen Angehörige der Subkultur der sogen. "Emos", deren Haartracht, Kleidungsstil und sonstige Vorlieben als "satanisch" charakterisiert wurden, vor, dabei wurden mehrere Dutzend Vertreter dieser Gruppe getötet oder misshandelt. Im Juni und Juli 2014 kam es zu zwei berichteten gewaltsamen Angriffen in Bagdad, wobei im ersteren Fall zwei junge Männer, denen eine homosexuelle Orientierung unterstellt wurde, getötet und zwei erwachsene Männer verletzt wurden, im zweiten Fall ein Bordell angegriffen und dabei 34 Personen getötet wurden, darunter seien auch zwei homosexuelle Männer gewesen. Im Mai zuvor waren von Milizen erstellte Namenslisten mit 24 potentiellen Homosexuellen in Umlauf gebracht worden. Zugerechnet wurden diese Angriffe auf Angehörige der LGBTI-Community den beiden bekanntesten schiitischen Milizen, der sogen. Mahdi-Armee (Jaish al-Mahdi) und der ‚Liga der Gerechten' (Asa'ib Ahl al-Haq). Im Mai sowie Juli 2017 wurde medienwirksam über zwei gewaltsame Todesfälle innerhalb dieses Personenkreises berichtet, im ersteren Fall wurde die Ermordung eines Homosexuellen durch einen nahen Angehörigen wegen seiner Mitwirkung in einem Pornofilm und im zweiten Fall jene eines weithin bekannten Models und Schauspielers, wobei dessen genaue sexuelle Orientierung ebenso wie die möglichen Hintergründe für die Tat offenblieben.

Vor dem Hintergrund mangelnder staatlicher Reaktionen auf solche Vorfälle sowie der geringen gesellschaftlichen Akzeptanz für nichtkonformes Sexual- und Geschlechterverhalten generell stellen von Nichtregierungsorganisationen vereinzelt eingerichtete Schutzeinrichtungen für Betroffene oft die einzige Möglichkeit dar Unterstützung von Außenstehenden zu erhalten, wobei auch diese Organisationen selbst alleine aufgrund ihrer Zielsetzungen Drohungen ausgesetzt sein können.

Zuletzt hat sich insoweit eine Änderung der bisherigen Lage für Angehörige der LGBTI-Community im Irak ergeben, als eine der einflussreichsten Führer der Schiiten innerhalb der irakischen politischen Szene, Muqtada Al-Sadr, Oberhaupt der Mahdi-Armee und Anführer der Bürgerproteste in Bagdad im Jahr 2016, in einem öffentlichen Statement die Anwendung von Gewalt auf Angehörige der LGBTI-Community als gegen religiöse Grundregeln des Islam stehend verbannte. Er empfahl zwar eine Distanzierung von Betroffenen, die Gesellschaft solle diese jedoch respektieren und sie zu geändertem Verhalten anleiten. Es ist davon auszugehen, dass eine solche Fatwa auch tatsächlich Bindungswirkung für Angehörige der schiitischen Bevölkerung wie auch schiitischer Milizen entfaltet. Eine im Jahr 2006 vom anderen maßgeblichen geistlichen Führer der schiitischen Glaubensgemeinschaft im Irak, dem Großayatollah Al Sistani, herausgegebene Fatwa, die eine "Säuberung" der irakischen Sicherheitskräfte von homosexuellen Männern postulierte, wurde zwischenzeitig aus dem Bestand der Fatwas entfernt. Al Sistani bezeichnet in den auf seiner allgemein zugänglichen Website veröffentlichten Lehrmeinungen gleichgeschlechtliche "ungebührliche" und insofern den islamischen Glaubensinhalten widersprechende Kontakte und Verhaltensweisen generell als "Sünde", unterscheidet diesbezüglich aber nicht zwischen homosexuellen und heterosexuellen "ungebührlichen" Verhaltensweisen in der Öffentlichkeit.

Innerhalb der sunnitischen Glaubensgemeinschaft im Irak kommt niemandem eine mit den geistlichen Führern der schiitischen Gemeinschaft vergleichbare Position zu. Als anerkannte religiöse Autoritäten der Sunniten im arabischen Raum fungieren Lehrende an der Al-Azhar Universität in Kairo. Auch diesen wurden in der Vergangenheit ablehnende Positionen in religionstheoretischer Hinsicht gegenüber nichtreligionskonformen sexuellen Ausdrucksformen zugeschrieben. Im Übrigen nehmen säkuläre sunnitische Stammesführer eine umfassende Autorität innerhalb ihres Einflussbereichs wahr.

Waren Homosexuelle wie auch andere Angehörige der LGBTI-Community innerhalb des ehemals von der Terrororganisation Da'esh/Islamischer Staat (IS) kontrollierten Gebietes im Zentralirak einer unmittelbaren Bedrohung durch deren selbsternannte Regierungs- bzw. Sicherheitsorgane ausgesetzt und mussten sie im Betretungsfall angesichts eines von dieser Organisation vertretenen ultra-orthodoxen Islams mit einer auch öffentlichkeitswirksam praktizierten Hinrichtung in grausamer Form rechnen, so ist diese Bedrohung aufgrund der allgemein bekannten Rückeroberung des vormaligen Terrains des IS durch staatliche und staatsnahe Sicherheitskräfte bis Ende 2017 und der damit einhergegangenen und seither anhaltenden Vertreibung seiner Milizen als nicht mehr gegeben anzusehen.

1.4. Die allgemeine Sicherheitslage im Irak war seit Oktober 2016 von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, im Genaueren nichtstaatlichen bewaffneten Milizen, den sogen. Peshmerga der kurdischen Regionalregierung sowie ausländischen Militärkräften, auf der einen Seite und den bewaffneten Milizen der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) auf der anderen Seite um die Kontrolle der - im Zentrum des seit Sommer 2014 bestehenden Machtbereichs des IS gelegenen - Hauptstadt Mosul der Provinz Ninava gekennzeichnet. Diesen Kämpfen ging die sukzessive Zurückdrängung des IS aus den zuvor ebenfalls von ihm kontrollierten Gebieten innerhalb der Provinzen Anbar, Diyala und Salah al-Din im Zentral- und Südirak voraus. Die kriegerischen Ereignisse im Irak seit 2014 brachten umfangreiche Flüchtlingsbewegungen aus den umkämpften Gebieten in andere Landesteile sowie umgekehrt Rückkehrbewegungen in befreite Landesteile mit sich. Zahlreiche nationale und internationale Hilfsorganisationen unter der Ägide des UNHCR versorgen diese Binnenvertriebenen in Lagern und Durchgangszentren, mit Schwerpunkten in den drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, in sowie um Bagdad sowie im Umkreis von Kirkuk, im Hinblick auf ihre elementaren Lebensbedürfnisse sowie deren Dokumentation und Relokation, ein geringer Anteil der Vertriebenen sorgt für sich selbst in gemieteten Unterkünften und bei Verwandten und Bekannten. Vor dem Hintergrund einer langfristigen Tendenz unter den Binnenvertriebenen zur Rückkehr in ihre Herkunftsgebiete waren mit Oktober 2018 noch ca. 1,8 Mio. (seit 2014) Binnenvertriebene innerhalb des Iraks registriert, diesen standen wiederum ca. 4,1 Mio. Zurückgekehrte gegenüber. Schwerpunkte für Rückkehrende sind die Provinzen Ninava, Anbar, Salah al-Din und Kirkuk.

Nachdem es den irakischen Sicherheitskräften (ISF) gemeinsam mit schiitischen Milizen, den sogen. Popular Mobilisation Forces (PMF), sowie mit Unterstützung alliierter ausländischer Militärkräfte im Laufe des Jahres 2016 gelungen war, die Einheiten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) sowohl aus den von ihr besetzten Teilen der südwestlichen Provinz Al Anbar bzw. deren Metropolen Fallouja und Ramadi als auch aus den nördlich an Bagdad anschließenden Provinzen Diyala und Salah al Din zu verdrängen, beschränkte sich dessen Herrschaftsgebiet in der Folge auf den Sitz seiner irakischen Kommandozentrale bzw. seines "Kalifats" in der Stadt Mosul, Provinz Ninava, sowie deren Umgebung bis hin zur irakisch-syrischen Grenze westlich von Mosul. Ab November 2016 wurden sukzessive die Umgebung von Mosul sowie der Ostteil der Stadt bis zum Ufer des Tigris wieder unter die Kontrolle staatlicher Sicherheitskräfte gebracht, im Westteil wurde der IS von den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, die aus dem Süden, Norden und Westen in das Zentrum der Stadt vordrangen, in der Altstadt von Mosul eingekesselt. Der IS wiederum versuchte parallel zu diesen Geschehnissen durch vereinzelte Selbstmordanschläge in Bagdad und anderen Städten im Süd- sowie Zentralirak seine wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, zu demonstrieren. Anfang Juli 2017 erklärte der irakische Premier Abadi Mosul für vom IS befreit. In der Folge wurden auch frühere Bastionen des IS westlich von Mosul in Richtung der irakisch-syrischen Grenze wie die Stadt Tel Afar durch die Militärallianz vom IS zurückerobert. Zuletzt richteten sich die Operationen der Militärallianz gegen den IS auf letzte Überreste seines früheren Herrschaftsgebiets im äußersten Westen der Provinz Anbar sowie eine Enklave um Hawija südwestlich von Kirkuk. Mit Beginn des Dezember 2017 mußte der IS seine letzten territorialen Ansprüche innerhalb des Iraks aufgeben, am 01.12.2017 erklärte Premier Abadi den gesamtem Irak für vom IS befreit.

Die Sicherheitslage innerhalb der drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, nämlich Dohuk, Erbil und Suleimaniya, ist angesichts der Maßnahmen der regionalen Sicherheitskräfte wie Grenzkontrollen und innerregionale Aufenthaltsbestimmungen als stabil anzusehen. Am 25.09.2017 hielt die kurdische Regionalregierung ein Referendum für eine mögliche Unabhängigkeitserklärung der Autonomieregion ab. Seit Oktober 2017 befindet sich die kurdische Regionalregierung in Konflikt mit der irakischen Zentralregierung in der Frage der Kontrolle über die von kurdischen Sicherheitskräften bislang besetzt gehaltenen Grenzregionen südlich der Binnengrenze der Autonomieregion zum übrigen irakischen Staatsgebiet, insbesondere die Region um die Stadt Kirkuk. Am 15.10.2017 wurden die in Kirkuk stationierten kurdischen Sicherheitskräfte von Einheiten der irakischen Armee und der Polizei sowie der sogen. der Zentralregierung nahestehenden Volksmobilisierungseinheiten angegriffen, die sich in der Folge aus Kirkuk zurückzogen. Zuletzt kam es zur Besetzung weiterer Landstriche entlang der Binnengrenze sowie von Grenzübergängen an der irakisch-syrischen Grenze durch die irakische Armee und die Volksmobilisierungseinheiten, während sich die kurdischen Sicherheitskräfte aus diesen Bereichen zurückzogen. Eine Einreise in die Provinzen der kurdischen Autonomieregion ist aktuell aus Österreich auf dem Luftweg ausgehend vom Flughafen Wien via Amman und via Dubai nach Erbil und auf indirektem Weg via Bagdad möglich.

Die Sicherheitslage in den südirakischen Provinzen, insbesondere in der Provinz Basra, war, als Folge einer Sicherheitsoffensive staatlicher Militärkräfte im Gefolge interkonfessioneller Gewalt im Jahr 2007, ab 2008 stark verbessert und bis 2014 insgesamt stabil. Auch war die Region nicht unmittelbar von der Invasion der Truppen des IS im Irak in 2013 und 2014 betroffen. Die Gegenoffensive staatlicher Sicherheitskräfte und deren Verbündeter gegen den IS in Anbar und den nördlicher gelegenen Provinzen bedingte vorerst eine Verlagerung von Militär- und Polizeikräften in den Norden, die wiederum eine größere Instabilität im Süden verbunden vor allem mit einem Anstieg an krimineller Gewalt mit sich brachte. Aktuell sind im Gefolge der Vertreibung des IS aus seinem früheren Herrschaftsgebiet im Irak keine maßgeblichen sicherheitsrelevanten Ereignisse bzw. Entwicklungen für die Region bekannt geworden.

Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad war im Wesentlichen ebenfalls nicht unmittelbar beeinträchtigt durch die oben genannten Ereignisse im Zusammenhang mit der Bekämpfung des IS im Zentralirak. Seit 2016 kam es jedoch im Stadtgebiet von Bagdad zu mehreren Anschlägen bzw. Selbstmordattentaten auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern, die sich, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS, gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte richteten um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden. So wurden am 13. und 15. Jänner 2018 von Selbstmordattentätern zwei Sprengstoffanschläge auf öffentliche Plätze in Bagdad verübt, deren genaue Urheber nicht bekannt wurden. Für den Großraum Bagdad sind im Gefolge der nunmehrigen Vertreibung des IS aus seinem früheren Herrschaftsgebiet nur mehr wenige sicherheitsrelevante Ereignisse bzw. Entwicklungen bekannt geworden. Zuletzt kam es am 06.06.2018 im Stadtteil Sadr-City zu einem Anschlag unbekannter Täter auf eine Moschee, bei dem 18 Menschen starben und 90 verletzt wurden.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt des Bundesamtes unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des BF, des bekämpften Bescheides und der Beschwerde des BF, die Durchführung von zwei mündlichen Verhandlungen, die Durchführung von Recherchen durch einen vom BVwG beauftragten länderkundlichen Sachverständigen im Herkunftsstaat des BF, die Einsichtnahme in verschiedene Stellungnahmen und Beweismittelvorlagen des Vertreters des BF im Beschwerdeverfahren sowie durch die amtswegige Einholung von Auskünften des Zentralen Melderegisters, des Strafregisters und des Grundversorgungsdatensystems den BF betreffend.

Auf der Grundlage dieses Beweisverfahrens gelangte das BVwG nach Maßgabe unten dargelegter Erwägungen zu den entscheidungswesentlichen Feststellungen.

2.2. Die Feststellungen zur Identität, Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit und regionalen Herkunft des BF, zu dessen Lebenswandel vor der Ausreise aus dem Irak sowie dem seit der Einreise nach Österreich und seinen aktuellen familiären Verhältnissen sowie dem aktuellen Lebenswandel seiner Verwandten im Irak stützen sich in unstrittiger Weise auf die Feststellungen der erstinstanzlichen Behörde, seine persönlichen Aussagen vor dem BVwG sowie die ergänzend eingeholten Informationen aus den oben genannten Datenbanken.

2.3. Zu den Feststellungen oben unter 1.2. war aus nachstehenden Erwägungen zu gelangen:

2.3.1. Als Ausreisegrund gab der BF im Zuge der Erstbefragung an, er sei "vor allem wegen dem IS" (gemeint: der Terrororganisation Islamischer Staat) geflüchtet. Zwei seiner Freunde seien, weil sie über den IS "geschimpft" hatten, entführt worden. Auch er selbst habe dies getan und habe daher befürchtet, dass ihm das gleiche Schicksal drohe. Es seien auch die Universitäten geschlossen worden, weshalb er sein Studium nicht beenden konnte. Bei einer Rückkehr fürchte er vom IS verfolgt zu werden.

In seiner erstinstanzlichen Einvernahme führte der BF auf Befragen diese Ausreisegründe näher aus. Andere Ausreisegründe verneinte er auch auf Nachfrage ausdrücklich.

In ihrer Entscheidungsbegründung billigte die belangte Behörde diesem Vorbringen aus dort näher dargestellten Gründen keine Glaubhaftigkeit zu.

In seiner Beschwerde trat er dieser Würdigung seines Vorbringens argumentativ entgegen.

2.3.2. Soweit der BF eine mögliche Bedrohung durch Angehörige des IS bei einer Rückkehr in seine engere Heimat ins Treffen geführt hatte, kam diesem Vorbringen zum Entscheidungszeitpunkt im Lichte der allgemeinen Lage vor Ort keine Relevanz mehr zu. Es war als notorisch anzusehen, dass zwischenzeitig der IS insbesondere auch aus XXXX durch staatliche Sicherheitskräfte und nichtstaatliche Milizen mit Unterstützung einer internationalen Militärkoalition vertrieben wurde und die Stadt als vom IS befreit anzusehen ist (vgl. oben). Soweit sich allenfalls in Grenzregionen des Irak zu Syrien noch vereinzelt kleinere Einheiten des IS verborgen halten, liegen dem Gericht auch keine aktuellen Informationen darüber vor, dass konkrete Aktivitäten in größerem Maßstab gegen die Zivilbevölkerung etwa in XXXX gesetzt würden. Als weiterer stichhaltiger Hinweis darauf, dass sich in XXXX die allgemeine Lage im Vergleich zum Zeitraum der früheren Invasion und Besetzung der Stadt durch den IS maßgeblich verändert hat, war der Umstand anzusehen, dass der Aussage des BF in der jüngsten mündlichen Verhandlung vom 30.05.2018 zufolge auch seine nächsten Angehörigen wieder in ihr Haus in XXXX zurückgekehrt sind und dort einem offenbar im Wesentlichen ungestörten Lebenswandel nachgehen. Etwaige Vorfälle, die eine mögliche weiterhin bestehende Bedrohung des BF indizieren würden, hat er selbst zuletzt ebenso wenig ins Treffen geführt wie dieses ursprünglich als Antragsgrund dargestellte Szenario in den Beschwerdeverhandlungen von ihm auch nicht mehr thematisiert wurde.

Im Lichte dessen war zur Feststellung oben unter 1.2.3. zu gelangen.

2.3.3. Im Gefolge seiner Einreise bezeichnete sich der BF anläßlich seiner Erstbefragung als "Moslem", in seiner erstinstanzlichen Einvernahme wurde zu seiner Person festgehalten, dass er "Sunnit" (gemeint: Moslem der sunnitischen Glaubensrichtung) sei. Im Zuge beider Befragungen fanden sich darüber hinaus keine Hinweise darauf, dass er sich vom Islam abgewandt oder einer christlichen Religion zugewandt hätte, auch sonstige Aussagen dahingehend, dass er bei einer Rückkehr Probleme aus religiösen Gründen oder auch bloß wegen einer mangelnden Identifikation mit den Glaubensinhalten des Islam befürchte, fanden sich dort nicht. Nichts Anderes galt für seine Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde.

Erstmals fand sich ein Vorbringen des BF religiöse Themen betreffend in einer Eingabe vom 14.04.2016, der ein Unterstützungsschreiben eines Pfarrers einer evangelisch-methodistischen Kirche vom 09.03.2016 beigelegt wurde. In diesem wurde wiedergegeben, dass der BF "ein außerordentliches Interesse für die Gemeinschaft der Christen" gezeigt habe und "sich dem christlichen Glauben zuwende", er regelmäßig diese Kirchengemeinde und auch einen Bibelunterricht besuche.

In der ersten mündlichen Verhandlung vom 31.05.2017 bestätigte der als Zeuge befragte vormalige Partner des BF, dass letzterer eine evangelische Kirche besuche, dort mithelfe und auch einen Unterricht besuche, um für sich festzustellen, "ob das etwas für ihn wäre". Sein Eindruck vom BF sei, dass dieser, zumal er sich sowohl mit dem Koran als auch mit der Bibel befasst habe, "im weitesten Sinne religiös sei", aber sich zu keiner bestimmten Konfession hingezogen fühle. Letzteres gab auch der BF selbst auf Nachfrage seines Vertreters sinngemäß zu Protokoll, als er vermeinte, er "fühle sich keiner Religion mehr zugehörig".

Im Begleitschreiben einer Beweismittelvorlage vom 28.11.2017 wies der Vertreter des BF darauf hin, dass dieser "dezidiert erklärt habe, religionslos zu sein, da er aus menschlichen und religiösen Gründen nicht mehr dem Islam angehören könne". Weitere Ausführungen dazu fanden sich in diesem Schriftsatz nicht.

In einer Stellungnahme vom 14.05.2018 verwies der Vertreter pauschal auf eine (drohende) "Verfolgung des BF aus religiösen Gründen", ohne dies weiter auszuführen.

In einer Stellungnahme vom 20.06.2018 hielt der Vertreter des BF einleitend fest, dass der BF sein Asylbegehren u.a. auf "seinen Abfall vom Islam" stütze.

In einer weiteren Stellungnahme vom 22.08.2018 wiederholte der Vertreter des BF den "Asylgrund der Verfolgung wegen Abfalls vom Islam" und ergänzte dazu, dass "darauf nach der Scharia die Todesstrafe stehe".

In der zweiten mündlichen Verhandlung vom 30.05.2018 trug der BF selbst vor, dass er sich über das Internetportal Facebook "sinngemäß" in der Form geäußert habe, dass "der Wert eines Menschen unabhängig von seiner religiösen Haltung sei und Religion für ihn keine wesentliche Rolle spiele", seine beiden älteren Brüder diese Aussage von ihm gelesen hätten, mit dieser nicht einverstanden gewesen seien, den Kontakt mit ihm eingestellt und zu ihrer Mutter gesagt hätten, dass er nicht mehr religiös sei und sie deshalb nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen, weshalb er sich in Konflikt mit ihnen befinde. Auch seine Mutter übe aus religiösen Gründen Druck auf ihn aus, so frage sie nach, ob er sich an die Regeln des Fastenmonats Ramadan halte.

Im Lichte dieser Aussagen des BF war zum einen festzustellen, dass dieser bis zur Ausreise aus dem Irak wie auch bei sowie nach der Einreise nach Österreich als Moslem der sunnitischen Glaubensrichtung aufgetreten ist und eine davon abweichende religiöse Haltung bis dahin auch nicht behauptete. In späterer Folge kam hervor, dass er mehrfach eine evangelisch-methodistische Kirchengemeinde aufsuchte und deren religiöse Angebote wahrnahm, offenbar um sich in kritischer Weise mit den Glaubensinhalten des Islams und des Christentums in einer Gegenüberstellung derselben auseinanderzusetzen, wie auch sein damaliger Partner erklärte. Dies resultierte seinen nachfolgenden persönlichen Aussagen folgend in der Verneinung einer maßgeblichen Bedeutung religiöser Inhalte für die allgemeine Lebensführung und einer Distanzierung von solchen insgesamt. Zum anderen trat er aber in formaler Hinsicht weder aus der islamischen Glaubensgemeinschaft aus noch einer christlichen Kirche bei.

Im Hinblick darauf war nicht festzustellen, dass er über seine innerliche Distanzierung von der zuvor in der Heimat erlebten allumfassenden Bedeutung des Islams für die allgemeine Lebensführung hinaus, die er seiner jüngsten Aussage nach auch in einem Kommentar auf dem Internetportal Facebook zum Ausdruck brachte, zu einer anderen Religion wie etwa der christlichen konvertiert wäre und diese aus innerer Überzeugung erfolgte Hinwendung andererseits zu einer tiefgreifenden Ablehnung des Islams selbst geführt hätte.

Aus diesem Gesamtbild ließen sich daher auch keine stichhaltigen Anhaltspunkte dafür gewinnen, dass er bei einer Rückkehr Anlaß für etwaige Verfolgungshandlungen Dritter bieten würde.

Diese Einschätzung wurde zuletzt noch von seiner Darstellung vor dem BVwG gestützt, dass seine nunmehrige Grundhaltung zur Frage der Bedeutung religiöser Inhalte für die allgemeine Lebensführung auch seinen älteren Brüdern bekannt geworden sei und sie seine Position abgelehnt und zum Ausdruck gebracht hätten, dass sie deshalb den Kontakt mit ihm zukünftig meiden wollten, denn maßgebliche Bedrohungsszenarien ließen sich dieser Darstellung nicht entnehmen.

Für das Zutreffen der jüngsten Behauptung des Vertreters des BF, dass diesem "nach der Scharia die Todesstrafe drohe", fehlten ebenso stichhaltige Anhaltspunkte. Weder wurden diesbezüglich länderkundliche Informationen vorgelegt noch wäre dem erkennenden Gericht bis dato von Amts wegen bekannt geworden, dass das - innerhalb der irakischen staatlichen Rechtsordnung allenfalls in zivilrechtlichen Angelegenheiten relevante - islamische Recht der Scharia außerhalb des zwischenzeitig auch nicht mehr existenten ehemaligen sogen. Kalifats des IS im Irak eine strafrechtliche Bedeutung entfalten würde.

Im Lichte dessen war zur Feststellung oben unter 1.2.4. zu gelangen.

2.3.4. Im Lichte der nachvollziehbaren und plausiblen Aussagen des BF und des dazu vor dem BVwG befragten Zeugen in den mündlichen Verhandlungen sowie der damit übereinstimmenden Inhalte von zu diesem Thema vorgelegten Schreiben Dritter gelangte das erkennende Gericht zur Feststellung, dass er seit seiner Einreise nach Österreich mehrere homosexuelle Bekanntschaften sowie über einen längeren Zeitraum auch eine feste homosexuelle Beziehung pflegte und auch aktuell innerhalb einer solchen lebt.

In dieses Bild fügten sich die Aussagen des BF vor dem Gericht über sein früheres Leben in der Heimat bzw. insbesondere die Entwicklung seiner sexuellen Orientierung seit seiner Jugend und die konkrete Ausgestaltung seines Sexual- und Beziehungslebens im Irak über ca. sieben Jahre hinweg bis zur Ausreise.

Im Lichte dessen gelangte das Gericht zur Feststellung der homosexuellen Orientierung des BF als solche wie auch zu den Feststellungen sein vormaliges homosexuelles Beziehungsleben im Herkunftsstaat betreffend.

2.3.5. Der BF nahm demgegenüber weder bei seiner Erstbefragung am 20.06.2015 noch bei seiner erstinstanzlichen Einvernahme am 12.11.2015 in irgendeiner Weise auf seine sexuelle Orientierung Bezug und begründete seinen Antrag mit einer Bedrohung durch Angehörige der Terrororganisation IS in seiner früheren Heimatstadt XXXX aus anderen Gründen.

Auch in seiner Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid fand diese Eigenschaft keine Erwähnung, ebenso wenig war diese einem im Lauf des Beschwerdeverfahrens vorgelegten Facharztbrief vom 28.04.2016 zufolge ein Thema im Zuge einer psychiatrischen Konsultation.

Erstmals erst im Februar 2017 legte ein Verein zur Betreuung von "LGBTIQ-Flüchtlingen" mehrere private Schreiben homosexuell orientierter Männer, u.a. des vormaligen österr. Lebensgefährten des BF, vor, die auf seine homosexuelle Orientierung verwiesen. In der nachfolgenden ersten mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 31.05.2017 legte dieser frühere Lebensgefährte als Zeuge dar, dass er selbst dem BF "geraten" habe sein Schutzbegehren auch auf diese Eigenschaft zu stützen. Auf Nachfrage des verfahrensführenden Richters fügte der Lebensgefährte noch an, dass der BF auch in privaten Gesprächen mit ihm weder Probleme wegen seiner sexuellen Neigung in seiner Heimat berichtet noch andere Ausreisegründe genannt habe als die vor dem BFA behaupteten.

Auch dieser Verlauf bzw. diese Äußerungen unterstrichen, dass es dem BF persönlich zuvor noch gar kein Anliegen war, seine sexuelle Orientierung im gg. Verfahren überhaupt als Anlaß für sein Schutzbegehren geltend zu machen. An dieser Einschätzung änderte auch seine Replik auf die Frage des Richters in dieser Verhandlung, weshalb er dies bisher unterlassen habe, nichts, als er vermeinte, er habe weder einzuschätzen vermocht, wie man in einer europäischen Gesellschaft mit diesem Thema umgehe noch wie das BFA darauf reagieren würde. Dies war vielmehr als bloße Schutzbehauptung zu werten, zeugte doch schon seine Einreise und Antragstellung in Österreich davon, dass er damit rechnete auf der Grundlage seines - wie auch immer gearteten - Vorbringens internationalen Schutz in einem westeuropäischen Land zu erhalten. Dass er dies im Gegensatz zu seinen tatsächlichen Antragsgründen aber gerade im Hinblick auf seine sexuelle Orientierung nicht gehofft hätte, stellte sich als unschlüssig dar. Auch die Verweise auf mangelnde soziale Kontakte und ebenso mangelnde Deutschkenntnisse wie auch fehlende "Beweise" für seine homosexuelle Orientierung waren für das Gericht bloße Schutzbehauptungen, hatten doch diese angeblichen Hemmnisse auch kein Hindernis für das sonstige Vorbringen im gg. Verfahren dargestellt. Nicht zuletzt hatte er seiner Darstellung und der des Zeugen zufolge nicht nur auch auf der Reise durch die Türkei, wo er sich vor der Weiterreise nach Österreich einige Zeit aufgehalten hat, homosexuelle Kontakte, sondern auch in Österreich nach der Antragstellung solche aufgenommen, weshalb eine etwaige Scheu vor der Preisgabe seiner Homosexualität vor den österr. Asylbehörden über fast zwei Jahre hinweg nicht plausibel gewesen wäre.

Aus diesen Erwägungen war für das Gericht zu folgern, dass der BF zum einen seine homosexuelle Orientierung im Irak über diese sieben Jahre hinweg ohne etwaige Bedrohungen oder Übergriffe durch Dritte oder durch staatliche Organe gelebt hat, zum anderen mangels ebensolcher sein Schutzbegehren von vornherein auch nicht auf seine homosexuelle Orientierung stützte und zum dritten auch nicht daran gehindert gewesen wäre, dies zu tun, wenn dies seine Absicht gewesen wäre.

2.3.6. Über die bisher wiedergegebenen Aussagen hinaus vermeinte der BF in der ersten Verhandlung vor dem BVwG, nachdem die irakische Gesellschaft homosexuellen Beziehungen im Allgemeinen ablehnend gegenüberstehe, habe er seine homosexuelle Orientierung "im Geheimen" ausgelebt. Auch die Mitglieder seiner Herkunftsfamilie seien über seine homosexuelle Orientierung bis zur Ausreise nicht im Bilde gewesen und sei dies nach wie vor so.

Was nun eine in der zweiten mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 30.05.2018 erstmals ins Treffen geführte Gefährdung des BF durch Mitglieder seiner Herkunftsfamilie wegen seiner sexuellen Orientierung angeht, war dieses Vorbringen nicht nur deshalb nicht als glaubhaft anzusehen, weil es sich dabei schon angesichts dieses späten Zeitpunkts um eine eindeutige Vorbringenssteigerung handelte, sondern auch, weil er in der vorgehenden Verhandlung noch auf die entsprechende Frage des Richters gemeint hatte, er würde "dazu stehen", wenn seine Familie von seiner Neigung erfahren würde, ohne dass er damit irgendwelche Konsequenzen verband, während er in der zweiten Verhandlung im Gegensatz dazu plötzlich vermeinte, er befürchte, deshalb von Familienangehörigen sogar getötet zu werden.

Zur Behauptung des BF, er habe seine homosexuelle Orientierung im Irak (nur) "im Geheimen" ausgelebt, ist einerseits auf die Erwägungen oben unter 2.3.5. im Hinblick darauf zu verweisen, dass er diese Neigung vor der Ausreise bereits über viele Jahre hinweg lebte und die näheren Umstände diesbezüglich offenbar nicht dergestalt waren, dass sie einen Ausreise- und Antragsgrund darstellten. Dies war bereits als maßgeblicher Hinweis darauf zu verstehen, dass auch die behauptete Geheim- bzw. Zurückhaltung kein Ausmaß angenommen hat, das als maßgebliche Einschränkung des Ausdrucks seiner sexuellen Orientierung zu qualifizieren war, andernfalls er nämlich genau dies als Ausreise- und Antragsgrund ins Treffen geführt haben sollte.

Zum anderen machte er im gg. Verfahren auch keine näheren Ausführungen, was - vor dem Hintergrund eines langjährigen homosexuellen Beziehungslebens - im Genaueren unter dieser "Geheimhaltung" zu verstehen gewesen wäre, wiewohl derlei nähere Angaben unter die asylgesetzliche Verpflichtung eines Antragstellers zur Darlegung seiner Antragsgründe in jenem Umfang, der seiner persönlichen Disposition unterliegt, fallen.

Ausgehend von der Tatsache verschiedener homosexueller Beziehungen des BF vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat ging das erkennende Gericht daher davon aus, dass er diese Beziehungen offenkundig in einer Form pflegen konnte, die grundsätzlich seinen Bedürfnissen entsprach, andernfalls er eben Gegenteiliges dargelegt hätte. Unter Berücksichtigung untenstehender Berichte zur Lage von Personen mit homosexueller Orientierung, denen eine tendenziell ablehnende gesellschaftliche Haltung diesen gegenüber zu entnehmen ist, war zwar auch anzunehmen, dass er in der Öffentlichkeit explizit wahrnehmbare Ausdrucksformen seiner sexuellen Orientierung, die gesellschaftlichen Anstoß erregt hätten, insbesondere solche in intimer Form, vermieden hat. Dass diese Form der Zurückhaltung in der Öffentlichkeit aber über jene Verhaltensregeln hinausging, die in einer traditionell-muslimischen Gesellschaft grundsätzlich im zwischenmenschlichen Umgang unabhängig von der sexuellen Orientierung der Betroffenen einzuhalten waren, hat der BF nicht dargetan. Sinngemäß gleiches galt auch für sein Auftreten seinen Angehörigen und Verwandten, also seinem engeren sozialen Umfeld, gegenüber.

2.4. Zum Beweisthema der Lage von Personen mit homosexueller Orientierung im Irak gibt es nur wenige aktuelle länderkundliche Berichte.

So fand dieses Thema weder Berücksichtigung im vom erkennenden Gericht eingesehenen Jahresbericht von Amnesty International vom Februar 2018 zur Menschenrechtslage im Irak noch in jenem von Human Rights Watch vom Jänner 2018.

2.4.1. Das U.S. Department of State schreibt in seinem Jahresbericht vom April 2018 zur Menschenrechtslage im Irak im einem kurzen Kapitel mit dem Titel Acts of Violence, Discrimination and Other Abuses Based on Sexual Orientation and Gender Identity, in allgemeiner Form, dass trotz wiederholter Drohungen und Gewalt gegen Angehörige der sogen. LGBTI - Community von der Regierung keine Maßnahmen zur Verfolgung von Angriffen auf diese bzw. zum Schutz vor solchen ergriffen wurden. Staatliche Autoritäten würden auf den strafrechtlichen Vorwurf des "öffentlichen unsittlichen/unanständigen Verhaltens" oder der Prostitution zurückgreifen um gegen homosexuelle Handlungen vorzugehen, wobei die gleichen Tatbestände auch dazu dienen würden um jede Form heterosexueller Beziehungen zwischen unverheirateten Personen zu verfolgen. Angehörige der LGBTI-Community würden sich Übergriffen von Familienangehörigen oder nichtstaatlichen Akteuren ausgesetzt sehen wie auch dem Risiko, Opfer eines sogen. Ehrverbrechens zu werden. Als Beispiel wurde ein konkreter Fall vom 01.03.2017 genannt, dem zufolge ein homosexueller Mann von einem nahen Angehörigen getötet worden sei, weil er als Darsteller in einem Online-Sex-Video identifiziert worden sei. Lokalen Berichten zufolge seien von Milizen Todeslisten erstellt worden, die sich gegen Angehörige sexueller Randgruppen gerichtet hätten, und sei es auch zu Exekutionen gekommen. Am 04.07.2017 sei medial vom gewaltsamen Tod eines bekannten männlichen Schauspielers und Models berichtet worden, wobei die Tat von manchen seiner sexuellen Orientierung (Anm.: welche dies gewesen sei, wurde nicht berichtet) zugeschrieben wurde, von anderen seinem außergewöhnlichen und auffälligen Erscheinungsbild und seinem Auftreten in Internetmedien. Innerhalb des von der Terrororganisation Da'esh/Islamischer Staat (IS) kontrollierten Gebietes sei es wiederholt zu - auch vom IS selbst im Internet publizierten - öffentlichen grausamen Hinrichtungen von Homosexuellen bzw. Personen, denen dieses unislamische Verhalten vorgeworfen worden sei, gekommen.

Die International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA) publizierte im Mai 2016 die Zusammenstellung 'State Sponsored Homophobia 2016: A world survey of sexual orientation laws: criminalisation, protection and recognition' und verwies im Länderkapitel zum Irak darauf, dass das aus 1969 stammende und 2003 wiedereingeführte irakische Strafgesetzbuch homosexuelle Beziehungen nicht unter Strafe stellt. Der Art. 404 des irakischen STGB bedrohe aber Personen, die in der Öffentlichkeit obszöne oder unanständige Lieder singen oder Aussagen tätigen, mit Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr oder Geldstrafen bis zu 100 Dinar. Diese Strafnorm schränke sohin theoretisch auch jeden öffentlichen Ausdruck einer homosexuellen oder nichtkonformen sexuellen Orientierung ein. Nichtstaatliche Akteure einschließlich Richter sog. Scharia-Gerichte würden Hinrichtungen von Personen mit homosexueller Orientierung anordnen, obwohl weder staatliches Recht deren Verhalten kriminalisiere noch sogen. Sharia-Gerichten Jurisdiktionsgewalt zukomme. Zudem würden Polizeiangehörige wie auch Angehörige nichtstaatlicher Milizen Angehörige der LGBTI-Community entführen, bedrohen und ermorden.

Diese Zusammenstellung stützte sich ihrerseits im Länderkapitel zum Irak auf einen Bericht der International Lesbian and Gay Human Rights Commission (ILGHRC), nunmehr: Outright Action International, vom November 2014 mit dem Titel ‚When Coming Out Is A Death Sentence'. In diesem wurde neuerlich auf ein hohes Risiko auf Seiten von Angehörigen der LGBTI-Community verwiesen, innerhalb der von Da'esh/IS kontrollierten Gebiete Opfer von religiös motivierten Exekutionen zu werden. Innerhalb der übrigen (zentralirakischen) Regionen gehe eine hohe Gefahr für Betroffene von Angehörigen nichtstaatlicher Milizen aus, im Genaueren den schiitischen Milizen Asa'ib Ahl al-Haq und Mahdi-Armee, denen etwa vorgeworfen werde, im Sommer 2014 in Bagdad unmittelbar in Angriffe mit Todesfolge auf einige Zivilisten wegen deren verpönter sexueller Orientierung verwickelt gewesen zu sein. Bereits in den Jahren 2009 und 2012 sei es ebenfalls zu derlei organisiertem Vorgehen nichtstaatlicher Akteure gekommen. Diese Vorfälle seien ohne Folgen geblieben, die Straflosigkeit gegenüber den Tätern weise auf fehlenden staatlichen Schutz für Betroffene hin. Darüber hinaus gehe die häufigste Bedrohung für Angehörige der LGBTI-Community von deren Familien bzw. Stämmen aus, die den Betroffenen Verstöße gegen religiöse Grundregeln sowie gegen die Familienehre vorwerfen würden.

Die Nichtregierungsorganisation iraqueer schreibt in einem im Internet abrufbaren Bericht aus 2018, dass sie selbst und ihre "Partner" die Zahl gewaltsamer Todesfälle innerhalb der LGBTI-Community im Irak für das Jahr 2017 auf "mehr als 220" schätzen. Der schiitischen Miliz Asaeb Ahl Al-Haq werden dort wiederkehrende gewaltsame Kampagnen zugeschrieben, zuletzt im Jänner 2017, im Zuge deren es zur Publikation von Namenslisten gekommen sei, verbunden mit einer Warnung an über 100 Genannte "sich zu ändern oder getötet zu werden". Mehrere Einzelpersonen hätten sich auf einer solchen Liste wiedergefunden oder andere gekannt, die auf einer solchen aufgelistet gewesen und getötet worden seien. Dass "bewaffnete Gruppierungen" wie Asaeb Ahl Al-Haq oder der IS Angehörige sexueller Randgruppen noch zuletzt im September 2017 getötet hätten, habe sich aus im Zeitraum von 2015 bis 2018 mit Angehörigen sexueller Randgruppen geführten Interviews gewinnen lassen.

In einer auf der Website von iraqueer genannten Stellungnahme der Organisation aus 2015 an die UN mit dem Titel "Dying to be free" finden sich Hinweise auf eine dort näher genannte Zahl an schweren gewaltsamen Übergriffen mit und ohne Todesfolge auf Angehörige sexueller Randgruppen in den Jahren 2009, 2012 und 2014, die insbesondere der Asaeb Ahl Al-Haq zugeschrieben würden. Eine bestimmte Anzahl dieser behaupteten Fälle sei von der UN Assistance Mission for Iraq (UNAMI) auch verifiziert worden.

In einer Anfragebeantwortung von ACCORD vom 30.05.2018 zur "Lage von LGBT-Personen im Irak" werden großteils die og. Berichte auszugsweise wiedergegeben. Darüber hinaus wird, auf einen spezifischen Bericht von Human Rights Watch vom April 2018 verweisend, angeführt, dass keine Fälle einer Anwendung der og. Strafbestimmungen des irakischen Strafgesetzbuches wegen "unzüchtigen Verhaltens" in der Öffentlichkeit auf Personen mit non-konformer sexueller Orientierung dokumentiert worden seien.

2.4.2. In einer Zusammenschau des Inhalts dieser Quellen gelangte das Gericht zu den Feststellungen oben unter 1.3., wobei hervorzuheben ist, dass zum einen keine Berichte mit belastbaren Informationen über eine systematische diskriminierende Anwendung strafgesetzlicher Bestimmungen gegen Angehörige sexueller Randgruppen deren individuelles Auftreten in der Öffentlichkeit betreffend vorliegen, dass zum anderen in Bezug auf ein gezieltes Vorgehen nichtstaatlicher Akteure wie den genannten schiitischen Milizen zwar konkrete Informationen für die Jahre 2009, 2012 und 2014 vorliegen, diese Vorfälle jedoch als punktuelle Vorfälle im Raum Bagdad aufgelistet werden, woraus ebenso kein systematisches Vorgehen gegen bzw. ein landesweites Bedrohungsszenario für Angehörige sexueller Randgruppen zu gewinnen war, und dass zum dritten zuletzt für 2017 zwei prominente bzw. medial wirksame gewaltsame Todesfälle angeführt wurden, wobei nur in einem der beiden Fälle die Ursache ausdrücklich der homosexuellen Orientierung des Opfers iZm seiner medial wahrgenommen Mitwirkung in einem Pornofilm zugeschrieben wurden, während die jüngsten Aussagen der Nichtregierungsorganisation Iraqueer dazu den Zeitraum einschließlich 2017 betreffend nur sehr vage waren, sich als Mutmaßung bzw. Schätzung darstellten und ebenso keine belastbaren, weil nachvollziehbaren Informationen über ein systematisches Vorgehen staatlicher oder nichtstaatlicher Akteure gegen Angehörige sexueller Randgruppen beinhalteten.

Die Feststellung des Fehlens einer systematischen diskriminierenden Anwendung strafgesetzlicher Bestimmungen gegen Angehörige sexueller Randgruppen wurde auch vom Ergebnis der ergänzenden Recherchen des vom BVwG dazu beauftragten länderkundlichen Sachverständigen gestützt, dessen Bericht ebenso das Bemühen staatlicher Organe zeigte, möglichst keine Berührung mit dem Thema nichtgesellschaftskonformer sexueller Orientierung bzw. deren Proponenten zu haben als gegen solche gezielt vorzugehen. Auch diesem Bericht war darüber hinaus der Hinweis darauf zu entnehmen, dass es in den og. Jahren bis 2014 punktuell ein gezieltes Vorgehen von bestimmten Milizen gegen Angehörige sexueller Randgruppen in Bagdad gegeben hat, diese Ereignisse aber als der Vergangenheit zugehörig bewertet wurden.

2.4.3. Als konkreter Hinweis auf eine Änderung der Haltung gerade innerhalb der schiitischen Bevölkerung und den ihr zuzuzählenden Organisationen wurde zuletzt in der Anfragebeantwortung von ACCORD aus 2018 angeführt, dass der bekannte schiitische Parteiführer Muqtada Al-Sadr, auch Oberhaupt der sogen. Mahdi-Armee, am 29. Juni 2016 die Anwendung von Gewalt auf Angehörige der LGBTI-Community als gegen religiöse Grundregeln des Islam stehend verurteilte. Der geeignete Umgang mit diesen solle sich zwischen einer Distanzierung von ihnen und einer "Anleitung derselben mit akzeptablen und vernünftigen Mittel" bewegen.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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