TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/31 W186 2001459-1

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Veröffentlicht am 31.01.2019
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Entscheidungsdatum

31.01.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §75 Abs20
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §16
BFA-VG §17
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §13 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W186 2001459-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Judith PUTZER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. China, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.11.2013, Zl. 13 12.092-BAT, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.04.2018 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 wird das Verfahren insoweit zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

III. Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird gemäß § 13 Abs. 1 VwGVG zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF), eine chinesische Staatsangehörige und Angehörige der Volksgruppe Han, wurde in Folge einer Schwerpunktkontrolle der Polizei in Wien 1100 unrechtmäßig aufhältig in einer Wohnung angetroffen. Sie wurde festgenommen und stellte im Zuge der Einvernahme am 19.08.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet, zu dem sie am 20.08.2013 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt wurde.

Dabei gab die Beschwerdeführerin an, am XXXX in der Provinz Jilin geboren, ohne religiöses Bekenntnis, Angehörige der Volksgruppe Han sowie seit 2002 geschieden zu sein. Ihr Bruder sowie ihre Eltern seien bereits verstorben. Zuletzt habe sie in der Stadt Jilin gewohnt. Sie habe im Herkunftsland die Grundschule und die Hauptschule besucht und zuletzt als Verkäuferin gearbeitet. Sie sei am 04.05.2011 mit dem Flugzeug und einem von einem Schlepper organisierten chinesischen Reisepass in das Bundesgebiet gelangt. Die ersten Jahre habe sie als Babysitterin gearbeitet. Danach sei sie nach WIEN gegangen und habe in der Wohnung, in der sie festgenommen worden sei, gewohnt. Befragt nach ihrem Fluchtgrund gab die BF an, dass sie trotz Scheidung Probleme mit ihrem Ex-Gatten gehabt habe. Er habe sie weiterhin belästigt, geschlagen und sexuell misshandelt. Aus diesem Grund habe sie China verlassen wollen. Sie wolle auch jetzt nicht mehr nach China zurück.

Die BF bevollmächtigte in weitere Folge den MIGRANNTINNENVEREIN ST. MARX und RA DR. Lennart BINDER mit ihrer Vertretung im gegenständlichen Verfahren.

2. Am 22.11.2013 fand vor dem Bundesasylamt eine niederschriftliche Einvernahme unter Beiziehung einer Dolmetscherin der chinesischen Sprache statt. Dabei erklärte die BF, dass sie psychisch und physisch in der Lage sei die gestellten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten. Sie führte aus, in der Stadt Jilin geboren zu sein und sich immer dort aufgehalten zu haben. Sie habe 6 Jahre die Grundschule und 3 Jahre die Mittelschule besucht. Nach ihrer Scheidung habe sie in einer Mietwohnung gewohnt. Um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten habe sie zuerst in einer Stahlfabrik gearbeitet und danach in einem Supermarkt. Verwandte im Heimatland habe sie keine mehr, ihre Eltern seien verstorben. Befragt nach ihrem Fluchtgrund führte die BF aus, dass ihr Ex-Mann psychische Probleme gehabt habe und zum Alkoholiker geworden sei. Er habe sie geschlagen und sexuell misshandelt. Nach der Scheidung habe er sie mehrmals besucht und die sexuelle Belästigung sei weitergegangen. In dem Supermarkt in dem sie gearbeitet habe, habe sie eines Tages einen Mann kennengelernt, der ihr bei ihrem Wunsch, China zu verlassen, behilflich sein habe können. Die BF habe China am 03.05.2011 verlassen und sei nach Österreich gekommen. Fortan habe sie sich bei einem chinesischen Ehepaar aufgehalten, wo sie als Kindermädchen gearbeitet habe. Befragt danach, wann die BF vor ihrer Ausreise ihren Ex-Mann das letzte Mal gesehen habe, führte sie aus, dass es weniger als ein Monat her gewesen sei. Er habe die BF einmal wöchentlich aufgesucht. Die BF führte aus, die Polizei deswegen aufgesucht zu haben. Die Polizei habe jedoch nichts unternommen. Als die Polizei zu ihr gekommen sei, sei ihr betrunkener Ex-Mann ebenfalls anwesend gewesen. Die Polizei habe ihn weggebracht, er sei danach jedoch erneut zu ihr gekommen. Befragt danach, ob die BF es in Erwägung gezogen habe, den Wohnsitz zu wechseln, führte sie aus, kein bzw. wenig Geld zu haben. Auf Nachfrage, wie es möglich sei, dass der Ex-Mann überhaupt in die Wohnung der BF kommen könne, gab die BF an, dass er gegen die Tür geschlagen habe, wenn sie ihm nicht geöffnet habe. Die BF gab des Weiteren an, mit niemanden aus China in Kontakt zu stehen. Verwandte im Herkunftsland habe sie keine. Sie sei eine nicht aufgeschlossene Person und habe deshalb keine Freunde. Im Bundesgebiet wohne sie derzeit bei einer chinesischen Freundin.

3. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.11.2013, dem bevollmächtigen Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin am 05.12.2013 zugestellt, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom 20.08.2013 (gemeint wohl: 19.08.2013) sowohl in Bezug auf die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, als auch in Bezug auf die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 wurde die BF aus dem österreichischen Bundesgebiet nach China ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

Darin wurde zusammengefasst festgestellt, dass die Identität der BF nicht feststehe. Die BF sei chinesische Staatsangehörige, geschieden und leide an keiner schweren Krankheit. Sie habe private Schwierigkeiten, nämlich Misshandlungen seitens ihres Exmannes, ins Treffen geführt. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die BF im Falle einer Rückkehr in ihr Heimatland Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt wäre. Sie befinde sich erst seit kurzer Zeit im Bundesgebiet und spreche nicht Deutsch. Auch habe sie sonst keine Bildungseinrichtungen oder Sprachkurse in Österreich absolviert. Einer Arbeit gehe die BF ebenfalls nicht nach und bestreite ihren Lebensunterhalt aus öffentlichen Mitteln. Sie habe darüber hinaus keine sozialen oder familiären Kontakte, die sie an Österreich binden würden.

Beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass die Herkunft der BF aus China glaubhaft sei, mangels Vorlage eines Identitätsdokumentes stehe ihre Identität jedoch nicht fest. Bezüglich des Fluchtvorbringens sei festzuhalten, dass sich die BF zwei Jahre lang unrechtmäßig - illegal - im Bundesgebiet aufgehalten habe. Ihre Aussage, dass sie von der Möglichkeit der Asylantragsstellung keine Kenntnis gehabt habe, sei nicht glaubhaft. Die Angaben der BF, wonach sie ihr Exmann misshandelt habe, seien zum Gegenstand des Bescheides erhoben worden. Die BF sei arbeitsfähig, gesund und werde im Falle einer Rückkehr nach China in der Lage sein, sich mit den bisher ausgeübten Tätigkeiten oder mit anderen Tätigkeiten ein ausreichendes Einkommen zu verschaffen. Die Angaben zum Privat- und Familienleben der BF ergeben sich aus der niederschriftlichen Einvernahme.

Rechtlich führte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid aus, dass die BF im Rahmen ihrer Einvernahme keinerlei Umstände vorgebracht habe, die die Annahme rechtfertigen würden, dass die BF persönlich in ihrem Heimatstaat Verfolgungen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt sei, bzw. auch nicht davon auszugehen sei, dass dies zukünftig der Fall sein werde. Aus diesem Grund sei der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen gewesen. Bezüglich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führte die Behörde aus, dass keine Gründe ersichtlich seien, dass die BF im Falle der Rückkehr einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt sein könnte. Auch aus der allgemeinen Situation in ihrem Heimatstaat bzw. der zu erwartenden Rückkehrsituation alleine lasse sich eine solche nicht ableiten. Bezüglich der seitens der von der BF vorgebrachten Misshandlungen des Exmannes werde auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Hilfeleistungen seitens der Regierung verwiesen. Diese unterstütze Unterkünfte für Opfer häuslicher Gewalt und es existieren Schutzhäuser. Zudem sei die chinesische Regierung bemüht, häusliche Gewalt einzudämmen und sei sexuelle Belästigung von Frauen strafbar. Zwar vermag die Situation der BF im Fall ihrer Rückkehr nach China schwierig sein, zumal die BF ihre Existenz neu aufzubauen habe, doch vermöge diese Situation keine anderer zu der in Österreich sein, zumal die BF auch hier keine sozialen Anknüpfungspunkte habe. Es stehe ihr in China eine innerstaatliche Fluchtalternative offen und bestehe die Möglichkeit an einem anderen Ort in ihrem Herkunfstland Fuß zu fassen. Es hätten keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestanden, dass die BF im Falle ihrer Rückkehr Gefahr laufen würde, in China einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden, womit festzustellen sei, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung zulässig sei. Bezüglich der Ausweisungsentscheidung führte die belangte Behörde aus, dass sich die BF seit mehr als zwei Jahren im Bundesgebiet befinde. Sie habe keinerlei soziale oder familiäre Bindungen zu Österreich, spreche nicht Deutsch und gehe keiner Beschäftigung nach. Es seien somit keine Ansatzpunkte hervorgetreten, die die Vermutung einer besonderen Integration der Person der BF in Österreich rechtfertigen würden. Aufgrund der Gesamtabwägung der Interessen habe sich daher ergeben, dass die Ausweisung der BF gerechtfertigt sei.

Mit Verfahrensanordnung vom 04.12.2013 wurde der BF für das Beschwerdeverfahren vor dem Asylgerichtshof der VEREIN MENSCHENRECHTE ÖSTERREICH als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

4. Mit Schriftsatz vom 19.12.2013 erhob die BF durch ihre gewillkürte Rechtsvertretung, der MigrantInnenverein St. Marx, Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., II. und III. des im Spruch genannten Bescheides. Die Beschwerde langte am 19.12.2013 beim Bundesasylamt ein.

Darin wurde zusammengefasst ausgeführt, dass nach ständiger Judikatur auch einer von Privatpersonen ausgehenden Verfolgung Asylrelevanz zukommen könne, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage sei, diese Verfolgungshandlungen zu unterbinden. Das Bundesasylamt habe in keiner nachvollziehbaren Weise dargelegt, wieso der BF die Glaubwürdigkeit abgesprochen werde.

Neben dem Antrag, der BF Asyl zu gewähren und eine mündliche Verhandlung abzuhalten wurde beantragt, der BF allenfalls subsidiären Schutz zu gewähren, allenfalls den angefochtenen Bescheid zu beheben und zur Ergänzung an die 1. Instanz zurückzuverweisen, die aufschiebende Wirkung zu gewähren, einen landeskundigen Sachverständigen zu beauftragen, sowie allenfalls festzustellen, dass die Ausweisung unzulässig sei.

5. Mit 01.01.2014 übernahm das Bundesverwaltungsgericht die Aufgaben des Asylgerichtshofes. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte die Beschwerde am 08.01.2014, hg. Eingelangte am 14.02.2014, dem Bundesverwaltungsgericht vor.

6. Am 27.04.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung eines Dolmetschers für die chinesische Sprache eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der kein Vertreter der belangten Behörde teilnahm.

Die Verhandlung gestaltete sich wie folgt:

"RI: Woher in China kommen Sie?

BF: Aus Provinz Jilin.

RI: Kommen Sie aus einer Stadt oder aus einer kleineren Ortschaft?

BF: Aus der Stadt Jilin.

RI: Wie viele Menschen leben ungefähr in dieser Stadt?

BF: Das weiß ich wirklich nicht.

RI: Welche Schulbildung haben Sie?

BF: Ich habe die Unterstufe der Mittelschule absolviert.

RI: Wie viele Jahre waren Sie insgesamt in der Schule?

BF: Ich war acht Jahre lang in der Schule.

RI: Lebt in China noch jemand von Ihrer Familie?

BF: Nein, jetzt nicht mehr.

RI: Wovon haben Sie in China gelebt?

BF: Ich habe in einem Supermarkt in Jilin gearbeitet.

RI: Waren Sie innerhalb von China nur in Jilin oder waren Sie auch woanders?

BF: Immer in Jilin.

RI: Wovon leben Sie in Österreich?

BF: Ich arbeite jetzt in einem Massagesalon.

RI: Können Sie mir sagen, wie lange Sie schon dort arbeiten?

BF: Ich weiß es nicht genau, ich denke seit circa 2014. Es gibt leider viele Dinge, an die ich mich nicht mehr erinnern kann.

RI: Aber es handelt sich bereits um mehrere Jahre?

BF: Ja, ich kann sonst nichts anderes machen.

RI: Arbeiten Sie in diesem Massagesalon als Sexarbeiterin?

BF: Ja.

RI: Ist dieser Salon in Wien?

BF: Ja.

BF weint.

Die Verhandlung wird um 11:38 Uhr für eine kurze Pause unterbrochen.

Die Verhandlung wird um 11:50 Uhr fortgesetzt.

RI: Können Sie sich noch erinnern, was Sie bei der Behörde erzählt haben, warum Sie aus China geflüchtet sind?

BF: Weil mein Mann mich schlug.

RI: Haben Sie in der Zwischenzeit Deutsch gelernt?

BF: Nein.

RI: Wo wohnen Sie? Wohnen Sie mit Freundinnen zusammen oder in der Nähe Ihres Arbeitsplatzes?

BF: Ich wohne direkt im Geschäft.

RI: Kennen Sie irgendjemanden in Österreich näher?

BF: Nein, ich arbeite nur in diesem Geschäft.

RI: Sind Sie in Österreich in medizinischer Behandlung?

BF: Ja, ich war beim Arzt und auch im Krankenhaus.

RI: Warum waren Sie beim Arzt und im Krankenhaus?

BF: Weil ich krank bin.

RI: Haben Sie Arztbriefe bei sich?

BF: Ich hatte welche. Ich war eine Zeitlang im Krankenstand, habe die Bestätigung aber weggeworfen, weil ich sie nicht verstanden habe.

RI: Welche Beschwerden hatten Sie?

BF: Mir hat es überall wehgetan. Ich war auch schon wegen meines Herzens beim Arzt, wegen meines Alters und wegen meiner Beine. Viele Krankheiten habe ich.

RI: Sind Sie derzeit in ärztlicher Behandlung?

BF: Ich war vorgestern beim Arzt und auch am 24. April und heute um 14:30 Uhr gehe ich zum "Bild".

RI: An welcher Krankheit denken Sie, dass Sie leiden?

BF: Ich weiß es nicht, aber es tut mir der Rücken so weh, dass es mich zusammenkrampft. Ich habe Schmerzmittel verschrieben bekommen, aber die kann ich auch nicht so lange einnehmen.

RI: Sind Sie im Moment krankgeschrieben?

BF: Ja, ich bin krankgeschrieben. Ich habe einen Drehschwindel. Mir ist so schlecht, dass ich erbrechen muss. Ich habe Medikamente gegen die Übelkeit und den Schwindel bekommen.

RI: Wie ist das, wenn Sie krankgeschrieben sind? Wovon leben Sie? Bekommen Sie Geld?

BF: Ich war zuvor noch nie krankgeschrieben, aber dieses Mal geht es mir zu schlecht. Geld bekomme ich nicht.

RI: Wovon leben Sie jetzt?

BF: Ich wohne ja im Geschäft. Ich esse nicht viel. Meine Kolleginnen bringen mir zu Essen mit.

RI: Haben Sie eine Karte von diesem Geschäft, wo Sie leben und arbeiten?

BF: Nein.

RI: Ich ersuche Sie, mir allenfalls ärztliche Bestätigungen zu übermitteln.

BF legt einen Arztzettel vor, der in Kopie zum Akt genommen wird.

RI: Wovor würden Sie sich fürchten, wenn Sie nach China zurückkehren müssten?

BF: Ich kann nicht zurück.

RI: Was würde mit Ihnen passieren? Warum können Sie nicht zurück?

BF: Ich habe Angst, dass mich mein Mann erwischt. Ich kann nicht.

RI: Haben Sie alles gesagt, was Ihnen wichtig ist?

BF: Ja.

RI: Wollen Sie noch etwas sagen?

BF: Nein.

RI: Können Sie mir sagen, welchen Beruf Ihr Exmann gehabt hat bzw. hat?

BF: Er war Arbeiter im Stahlwerk."

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

Die BF, eine chinesische Staatsangehörige und Zugehörigkeit der Mehrheitsvolksgruppe Han ohne religiösem Bekenntnis, reiste 2011 schlepperunterstützt in das Bundesgebiet ein und stellte erst in Folge einer polizeilichen Kontrolle am 19.08.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.

Die Identität der Beschwerdeführerin steht nicht fest. Sie spricht chinesisch auf muttersprachlichem Niveau.

Die BF war wegen Schwindel und Rückenschmerzen am 24.04.2018 in ärztlicher Behandlung und leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten.

Sie hat im Herkunftsstaat im Anschluss an ihre zumindest achtjährige Schulbildung (grund- und Mittelschule) zuerst in einer Stahlfabrik und anschließend als Verkäuferin in einem Supermarkt ihren Lebensunterhalt verdient und wohnte in einer Mietwohnung in der Stadt JILIN.

Die BF ist unbescholten und hält sich seit ihrer Einreise 2011 durchgehend im Bundesgebiet auf, wo sie in der Anfangszeit als Babysitterin bei einer chinesischen Familie wohnte.

Sie wurde am 19.08.2013 in einer Wohnung in Wien 1100 im Zuge einer Schwerpunktstreife einer Personenkontrolle unterzogen, wobei ihr unrechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet festgestellt wurde. In der daran anschließenden Einvernahme vor der Landespolizeidirektion WIEN stellte sie gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Sie bezog im Zeitraum 20.08.2013 -17.10.2013 Leistungen aus der Grundversorgung.

Die BF arbeitet seit 2014 als Sexarbeiterin in einem Massagesalon in Wien, in dem sie auch wohnt.

Die BF verfügt über keine sozialen oder familiären Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet. Sie besuchte auch keinen Deutschkurs und ist der deutschen Sprache nicht mächtig.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin ihr Herkunftsland aufgrund asylrelevanter Verfolgung verlassen hat beziehungsweise eine solche im Falle ihrer Rückkehr zu befürchten hätte.

Ebenfalls kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Volksrepublik China in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlungen unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre. Ebenso wenig leidet sie an schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten.

Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu China vom 14.11.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 05.02.2018, wiedergegeben:

"Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 05.02.2018: Festnahme des regierungskritischen Anwaltes Yu Wensheng, betrifft Abschnitt 10. Allgemeine Menschenrechtslage.

Yu Wensheng, ein regierungskritischer Anwalt, wurde nach Angaben seiner Frau am Morgen des 19.1.2018 festgenommen, als er mit seinem Sohn zur Schule ging (The Guardian 19.1.2018).

Wenige Stunden vor seiner Verhaftung forderte Yu Wensheng von Präsident Xi Jinping in einem offenen Brief Verfassungsreformen (DW 19.1.2018).

International bekannt wurde der prominente Kritiker, als er 2017 gemeinsam mit fünf anderen Anwälten versuchte, die Regierung seines Landes wegen des gesundheitsschädlichen Smogs zu verklagen (DZ 29.1.2018). Als Anwalt hat Yu mehrere andere Menschenrechtsanwälte und Demonstranten aus Hongkong vertreten, die dort für mehr Demokratie auf die Straße gegangen sind und festgenommen worden waren (DW 1.2.2018).

Im Oktober vergangenen Jahres wurde Yu Wensheng vorübergehend inhaftiert, weil er in einem offenen Brief Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping wegen dessen Stärkung des Totalitarismus als für das Amt nicht geeignet bezeichnet hatte (NZZ 1.2.2018).

Der Verbleib von Yu Wensheng war zunächst unklar (DP 19.1.2018); nach Angaben von Amnesty International übernahm die Polizei von Xuzhou in der ostchinesischen Provinz Jiangsu den Fall. Der Anwalt werde derzeit unter "Hausarrest an einem ausgesuchten Ort festgehalten, ohne dass dieser Ort bekannt wäre, so Amnesty International (DZ 29.1.2018).

Gemäß Amnesty International sei der chinesische Menschenrechtsanwalt der "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" beschuldigt worden (DP 19.1.2018). Der Vorwurf der Subversion ist eine schwerwiegende Anklage, die eine Haftstrafe von bis zu 15 Jahren bedeuten kann. Im vergangenen Dezember war etwa der regierungskritische Blogger Wu Gan deswegen zu acht Jahren Gefängnis verurteilt worden (DZ 29.1.2018).

Der kritische Jurist ist das jüngste Opfer der seit mehr als zwei Jahren anhaltenden Verfolgungswelle gegen Anwälte, Mitarbeitern von Kanzleien, Aktivisten und deren Familienmitgliedern. Mehr als 300 wurden nach Angaben von Menschenrechtsgruppen seit Juli 2015 inhaftiert, verhört, unter Hausarrest gestellt oder an der Ausreise gehindert. Vier wurden verurteilt, 16 warten noch auf ihren Prozess (DP 19.1.2018). Mindestens eine Person aus der angeführten Gruppe sei verschwunden (BBC 16.1.2018).

Quellen:

-

BBC News (16.1.2018): China rights lawyer Yu Wensheng loses licence, http://www.bbc.com/news/world-asia-china-42702731, Zugriff 22.1.2018

-

DP - Die Presse (19.1.2018): Haft für Anwalt: China setzt Verfolgungswelle gegen Kritiker fort, https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5356682/Haft-fuer-Anwalt_China-setzt-Verfolgungswelle-gegen-Kritiker-fort, Zugriff 19.1.2018

-

DW - Deutsche Welle (1.2.2018): China weist deutsche Kritik an Festnahme von Menschenrechtsanwalt zurück, http://www.dw.com/de/china-weist-deutsche-kritik-an-festnahme-von-menschenrechtsanwalt-zur%C3%BCck/a-42403119, Zugriff 2.2.2018

-

DW - Deutsche Welle (19.1.2018): Chinesischer Bürgerrechtsanwalt Yu Wensheng festgenommen,

http://www.dw.com/de/chinesischer-b%C3%BCrgerrechtsanwalt-yu-wensheng-festgenommen/a-42214185, Zugriff 22.1.2018

-

DZ - Die Zeit (29.1.2018):China beschuldigt Menschenrechtsanwalt der Subversion,

http://www.zeit.de/politik/ausland/2018-01/yu-wensheng-buergerrechtsanwalt-peking-anklage-haftstrafe, 30.1.2018

-

NZZ - Neue Züricher Zeitung (1.2.2018): Ein kämpferischer Geist in den Fängen der chinesischen Behörden, https://www.nzz.ch/international/ein-kaempferischer-geist-in-den-faengen-der-chinesischen-behoerden-ld.1352463, Zugriff 1.2.2018

-

The Guardian (19.1.2018): Outspoken Chinese human rights lawyer Yu Wensheng held by police

https://www.theguardian.com/world/2018/jan/19/outspoken-chinese-human-rights-lawyer-yu-wensheng-arrested , Zugriff 22.1.2018

Politische Lage

Die Volksrepublik China ist mit geschätzten 1,374 Milliarden Einwohnern (Stand Juli 2016) und einer Fläche von 9.596.960 km² der bevölkerungsreichste Staat der Welt (CIA 26.7.2017).

China ist in 22 Provinzen, die fünf Autonomen Regionen der nationalen Minderheiten Tibet, Xinjiang, Innere Mongolei, Ningxia und Guangxi, sowie vier regierungsunmittelbare Städte (Peking, Shanghai, Tianjin, Chongqing) und zwei Sonderverwaltungsregionen (Hongkong, Macau) unterteilt. Nach dem Grundsatz "Ein Land, zwei Systeme", welcher der chinesisch-britischen "Gemeinsamen Erklärung" von 1984 über den Souveränitätsübergang im Jahr 1997 zugrunde liegt, kann Hongkong für 50 Jahre sein bisheriges Gesellschaftssystem aufrecht erhalten und einen hohen Grad an Autonomie genießen. Trotz starker öffentlicher Kritik in Hongkong hält die chinesische Regierung bezüglich einer möglichen Wahlrechtsreform für eine allgemeine Wahl des Hongkonger Regierungschefs (Chief Executive) an den Vorgaben fest, die der Ständige Ausschuss des Pekinger Nationalen Volkskongresses 2014 zur Vorabauswahl von Kandidaten gemacht hat. Dies hat in Hongkong zur Blockade der vorgesehenen Reform geführt und zu einem Erstarken von Bestrebungen nach größerer Autonomie, vereinzelt sogar zu Rufen nach Unabhängigkeit, auf die Peking scharf reagiert. Nach einem ähnlichen Abkommen wurde Macau am 20. Dezember 1999 von Portugal an die Volksrepublik China zurückgegeben. Die Lösung der Taiwanfrage durch friedliche Wiedervereinigung bleibt eines der Hauptziele chinesischer Politik (AA 4.2017a).

Gemäß ihrer Verfassung ist die Volksrepublik China ein "sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes, der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruht" (AA 4.2017a). China ist ein autoritärer Staat, in dem die Kommunistische Partei (KP) verfassungsmäßig die höchste Autorität ist. Beinahe alle hohen Positionen in der Regierung sowie im Sicherheitsapparat werden von Mitgliedern der KP gehalten (USDOS 3.3.2017). Die KP ist der entscheidende Machtträger. Nach dem Parteistatut wählt der alle fünf Jahre zusammentretende Parteitag das Zentralkomitee (376 Mitglieder, davon 205 mit Stimmrecht), das wiederum das Politbüro (25 Mitglieder) wählt. Ranghöchstes Parteiorgan und engster Führungskern ist der zurzeit siebenköpfige "Ständige Ausschuss" des Politbüros. Dieser gibt die Leitlinien der Politik vor. Die Personalvorschläge für alle diese Gremien werden zuvor im Konsens der Parteiführung erarbeitet (AA 4.2017a; vgl. USDOS 3.3.2017).

An der Spitze der Volksrepublik China steht der Staatspräsident, der gleichzeitig Generalsekretär der KP und Vorsitzender der Zentralen Militärkommission ist und somit alle entscheidenden Machtpositionen auf sich vereinigt. Der Ministerpräsident (seit März 2013 Li Keqiang) leitet den Staatsrat, die eigentliche Regierung. Er wird von einem "inneren Kabinett" aus vier stellvertretenden Ministerpräsidenten und fünf Staatsräten unterstützt. Der Staatsrat fungiert als Exekutive und höchstes Organ der staatlichen Verwaltung. Alle Mitglieder der Exekutive sind gleichzeitig führende Mitglieder der streng hierarchisch gegliederten Parteiführung (Ständiger Ausschuss, Politbüro, Zentralkomitee), wo die eigentliche Strategiebildung und Entscheidungsfindung erfolgt (AA 4.2017a).

Der 3.000 Mitglieder zählende Nationale Volkskongress (NVK) wird durch subnationale Kongresse für fünf Jahre gewählt. Er wählt formell den Staatspräsidenten für fünf Jahre und bestätigt den Premierminister, der vom Präsidenten nominiert wird (FH 1.2017a). Der NVK ist formal das höchste Organ der Staatsmacht. NVK-Vorsitzender ist seit März 2013 Zhang Dejiang (AA 4.2017a). Der NVK ist jedoch vor allem eine symbolische Einrichtung. Nur der Ständige Ausschuss trifft sich regelmäßig, der NVK kommt einmal pro Jahr für zwei Wochen zusammen, um die vorgeschlagene Gesetzgebung anzunehmen (FH 1.2017a). Eine parlamentarische oder sonstige organisierte Opposition gibt es nicht. Die in der sogenannten Politischen Konsultativkonferenz organisierten acht "demokratischen Parteien" sind unter Führung der KP Chinas zusammengeschlossen; das Gremium hat lediglich eine beratende Funktion (AA 4.2017a).

Beim 18. Kongress der KP China im November 2012 wurde, nach einem Jahrzehnt, ein Führungswechsel vollzogen (AI 23.5.2013). Bei diesem Parteitag wurden die Weichen für einen Generationswechsel gestellt und für die nächsten fünf Jahre ein neues Zentralkomitee, Politbüro und ein neuer Ständiger Ausschuss bestimmt (AA 4.2017a). Xi Jinping wurde zum Generalsekretär der KP und zum Vorsitzenden der Zentralen Militärkommission gekürt. Seit dem 12. Nationalen Volkskongress im März 2013 ist Xi Jinping auch Präsident Chinas (AA 4.2017a; vgl. FH 1.2017a). Er hält damit die drei einflussreichsten Positionen (USDOS 3.3.2017). Die neue Staatsführung soll - wenngleich die Amtszeit offiziell zunächst fünf Jahre beträgt - mit der Möglichkeit einer Verlängerung durch eine zweite, ebenfalls fünfjährige, Amtsperiode bis 2022 (und möglicherweise auch darüber hinaus) an der Macht bleiben (HRW 12.1.2017). Vorrangige Ziele der Regierung sind eine weitere Entwicklung Chinas und Wahrung der politischen und sozialen Stabilität durch Machterhalt der KP. Politische Stabilität gilt als Grundvoraussetzung für wirtschaftliche Reformen. Äußere (u.a. nachlassende Exportkonjunktur) und innere (u.a. alternde Gesellschaft, Umweltschäden, Wohlfahrtsgefälle) Faktoren machen weitere Reformen besonders dringlich. Die Rolle der Partei in allen Bereichen der Gesellschaft soll gestärkt werden. Gleichzeitig laufen Kampagnen zur inneren Reformierung und Stärkung der Partei. Prioritäten sind Kampf gegen die Korruption und Verschwendung, Abbau des zunehmenden Wohlstandsgefälles, Schaffung nachhaltigeren Wachstums, verstärkte Förderung der Landbevölkerung, Ausbau des Bildungs- und des Gesundheitswesens, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und insbesondere Umweltschutz und Nahrungsmittelsicherheit. Urbanisierung ist und bleibt Wachstumsmotor, bringt aber gleichzeitig neue soziale Anforderungen und Problemlagen mit sich. Erste Ansätze für die zukünftige Lösung dieser grundlegenden sozialen und ökologischen Entwicklungsprobleme sind sichtbar geworden, haben deren Dimension aber zugleich deutlich aufgezeigt (AA 4.2017a).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): China - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Innenpolitik_node.html#doc334570bodyText5, Zugriff 2.8.2017

-

AI - Amnesty International (23.5.2013): Amnesty International Annual Report 2013 - China,

http://www.refworld.org/docid/519f51a96b.html, Zugriff 2.8.2017

-

CIA - Central Intelligence Agency (26.7.2017): The World Factbook

-

China,

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ch.html, Zugriff 2.8.2017

-

FH - Freedom House (1.2017a): Freedom in the World 2017 - China, http://www.ecoi.net/local_link/339947/483077_de.html, Zugriff 2.8.2017

-

HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - China, http://www.ecoi.net/local_link/334766/476520_de.html, Zugriff 28.8.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Reports on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/337277/480051_de.html, Zugriff 2.8.2017

Sicherheitslage

Proteste auf lokaler Ebene haben in ganz China stark zugenommen. Sie richten sich vor allem gegen steigende Arbeitslosigkeit und Vorenthaltung von Löhnen, hauptsächlich von Wanderarbeitern. Bei den bäuerlichen Protesten auf dem Land geht es meistens um die (entschädigungslose oder unzureichend entschädigte) Enteignung von Land und fehlende Rechtsmittel. Auch stellen die chemische Verseuchung der Felder durch Industriebetriebe oder Umweltkatastrophen Gründe für Proteste dar. Nachdem die Anzahl sogenannter. "Massenzwischenfälle" über Jahre hinweg rasch zunahm, werden hierzu seit 2008 (mehr als 200.000 Proteste) keine Statistiken mehr veröffentlicht. Zwei Aktivisten, die seit 2013 durch eigene, über Twitter veröffentlichte Statistiken diese Lücke zu schließen versuchten, wurden im Juni 2016 verhaftet. Die lokalen Behörden verfolgen in Reaktion zumeist eine Mischstrategie aus engmaschiger Kontrolle, die ein Übergreifen nach außen verhindern soll, gepaart mit einem zumindest partiellen Eingehen auf die Anliegen (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 15.12.2016)

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Reports on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/337277/480051_de.html, Zugriff 31.8.2017

Rechtsschutz/Justizwesen

Die Führung unternimmt Anstrengungen, das Rechtssystem auszubauen. Dem steht jedoch der Anspruch der Kommunistischen Partei (KP) auf ungeteilte Macht gegenüber. Gewaltenteilung und Mehrparteiendemokratie werden ausdrücklich abgelehnt. Von der Verwirklichung rechtsstaatlicher Normen und einem Verfassungsstaat ist China noch weit entfernt. Im Alltag sind viele Chinesen weiterhin mit Willkür und Rechtlosigkeit konfrontiert (AA 4.2017a). Eine unabhängige Strafjustiz existiert in China folglich nicht. Strafrichter und Staatsanwälte unterliegen der politischen Kontrolle von staatlichen Stellen und Parteigremien (AA 15.12.2016). Die Kontrolle der Gerichte durch politische Institutionen ist ein verfassungsrechtlich verankertes Prinzip (ÖB 11.2016). Die KP dominiert das Rechtssystem auf allen Ebenen und erlaubt Parteifunktionären, Urteile und Verurteilungen zu beeinflussen. Die Aufsicht der KP zeigt sich besonders in politisch heiklen Fällen durch die Anwendung sog. "Leitlinien". Während Bürger in nicht-politischen Fällen ein gewisses Maß an fairer Entscheidung erwarten können, unterliegen diejenigen, die politisch sensible Fragen oder die Interessen mächtiger Gruppen berühren, diesen "Leitlinien" der politisch-juristischen Ausschüsse (FH 1.2017a). Seit dem vierten Jahresplenum des 18. Zentralkomitees 2014 betont die Führung die Rolle des Rechts und ergriff Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität gerichtlicher Verfahren und zum Aufbau eines "sozialistisches Rechtssystem chinesischer Prägung" unter dem Motto "yi fa zhi guo", wörtlich "den Gesetzen entsprechend das Land regieren". Echte Rechtsstaatlichkeit im Sinne der Achtung des Legalitätsprinzips in der Verwaltung und der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit wird dabei aber dezidiert abgelehnt. Das in den Beschlüssen reflektierte Verständnis von Recht soll die Macht des Staates, dh. der Partei, keinesfalls einschränken, sondern vielmehr stärken (ÖB 11.2016).

Die wichtigste Einrichtung der KP zur Kontrolle des Rechtssystems ist die Kommission des Zentralkomitees für Politik und Recht (ZKPR). Das ZKPR ist in unterschiedlichen Unter-Formaten auf jeder gerichtlichen Ebene verankert, wobei die jeweiligen Ebenen der übergeordneten Ebene verantwortlich sind. Die Macht des Komitees, das auf allen Ebenen auf Verfahren Einfluss nimmt, wurde auch seit den Beschlüssen des Vierten Plenums der KP im Oktober 2014 bewusst nicht angetastet (ÖB 11.2016).

Die Richter-Ernennung erfolgt auf Provinzebene durch Rechtskomitees, welchen hochrangige Partei-Funktionäre angehören und welche von einem KP-Inspektorat überwacht werden. Richter sind verpflichtet, über Einflussnahmen seitens lokaler Politiker auf Verfahren Bericht zu erstatten. Es ist für Richter schwierig, zwischen "Unabhängigkeit" von lokalen politischen Einflüssen, und Loyalität zur KP-Linie (welche regelmäßig miteinander und mit einflussreichen Wirtschafts- und Privatinteressen verbunden sind) zu navigieren. Trotz laufender Reformbemühungen gibt es - vor allem auf unterer Gerichtsebene - noch immer einen Mangel an gut ausgebildeten Richtern (ÖB 11.2016).

Ein umfassender Regelungsrahmen unterhalb der gesetzlichen Ebene soll "Fehlverhalten" von Justizbeamten und Staatsanwälten in juristischen Prozessen unterbinden. Das Oberste Volksgericht (OVG) unter seinem als besonders "linientreu" geltenden Präsidenten und die Oberste Staatsanwaltschaft haben in ihren Berichten an den Nationalen Volkskongress im März 2014 in erster Linie gefordert, "Falschurteile" der Gerichte zu verhindern, die Richterschaft an das Verfassungsverbot von Folter und anderen Zwangsmaßnahmen bei Vernehmungen zu erinnern und darauf hinzuweisen, dass Verurteilungen sich nicht allein auf Geständnisse stützen dürfen. Die Regierung widmet sowohl der juristischen Ausbildung als auch der institutionellen Stärkung von Gerichten und Staatsanwaltschaften seit mehreren Jahren große Aufmerksamkeit (AA 15.12.2016).

Das umstrittene System der "Umerziehung durch Arbeit" ("laojiao") wurde aufgrund entsprechender Beschlüsse des 3. Plenums des ZK im November 2013 offiziell am 28.12.2013 abgeschafft. Es liegen Erkenntnisse vor, wonach diese Haftanstalten lediglich umbenannt wurden, etwa in Lager für Drogenrehabilitation, rechtliche Erziehungszentren oder diese als schwarze Gefängnisse weiter genutzt werden (AA 15.12.2016).

Mit der letzten großen Novellierung 2013 sieht die Strafprozessordnung genaue Regeln für Festnahmen vor, führt den "Schutz der Menschenrechte" an und verbietet Folter und Bedrohung bzw. Anwendung anderer illegaler Methoden zur Beweisermittlung. Es besteht jedoch eine teilweise erhebliche Divergenz zwischen den Rechtsvorschriften und deren Umsetzung, und werden diese zum Zwecke der Unterdrückung von politisch unliebsamen Personen instrumentalisiert. Laut Strafprozessordnung müssen auch im Falle einer Festnahme wegen Terrorismus, der Gefährdung der Staatssicherheit oder der schwerwiegenden Korruption die Angehörigen von in Untersuchungshaft sitzenden Personen innerhalb von 24 Stunden über die Festnahme informiert werden, nicht jedoch über den Grund der Festnahme oder über den Aufenthaltsort. Zudem besteht diese Informationspflicht nicht, wenn durch diese Information die Ermittlungen behindert würden - in diesen Fällen müssen Angehörige erst nach 37 Tagen informiert werden. Was eine "Behinderung der Ermittlung" bedeutet, liegt im Ermessen der Polizei, es gibt kein Rechtsmittel dagegen. Da Verdächtige sich formell in Untersuchungshaft befindet, muss der Ort der Festhaltung laut Gesetz auch in diesen Fällen eine offizielle Einrichtung sein. Der Aufenthaltsort kann auch außerhalb offizieller Einrichtungen liegen. Diese Möglichkeit wurde mit der Strafprozessnovelle 2012 eingeführt und von Rechtsexperten wie dem Rapporteur der UN-Working Group on Enforced or Involuntary Disappearances wegen des inhärenten Folterrisikos als völkerrechtswidrig kritisiert (ÖB 11.2016; vgl. AI 22.2.2017).

Willkürliche Verhaftungen oder Hausarrest ("soft detention") ohne gerichtliche Verfahren kommen häufig vor. Die Staatsorgane griffen verstärkt auf den "Hausarrest an einem festgelegten Ort" zurück - eine Form der geheimen Inhaftierung ohne Kontakt zur Außenwelt, die es der Polizei erlaubt, eine Person für die Dauer von bis zu sechs Monaten außerhalb des formellen Systems, das die Inhaftierung von Personen regelt, und ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand der eigenen Wahl, zu Familienangehörigen oder anderen Personen der Außenwelt festzuhalten. Dadurch wurden diese Personen der Gefahr ausgesetzt, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden. Diese Inhaftierungspraxis dient dazu, die Tätigkeit von Menschenrechtsverteidigern - einschließlich der von Rechtsanwälten, politisch engagierten Bürgern und Angehörigen von Religionsgemeinschaften - zu unterbinden (ÖB 11.2016; vgl. AA 15.12.2016, AI 22.2.2017).

Im Zusammenhang mit verwaltungsstrafrechtlich bewehrten rechtswidrigen Handlungen kann die Polizei zudem "Verwaltungsstrafen" verhängen. Diese Strafen reichen von Ermahnungen über Geldbußen bis hin zu einer "Verwaltungshaft" (ohne richterliche Entscheidung) von bis zu 15 Tagen. Der Aufenthalt in den offiziell nicht existenten "black jails" kann zwischen wenigen Tagen und in einigen Fällen langjährigen Haftaufenthalten variieren (AA 15.12.2016).

Das 2013 in Kraft getretene revidierte Strafverfahrensgesetz verbessert v.a. die Stellung des Verdächtigen/Angeklagten und der Verteidigung im Strafprozess; die Umsetzung steht aber in der Praxis in weiten Teilen noch aus. Auch der Zeugenschutz wird gestärkt. Chinesische Experten gehen davon aus, dass die Durchsetzung dieser Regeln viele Jahre erfordern wird (AA 15.12.2016). Der Schutz jugendlicher Straftäter wurde erhöht (ÖB 11.2014).

2014 wurden schrittweise weitere Reformen eingeleitet, darunter die Anordnung an Richter, Entscheidungen über ein öffentliches Onlineportal zugänglich zu machen sowie ein Pilotprojekt in sechs Provinzen um die Aufsicht über Bestellungen und Gehälter auf eine höhere bürokratische Ebene zu verlagern. Beim vierten Parteiplenum im Oktober 2014 standen Rechtsreformen im Mittelpunkt. Die Betonung der Vorherrschaft der Partei über das Rechtssystem und die Ablehnung von Aktionen, die die Unabhängigkeit der Justiz erhöhen würden, wurde jedoch beibehalten. Dies führte zu Skepsis hinsichtlich der tatsächlichen Bedeutung der Reform (FH 1.2015a).

Das chinesische Strafgesetz hat die früher festgeschriebenen "konterrevolutionären Straftaten" abgeschafft und im Wesentlichen durch Tatbestände der "Straftaten, welche die Sicherheit des Staates gefährden" (Art. 102-114 chin. StG) ersetzt. Danach können vor allem Personen bestraft werden, die einen politischen Umsturz/Separatismus anstreben oder das Ansehen der VR China beeinträchtigen. Gerade dieser Teil des Strafgesetzes fällt durch eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe auf (AA 15.12.2016). Die Regierung hat weitere Gesetze zur nationalen Sicherheit ausgearbeitet und verabschieden lassen, die eine ernste Gefahr für den Schutz der Menschenrechte darstellen. Das massive landesweite Vorgehen gegen Menschenrechtsanwälte und politisch engagierte Bürger hielt das ganze Jahr über an (AI 22.2.2017). Prozesse, bei denen die Anklage auf Terrorismus oder "Verrat von Staatsgeheimnissen" lautet, werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Was ein Staatsgeheimnis ist, kann nach chinesischer Gesetzeslage auch rückwirkend festgelegt werden. Angeklagte werden in diesen Prozessen weiterhin in erheblichem Umfang bei der Wahrnehmung ihrer Rechte beschränkt. U.a. wird dem Beschuldigten meist nicht erlaubt, Verteidiger seiner Wahl zu beauftragen; nur in seltenen Ausnahmefällen wird vom Gericht überhaupt eine Verteidigung bestellt (AA 15.12.2016).

Auch 2016 setzten sich die Übergriffe der Behörden auf Menschenrechtsanwälte das ganze Jahr hindurch mit Verhaftungen und strafrechtlichen Verfolgungen fort (FH 1.2017a). Rechtsanwälte, die in kontroversen Fällen tätig wurden, mussten mit Drangsalierungen und Drohungen seitens der Behörden rechnen, und in einigen Fällen wurde ihnen die weitere berufliche Tätigkeit verboten. Dies hatte zur Konsequenz, dass der Zugang der Bürger zu einem gerechten Gerichtsverfahren sehr stark eingeschränkt war. Mangelhafte nationale Gesetze und systemische Probleme im Strafrechtssystem hatten weitverbreitete Folter und anderweitige Misshandlungen sowie unfaire Gerichtsverfahren zur Folge (AI 22.2.2017).

Seit der offiziellen Abschaffung der administrativen "Umerziehung durch Arbeit" im Jänner 2014 werden Menschenrechtsaktivisten vermehrt auf Basis der Strafrechtstatbestände der Unruhestiftung oder des Separatismus verurteilt und somit in Strafhaft gesperrt, wobei aufgrund der vagen Tatbestände ein strafrechtsrelevanter Sachverhalt relativ leicht kreiert werden kann (ÖB 11.2016). Häufig wurden Anklagen wegen "Untergrabung der staatlichen Ordnung", "Untergrabung der Staatsmacht", "Anstiftung zum Separatismus" "Anstiftung zu Subversion" oder "Weitergabe von Staatsgeheimnissen", sowie "Weitergabe nachrichtendienstlicher Informationen an das Ausland" erhoben und langjährige Gefängnisstrafen verhängt (ÖB 11.2016; vgl. AI 22.2.2017).

Wegen der mangelnden Unabhängigkeit der Justiz wählen viele Betroffene von Behördenwillkür den Weg der Petition bei einer übergeordneten Behörde (z.B. Provinz- oder Zentralregierung). Petitionen von Bürgern gegen Rechtsbrüche lokaler Kader in den Provinzen nehmen zu. Allein in Peking versammeln sich täglich Hunderte von Petenten vor den Toren des staatlichen Petitionsamts, um ihre Beschwerde vorzutragen. Chinesischen Zeitungsberichten zufolge werden pro Jahr landesweit ca. 10 Mio. Eingaben eingereicht. Petenten aus den verschiedenen Provinzen werden häufig von Schlägertrupps im Auftrag der Provinzregierungen aufgespürt und in ihre Heimatregionen zurückgebracht. Zwischen Februar und April 2014 wurden verschiedene Reformen des Petitionssystems verabschiedet, die eine schnellere Bearbeitung und Umstellung auf mehr Online-Plattformen beinhaltet. Das 4. Plenum des Zentralkomitees der KP hat im Oktober 2014 weitere Schritte zur Regelung des Petitionswesens getroffen, deren Umsetzung aber noch aussteht. Diese Reformen werden von Beobachtern dafür kritisiert, dass sie die Effektivität der Bearbeitung der Petitionen kaum steigern, sondern vor allem dazu dienen, Petitionäre von den Straßen Pekings fernzuhalten (AA 15.12.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): China - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Innenpolitik_node.html#doc334570bodyText5, Zugriff 2.8.2017

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AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - China, http://www.ecoi.net/local_link/336465/479116_de.html, Zugriff am 18.8.2017

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FH - Freedom House (1.2017a): Freedom in the World 2017 - China, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2017/china, Zugriff 17.8.2017

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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