Entscheidungsdatum
22.02.2019Norm
BBG §40Spruch
W238 2205943-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Claudia MARIK als Vorsitzende und die Richterin Mag. Julia JERABEK sowie den fachkundigen Laienrichter Dr. Ludwig RHOMBERG als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 20.08.2018, OB XXXX , betreffend Abweisung des Antrags auf Ausstellung eines Behindertenpasses zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die nunmehrige Beschwerdeführerin beantragte am 25.05.2018 die Ausstellung eines Behindertenpasses.
2. Das Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien (im Folgenden als belangte Behörde bezeichnet), holte in weiterer Folge ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Innere Medizin ein. In dem - auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 02.07.2018 - erstatteten Gutachten vom 06.07.2018 wurde als Ergebnis der Begutachtung die festgestellte Funktionseinschränkung der Leidensposition
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos.Nr.
GdB %
1
Zöliakie Eine Stufe über dem unteren Rahmensatz, da lebenslange Diät erforderlich
09.03.01
20
zugeordnet und
nach der Einschätzungsverordnung ein Gesamtgrad der Behinderung von 20 v.H. festgestellt. Es handle sich um einen Dauerzustand.
3. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 20.08.2018 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß §§ 40, 41 und 45 BBG abgewiesen, da die Beschwerdeführerin mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 20 v.H. die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfülle. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien dem Sachverständigengutachten zu entnehmen, das einen Bestandteil der Begründung bilde. Als Beilage zum Bescheid wurde der Beschwerdeführerin das Sachverständigengutachten vom 06.07.2018 übermittelt.
4. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde. Darin wurde lediglich ausgeführt, dass sie mit der Entscheidung betreffend Ausstellung eines Behindertenpasses nicht einverstanden sei.
5. Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt langten am 19.09.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
6. Mit Mängelbehebungsauftrag vom selben Tag trug das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerdeführerin die Verbesserung ihrer Beschwerde auf, da die Eingabe den Anforderungen an eine Beschwerde gemäß § 9 Abs. 1 VwGVG nicht genügte. Die Beschwerdeführerin wurde unter Hinweis auf die Säumnisfolgen aufgefordert, binnen zwei Wochen ab Zustellung der Verfügung die Gründe bekanntzugeben, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit des Bescheides stützt, und ein Begehren an das Bundesverwaltungsgericht zu richten.
7. Mit Eingabe vom 04.10.2018 übermittelte die Beschwerdeführerin dem Bundesverwaltungsgericht fristgerecht eine verbesserte Beschwerde. Darin führte sie aus, dass sie schon ihr ganzes Leben unter Zöliakie leide. Sie müsse einer strikten Diät folgen, ansonsten würden lebensgefährliche Symptome, insbesondere eine starke Anämie, auftreten. Es bestehe zudem die Gefahr, an Darmkrebs zu erkranken. Obwohl sie sich seit drei Jahren glutenfrei ernähre, bekomme sie starke Bauchkrämpfe, wenn sie unwissentlich Gluten zu sich nehme. Aufgrund der Einschätzung ihrer Behinderung mit 20 v.H. könne sie keinen Steuerfreibetrag in Anspruch nehmen, obwohl viele glutenfreie Lebensmittel viel mehr als normale Lebensmittel kosten würden. Abschließend ersuchte die Beschwerdeführerin darum, dass ihre Erkrankung mit einem Grad der Behinderung von 25 v.H. eingestuft werde, damit sie die mit der Zöliakie verbundenen Kosten steuerlich absetzen könne. Der Beschwerde wurden ein Schreiben der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft Zöliakie aus dem Jahr 2014 an den (damaligen) Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz sowie dessen Antwortschreiben beigelegt.
8. Das Bundesverwaltungsgericht richtete in der Folge ein Ersuchen an den mit der Erstellung des Sachverständigengutachtens vom 06.07.2018 befassten Facharzt für Innere Medizin, sein Gutachten unter Berücksichtigung der anlässlich der Beschwerde erhobenen Einwendungen zu ergänzen. In dem daraufhin aufgrund der Aktenlage erstellten Gutachten vom 29.10.2018 führte der Sachverständige im Wesentlichen Folgendes aus:
"1) Stellungnahme zu den Einwendungen in der Beschwerdeergänzung vom 04.10.2018:
Durch die im Gutachten getroffene Einschätzung ‚Cöliakie 20%' ist die notwendige Diäteinhaltung ausreichend berücksichtig; ausschließlich diätetische Maßnahmen ermöglichen die Aufrechterhaltung der Körperfunktionen; die Krankheit ist unter Diäteinhaltung weitgehend stabil; das Auftreten eines Dünndarm-Lymphoms (bekannte mögliche Spätkomplikation der Erkrankung) kann durch Diäteinhaltung vermieden werden, ebenso die von der Antragswerberin geschilderten Bauchkrämpfe; die erhöhten Kosten bei der Beschaffung glutenfreier Lebensmittel spielen bei der gutachterlichen Beurteilung keine Rolle, diese zielt ausschließlich auf das Ausmaß von Funktionsbeeinträchtigungen ab.
Weder bestehen häufige Durchfälle, noch liegt eine Beeinträchtigung des Allgemein- und Ernährungszustandes vor, welche eine höhere Einschätzung, als die im Gutachten vom 06.07.2018 getroffene, rechtfertigen würden.
Im Akt befindet sich noch die ärztliche Bestätigung des Arztes für
Allgemeinmedizin ... vom 29.09.2017, in der folgende Diagnosen
angeführt sind:
Zöliakie
rezidivierende Anämie
St.p. höhergradigem Eisenmangel
Hypoproteinämie
Hypotonie
Die Zöliakie wurde richtsatzgemäß eingeschätzt (siehe oben), die Eisenmangelanämie ist durch Einhaltung der glutenfreien Diät nunmehr nicht mehr nachweisbar; bestätigende Befunde (Laborbefunde) über einen Eiweißmangel wurden bei der Begutachtung am 02.07.2018 nicht vorgelegt; eine Hypotonie wurde bei der Untersuchung am 02.07.2018 nicht objektiviert.
2) Bedingen die Einwendungen eine Änderung der bisherigen Einschätzung?
Die Einwendungen der Antragswerberin und die vorliegenden Unterlagen bedingen weder die Einschätzung eines neuen Leidens, noch eine höhere Einschätzung des bereits eingeschätzten Leidens; es ergibt sich auch kein höherer Gesamtgrad der Behinderung als im Gutachten vom 06.07.2018."
9. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 31.10.2018 wurden die Beschwerdeführerin und die belangte Behörde über das Ergebnis der Beweisaufnahme informiert und ihnen in Wahrung des Parteiengehörs Gelegenheit eingeräumt, binnen zwei Wochen eine Stellungnahme dazu abzugeben. In diesem Zusammenhang wurde mitgeteilt, dass das Bundesverwaltungsgericht in Aussicht nehme, über die Beschwerde ohne Abhaltung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung aufgrund der Aktenlage zu entscheiden, sofern eine mündliche Verhandlung vor Gericht nicht ausdrücklich beantragt wird.
10. In einem Schreiben der Beschwerdeführerin vom 20.11.2018 trat sie dem Sachverständigengutachten vom 29.10.2018 nicht entgegen, sondern richtete ein Auskunftsersuchen betreffend die Inanspruchnahme von Steuererleichterungen an das Bundesverwaltungsgericht.
11. Am 28.11.2018 wurde dem Ehemann der Beschwerdeführerin telefonisch mitgeteilt, dass das Bundesverwaltungsgericht für die Beschwerdeführerin nicht beratend tätig werden könne. Die Beschwerdeführerin wurde in diesem Zusammenhang an Behindertenverbände bzw. an das zuständige Finanzamt verwiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin beantragte am 25.05.2018 die Ausstellung eines Behindertenpasses.
Sie hat ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.
Bei der Beschwerdeführerin besteht folgende Funktionseinschränkung, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern wird:
- Zöliakie: unter Diäteinhaltung weitgehend stabil, keine Beeinträchtigung des Allgemein- und Ernährungszustandes, kein Nachweis häufiger Durchfälle, einer Eisenmangelanämie, eines Eiweißmangels oder einer Hypotonie.
Hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin bestehenden Funktionseinschränkung, deren Ausmaßes und medizinischer Einschätzung werden die diesbezüglichen Beurteilungen im Sachverständigengutachten eines Facharztes für Innere Medizin vom 06.07.2018 sowie in dessen Ergänzungsgutachten vom 29.10.2018 der nunmehrigen Entscheidung zugrunde gelegt.
Der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin beträgt 20 v. H.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Der Zeitpunkt der Einbringung des Antrags ist dem Akteninhalt zu entnehmen.
2.2. Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, ergibt sich aus dem im Verwaltungsakt einliegenden Auszug aus dem Zentralen Melderegister.
2.3. Der festgestellte Gesamtgrad der Behinderung gründet sich auf das im Verwaltungsverfahren eingeholte internistische Sachverständigengutachten vom 06.07.2018 und das vom Bundesverwaltungsgericht dazu eingeholte Ergänzungsgutachten vom 29.10.2018. Darin wurde auf das Leiden der Beschwerdeführerin und dessen Ausmaß vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen.
Einbezogen wurden vom befassten Sachverständigen die im Verfahren vorgelegten Befunde und Unterlagen, die im Übrigen nicht in Widerspruch zur gutachterlichen Beurteilung stehen und kein höheres Funktionsdefizit dokumentieren, als anlässlich der Begutachtung festgestellt werden konnte.
Der vorliegende Sachverständigenbeweis vom 06.07.2018 und 29.10.2018 wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes für schlüssig erachtet. Die getroffene Einschätzung, basierend auf dem im Rahmen einer persönlichen Untersuchung sowie aufgrund der Aktenlage erhobenen Befund, entspricht der festgestellten Funktionseinschränkung (diesbezüglich wird auch auf die auszugsweise wiedergegebenen Ausführungen in den Gutachten verwiesen); die Gesundheitsschädigung wurde nach den Bestimmungen der Einschätzungsverordnung auch korrekt eingestuft.
Diesbezüglich ist im Lichte der - in der nachfolgenden rechtlichen Beurteilung teilweise wiedergegebenen - Anlage zur Einschätzungsverordnung festzuhalten, dass die bei der Beschwerdeführerin bestehende Zöliakie im internistischen Sachverständigengutachten vom 06.07.2018 zutreffend der Positionsnummer 09.03.01 mit einem Rahmensatz von 20 v.H. (eine Stufe über dem unteren Rahmensatz) zugeordnet wurde. Berücksichtigt wurde bei dieser Einschätzung insbesondere der Umstand, dass eine lebenslange Diät erforderlich ist.
Die Einwendungen im Rahmen der Beschwerde waren nicht geeignet, eine Änderung des Ermittlungsergebnisses herbeizuführen, zumal diese vom befassten Sachverständigen in seinem Ergänzungsgutachten vom 29.10.2018 gehörig gewürdigt und in fachlicher Hinsicht entkräftet wurden.
Zum Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach die Gefahr bestehe, an Darmkrebs zu erkranken, führte der befasste Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten nachvollziehbar aus, dass das Auftreten eines Dünndarm-Lymphoms durch Diäteinhaltung vermieden werden kann. Dasselbe gilt für die von der Beschwerdeführerin geschilderten Bauchkrämpfe. Im Ergänzungsgutachten wurde weiters schlüssig ausgeführt, dass die Erkrankung der Beschwerdeführerin unter Diäteinhaltung weitgehend stabil ist. Im Rahmen der klinischen Untersuchung und anhand der Befundlage konnten weder eine Beeinträchtigung des Allgemein- und Ernährungszustandes noch häufige Durchfälle festgestellt werden. Auch wurden keine aktuellen (Labor-)Befunde über das Vorliegen einer Eisenmangelanämie, eines Eiweißmangels oder einer Hypotonie in Vorlage gebracht.
Schließlich wurde seitens des befassten Sachverständigen zutreffend darauf hingewiesen, dass die von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführten Kosten für die Beschaffung glutenfreier Lebensmittel bei der gutachterlichen Beurteilung, die sich lediglich auf Art und Ausmaß der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen zu stützen hat, keine Rolle spielen.
Die Beschwerdeführerin, der es der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zufolge freigestanden wäre, durch Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen ihrer Wahl die getroffene Einschätzung des Sachverständigen zu entkräften, ist weder dem von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten noch dem vom Bundesverwaltungsgericht dazu eingeholten Ergänzungsgutachten auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten. Ebenso wenig wurden diesen Gutachten widersprechende Beweismittel vorgelegt.
Die Beschwerdeführerin ist dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Ergänzungsgutachten im Rahmen des Parteiengehörs auch nicht mehr entgegengetreten, sondern richtete in ihrem Schreiben vom 20.11.2018 lediglich ein Auskunftsersuchen hinsichtlich der Inanspruchnahme von Steuererleichterungen an das Bundesverwaltungsgericht.
Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des vorliegenden Sachverständigenbeweises vom 06.07.2018 und 29.10.2018. Er wird in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat unter Mitwirkung eines fachkundigen Laienrichters ergeben sich aus §§ 6, 7 BVwGG iVm § 45 Abs. 3 und 4 BBG.
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
3.2. Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:
"BEHINDERTENPASS
§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist."
"§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.
(...)"
"§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
(...)"
"§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
(...)"
3.3. §§ 2 und 3 der Einschätzungsverordnung, BGBl. II 261/2010 idF BGBl. II 251/2012, sehen Folgendes vor:
"Grad der Behinderung
§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.
(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.
(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen."
"Gesamtgrad der Behinderung
§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.
(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.
Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.
(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn
-
sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,
-
zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.
(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine."
3.4. Die Anlage zur Einschätzungsverordnung, BGBl. II 261/2010 idF BGBl. II 251/2012, sieht - soweit für den Beschwerdefall relevant - auszugsweise Folgendes vor (geringfügige Formatierungsänderungen durch das Bundesverwaltungsgericht):
"09.03.01 Stoffwechselstörungen leichten Grades 10 - 40 %
Wenn therapeutische Maßnahmen die Aufrechterhaltung der Körperfunktionen gewährleisten. Je umfassender die Therapiemaßnahmen desto höher die Einschätzung.
10 - 20%:
Ausschließlich diätetische Maßnahmen ermöglichen die Aufrechterhaltung der Körperfunktionen. Die Erkrankung ist weitgehend stabil. Arbeits- und Alltagsleben ist weitgehend ungehindert möglich. Freizeitgestaltung ist nicht oder wenig eingeschränkt.
30 - 40%:
Zusätzliche therapeutische Maßnahmen sind notwendig, um die Körperfunktionen aufrecht zu halten. Die Erkrankung ist weitgehend stabil. Arbeits- und Alltagsleben ist weitgehend ungehindert möglich. Freizeitgestaltung ist nicht oder wenig eingeschränkt."
3.5. Zunächst ist festzuhalten, dass der Grad der Behinderung im Beschwerdefall nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen war. Bei ihrer Beurteilung hat sich die Behörde eines oder mehrerer Sachverständiger zu bedienen, wobei es dem Antragsteller freisteht, zu versuchen, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. VwGH 30.04.2014, 2011/11/0098; 21.08.2014, Ro 2014/11/0023; 20.05.2015, 2013/11/0200).
Gegenständlich wurde mit Blick auf das von der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten zwecks Beurteilung des Beschwerdevorbringens vom Bundesverwaltungsgericht ein ergänzendes Gutachten des bereits befassten Facharztes für Innere Medizin eingeholt. Die aufgrund einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin sowie auf Basis der Aktenlage erstatteten Gutachten entsprechen den von der Judikatur (sowie von der Einschätzungsverordnung) aufgestellten Anforderungen.
3.6. Wie oben unter Punkt II.2.3. eingehend ausgeführt, werden der gegenständlichen Entscheidung die schlüssigen Sachverständigengutachten vom 06.07.2018 und 29.10.2018 zugrunde gelegt, wonach der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin 20 v. H. beträgt. Wie ebenfalls bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt wurde, waren die Einwendungen in der Beschwerde nicht geeignet, den Sachverständigenbeweis zu entkräften, zumal das seitens des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholte ergänzende Gutachten von der Beschwerdeführerin letztlich unwidersprochen blieb.
Es ist daher davon auszugehen, dass der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin zum Entscheidungszeitpunkt 20 v.H. beträgt.
Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 20 v.H. sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen ist, nicht erfüllt.
Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass bei einer Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Einschätzung des Grades der Behinderung nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG in Betracht kommt.
3.7. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung
3.7.1. Nach § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen (§ 24 Abs. 1 VwGVG). Wurde - wie im vorliegenden Fall - kein entsprechender Antrag gestellt, ist die Frage, ob von Amts wegen eine Verhandlung durchgeführt wird, in das pflichtgemäße - und zu begründende - Ermessen des Verwaltungsgerichts gestellt, wobei die in § 24 Abs. 2, 3, 4 und 5 leg.cit. normierten Ausnahmebestimmungen als Anhaltspunkte der Ermessensübung anzusehen sind (vgl. zur insofern gleichartigen Regelungsstruktur des § 67d Abs. 1 und 2 bis 4 AVG [alte Fassung] die Darstellung bei Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 17 und 29, mwH). Gemäß Abs. 3 leg.cit. hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Gemäß Abs. 4 leg.cit. kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
3.7.2. Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde sowie aus dem im Verfahren vor der belangten Behörde eingeholten internistischen Sachverständigengutachten und dem im Beschwerdeverfahren dazu eingeholten Ergänzungsgutachten. Diesen - vom erkennenden Gericht als schlüssig erachteten - Gutachten ist die Beschwerdeführerin weder auf gleicher fachlicher Ebene noch durch ein sonst substantiiertes Vorbringen entgegengetreten. Das über Veranlassung des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholte ergänzende Gutachten, das auf die Einwendungen in der Beschwerde in fachlicher Hinsicht eingeht, blieb im Rahmen des Parteiengehörs seitens der Beschwerdeführerin der Sache nach unwidersprochen. Die strittigen Tatsachenfragen gehören dem Bereich an, der von Sachverständigen zu beleuchten ist. All dies lässt - gerade auch vor dem Hintergrund des Umstandes, dass eine Verhandlung nicht beantragt wurde - die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.
3.7.3. Ergänzend ist im Beschwerdefall aus dem Blickwinkel von Art. 6 EMRK (Art. 47 GRC) auf den Umstand hinzuweisen, dass die Beschwerdeführerin vom Bundesverwaltungsgericht bei Einräumung des Parteiengehörs auf die Möglichkeit hingewiesen wurde, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu beantragen, indem ihr seitens des Verwaltungsgerichtes mitgeteilt wurde, dass - sollte sie eine mündliche Verhandlung vor Gericht nicht ausdrücklich beantragen - eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung in Aussicht genommen werde. Die Beschwerdeführerin hat daraufhin keinen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung gestellt.
Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat die Beschwerdeführerin die Durchführung einer Verhandlung bereits in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Zu den einen Entfall der Verhandlung nach Art. 6 EMRK rechtfertigenden Umständen gehört auch der (ausdrückliche oder schlüssige) Verzicht auf die mündliche Verhandlung. Nach der Rechtsprechung kann die Unterlassung eines Antrags auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung von der Rechtsordnung unter bestimmten Umständen als (schlüssiger) Verzicht auf eine solche gewertet werden. Zwar liegt ein solcher Verzicht dann nicht vor, wenn eine unvertretene Partei weder über die Möglichkeit einer Antragstellung belehrt wurde, noch Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie von dieser Möglichkeit hätte wissen müssen (vgl. VfSlg. 16.894/2003 und 17.121/2004; VwGH 26.04.2010, 2004/10/0024; VwGH 12.08.2010, 2008/10/0315; VwGH 30.01.2014, 2012/10/0193). Dies ist hier aber angesichts des erwähnten Umstands eines entsprechenden Hinweises an die Beschwerdeführerin und der ihr explizit eingeräumten Gelegenheit zur Antragstellung nicht der Fall. Die unterbliebene Antragstellung kann vor diesem Hintergrund als schlüssiger Verzicht im Sinne der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 EMRK gewertet werden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die angewendeten Teile des Bundesbehindertengesetzes und der Einschätzungsverordnung sind - soweit im Beschwerdefall relevant - eindeutig. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Behindertenpass, Grad der Behinderung, SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W238.2205943.1.00Zuletzt aktualisiert am
16.05.2019