Entscheidungsdatum
06.03.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W159 2184674-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI über die Beschwerde von XXXX, geboren am XXXX, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.12.2017, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.02.2019 zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unbegründet abgewiesen.
II. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unbegründet abgewiesen.
III. In Stattgebung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides wird ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) auf Dauer unzulässig ist.
IV. Gemäß § 58 Abs. 2 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 AsylG 2005 wird
XXXX eine "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, schiitischen moslemischen Glaubens und ledig gelangte mit seiner Familie (spätestens) am 10.07.2015 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Am nächsten Tag erfolgte die Erstbefragung durch die LPD XXXX, XXXX.
Zu seinen Fluchtgründen führte er aus, er habe mit seiner Familie illegal im Iran gelebt und sie als afghanischer Flüchtling sehr schlecht behandelt worden seien. Der Beschwerdeführer habe keine Schule besuchen dürfen und hätte Angst gehabt nach Afghanistan abgeschoben zu werden.
In der Niederschrift bei der belangten Behörde gab der Beschwerdeführer nachgefragt an, er könne Deutsch auf B1 Niveau. Er erzählte, dass sein älterer Bruder in Finnland leben würde. Er habe Afghanistan im Alter von drei Jahren mit seiner Familie verlassen und habe 17 Jahre im Iran gelebt und habe vier Jahre eine afghanische Hausschule besucht. Danach habe er auf Baustellen und vier Jahre in einer Tischlerei als Hilfsarbeiter gearbeitet. Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, dass ein Onkel nach Afghanistan abgeschoben worden sei. Die Familie wisse nicht, was mit ihm passiert sei. Seine Mutter habe eine Schwester und einen Bruder, die in Pakistan leben würden. Die Familie würde nicht mit ihnen in Kontakt stehen. Die Familie hätte keine Verwandten in Afghanistan.
Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer an, dass die Taliban seinen Vater geschlagen und einen seiner Brüder getötet hätten, als er ein kleines Kind gewesen sei. Seine Eltern hätten in Folge Afghanistan verlassen um ihre Kinder zu schützen. Die Taliban seien gegen die Hazara gewesen und die Familie würde der Volksgruppe der Hazara angehören. Er hätte mit seinen Eltern über vergangene Dinge nicht gesprochen, da dies seine Eltern an alte Zeiten erinnern und sie psychisch belasten würde.
Der Beschwerdeführer legt eine Kursbestätigung für den Pflichtschulabschluss, Deutschzertifikate für A1, A2 und B1, 4 Teilnahmebestätigungen für Deutschkurse, eine Bestätigung über Einsatz als Dolmetscher beim XXXX sowie eine Arbeitsbestätigung vor.
Mit dem im Spruch angeführten Bescheid der belangten Behörde vom 22.12.2017, wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 07.06.2016 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 sowie des eines subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 Abs 1 abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß §§ 57 AsylG nicht erteilt. Die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan sei zulässig. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
Die belangte Behörde führte aus, dass der Beschwerdeführer mit seinen Eltern als Kleinkind Afghanistan verlassen habe. Zu diesem Zeitpunkt habe der Beschwerdeführer noch keine eigenen Fluchtgründe gehabt. Der Beschwerdeführer habe nunmehr den Iran verlassen, weil er eine Abschiebung nach Afghanistan oder möglicherweise befürchte von den Iranern nach Syrien in den Krieg geschickt zu werden. Die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sei nur vorgesehen, wenn dem Fremden im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne der GFK drohe. Der Herkunftsstaat sei jener Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besäße. Da der Beschwerdeführer bei der Antragstellung volljährig gewesen sei, liege kein Familienverfahren vor. Der Antrag auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes sei dann abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative offen stünde. Nach der Rechtsprechung des VwGH ist bei der Beurteilung betreffend die Zuerkennung vom subsidiären Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Die reale Gefahr müsse sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohend Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein sowie ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu fallen. Der VwGH habe auf die Rechtsprechung des EGMR in jüngst ergangenen Erkenntnissen hingewiesen, wonach die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert sei, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde (Ra 2015/01/0134). Der EGMR gehe, auf die Afghanistan-Richtlinien des UNHCR gestützt, davon aus, dass die Übersiedlung in einen anderen Teil Afghanistan zumutbar sei, wenn Schutz durch die eigene Großfamilie, Gemeinschaft oder den Stamm am Zielort verfügbar sei. Alleinstehende Männer und Kleinfamilien sei es unter bestimmten Umständen auch möglich, ohne Unterstützung durch die Familie und Gemeinschaft in städtischen oder halbstädtischen Gebieten mit existenter Infrastruktur und unter effektiver staatlicher Kontrolle zu überleben. Aus den herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen ergebe sich zunächst, dass die aktuelle Situation in Afghanistan unverändert weder sicher noch stabil sei, doch variiere die Sicherheitslage von Provinz zu Provinz und von Distrikt zu Distrikt. Aus den Feststellungen zur Sicherheitslage in der Provinz und Stadt Kabul, (andere Regionen kämen nicht in Betracht), könne nicht abgeleitet werden, dass für jede dort lebende oder dorthin zurückkehrende Person das reale Risiko einer Verletzung der durch Art. 2 und 3 EMRK sowie Protokoll Nr. 6 zur EMRK geschützten Güter mit einer derartigen Wahrscheinlichkeit drohe, dass dies zur Gewährung von subsidiären Schutz führen müsste. Die afghanische Regierung hätte die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren, die Sicherheitsverantwortung sei bei der afghanischen Armee und Polizei und schwere sicherheitsrelevante Zwischenfälle seien deutlich reduziert worden. Kabul sei für Normalbürger, die nicht mit Ausländern zusammenarbeiten eine sichere und gute erreichbare Stadt und sogenannte Gefährdungsquellen seien in reinen Wohngebieten nicht anzunehmen. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wohnraum in Kabul würde sich insbesondere für alleinstehende Rückkehrer ohne familiären Rückhalt und finanzielle Unterstützung auch schwierig erweisen, jedoch der Beschwerdeführer sei mobil, gesund sowie anpassungs- und arbeitsfähig und mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Heimatlandes vertraut.
Der Beschwerdeführer bevollmächtigte am 16.01.2018 die XXXX, zur rechtlichen Vertretung in Asylangelegenheiten.
Am 24.01.2018 langte die fristgerecht eingebrachte Beschwerde, wegen inhaltlicher Rechtwidrigkeit, unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens aufgrund fehlerhafter bzw. unzureichender Ermittlungen und mangelhafter Beweiswürdigung, gegen alle Spruchpunkte ein.
Der Vater des Beschwerdeführers sei von den Taliban zusammengeschlagen worden, der älteste Sohn entführt und später getötet worden. Die Narben beim Vater des Beschwerdeführers seien noch heute sichtbar. Die Eltern des Beschwerdeführers seien mit dem Beschwerdeführer und den anderen Kindern in den Iran geflohen. Da die Familie keinen legalen Aufenthaltstitel gehabt hätte, hätte der Beschwerdeführer nicht die Schule besuchen dürfen. Die Familie sei nunmehr nach Österreich geflüchtet, weil sie befürchten würde, dass die Söhne in den Krieg nach Syrien abgeschoben werden würden.
Die Eltern des Beschwerdeführers hätten in der Befragung eindeutig ausgesagt, dass er wegen seines Religionsbekenntnisses und der Volksgruppenzugehörigkeit Probleme mit den Taliban gehabt hätte. Die belangte Behörde habe einen komplett falschen Sachverhalt der Beweiswürdigung zugrunde gelegt. Es sei auch unlogisch und unwahrscheinlich anzunehmen, dass die Taliban nur den ältesten Sohn der Familie aufgrund seiner Konfession umbringen würden und die restliche Familie verschonen würden. Wahrscheinlicher erscheine, dass der älteste Sohn zwangsrekrutiert worden sei, da er sich für die Taliban im interessanten, wehrfähigen Alter befunden hätte. Detaillierte Ermittlungen seien von der belangten Behörde unterlassen worden. Es sei auch fraglich, ob die auch geflohenen Eltern des Beschwerdeführers in Kabul überlebensfähig seien.
Die belangte Behörde hätte auch unzureichende Länderfeststellungen der Beurteilung zugrunde gelegt. Die Lage in ganz Afghanistan habe sich derart verschlechtert, dass bei Rückführung eine Verletzung der Art. 2 und 3 EMRK bestehen würde wie auch ein Bericht aus dem Standard vom 05.10.2017
(http://derstandard.at/20000065325848/Von-Europa-nach-AfghanistanRueckkehr-in-ein-Land-der-Gewalt). Laut einem Amnesty-Bericht würden die Menschen Gewalt, Verfolgung und Folter erwarten. Afghanistan sei so gefährlich wie lange nicht.
Aufgrund des mangelhaften Ermittlungsverfahrens und der mangelhaften Beweiswürdigung seien unrichtige Feststellungen getroffen worden. Zufolge von Berichten (UNHCR, ACCORD) seien die Hazara besonderer Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt.
Am 12.02.2019 fand eine Verhandlung am Bundesverwaltungsgericht statt, an welcher der Beschwerdeführer und die Familienglieder des Beschwerdeführers (Vater, Mutter, Schwester, mj. Bruder) als Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer, ein Rechtsvertreter, ein Zeuge und eine Dolmetscherin teilnahmen. Am 29.01.2018 teilte die belangte Behörde mit, dass sie auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung verzichte.
Der Zeuge, österreichischer Staatsbürger wurde nach Wahrheitserinnerung und Belehrung über die Entschlagungsgründe befragt. Er gab an, dass die erwachsenen Kinder, insbesondere die Schwester des Beschwerdeführers von Anfang an sehr um ihre Integration bemüht gewesen seien. Es war von Anfang an erkennbar, dass sie die Chance, die sie in Österreich haben auch nützen würden. Sie hätten sehr schnell einen Deutschkurs absolviert um die Aufnahme für den Kurs zur Ablegung des Pflichtschulabschlusses zu erreichen. Er würde die Schwester des Beschwerdeführers als eine "westlich orientierte" Frau bezeichnen. Sie sei sehr selbstständig, oft alleine unterwegs. Sie besuche zurzeit das Abendgymnasium in XXXX. Sie hätten regelmäßig Kontakt via Messenger. Er würde mit der ganzen Familie befreundet sein.
Die Mutter des Beschwerdeführers würde der Zeuge, unter Rücksichtnahme auf ihr Alter und ihre Herkunft als modern denkende Frau bezeichnen. Sie würde betonen, dass sie den Lebensstil in Europa schätze, und gewähre ihren Kindern alle Freiheiten. Wenn der Zeuge zu Besuch komme, würde sie auch ihn umarmen. Die Mutter übernehme viel Verantwortung für die Familie, verwalte das Haushaltsbudget und würde sich auch regelmäßig in Begleitung der erwachsenen Kinder in den Schulen, nach dem jüngeren Bruder des Beschwerdeführers erkundigen.
Der Richter setzte die Verhandlung mit der Befragung des volljährigen Beschwerdeführers fort. Er brachte vor, sein Vorbringen und seine Beschwerde aufrechtzuerhalten. Er brachte vor, dass der Nachname der Familie mit "u" geschrieben werde, nicht mir "o". Er sei afghanischer Staatsangehöriger, der Volksgruppe der Hazara zugehörig und schiitischen Glaubens. Er sei etwa drei Jahre alt gewesen, als die Familie in den Iran gezogen sei und könne sich an Afghanistan nicht mehr erinnern. Die Eltern hätten Afghanistan verlassen, um das Leben ihrer Kinder zu schützen. Persönlich hätte er in Afghanistan mit staatlichen Behördenorganen, bewaffneten Gruppierungen wie den Taliban oder Privatpersonen keine Probleme gehabt. Danach hätte er 17 Jahre illegal im Iran gelebt, vier Jahre lang, in einer Hausschule, Unterricht nur für Afghanen bekommen, illegal auf Baustellen und als Tischler gearbeitet. Es sei ein schwieriges Leben im Iran gewesen. Die Familie hätte immer die Angst gehabt, nach Afghanistan abgeschoben oder in den Krieg nach Syrien geschickt zu werden. In seiner Umgebung seien immer wieder Jugendliche in den Krieg geschickt worden. Er hätte keine Verwandte in Afghanistan oder mit irgendjemandem in Afghanistan Kontakt. Auf die Frage was er derzeit in Österreich mache antwortete der Beschwerdeführer auf Deutsch: "Ich gehe ins Fitnessstudio. Ich habe im Sommer auf einem Gurkenfeld als Erntehelfer gearbeitet. Ich habe auch bei der Renovierung des Flüchtlingsheimes geholfen. Es gibt einen Garten in unserer Unterkunft. Ich betreue gemeinsam mit meinem Vater diesen Garten und pflanze Gemüse an. Ich begleite auch meinen Vater oder meine Mutter manchmal beim Einkaufen. Wenn meine Eltern krank sind, gehe ich mit ihnen zum Arzt, um zu dolmetschen. Auch in die Schule meines jüngeren Bruders gehe ich gemeinsam mit meinen Eltern." Er habe Deutschdiplome bis zum Niveau B1 und den Pflichtschulabschluss absolviert sowie den Deutschkurs B2 besucht. Auf die Frage des Richters, ober er bei irgendwelchen Vereinen oder Institutionen sei, antwortete er auf Deutsch: "Ja, bei uns gibt es den Verein XXXX. Wir treffen uns manchmal zum Frühstück oder sprechen gemeinsam und spielen gemeinsam Karten. Dort sind hauptsächlich Österreicher. Es gibt wenige Asylwerber." Der Beschwerdeführer hätte österreichische Freunde und eine österreichische Freundin. Da ein enger familiärer Zusammenhalt bestehe, würden alle Familienmitglieder noch in einem Haushalt leben. Seine Eltern würden auch Unterstützung im Alltag benötigen, zum Beispiel, wenn sie zum Arzt müssten, weil der Vater krank sei oder den Einkauf erledige. Der Beschwerdeführer sei sehr froh, dass seine Schwester hier nach ihrem Willen leben könne. Seine Familie würde sich mit den ÖsterreicherInnen sehr wohl fühlen. Man würde sich gegenseitig besuchen. So etwas sei im Iran nicht möglich gewesen. Die Mutter würde ihnen nahelegen, dass es hier Freiheiten geben würde, jedoch sie dürften niemandem einen Schaden zufügen. Er würde die offene Denkweise seiner Eltern, obwohl sie Analphabeten seien, sehr schätzen. Der Beschwerdeführer würde sich selbst nicht als streng religiösen Schiiten bezeichnen.
Der Beschwerdeführer erzählte dem Richter, er hätte als Tischler und Bauarbeiter im Iran gearbeitet und würde auch gerne in Österreich in diesem Bereich tätig sein. Er hätte schon viele Bewerbungen geschrieben, an Bewerbungsgesprächen teilgenommen, er hätte jedoch leider auch viele Absagen bekommen. Von den Leuten sei ihm versprochen worden, dass sie etwas für ihn finden würden, doch bedauerlicherweise sei bis jetzt nichts gefunden worden.
Zu einer möglichen Rückkehr nach Afghanistan, sagte der Beschwerdeführer er hätte Afghanistan nicht bewusst wahrgenommen, er sei dort nicht aufgewachsen und würde sich mit der Kultur nicht auskennen. Er hätte dort niemanden. Auf den Vorhalt des Richters:
"Sie sind ein junger, gesunder und arbeitsfähiger, volljähriger Mann, der auch schon Schulbildung erhalten hat und Erfahrungen im Berufsleben hat. Könnten Sie nicht in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif ein neues Leben starten?", antwortete er, er könne es nicht. Er hätte dort niemanden von seiner Familie. Er würde seine Familie benötigen und seine Familie würde ihn brauchen, Afghanistan sei ein unsicheres Land. Seine persönliche Meinung über andere Religionen sei, dass alle Religionen gleich seien, es gäbe keine Unterschiede. Alle könnten miteinander leben, alle seien Menschen, es gäbe keine Unterschiede.
Die verlesene Strafregisterauszug zeigt keine Verurteilung des Beschwerdeführers.
In der Stellungnahme vom 19.02.2019 wurde angeführt, dass die Rechtsprechung klar zeigen würden, dass unter dem Begriff des Familienlebens in Artikel 8 EMRK nicht nur die Kernfamilie erfasst werden würde, sondern auch andere nahe verwandtschaftliche Beziehungen, wenn eine hinreichende Intensität erreicht werden würde. Maßgebliche Kriterien seien unter anderem das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Art und die Dauer der Beziehung sowie das Interesse und die Bindung aneinander. Die bisherige Spruchpraxis würde bereits solche zwischen Enkel und Großeltern, zwischen Geschwistern und zwischen Onkel bzw. Tanten und Neffen bzw. Nichten anerkannt haben. Von der Kommission sei als Familienleben auch die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern anerkannt worden (EKMR 06.10.181, B 9202/80, EUGRZ 1983, 215). Der VfGH habe in zwei Erkenntnissen klargestellt, das in Bezug auf eine Aufenthaltsbeendigung das persönliche Interesse eines Fremden an einem Verbleib in Österreich (Artikel 8 EMRK) mit den öffentlichen Interessen abzuwägen sei (29.09.2007, Zl. B328/07 und Zl. B 1150/07). Im Fall des Beschwerdeführers sei aus den Einvernahmen deutlich erkennbar, dass zwischen diesem und der Familie seit seiner Geburt eine intensive Beziehung bestehen würde. Sein Leben sei nach wie vor mit einem Leben eines x-beliebigen Minderjährigen mit seiner Familie vergleichbar. Das Alter hätte keine Änderungen im Leben des Beschwerdeführers bewirkt.
Es müsse auch bedacht werden, dass sich die Situation in Afghanistan bzw. in Kabul dermaßen verändert hätte, sodass Kabul nicht mehr als eine Fluchtalternative in Frage komme. Aus den LIB sei zu entnehmen, dass die Zahl der zivilen Opfer in einer bedenklichen Stärke zugenommen hätte. Der VfGH (E3870/2018) habe ebenfalls eine erkennbare Position gefasst, sodass eine Rückschiebung nach Kabul gegen verfassungsrechtlich gewährleistete Rechte verstoßen würde: " .... Zivilisten, die in Kabul tagtäglich ihren wirtschaftlichen oder sozialen Aktivtäten nachgehen, Gefahr laufen, Opfer der allgegenwärtigen in der Stadt bestehenden Gefahr zu werden. Zu solchen Aktivitäten zählen etwa der Weg zur Arbeit und zurück, die Fahrt in Krankenhäuser und Kliniken, der Weg zur Schule; den Lebensunterhalt betreffende Aktivitäten, die auf den Straßen der Stadt stattfinden, wie Straßenverkäufe; sowie der Weg zum Markt, in die Moschee oder an andere Orte, an denen viele Menschen zusammentreffen. ..." (UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 30.08.2018, 127f)
Eine Rückschiebung sei rechtswidrig. Noch offensichtlicher werde die Rechtswidrigkeit der Rückschiebung mit den erschwerenden Umständen des Beschwerdeführers ersichtlich.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zur Person des Beschwerdeführers wird Folgendes festgestellt:
Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Afghanistan, der Volksgruppe der Hazara zugehörig und schiitischen Glaubens. Er ist am 10.07.2015 in das Bundesgebiet eingereist und hat gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Er verließ Afghanistan mit etwa drei Jahren und lebte 17 Jahre mit seinen Eltern und Geschwistern im Iran. Er spricht Dari, hat vier Jahre eine afghanische Hausschule besucht und als Bauarbeiter und Tischler gearbeitet. Die Familie hat den Iran aus Angst verlassen, da der Beschwerdeführer und eventuell später sein Bruder in den Krieg nach Syrien geschickt bzw. nach Afghanistan abgeschoben werden sollten. Es besteht ein enger familiärer Zusammenhalt, alle Familienmitglieder leben in einem Haushalt und er unterstützt seine Eltern und seine Schwester im Alltag.
Der Beschwerdeführer nahm am Deutsch- und Integrationskurs bis zum Niveau B2/2 teil, absolvierte die Deutsch- und Integrationskursprüfung auf dem Level B1 und den Pflichtschulabschluss. Er arbeitete freiwillig beim XXXX als Dolmetscher und ist Mitglied beim Verein XXXX. Dieser Verein ist u. a. im Bereich der Integration von Ausländern in Österreich tätig. Die meisten Mitglieder dieses Vereins sind Österreicher. Er arbeitete im Sommer als Erntehelfer auf einem Gurkenfeld, half bei der Renovierung des Flüchtlingsheims und im Garten der Unterkunft. Er hat schon viele Bewerbungen geschrieben und ist glaubhaft daran interessiert Arbeit zu finden. Er antwortete dem Richter spontan im guten Deutsch bei den Fragen zu seiner Integration.
Der Beschwerdeführer hat österreichische Freundinnen und Freunde ,mit welchen er seine Freizeit verbringt. Er hat eine Beziehung zu einer Österreicherin. Seine Familie und der Beschwerdeführer fühlen sich wohl in der Gesellschaft der österreichischen Freundinnen und Freunde.
Der Beschwerdeführer ist froh, dass seine Schwester nach ihrem Willen in Österreich leben kann. Er schätzt seine Eltern ob ihrer offenen Denkweise. Er bezeichnet sich nicht als streng religiösen Schiiten.
Der Beschwerdeführer ist nicht in Afghanistan aufgewachsen, hat die afghanische Kultur nicht bewusst wahrgenommen und verfügt dort über kein familiäres Netzwerk. Seine Tante und sein Onkel mütterlicherseits leben in Pakistan. Sein Onkel väterlicherseits ist verschollen. Seine Mutter, sein Vater, der mj. Bruder und seine volljährige Schwester erhielten den Asylstatus in Österreich. Er lebt nach wie vor mit ihnen im Familienverband und hat eine enge Beziehung zu diesen und hilft diesen regelmäßig.
Zur allgemeinen Lage in Afghanistan und der Situation des Beschwerdeführers bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt (Ausschnitte aus den LIB):
"Kabul"
Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan. im Nordosten an Kapisa. im Osten an Laghman. an Nangarhar im Südosten. an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar. Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami. Chaharasyab/Char Asiab. Dehsabz/Deh sabz. Estalef/Istalif. Farza. Guldara. Kabul Stadt. Kalakan. Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar. Mirbachakot/Mir Bacha Kot. Musayi/Mussahi. Paghman. Qarabagh. Shakardara. Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z).
Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).
In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen. Tadschiken. Hazara. Usbeken. Turkmenen. Belutschen. Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an. dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten. Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018).
Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018; vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.9.2017; vgl. Kapitel 3.35.).
Allgemeine Information zur Sicherheitslage
Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.
Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).
Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.
Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).
Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul
Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem
Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.3.2018).
Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul
Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani- Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vgl. NYT 9.3.2018, VoA 1.6.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (AAN 5.2.2018).
Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an (AAN 5.2.2018).
Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte) (ACLED 23.2.2018).
"Hazara"
Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus (CIA Factbook 18.1.2018; CRS 12.1.2015). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azärajät) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden (BFA Staatendokumentation 7.2016); andererseits gehören ethnische Hazara hauptsäch dem schiitischen Islam an (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. AJ 27.6.2016, UNAMA . Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten (BFA Staatendokumentation 7.2016).
Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (BFA Staatendokumentation 7.2016).
Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (BFA Staatendokumentation 7.2016). Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der TalibanHerrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert (AA 5.2018; vgl. IaRBoC 20.4.2016); vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet (CRS 12.1.2015; vgl. GD 2.10.2017). Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht (BFA Staatendokumentation 7.2016). Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert (GD 2.10.2017).
So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Einer Quelle zufolge existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Einer weiteren Quelle zufolge, beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft (IaRBoC 20.4.2016). So berichtet eine weitere Quelle, dass Arbeitsplatzanwerbung hauptsächlich über persönliche Netzwerke erfolgt (IaRBoC 20.4.2016; vgl. BFA/EASO 1.2018); Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke (IaRBoC 20.4.2016).
Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018); soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (USDOS 20.4.2018).
"Grundversorgung und Wirtschaft"
Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188 (UNDP 2016). Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist (IWF 8.12.2017; vgl. WB 10.4.2018). Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden (SCA 22.5.2018). Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (WB 10.4.2018).
Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich 6% prognostiziert (IWF 8.12.2017). Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1.4% aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3.4% bzw. 1.8%. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3% zurückgingen und die Importe um 8% stiegen (UN GASC 27.2.2018).
Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit
Schätzungen zufolge leben 74,8% der Bevölkerung in ländlichen und 25,2% in städtischen Gebieten (CSO 4.2017). Für ungefähr ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle (SCA 22.5.2018; vgl. AF 14.11.2017). In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet (WB 10.4.2018). Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt (SCA 22.5.2018). Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. SCA 22.5.2018). Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80% davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner) (SCA 22.5.2018). Ungefähr 47,3% der afghanischen Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt, 60% unter 24 Jahre. Daher muss die Versorgung der jungen Bevölkerungsschichten seitens einer viel geringeren Zahl von Erwachsenen gewährleistet werden; eine Herausforderung, die durch den schwachen Arbeitsmarkt verschlimmert wird. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden. Gemäß einer Umfrage von Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 wird von 70,6% der Befragten die Arbeitslosigkeit als eines der größten Probleme junger Menschen in Afghanistan zwischen 15 und 24 Jahren gesehen (AF 14.11.2017).
Projekte der afghanischen Regierung
Im Laufe des Jahres 2017 hat die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen unternommen, um die Rechenschaftspflicht bei der Umsetzung ihrer Entwicklungsprioritäten durch die hohen Entwicklungsräte zu fördern (UN GASC 27.2.2018). Darunter fällt u.
a. der fünfjährige (2017 - 2020) Nationale Rahmen für Frieden und Entwicklung in Afghanistan (The Afghanistan National Peace and Development Framework, ANPDF) zur Erreichung der Selbständigkeit. Ziele dieses strategischen Plans sind u. a. der Aufbau von Institutionen, die Förderung von privaten Investitionen, Wirtschaftswachstum, die Korruptionsbekämpfung, Personalentwicklung usw. (WP 10.4.2018.; vgl. GEC 29.1.2017). Im Rahmen der Umsetzung dieses Projekts hat die Regierung die zehn prioritären nationalen Programme mithilfe der Beratung durch die hohen Entwicklungsräte weiterentwickelt. Die Implementierung zweier dieser Projekte, des "Citizens' Charter National Priority Program" und des "Women's Economic Empowerment National Priority Program" ist vorangekommen. Die restlichen acht befinden sich in verschiedenen Entwicklungsstadien (UN GASC 27.2.2018).
Das "Citizens' Charter National Priority Program" z. B. hat die Armutsreduktion und die Erhöhung des Lebensstandards zum Ziel, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden sollen. Die erste Phase des Projektes sollte ein Drittel der 34 Provinzen erfassen und konzentrierte sich auf Balkh, Herat, Kandahar und Nangarhar. Ziel des Projekts ist es, 3,4 Mio. Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser zu verschaffen, die Gesundheitsdienstleistungen, das Bildungswesen, das Straßennetz und die Stromversorgung zu verbessern, sowie die Zufriedenheit und das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu steigern. Des Weiteren zielt das Projekt darauf ab, Binnenvertriebene, Behinderte, Arme und Frauen besser zu integrieren (WB 10.10.2016).
Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TD 28.12.2017).
"Rückkehr"
Als Rückkehrer/innen werden jene afghanische Staatsbürger/innen bezeichnet, die nach Afghanistan zurückgekehrt sind, nachdem sie mindestens sechs Monate im Ausland verbracht haben. Dazu zählen sowohl im Ausland registrierte Afghan/innen, die dann die freiwillige Rückkehr über UNHCR angetreten haben, als auch nicht-registrierte Personen, die nicht über UNHCR zurückgekehrt sind, sondern zwangsweise rückgeführt wurden. Insgesamt sind in den Jahren 2012-2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt. Die Anzahl der Rückkehrer/innen hat sich zunächst im Jahr 2016 im Vergleich zum Zeitraum 2012-2015, um 24% erhöht, und ist im Jahr 2017 um 52% zurückgegangen. In allen drei Zeiträumen war Nangarhar jene Provinz, die die meisten Rückkehrer/innen zu verzeichnen hatte (499.194); zweimal so viel wie Kabul (256.145) (IOM/DTM 26.3.2018). Im Jahr 2017 ehrten IOM zufolge insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück (sowohl freiwillig, als auch zwangsweise) (IOM 2.2018). Im Jahr 2018 kehrten mit Stand
21.3. 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (759 davon kamen aus Pakistan). Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (IOM 7.7.2017). Im Rahmen des Tripartite Agreement (Drei-Parteien-Abkommen) unterstützt UNHCR die freiwillige Repatriierung von registrierten afghanischen Flüchtlingen aus Pakistan und Iran. Insgesamt erleichterte UNHCR im Jahr 2017 die freiwillige Rückkehr von 58.817 Personen (98% aus Pakistan sowie 2% aus Iran und anderen Ländern) (UNHCR 3.2018). Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen (USDOS 20.4.2018).
Nichtsdestotrotz versucht die afghanische Regierung die gebildete Jugend, die aus Pakistan zurückkehrt, aufzunehmen (BTI 2018). Von den 2.1 Millionen Personen, die in informellen Siedlungen leben, sind 44% Rückkehrer/innen. In den informellen Siedlungen von Nangarhar lebt eine Million Menschen, wovon 69% Rückkehrer/innen sind. Die Zustände in diesen Siedlungen sind unterdurchschnittlich und sind besonders wegen der Gesundheits- und Sicherheitsverhältnisse besorgniserregend. 81% der Menschen in informellen Siedlungen sind Ernährungsunsicherheit ausgesetzt, 26% haben keinen Zugang zu adäquatem Trinkwasser und 24% leben in überfüllten Haushalten (UN OCHA 12.2017). Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen (BFA Staatendokumentation; vgl. AAN 19.5.2017). Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für
Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig (BFA Staatendokumentation 4.2018). Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozial-kapital die wichtigste Ressource zu sein, die Anzahl der Rückkehrer/innen aus dem Ausland nach Provinzen (IOM/DT 26.3.2018) Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017). So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Hierfür stand bislang das Jangalak-Aufnahmezentrum zur Verfügung, das sich direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AAN 19.5.2017) und wo Rückkehrende für die Dauer von bis zu zwei Wochen untergebracht werden konnten (BFA Staatendokumentation 4.2018; IOM 6.2012). Im Jangalak Aufnahmezentrum befanden sich 24 Zimmer, mit jeweils 2-3 Betten. Jedes Zimmer war mit einem Kühlschrank, Fernseher, einer Klimaanlage und einem Kleiderschrank ausgestattet (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AAN 19.5.2017). Seit September 2017 nutzt IOM nicht mehr das Jangalak-Aufnahmezentrum, sondern das Spinzar Hotel in Kabul als temporäre Unter-bringungsmöglichkeit. Auch hier können Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. IOM 18.4.2018).
Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig:
IOM (internationale Organisation für Migration) bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an (Assisted Voluntary Return and Reintegration - AVRR). In Österreich wird das Projekt Restart II seit 1.1.2017 vom österreichischen IOM Landesbüro implementiert, welches vom österreichischen Bundesministerium für Inneres und AMIF (dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU) mitfinanziert wird. Im Zuge dieses Projektes können freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und in den Iran, nachhaltig bei der Reintegration in ihr Herkunftsland unterstützt werden. Das Projekt läuft mit 31.12.2019 aus und sieht eine Teilnahme von 490 Personen vor (BFA Staatendokumentation; vgl. IOM 25.1.2018).
IOM setzt im Zuge von Restart II unterschiedliche Maßnahmen um, darunter Rückkehr - und Reintegrationsunterstützung (BFA Staatendokumentation; vgl. IOM 25.1.2018). In Kooperation mit Partnerninstitutionen des European Reintegration Network (ERIN) wird im Rahmen des ERIN Specific Action Program, nachhaltige Rückkehr und Reintegration freiwillig bzw. zwangsweise rückgeführter Drittstaatangehöriger in ihr Herkunftsland implementiert (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. IOM Belgium o.D.). IRARA (International Returns & Reintegration Assistance) eine gemeinnützige Organisation bietet durch Reintegrationsdienste nachhaltige Rückkehr an (BFA Staatendokument-ation 4.2018; vgl. IOM 25.1.2018). ACE (Afghanistan Centre for Excellence) ist eine afghanische Organisation, die Schulungen und Arbeitsplatzvermittlung anbietet. AKAH (Aga Khan Agency for Habitat) ist in mehreren Bereichen tätig, zu denen auch die Unterstützung von Rückkehrer/innen zählt. Sowohl ACE als auch AKAH sind Organisationen, die im Rahmen von ERIN Specific Action Program in Afghanistan tätig sind (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. IRARA o. D., IOM 25.1.2018). AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation) bietet zwangsweise zurückgekehrten Personen aus Europa und Australien Beratung und Unterstützung an (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. FB o.D.). Unter anderem betreibt AMASO ein Schutzhaus, welches von privaten Spendern finanziert wird (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AAN 19.5.2017).
NRC (Norwegian Refugee Council) bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an (BFA Staatendok-umentation 4.2018). Auch hilft NRC Rückkehrer/innen bei Grundstücksstreitigkeiten (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017). Kinder von Binnenvertriebenen und speziell von Rückkehrer/innen aus Pakistan sollen auch die Möglichkeit haben die Schule zu besuchen. NRC arbeitet mit dem afghanischen Bildungsministerium zusammen, um Schulen mit Unterrichtsmaterialien zu unterstützen und die Kapazitäten in diesen Institutionen zu erweitern. IDPs werden im Rahmen von Notfallprogrammen von NRC mit Sachleistungen, Nahrungsmitteln und Unterkunft versorgt; nach etwa zwei Monaten soll eine permanente Lösung für IDPs gefunden sein.
Auch wird IDPs finanzielle Unterstützung geboten: pro Familie werden zwischen 5.000 und 14.000 Afghani Förderung ausbezahlt (BFA Staatendokumentation 4.2018). Das Internationale Komitee des XXXXes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017).
UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017). UNHCR und die Weltbank haben im November 2017 ein Abkommen zur gemeinsamen Datennutzung unterzeichnet, um die Reintegration afghanischer Rückkehrer/innen zu stärken. UNHCR leitet Initiativen, um nachhaltige Lösungen in den Provinzen Herat und Nangarhar zu erzielen, indem mit nationalen Behörden/Ministerien und internationalen Organisationen (UNICEF, WHO, IOM, UNDP, UN Habitat, WFP und FAO) zusammengearbeitet wird. Diese Initiativen setzen nationale Pläne in gemeinsame Programme in jenen Regionen um, die eine hohe Anzahl an Rückkehrer/innen und Binnen-vertriebenen vorzuweisen haben (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl UNHCR 13.12.2017). Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AAN 19.5.2017) - alle Leistungen sind kostenfrei (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Info Migrants 2.1.2018). Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AAN 19.5.2017). Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017).
Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung
Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft (wenngleich sich das Jangalak- Aufnahmezentrum bis September 2017 direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand, wurde dieses dennoch von IOM betrieben und finanziert). Seit 2016 erhalten die Rückkehr/innen nur Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (siehe Jangalak-Aufnahmezentrum) (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017). Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AAN 19.5.2017). Ausführliche Informationen zu den Programmen und Maßnahmen der erwähnten Organisationen sowie weitere Unterstützungsmaßnahmen können dem FFM-Bericht Afghanistan 4.2018 entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.
Die Rolle unterschiedlicher Netzwerke für Rückkehrer/innen
Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. BFA/EASO 1.2018). Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017). Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. BFA/EASO 1.2018). Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. BFA/EASO 1.2018). Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. BFA/EASO 1.2018). Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Landinfo 19.9.2017). Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017).
Afghanische Flüchtlinge in Pakistan
Die pakistanische Regierung hat die Gültigkeit der PoR-Cards (Proof of Registration Cards) für die 1.4 Millionen afghanische Flüchtlinge im Land bis 30.6.2018 verlängert - vorbehaltlich der Prüfung nach den bevorstehenden Bundeswahlen in Pakistan und der Ernennung des neuen Kabinetts. Zusätzlich hat NADRA (National Database and Registration Authority) damit begonnen, die sogenannte Afghan Citizen Card (ACC) an 878.000 nicht registrierte Afghanen zu verteilen, die sich seit 16.8.2017 in 21 Registrierungszentren in Pakistan haben registrieren lassen; bis 28.2.2018 wurden der Registrierungsprozess für die ACC abgeschlossen, die Zentren bleiben nach wie vor offen, um die Karten zu verteilen. Die Karten sind bis 30.6.2018 gültig; deren Besitzer sind verpflichtet bis dahin nach Afghanistan zurückzukehren, um Dokumente zu beantragen (einen afghanischen Pass und ein Visum für Pakistan) bevor sie nach Pakistan zurückkehren. Die restlichen rund 200.000 nicht-registrierten Afghan/innen könnten möglicherweise einer Deportation ausgesetzt sein. Bis 12.3.2018 erhielten 175.321 ihre ACC (IOM 20.3.2018).
Afghanische Flüchtlinge im Iran
Die letzten zwei bis drei Jahre zeigen doch auf eine progressivere Entwicklung für Afghanen im Iran, wo sich die Maßnahmen der iranischen Behörden auf einen höheren Integrationsgrad der Afghanen zubewegen. Die freiwillige Rückkehr der afghanischen Flüchtlinge ist immer noch das Hauptziel der iranischen Flüchtlingspolitik, aber man hat eingesehen, dass dies im Moment nicht in größerem Maße geschehen kann. Deshalb versucht man Maßnahmen zu ergreifen, die die Situation für die Afghanen verbessern, während man darauf wartet, dass eine Rückkehr stattfinden kann. Es gibt heute einen politischen Willen, die Fähigkeit der Afghanen, sich besser selbst zu versorgen und selbstständiger zu werden, zu unterstützen, aber gleichzeitig sind die Ressourcen des Iran begrenzt und dies bedeutet eine große Herausforderung für die iranischen Behörden. Es gibt auch von den iranischen Behörden nicht zuletzt aus sicherheitsmäßigen Aspekten Interesse daran, mehr Kenntnisse über die Anzahl der sich illegal im Land aufhaltenden Staatsbürger zu erhalten. Dieses hatte zur Folge, dass die iranischen Behörden im Jahr 2017 mit einer Zählung (headcount) und der Registrierung der Afghanen, die sich illegal im Land aufhalten, begonnen haben. In dieser ersten Runde hat man einige ausgewählte Kategorien priorisiert, beispielsweise nicht-registrierte Afghanen, die mit iranischen Staatsbürgern verheiratet sind und Kinder in der Schule haben (BFA/Migrations-verket 10.4.2018). Trotz aller Kritik sind sich UNHCR und NGOs einig, dass dem Iran im Umgang mit afghanischen Flüchtlingen mehr Anerkennung zusteht, als ihm zuteil wird (AN 17.3.2018). So haben sich die Zugangsmöglichkeiten für afghanische Flüchtlinge zum Gesundheits- und Bildungswesen sowie zu sozialen Absicherungsmaßnahmen in Iran verbessert (BFA/Migrationsverket 10.4.2018; vgl. AN 17.3.2017, EN 26.10.2017, DW 22.9.2017). Der Iran hat einen Präzedenzfall geschaffen, indem allen Flüchtlingen im Land Zugang zur öffentlichen Gesundheitsversicherung Salamat Universal Public Health Insurance (UPHI) eröffnet wurde; diese Versicherung ist jenen Versicherungslei