TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/13 L518 2195963-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.03.2019
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Entscheidungsdatum

13.03.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18 Abs1 Z1
BFA-VG §18 Abs5
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.2
EMRK Art.3
EMRK Art.8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

L518 2195963-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Markus Steininger als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Republik Armenien, vertreten durch die Mutter XXXX , geb. XXXX , diese vertreten durch RA Mag. Reichenvater, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.01.2019, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 idgF iVm §§ 9, 18 (1) BFA-VG, BGBl I Nr. 87/2012 idgF sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG 2005, BGBl 100/2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

I.1. Die beschwerdeführende Partei (in weiterer Folge als "bP" bezeichnet) ist das mj. Kind der XXXX , am XXXX geb. und des XXXX , geboren am XXXX . Diese brachten nach rechtswidriger und schlepperunterstützter Einreise in das Bundesgebiet am 23.7.2010 erstmals für sich und das erstgeborene gemeinsame mj. Kind einen Antrag auf internationalen Schutz ein, welcher mit Bescheiden des Bundesasylamtes (nunmehr Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl - auch BFA) vom 19.1.2011, Zlen. 10 06.473-BAT, 10 06.476-BAT und 10 10.612-BAT auf der Rechtsgrundlage der §§ 3, 8 Abs. 1 Z. 1 und § 10 Abs. 1 Z. 2 AsylG 2005, BGBl I 2005/100 idgF abschlägig entschieden wurde.

Dem dagegen eingebrachten Rechtsmittel der Beschwerde wurde mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 10.3.2011, Zlen. E13 417.640-1/2011-6E, E13 417.639-1/2011-6E und E13 417.641-1/2011-6E keine Folge gegeben und die Entscheidung erster Instanz bestätigt.

Am 17.5.2011 neuerlich eingebrachte Anträge auf internationalen Schutz wurde mit erstinstanzlichen Bescheiden vom 27.5.2011, Zlen. 11 04.784-EAST-Ost, 11 04.785-EAST-Ost und 11 04.786-EAST-Ost, gem. § 68 Abs. 1 AVG 1991, BGBl. I Nr. 51/1991 idgF zurückgewiesen. (Spruchpunkt I.). Gem. § 10 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 wurden sie aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Armenien ausgewiesen (Spruchpunkt II.).

Mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 8.6.2011, Zlen. E10 417.640-2/2011/3E, E10 417.639-2/2011/3E und E10 417.641-2/2011/3E wurden die Rechtsmittel der Beschwerde gem. § 68 Abs. 1 AVG 1991, BGBl. Nr. 51/1991 idgF und §§ 75 Abs. 4, 10 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005, BGBl I 2005/100 idgF abgewiesen.

Am 17.1.2012 abermals eingebrachte Anträge auf internationalen Schutz (der nunmehr dritte Antrag) wurden mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 16.2.2012, Zlen. 12 00.763-EAST-Ost, 12 00.759-EAST-Ost und 12 00.760-EAST-Ost gem. § 68 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl. Nr. 51/1991 idgF (AVG) zurückgewiesen und die Beschwerdeführer gem. § 10 Abs. 1 Z. 1 aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich nach Armenien ausgewiesen.

Mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 07.03.2012 wurden die Rechtsmittel der Beschwerde gem. § 68 Abs. 1 AVG 1991, BGBl. Nr. 51/1991 idgF. und §§ 75 Abs. 4, 10 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005, BGBl I 2005/100 idgF abgewiesen.

I.2. Auch der Antrag des in Österreich geborenen Bruders der bP, XXXX , geb. XXXX , wurde zwischenzeitlich vollinhaltlich rechtskräftig abgewiesen. Der Antrag auf internationalen Schutz der weiteren Schwester der bP, XXXX , geb. XXXX , wurde ebenfalls negativ beschieden.

I.3. Am 26.06.2014 brachte die Mutter für den mj. Beschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz ein und wurde dazu erstbefragt. Sie gab an, dass er keine Familienangehörigen in Armenien habe, noch nie in Armenien gewesen und in Österreich geboren sei. Die Fluchtgründe des Vaters würden auch für die bP gelten.

Am 23.10.2015 wurden Unterlagen zur Integration des Vaters der bP vorgelegt.

Am 21.09.2016 wurde die Mutter der bP vor der belangten Behörde einvernommen und legte eine Geburtsurkunde der bP vor.

I.4. Der Antrag der bP auf internationalen Schutz wurde folglich mit im Spruch ersichtlichen Bescheid der belangten Behörde gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10

(3) AsylG, 9 BFA-VG, 52 Abs. 2 Z 2 FPG wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gem. § 46 FPG nach Armenien zulässig ist. (Spruchpunkt III.). Der Beschwerde gegen die Entscheidung wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV).

I.5. Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde insofern stattgegeben, als der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verwiesen wurde.

I.6. Am 28.01.2019 wurde die Mutter der bP als gesetzliche Vertretung vor der bB (belangten Behörde) einvernommen.

Hierbei gab sie an, wieder schwanger zu sein.

I.7. Der Antrag der bP auf internationalen Schutz wurde folglich mit im Spruch genannten Bescheid der bB gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien nicht zugesprochen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig sei. Der Beschwerde wurde gem. § 18 (1) Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Eine Frist zur freiwilligen Ausreise wurde nicht gewährt.

I.7.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung hielt die bB fest:

Betreffend die Feststellungen zu Ihrer Person:

Ihre Identität konnte festgestellt werden. Dienlich dafür war die Vorlage Ihrer österreichischen Geburtsurkunde.

Dass Sie minderjährig sind und dass XXXX (Mutter) und XXXX (Vater) Ihre Eltern sind, ergeht es aus dem vorgelegten Dokument. Sämtliche Umstände im Hinblick auf Ihre Person ergeben sich aus den Angaben Ihrer Eltern. Abgeleitet vom Ermittlungsergebnis im Asylverfahren Ihrer Eltern ergibt sich auch Ihre Nationalität, Volksgruppenzugehörigkeit und religiöse Gesinnung. Die Feststellung, dass Ihre Muttersprache Armenisch ist, ergibt sich aus der Tatsache, dass Ihre Eltern selbst diese Sprache beherrschen und deren weitere Fremdsprachenkompetenz, insbesondere was Deutsch betrifft, erst im Aufbau begriffen ist.

In Bezug auf Ihren Gesundheitszustand gab Ihre Mutter in jüngster Befragung am 28.01.2019 an, dass Sie gesund sind und keine ärztliche Behandlung benötigen. Sie leiden an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung, wodurch sich ein Rückkehrhindernis ergeben könnte.

Sie sind ausschließlich aufgrund der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz nach den Bestimmungen des Asylgesetzes zum vorübergehenden Aufenthalt in Österreich berechtigt.

Alle weiteren Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen Akteninhalt.

Durch die amtswegig geführten Erhebungen im Zuge des Ermittlungsverfahrens sind keinerlei Hinweise hervorgetreten, die den Anlassfall einer Gefahr der Verfolgung bzw. eines erheblichen Schadens aus persönlichen Gründen erkennen hätten lassen, welche für Sie im Rahmen des gesamten Verfahrens auch nicht weiter geltend gemacht wurden.

Weder aus den Aussagen Ihrer Eltern, noch aus den amtswegig ermittelten Tatsachen ergaben sich Hinweise auf einen Anhaltspunkt für den Ausschluss aus dem Verfahren zur Asylgewährung.

Betreffend die Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen Ihres Herkunftsstaats:

Für Sie wurden von Ihrer gesetzlichen Vertretung keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht. Auch im Zuge des fortgesetzten Verfahrens durch die Zurückverweisung der zweiten Instanz konnte keine anderslautende Entscheidungsfindung resultieren.

Ihre gesetzliche Vertreterin (Mutter) wurde wiederholt am 28.01.2019 einvernommen. Auf die Frage zum Grund der Antragstellung konnte festgestellt werden, dass dieser ausschließlich wegen des Zusammenhalts der Familie gestellt wurde. Es ist gemäß den Angaben Ihrer Eltern und zuletzt den Aussagen Ihrer Mutter als erwiesen anzunehmen, dass Sie in Armenien weder bedroht, noch verfolgt werden. Nachgefragt hätten Ihre Eltern mit XXXX (phon.) Probleme gehabt, wobei anzumerken ist, dass sich dieser, aktuelle Medienberichten zufolge, abermals in Haft befindet ( XXXX ) und eine Bedrohung bereits zum Entscheidungszeitpunkt der Anträge Ihrer Eltern nicht glaubhaft ins Treffen geführt werden konnte.

In Ihrem Fall sind keinerlei Hinweise hervorgetreten, welche zur Gewährung von Asyl führen könnten. Das Vorbringen Ihrer Eltern war gesamthaft betrachtet nicht geeignet eine Verfolgungsgefahr im gesamten armenischen Staatsgebiet zu begründen.

Im Hinblick auf das zu führende Familienverfahren war hier ebenfalls keine anderslautende Entscheidung im Hinblick auf eine allfällige Asylgewährung zu treffen, zumal keinem Familienangehörigen im Bundesgebiet Asyl gewährt wurde.

In Summe war der von Ihren Eltern vorgebrachte Sachverhalt in keinster Weise geeignet, darin Verfolgung oder auch nur Missachtung gegen Ihre Person im gesamten Heimatland zu erkennen.

In diesem Zusammenhang ergaben sich auch keinerlei Hinweise, welche die Annahme eines Fluchtgrundes bzw die reale Gefahr eines erheblichen Schadens infolge einer unmenschlichen Behandlung rechtfertigen würden.

Weitere zu prüfende, asylrelevante Zwischenfälle, Verfolgungshandlungen oder Fluchtgründe, außer die bereits erwähnten, wurden für Sie nicht dargelegt. Auch im amtswegig geführten Verfahren sind keinerlei derartige Hinweise aufgekommen.

Betreffend die Feststellungen zu Ihrer Situation im Fall Ihrer Rückkehr:

Für Sie wurden im Verfahren keine Gefährdungspotenziale vorgebracht. Solche können auch amtswegig, im Falle Ihrer Rückkehr gemeinsam mit Ihren Eltern und Geschwistern nicht festgestellt werden. Dies insbesondere auch deshalb, da der einzige Grund der Antragstellung darin lag, dass der Familienverband aufrechterhalten bleiben sollte.

Da Ihnen wie bereits erörtert im Herkunftsstaat keine Verfolgung droht und Sie Anknüpfungspunkte in Ihrem Herkunftsstaat haben, geht die Behörde davon aus, dass Ihnen im Herkunftsstaat auch keine Gefahren drohen, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würden.

Da einer Rückkehr Ihrer Eltern nach Armenien nichts im Wege steht, kann davon ausgegangen werden, dass dies auch bei Ihnen der Fall ist, zumal Sie als Minderjähriger noch deutlich von Ihren Eltern abhängig sind. Dass Ihre Familie bei einer Rückkehr in eine unabwendbare Notlage gedrängt wäre, ist nicht ersichtlich.

Es sind auch keine Umstände amtsbekannt, dass in Armenien eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne der Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre, oder eine derartige humanitäre Katastrophe vorherrsche, dass das Überleben von Personen mangels Nahrung und Wohnraum tatsächlich in Frage gestellt wäre, es besteht auf dem armenischen Gebiet auch kein bewaffneter nationaler und/oder internationaler Konflikt.

Insgesamt konnte aus Sicht der ho. Behörde nicht erkannt werden, dass Sie einer aktuellen sowie unmittelbaren, persönlichen und konkreten Gefährdung oder Verfolgung durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt waren oder im Falle einer Rückkehr nach Armenien einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wären.

I.7.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Armenien traf die belangte Behörde ausführliche und schlüssige Feststellungen. Aus diesen geht hervor, dass in Armenien von einer unbedenklichen Sicherheitslage auszugehen und der armenische Staat gewillt und befähigt ist, auf seinem Territorium befindliche Menschen vor Repressalien Dritte wirksam zu schützen. Ebenso ist in Bezug auf die Lage der Menschenrechte davon auszugehen, dass sich hieraus in Bezug auf die bP ein im Wesentlichen unbedenkliches Bild ergibt. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass in der Republik Armenien die Grundversorgung der Bevölkerung gesichert ist, eine soziale Absicherung auf niedrigem Niveau besteht, die medizinische Grundversorgung flächendeckend gewährleistet ist, Rückkehrer mit keinen Repressalien zu rechnen haben und in die Gesellschaft integriert werden.

I.7.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam. Es hätten sich weiters keine Hinweise auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK dar. Da die bP unter anderem aus einem sicheren Herkunftsstaat stammt, wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt (§ 18 [1] 1 BFA-VG).

I.8. Gegen den im Spruch genannten Bescheid wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

Im Wesentlichen wurde vorgebracht, dass der Vater der bP einzuvernehmen gewesen wäre und das Ermittlungsverfahren sowie die Interessensabwägung an sich mangelhaft gewesen wären.

I.9. Die Beschwerdevorlage langte am 11.03.2019 beim BVwG, Außenstelle Linz ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

II.1.1. Die beschwerdeführende Partei

Bei der bP handelt es sich um einen armenischen Staatsbürger, welcher der Volksgruppe der Kurden angehört und deren Familie sich zur Religion des Jezidentums bekennt. Die bP gehört somit der zahlenmäßig größten ethnischen und religiösen Minderheit Armeniens an.

Die bP ist gesund und besucht noch nicht den Kindergarten, sondern wird zu Hause bei ihrer Mutter betreut.

Die bP ist ein Kleinkind mit einer über ihre Eltern -wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich- gesicherten Existenzgrundlage, zumal deren Eltern zur Pflege und Obsorge der bP verpflichtet sind. In Bezug auf die Eltern wurde bereits rechtskräftig dargelegt, dass deren Grundversorgung und Existenz in Armenien gesichert ist und kam im gegenständlichen Verfahren nicht hervor und ergab sich auch sonst bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis, dass sich in Bezug auf diesen Sachverhalt eine maßgebliche Änderung ergeben hätte.

Die Eltern kamen ihrer Obliegenheit zu verlassen des Bundesgebietes nicht nach und sind gegenwärtig rechtswidrig in diesem aufhältig.

Es sind drei weitere minderjährige Geschwister der bP im Bundesgebiet aufhältig, welche das verfahrensrechtliche Schicksal ihrer Eltern teilen.

In den entsprechenden Bescheiden bzw. Erkenntnissen der Familienangehörigen wurde rechtskräftig festgestellt, dass die Eltern und Geschwister der bP in Armenien über entsprechende Anknüpfungspunkte und über eine Existenzgrundlage verfügen.

Die bP bzw. ihre gesetzliche Vertretung möchte offensichtlich gemeinsam mit ihren Kindern ihr künftiges Leben in Österreich gestalten und hält sich die bP seit ihrer Geburt im Bundesgebiet auf. Sie lebt wie ihre Eltern von der Grundversorgung.

Die Identität der bP steht nicht fest.

II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat im Herkunftsstaat Armenien

Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es sich bei Armenien um einen sicheren Herkunftsstaat gem. § 19 BFA-VG handelt.

Zum konkreten Vorbringen der bP stellte die belangte Behörde Folgendes fest (Gliederung und Umfang der Feststellungen nicht mit dem Original übereinstimmend):

Zur Lage in Ihrem Herkunftsstaat:

Politische Lage

Armenien (arm.: Hayastan) umfasst knapp 29.800 km² und hat etwas über 3 Millionen Einwohner (2016). Davon sind laut der Volkszählung von 2011 98,1% ethnische Armenier. Den Rest bilden kleinere Ethnien wie Jesiden und Russen (CIA 26.9.2018).

Armenien ist seit September 1991 eine unabhängige Republik. Die Verfassung von 2005 wurde zuletzt durch Referendum vom 6.12.2015 weitreichend geändert. Die Verfassungsreform sieht einen Übergang vom derzeitigen semi-präsidentiellen System zu einer parlamentarischen Demokratie vor. Diese Änderung wurde mit 63 % der Stimmen gebilligt. Das Ein-Kammer-Parlament (Nationalversammlung) hat nun 105 Mitglieder (zuvor 131) und wird alle fünf Jahre gewählt (AA 3.2018a).

Oppositionsführer Nikol Pashinyan wurde im Mai 2018 vom Parlament zum Premierminister gewählt, nachdem er wochenlange Massenproteste gegen die Regierungspartei angeführt und damit die politische Landschaft des Landes verändert hatte. Er hatte Druck auf die regierende Republikanische Partei durch eine beispiellose Kampagne des zivilen Ungehorsams ausgeübt, was zum schockartigen Rücktritt Serzh Sargsyans führte, der kurz zuvor das verfassungsmäßig gestärkte Amt des Premierministers übernommen hatte, nachdem er zehn Jahre lang als Präsident gedient hatte (BBC 8.5.2018). Paschinyan versprach vor der Abstimmung einen entschlossenen Kampf gegen Korruption und politische Verfolgung (WZ 8.5.2018).

Am 9.12.2018 fanden vorgezogene Parlamentswahlen statt, welche unter Achtung der Grundfreiheiten ein breites öffentliches Vertrauen genossen. Die offene politische Debatte, auch in den Medien, trug zu einem lebhaften Wahlkampf bei. Das generelle Fehlen von Verstößen gegen die Wahlordnung, einschließlich des Kaufs von Stimmen und des Drucks auf die Wähler, ermöglichte einen unverfälschten Wettbewerb (OSCE/ODIHR 10.12.2018). Die Allianz des amtierenden Premierministers Nikol Pashinyan unter dem Namen "Mein Schritt" erzielte einen Erdrutschsieg und erreichte 70,4% der Stimmen. Die ehemalige mit absoluter Mehrheit regierende Republikanische Partei (HHK) erreichte nur 4,7% und verpasste die 5-Prozent-Marke, um in die 101-Sitze umfassende Nationalversammlung einzuziehen. Die Partei "Blühendes Armenien" (BHK) des Geschäftsmannes Gagik Tsarukyan gewann 8,3%. An dritter Stelle lag die liberale, pro-westliche Partei "Leuchtendes Armenien" unter Führung Edmon Maruyian, des einstigen Verbündeten von Pashinyan, mit 6,4% (RFE/RL 10.12.2018; vgl. ARMENPRESS 10.12.2018).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (3.2018a): Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/armenien-node/-/203090#content_0, Zugriff 16.10.2018

* ARMENPRESS - Armenian News Agency (10.12.2018): My Step - 70.44%, Prosperous Armenia - 8.27%, Bright Armenia - 6.37%: CEC approves protocol of preliminary results of snap elections, https://armenpress.am/eng/news/957626.html, Zugriff 10.12.2018

* BBC News (8.5.2018):Armenia country profile, https://www.bbc.com/news/world-europe-17398605, Zugriff 16.10.2018

* CIA - Central Intelligence Agency (26.9.2018): The World Factbook, Armenia;

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/am.html, Zugriff 16.10.2018

* EN - EurasiaNet.org (3.4.2017): Armenia: Voters Opt for More of the Same, http://www.eurasianet.org/node/83066, Zugriff 16.10.2018

* OSCE/ODIHR - Organization for Security and Cooperation in Europe/ Office for Democratic Institutions and Human Rights et alia (10.12.2018): Armenia, Parliamentary Elections, 2 April 2017:

Statement of Preliminary Findings and Conclusions, https://www.osce.org/odihr/elections/armenia/405890?download=true, Zugriff 10.12.2018

* RFE/RL - Radio Free Europe/

Radiohttps://www.rferl.org/a/monitors-hail-armenia-s-snap-polls-call-for-further-electoral-reforms/29647816.html Liberty (10.12.2018): Monitors Hail Armenian Vote, Call For Further Electoral Reforms,

https://www.rferl.org/a/monitors-hail-armenia-s-snap-polls-call-for-further-electoral-reforms/29647816.html, Zugriff 10.12.2018

* WZ - Wiener Zeitung (8.5.2018): Oppositionsführer Paschinian wird Regierungschef,

https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/welt/weltpolitik/963598_Oppositionsfuehrer-Paschinian-wird-Regierungschef.html, Zugriff 16.10.2018

Sicherheitslage

Hinsichtlich Bergkarabach - das sowohl von Armenien als auch von Aserbaidschan beansprucht wird - besteht die Gefahr erneuter Feindseligkeiten aufgrund des Scheiterns der Vermittlungsbemühungen, der zunehmenden Militarisierung und häufiger Verletzungen des Waffenstillstands. Im Oktober 2017 trafen sich die Präsidenten Armeniens und Aserbaidschans unter der Schirmherrschaft der Minsk-Gruppe, einer von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) geleiteten Vermittlungsgruppe, in Genf und begannen eine Reihe von Gesprächen über eine mögliche Lösung des Konflikts. In den letzten Jahren haben Artilleriebeschüsse und kleinere Gefechte zwischen aserbaidschanischen und armenischen Truppen Hunderte von Toten gefordert. Anfang April 2016 gab es die heftigsten Kämpfe seit 1994. (CFR 15.10.2018). Im Jahr 2017 gab es mehrere Verletzungen des Waffenstillstands entlang der Konfliktlinie zwischen den gegnerischen Streitkräften und anderswo an der zwischenstaatlichen Grenze zwischen Aserbaidschan und Armenien, die zu einer Reihe von Todesfällen und Verletzten führten (gov.uk 16.10.2018; vgl. CFR 15.10.2018).

Der Konflikt um die aserbaidschanische Region Bergkarabach sowie sieben angrenzende aserbaidschanische Provinzen bleibt ungelöst. Die Konfliktgebiete sind teilweise stark vermint. Entlang der Konfliktlinie und entlang der armenisch-aserbaidschanischen Staatsgrenze kommt es regelmäßig zu Zwischenfällen mit Toten und Verletzten. Die Spannungen nehmen periodisch zu. Die Grenzübergänge ins aserbaidschanische Kerngebiet sind geschlossen (EDA 16.10.2018).

Der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev und der armenische Premierminister Nikol Pashinyan vereinbarten bei ihrem ersten Treffen am Rande des Gipfels der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, der am 27. und 28. September 2018 in Duschanbe stattfand, mehrere Schritte zum Abbau der Spannungen zwischen den armenischen und aserbaidschanischen Streitkräften, wie z.B. die Installierung einer direkten "operativen" Kommunikationslinie zwischen den beiden Seiten und die Fortsetzung der diplomatischen Verhandlungen über eine Lösung des Konflikts (Eurasianet 1.10.2018).

Quellen:

* CFR - Council on Foreign Relations (15.10.2018): Nagorno-Karabakh Conflict,

https://www.cfr.org/interactives/global-conflict-tracker#!/conflict/nagorno-karabakh-conflict, Zugriff 16.10.2018

* EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (16.10.2018): Reisehinweise für Armenien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/armenien/reisehinweise-armenien.html, Zugriff 16.10.2018

* Eurasianet (1.10.2018): Aliyev and Pashinyan hold first talks, agree on tension-reducing measures, https://eurasianet.org/aliyev-and-pashinyan-hold-first-talks-agree-on-tension-reducing-measures, Zugriff 16.10.2018

* UK Gov (16.10.2018): Foreign travel advice, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/armenia, Zugriff 16.10.201

1.1. Regionale Problemzone: Bergkarabach (Nagorny Karabach)

Die sogenannte "Republik Bergkarabach" ("RBK", russ.: Nagorny Karabach; in Armenien auch Arzach genannt) wird von keinem Staat völkerrechtlich anerkannt. Die aserbaidschanische Regierung besitzt faktisch jedoch keine Kontrolle über das Gebiet. Auch Armenien erkennt die "Republik Bergkarabach" offiziell nicht an, praktisch sind beide aber wirtschaftlich und rechtlich stark verflochten. Die Bewohner von Bergkarabach erhalten - neben ihrem BK-Pass - armenische Pässe (AA 17.4.2018).

Laut Angaben der selbsternannten Republik von Nagorny Karabach (auch Republik Artsach), umfasst das Gebiet mehr als 12.000 km², wobei hiervon 1.041 km² unter aserbaidschanischer Okkupation stünden. Die Bevölkerung belief sich 2013 auf rund 147.000 Einwohner, wovon 95% Armenier sind, nebst Russen, Ukrainern, Griechen, Georgiern und Aseri (NKR 4.5.2017).

Die sog. Republik Bergkarabach kontrolliert das in Aserbaidschan früher als Autonome Region Bergkarabach verwaltete Gebiet sowie weitere sieben Provinzen Aserbaidschans in den Grenzgebieten zu Armenien und Iran und in der Region um Agdam. Der Kreis Shahumyan nördlich der früheren Autonomen Region ist unter aserbaidschanischer Kontrolle, wird aber ebenfalls von der "RBK" beansprucht, da es sich nach deren Logik um "von Aserbaidschan besetztes Gebiet" mit ehemals armenischer Bevölkerungsmehrheit handelt. Insgesamt befindet sich etwa 13 % des Staatsgebiets von Aserbaidschan unter armenischer Kontrolle, d.h. der sog. Republik Bergkarabach (AA 17.4.2018; vgl. USDOS 20.4.2018).

Der amtierende Präsident Sahakyan, dessen zweite Amtszeit zu Ende ging, wurde im Juli 2017 mit 28 von 33 Stimmen zum Übergangspräsidenten gewählt. Er besiegte Eduard Agabekyan, den Vorsitzenden der oppositionellen "Bewegung 88". Nach der neuen Verfassung ist der Präsident sowohl Staats- als auch Regierungschef und hat die volle Autorität, Kabinettsmitglieder zu ernennen und zu entlassen. Nach der Einweihung von Sahakyan im September 2017 wurde das Amt des Premierministers abgeschafft (FH 1.2018).

Die Justiz ist in der Praxis nicht unabhängig und die Gerichte werden von der Exekutive sowie von mächtigen politischen, wirtschaftlichen und kriminellen Gruppen beeinflusst. Die Verfassung garantiert grundlegende Verfahrensrechte, aber Polizei und Gerichte halten diese in der Praxis nicht immer ein. Die Regierung kontrolliert viele der Medien und die öffentlichen Fernseh- und Radiosender haben keine lokale Konkurrenz. Die meisten Journalisten praktizieren Selbstzensur, insbesondere bei Themen im Zusammenhang mit dem Friedensprozess. Die Verfassung garantiert die Religionsfreiheit, lässt aber Einschränkungen im Namen der Sicherheit, der öffentlichen Ordnung und anderer staatlicher Interessen zu. In der Verfassung ist die Armenische Apostolische Kirche als "nationale Kirche" des armenischen Volkes verankert. Die Religionsfreiheit anderer Gruppen wird in der Praxis eingeschränkt. Proteste sind in der Praxis relativ selten. Die Behörden blockieren Versammlungen und Demonstrationen, wenn sie diese als Bedrohung der öffentlichen Ordnung wahrnehmen, einschließlich Veranstaltungen, die von armenischen Aktivisten der Opposition geplant sind. Proteste, die die diplomatischen und sicherheitspolitischen Interessen des Territoriums unterstützen oder bestimmte wirtschaftliche Missstände anprangern, werden eher toleriert (FH 1.2018).

Es gibt keine Erkenntnisse, wonach Personen bei Bekanntwerden einer (auch) aserbaid- schanischen Herkunft mit staatlichen Übergriffen zu rechnen hätten. Angaben dazu, wie viele Armenier aserbaidschanischer Abstammung bzw. Azeris in Bergkarabach leben, sind nicht möglich. In Bergkarabach gelten den armenischen Regelungen vergleichbare Vorschriften zur kostenlosen medizinischen Behandlung. Im Sozialwesen gibt es "behördliche" Unterstützung, u. a. für verwitwete oder ledige Rentner ohne Familie, Waisen und alleinerziehende Mütter. Die wirtschaftliche Situation in Bergkarabach ist nach allgemeiner Einschätzung besser als in Armenien (AA 17.4.2018).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (17.4.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

* FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Nagorno-Karabakh, https://www.ecoi.net/de/dokument/1442453.html, Zugriff 16.10.2018

* NKR - The Office of the NKR President (16.10.2018): NKR, General information, http://www.president.nkr.am/en/nkr/generalInformation/, Zugriff 16.10.2018

* USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430195.html, Zugriff 16.10.2018

Rechtsschutz / Justizwesen

Es gibt immer wieder glaubhafte Berichte von Anwälten über die Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze durch Gerichte: die Unschuldsvermutung werde nicht eingehalten, rechtliches Gehör nicht gewährt, Verweigerungsrechte von Zeugen nicht beachtet und Verteidiger oft ohne Rechtsgrundlage abgelehnt. Die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter wird weiterhin durch Nepotismus, finanzielle Abhängigkeiten und weit verbreitete Korruption konterkariert, auch wenn durch Gesetzesänderungen im Rahmen der "Judicial Reforms Strategy 2012-2016" gewisse Fortschritte, insbesondere bei der richterlichen Unabhängigkeit, zu verzeichnen sind. Die neue Verfassung hat die bisher weitreichenden Kompetenzen des Staatspräsidenten bei der Ernennung von Richtern reduziert. Einige Beamte in leitenden Funktionen der Justiz haben keine juristische Ausbildung. Verfahrensgrundrechte wie rechtliches Gehör, faires Gerichtsverfahren und Rechtshilfe werden laut Verfassung gewährt. Das Prinzip der "Telefonjustiz" - Machthaber nehmen Einfluss auf laufende Verfahren - soll in politisch heiklen Fällen nach wie vor verbreitet sein. In Bezug auf den Zugang zur Justiz gab es hingegen insoweit Fortschritte, als die Zahl der Pflichtverteidiger erhöht wurde und einer breiteren Bevölkerung als bisher kostenlose Rechtshilfe zuteil wird (AA 17.4.2018).

Richter stehen unter systemischem politischem Druck und Justizbehörden werden durch Korruption untergraben. Berichten zufolge fühlen sich die Richter unter Druck gesetzt, mit Staatsanwälten zusammenzuarbeiten, um Angeklagte zu verurteilen. Der Anteil an Freisprüchen ist extrem niedrig (FH 1.2018).

Trotz gegenteiliger Gesetzesbestimmungen zeigt die Gerichtsbarkeit keine umfassende Unabhängigkeit. Die Verwaltungsgerichte sind hingegen verglichen zu den anderen Gerichten unabhängiger. Das Kassationsgericht nimmt eine dominante Stellung ein. Es diktiert den Ausgang aller wichtigen Fälle der niederen Gerichtsbarkeit. Diese Kontrolle seitens des Kassationsgerichts bleibt das dominante Problem, das die Unabhängigkeit der Justiz beeinflusst. Richter unterliegen weiterhin politischem Druck von allen Ebenen der Exekutive, speziell seitens der Rechtsvollzugsorgane. Richter haben keine lebenslange Amtszeit, wodurch sie der Kündigung ausgesetzt sind und keine wirksamen Rechtsmittel besitzen. Vormalige Entlassungen von Richtern wegen ihrer unabhängigen Entscheidungen haben immer noch eine einschüchternde Wirkung auf die Justiz als Ganzes. Die Verfassung und die Gesetze sehen das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess vor, aber der Justiz fehlt weitgehend die Unabhängigkeit, um dieses Recht durchzusetzen. Das Gesetz sieht die Unschuldsvermutung vor, aber Verdächtigen wird dieses Recht in der Regel nicht zugestanden. Während der Gerichtsverhandlungen informieren die Behörden die Angeklagten ausführlich über die gegen sie erhobenen Anschuldigungen und das Gesetz verlangt, dass bei Bedarf fremdsprachige Dolmetscher für nicht-armenisch Sprechende zur Verfügung gestellt werden (USDOS 20.4.2018).

Obwohl die Bürger Zugang zu Gerichten haben, um Klagen auf Schadenersatz wegen angeblicher Menschenrechtsverletzungen einzureichen, werden die Gerichte weithin als korrupt wahrgenommen. Die Bürger haben auch die Möglichkeit, vor dem Verfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und Rechtsakten anzufechten, die ihre Grundrechte und -freiheiten verletzen. Nach Ansicht von Juristen halten sich die Gerichte der unteren Instanzen nicht an die Präzedenzfälle des Kassationsgerichts, des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte oder des Verfassungsgerichts. Während zivil- und verwaltungsrechtliche Gerichtsverfahren zwar mit einem höheren Maß an Unabhängigkeit geführt werden, besteht bei Strafverfahren ein Mangel an Unabhängigkeit, wodurch es zu einer allgemeinen Diskreditierung des Justizsystems kommt (USDOS 20.4.2018).

Der Machtmissbrauch unter armenischen Beamten ist nach wie vor grassierend und unkontrolliert. Ein solcher Missbrauch manifestiert sich zum Teil in der Verankerung von Korruption in staatlichen Institutionen. In den letzten zwei Jahren gab es jedoch mehrere Fälle von Verhaftungen und Strafverfolgung von Beamten und sogar Angehörigen der Strafverfolgungsbehörden wegen korruptionsbezogener Verbrechen und Machtmissbrauch, was einen Trend bestätigt, der zumindest darauf abzielt, die Schwere und Anzahl der flagranteren Amtsmissbräuche zu begrenzen und zu verringern (BS 2018).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (17.4.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

* BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018; Armenia Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/1427376/488336_en.pdf, Zugriff 16.10.2018

* FH - Freedom House Ä(1.2018): Freedom in the World 2018 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1442337.html, Zugriff 16.10.2018

* USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430195.html, Zugriff 16.10.2018

Sicherheitsbehörden

Die Polizei und der Nationale Sicherheitsdienst (NSD) sind direkt der Regierung unterstellt. Ein Innenministerium gibt es nicht. Die Aufgaben beider Organe sind voneinander abgegrenzt: So ist für die Wahrung der nationalen Sicherheit sowie für Nachrichtendienst und Grenzschutz der Nationale Sicherheitsdienst zuständig, dessen Beamte auch Verhaftungen durchführen dürfen. Hin und wieder treten aber Kompetenzstreitigkeiten auf, z.B. wenn ein vom NSD verhafteter Verdächtiger ebenfalls von der Polizei gesucht wird (AA 17.4.2018).

Obwohl das Gesetz von den Gesetzesvollzugsorganen die Erlangung eines Haftbefehls verlangt oder zumindest das Vorliegen eines begründeten Verdachts für die Festnahme, nahmen die Behörden gelegentlich Verdächtige fest oder sperrten diese ein, ohne dass ein Haftbefehl oder ein begründeter Verdacht vorlag. Nach 72 Stunden muss laut Gesetz die Freilassung oder ein richterlicher Haftbefehl erwirkt werden. Richter verweigern der Polizei ebenso selten einen Haftbefehl, wie sie kaum das Verhalten der Polizei während der Arrestzeit überprüfen. Laut einigen Beobachtern setzt die Polizei überlange Untersuchungshaft als Mittel ein, um die Angeklagten dazu zu bringen, ihre Schuld einzugestehen oder selbstbelastende Beweise vorzubringen (USDOS 20.4.2018).

Die Rechenschaftspflicht der Polizei angesichts des übermäßigen Einsatzes von Gewalt gegen weitgehend friedliche Demonstranten, die im Juli 2016 in Jerewan gegen die Regierung demonstrierten, war begrenzt, als Hunderte von Personen verletzt und willkürlich verhaftet wurden. Dutzende von Demonstranten wurden wegen angeblicher Verletzung der öffentlichen Ordnung und anderer Straftaten strafrechtlich verfolgt. Die strafrechtliche Untersuchung von Vorwürfen des Machtmissbrauchs durch Polizeibeamte führte zu keiner Strafanzeige (AI 22.2.2018).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (17.4.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

* AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1424997.html Zugriff 16.10.2018

* USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430195.html, Zugriff 16.10.2018

Folter und unmenschliche Behandlung

Armenien ist Signatarstaat des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Die Anwendung von Folter ist nach Art. 26 der Verfassung verboten. Das armenische Strafgesetzbuch wurde mittlerweile um eine Definition und die Kriminalisierung von Folter ergänzt (in Übereinstimmung mit der UN-Konvention gegen Folter). Allerdings fehlen bisher weitere Ergänzungen des Strafgesetzbuches, um Folter vorzubeugen und Straflosigkeit zu verhindern. Es liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass systematisch Folter praktiziert wird. Folteropfer können den Rechtsweg nutzen, einschließlich der Möglichkeit, sich an den Verfassungsgerichtshof bzw. den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu wenden (AA 17.4.2018).

Menschenrechtsorganisationen berichten aber immer wieder glaubwürdig von Fällen, in denen es bei Verhaftungen oder Verhören zu unverhältnismäßiger Gewaltanwendung gekommen sein soll, etwa um Geständnisse zu erhalten. Betroffene beschweren sich nur selten, weil sie Repressalien befürchten (AA 17.4.2018, vgl. USDOS 20.4.2018). Misshandlungen finden auf Polizeistationen statt, die im Gegensatz zu Gefängnissen und Polizeigefängnissen nicht der öffentlichen Kontrolle unterliegen. Nach Ansicht von Menschenrechtsanwälten gab es keine ausreichenden verfahrensrechtlichen Garantien gegen Misshandlungen bei polizeilichen Vernehmungen, wie z.B. den Zugang zu einem Anwalt durch die zur Polizei als Zeugen geladenen Personen sowie die Unzulässigkeit von Beweisen, die durch Gewalt- oder Verfahrensverletzungen gewonnen wurden. Nach Angaben von Menschenrechtsbeobachtern führen Ermittlungen wegen mutmaßlicher polizeilicher Misshandlungen kaum zu strafrechtlichen Sanktionen gegen Strafverfolgungsbeamte. Menschenrechtsanwälte verwiesen auf voreingenommene Justiz- und Ermittlungspraktiken in Folterfällen und auf die Praxis, Ermittlungen über mögliche falsche Anschuldigungen einzuleiten, wenn ein Opfer von Folter den Missbrauch anzeigt (USDOS 20.4.2018).

Das Anti-Folter-Ausschuss der Vereinten Nationen (CAT) zeigte sich weiterhin besorgt ob der Berichte, dass erzwungene Geständnisse in der Praxis immer noch als Beweismittel vor Gericht verwendet werden, und wegen der Vorwürfe hinsichtlich der Folter- und Misshandlung durch Organe der Strafverfolgung, der Mängel bei der wirksamen Untersuchung und Verfolgung diesbezüglicher Beschwerden, insbesondere durch den Sonderermittlungsdienst, sowie die Diskrepanz zwischen der Anzahl der aufgezeichneten Beschwerden über Folter und der besonders geringen Anzahl der daraus resultierenden Untersuchungen und Verfolgungen (CAT 26.1.2017).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (17.4.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

* CAT - UN Committee Against Torture (26.1.2017): Concluding observations on the fourth periodic report of Armenia [CAT/C/ARM/CO/4],

https://www.ecoi.net/en/file/local/1151639/1930_1485421506_g1701892.pdf, Zugriff 8.11.2018

* USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430195.html, Zugriff 8.11.2018

Korruption

Zu den gravierenden Demokratiedefiziten kommt die grassierende Korruption, vor allem im staatlichen Gesundheitswesen, der öffentlichen Verwaltung und der Gerichtsbarkeit. Die Korruption wird, neben dem Oligarchentum, als größtes Hindernis für die wirtschaftliche Entwicklung und den Aufbau einer Zivilgesellschaft Armeniens gesehen. Zwar entspricht die Gesetzgebung zur Bekämpfung der Korruption im Wesentlichen internationalen Standards; zuletzt wurde im Juni 2017 ein "Anti-Korruption"-Gesetzespaket verabschiedet. Ein wachsendes Bewusstsein ist festzustellen, aber es mangelt an der konsequenten Umsetzung (AA 17.4.2018).

Es gab zahlreiche Medienberichte über systemische Regierungskorruption in Bereichen wie Bauwesen, öffentliche Verwaltung, Justiz, Beschaffungspraktiken und Bereitstellung von Zuschüssen durch den Staat (einschließlich der Präsidialverwaltung), Gesundheitswesen, Steuern, Strafverfolgung, Bildung und Militär. Vorwürfe gab es auch wegen Veruntreuung staatlicher Gelder, der Beteiligung von Regierungsbeamten an fragwürdigen Geschäftsaktivitäten sowie von Steuer- und Zollprivilegien für regierungsnahe Unternehmen (USDOS 20.4.2018).

Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex 2017 belegte Armenien den Rang 107 von 180 Staaten (2016: Platz 113 von 176) und erhielt einen Wert von 35 auf einer Skala von 100 [100 ist der beste, 0 der schlechteste Wert] bezüglich der Korruption im öffentlichen Sektor (TI 2017).

Ein Bericht der armenischen Generalstaatsanwaltschaft besagt, dass die Zahl der von den Strafverfolgungsbehörden des Landes in der ersten Jahreshälfte 2018 eingeleiteten Korruptionsuntersuchungen mehr als doppelt so hoch ist wie in der ersten Jahreshälfte 2017. Im ersten Halbjahr 2018 wurden 786 Verfahren eingeleitet, von denen 579 zu Strafverfahren führten. Die Zunahme wird auf eine stärkere Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Strafverfolgungsbehörden und die größere Rolle der Gesellschaft bei der Meldung von Korruptionsfällen zurückgeführt (Hetq 7.9.2018).

Ministerpräsident Pashinyan, für dessen Regierung die Korruptionsbekämpfung ein hochrangiges Ziel darstellt, berichtete im Juli 2018, dass innerhalb zweier Monate bereits 20,6 Milliarden Armenische Dram (36,8 Millionen Euro) an Geldern aus Steuerhinterziehungen sichergestellt wurden. Betroffen waren 73 Unternehmen, denen Steuerhinterziehung vorgeworfen wird. Die Summe bezog sich ausschließlich auf die Steuerschuld (Haypress 13.7.2018, vgl. JAMnews 24.7.2018).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (17.4.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

* Haypress (13.7.2018): Armenien: Paschinjans Regierung holt 42 Mio. Dollar an Steuerhinterziehung zurück, https://haypressnews.wordpress.com/2018/07/13/armenien-paschinjans-regierung-holt-42-mio-dollar-an-steuerhinterziehung-zurueck/, Zugriff 9.11.2018

* JAMnews (24.7.2018): Armenia's fight against corruption: a JAMnews series on the first steps of the new Armenia, https://jam-news.net/armenias-fight-against-corruption-a-jamnews-series-on-the-first-steps-of-new-armenia/, Zugriff 9.11.2018

* Hetq (7.9.2018): Armenia: Criminal Investigations of Corruption More than Double, https://hetq.am/en/article/92788, Zugriff 9.11.2018

* TI - Transparency International (2017): Corruption Perceptions Index 2017, https://www.transparency.org/country/ARM, Zugriff 9.11.2018

* USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430195.html, Zugriff 9.11.2018

NGOs und Menschrechtsaktvisten

Der NGO-Sektor ist zwar konsolidiert und recht gut entwickelt, jedoch von der breiteren Gesellschaft losgelöst. Eine völlig neue Entwicklung ist der Aufstieg des zivilen Aktivismus einer neuen Art:

fallbezogen, weitgehend spontan, meist von Jugendlichen betrieben und von sozialen Medien angetrieben. Der Einfluss der Zivilgesellschaft wird im Allgemeinen dadurch eingeschränkt, dass es dem Staat nicht gelingt, sie in einen konstruktiven Dialog einzubinden oder ihr eine Rolle in der öffentlichen Debatte oder bei der Formulierung von Politik einzuräumen. Sowohl bei der Anzahl als auch bei der Tätigkeit der zivilgesellschaftlichen Gruppen wurden weitere Fortschritte erzielt, wobei eine größere Bandbreite von zivilen und nicht-staatlichen Organisationen (NGOs), die sich mit einem breiten Spektrum von Themen befassen, vertreten ist (BS 2018).

Die armenische Zivilgesellschaft ist frei von übermäßigen finanziellen und administrativen Beschränkungen, denen Pendants in vielen post-sowjetischen Staaten ausgesetzt sind. Trotz dieses positiven regionalen Ansehens sind die zivilgesellschaftlichen Organisationen eher schwach in ihrer Fähigkeit, die Politik über formale Kanäle zu beeinflussen. Die größten Herausforderungen für NGOs sind schwache Kapazitäten und finanzielle Nachhaltigkeit. Inländische Organisationen sind stark von ausländischen Zuwendungen abhängig, obwohl viele von ihnen eine Diversifizierung der Finanzierungsquellen anstreben. Nach eingehenden Konsultationen mit der Zivilgesellschaft verabschiedete die Nationalversammlung Ende 2016 ein neues Gesetz über NGOs und änderte mehrere Rechtsvorschriften über öffentliche Organisationen und Stiftungen. Unter anderem erleichterte die Gesetzgebung die Registrierungsprozesse und Möglichkeit unternehmerischer Aktivitäten zu entfalten, was der Zivilgesellschaft helfen dürfte, ihre finanzielle Nachhaltigkeit zu verbessern (FH 11.4.2018).

Quellen:

* BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018; Armenia Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/1427376/488336_en.pdf, Zugriff 9.11.2018

* FH - Freedom House (11.4.2018): Nations in Transit 2018 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1429159.html, Zugriff 9.11.2018

Ombudsperson

Die vom Parlament gewählte und als unabhängige Institution in der Verfassung verankerte "Ombudsperson für Menschenrechte" muss einen schwierigen Spagat zwischen Exekutive und den Rechtsschutz suchenden Bürgern vollziehen (AA 17.4.2018). Die Ombudsperson bietet Personen Schutz, deren Menschenrechte und Freiheiten von staatlichen oder lokalen Behörden verletzt wurden. Auf breiterer Ebene schützt und fördert die Ombudsperson die Menschenrechte und Grundfreiheiten aller Einzelpersonen (und juristischen Personen), indem sie die Menschenrechtssituation im Land beobachtet, individuelle Beschwerden bearbeitet und sich an der Verbesserung des nationalen Rechtsrahmens im Einklang mit international anerkannten Menschenrechtsstandards beteiligt. 2015 wurde das Mandat der Ombudsperson auf den Privatsektor ausgedehnt und ein neues Verfassungsgesetz über Ombudsperson im Einklang mit den Verfassungsänderungen ausgearbeitet. Nach dem neuen Gesetz ist die Ombudsperson für private Unternehmen im Bereich Gesundheit, Bildung und Kultur zuständig. Mit der Umsetzung des neuen Gesetzes im September 2016 ist die Ombudsperson direkt in den Prozess der Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen eingebunden und verfügt über einen ständigen Vertreter in der Nationalversammlung (ENNHRI 19.12.2017).

Mit den im März 2017 in Kraft getretenen Gesetzesänderungen wurde der Zuständigkeitsbereich des Büros der Bürgerbeauftragten erweitert. Es kann Gesetzesvorschläge einbringen, Rechtsvorschriften aus Menschenrechtssicht überprüfen, förmliche Gutachten durchführen und Empfehlungen zu Rechts- und Rechtsvollzugsmängeln abgeben. Experten zufolge reichten jedoch der Grad der Ermächtigung und die Ressourcen des Büros der Ombudsperson nicht aus, um das neue Mandat des Büros umzusetzen (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (17.4.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

* ENNHRI - European Network of National Human Rights Institutions (19.12.2017): The Human Rights Defender of the Republic of Armenia, http://ennhri.org/The-Human-Rights-Defender-of-the-Republic-of-Armenia, Zugriff 9.11.2018

* USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430195.html, Zugriff 9.11.2018

Wehrdienst und Rekrutierungen

Männer armenischer Staatsangehörigkeit unterliegen vom 18. bis zum 27. Lebensjahr der allgemeinen Wehrpflicht (24 Monate). Auf Antrag besteht die Möglichkeit der Rückstellung aus sozialen Gründen (z.B. Hochschulstudium, pflegebedürftige Eltern, zwei oder mehr Kinder). Die Einberufung zu jährlichen Reserveübungen ist möglich. Armenische Wehrdienstleistende werden auch an der Waffenstillstandslinie um Bergkarabach eingesetzt. Männliche Armenier ab 16 Jahren sind zur Wehrregistrierung verpflichtet. Sofern sie sich im Ausland aufhalten und sich nicht vor dem Erreichen des 16. Lebensjahres aus Armenien abgemeldet haben, müssen sie zur Musterung nach Armenien zurückkehren; andernfalls darf ihnen kein Reisepass ausgestellt werden. Nach der Musterung kann die Rückkehr ins Ausland erfolgen. Ab dem 18. Lebensjahr muss entweder der Wehrdienst abgeleistet werden oder eine Rückstellung erfolgen. Mit der Ende 2017 erfolgten Novellierung des Wehrpflichtgesetzes bietet das armenische Verteidigungsministerium im Rahmen des Konzepts "Armee-Nation" zwei neue Optionen für den Wehrdienst. Das Programm "Jawohl" ermöglicht den Rekruten einen flexiblen Wehrdienst von insgesamt drei Jahren mit mehrmonatigen Unterbrechungen. Man wird u. a. auch an der Frontlinie eingesetzt. Im Anschluss erhalten die Rekruten ca. 9.000 Euro für eine Existenzgründung sowie einen Wohnungskredit. Diese Regelung ist seit Dezember 2017 in Kraft. Das Programm "Es ist mir eine Ehre" erlaubt Hochschulstudenten das Studium abzuschließen und erst dann als Offizier ihren Wehrdienst abzuleisten. Im Laufe des Studiums werden für diese Studenten Pflichtveranstaltungen im Militärinstitut organisiert. Diese Regelung tritt ab Mai 2018 in Kraft (AA 17.4.2018).

Laut Informationen des Verteidigungsministeriums soll es für Personen mit legalem Daueraufenthalt im Ausland auf Antrag Befreiungsmöglichkeiten auch im wehrpflichtigen Alter geben: Eine interministerielle Härtefall-Kommission prüft die Anträge auf Befreiung vom Wehrdienst (AA 17.4.2018).

Es besteht ein komplexes System von gesetzlichen Garantien und Schutzmechanismen sowie interne wie externe Mechanismen, damit die Rechte des Personals, inklusive der Rekruten, in den Streitkräften geschützt werden. Auch bestehen externe und alternative Mechanismen zum Schutz der Rechte des Militärpersonals, so etwa der Rechtsschutz oder Beschwerden, die sowohl an den armenischen Ombudsmann als auch den "Public Council" des Verteidigungsministeriums gerichtet werden können, welcher aus Vertretern von lokalen NGOs besteht, und sich mit Beschwerden zu Menschenrechtsverletzungen, speziell während der Einberufung, auseinandersetzt (OSCE 13.4.2018).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (17.4.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

* OSCE - Organization for Security and Co-operation in Europe (13.4.2018): Response by the Delegation of Armenia to the Questionnaire on the Code of Conduct on Politico-Military Aspects of Security,https://www.osce.org/forum-for-security-cooperation/380284?download=true, Zugriff 9.11.2018

1.2. Wehrersatzdienst

Es gibt einen Ersatzdienst für Wehrdienstverweigerer. Im Gesetz über den alternativen Wehrdienst vom 17.12.2003 ist sowohl ein 30-monatiger Ersatzdienst innerhalb der Streitkräfte (ohne Waffen, d. h. in der Regel hauswirtschaftliche Tätigkeiten) als auch ein 36-monatiger Ersatzdienst außerhalb der Streitkräfte vorgesehen. Die Anzahl der Wehrdienstverweigerer ist gering. Das novellierte Zivildienstgesetz vom 8.6.2013 eröffnet die Möglichkeit des Zivildienstes auch aus religiöser Überzeugung. Der Zivildienst untersteht dabei nicht mehr der Dienstaufsicht des Militärs, sondern wird von einem Gremium bestehend aus je zwei Vertretern des Sozial-, Gesundheits- und Verteidigungsministeriums gestaltet und beaufsichtigt (AA 17.4.2018).

Der Europäische Ausschuss für Soziale Rechte des Europarates (ESCR) befand Ende 2016, dass auch nach der Reduktion der Zivildienstdauer von 42 auf 36 Monate bzw. auf 30 Monate innerhalb der Armee, die Dauer im Vergleich zum Wehrdienst von 24 Monaten zu lang ist, und somit weiterhin nicht mit der Europäischen Sozialcharta konform geht (CoE-ECSR 1.2017).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (17.4.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

* CoE-ECSR - Council of Europe - European Committee of Social Rights (1.2017): European Committee of Social Rights Conclusions 2016; Armenia,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1486111217_cr-2016-arm-eng.pdf, Zugriff 9.11.2018

1.3. Wehrdienstverweigerung / Desertion

Wehrpflichtige, die sich zunächst ihrer Wehrpflicht entzogen haben, müssen trotz vorhandener Strafvorschriften grundsätzlich nicht mit einer Bestrafung rechnen, wenn sie sich nach Rückkehr bei der zuständigen Einberufungsbehörde melden. Auch bereits eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Wehrdienstentzugs werden in solchen Fällen eingestellt. Zudem gibt es Amnestien, zuletzt 2001.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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