TE OGH 2019/4/4 6Ob69/19v

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Veröffentlicht am 04.04.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Außerstreitsache des Antragstellers K*****, vertreten durch Dr. Saskia Albiez, Rechtsanwältin in Wien, als Verfahrenhelferin, gegen die Antragsgegnerin F*****, vertreten durch Mag. Elisabeth Schwendt, Rechtsanwältin in Wien, als Verfahrenshelferin, wegen Rückführung der Minderjährigen S*****, geboren am *****, über den Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 13. Februar 2019, GZ 42 R 2/19h-83, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 17. Dezember 2018, GZ 9 Ps 148/18t-57, ersatzlos aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der Antragsteller begehrte die Rückführung seiner Tochter in die Russische Föderation.

Das Erstgericht wies diesen Antrag mit Beschluss vom 22. 8. 2018 ab. Die Ausführungen der Mutter zur unterbliebenen Befassung der russischen Behörden vor ihrer Ausreise aus der Russischen Föderation und ihre Argumente für die Notwendigkeit, das russische Staatsgebiet zu verlassen, seien nicht nachvollziehbar. Allerdings sei die Sicherheitslage in Tschetschenien prekär; es bestehe ein erhöhtes Sicherheitsrisiko, weshalb eine Rückführung ungeachtet allfälliger Maßnahmen des Vaters zum Schutz des Kindes mit einer Gefährdung der körperlichen und seelischen Integrität desselben verbunden sei. Auch hätte die Rückführung eine endgültige Trennung von der Mutter zur Folge, welche in Österreich Asyl beantragt habe und nicht in die Russische Föderation zurückkehren werde.

Das Rekursgericht änderte mit Beschluss vom 7. 11. 2018 diesen Beschluss über Rekurs des Vaters dahin ab, dass es die Rückführung der Minderjährigen anordnete und der Mutter auftrug, das Kind binnen drei Wochen in die Russische Föderation zurückzubringen. Dem Erstgericht sei darin beizupflichten, dass die Notwendigkeit einer Ausreise der Mutter aus Tschetschenien nicht nachvollziehbar sei. Die Weigerung der Mutter, nach Tschetschenien zurückzukehren, stelle kein Rückführungshindernis iSd § 13 Abs 1 lit b HKÜ dar.

Der erkennende Senat wies den dagegen erhobenen Revisionsrekurs mit Beschluss vom 24. 1. 2019 zurück (6 Ob 240/18i).

Mit Beschluss vom 17. 12. 2018 schloss das Erstgericht die vorläufige Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit der Entscheidung des Rekursgerichts gemäß § 111c Abs 5 AußStrG aus.

Gegen diesen Beschluss erhob der Antragsteller Rekurs.

Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss hob das Rekursgericht den Beschluss des Erstgerichts ersatzlos auf. Entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts könne daraus, dass sich das Rekursgericht bei der Anordnung der gemäß § 111c Abs 5 AußStrG bereits vorläufig verbindlichen und vollstreckbaren Rückführung des Kindes binnen drei Wochen nicht ausdrücklich zur Frage eines Ausschlusses der vorläufigen Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit geäußert habe, nicht abgeleitet werden, dass das Rekursgericht über einen solchen Ausschluss nicht ablehnend entschieden habe.

Die Russische Föderation sei Mitgliedstaat des Haager Kindesentführungsübereinkommens, sodass die Rückführung eines in Tschetschenien widerrechtlich zurückgehaltenen Kindes keineswegs allgemein ausgeschlossen werden könne. Es treffe daher nicht zu, dass das Kind der Mutter im Falle eines Erfolgs ihres außerordentlichen Revisionsrekurses gegen die Rückführungsanordnung nicht mehr zurückgebracht werden würde.

Mangels geänderter Verhältnisse betreffend die Frage der vorläufigen Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit der Rückführungsanordnung erweise sich der angefochtene Beschluss lediglich als unzulässige Korrektur einer – nach Ansicht des Erstgerichts offenbar unrichtigen – Rekursentscheidung.

Weil dies den Rahmen einer in § 44 Abs 2 AußStrG vorgesehenen Entscheidung über die vorläufige Verbindlichkeit oder Vollstreckbarkeit jedoch bei weitem überschreite, erscheine auch der in dieser Bestimmung angeordnete Rechtsmittelausschluss nicht anwendbar.

Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage der Zulässigkeit eines Rekurses in der hier vorliegenden Konstellation keine oberstgerichtliche Judikatur bekannt sei.

Zwischenzeitig erhob die Antragsgegnerin eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Dieser ordnete zunächst mit Beschluss vom 15. 2. 2019 als einstweilige Maßnahme die Aufschiebung der Vollstreckung der Entscheidung bis 15. 3. 2019 an. Mit Beschluss vom 15. 3. 2019 verlängerte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die einstweilige Anordnung bis zur Rechtskraft der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über den Asylantrag der Beschwerdeführerin.

Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.

1. Auch im Verfahren außer Streitsachen ist das Vorliegen von Beschwer Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels (6 Ob 192/09t; 2 Ob 27/10z; 7 Ob 44/10m uva; Kodek in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG § 45 Rz 50). Die Beschwer muss sowohl im Zeitpunkt der Erhebung des Rechtsmittels als auch im Zeitpunkt der Entscheidung darüber vorliegen (6 Ob 192/09t; 6 Ob 188/10f; 6 Ob 185/10i; Kodek aaO Rz 52). Andernfalls ist das Rechtsmittel zurückzuweisen (1 Ob 69/11w; Kodek aaO Rz 52).

2. Im vorliegenden Fall konnte die Frage der vorläufigen Verbindlichkeit oder Vollstreckbarkeit der Entscheidung über die Rückführung nur bis zur Entscheidung des Obersten Gerichtshofs Bedeutung haben. Mit dieser Entscheidung trat die Rechtskraft des Beschlusses des Rekursgerichts und damit die Vollstreckbarkeit und Verbindlichkeit dieser Entscheidung ein (§ 43 Abs 1 AußStrG).

3. Der Frage, ob bis dahin die Entscheidung des Rekursgerichts vorläufig verbindlich oder vollstreckbar war, kommt damit nur mehr theoretische Bedeutung zu. Es ist aber nicht Aufgabe der Rechtsmittelinstanzen, über bloß theoretische Fragen zu entscheiden (RIS-Justiz RS0002495, RS0006598). Der Revisionsrekurs war daher spruchgemäß zurückzuweisen, ohne dass es der Einholung einer Rekursbeantwortung bedurfte.

4. Weil die vorliegende Entscheidung nur die Vollstreckbarkeit der Rückführungsanordnung in der Vergangenheit, nämlich bis zum Ergehen der Entscheidung des Senats vom 24. 1. 2019, betrifft, konnte diese ungeachtet der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erlassenen einstweiligen Anordnung getroffen werden.

5. Für das weitere Verfahren ist auf diese bestehende einstweilige Anordnung hinzuweisen.

Textnummer

E124614

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0060OB00069.19V.0404.000

Im RIS seit

15.05.2019

Zuletzt aktualisiert am

14.07.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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