Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Roch und Priv.-Doz. Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** B*****, vertreten durch Mag. Marlies Folger, Rechtsanwältin in Deutschlandsberg, gegen die beklagte Partei T***** B*****, vertreten durch Mag. Martin Divitschek und andere Rechtsanwälte in Deutschlandsberg, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 29. Jänner 2019, GZ 2 R 299/18g-41, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Die Vorinstanzen haben die Ehe der Streitteile aus dem gleichteiligen Verschulden geschieden.
Dagegen zeigt die beklagte Ehefrau keine erhebliche Rechtsfrage auf.
1.1 Das Argument der Beklagten, dass ihr ehewidriges Verhalten (Lieblosigkeit, Illoyalität im Zusammenhang mit der Ablehnung des Klägers durch ihre Familie, Rückzug und Vernachlässigung des Partnerkontakts) nur als Reaktion auf ein vom Kläger – mehr als zehn Jahre vor dem Eintritt der Zerrüttung – im Streit gesetztes punktuelles Verhalten (Hinlegen des Eheringes mit den Worten: „Das war unsere Ehe“) zu qualifizieren sei, kann die Zulässigkeit des Rechtsmittel nicht begründen.
1.2 Nur soweit sich ein ehewidriges Verhalten des beklagten Ehegatten als Reaktion auf das Verhalten des klagenden Teils darstellt, liegt keine schuldhafte Eheverfehlung vor (RIS-Justiz RS0057033). Von einer entschuldbaren Reaktionshandlung kann aber nur dann gesprochen werden, wenn sich ein Ehepartner als unmittelbare Folge eines grob ehewidrigen Verhaltens des anderen dazu hinreißen lässt, in einer verständlichen Gemütsbewegung, die die Zurechnung seines Handelns als Verschulden ausschließt, seinerseits Eheverfehlungen zu setzen. Dies muss aber dann verneint werden, wenn sich das ehewidrige Verhalten der Beklagten über mehrere Jahre hinzieht. Hier verhindert es schon das zeitliche Moment, das ehewidrige Verhalten der Beklagten als entschuldbare Reaktionshandlung auf die vorangegangenen Eheverfehlungen des Klägers zu qualifizieren (RS0057136). Die Bejahung von schuldhaften Eheverfehlungen auch auf Seiten der Beklagten durch die Vorinstanzen hält sich im Rahmen der aufgezeigten Rechtsprechung.
1.3 Insoweit die Beklagte damit argumentiert, dass sie aufgrund ihrer körperlichen Konstitution gar nicht in der Lage gewesen sei, an gemeinsamen Freizeitaktivitäten teilzunehmen, übergeht sie, dass ihre Beweisrüge mit einer entsprechenden Ersatzfeststellung im Berufungsverfahren ohne Erfolg blieb.
2.1 Nach ständiger Rechtsprechung ist eine unheilbare Ehezerrüttung dann anzunehmen, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die Grundlagen der Ehe objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört haben, wobei es genügt, dass die klagende Partei die eheliche Gesinnung verloren hat (RS0056832). Der Hinweis auf die Rechtsprechung zur erforderlichen Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft (RS0057116) verfängt schon deshalb nicht, weil sich diese Anforderung auf eine Scheidung nach § 55 EheG bezieht.
2.2 Die Frage, ob und wann eine Ehe objektiv zerrüttet ist, ist eine auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen nach objektivem Maßstab zu beurteilende Rechtsfrage (RS0043423). Deren Beurteilung ist stark von den Umständen des Einzelfalls geprägt und begründet in aller Regel – von den Fällen grober Fehlbeurteilungen abgesehen – keine erhebliche Rechtsfrage (RS0056832 [T5]).
2.3 Die von den Vorinstanzen ihrer Entscheidung zugrundegelegte Rechtsansicht, dass die Zerrüttung wegen der Aufgabe der geistigen, seelischen und körperlichen Gemeinschaft in den Jahren 2012/2013 eintrat, bedarf im Hinblick auf die zu diesem Zeitpunkt eingetretenen einschneidenden Veränderungen in der Ehe der Streitteile (Wegfall von Zärtlichkeiten, gemeinschaftlichen Unternehmungen, Ritualen und Feiern etc) keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung.
2.4 Eheverfehlungen, die nach der unheilbaren Zerrüttung der Ehe gesetzt werden, haben bei der Verschuldensabwägung kein entscheidendes Gewicht (RS0057338). In diesen Fällen fehlt es zwischen der neuen Eheverfehlung und der Zerrüttung am ursächlichen Zusammenhang (RS0056921; RS0056939). Eheverfehlungen nach Zerrüttung der Ehe können nur dann noch von Bedeutung sein, wenn die Ehe noch nicht unheilbar zerrüttet ist und der verletzte Ehegatte bei verständiger Würdigung die weitere Eheverfehlung noch als Zerrüttung empfinden durfte (RS0056887; RS0057338 [T7]). Der Umstand, dass die Vorinstanzen die dem Kläger vorgeworfenen Handlungen in den Jahren 2014 und 2015 bei der Verschuldensabwägung aufgrund der bereits eingetretenen Zerrüttung nicht berücksichtigt haben, wirft daher keine erhebliche Rechtsfrage auf.
3. Auch sonst liegt in der Verschuldenszumessung keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung.
3.1 Die Verschuldenszumessung bei der Scheidung erfolgt nach den Umständen des Einzelfalls und kann in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage begründen (RS0119414, RS0118125). Nach ständiger Rechtsprechung muss bei beiderseitigem Verschulden ein sehr erheblicher Unterschied im Grad des Verschuldens gegeben sein, um ein überwiegendes Verschulden eines Teils annehmen zu können. Es ist dabei nicht nur zu berücksichtigen, wer mit der schuldhaften Zerrüttung der Ehe begonnen hat, sondern auch, wer entscheidend dazu beigetragen hat, dass die Ehe unheilbar zerrüttet wurde (RS0057057). Ein überwiegendes Verschulden ist nur dort anzunehmen und auszusprechen, wo der graduelle Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile augenscheinlich hervortritt (RS0057821).
3.2 Von den Grundsätzen dieser Rechtsprechung sind die Vorinstanzen nicht abgewichen, indem sie von einem gleichteiligen Verschulden der Parteien ausgingen. Im Hinblick auf die angesprochenen Verfehlungen der Beklagten und die festgestellten Lieb- und Respektlosigkeiten des Klägers begründet es keine erhebliche Rechtsfrage, dass die Vorinstanzen kein überwiegendes Verschulden des Klägers annahmen.
4. Die gerügte Mangelhaftigkeit wurde geprüft, sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Der Vorwurf, das Berufungsgericht habe seiner Beurteilung (zum Rückzug der Beklagten) Tatsachenfeststellungen zugrundegelegt, die das Erstgericht nicht getroffen habe, trifft schon deshalb nicht zu, weil das Erstgericht durchaus im Sinne der rechtlichen Schlussfolgerung des Berufungsgerichts ua feststellte, dass sich die Beklagte „immer mehr zurückzog und sich vermehrt ihrer Stammfamilie anschloss“.
Textnummer
E124959European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0030OB00066.19F.0426.000Im RIS seit
15.05.2019Zuletzt aktualisiert am
15.05.2019