Entscheidungsdatum
09.04.2019Index
66/01 Allgemeines SozialversicherungsgesetzNorm
ASVG §330aText
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seine Richterin Dr.in Stemmer über die Beschwerde des Herrn AA, geboren am XX.XX.XXXX, vertreten durch seinen Sachwalter Rechtsanwalt BB, Adresse 1, Z, gegen den Bescheid der Bürgermeisterin der Stadt Z vom 14.06.2017, Zahl ***,
zu Recht:
1. Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben und das gegenständliche Verfahren eingestellt.
2. Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahrensgang, Sachverhalt:
Der am XX.XX.XXXX geborene Beschwerdeführer leidet am Down-Syndrom. Er wird durch seinen Bruder als Sachwalter vertreten. Er bezieht Pflegegeld der Pflegestufe 3. Der Beschwerdeführer wohnt seit 2009 im Wohnhaus Z der CC GmbH. Der Beschwerdeführer bewohnt ein eigenes Zimmer im Dachgeschoss und erhält im Wohnheim Frühstück und Abendessen. Er nimmt die Tagesstruktur bei der Lebenshilfe in Anspruch und isst auch dort zu Mittag. Für die Tagesstruktur in der Lebenshilfe wird dem Beschwerdeführer kein Kostenbeitrag vorgeschrieben. In den nicht von der Lebenshilfe übernommenen Betreuungszeiten wird er im CC GmbH Wohnhaus betreut. Der Beschwerdeführer ist somit durch die beiden Einrichtungen (CC GmbH und Lebenshilfe) rund um die Uhr betreut und verpflegt.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 06.03.2017, Zahl ***, wurde dem Verlängerungsantrag vom 21.12.2016 entsprochen und dem Beschwerdeführer gemäß § 7 TRG für den Zeitraum 01.02.2017 bis 31.01.2019 „Wohnen exklusive Tagesstruktur“ in der Einrichtung CC GmbH im Wohnhaus CC GmbH Z bewilligt. Weiters wurde ihm ein anteiliger Kostenbeitrag von gesamt Euro 722,74 aus Pension und Pflegegeld vorgeschrieben. Unter Spruchpunkt 5. hat sich die belangte Behörde die ergänzende Vorschreibung eines Kostenbeitrages aus Vermögen zu einem späteren Zeitpunkt dezidiert vorbehalten.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der Bürgermeisterin der Stadt Z vom 14.06.2017, Zahl ***, wurde dem Beschwerdeführer die Leistung eines Kostenbeitrages zu den anfallenden Kosten seines Aufenthaltes im Wohnhaus Z der CC GmbH für den Zeitraum vom 01.02.2017 bis 31.01.2019 in Höhe von einmalig Euro 35.137,77 vorgeschrieben. Dieser Kostenbeitrag aus Vermögen ist gemäß dem angefochtenen Bescheid bis spätestens 31.01.2019 zu bezahlen.
Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde erhoben. Diese wurde mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 30.10.2017, LVwG-2017/45/1789-8, als unbegründet abgewiesen und der Spruch des angefochtenen Bescheides in der Hinsicht abgeändert, als dass die Höhe des Kostenbeitrages anstelle von „€ 35.137,77“ „Euro 60.235,07“ zu lauten hat.
Gegen dieses Erkenntnis hat der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gemäß Art 144 Abs 1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof erhoben. Mit Beschluss vom 3. Oktober 2018, E 4347/2017-13, hat der Verfassungsgerichtshof beschlossen, § 1 lit e, § 2 Abs 8 sowie § 8 Abs 1, 2 und 3 der Richtlinie des Landes Tirol für Kostenbeiträge für ambulante und stationäre Leistungen der Behindertenhilfe, Beschluss der Tiroler Landesregierung vom 19. Mai 2015, kundgemacht auf der Homepage des Landes Tirol, von Amts wegen auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfen. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 28. November 2018, V 69/2018-11, sprach der Verfassungsgerichtshof gemäß Art 139 Abs 4 iVm Art 139 Abs 3 Z 3 B-VG aus, dass die Verordnung „Richtlinie des Landes Tirol für Kostenbeiträge für ambulante und stationäre Leistungen der Behindertenhilfe“, Beschluss der Tiroler Landesregierung vom 19. Mai 2015, kundgemacht auf der Website des Landes Tirol, zur Gänze gesetzwidrig war. Dieser Ausspruch wurde von der Tiroler Landesregierung am 13.12.2018, LGBl 137/2018, kundgemacht. In der Folge hat der Verfassungsgerichtshof mit Entscheidung vom 11. Dezember 2018, E 4347/2017-17, das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes vom 30.10.2017 aufgehoben und ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt worden ist.
Dieser Sachverhalt ergibt sich unzweifelhaft aus der vorliegenden Aktenlage.
II. Rechtslage:
Die entscheidungsrelevanten Bestimmungen des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) – in Kraft getreten am 01.01.2018 – lauten wie folgt:
Verbot des Pflegeregresses
§ 330a. (Verfassungsbestimmung) Ein Zugriff auf das Vermögen von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommenen Personen, deren Angehörigen, Erben/Erbinnen und Geschenknehmer/inne/n im Rahmen der Sozialhilfe zur Abdeckung der Pflegekosten ist unzulässig.
Weitere Schlussbestimmungen zu Art. 1 des Bundesgesetzes
§ 707a. (1) Die §§ 330b samt Überschrift und 669 Abs. 3 in der Fassung des Bundesgesetzes treten mit 1. Jänner 2018 in Kraft.
(2) (Verfassungsbestimmung) § 330a samt Überschrift in der Fassung des Bundesgesetzes tritt mit 1. Jänner 2018 in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt dürfen Ersatzansprüche nicht mehr geltend gemacht werden, laufende Verfahren sind einzustellen. Insoweit Landesgesetze dem entgegenstehen, treten die betreffenden Bestimmungen zu diesem Zeitpunkt außer Kraft. Nähere Bestimmungen über den Übergang zur neuen Rechtslage können bundesgesetzlich getroffen werden. Die Durchführungsverordnungen zu einem auf Grund dieser Bestimmung ergehenden Bundesgesetz sind vom Bund zu erlassen.
III. Erwägungen:
§ 330a ASVG idF BGBl I 125/2017 verbietet im Verfassungsrang den Zugriff auf das Vermögen von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommenen Personen, deren Angehörigen, Erben/Erbinnen und Geschenknehmer/inne/n im Rahmen der Sozialhilfe zur Abdeckung der Pflegekosten. Dieses Verbot des Pflegeregresses trat gemäß § 707a Abs 2 ASVG mit 01.01.2018 in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt dürfen Ersatzansprüche nicht mehr geltend gemacht werden, laufende Verfahren sind einzustellen. Insoweit Landesgesetze dem entgegenstehen, traten die betreffenden Bestimmungen gemäß der Verfassungsbestimmung des § 707a Abs 2 dritter Satz zu diesem Zeitpunkt außer Kraft.
In seinem Erkenntnis vom 12. März 2019, G 276/2018-27, hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass sich das Verbot des Pflegregresses nach § 330a ASVG unter seinen übrigen Voraussetzungen auch auf stationäre Pflegeleistungen, die Menschen mit Behinderung erbracht werden, bezieht. Ob ein Landesgesetzgeber die Pflegemaßnahme auf einfachgesetzlicher, landesrechtlicher Ebene im System seines „Sozialhilfe“-Rechts oder seines „Behinderten“-Rechts regelt, könne nicht entscheidend sein.
Im diesem Sinne hat auch die zuständige Abteilung Soziales beim Amt der Tiroler Landesregierung dem Landesverwaltungsgericht Tirol mit Schreiben vom 02.04.2019, ***, mitgeteilt, dass das Land Tirol keine Kostenbeiträge aus Vermögen mehr betreibt, selbst wenn das Verfahren bereits vor Inkrafttreten des § 330a ASVG am 01.01.2018 rechtskräftig abgeschlossen wurde bzw einen Leistungszeitraum betrifft, der vor dem 01.01.2018 gelegen ist. In der Äußerung der Tiroler Landesregierung vom 20.11.2018, ***, hat diese im Rahmen des Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof zum konkreten Fall angemerkt, dass im Hinblick auf die Verfassungsbestimmungen des § 330a ASVG und des § 707a Abs 2 ASVG die Einbringung von aus Vermögen vorgeschriebenen Kostenbeiträgen, sohin auch in dem dem gegenständlichen Verfahren zugrundeliegenden Fall, nicht betrieben wird. Im Übrigen wurde in dem seit 01.07.2018 in Kraft befindlichen Tiroler Teilhabegesetz, das an die Stelle des Tiroler Rehabilitationsgesetzes trat, von einem Kostenbeitrag aus Vermögen gänzlich abgesehen.
Der Verfassungsgerichtshof hat wie angeführt mit Erkenntnis vom 11. Dezember 2018, E 4347/2017-17, das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes vom 30.10.2017 aufgehoben. Somit liegt im gegenständlichen Fall ein „laufendes Verfahren“ vor, für das die Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung zur Anwendung gelangt. Im Sinne der obigen Ausführungen war daher der angefochtene Kostenbeitragsbescheid ersatzlos zu beheben und das gegenständliche Verfahren einzustellen.
IV. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die entsprechenden Rechtsfragen wurden mit den zitierten Entscheidungen bereits einer Klärung zugeführt. Die gegenständliche Entscheidung weicht von dieser Rechtsprechung nicht ab. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.
Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.
Es besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.
Landesverwaltungsgericht Tirol
Dr.in Stemmer
(Richterin)
Schlagworte
Menschen mit Behinderung von Verbot des Pflegeregresses umfasstEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGTI:2019:LVwG.2017.45.1789.19Zuletzt aktualisiert am
14.05.2019