TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/9 L526 2153332-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.11.2018
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Entscheidungsdatum

09.11.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
AVG §15
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.2
EMRK Art.3
EMRK Art.8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L526 2153332-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Petra Martina SCHREY, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. XXXX , vertreten durch den Verein Zeige, Zentrum für Europäische Integration und Globalen Erfahrungsaustausch, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.03.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.10.2018 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des XXXX , arabischer Abstammung, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 14.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Dazu wurde er noch am selben Tage von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Der Beschwerdeführer gab im Wesentlichen an, er habe - nachdem sein Bruder aus dem XXXX geflüchtet sei - zwei Jobs im XXXX gehabt. Er sei Schauspieler und Journalist bei einer Zeitung gewesen. Er sei aber unterdrückt worden, da er Berichte geschrieben habe, die nicht mit seinem Namen abgedruckt worden seien. Auch in seinem Beruf als Schauspieler habe er Probleme mit der Regierung gehabt, weil er nicht akzeptiert worden sei. Aufgrund der Probleme seines Bruders habe auch er Probleme bekommen. Sie hätten ihn unterdrückt, wo es gegangen sei. Er sei auch telefonisch mit dem Umbringen bedroht worden. Ein Freund von ihm, welcher auch in einem seiner Filme mitgewirkt habe, sei von der Regierung festgenommen worden. Im Falle einer Rückkehr befürchte er, von schiitischen Milizen oder anderen regierungsnahen Truppen festgenommen und getötet zu werden.

2. Am 06.02.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge kurz "BFA" genannt) niederschriftlich befragt. Dabei gab er an, Staatsangehöriger des XXXX , Angehöriger der arabischen Volksgruppe und seit November 2015 ohne Bekenntnis zu sein. Davor sei er sunnitischer Moslem gewesen. Zu seinen Fluchtgründen brachte er im Wesentlichen vor, dass er im XXXX bedroht worden sei. Zu dieser Zeit sei er alleine im XXXX gewesen, weil seine Eltern schon in der Türkei gewesen seien. Im April habe er seine Prüfungen am College gehabt. Er habe als Schauspieler gearbeitet und einem Kurzfilm über Journalisten in XXXX gedreht. Dabei sei es um falsche Berichterstattungen in den Medien gegangen. Es habe ein von der Regierung unterstütztes Filmfestival in XXXX gegeben und dieser Kurzfilm sei dort am 25.04.2015 präsentiert worden. Der Film sei im Nationaltheater in XXXX gezeigt und ausgezeichnet worden. Nach der Präsentation hätten er und Kollegen am Telefon Drohungen erhalten. Sein Freund Hassan habe ihn angerufen und gesagt, dass deren Haus zerstört worden sei, weshalb er aus Angst, getötet zu werden, den XXXX verlassen habe. Im Fall der Rückkehr in sein Heimatland befürchte er den Tod.

Zum Akt genommen wurden neben Kopien von Schreiben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Berlin (diese betreffen die dort abgegebenen Unterlagen des BF und eine Aufforderung zur Abgabe eines Fragebogens sowie eine Auskunft im Zusammenhang mit der Zuerkennung des Flüchtlingsstatus verschiedene Personen - unter anderem mit dem Nachnamen XXXX - betreffend) auch verschiedene Flugtickets und Boarding-Pässe sowie Ablichtungen von Inhalten einer Webseite und weitere Ablichtungen, auf welchen der Beschwerdeführer zu sehen ist.

3. Mit Bescheid des BFA vom 28.03.2017, Zl. XXXX , wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß

§ 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat XXXX abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den XXXX gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

Das BFA begründete seine abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass dem Vorbringen aufgrund von widersprüchlichen und nicht nachvollziehbaren Angaben des Beschwerdeführers die Glaubwürdigkeit zu versagen war. Darüber hinaus erreiche die Intensität der behaupteten Verfolgungshandlung (einmaliger Drohanruf von unbekannter Person) nicht das von der Genfer Flüchtlingskonvention geforderte Ausmaß.

Zudem wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr drohe, die eine Gewährung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Das BFA traf auch umfassende herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage im XXXX . Die Rückkehrentscheidung verletze nicht das Recht auf ein Privat- und Familienleben im Bundesgebiet und würden auch die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 nicht vorliegen.

4. Mit Verfahrensanordnungen des BFA vom 27.03.2017 bzw. 28.03.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt und die Verpflichtung zur unverzüglichen oder fristgerechten Ausreise gemäß § 58 FPG mitgeteilt.

5. Der Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 30.03.2017 ordnungsgemäß durch Hinterlegung zugestellt, wogegen am 12.04.2017 fristgerecht Beschwerde erhoben wurde.

Darin wurde zusammengefasst ausgeführt, dass eine Rückkehr in den XXXX für den Beschwerdeführer eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Im Weiteren wurden auszugsweise Länderberichte zitiert, aus welchen nach Meinung der Vertretung des Beschwerdeführers hervorgehe, dass dessen Angst nicht unberechtigt sei. Darüber hinaus wurde dargelegt, dass die Schilderungen des Beschwerdeführers zum Fluchtvorbringen während des gesamten Verfahrens gleichbleibend gewesen und die Rückkehrbefürchtungen ebenso nachvollziehbar seien. Vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen und Bezug nehmend auf das übliche Vorgehen der Milizen seien seine Angaben durchaus glaubhaft. Der Umstand, dass er von den Milizen verfolgt werde, sei darauf zurückzuführen, dass seine Arbeit bei der Polizei (gemeint wohl: die Arbeit als Journalist und Schauspieler) in Bezug auf Lebensgestaltung und Politik nicht jener der radikalen Islamisten entspreche.

Staatliche Hilfe sei in einem solchen Fall auf die sich auch aus den Länderfeststellungen ergebende, nach wie vor bestehende, prekäre Situation nicht zu erwarten, sodass auch keine innerstaatliche Fluchtalternative vorhanden sei. Auch die Erstbehörde habe über eine solche Möglichkeit kein Wort verloren.

Eine dem Staat zurechenbare asylrelevante Verfolgungssituation könne auch dann gegeben sein, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage sei, von Privatpersonen ausgehende Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, sofern diesen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - Asylrelevanz zukommen sollte. In Summe erfülle der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, weshalb das Bundesverwaltungsgericht ersucht werde, den vorliegenden Fall noch einmal eingehend zu prüfen und der Beschwerde statt zu geben.

6. Mit Verständigung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.06.2018, zugestellt am 29.06.2018, wurden dem Beschwerdeführer die aktuellen Länderfeststellungen zum XXXX (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum XXXX , Stand 04.06.2018) übermittelt und ihm die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme innerhalb von zwei Wochen eingeräumt.

Mit Schreiben vom 16.07.2018 teilte der Beschwerdeführer im Wege seiner Vertretung mit, dass er vom Islam abgefallen sei und zum Christentum konvertiere. Er besuche seit Oktober 2017 regelmäßig die Gottesdienste und Veranstaltungen der Evangelischen Gemeinde A.B. XXXX . Er befinde sich seit Dezember 2017 in der Taufvorbereitung. Dies wurde auch durch ein Schreiben des Kurators der Pfarrgemeinde XXXX bestätigt. Aus diesem Scheiben geht auch hervor, dass der Beschwerdeführer in der Pfarrgemeinde sehr beliebt und geschätzt wird und er dort als nett, höflich und integrationswillig gesehen wird. Die Ausübung christlicher Glaubenspraxis, so wird in der Stellungnahme weiter ausgeführt, sei im XXXX nicht möglich. Christen würden im XXXX ihrer Existenzfähigkeit beraubt und verfolgt. Einem Bericht von "Open Doors" zufolge rangiere der XXXX auf Platz 8 des Weltverfolgungsindex. Extremistische Bewegungen wie der Islamische Staat und andere militante Gruppen seien bekannt dafür, gezielt Christen und andere religiöse Minderheiten durch Entführungen und Morde anzugreifen. Obwohl der IS sein Territorium im XXXX fast vollständig verloren habe, lebe seine Ideologie weiter und habe die lokale Bevölkerung beeinflusst. Die Vorstellung, Christen seien unrein, habe sich weit verbreitet. Berichten zufolge seien schätzungsweise 3.000 IS Kämpfer untergetaucht. Obwohl einige christliche Familien in ihre Häuser zurückgekehrt sind, gehe die Auswanderung von Christen weiter, weil sie Angst und keine Hoffnung auf eine gute Zukunft hätten. Auf Christen muslimischer Herkunft werde erheblicher Druck ausgeübt, um sie dazu zu bringen, wieder zum Islam zurückzukehren und manchmal werde sogar versucht, abgefallene Personen zu töten. Indem sie es verabsäumten, eine pluralistische Gesellschaft zu fördern, würden auch die politischen Parteien zur Verfolgung der Christen beitragen. Die Entführung von Christen geschehe oft in Form organisierter Kriminalität, wobei religiöse und finanzielle Motive zusammenkämen. Auf einer niedrigeren Ebene der Verfolgung hätten manchmal Leiter historischer Kirchen die offizielle Anerkennung neuer christlicher Konfessionen verhindert. Das vorliegende Länderinformationsblatt bestätige, dass sich die Lage der Christen im Iran (gemeint ist wohl der XXXX ) seit 2003 stetig verschlechtert habe - hunderttausende irakische Christen seien in den vergangenen Jahren ins Ausland geflohen. Eine Rückkehr eines konvertierten Christen in den XXXX sei nicht zumutbar.

Ferner werden Ausführungen zur allgemeinen Lage im XXXX getätigt. Zusammengefasst dargestellt wird ausgeführt, dass die Sicherheitslage im XXXX weiterhin äußerst instabil und die militärische Situation höchst unübersichtlich sei. Der IS kontrolliere und terrorisiere weite Gebiete des Landes. Sowohl die Regierungskräfte als auch verschiedenen Milzen begingen schwerste Menschenrechtsverletzungen. Der Staat XXXX sei nicht in der Lage, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Vor allem für Sunniten sei es schwierig, in ihre ehemaligen Wohnorte zurückzukehren und würden diese auch unter dem Pauschalverdacht, mit dem IS zu sympathisieren, leiden. Ein besonderes Problem stellten schiitische Milizen dar. Neben gewaltsamen Übergriffen auf die sunnitische Bevölkerung gingen schiitische Milizen gegen ein "un-islamisches" Verhalten vor. In XXXX käme es zu Vertreibungen von Binnenflüchtlingen sowie zu Drohungen, Morden und Entführungen. XXXX Hauptstadt sei in zunehmendem Maß religiös gespalten und in schiitische und sunnitische Viertel geteilt, wobei die schiitisch dominierten Viertel stark zunehmen würden. Eine innerstaatliche Fluchtalternative auf irakischem Gebiet sei in Anbetracht der Berichtslage weder möglich noch zumutbar, zumal die Bewegungsfreiheit für Araber bzw. Sunniten äußerst eingeschränkt sei. Es gebe auch regelmäßig Berichte über Zugangssperren in von der irakischen Regierung kontrollierte Gebiete sowie auch in die unter der Kontrolle der Autonomieregion Kurdistan stehenden Gebiete. Auch im Süden verhinderten die Zugangsbeschränkungen das Vorankommen von sunnitischen IDP¿s in die vorwiegend schiitischen Provinzen. Eine innerstaatliche Fluchtalternative sei in gegenständlichem Fall nicht gegeben.

Zur Meinungs- und Pressefreiheit im XXXX wurde dargelegt, dass Journalisten und Medien systematischer Gewalt ausgesetzt seien. Es komme zu gezielten Morden an Medienschaffenden und Journalisten. Laut Reporter ohne Grenzen sei der XXXX für Medienschaffende und Journalisten eines der gefährlichsten Länder. Dem Antragsteller sei in Anbetracht der vorliegenden aktuellen Berichtslage die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, zumindest jedoch der Status des subsidiär Schutzberechtigten.

Im Anhang zu dieser Stellungnahme wurden folgende Unterlagen übermittelt:

? Ein Empfehlungsschreiben sowie eine Bestätigung über die Teilnahme des Beschwerdeführers an Gottesdiensten und an einem Taufkurs

? Ein Zertifikat über die bestandene Prüfung "ÖSD Zertifikat A1"

? Eine Teilnahmebestätigung über den Kurs "Deutschkurse für AsylwerberInnen"

? Eine Bestätigung über die Teilnahme am "Werte- und Orientierungskurs"

7. Mit Schreiben vom 3.10.2018 erstattete der Pfarrer der Evangelischen Pfarrgemeinde XXXX eine Stellungnahme, in welcher zusammengefasst dargelegt wurde, dass der Beschwerdeführer durch dessen Bruder zum christlichen Glauben gekommen sei und der Beschwerdeführer seit Dezember 2017 Veranstaltungen und Gottesdienste der Pfarrgemeinde besuche. Weiters wurde dargelegt, dass der Beschwerdeführer einen mehrwöchigen Taufkurs in der arabisch-christlichen Gemeinde in Wien besuche, welche den Vorgaben der Evangelischen Kirche jedoch nur teilweise entspreche, weshalb mit dem Beschwerdeführer vereinbart worden sei, dass er nach diesem Taufkurs noch einen Glaubenskurs in der eigenen Gemeinde besuchen solle. Die Taufe könne demnach nicht vor dem Gerichtstermin vollzogen werden, es möge aber berücksichtigt werden, dass der Beschwerdeführer seit beinahe einem Jahr den Christlichen Glauben erlerne.

8. Mit Schreiben vom 11.10.2018 legte der Beschwerdeführer eine Beschäftigungszusage eines Arbeitskräfteüberlassers in der Branche Reinigung und Transport sowie ein Dokument vor, mit welchem die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich als staatlich anerkannte Religionsgemeinschaft der Muslime in der Republik Österreich bestätigt, dass der Bescherdeführer kein Mitglied der Islamischen Glaubensgemeinschaft ist. Zu letztgenanntem Dokument wurde ausgeführt, dass sich der Beschwerdeführer damit unwiderruflich "geoutet" habe und dies zeige, dass er nun vom Islam abgefallen sei. In seinem Herkunftsstaat müsse er daher mit schweren und lebensbedrohlichen Repressionen rechnen. Es sei auch davon auszugehen, dass die islamische Glaubensgemeinschaft "übernational in Verbindung" stehe und Informationen austausche. Ferner wurden Zeugen benannt, die über die christliche Glaubenspraxis bzw. die Ernsthaftigkeit des Konversionsweges des Taufwerbers Auskunft geben können.

8. Am 16.10.2018 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, in welcher der Beschwerdeführer neuerlich zu seinen Fluchtgründen, seinen Rückkehrbefürchtungen, den aktuellen Lebensumständen sowie zu seiner Integration in Österreich befragt wurde. Anlässlich dieser mündlichen Verhandlung brachte der Beschwerdeführer erstmals vor, im XXXX homosexuelle Erfahrungen gemacht zu haben und dabei betreten worden zu sein, weshalb er sich von seiner Familie trennen musste und er daher auch eine Verfolgung durch seine Familie oder seinen Clan im Falle seiner Rückkehr erwarte. Auf die Einvernahme der im Schreiben vom 11.10.2018 benannten Zeugen wurde verzichtet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt:

1.1. Feststellungen zur Person und den Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Identität des Beschwerdeführers steht fest.

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des XXXX und Angehöriger der arabischen Volksgruppe. Er ist kein Mitglied der Islamischen Glaubensgemeinschaft. Vor seinem Austritt war er sunnitischer Moslem. Seit Oktober 2017 besucht der Beschwerdeführer regelmäßig Gottesdienste und Veranstaltungen in der Evangelischen Pfarrgemeinde in XXXX . Seit Dezember 2017 nimmt er an einem Taufkurs teil.

Der Beschwerdeführer wurde in XXXX geboren und ist im Jahr 2000 mit seiner Familie nach XXXX gezogen, wo er bis zu seiner Ausreise lebte. Er besuchte dort von 1998 bis 2004 die Volkschule und von 2004 bis 2007 die Mittelschule. Danach studierte er drei Jahre an einem College für Kunst (Schauspielschule), schloss das Studium aber nicht ab und arbeitete zuletzt als Journalist und Schauspieler in XXXX . Bis zu seiner Ausreise lebte der Beschwerdeführer zusammen mit seinen Eltern, einem Bruder und einer Schwester in XXXX , XXXX und verließ das Land am 6.6.2015 legal mit dem Flugzeug nach Amman, von wo aus er schlepperunterstützt weiter in Richtung Österreich reiste, wo er am 14.11.2015 einen Asylantrag stellte.

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Ein Bruder des Beschwerdeführers lebt als anerkannter Flüchtling in Deutschland. Im XXXX leben nach wie vor seine Eltern, ein Onkel ( XXXX ) sowie vier Schwestern ( XXXX ) des Beschwerdeführers. Der Aufenthalt einer Schwester ist dem Beschwerdeführer nicht bekannt. Eine Schwester ist als Anwältin tätig. Ein Bruder des Beschwerdeführers lebt mit seiner Familie (Ehefrau und 2 Kinder) in Österreich als Asylwerber. Der Beschwerdeführer wohnt mit seinem Bruder nicht an einem gemeinsamen Wohnsitz.

Darüberhinaus hat der Beschwerdeführer Kontakt zu Personen, die er vorwiegend aus der Kirche kennt.

Der Beschwerdeführer war in Österreich bisher nicht legal erwerbstätig und lebt von Leistungen der Grundversorgung für Asylwerber. Er leistet auch keine gemeinnützige Arbeit. Der Beschwerdeführer verfügt über eine Beschäftigungszusage eines Arbeitskräfteüberlassers in der Branche Reinigung und Transport.

Der Beschwerdeführer leidet an keinen lebensbedrohenden Krankheiten und ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer hat Deutschkenntnisse etwa auf dem Niveau A2. Er hat für eine abgelegte Prüfung ein "ÖSD Zertifikat A1" erhalten und besuchte einen weiterführenden Deutsch-Kurs sowie einen Werte- und Orientierungskurs.

1.2. Länderfeststellungen

Auszugsweise werden aus den herangezogenen Länderfeststellungen insbesondere folgende Feststellungen explizit angeführt:

Politische Lage

Im März 2003 kam es zum Einmarsch von Truppen einer Koalition, die von den USA angeführt wurde (BBC 12.7.2017). Als Grund hierfür wurden Massenvernichtungswaffen angegeben, deren Existenz jedoch nie bestätigt werden konnte. Nach dem im März 2003 erfolgten Sturz von Saddam Hussein, einem Angehörigen der sunnitischen Minderheit, wurden die Regierungen von Vertretern der schiitischen Mehrheitsbevölkerung geführt (BPB 9.11.2015). Mit 2003 begann der Aufstieg von [vorwiegend] irantreuen bzw. dem Iran nahestehenden schiitischen Parteien/Milizen, denen die amerikanischen Invasoren erlaubten, aus dem iranischen Exil in ihre Heimat zurückzukehren (SWP 8.2016; vgl. Hiltermann 26.4.2017). Es konnte nach der Entmachtung Husseins weder eine umfassende Demokratisierung noch eine Stabilisierung erreicht werden, da die Strukturen des neuen politischen Systems das Land entlang ethnisch-konfessioneller Linien fragmentierten (BPB 9.11.2015). Die von der US-Besatzung beschlossene Auflösung der irakischen Armee sowie das Verbot der Baath-Partei ließen viele Sunniten, darunter erfahrene Militärs, radikalen islamistischen Gruppen zuströmen (Spiegel 18.4.2015). Die sunnitische Minderheit fühlte sich zunehmend diskriminiert und radikale Anführer konnten immer mehr Anhänger gewinnen (AI 28.5.2008). Zudem hatte die Demontage der irakischen Armee und irakischen Sicherheitskräfte durch die US-geführte Koalition ein Sicherheitsvakuum hinterlassen, das die schiitischen Milizen zu füllen versuchten, wodurch es zu einem sunnitischen Aufstand kam (Hiltermann 26.4.2017). Die US-Regierung (sowohl die Bush-, als auch die Obama-Regierung) arbeitete zum Teil mit diesen Kräften (Badr-Miliz) zusammen, und verschloss vor den Gewaltexzessen der schiitischen Milizen gegenüber der sunnitischen Bevölkerung die Augen (Reuters 14.12.2015). Während die Revolte der Sunniten gegen die US-Präsenz seit 2003 eher eine nationalistisch als eine religiös geprägte Bewegung war, entwickelte die Revolte zunehmend einen dominanten radikal-sunnitisch-islamistischen Zug. Der in der Folge entstehende konfessionelle Bürgerkrieg (ca. 2005 bis 2007) führte zu einer Änderung der US-Politik im XXXX , die wiederum die Niederlage von Al-Qaida im XXXX (AQI) herbeiführte. Doch dadurch, dass das Problem der Ausgrenzung der Sunniten weiter bestehen blieb, kam es zu weiteren Protesten in den sunnitischen Gebieten in den Jahren 2013 und 2014, daraufhin zu einer gewaltsamen Antwort von Seiten des Staates und danach zur Übernahme sunnitischer Gebiete durch eine noch radikalere Version von Al-Qaida - durch die Organisation "Islamischer Staat" [IS, auch ISIS oder ISIL, vormals ISI, arabisch Daesh] (Hiltermann 26.4.2017). Diese konnte in große Teile der sunnitischen Gebiete im Westen des XXXX , in kurdische Gebiete im Norden des XXXX und in Teile Syriens vordringen (ACCORD 12.2016). Als die nach der Entmachtung Saddam Husseins neu aufgestellte Armee vorübergehend "kollabierte", mobilisierten schiitische Führer in Notwehr ihre Gefolgschaft, wodurch die schiitischen Milizen (allen voran die Badr Organisation, Asaib Ahl al-Haq und Kataeb Hezbollah, mit Unterstützung des Irans) verstärkt auf den Plan traten und sich nordwärts in die sunnitischen Gebiete bewegten (Hiltermann 26.4.2017).

Das politische Geschehen ist trotz großer Erfolge bei der Rückeroberung von IS weiterhin vom Kampf gegen den IS geprägt (ÖB 12.2016). Seit Ende 2015 wird der IS mit einem Bündnis auf Zeit aus irakischem Militär, kurdischen Peschmerga, schiitischen Milizen und Luftschlägen der internationalen US-geführten Anti-IS-Koalition bekämpft (AA 7.2.2017).

Nach dem Referendum über die Lossagung Irakisch-Kurdistans vom XXXX am 25.9.2017 erklärte der Kurdenführer Mas?ud Barzani am Tag darauf (noch vor der offiziellen Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses), dass die Mehrheit der Kurden, die ihre Stimme abgaben, die Unabhängigkeit unterstützen würden. Die Beteiligung lag in etwa bei 72 Prozent (Al-Jazeera 27.9.2017). Wahlberechtigt waren ca. fünf Millionen Einwohner, darunter mehrheitlich Kurden verschiedenen Glaubens, aber auch Christen und die meist sunnitischen Araber und Turkmenen der Region (Tagesspiegel 25.9.2017). Nach vorläufigen Zahlen von Barzanis KDP (Kurdische Demokratische Partei) stimmten beim Referendum knapp 92 Prozent für die Unabhängigkeit. Trotz internationaler Kritik und Warnungen hatte die kurdische Autonomieregierung die Bürger am Montag abstimmen lassen (Standard 27.9.2017). Die Zentralregierung hält das Referendum für verfassungswidrig. Auch die Türkei und der Iran sind strikt gegen einen unabhängigen Kurdenstaat. Bereits kurz nach der Abstimmung hatten die türkische und die irakische Armee ein gemeinsames Militärmanöver begonnen. Laut dem irakischen Generalstabschef Uthman al-Ghanami finde die Übung in der Gegend des Grenzübergangs Habur statt, des Übergangs zwischen der Türkei und der Kurdenregion im Nordirak. Die türkische Armee hatte das Manöver bereits eine Woche zuvor begonnen (Standard 27.9.2017). Die Türkei reagierte auch mit der Ankündigung von wirtschaftlichen Sanktionen. Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärte am Folgetag des Referendums, dass die "irakischen Kurden hungern würden, wenn sein Land keine Lastwagen mehr in die Region ließe." Er drohte darüber zudem mit einem Stopp des kurdischen Ölexports und einer militärischen Intervention im Nordirak nach dem Vorbild des türkischen Einmarschs in Syrien. Das Referendum nannte er "null und nichtig" (Al-Jazeera 27.9.2017; vgl. Standard 26.9.2017). Der Nachbarstaat Iran schloss als Reaktion auf das Referendum nach dem Luftraum laut offiziellen Angaben auch die Landgrenze zu den Kurdengebieten. Allerdings gab es unterschiedliche Berichte darüber, ob ein Grenzübergang weiterhin geöffnet blieb. Parlamentspräsident Ali Larijani kündigte am Dienstag zudem an, dass das Parlament "alles, was zu einer Desintegration der Region führen könnte", nicht anerkennen werde. Medienangaben zufolge gab es wegen des Referendums am Montag spontane Straßenfeiern in mehreren kurdischen Städten im Iran (Standard 26.9.2017). Der Iran und die von ihm finanzierten schiitischen Milizen im XXXX . sehen die Unabhängigkeitsbestrebungen der irakischen Kurden als Bedrohung einer iranisch dominierten Neuordnung der Region, die über den XXXX und Syrien bis in den Libanon reicht. Dazu braucht die iranische Führung einen XXXX in seinen jetzigen Grenzen und mit seinen Ölquellen in XXXX . Iranische Militärs und Revolutionsgardisten mahnten zunächst in eher blumigen Worten, inzwischen melden sie das Recht auf militärische Aktionen auf kurdischem Territorium an, sollte Erbil die Unabhängigkeit vorantreiben. Sie wittern hinter dem Referendum auch eine amerikanisch-israelische Strategie zur Unterminierung iranischer Interessen. Was in diesem Fall nur zur Hälfte stimmt. Israel ist in der Tat der einzige Staat im Nahen Osten, der das Referendum befürwortet, Kurden und Israelis haben eine lange Geschichte gegenseitiger Unterstützung (Zeit 24.9.2017). Die Türkei und der Iran befürchten darüber hinaus Auswirkungen auf die Autonomiebestrebungen ihrer eigenen kurdischen Minderheiten. Die USA als wichtiger Verbündeter der Kurden hatten sich ebenfalls gegen das Referendum ausgesprochen, weil sie den Kampf gegen den IS gefährdet sehen (Standard 26.9.2017).

Die irakische Regierung beantwortete den Aufruf Barzanis, mit den Kurden nun in Verhandlungen zu treten, ebenfalls mit einer Drohung. Premierminister Haider al-Abadi forderte die Kurden auf, binnen drei Tagen die Kontrolle der Flughäfen im Norden des Landes an die Zentralregierung zu übergeben. Sollte dies nicht geschehen, werde die irakische Regierung den Luftraum sperren und keine Flüge mehr aus oder in den Nordirak zulassen. Inlandsflüge seien davon jedoch nicht betroffen und internationale Flüge in und aus der Kurdenregion könnten [nach derzeitigem Stand] über XXXX stattfinden (Al-Jazeera 27.9.2017; vgl. Standard 26.9.2017). Darüber hinaus stimmte das irakische Parlament bereits am Montag dafür, die irakische Armee in jene Gebiete zu schicken, in denen das Referendum abgehalten wurde, die jedoch laut irakischer Verfassung von 2005 als "umstrittenen" gelten - insbesondere XXXX und Umgebung, wo die Kurden die völlige Kontrolle übernahmen, nachdem 2014 die irakische Armee vor dem "Islamischen Staat" (IS) geflohen war (Harrer 26.9.2017).

Der Armeeeinsatz in den umstrittenen Gebieten, insbesondere in XXXX und Umgebung, führte zum Zusammenbruch der irakisch-kurdischen Peschmerga unter dem gemeinsamen Druck von XXXX und Iran kurz nach dem Referendum über die Unabhängigkeit der Kurden am 25. September 2017 und könnte den Nordirak letztlich eher destabilisieren. Die Peshmerga zogen sich am 16. und 17. Oktober 2017 aus den umkämpften Gebieten im Nordirak im Wesentlichen zurück (siehe hiezu die untenstehende Karte). Details dazu siehe Punkte 1.1. und 2.4.

Schiitische Milizen, Rolle des Ex-Premierminister Maliki und Einfluss des Iran

Der noch amtierende Ministerpräsident Abadi hat mit dem Iran-freundlichen Ex-Premierminister Maliki (nunmehr Vize-Premierminister und Vorsitzender der State of Law Coalition, sowie Da'wa-Parteiführer) einen starken Widersacher innerhalb seiner Partei. Ein Problem Abadis ist auch die Macht der schiitischen Milizen - einerseits unverzichtbar für Abadi im Kampf gegen den "Islamischen Staat" (Standard 5.11.2015), gleichzeitig wird deren Einsatz aber von der sunnitischen Bevölkerung als das "Austreiben des Teufels mit dem Beelzebub" gesehen. Das Vertrauen der sunnitischen Bevölkerung in die schiitisch dominierte Zentralregierung bleibt weiterhin minimal. Der Einsatz dieser Milizen im Kampf gegen den IS wird von Sunniten meist abgelehnt, sie fürchten ein ruchloses Vorgehen der Milizen und dulden daher oft die sunnitischen Extremisten in ihren Gebieten. Berichte zu Übergriffen der schiitischen Milizen konterkarieren die Versuche von Premierminister Haidar al-Abadi, den arabischen Sunniten wieder Vertrauen in den irakischen Staat einzuflößen (ÖB 12.2016). Bezüglich der schiitischen Milizen spielt auch der schiitisch dominierte Iran eine große Rolle, der insgesamt einen großen Einfluss auf den XXXX ausübt. An den Schalthebeln der Macht in XXXX werden selbst hochrangige irakische Kabinettsmitglieder von der iranischen Führung abgesegnet oder "hinauskomplementiert". Dadurch kommt es auch dazu, dass Gesetze verabschiedet werden, wie z.B. jenes vom November 2016, das die schiitischen Milizen effektiv zu einem permanenten Fixum der irakischen Sicherheitskräfte macht (NYTimes 15.7.2017), und sie im Rahmen der Dachorganisation PMF (auch PMU, Popular Mobilisation Forces/Units, Volksmobilisierung, arabisch Al-Hashd al-Shaabi) der irakischen Armee gleichstellt (Harrer 9.12.2016). Diese Integration der schiitischen Milizen in die Regierungskräfte, die von vielen sunnitischen Politikern bekämpft wurde (HRW 16.2.2017), ist mehr formeller Natur, um den äußeren Schein zu wahren. In der Realität gibt es im XXXX keine offizielle Instanz (auch nicht die Regierung), die die Fähigkeit hat, die Milizen zu kontrollieren (Hiltermann 26.4.2017). Die Eingliederung der Milizen in die irakische Sicherheitsstruktur sichert ihnen einerseits eine Finanzierung durch den XXXX , während die [effektive] Kontrolle über einige der mächtigsten Einheiten weiterhin dem Iran obliegt. Dem Iran geht es dabei nicht nur um die weitere Ausbreitung der Kontrolle über irakisches Gebiet, sondern auch darum, einen Korridor zu den Stellvertreterkräften in Syrien und im Libanon zu bilden. Was im März 2017 passierte, nämlich, dass Iran-gestützte schiitische Milizen zum ersten Mal den gesamten Weg westwärts bis zur syrisch-irakischen Grenze vorstoßen konnten, quer durch irakisches, vorwiegend sunnitisches Gebiet, veranschaulicht dieses Vorhaben (ICG 31.5.2017; vgl. NY Times 15.7.2017). Der ehemalige Premierminister Maliki, der sich bereits zu seiner Amtszeit stark in Richtung Iran gelehnt hatte, und der nach Ende seiner Amtszeit weiterhin massiv von der Zusammenarbeit mit dem Iran profitierte, spielt heute auf politischer Ebene in Bezug auf die PMF eine zentrale Rolle. Unter anderem aufgrund der Schwäche des Irakischen Staates, der Dominanz des Irans, sowie ganz besonders aufgrund der Hilfe, die der reguläre irakische Sicherheitsapparat für das Zurückschlagen des IS benötigt(e), blieb Abadi keine andere Wahl, als den PMF-Milizen zu noch weiterem Einfluss zu verhelfen - in Fortsetzung der bezüglich der Milizen vorangetriebenen Legitimierungspolitik Malikis. Die PMF sind somit einerseits eine vom Staat mittlerweile legitimierte und der Armee gleichgestellte Dachorganisation von - fast ausschließlich - schiitischen Milizen, gleichzeitig werden sie aber von nicht-staatlichen Anführern befehligt (Carnegie 28.4.2017). Maliki versucht, an die Spitze der irakischen Politik zurückzukehren, und hat als Verbündete dabei den Iran und "seine" neue Hausmacht, die schiitischen Milizen (Harrer 13.2.2017). Gegen dieses Vorhaben regt sich insbesondere auch im Süden verstärkter Widerstand: Die Anhänger der Sadr-Bewegung [Muqtada al-Sadr: Führer der Sadr-Bewegung, einer politischen Partei, sowie Führer der Saraya al-Salam] wollen mittels Demonstrationen die Hoffnung Malikis auf eine Rückkehr verhindern. Ein innerschiitischer Konflikt zwischen Sadristen und Maliki-Anhängern ist spürbar, auch wenn diesbezügliche militärische Auseinandersetzungen unwahrscheinlich sind (Al Monitor 26.1.2017). Zu solchen Auseinandersetzungen war es zwischen diesen beiden Lagern im Jahr 2008 in XXXX gekommen (BBC 12.7.2017).

Die Sadr-Bewegung ist aber auch gegenüber Abadis Regierung kritisch eingestellt. Muqtada al-Sadr stilisiert sich als irakischer Nationalist, der gegen den konfessionell-ethnischen Proporz in der irakischen Politik ankämpft, der jedoch andererseits Abadis Reformen zum Teil sogar blockiert, wie z.B. Abadis Versuch, eine Technokratenregierung aufzustellen. Darüber hinaus führt die Sadr-Bewegung regierungskritische Demonstrationen durch, die - trotz Aufrufs Sadrs, friedlich zu protestieren - außer Kontrolle geraten können und zuletzt im Februar 2017 in XXXX zur wiederholten Erstürmung der Grünen Zone führten. Die Proteste der Sadr-Bewegung spielen Maliki in die Hände und schwächen Abadi zusätzlich, der in der Schusslinie zwischen Sadr und Maliki steht (Harrer 13.2.2017). In Hinblick auf die Parlamentswahl im Jahr 2018 und einen möglichen Erfolg des pro-iranischen Maliki, näherte sich Premierminister Abadi einer Koalition einflussreicher schiitischer religiöser und politischer Führer (darunter auch besagter Muqtada al-Sadr) an, mit dem Ziel Maliki zu isolieren (IFK 9.6.2017).

Der gemeinsame Gegner IS schweißte 2014 das Land und teilweise auch die Bevölkerung etwas zusammen, doch die Bruchlinien bleiben insbesondere mit zunehmenden Erfolgen gegen den IS akut: Nicht nur zwischen Schiiten und Sunniten oder innerhalb der schiitischen Kräfte, sondern auch zwischen der KRI (Kurdische Region im XXXX ) und der Zentralregierung, innerhalb der kurdischen Gruppierungen sowie zwischen de facto allen Mehrheitsbevölkerungen und Religionen und den Minderheiten in ihrem Bereich. Mit zunehmenden Erfolgen gegen den IS gehen auch ein verstärkter Terrorismus, neue humanitäre Herausforderungen und wiederaufflammende Spannungen einher. Eine ethnisch-religiöse Aussöhnung hat nicht stattgefunden. Die Gefahr eines weiteren Zerfalls des Staates, samt bewaffneten Auseinandersetzungen ist nach wie vor nicht gebannt (ÖB 12.2016). Insbesondere ist auch unklar, ob die vom IS zurückeroberten sunnitischen Gebiete auf eine Weise verwaltet werden, die nicht erneuten Unfrieden und eine erneute Rebellion (unter dem Banner des IS oder einer anderen Organisation) provozieren wird (OA/EASO 2.2017). Die Islamisten genießen im XXXX in der Bevölkerung nach wie vor Unterstützung, da sie sich als Beschützer der sunnitischen Gemeinschaft präsentieren. Der IS ist ja ursprünglich vorrangig eine irakische Organisation mit starken lokalen Wurzeln (Stansfield 26.4.2017), und selbst das Zurückschlagen des IS in Mossul vermag es nicht, die schiitisch-sunnitischen Spannungen zu lösen, die das Ergebnis einer mangelnden politischen Übereinkunft sind (USCIRF 26.4.2017). Die Gewalt, der die Sunniten seit der US-geführten Invasion im XXXX von Seiten Iran-gestützter Regierungen und Milizen ausgesetzt waren [und sind], hat in der sunnitisch-arabischen Bevölkerung ein tiefgreifendes und gefährliches Gefühl der Viktimisierung bewirkt, das Rekrutierungsbemühungen von Jihadisten in die Hände spielt (ICG 22.3.2017). Die Rolle der internationalen Koalition gegen den IS ist zwiespältig. Während diese sich selbst als unparteiischen Akteur sehen mag (abgesehen vom Kampf gegen den IS), sehen das die irakischen Akteure anders, die die Koalition alleine schon auf Grund der Wahl ihrer Verbündeten als völlig parteiisch ansehen (ICG 31.5.2017).

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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