Index
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
BAO §236 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Karger, Dr. Graf, Mag. Heinzl und Dr. Zorn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Doralt, über die Beschwerde der C. R-Gesellschaft mbH in L, vertreten durch Rechtsanwälte Haslinger/Nagele & Partner in Linz, Landstraße 12, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich vom 6. Juli 1998, Zl. RV 165/1-10/1998, betreffend Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Antrag vom 19. November 1997 begehrte die Beschwerdeführerin die Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten in der Höhe von S 1,843.663,-- mit der Begründung, der mit 49 % beteiligte Gesellschafter R. habe als Geschäftsführer der Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin Boni von Lieferanten erhalten, die nicht auf Firmenkonten eingezahlt und von R. unrechtmäßig vereinnahmt worden seien. Nach Ablösung des Geschäftsführers R. habe die neue Geschäftsführung dies der Finanzverwaltung mitgeteilt. Aufgrund der abgabenbehördlichen Prüfung seien die Lieferantenboni der Beschwerdeführerin zugerechnet und eine verdeckte Gewinnausschüttung an R. angenommen worden. Es sei Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer vorgeschrieben worden. Für 1993/94 auch Gewerbesteuer. Somit sei eine Steuer von über 70 % der Boni festgesetzt worden, obwohl diese Mittel dem Unternehmen nicht zur Verfügung stünden. Die Einbringlichkeit der Forderung bei R. sei aufgrund dessen Vermögenssituation nicht gegeben. Die Erhebung der Abgabe bedeute für das Unternehmen eine sachliche und persönliche Unbilligkeit. Die Unterschlagung der Boni sei nicht auf eine handelsrechtlich zulässige Organentscheidung zurückzuführen. Die Gesellschaft werde nunmehr zu einer unverhältnismäßigen Steuer herangezogen. Einerseits habe sie die Waren zu teuer bezahlt und andererseits komme es durch die Steuervorschreibung und -einhebung zu einem Mittelabfluss. Um das Unternehmen überlebensfähig zu erhalten, habe die neue Geschäftsführung einschneidende Reorganisationsmaßnahmen treffen müssen. Am gegenwärtigen Standort des Unternehmens seien im Grundstück stille Reserven gebunden, die jedoch nur mittelfristig durch Veränderung des Standortes realisiert werden könnten, um damit Fremdkapital abzubauen. Wären die Boni auf das Bankkonto des Unternehmens eingegangen, wäre jedenfalls die vorgeschriebene Kapitalertragsteuer im Unternehmen verblieben, weil an eine Ausschüttung im Hinblick auf die Unternehmenssicherung bei ordnungsmäßiger Geschäftsführung nicht zu denken gewesen sei.
In einem Schreiben vom 23. März 1998 beantragte die Beschwerdeführerin, einen Abgabenbetrag von S 673.446,-- nachzusehen, und begründete diesen Antrag in gleicher Weise wie jenen vom 19. November 1997.
Mit Schreiben vom 1. April 1998 fasste die Beschwerdeführerin die Anträge vom 19. November 1997 und 23. März 1998 zusammen und schränkte das Nachsichtbegehren auf S 990.589,-- ein.
Das Finanzamt wies den Antrag mit Bescheid vom 6. April 1998 ab und führte begründend aus, im Nachsichtgesuch seien keine genaue Angaben über die Liquidität des Unternehmens abgegeben worden. Die Möglichkeit der ratenweisen Abstattung sei von der Beschwerdeführerin nicht in Erwägung gezogen worden.
In ihrer dagegen erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin vor, sie habe mehrmals telefonisch angeboten, jederzeit notwendige Ergänzungen vorzubringen. Durch die Vorbeileitung der Boni am Unternehmen sei die Eigenkapitalbasis nicht entsprechend aufgebaut worden. Durch die jetzt vorgeschriebenen Steuern werde das Eigenkapital aufgezehrt. Das Unternehmen werde außergewöhnlich hart getroffen, weil für einen zehnjährigen Prüfungszeitraum die Steuer vorgeschrieben werde.
Anlässlich einer persönlichen Vorsprache bei der belangten Behörde brachte der Vertreter der Beschwerdeführerin vor, das Unternehmen habe hohe stille Reserven. Überschuldung läge nicht vor. Die Banken hätten entsprechende Sicherungen. Ein sofortiger Verkauf würde einer Verschleuderung gleichkommen. Für die Beschwerdeführerin sei die Nachsicht notwendig, um den Zinsendienst (S 2,655.000,-- jährlich) leisten zu können.
Die Beschwerdeführerin legte der belangten Behörde mit Schreiben vom 18. Juni 1998 den Bericht über die Prüfung des Jahresabschlusses zum 31. Dezember 1997 vor. Aus diesem ergibt sich u. a., dass mit Verschmelzungsvertrag vom 31. Juli 1997 verschiedene Gesellschaften mit der Beschwerdeführerin als übernehmender Gesellschaft verschmolzen worden sind. Die Eintragung der Verschmelzung in das Firmenbuch erfolgte am 2. September 1997. Die Bankverbindlichkeiten betrugen S 68,970.000,--, die Lieferantenverbindlichkeiten S 37,701.000,--. Das Fremdkapital betrug insgesamt S 122,470.000,--.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab.
In der Begründung ihres Bescheides führte sie im Wesentlichen aus, eine sachlich bedingte Unbilligkeit sei nicht gegeben, weil das Handeln des zu 49 % beteiligten Gesellschafters und Geschäftsführers R. der Beschwerdeführerin zuzurechnen sei. Aus einem Fehlverhalten ihres Geschäftsführers könne die Beschwerdeführerin keine Unbilligkeit ableiten. Es sei nicht Aufgabe der Abgabennachsicht nach § 236 BAO materielles Abgabenrecht in bestimmten Fällen durch Abgabennachsicht zu korrigieren. Die Steuerfestsetzung sei Auswirkung der allgemeinen Rechtslage. Der Umstand, dass Erträge nicht der Gesellschaft sondern dem geschäftsführenden Gesellschafter zugeflossen seien, bedürfe einer innergesellschaftlichen Regelung. Wie teuer oder preiswert ein Unternehmen Ware einkaufe, sei dem Unternehmerrisiko zuzurechnen und nicht im Rahmen einer Abgabennachsicht zu berücksichtigen.
Jene Gesellschaft, in deren Rahmen der Geschäftsführer sich die Boni zugeeignet habe, sei mit der Beschwerdeführerin verschmolzen worden, weshalb jene Gesellschaft nicht mehr wirtschaftlich gefährdet sein könne. Bei der Beschwerdeführerin seien die von ihrem Antrag erfassten Abgabenverbindlichkeiten nur ein ganz kleiner Teil der übrigen Verbindlichkeiten, sodass die beantragte Abgabennachsicht die wirtschaftliche Situation des Unternehmens, die Überschuldung und die Existenzgefährdung nicht ändern würde. Da von den übrigen Gläubigern kein Nachlass der Verbindlichkeiten gewährt worden sei, würde die beantragte Nachsicht in voller Höhe zu Lasten der Finanzverwaltung gehen. Auch Hinweise auf den Investitionsbedarf in den Filialbetrieben zur Sicherung von Arbeitsplätzen könnten dem Antrag nicht zum Erfolg verhelfen, weil dieser Gesichtspunkt im Rahmen der Entscheidung nach § 236 BAO nicht beachtlich sei. Dies gelte auch für die Tatsache, dass die neue Geschäftsführung der Beschwerdeführerin die Unregelmäßigkeiten selbst aufgedeckt habe und Abgabenschuldigkeiten aus mehreren Jahren vorgeschrieben worden seien. Ein steuerunehrliches Steuersubjekt dürfe nicht gegenüber redlichen Abgabenschuldnern begünstigt werden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach Lage des Falles unbillig wäre.
Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des Falles ist tatbestandsmäßige Voraussetzung für die im § 236 BAO vorgesehene Ermessensentscheidung. Verneint die Abgabenbehörde die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum.
Im angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde im Rahmen ihrer Rechtsentscheidung die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung verneint.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt Unbilligkeit der Einhebung im Allgemeinen voraus, dass die Einhebung in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu jenen Nachteilen stünde, die sich aus der Einziehung für den Steuerpflichtigen oder für den Steuergegenstand ergeben. Die Unbilligkeit kann "persönlich" oder "sachlich" bedingt sein. Eine "persönliche" Unbilligkeit liegt insbesondere dann vor, wenn die Einhebung der Abgaben die Existenzgrundlagen des Nachsichtwerbers gefährdete. Allerdings bedarf es zur Bewilligung einer Nachsicht (aus "persönlichen" Gründen) nicht unbedingt der Gefährdung des Nahrungsstandes, der Existenzgefährdung, besonderer finanzieller Schwierigkeiten und Notlagen, sondern es genügt, dass die Abstattung der Abgabenschuld mit wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, die außergewöhnlich sind, so etwa, wenn die Abstattung trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Veräußerung von Vermögenschaften möglich wäre und diese Veräußerung einer Verschleuderung gleichkäme.
Eine "sachliche" Unbilligkeit ist anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als auch "persönlichen" Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt. Jedenfalls muss es zu einer anormalen Belastungswirkung und, verglichen mit ähnlichen Fällen, zu einem atypischen Vermögenseingriff kommen. Eine derartige Unbilligkeit des Einzelfalles ist aber nicht gegeben, wenn lediglich eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage vorliegt, also die vermeintliche Unbilligkeit für die davon Betroffenen aus dem Gesetz selbst folgt. Nachteilige Folgen, die alle Wirtschaftstreibenden in ähnlicher Lage treffen, Geschäftsvorfälle, die dem Bereich des allgemeinen Unternehmerwagnisses zuzuordnen sind, rechtfertigen eine Nachsicht nicht.
Im Verfahren über einen Antrag auf Abgabennachsicht nach § 236 BAO ist es Sache des Nachsichtwerbers, einwandfrei und unter Ausschluss jeglicher Zweifel das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die Nachsicht gestützt werden kann (siehe zum Ganzen die hg. Erkenntnisse vom 25. Juni 1990, 89/15/0088, und vom 8. April 1991, 90/15/0015, jeweils mwN).
Unter Zugrundelegung der dargestellten Rechtslage kann der belangten Behörde nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie das Vorliegen einer Unbilligkeit im zuvor beschriebenen Sinn verneint hat. Dass durch die Einhebung der Abgaben, deren Nachsicht begehrt wurde, die Existenz der Beschwerdeführerin gefährdet würde, wird in der Beschwerde nicht behauptet und kann nach der Aktenlage auch nicht angenommen werden. Es kann auch - schon mangels konkreten Vorbringens im Verwaltungsverfahren - nicht erkannt werden, dass die Abstattung der Abgabenschuld mit außergewöhnlichen Auswirkungen verbunden wäre. Es liegt demnach keine "persönlich" bedingte Unbilligkeit vor.
Der in der Beschwerde - die ihr Vorbringen nicht konkret der "persönlich" oder "sachlich" bedingten Unbilligkeit zuordnet - ins Treffen geführte Umstand, dass die Nachsicht zu einer Stärkung der Eigenkapitalbasis des Unternehmens führen würde, liegt nicht in der Lage des Falles begründet, sondern ist immer gegeben, wenn einem Unternehmen fällige Abgabenschuldigkeiten nachgesehen werden. Dieser Umstand vermag daher die "persönliche" Unbilligkeit nicht zu begründen.
Die Frage, ob und inwieweit andere Gläubiger durch Forderungsverzicht zur Sanierung des Unternehmens beitragen, wäre im Rahmen der Ermessensübung von Bedeutung gewesen, zu der es aber nach dem oben Gesagten bei Fehlen der Tatbestandsvoraussetzungen für die Ermessensübung nicht kommt.
Es liegt auch keine "sachlich" bedingte Unbilligkeit der Abgabeneinhebung vor, weil eine ungewöhnliche Belastungswirkung, verglichen mit ähnlichen Fällen, nicht eintritt. Die Besteuerung verdeckter Gewinnausschüttungen ist eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage. Die von der Beschwerdeführerin dargestellte Belastung hat ihre Ursachen nicht in der Abgabeneinhebung, sondern im (treuwidrigen) Verhalten ihres seinerzeitigen (Gesellschafter-)Geschäftsführers. Gegen diesen hat sie ihre Forderungen zu richten. Ob sie in diesem Zusammenhang das ihr Zumutbare unternommen hat - welche Vereinbarungen beim Ausscheiden des ehemaligen Geschäftsführers als Gesellschafter getroffen wurden und welche rechtzeitigen Versuche zur Einbringung von Ersatzforderungen die Beschwerdeführerin unternommen hat, wurde nicht dargetan -, wäre allenfalls dann von Bedeutung gewesen, wenn die Beschwerdeführerin durch ihren ehemaligen Geschäftsführer in eine derartig bedrohliche wirtschaftliche Lage gebracht worden wäre, dass die "persönlich" bedingte Unbilligkeit der Abgabeneinhebung im oben beschriebenen Sinn anzunehmen gewesen wäre.
Die Beschwerdeführerin behauptet, das Handeln ihres Geschäftsführers wäre ihr abgabenrechtlich nicht zuzurechnen gewesen. Sie macht damit Umstände geltend, die die Abgabenfestsetzung betreffen. Auf die Stichhaltigkeit dieser Ausführungen brauchte nicht weiter eingegangen zu werden, weil das Verfahren nach § 236 Abs. 1 BAO nicht dazu dient, das Verfahren zur Abgabenfestsetzung wieder aufzurollen.
Die Beschwerdeführerin betont, dass sie (bzw. ihre Rechtsvorgängerin) zur Aufdeckung des wahren Sachverhaltes beigetragen habe. Auch dieses Vorbringen führt die Beschwerde nicht zum Erfolg, weil es weder die "persönlich" noch die "sachlich" bedingte Unbilligkeit der Abgabeneinhebung im beschriebenen Sinn begründet, sondern erst im Rahmen der Ermessensübung von Bedeutung gewesen wäre.
Aus den dargelegten Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 23. März 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1998140147.X00Im RIS seit
20.11.2000