Entscheidungsdatum
06.03.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
G311 2180404-1/12E
Schriftliche Ausfertigung des am 24.01.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Eva WENDLER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geboren amXXXX, Staatsangehörigkeit: Irak, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.10.2017, Zahl:XXXX, betreffend die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz sowie die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.01.2019, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer stellte am 08.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005.
Am 09.10.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers im Asylverfahren statt. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab er an, er sei wegen seines sunnitischen Vornamens bedroht worden, da der Name im Irak einen religiösen Hintergrund habe und derzeit unerwünscht sei. Eine Namensänderung habe er versucht, das habe jedoch nicht funktioniert. Wegen ständiger Drohungen habe der Beschwerdeführer sein Haus verlassen müssen. Es herrsche generell eine schlimme Lage in Bagdad und käme es ständig zu Kämpfen zwischen Schiiten und Sunniten. Die Familie sei bei Verwandten außerhalb Bagdads untergebracht. Bagdad sei derzeit terroristisches Kampfgebiet. Man habe dem Beschwerdeführer Auto und Wohnung weggenommen und könnten seine Kinder nicht mehr zur Schule gehen. Im Falle seiner Rückkehr fürchte er seinen Tod.
Die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, fand am 04.07.2017 statt.
Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass er zuletzt in Bagdad zwar gelebt, aber in Basra gearbeitet habe. Im März 2015 sei ihm erstmals in Bagdad durch die Asa'ib Ahl al-Haqq gedroht worden. Der Beschwerdeführer sei jedoch nicht zuhause gewesen und habe sich in Basra aufgehalten. Milizangehörige seien zu ihm nach Hause gekommen und hätten das Haus durchwühlt und dabei drei Arbeitsausweise mitgenommen und seine Ehegattin gefragt, wo "XXXX" sei. Die Ehegattin habe den Beschwerdeführer daraufhin angerufen. Er sei dann einen ganzen Monat in Basra geblieben, ohne nach Bagdad zu fahren. Als die Miliz im August 2015 das zweite Mal gekommen sei, sei der Beschwerdeführer in Bagdad zuhause gewesen. Die Miliz sei mit Polizeihunden, mehreren schwarzen Autos und bewaffnet gekommen, der Beschwerdeführer hingegen durch die Hintertür geflohen und zu seinem Cousin väterlicherseits zu Fuß nach "XXXX" gegangen. Dort habe er seine Ehegattin angerufen, die ihm erzählt hätte, dass das ganze Haus durchsucht worden sei. Man habe ihr auch gesagt, man werde den Beschwerdeführer jedenfalls finden. Um 01:00 Uhr habe der Beschwerdeführer ein Taxi nach Basra genommen und sei für etwa zwanzig Tage bei seiner Arbeitsstelle verblieben. Er habe einem Kollegen von den Vorfällen erzählt; dieser habe ihn jedoch an die Asa-ib Ahl al-Haqq verraten. Daraufhin habe er mit dem Taxi nach Bagdad zurückkehren wollen. Das Taxi sei auf dem Highway vom Arbeitskollegen und dessen Freunden angehalten worden. Diese hätten dem Beschwerdeführer mit dem Tod bedroht, falls sie ihn noch einmal sehen würden.
Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes wurde der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), der Antrag bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.), dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen ihn gemäß
§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Es wurde festgestellt, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist zur freiwilligen Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in seinem Heimatland keine asylrelevante, aktuelle und individuelle Bedrohung oder Verfolgung glaubhaft machen konnte. Auch habe er in seinem Heimatland keine Bedrohung oder Verfolgung aus sonstigen Gründen geltend gemacht. Der Beschwerdeführer habe auch unbehelligt und problemlos den Herkunftsstaat über den Flughafen Bagdad auf legalem Wege verlassen. Im Falle einer Rückkehr lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beschwerdeführer in eine ausweglose Lage geraten würde. Er könne seine Berufstätigkeit wieder aufnehmen und würden seine Familienangehörigen (Frau und zwei Kinder) nach wie vor in Bagdad leben.
Zudem traf die belangte Behörde umfangreiche Länderfeststellungen zur allgemeinen Lage im Irak.
Der Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 13.11.2017 durch Hinterlegung bei Zustellpostamt zugestellt.
Mit dem am 11.12.2017 beim Bundesamt eingebrachten Schriftsatz vom 07.12.2017 erhob der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Rechtsvertretung das Rechtsmittel der Beschwerde gegen den ihn betreffenden Bescheid des Bundesamtes. Darin wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung durchführen und die angefochtene Entscheidung hinsichtlich Spruchpunkt I. beheben und dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten zuerkennen; in eventu dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen; feststellen, dass die Abschiebung in den Irak auf Dauer unzulässig ist sowie die erlassene Rückkehrentscheidung ersatzlos beheben; in eventu den angefochtenen Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG beheben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt zurückverweisen.
Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die vom Bundesamt herangezogenen Länderberichte dem Ergebnis der Beweiswürdigung widersprechen würden. Das Bundesamt habe sich daher nicht ausreichend mit den Länderberichten auseinandergesetzt. Die Rückkehr nach Bagdad stelle für den sunnitischen Beschwerdeführer eine reale Gefahr der Verletzung der dem Beschwerdeführer durch Art. 2 und Art. 3 EMRK zustehenden Rechte dar. Der irakische Staat sei weder schutzfähig noch schutzwillig und könne dieser Sunniten nicht vor Übergriffen durch schiitische Milizen schützen. Es fänden rigorose Überprüfungen von männlichen Sunniten an den Checkpoints statt und würden viele wegen des Verdachts der Anhängerschaft zum IS festgenommen werden. Die schiitischen Milizen würden Selbstjustiz üben. Die Bewegungsfreiheit sunnitischer Männer sei äußerst eingeschränkt und würden Intellektuelle und Zivilisten, die für ausländische Unternehmen arbeiten, zu den gefährdeten Personengruppen gehören, Opfer von Entführungen oder Anschlägen zu werden. Es herrsche derzeit eine Ausnahmesituation aufgrund des andauernden innerstaatlichen Konflikts, von dem gerade die Heimatregion des Beschwerdeführers besonders betroffen sei. Weiters wurden Auszüge aus den dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Länderberichten, einige Presseartikel sowie Berichte von USDOS (Stand März 2017) und EASO (Stand April 2017) wiedergegeben. Entgegen der Ansicht des Bundesamtes habe der Beschwerdeführer sein Vorbringen sehr detailliert und lebensnah geschildert und frei über die drohende Verfolgung im Irak gesprochen. Die belangte Behörde gehe ohne nachvollziehbare Beweiswürdigung von der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers aus. Der Beschwerdeführer weise auch eine Integration in Österreich in einem Ausmaß auf, die eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig mache. Dem Beschwerdeführer hätte von Amts wegen eine Aufenthaltsberechtigung (plus) erteilt werden müssen.
Der Beschwerde waren einige Fotos sowie Kopien der Ausweise seiner Ehegattin und Kinder im Irak beigefügt.
Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt vorgelegt und sind am 21.12.2017 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
Das Bundesverwaltungsgericht führte am 24.01.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer, seine bevollmächtigte Rechtsvertretung sowie eine Dolmetscherin für die arabische Sprache teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.
Der Beschwerdeführer gab zu seinen Fluchtgründen befragt im Wesentlichen an, er habe in den Jahren 2003 und 2004 für die US-Armee gearbeitet. Als 2006 der Religionskrieg ausgebrochen sei, sei er nach Syrien ausgereist und habe dort auch gearbeitet. Als der Krieg in Syrien ausgebrochen sei, sei er 2011 wieder in den Irak zurückgekehrt. Dort habe er für ein koreanisches Unternehmen, tätig in der Schwerindustrie, als Security-Chef gearbeitet. Erst in Bagdad und dann in Basra. Er sei aus dem Irak ausgereist, weil sich die Lage zugespitzt habe. Er habe für die US-Armee unter anderem als Dolmetscher gearbeitet und habe ihnen auch die Milizzentren gezeigt. Deswegen sei er dann 2003 von der Asa-ib Ahl al-Haqq bedroht worden. Die Drohungen seien von Jugendlichen in der Gegend gekommen. Sie seien mit Autos gekommen und hätten die Häuser aufgesucht. Sie hätten jedoch nicht genau gewusst, wo der Beschwerdeführer wohne und hätten auch Nachbarn und Freunde nach dem Beschwerdeführer gefragt. Diese hätten jedoch gesagt, sie wüssten nicht, wo der Beschwerdeführer wohnt. Er sei mit der "XXXX" (amerikanische Armee) nach Falludscha unterwegs gewesen. Dort habe es 2006 besondere Probleme zwischen den Religionsgruppen der Schiiten und Sunniten gegeben. Schon ein Name habe ausgereicht, um ermordet zu werden. Deswegen sei er dann 2006 auch nach Syrien ausgereist. Die meisten Sunniten seien in dieser Zeit aus dem Irak geflohen. Im März 2015 sei die Asa-ib Ahl al-Haqq in das Haus des Beschwerdeführers in Bagdad gekommen und habe dieses durchsucht. Seine Ehefrau habe befragt zum Aufenthaltsort gesagt, er halte sich im Süden bei der Arbeit auf. Die Asa¿ib habe alle Ausweise, auch die er noch von der US-Armee gehabt habe, mitgenommen. Aktuelle Ausweise und der Staatbürgerschaftsnachweis des Beschwerdeführers hätten sich bei seiner Ehegattin versteckt in einer Tasche befunden. Sie hätten nur das Zimmer des Beschwerdeführers durchsucht, sodass sie diese Ausweise nicht gefunden hätten. Die Ehegattin hätte ihn danach angerufen und ihm mitgeteilt, nicht nach Hause nach Bagdad zu kommen. Er sei daraufhin einen Monat nicht nach Bagdad zurückgekehrt. Normalerweise habe er sich immer zwei Tage in Bagdad aufgehalten, bevor er wieder zur Arbeit nach Basra zurückgekehrt sei. Er habe dann weitergearbeitet und sei im August 2015 zuhause bei seiner Ehegattin in Bagdad gewesen. Er habe sich im Schlafzimmer aufgehalten, die Ehegattin in der Küche, als die Asa¿ib Ahl al-Haqq vor der Tür gestanden sei. Der Beschwerdeführer sei durch den Hintereingang geflohen und bis nach XXXX (Straße "XXXX") gelaufen. Dort habe er seinen Cousin väterlicherseits angerufen, der ihn mit dem Auto abgeholt habe. In Bagdad würden sowohl Sunniten als auch Schiiten gemischt leben. Einige Viertel seien überwiegend sunnitisch oder schiitisch bewohnt. Der Cousin habe in zu einer Bushaltestelle gefahren. Er sei mit dem Taxi nach Basra gefahren und habe sich dort 20 Tage aufgehalten, als er einen Arbeitskollegen getroffen habe, den er schon drei bis vier Jahre gekannt habe. Er habe ihm von seinem Problem erzählt. Dieser Arbeitskollege sei regelmäßig zu spät zur Arbeit gekommen. Irgendwann habe der koreanische Direktor des Unternehmens den Arbeitskollegen gekündigt, was ihm der Beschwerdeführer mitgeteilt habe. Der Arbeitskollege habe angenommen, der Beschwerdeführer sei für die Kündigung verantwortlich. Vier Tage später habe er ihm gedroht, dass er entweder Basra verlasse oder er würde die Asaib Ahl al-Haqq verständigen und ihnen sagen, wo der Beschwerdeführer sei. Er habe das erst nicht ernst genommen, zumal ihm gesagt worden sei, man wolle nicht, dass ihm etwas passiere, da er ja Frau und Kinder habe. Der Arbeitskollege sei Schiit gewesen. Er sei nach Bagdad zurückgekehrt und habe die Mietwohnung gekündigt. Zuletzt hätte er mit seiner Familie im Haus der Familie seiner Ehegattin in XXXX gewohnt. Dort würden seine Ehegattin und die Kinder nach wie vor leben. Er sei dann legal von Bagdad nach Antalya geflogen.
Er habe weiters einen typisch sunnitischen Vornamen und auch sein Clanname gehöre zu den ursprünglich sunnitischen Namen. Er sei wegen seines Namens und der Arbeit für die Amerikaner 2006 zu Beginn der Religionskriege bedroht worden. Die aktuelle Lage habe sich insofern verschlechtert als man früher die Milizen gekannt habe. Jetzt wären es sehr viele. Die Checkpoints innerhalb Bagdads wären kein Problem. Es habe jedoch zumindest zur Zeit seiner Ausreise 2015 sieben Checkpoints zwischen Bagdad und Basra gegeben. Zwei davon seien gefährlich gewesen und hätte er diese immer gemieden. Die Ehegattin könne in Bagdad leben, da sie Schiitin sei.
Die Rechtsvertretung legte sodann nachfolgende Unterlagen vor:
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Deutsch-Kurs-Bestätigung vom 20.12.2017
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Integrationsbestätigung vom 17.01.2019
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Aktueller Bericht über die Verfolgung von Sunniten vom 24.01.2019
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Zusammenfassung über Verfolgung aufgrund des Namens und Sunniten allgemein
Dem Rechtsvertreter wurden sodann Länderberichte zum Irak sowie ein Interview von Frau Birgit SVENSSON, einer seit 2003 im Irak lebenden deutschen Journalistin, die beispielsweise für "Die Zeit", "Die Welt", die "Wiener Zeitung" und den Schweizer Rundfunk arbeitet, ausgehändigt und die Verhandlung unterbrochen. Nach Fortsetzung der Verhandlung legte der Rechtsvertreter eine schriftliche Stellungnahme zu den Länderberichten vor und erstattete ergänzende Ausführungen.
Im Anschluss wurde das gegenständliche Erkenntnis gemäß § 29 Abs. 2 VwGVG mündlich verkündet.
Am 30.01.2019 stellte der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung einen Antrag auf schriftliche Ausfertigung des gegenständlichen Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 2a bis 4 VwGVG.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer führt die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zum moslemischen Glauben sunnitischer Ausrichtung. Seine Muttersprache ist Arabisch (vgl etwa Erstbefragung vom 09.10.2015, AS 19ff; Angaben Beschwerdeführer, Niederschrift BFA vom 04.07.2017, AS 59ff; Kopie irakischer Personalausweis, AS 97 f; Kopie irakischer Führerschein, AS 99 f; Kopie irakischer Staatsbürgerschaftsnachweis, AS 101 f; Kopie irakischer Reisepass, AS 331; Angaben Beschwerdeführer, Verhandlungsprotokoll vom 24.01.2019, S 4).
Der Beschwerdeführer ist in Bagdad/Irak geboren und aufgewachsen. Er hat dort seine gesamte Schulbildung absolviert und dort auch ein technisches Studium abgeschlossen. Er ist seit 1998 mit seiner Ehegattin, einer Schiitin, verheiratet und stammen aus dieser Ehe zwei Kinder, ein XXXXgeborener Sohn und eine XXXX geborene Tochter. Der Beschwerdeführer war zumindest seit den 1990er Jahren im Irak berufstätig. In den Jahren 2003/2004 war er für US-Armee tätig, dabei unter anderem als Dolmetscher. Wegen der Religionskriege reiste der Beschwerdeführer 2006 nach Syrien aus und lebte und arbeitete dort bis 2011. Infolge des Syrienkrieges kehrte der Beschwerdeführer im Jahr 2011 jedoch nach Bagdad/Irak zurück. Er arbeitete fortan für ein in der Schwerindustrie tätiges, koreanisches Unternehmen als Security-Manager. Seine Arbeitsstätte war zunächst in Bagdad und dann im Südirak nahe Basra, wo er bis kurz vor seiner neuerlichen Ausreise im September 2015 auch berufstätig war (vgl etwa Erstbefragung vom 09.10.2015, AS 19ff;
Angaben Beschwerdeführer, Niederschrift BFA vom 04.07.2017, AS 59ff;
Angaben Beschwerdeführer, Verhandlungsprotokoll vom 24.01.2019, S 4 ff).
Die finanzielle Lage des Beschwerdeführers und seiner Familie vor seiner Ausreise war sehr gut (vgl Angaben Beschwerdeführer, Niederschrift BFA vom 04.07.2017, AS 59ff).
Der Beschwerdeführer verließ seinen Herkunftsstaat Irak am 08.09.2015 legal über den Flughafen Bagdad und reiste mit dem Flugzeug nach Antalya/Türkei. Von dort reiste er mit dem Bus nach Izmir/Türkei und dann weiter schlepperunterstützt mit einem Fischerboot nach Rhodos/Griechenland und weiter nach Athen/Griechenland. Sodann reiste der Beschwerdeführer über Nordmazedonien, Serbien, Kroatien und Ungarn per Bus, Zug, Taxi und zu Fuß nach Österreich, wo er am 08.10.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte (vgl etwa Erstbefragung vom 09.10.2015, AS 19ff; Angaben Beschwerdeführer, Niederschrift BFA vom 04.07.2017, AS 59ff; Angaben Beschwerdeführer, Verhandlungsprotokoll vom 24.01.2019, S 4 ff).
Bereits am 01.12.2015 schloss der Beschwerdeführer in Österreich in einer Moschee mit einer weiteren Frau eine traditionelle Ehe. Diese Beziehung ist aber bereits wieder beendet (vgl Angaben Beschwerdeführer, Niederschrift BFA vom 04.07.2017, AS 87; Ehevertrag aus 2015, AS 91; Angaben Beschwerdeführer, Verhandlungsprotokoll vom 24.01.2019, S 4). Zwischen 16.12.2015 und 12.01.2016 wurde der Beschwerdeführer wegen des Verdachts der Körperverletzung und Nötigung an seiner in Österreich traditionell geheirateten Ehegattin nach deren Anzeige aus der damaligen Wohnung weggewiesen und gegen ihn ein Betretungsverbot ausgesprochen. Es wurde weiters eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattet (vgl Kurzbrief der LPD XXXX vom 25.01.2016, AS 43 f).
Mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX.2016, Zahl XXXX, wurde das infolge der Strafanzeige geführte Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer wegen § 83 Abs. 2 StGB, § 15 StGB, § 105 Abs. 1 StGB unter Setzung einer Probezeit von zwei Jahren im Rahmen der Diversion vorläufig eingestellt. Der Beschwerdeführer hat sich zu den im Strafantrag erhobenen Vorwürfen, er habe seine Ehegattin mit Gewalt zur Duldung, nämlich zum Verbleib in der gemeinsamen Wohnung, zu nötigen versucht, indem er sie an den Oberarmen packte und festhielt und sie dadurch am Körper misshandelt und fahrlässig am Körper verletzt habe (Hämatome am rechten Oberarm), vollinhaltlich schuldig bekannt (vgl Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen vom XXXX2016, AS 113 ff).
Der Beschwerdeführer ist somit strafgerichtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer weist im Bundesgebiet die folgenden Wohnsitzmeldungen (vgl Einsicht in das Zentrale Melderegister):
07.12.2015 - 19.01.2016 Hauptwohnsitz
20.01.2016 - 09.06.2016 Hauptwohnsitz
06.06.2016 - 21.02.2017 Hauptwohnsitz
21.02.2017 - laufend Hauptwohnsitz
Der Beschwerdeführer übte bisher im Bundesgebiet keine legale Beschäftigung aus. Er lebt von der Grundversorgung und erhielt zeitweise zusätzliche Unterstützung von Caritas und Rotem Kreuz. Der Beschwerdeführer engagiert sich nicht in einem Verein oder einer Organisation und übt keine ehrenamtlichen Tätigkeiten aus. Der Beschwerdeführer hat inzwischen einen Deutschkurs unbekannten Niveaus teilgenommen. Dass der Beschwerdeführer über eine Deutschsprachprüfung oder maßgebliche Deutschkenntnisse verfügt, konnte nicht festgestellt werden. Er hat weiters am 12.04.2017 einen Werte- und Orientierungskurs des Österreichischen Integrationsfonds absolviert. Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich inzwischen über einige Bekanntschaften (vgl Einsicht in die Sozialversicherungsdaten und die Grundversorgungsdaten des Beschwerdeführers; Angaben Beschwerdeführer, Niederschrift BFA vom 04.07.2017, AS 59ff; Deutsch-Kursbestätigung vom 20.12.2017;
Teilnahmebestätigung ÖIF vom 12.04.2017; Unterstützungsschreiben vom 05.07.2017, AS 103; Unterstützungsschreiben, undatiert, AS 105;
Unterstützungsschreiben vom 17.01.2019).
Der Beschwerdeführer hat keine familiären Bindungen in Österreich. Sein Vater und zwei Halbbrüder leben in Frankreich, eine Schwester lebt in den USA. Der Beschwerdeführer hat weitere Verwandte in den USA, Kanada und Neuseeland. Die Ehegattin, die zwei Kinder des Beschwerdeführers, die Schwiegermutter, eine Tante väterlicherseits, mehrere Tanten mütterlicherseits und vier Onkel väterlicherseits leben nach wie vor in Bagdad/Irak. Zur Ehegattin und den Kindern hat der Beschwerdeführer mehrmals wöchentlich Kontakt über soziale Medien (vgl Angaben Beschwerdeführer, Niederschrift BFA vom 04.07.2017, AS 59ff; Angaben Beschwerdeführer, Verhandlungsprotokoll vom 24.01.2019, S 4 ff).
Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Dass der Beschwerdeführer an einer lebensbedrohlichen Erkrankung im Endstadium leidet, die im Irak nicht behandelbar ist, wurde nicht vorgebracht (vgl Angaben Beschwerdeführer, Niederschrift BFA vom 04.07.2017, AS 59ff; Angaben Beschwerdeführer, Verhandlungsprotokoll vom 24.01.2019, S 4 ff).
Insgesamt konnten keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration des Beschwerdeführers in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden.
Der Beschwerdeführer war im Irak kein Mitglied einer politischen Partei. Gegen ihn ist kein Gerichtsverfahren anhängig und wird nach ihm weder gefahndet, polizeilich gesucht noch wird er behördlich verfolgt. Er wurde weiters nicht inhaftiert oder festgenommen (vgl Angaben Beschwerdeführer, Niederschrift BFA vom 04.07.2017, AS 73).
Ein konkreter Anlass oder Vorfall für das (fluchtartige) Verlassen des Herkunftsstaates konnte jedoch nicht festgestellt werden. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt ist oder, dass Gründe vorliegen, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.
Zur entscheidungsrelevanten Lage im Irak:
Zur allgemeinen Lage im Irak werden die vom Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 24.01.2019 in das Verfahren eingeführten Länderberichte, nämlich ein Konvolut aus fallbezogen relevanten aktueller Länderberichte samt den angeführten Quellen (mit Stand Jänner 2019) auch als entscheidungsrelevante Feststellungen zum endgültigen Gegenstand des Erkenntnisses erhoben.
1. Allgemeine Sicherheitslage:
1.1. Allgemeine Sicherheitslage und Islamischer Staat (IS):
Die allgemeine Sicherheitslage im Irak war seit Oktober 2016 von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, im Genaueren nichtstaatlichen bewaffneten Milizen, den sogenannten Peshmerga der kurdischen Regionalregierung sowie ausländischen Militärkräften, auf der einen Seite und den bewaffneten Milizen der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) auf der anderen Seite um die Kontrolle der - im Zentrum des seit Sommer 2014 bestehenden Machtbereichs des IS gelegenen - Hauptstadt Mossul der Provinz Ninava gekennzeichnet. Diesen Kämpfen ging die sukzessive Zurückdrängung des IS aus den zuvor ebenfalls von ihm kontrollierten Gebieten innerhalb der Provinzen Anbar, Diyala und Salah al-Din im Zentral- und Südirak voraus. Die kriegerischen Ereignisse im Irak seit 2014 brachten umfangreiche Flüchtlingsbewegungen aus den umkämpften Gebieten in andere Landesteile sowie umgekehrt Rückkehrbewegungen in befreite Landesteile mit sich. Zahlreiche nationale und internationale Hilfsorganisationen unter der Ägide des UNHCR versorgen diese Binnenvertriebenen in Lagern und Durchgangszentren, mit Schwerpunkten in den drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, in sowie um Bagdad sowie im Umkreis von Kirkuk, im Hinblick auf ihre elementaren Lebensbedürfnisse sowie deren Dokumentation und Relokation, ein geringer Anteil der Vertriebenen sorgt für sich selbst in gemieteten Unterkünften und bei Verwandten und Bekannten. Vor dem Hintergrund einer längerfristigen Tendenz unter den Binnenvertriebenen zur Rückkehr in ihre Herkunftsgebiete waren mit 31.03.2018 noch ca. 2,2 Mio. (seit 2014) Binnenvertriebene innerhalb des Iraks registriert, diesen standen wiederum ca. 3,6 Mio. Zurückgekehrte gegenüber. Ca. 90% der bis Ende März 2018 in ihre Herkunftsregion zurückgekehrten ca. 124.000 Binnenvertriebenen stammten aus den Provinzen Anbar, Kirkuk, Ninava und Salah al-Din, 107.000 kehrten alleine in die Provinz Ninava, ca. 77.000 in den Bezirk Mossul zurück.
Nachdem es den irakischen Sicherheitskräften (ISF) gemeinsam mit schiitischen Milizen, den sogenannten Popular Mobilisation Forces (PMF), sowie mit Unterstützung alliierter ausländischer Militärkräfte im Laufe des Jahres 2016 gelungen war, die Einheiten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) sowohl aus den von ihr besetzten Teilen der südwestlichen Provinz Al Anbar bzw. deren Metropolen Fallouja und Ramadi als auch aus den nördlich an Bagdad anschließenden Provinzen Diyala und Salah al Din zu verdrängen, beschränkte sich dessen Herrschaftsgebiet in der Folge auf den Sitz seiner irakischen Kommandozentrale bzw. seines "Kalifats" in der Stadt Mossul, Provinz Ninava, sowie deren Umgebung bis hin zur irakisch-syrischen Grenze westlich von Mossul. Ab November 2016 wurden sukzessive die Umgebung von Mossul sowie der Ostteil der Stadt bis zum Ufer des Tigris wieder unter die Kontrolle staatlicher Sicherheitskräfte gebracht, im Westteil wurde der IS von den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, die aus dem Süden, Norden und Westen in das Zentrum der Stadt vordrangen, in der Altstadt von Mossul eingekesselt. Der IS wiederum versuchte parallel zu diesen Geschehnissen durch vereinzelte Selbstmordanschläge in Bagdad und anderen Städten im Süd- sowie Zentralirak seine wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, zu demonstrieren. Anfang Juli 2017 erklärte der irakische Premier Abadi Mossul für vom IS befreit. In der Folge wurden auch frühere Bastionen des IS westlich von Mossul in Richtung der irakisch-syrischen Grenze wie die Stadt Tel Afar durch die Militärallianz vom IS zurückerobert. Zuletzt richteten sich die Operationen der Militärallianz gegen den IS auf letzte Überreste seines früheren Herrschaftsgebiets im äußersten Westen der Provinz Anbar sowie eine Enklave um Hawija südwestlich von Kirkuk. Mit Beginn des Dezember 2017 musste der IS seine letzten territorialen Ansprüche innerhalb des Iraks aufgeben, am 01.12.2017 erklärte Premier Abadi den gesamtem Irak für vom IS befreit.
Im Zuge der Rückeroberungen von IS-Gebieten (IS: sogenannter Islamischer Staat) werden weiterhin Massengräber gefunden. Zuletzt wurde in der Nähe der Militärbasis al-Bakara etwa drei Kilometer vor der Stadt Hawija ein Grab mit mindestens 400 Toten (mutmaßlichen IS-Opfern) entdeckt (MOI 3.11.2017; Standard 11.11.2017). Umgekehrt treten weitere Berichte von Racheakten von Seiten der Befreier zutage, laut Nahostexpertin Gudrun Harrer scheint der Zyklus der Gewalt mit dem Sieg über den IS nicht unterbrochen (Harrer 24.11.2017). Mehr als 3,1 Millionen Iraker (die überwältigende Mehrheit Sunniten) sind weiterhin Vertriebene. Weitere 2,3 Millionen sind in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt. Für den Wiederaufbau ihrer Städte erhielten die Sunniten nicht viel Hilfe von der Zentralregierung, die sich mehr auf die Bekämpfung/Zurückdrängung des IS und zuletzt der Kurden konzentrieren (NYTimes 26.10.2017).
Ab dem 03.11.2017 mit Stand 17.11.2017 wurden die drei letzten irakischen Städte, die sich noch unter der Kontrolle des IS befanden, Al-Qaim, Ana und Rawa (alle drei im Westen des Landes) von den irakischen Streitkräften zurückerobert. Laut der US-geführten Koalition zur Bekämpfung des IS hat dieser nun 95 Prozent jener irakischen und syrischen Territorien verloren, welches er im Jahr 2014 als Kalifat ausgerufen hatte (Telegraph 17.11.2017; IFK 60.11.2017). Das Wüstengebiet nördlich der drei Städte bleibt vorerst weiterhin IS-Terrain. Die Gebiete rund um Kirkuk und Hawija gehören zu jenen Gebieten, bei denen das Halten des Terrains eine große Herausforderung darstellt. (MEE 16.11.2017; Reuters 05.11.2017; BI 13.11.2017). Es stellt sich auch die Frage, wo sich jene IS-Kämpfer aufhalten, die, nicht getötet wurden oder die nicht in Gefängnissen sitzen (alleine in Mossul gab es vor der Rückeroberung 40.000 IS-Kämpfer). Viele sind in die Wüste geflohen oder in der Zivilbevölkerung untergetaucht. Es gab es auch umstrittene Arrangements, die den Abzug von IS-Kämpfern und ihren Familien erlaubten. Der IS ist somit nicht verschwunden, nur sein Territorium (Harrer 24.11.2017).
Seit der IS Offensive im Jahr 2014 ist die Zahl der Opfer im Irak nach wie vor nicht auf den Wert der Zeit zwischen 2008 - 2014 zurückgegangen, in der im Anschluss an den konfessionellen Bürgerkrieg 2006-2007 eine Phase relativer Stabilität einsetzte (MRG 10.2017; vgl. IBC 23.11.2017). Von dem Höchstwert von 4.000 zivilen Todesopfern im Juni 2014 ist die Zahl 2016 [nach den Zahlen von Iraq Body Count] auf 1.500 Opfer pro Monat gesunken; dieser sinkende Trend setzt sich im Jahr 2017 fort (MRG 10.2017). Nach den von Joel Wing dokumentierten Vorfällen, wurden in den Monaten August, September und Oktober 2017 im Irak 2.988 Zivilisten getötet (MOI 09.-11.2017).
Seitdem der IS Ende 2017 das letzte Stück irakischen Territoriums verlor, hat er drei Phasen durchlaufen: Zunächst kam es für einige Monate zu einer Phase remanenter Gewalt; dann gab es einen klaren taktischen Wandel, weg von der üblichen Kombination aus Bombenanschlägen und Schießereien, zu einem Fokus auf die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes. Die Kämpfer formierten sich neu und im Zuge dessen kam es zu einem starken Rückgang an Angriffen. Jetzt versucht der IS, die Kontrolle über die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes und über Grenzgebiete zurückzuerlangen. Gleichzeitig verstärkt er die direkte Konfrontation mit den Sicherheitskräften (Joel Wing 3.7.2018). Im September 2018 fanden die IS-Angriffe wieder vermehrt in Bagdad statt und es ist eine Rückkehr zu Selbstmordanschlägen und Autobomben feststellbar (Joel Wing 6.10.2018).
Mit Stand Oktober 2018 waren Einsätze der irakischen Sicherheitskräfte gegen IS-Kämpfer in den Provinzen Anbar, Ninewa, Diyala und Salah al-Din im Gang. Ziel war es, den IS daran zu hindern sich wieder zu etablieren und ihn von Bevölkerungszentren fernzuhalten. Irakische Beamte warnen vor Bemühungen des IS, Rückzugsorte in Syrien für die Infiltration des Irak zu nutzen. Presseberichte und Berichte der US-Regierung sprechen von anhaltenden IS-Angriffen, insbesondere in ländlichen Gebieten von Provinzen, die vormals vom IS kontrolliert wurden (CRS 4.10.2018; vgl. ISW 2.10.2018, Atlantic 31.8.2018, Jamestown 28.7.2018, Niqash 12.7.2018). In diesen Gebieten oder in Gebieten, in denen irakische Sicherheitskräfte abwesend sind, kommt es zu Drohungen, Einschüchterungen und Tötungen durch IS-Kämpfer, vor allem nachts (CRS 4.10.2018).
Es gibt immer häufiger Berichte über Menschen, die aus Dörfern in ländlichen Gebieten, wie dem Bezirk Khanaqin im Nordosten Diyalas, fliehen. Ortschaften werden angegriffen und Steuern vom IS erhoben. Es gibt Gebiete, die in der Nacht No-go-Areas für die Sicherheitskräfte sind und IS-Kämpfer, die sich tagsüber offen zeigen. Dies geschieht trotz ständiger Razzien durch die Sicherheitskräfte, die jedoch weitgehend wirkungslos sind (Joel Wing 6.10.2018).
Die Extremisten richten auch falsche Checkpoints ein, an denen sie sich als Soldaten ausgeben, Autos anhalten und deren Insassen entführen, töten oder berauben (Niqash 12.7.2018; vgl. WP 17.7.2018).
Das Hauptproblem besteht darin, dass es in vielen dieser ländlichen Gebiete wenig staatliche Präsenz gibt und die Bevölkerung eingeschüchtert wird (Joel Wing 6.10.2018). Sie kooperiert aus Angst nicht mit den Sicherheitskräften. Im vergangenen Jahr hat sich der IS verteilt und in der Zivilbevölkerung verborgen. Kämpfer verstecken sich an den unzugänglichsten Orten: in Höhlen, Bergen und Flussdeltas. Der IS ist auch zu jenen Taktiken zurückgekehrt, die ihn 2012 und 2013 zu einer Kraft gemacht haben: Angriffe, Attentate und Einschüchterungen, besonders nachts. In den überwiegend sunnitischen Provinzen, in denen der IS einst dominant war (Diyala, Salah al-Din und Anbar), führt die Gruppe nun wieder Angriffe von großer Wirkung durch (Atlantic 31.8.2018).
Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen Sieg über den Islamischen Staat (IS). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem die territoriale Kontrolle des IS gebrochen wurde, verbessert (CRS 4.10.2018; vgl. MIGRI 6.2.2018). IS-Kämpfer sind jedoch weiterhin in manchen Gebieten aktiv, die Sicherheitslage ist veränderlich (CRS 4.10.2018).
Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.2.2018).
In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.2.2018). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (MIGRI 6.2.2018).
1.2. Allgemeine Sicherheitslage in Kurdistan:
Die Sicherheitslage innerhalb der drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, nämlich Dohuk, Erbil und Suleimaniya, ist angesichts der Maßnahmen der regionalen Sicherheitskräfte wie Grenzkontrollen und innerregionale Aufenthaltsbestimmungen als stabil anzusehen. Am 25.09.2017 hielt die kurdische Regionalregierung ein Referendum für eine mögliche Unabhängigkeitserklärung der Autonomieregion mitzustimmendem Ausgang ab. Seit Oktober 2017 befindet sich die kurdische Regionalregierung in Konflikt mit der irakischen Zentralregierung in der Frage der Kontrolle über die von kurdischen Sicherheitskräften bislang besetzt gehaltenen Grenzregionen südlich der Binnengrenze der Autonomieregion zum übrigen irakischen Staatsgebiet, insbesondere die Region um die Stadt Kirkuk.
Das Verhältnis der Zentralregierung zur kurdischen Autonomieregion, die einen semi-autonomen Status innehat, hat sich seit der Durchführung eines Unabhängigkeitsreferendums in der Autonomieregion und einer Reihe zwischen Bagdad und Erbil umstrittener Gebiete am 25. September 2017 deutlich verschlechtert (AA 12.2.2018). Die Kurden konnten das von ihnen kontrollierte Territorium im Irak in Folge der Siege gegen den IS zunächst ausdehnen. Mit dem Referendum am 25.9.2017 versuchte die kurdische Regional-Regierung unter Präsident Masud Barzani, ihren Anspruch auch auf die von ihr kontrollierten Gebiete außerhalb der drei kurdischen Provinzen zu bekräftigen und ihre Verhandlungsposition gegenüber der Zentralregierung in Bagdad zu stärken (BPB 24.1.2018).
Bagdad reagierte mit der militärischen Einnahme eines Großteils der umstrittenen Gebiete, die während des Kampfes gegen den IS von kurdischen Peshmerga übernommen worden waren, angefangen mit der ölreichen Region um Kirkuk (AA 12.2.2018). Die schnelle militärische Rückeroberung der umstrittenen Gebiete durch die irakische Armee, einschließlich der Erdöl- und Erdgasfördergebiete um Kirkuk, mit massiver iranischer Unterstützung, bedeutete für die kurdischen Ambitionen einen Dämpfer. Präsident Barzani erklärte als Reaktion darauf am 29.10.2017 seinen Rücktritt. Der kampflose Rückzug der kurdischen Peshmerga scheint auch auf zunehmende Differenzen zwischen den kurdischen Parteien hinzudeuten (BPB 24.1.2018).
Grundlegende Fragen wie Öleinnahmen, Haushaltsfragen und die Zukunft der umstrittenen Gebiete sind weiterhin ungelöst zwischen Bagdad und der kurdischen Autonomieregion (AA 12.2.2018).
Im Dezember 2017 forderte die gewaltsame Auflösung von Demonstrationen gegen die Regionalregierung in Sulaymaniya mehrere Todesopfer. Daraufhin hat sich die Oppositionspartei Gorran aus dem kurdischen Parlament zurückgezogen (BPB 24.1.2018). In der Autonomieregion gehen die Proteste schon auf die Zeit gleich nach 2003 zurück und haben seitdem mehrere Phasen durchlaufen. Die Hauptforderungen der Demonstranten sind jedoch gleich geblieben und drehen sich einerseits um das Thema Infrastrukturversorgung und staatliche Leistungen (Strom, Wasser, Bildung, Gesundheitswesen, Straßenbau, sowie die enormen Einkommensunterschiede) und andererseits um das Thema Regierungsführung (Rechenschaftspflicht, Transparenz und Korruption) (LSE 4.6.2018).
Am 30.9.2018 fanden in der kurdischen Autonomieregion Wahlen zum Regionalparlament statt (Tagesschau 30.9.2018). Mit einer Verzögerung von drei Wochen konnte die regionale Wahlkommission am 20.10.2018 die Endergebnisse veröffentlichen. Zahlreiche Parteien hatten gegen die vorläufigen Ergebnisse Widerspruch eingelegt. Gemäß der offiziellen Endergebnisse gewann die KDP mit 686.070 Stimmen (45 Sitze), vor der PUK mit 319.912 Stimmen (21 Sitze) und Gorran mit
186.903 Stimmen (12 Sitze) (ANF 21.10.2018; vgl. Al Jazeera 21.10.2018, RFE/RL 21.10.2018). Die Oppositionsparteien lehnen die Abstimmungsergebnisse ab und sagen, dass Beschwerden über den Wahlbetrug nicht gelöst wurden (Al Jazeera 21.10.2018).
Eine Einreise in die Provinzen der kurdischen Autonomieregion ist aktuell aus Österreich auf dem Luftweg ausgehend vom Flughafen Wien via Amman und via Dubai nach Erbil und auf indirektem Weg via Bagdad möglich.
1.3. Sicherheitslage in den südirakischen Provinzen:
Die Sicherheitslage in den südirakischen Provinzen, insbesondere in der Provinz Basra, war, als Folge einer Sicherheitsoffensive staatlicher Militärkräfte im Gefolge interkonfessioneller Gewalt im Jahr 2007, ab 2008 stark verbessert und bis 2014 insgesamt stabil. Auch war die Region nicht unmittelbar von der Invasion der Truppen des IS im Irak in 2013 und 2014 betroffen. Die Gegenoffensive staatlicher Sicherheitskräfte und deren Verbündeter gegen den IS in Anbar und den nördlicher gelegenen Provinzen bedingte vorerst eine Verlagerung von Militär- und Polizeikräften in den Norden, die wiederum eine größere Instabilität im Süden verbunden vor allem mit einem Anstieg an krimineller Gewalt mit sich brachte. Aktuell sind im Gefolge der Vertreibung des IS aus seinem früheren Herrschaftsgebiet im Irak keine maßgeblichen sicherheitsrelevanten Ereignisse bzw. Entwicklungen für die Region bekannt.
Der gesamte südliche Teil des Irak, einschließlich der Provinz Babil, steht nominell unter der Kontrolle der irakischen Regierung. Vielerorts scheinen die Regierungsbehörden gegenüber lokalen Stämmen und Milizen noch immer in einer schwächeren Position zu sein. Die irakische Regierung war gezwungen, dem Kampf gegen den IS im Zentral- und Nordirak in den letzten Jahren Vorrang einzuräumen und bedeutende militärische und polizeiliche Ressourcen aus dem Süden abzuziehen und in diese Gegenden zu entsenden. Vor diesem Hintergrund sind Stammeskonflikte, eskalierende Gesetzlosigkeit und Kriminalität ein Problem der lokalen Sicherheitslage. Die Bemühungen der Regierung, die Kontrolle wieder zu übernehmen, scheinen noch nicht zum entscheidenden Erfolg geführt zu haben. Regierungsnahe Milizen sind in unterschiedlichem Maße präsent, aber der Großteil ihrer Kräfte wird im Norden eingesetzt. Terrorismus und Terrorismusbekämpfung spielen im Süden nach wie vor eine Rolle, insbesondere in Babil, aber im Allgemeinen in geringerem Maße als weiter im Norden. Noch immer gibt es vereinzelte Terroranschläge (Landinfo 31.5.2018).
In der Provinz Basra kam es in den vergangenen Monaten immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen bewaffneter Gruppierungen. In Basra und den angrenzenden Provinzen besteht ebenfalls das Risiko von Entführungen (AA 1.11.2018).
Seit 2015 finden in allen Städten des Südirak regelmäßig Demonstrationen statt, um gegen die Korruption der Regierung und die Arbeitslosigkeit zu protestieren und eine bessere Infrastruktur zu fordern. Gewöhnlich finden diese Demonstrationen in Ruhe statt, sie haben jedoch auch schon zu Zusammenstößen mit der Polizei geführt, zu Verletzten und Toten (CEDOCA 28.2.2018). Dies war auch im Juli und September 2018 der Fall, als Demonstranten bei Zusammenstößen mit der Polizei getötet wurden (Al Jazeera 16.7.2018; vgl. Joel Wing 5.9.2018, AI 7.9.2018).
1.4. Sicherheitslage Nord- und Zentralirak:
In den Provinzen Ninewa und Salah al-Din muss weiterhin mit schweren Anschlägen und offenen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem IS und irakischen Sicherheitskräften gerechnet werden. Diese Gefährdungslage gilt ebenfalls für die Provinz Anbar und die Provinz Ta'mim (Kirkuk), sowie auch für die Provinz Diyala. Hinzu kommen aktuelle Spannungen zwischen irakischen Streitkräften und kurdischen Peshmerga (AA 1.11.2018).
Mit dem Zuwachs und Gewinn an Stärke von lokalen und sub-staatlichen Kräften, haben diese auch zunehmend Verantwortung für die Sicherheit, politische Steuerung und kritische Dienstleistungen übernommen. Infolgedessen ist der Nord- und Zentralirak, obgleich nicht mehr unter der Kontrolle des IS, auch nicht unter fester staatlicher Kontrolle. Die Fragmentierung der Macht und die große Anzahl an mobilisierten Kräften mit widersprüchlichen Loyalitäten und Programmen stellt eine erhebliche Herausforderung für die allgemeinen Stabilität dar (GPPI 3.2018).
Der Zentralirak ist derzeit der wichtigste Stützpunkt für den IS. Die Gewalt dort nahm im Sommer 2018 zu, ist aber inzwischen wieder gesunken. In der Provinz Diyala beispielsweise fiel die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle von durchschnittlich 1,7 Vorfällen pro Tag im Juni 2018 auf 1,1 Vorfälle im Oktober 2018. Auch in der Provinz Salah al-Din kam es im Juni 2018 zu durchschnittlich 1,4 sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Tag, im Oktober jedoch nur noch zu 0,5. Die Provinz Kirkuk verzeichnete im Oktober 2018 einen Anstieg an sicherheitsrelevanten Vorfällen, mit durchschnittlich 1,5 Vorfällen pro Tag, die höchste Zahl seit Juni 2018. Die Anzahl der Vorfälle selbst ist jedoch nicht so maßgeblich wie die Art der Vorfälle und die Schauplätze an denen sie ausgeübt werden. Der IS ist in allen ländlichen Gebieten der Provinz Diyala, in Süd-Kirkuk, Nord- und Zentral-Salah-al-Din tätig. Es gibt regelmäßige Angriffe auf Städte; Zivilisten und Beamte werden entführt; Steuern werden erhoben und Vergeltungsmaßnahmen gegen diejenigen ausgeübt, die sich weigern zu zahlen; es kommt auch regelmäßige zu Schießereien. Es gibt immer mehr Berichte über IS-Mitglieder, die sich tagsüber im Freien bewegen und das Ausmaß ihrer Kontrolle zeigen. Die Regierung hat in vielen dieser Gegenden wenig Präsenz und die anhaltenden Sicherheitseinsätze sind ineffektiv, da die Kämpfer ausweichen, wenn die Einsätze im Gang sind, und zurückkehren, wenn sie wieder beendet sind. Der IS verfügt derzeit über eine nach außen hin expandierende Kontrolle in diesen Gebieten (Joel Wing 2.11.2018).
1.5. Sicherheitslage im Großraum Bagdad:
1.5.1. Sicherheitslage im Großraum Bagdad im Allgemeinen
Die Provinz Bagdad ist die kleinste und am dichtesten bevölkerte Provinz des Irak, mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit der Provinz wird sowohl vom "Baghdad Operations Command" kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst zieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).
Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad war im Wesentlichen ebenfalls nicht unmittelbar beeinträchtigt durch die oben genannten Ereignisse im Zusammenhang mit der Bekämpfung des IS im Zentralirak. Im Laufe der Jahre 2016 und 2017 kam es jedoch im Stadtgebiet von Bagdad zu mehreren Anschlägen bzw. Selbstmordattentaten auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern, die sich, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS, gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte richteten um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden.
Im Jahr 2016 verzeichnete die Provinz Bagdad noch immer die höchste Zahl an Opfern im gesamten Land. Die Sicherheitslage verbesserte sich jedoch in Bagdad als die Schlacht um Mossul begann. Während Joel Wing im Januar 2016 in Bagdad noch durchschnittlich 11,6 Angriffe pro Tag verzeichnete, sank diese Zahl zwischen April und September 2017 auf durchschnittlich 3 Angriffe pro Tag (OFPRA 10.11.2017; vgl. Joel Wing 8.7.2017, Joel Wing 4.10.2017). Seit 2016 ist das Ausmaß der Gewalt in Bagdad allmählich zurückgegangen. Es gab einen Rückgang an IS- Aktivität, nach den Vorstößen der irakischen Truppen im Nordirak, obwohl der IS weiterhin regelmäßig Angriffe gegen militärische und zivile Ziele durchführt, insbesondere, aber nicht ausschließlich, in schiitischen Stadtvierteln. Darüber hinaus sind sunnitische Bewohner der Gefahr von Übergriffen durch schiitische Milizen ausgesetzt, einschließlich Entführungen und außergerichtlichen Hinrichtungen (OFPRA 10.11.2017).
Terroristische und politisch motivierte Gewalt setzte sich das ganze Jahr 2017 über fort. Bagdad war besonders betroffen. UNAMI berichtete, dass es von Januar bis Oktober 2017 in Bagdad fast täglich zu Angriffen mit improvisierten Sprengkörpern kam. Laut UNAMI zielten einige Angriffe auf Regierungsgebäude oder Checkpoints ab, die von Sicherheitskräften besetzt waren, während viele andere Angriffe auf Zivilisten gerichtet waren. Der IS führte Angriffe gegen die Zivilbevölkerung durch, einschließlich Autobomben- und Selbstmordattentate (USDOS 20.4.2018).
Laut Joel Wing kam es im Januar 2018 noch zu durchschnittlich 3,3 sicherheitsrelevanten Vorfällen in Bagdad pro Tag, eine Zahl die bis Juni 2018 auf durchschnittlich 1,1 Vorfälle pro Tag sank (Joel Wing 3.7.2018). Seit Juni 2018 ist die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Bagdad langsam wieder auf 1,5 Vorfälle pro Tag im Juli, 1,8 Vorfälle pro Tag im August und 2,1 Vorfälle pro Tag im September gestiegen. Diese Angriffe bleiben Routine, wie Schießereien und improvisierte Sprengkörper und konzentrieren sich hauptsächlich auf die äußeren südlichen und nördlichen Gebiete der Provinz (Joel Wing 6.10.2018).
Insgesamt kam es im September 2018 in der Provinz Bagdad zu 65 sicherheitsrelevanten Vorfällen. Damit verzeichnete Bagdad die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen im ganzen Land (Joel Wing 6.10.2018). Auch in der ersten und dritten Oktoberwoche 2018 führte Bagdad das Land in Bezug auf die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle an. Wenn man jedoch die Größe der Stadt bedenkt, sind Angriffe immer noch selten (Joel Wing 9.10.2018 und Joel Wing 30.10.2018).
In Bezug auf die Opferzahlen war Bagdad von Januar bis März 2018, im Mai 2018, sowie von Juli bis September 2018 die am schwersten betroffene Provinz im Land (UNAMI 1.2.2018; UNAMI 2.3.2018; UNAMI 4.4.2018; UNAMI 31.5.2018; UNAMI 1.8.2018; UNAMI 3.9.2018; UNAMI 1.10.2018). Im September 2018 verzeichnete UNAMI beispielsweise 101 zivile Opfer in Bagdad (31 Tote, 70 Verletzte) (UNAMI 1.10.2018).
Bagdad hat eine höhere Kriminalitätsrate als jede andere Stadt des Landes. Hauptverantwortlich dafür sind der schwache staatliche Sicherheitsapparat sowie die schwache Exekutive. Seit dem Krieg gegen den IS verblieb in Bagdad aufgrund von Militäreinsätzen in anderen Teilen des Landes phasenweise nur eine geringe Zahl an Sicherheitspersonal. Da große Teile der Armee im Sommer 2014 abtrünnig wurden, sind zum Wiederaufbau der Armee mehrere Jahre nötig. Gleichzeitig erschienen bewaffnete Gruppen, vor allem Milizen mit Verbindungen zu den 'Popular Mobilization Forces' (PMF), auf der Bildfläche, mit divergierenden Einflüssen auf die Stabilität der Stadt. Der Zusammenbruch der Armee führte zusätzlich zu einem verstärkten Zugang und zu einer größeren Verfügbarkeit von Waffen und Munition. Dazu kommt die Korruption, die in allen Einrichtungen des Sicherheitsapparates und der Exekutive herrscht. Trotz dieser Probleme gibt es aktuell eine Verbesserung der Situation, die sich auch auf die Meinung der Bewohner über den irakischen Gesetzesvollstreckungsapparat auswirkt. Obwohl konfessionell bedingte Gewalt in Bagdad existiert, ist die Stadt nicht in gleichem Ausmaß in die Spirale der konfessionellen Gewalt des Bürgerkriegs der Jahre 2006-2007 geraten. Stattdessen kommt es zu einem Anstieg der Banden-bedingten Gewalt (Bandenkriege), die meist finanziell motiviert sind, in Kombination mit Rivalitäten zwischen Sicherheitskräften/-akteuren (MRG 10.2017).
Kidnappings und Entführungen kommen überall in Bagdad vor, unterscheiden sich aber in Häufigkeit und Art der Opfer. Man kann generell zwischen finanziell motivierten Entführungen und denen, die politisch oder persönlich motiviert sind, unterscheiden. Während erstere von kriminellen Gangs begangen werden, werden die politisch oder persönlich motivierten von bewaffneten Gruppen oder Individuen ausgeführt. Geschätzte 65-75 Prozent können als kriminelle Akte kategorisiert werden, während zwischen einem Viertel und einem Drittel als politisch oder als Folge von persönlichen Auseinandersetzungen gesehen werden können. Die zentralen und relativ wohlhabenden Bezirke Karkh und Rusafa zeigen die höchsten Zahlen an Kidnappings und sind für etwa die Hälfte der dokumentierten Fälle des gesamten Gouvernements verantwortlich (MRG 10.2017).
Berichten zufolge setzen schiitische Milizen Kidnappings und Erpressungen als einkommensgenerierende Aktivitäten ein. Während es sich dabei um einen kriminellen Akt handelt, kann zusätzlich auch ein politisches oder religiöses Motiv dahinterstehen. Milizen haben z. B. Mitglieder anderer Gruppen entführt und verschleppt. Opfer der von den Gruppen durchgeführten Kidnappings sind tendenziell eher Sunniten als Schiiten. Es ist auch häufig, dass Milizen Kidnappings in Gegenden, die nicht unter ihrer eigenen Kontrolle stehen, ausführen, etwa um ihre Reputation in den von ihnen kontrollierten Gebieten nicht aufs Spiel zu setzen (MRG 10.2017).
Da es zu Protesten in der Bevölkerung kam, und zu Forderungen an den Staat, Maßnahmen zu ergreifen, wurde in den letzten zwei Jahren das Thema Kidnappings in der Öffentlichkeit diskutiert. Immer wieder kam es zu Wellen von Entführungen, die gegen bestimmte Professionen und Gruppen der Gesellschaft gerichtet waren.
Die Fälle von Entführungen haben Regierung und Sicherheitsdienste gezwungen, sich aktiver diesem Problem zu widmen. In vergangenen Jahren, sowie auch in den Jahren 2006-2007, war die Exekutive beinahe gänzlich außerstande, mit dieser Art der Gewalt umzugehen. Heute spricht Premierminister Abadi, der sich manchmal persönlich in Fälle involviert, lautstark über die Bedenken der Bevölkerung, und unternimmt Schritte, um die Kapazitäten der Gesetzesvollstreckung auszuweiten (MRG 10.2017).
Schießereien mit Handfeuerwaffen sind in und rund um die Provinz Bagdad verbreitet, wobei dabei insbesondere die Bezirke Karkh, Rusafa und Adhamiya und dabei insbesondere auch Zivilisten betroffen sind. Hingegen betreffen Vorfälle mit Handfeuerwaffen im ‚Bagdad Belt' üblicherweise Sicherheitsdienste wie die Iraqi Security Forces (ISF) und Mitglieder von sunnitischen und schiitischen Milizen, und finden meistens bei Kontrollpunkten statt. Dies kann man in Abu Ghraib, Mahmudiya und Tarmiya beobachten. Diese Gebiete verzeichnen auch eine große Anzahl an Schießereien in Verbindung mit stammesbezogenen Auseinandersetzungen (MRG 10.2017).
Konfessionalismus und Diskriminierung sind weiterhin ein weit verbreitetes Phänomen in Bagdad, wenn sie auch nicht dasselbe Ausmaß an Gewalt erreicht haben, der während des konfessionellen Krieges in den Jahren 2006-2007 dokumentiert wurde. Entgegen der Erwartungen hat die Ausbreitung des IS ab 2014 zu einem geringeren Ausmaß an Gewalt geführt als während des konfessionellen Krieges 2006-2007. Terrorattacken des IS in Bagdad führen zu Vergeltungsmaßnahmen gegen sunnitische Zivilisten, die vorwiegend von schiitischen Milizen begangen werden. Diese beinhalten Kidnappings, Ermordungen sowie ungesetzlichen Freiheitsentzug. Dennoch ist der offensichtlichere Konfessionalismus - bei dem sunnitische Bewohner Kontrollpunkte nicht passieren konnten ohne namentlich aufgerufen zu werden und manchmal schikaniert oder festgenommen wurden - heute relativ selten.
Dies trifft allerdings nicht auf sunnitische Internvertriebene (IDPs) zu, die in der Provinz Bagdad regelmäßig diskriminiert werden. Nachdem der IS in großen Teilen von Anbar und Salah al-Din die Macht ergriffen hatte, flohen Tausende nach Bagdad. In vielen Fällen war es ihnen von vorne herein nie gestattet, in die Provinz einzureisen. Die, die es dennoch geschafft haben, berichten von extrem eingeschränkter Reisefreiheit (da Personalausweise aufzeigen in welchem Gouvernement sie ausgestellt wurden), von Schwierigkeiten, als Gebietsfremde des Gouvernements an wesentliche Dokumente zu gelangen, sowie von Schikanen aufgrund des Pauschalverdachts der IS-Zugehörigkeit. Für Internvertriebene besteht, aufgrund fehlender Netzwerke für persönliche Unterstützung, auch ein größeres Risiko, entführt zu werden.
Eine weitere Seite des Konfessionalismus sind Verhaftungen, oft willkürlich, welche meist in Verbindung mit einer Anklage wegen Terrorismus nach Artikel 4 vollzogen werden und beinahe ohne Ausnahme Sunniten betreffen. Diese Festnahmen sind nach Terroranschlägen häufig, wenn Sicherheitsdienste Durchsuchungsaktionen durchführen, um Mitglieder oder Unterstützer des IS ausfindig zu machen (MRG 10.2017).
Kleinere Gemeinschaften, inklusive Minderheiten und solche, die sich in einer Minderheitssituation wiederfinden, stehen unter signifikantem Risiko. Die Anzahl an Christen in Bagdad nimmt unter dieser Bedrohungssituation weiterhin ab, wenn auch kleine christliche Gemeinden in gemischten Bezirken bestehen bleiben; so auch in Karkh und in Karrada und Palästina. Faili-Kurden (schiitische Kurden), einschließlich jener, die in Sadirya und im südlichen Teil Bagdads leben, haben unter Bombenangriffen gelitten und berichten von erhöhten Spannungen, die in Zusammenhang mit dem kurdischen Unabhängigkeitsreferendum stehen. Palästinenser, die vorwiegend in al-Baladiyat leben, sind diesen