TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/8 W107 2194310-1

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Veröffentlicht am 08.03.2019
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Entscheidungsdatum

08.03.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W107 2194310-1/13E

Schriftliche Ausfertigung des am 08.11.2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Sibyll BÖCK über die Beschwerde der mj. XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, gesetzlich vertreten durch ihren Vater XXXX , dieser vertreten durch RA Mag. Robert BITSCHE, Nikolsdorfergasse 7-11/Top 15, 1050 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.04.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.11.2018 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die minderjährige Beschwerdeführerin reiste gemeinsam mit ihrer Mutter (Beschwerdeführerin zu W107 2194308-1), ihrem Vater (Beschwerdeführer zu W107 2194312-1) und ihrer jüngeren Schwester (Beschwerdeführerin zu W107 2194309-1) unter Umgehung der Einreisebestimmungen schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 10.08.2015, vertreten durch ihren Vater, gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren.

2. Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der Beschwerdeführerin nicht erteilt (Spruchpunkt III) und gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) und ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen [gemeint: 14 Tage] ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

3. Mit Schreiben vom 25.04.2018 erhob die Beschwerdeführerin, vertreten durch ihren Vater, dieser vertreten durch den ausgewiesenen Rechtsvertreter, vollinhaltliche Beschwerde gegen den spruchgegenständlichen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie der Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften.

4. Am 03.05.2018 legte das BFA die Beschwerde und die dazugehörigen Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor. Unter einem verzichtete die Behörde auf die Durchführung und Teilnahme an einer Beschwerdeverhandlung.

5. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 08.11.2018 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari, des ausgewiesenen Rechtsvertreters eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, im Zuge derer die Eltern der Beschwerdeführerin im Familienverfahren zu ihren Anträgen auf internationalen Schutz einvernommen wurden. Das gegenständliche Verfahren wurde mit den Verfahren W107 2194308-1 (Mutter der BF), W107 2194307-1 (mj. Bruder der BF) und W107 2194309-1 (mj. Schwester der BF) und W107 2194312-1 (Vater der BF) zur gemeinsamen Verhandlung verbunden. Die Beschwerdeführer legten im Rahmen der mündlichen Verhandlung ein Konvolut an Integrationsunterlagen sowohl zahlreiche Unterstützungsschreiben vor.

Gemeinsam mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurden der Beschwerdeführerin die zum damaligen Zeitpunkt aktuellsten Länderinformationen zu Afghanistan übermittelt. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden zudem die am Tag der mündlichen Verhandlung aktuellsten und den Parteien elektronisch zugänglichen Länderinformationen, insbesondere das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan und die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018, in das Verfahren eingeführt.

Nach Schluss der mündlichen Verhandlung verkündete die Richterin das gegenständliche Erkenntnis samt den wesentlichen Entscheidungsgründen. Die Beschwerdeführerin, vertreten durch ihren Vater, verzichtete nach Belehrung über die Folgen des Verzichts ausdrücklich auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof.

Eine Ausfertigung der Niederschrift vom 08.11.2018 samt Belehrung wurde den Eltern der Beschwerdeführerin und deren Rechtsvertretung am Tag der mündlichen Verhandlung persönlich ausgefolgt und dem BFA mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.11.2018 übermittelt.

6. Am 14.11.2018 beantragte das BFA die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den zugrundeliegenden Verwaltungsakt, insbesondere durch Einsicht in die im Verfahren vorgelegten Dokumente, Unterlagen und Befragungsprotokolle, Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, Einsicht in die ins Verfahren eingebrachten Länderberichte sowie Einsicht in das Zentrale Melderegister, das Strafregister und das Grundversorgungssystem.

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin führt den im Spruch angeführten Namen, ist minderjährig und Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan. Ihre Identität kann nicht festgestellt werden; die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführerin gelten ausschließlich für die Identifizierung ihrer Person im Asylverfahren.

Die Beschwerdeführerin reiste im August 2015 gemeinsam mit ihren Eltern XXXX (BF zu W107 2194312-1) und XXXX (BF zu W107 2194308-1) sowie mit ihrer jüngeren Schwester XXXX (BF zu W107 2194309-1) unter Umgehung der Einreisebestimmungen schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 10.08.2015, vertreten durch ihren Vater, gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Zu diesem Zeitpunkt war die minderjährige Beschwerdeführerin ledig.

Die Beschwerdeführerin hält sich derzeit gemeinsam mit ihren Eltern, ihrer Schwester und ihrem in Österreich geborenen Bruder XXXX (Beschwerdeführer zu W107 2194307-1) in Österreich auf und lebt mit diesen zusammen.

Die Beschwerdeführerin ist aufgrund ihrer Minderjährigkeit strafunmündig und daher in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.03.2019, Zl. W107 2194308-1/13E, wurde der Beschwerde der Mutter der Beschwerdeführerin stattgegeben und ihr der Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 zuerkannt. Im Falle der Mutter der Beschwerdeführerin ist kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus dem vorgelegten Verfahrensakt der Beschwerdeführerin und jenem ihrer Mutter (BF zu W107 2194308-1).

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit:

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, was im gegenständlichen Verfahren nicht der Fall ist.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 24/2017, geregelt (§ 1 leg. cit.).

§ 1 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012, bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem BFA, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Gemäß § 3 BFA-G, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 70/2015, obliegt dem BFA die Vollziehung des BFA-VG (Z 1), die Vollziehung des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100 (Z 2), die Vollziehung des 7., 8. und 11. Hauptstückes des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100 (Z 3) und die Vollziehung des Grundversorgungsgesetzes - Bund 2005, BGBl. I Nr. 100 (Z 4).

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 68/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des BFA.

3.2. Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

Im vorliegenden Fall wurde der Mutter der Beschwerdeführerin mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.03.2019, Zl. W107 2194308-1/13E, gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 festgestellt, dass dieser damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Anhand der Ermittlungsergebnisse war davon auszugehen, dass sich die Mutter der Beschwerdeführerin angesichts ihrer auf ein selbstbestimmtes Leben gerichteten Einstellung ("westliche Gesinnung") aus wohlbegründeter Furcht wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe verfolgt zu werden, außerhalb Afghanistans befindet und in Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren (vgl. das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.03.2019, Zl. W107 2194308-1/13E). Es liegt auch in Bezug auf die Mutter der Beschwerdeführerin keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F GFK genannten Endigungs- und Ausschlussgründe vor.

Gemäß § 34 Abs. 2 iVm Abs. 5 AsylG 2005 hat das Bundesverwaltungsgericht aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status eines Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist und

3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7 AsylG 2005).

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist "Familienangehöriger", wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits im Herkunftsland bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat.

Die minderjährige und ledige Beschwerdeführerin ist die Tochter von XXXX (BF zu W107 2194308-1). Somit ist die Beschwerdeführerin als Familienangehörige iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 zu betrachten.

Die Beschwerdeführerin ist nicht straffällig geworden. Gegen die Mutter der Beschwerdeführerin ist kein Asylaberkennungsverfahren anhängig.

Der Beschwerdeführerin ist daher gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 der gleiche Schutzumfang, dh. der Status der Asylberechtigten nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005, zuzuerkennen, ohne dass allfällige eigene Fluchtgründe zu beurteilen waren (vgl. VwGH 30.04.2018, Ra 2017/01/0418).

Der Beschwerde war daher stattzugeben und der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass der Beschwerdeführerin damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz (und auch jener der Mutter der Beschwerdeführerin) am 10.08.2015 und somit vor dem 15.11.2015 gestellt wurde. Die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 ("Asyl auf Zeit") finden daher gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im vorliegenden Fall keine Anwendung.

3.3. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

Asylgewährung von Familienangehörigen, Familienverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W107.2194310.1.00

Zuletzt aktualisiert am

13.05.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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