Entscheidungsdatum
02.01.2019Norm
AVG §13 Abs7Spruch
L515 2210891-1/6E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. H. LEITNER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.12.2018, Zl. XXXX , beschlossen:
A) Das Beschwerdeverfahren wird wegen Zurückziehung der Beschwerde
gem. §§ 28 Abs. 1 iVm 31 Abs. 1 VwGVG, Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz), BGBl I 33/2013 idgF, eingestellt.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang
1.1. Die männliche und volljährige beschwerdeführende Partei ("bP") ist ein Staatsbürger der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist nach europarechtlichen Regeln zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt. Wie wurde wiederholt delinquent und befand sich zuletzt vom 21.11.2018 - 4.12.2018 in Haft. Sie verbüßte eine Ersatzfreiheitstrafe. Nachdem sie den ausstehenden Geldbetrag bezahlte, wurde sie aus der Haft entlassen.
Nach der Entlassung aus der Haft wurde die bP anlässlich eins Festnahmeauftrages Festgenommen und in das BAZ Salzburg überstellt.
Der bP wurde die Aufforderung zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme zur beabsichtigten Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und in eventu der "Erlassung eines ordentlichen Schubhaftverfahrens gem. § 76 FPG" am 25.11.2018 durch persönliche Ausfolgung zugestellt. Ihr wurde hierin eine zweiwöchige Stellungnahmefrist (Ende der Frist somit: 10.12.2018).
Eine Einvernahme der bB betreffend die Voraussetzungen für die Verhängung der Schubhaft fand nicht statt.
Mit Mandatsbescheid vom 4.12.2018 -also vor Ende der Stellungnahmefrist- wurde ohne die Durchführung weiterer Ermittlungsschritte etwa in Form einer Einvernahme zu den Schubhaftgründen über die bP die Schubhaft verhängt. Die bB ging davon aus, aufgrund ihrer Delinquenz ihre Außerlandesbringung geboten erscheint und zu deren Sicherung die Schubhaft anzuordnen wäre, weil in Bezug auf die bP mangels entsprechender sozialer Anknüpfungspunkte und aufgrund ihres Vorlebens davon auszugehen ist, dass sie sich aufenthaltsbeendenden Maßnahmen entziehen werde
Am 6.12.2018 langte bei der bB eine Stellungnahme ein.
Am 10.12.2018 wurde die bP aus der Schubhaft entlassen, da "nach Sichtung der Stellungnahme der bP [,] der Fluchtgrund nicht mehr gegeben ist."
2.1. Mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz wurde gegen die Schubhaft anordnenden Mandatsbescheid der belangten Behörde Beschwerde erhoben. Die rechtsfreundliche Vertretung der bP ging davon aus, dass keine Fluchtgefahr bestanden hätte, und sich die Anordnung der Schubhaft als nicht verhältnismäßig darstellte. Die bP sei legal in Österreich aufhältig und bestünde ein Wohnmöglichkeit bei der Verlobten. Sie sei bereit, legal auszureisen. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die bP in Österreich nicht
2. Mit einem von der Vertretung des Beschwerdeführers übermittelten Schreiben vom 11.12.2018 wurde die Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 04.12.2018 zurückgezogen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zu A)
1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
2. § 7 Abs. 2 VwGVG normiert, dass eine Beschwerde nicht mehr zulässig ist, wenn die Partei nach Zustellung oder Verkündung des Bescheides ausdrücklich auf die Beschwerde verzichtet hat.
Eine Zurückziehung der Beschwerde durch den Einschreiter ist in jeder Lage des Verfahrens ab Einbringung der Beschwerde bis zur Erlassung der Entscheidung möglich. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfolgt die Einstellung infolge Zurückziehung der Beschwerde durch Beschluss (VwGH 29.04.2015, Fr 2014/20/0047).
Die Annahme einer Zurückziehung des Rechtsmittels ist nur dann zulässig, wenn die entsprechende Erklärung keinen Zweifel daran offen lässt. Maßgebend ist das Vorliegen einer in dieser Richtung eindeutigen Erklärung (zur insofern auf das VwGVG übertragbaren Rechtsprechung zum AVG siehe zB VwGH 22.11.2005, 2005/05/0320 uvm).
3. Im gegenständlichen Fall stellt sich die Erklärung über die Zurückziehung der Beschwerde als eindeutig dar und war daher das Beschwerdeverfahren beschlussmäßig einzustellen.
4. Das ho. Gericht erlaubt sich, trotz der Zurückziehung der Beschwerde auf folgende Umstände hinzuweisen:
4.1. Es hätte sich in gegenständlichen Fall die Frage gestellt, ab welchem Zeitraum von einer nicht bloß kurzfristigen Haft auszugehen ist und somit ein ordentliches Verfahren zu führen gewesen wäre (§ 76 Abs. 4 FPG). Weder dem Gesetz noch der Judikatur ist hier ein konkreter Zeitraum zu entnehmen. Im Rahmen der Auslegung der Bestimmung ist davon auszugehen, dass die Haft so langte andauern muss, dass es der Behörde während der Anhaltung möglich ist, ein ordentliches Ermittlungsverfahren zu führen und daher keine Gefahr im Verzuge im Sinne des § 57 AVG besteht. Ein untätiges Zuwarten während der Zeit der Anhaltung und eine anschließende Vorgansweise gem. § 57 AVG im Anschluss an die Beendigung dieser Anhaltung stellt idR jedenfalls kein rechtskonformes Vorgehen vor.
Ob dies bei einer Haftdauer von 3 Wochen der Fall ist, wird einzelfallspezifisch zu betrachten sein (es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber es dem ho. Gericht zumutet, innerhalb der materiellrechtlichen Frist von einer Woche ein solches gerichtliches Tatsachenverfahren zu führen, in dem die idR konträren Rechte von zumindest zwei Parteien zu wahren sind) und kann es durchaus der Fall sein, dass es zum Beginn der Einleitung des Verfahrens noch nicht klar ist, welche Art von Verfahren zu führen sein wird und -abstrakt betrachtet die Vorgansweise, im Falle der Unklarheit der Sach- und Rechtslage das ordentliche Verfahren einzuleiten und falls sich während des Verfahrens ergibt, dass nunmehr Gefahr im Verzuge vorliegt, das eingeleitete Verfahren in einem Verfahren gem. § 57 AVG münden zu lassen.
Aufgrund der Zurückziehung der Beschwerde braucht diese Frage jedoch nicht mehr beantwortet zu werden.
4.2. Auch wenn § 57 AVG davon ausgeht, dass bei Gefahr im Verzuge ein Bescheid "ohne vorausgegangenes Ermittlungsverfahren" zu erlassen ist, ermächtigt, diese Formulierung -wie bereits in einer Reihe von höchstgerichtlichen und auch ho. Entscheidungen festgestellt wurde- die Behörde nicht, gar keine oder nur rudimentär ausgeprägte Ermittlungen zu führen, sondern ist sie auch in diesem Fall verpflichtet, dem Anlassfall entsprechend im gebotenen Umfang so weit zu ermitteln, dass sich die Behörde ein Bild vom maßgeblichen Sachverhalt -welcher dann ausreichend feststeht, wenn die Behörde in der Lage ist, im Rahmen der von ihr vorzunehmenden Subsumtion die sich stellenden Rechtsfragen zu beantworten- machen kann. Selbstredend hat sie kein dermaßen umfangreiches Ermittlungsverfahren führen, wie sie es in einem ordentlichen Verfahren außerhalb des § 57 AVG zu führen wären.
Eine angemessene Ermittlungstätigkeit erscheint gerade im eingriffsintensiven Verfahren gem. § 76 FPG die Einvernahme der Partei, welche zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts und zur Verschaffung ihres persönlichen Eindrucks dient, zumal die beschwerdeführende Partei angehalten und für die belangte Behörde leicht greifbar gewesen wäre. Diese schien im gegenständlichen Fall umso mehr geboten, zumal der angefochtene Bescheid vor dem Ende der eingeräumten Stellungnahmefrist erging.
Im gegenständlichen Fall wäre es der bB jedenfalls zumutbar gewesen, die bP, welche sich in Strafhaft befand, in der Haft zumindest zu befragen und sich in weiterer Folge über den maßgeblichen Sachverhalt ein Bild zu machen, anstatt aus einer vermeintlich unbeantworteten Aufforderung zur Stellungahme vor dem Ablauf der Stellungnahmefrist mutmaßender Weise ihre Schlüsse zu ziehen und im Anschluss sich auch in Bild zu machen, ob das Verfahren gem. § 57 AVG zu führen ist, oder nicht.
Die im Vorabsatz beschriebene Annahme wird auch durch die Begründung der bB, sie hätte die Schubhaft aufgehoben, da nach Sichtung der Stellungnahme der bP der Fluchtgrund nicht mehr gegeben ist, zumal der Stellungnahme kein Sachverhaltselement enthalten ist, was die bB auch in einer Vernehmung der bP hätte erfragen können.
Im Rahmen einer Gesamtschau ist jedenfalls festzuhalten, dass die belangte Behörde ein absolut unzureichendes Ermittlungsverfahren führte, welches nicht als Basis zur Beschaffung der Kenntnis über den maßgeblichen Sachverhalt herangezogen werden konnte und somit die Ermittlungstätigkeit auf das Gericht abwälzte. So wäre das ho. Gericht verhalten gewesen, den gesamten relevanten Sachverhalt erstmals zu ermitteln, da die bP nicht einmal die von ihr selbst eingeräumte Stellungnahmefrist abwartete und somit auch die Beurteilung der Stellungnahme vom 6.12.2018 auf das ho. Gericht abwälzte und auch sonst keine tauglichen Schritte zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts setzte. In seinem Urteil vom 14.6.2017, C-685 EU:C:2017:452 befasste sich der EuGH mit der Frage, ob nationale Bestimmungen, welche dem Verwaltungsgericht die amtswegige Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts -bei entsprechender Untätigkeit der Behörde- der in der europarechtlichen Judikatur geforderten Objektivität und Unvoreingenommenheit des Gerichts entgegenstehen. Nach seiner Ansicht können die Gerichte nach den nationalen Verfahrensregeln zwar verpflichtet sein, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Vorlage solcher Beweise zu fördern, doch können sie nicht verpflichtet sein, anstelle der genannten Behörden die Rechtfertigungsgründe vorzubringen, die nach dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281) diese Behörden vorzubringen haben. Werden diese Rechtfertigungsgründe wegen der Abwesenheit oder der Passivität dieser Behörden nicht vorgebracht, müssen die nationalen Gerichte alle Konsequenzen ziehen dürfen, die sich aus einem solchen Mangel ergeben. Der EuGH führte weiters aus, dass die Art. 49 und 56 AEUV, wie sie insbesondere im Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281), ausgelegt wurden, im Licht des Art. 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Verfahrensregelung, nach der in Verwaltungsverfahren das Gericht, bei der Prüfung des maßgeblichen Sachverhalts die Umstände der bei ihm anhängigen Rechtssache von Amts wegen zu ermitteln hat, nicht entgegenstehen, sofern diese Regelung nicht zur Folge hat, dass das Gericht an die Stelle der zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats zu treten hat, denen es obliegt, die Beweise vorzulegen, die erforderlich sind, damit das Gericht eine entsprechende Prüfung durchführen kann. Die Ausführungen des EuGH beziehen sich zwar auf ein Verwaltungsstrafverfahren, sie sind nach ho. Ansicht jedoch auch im gegenständlichen Fall anwendbar.
Wird diese Grenze eines erforderlichen Mindestmaßes eines Administrativverfahrens im oa. Sinne nicht erreicht, ist das Gericht ermächtigt -wenn nicht sogar verpflichtet- eine Entscheidung ohne die Herbeischaffung der genannten Beweismittel zu treffen. Auf den gegenständlichen Fall umgelegt hätte dies bedeutet, dass die belangte Behörde bestenfalls nur rudimentäre Ermittlungen führte und das ho. Gericht iSd Urteils des EuGH vom 14.6.2017, C-685 EU:C:2017:452 nicht verhalten, bzw. es ihm sogar verwehrt gewesen wöre, an die Stelle der belangten Behörde zu treten und den maßgeblichen Sachverhalts zu ermitteln, weshalb das ho. Gericht mangels eines ihm vorliegenden Tatsachensubstrats nicht feststellten konnte, dass die Verhängung der Schubhaft rechtmäßig gewesen wäre.
Das ho. Gericht pflichtet der bB zwar bei, dass bei der bP sichtlich die nicht nur äußerst gering ausgeprägte Neigung erkennbar ist, die österreichische Rechtsordnung in einem nicht unwesentlichen Umfang nicht zu beachten, doch entbindet diese Neigung die bB nicht, den maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln.
Aufgrund der oa. Ausführungen wäre davon auszugehen gewesen, dass die bB kein adäquates Ermittlungsverfahren führte und daher nicht festgestellt werden kann, ob Fluchtgefahr vorliegt. Welche rechtlichen Folgen sich daraus ergeben hätten ist aufgrund der Zurückziehung der Beschwerde nicht (mehr) festzuhalten.
4.3. Für das ho. Gericht erscheint es auch nicht restlos nachvollziehbar, warum die Schubhaft am 10.12.2018 aufgehoben wurde, obwohl das Bescheinigungsmittel, welche sie dazu veranlasste, diese aufzuheben, bereits am 6.12.2018 bei ihr einlangte.
4.4. Letztlich sei darauf hingewiesen, dass der Einwand der bP, sie sei rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig in ihrem Fall ins Leere gegangen wäre, weil sie im Rahmen einer richtlinienkonformen Auslegung der fremdenrechtlichen Bestimmungen in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie und nicht in den Bereich der Aufnahme-richtlinie fällt.
5. Aufgrund der Sprachkenntnisse der bP konnte eine Übersetzung der maßgeblichen Teile des entsprechenden Beschlusses unterbleiben.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen und die Rechtslage im Übrigen eindeutig. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Beschwerdeverzicht, Beschwerdezurückziehung, Einstellung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:L515.2210891.1.00Zuletzt aktualisiert am
08.05.2019